SCHUMANN - Die Münchner Philharmoniker · Natürlich verhielt sich Schumann nicht nur streng gegen...

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SCHUMANN 1. Symphonie »Frühlingssymphonie« BRAHMS 4. Symphonie LUISI, Dirigent Montag 06_03_2017 20 Uhr Dienstag 07_03_2017 20 Uhr

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SCHUMANN1. Symphonie»Frühlingssymphonie«

BRAHMS4. Symphonie

LUISI, Dirigent

Montag06_03_2017 20 UhrDienstag07_03_2017 20 Uhr

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ROBERT SCHUMANNSymphonie Nr. 1 B-Dur op. 38

»Frühlingssymphonie«

1. Andante un poco maestoso – Allegro molto vivace –

Animato – Poco a poco stringendo2. Larghetto

3. Scherzo: Molto vivace – Trio I: Molto più vivace – Trio II – Coda

4. Allegro animato e grazioso

JOHANNES BRAHMSSymphonie Nr. 4 e-Moll op. 98

1. Allegro non troppo2. Andante moderato3. Allegretto giocoso

4. Allegro energico e passionato

FABIO LUISI, Dirigent

118. Spielzeit seit der Gründung 1893

VALERY GERGIEV, ChefdirigentZUBIN MEHTA, Ehrendirigent

PAUL MÜLLER, Intendant

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Robert Schumann: 1. Symphonie

ROBERT SCHUMANN(1810–1856)

Symphonie Nr. 1 B-Dur op. 38»Frühlingssymphonie«

1. Andante un poco maestoso – Allegro molto vivace – Animato – Poco a poco stringendo

2. Larghetto3. Scherzo: Molto vivace –

Trio I: Molto più vivace – Trio II – Coda

4. Allegro animato e grazioso

LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN

Geboren am 8. Juni 1810 in Zwickau; ge-storben am 29. Juli 1856 in Endenich bei Bonn.

ENTSTEHUNG

Robert Schumann skizzierte seine erste (vollendete) Symphonie in vier Tagen zwi-schen dem 23. und dem 26. Januar 1841 in Leipzig. Für die Instrumentierung und die Ausarbeitung der Partitur benötigte er die Zeit vom 27. Januar bis zum 8. Februar (erster und zweiter Satz) und vom 15. bis zum 20. Februar (Scherzo und Finale). Doch nahm er bis zur Erstpublikation der Stimmen im November 1841, ja selbst für die viel später, im Januar 1853 veröffent-lichte Partitur immer noch Korrekturen am Notentext und an der Instrumentation vor. Den Titel »Frühlingssymphonie« gab Schumann seinem Werk von Anfang an; die literarischen Überschriften der vier Sätze hingegen (»Frühlingsbeginn«, »Abend« oder »Idylle«, »Frohe Gespielen« und »Voller Frühling«) zog er vor der Erst-veröffentlichung wieder zurück.

WIDMUNG

In der Partitur: »Sr. Majestät dem Könige von Sachsen Friedrich August [II.] in tiefster Ehrfurcht zugeeignet«. Friedrich

»O wende, wende Deinen Lauf !«

WOLFGANG STÄHR

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Robert Schumann: 1. Symphonie

Johann Friedrich Klima: Robert Schumann kurz vor seiner Heirat mit Clara Wieck (um 1840)

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Robert Schumann: 1. Symphonie

August II. (1797–1854) aus dem Haus der albertinischen Wettiner war von 1836 bis zu seinem Unfalltod in Tirol dritter König von Sachsen. Unter dem Eindruck der Märzrevolution von 1848 berief er noch liberale Minister in die Regierung, hob die Zensur auf und erließ ein neues Wahl-gesetz; später hingegen, während des Dresdner Maiaufstands 1849, löste er das Parlament auf und ließ zur Unterdrückung der Demokratiebewegung seine Soldaten auf das eigene Volk schießen, wobei Dutzende von Zivilisten starben...

URAUFFÜHRUNG

Am 31. März 1841 in Leipzig im Großen Gewandhaus-Saal (Leipziger Gewand-haus-Orchester unter Leitung von Felix Mendelssohn Bartholdy).

PIANIST DES JÜNGSTEN GERICHTS

»Alles, was Odem hat, lobe den Herrn !« Ohne falsche Bescheidenheit begann Robert Schumann sein Lebenswerk: Mit elf Jahren vertonte er den 150. Psalm. Wenige Wochen zuvor hatte er in der Marienkirche seiner Heimatstadt Zwickau an der Einstu-dierung eines Oratoriums »Das Weltge-richt« mitgewirkt; er hatte »am Clavier accompagnirt« und dabei einen tiefen, wenngleich unklaren Eindruck vom »Getüm-mel der Instrumente« empfangen. Und so schritt er alsbald zur Tat und komponierte selbst ein Oratorium, »Le psaume cent cinquantième« für die eher symbolische Besetzung mit Sopran, Alt, Klavier, je zwei Violinen, Flöten, Oboen und Trompeten, Viola, Horn, Fagott und Pauken. Das Titel-blatt versah er mit der Opuszahl 1 und der hochstaplerischen Verlagsangabe »Leipsic, chez Breitkopf et Härtel«. Auf das Licht der Öffentlichkeit aber musste das kühne Frühwerk, mehr Jugend- als Geniestreich, einstweilen noch warten: Die Uraufführung fand erst zu Schumanns 187. Geburtstag statt, am 8. Juni 1997 in Düsseldorf.

»DIE MÄCHTE DER MASSEN«

»Wenn er seinen Zauberstab dahin senken wird, wo ihm die Mächte der Massen, im Chor und Orchester, ihre Kräfte leihen, so stehen uns noch wunderbarere Blicke in die Geheimnisse der Geisterwelt bevor«, pro-phezeite Schumann dem jungen Johannes Brahms, den er gegen Ende seines Lebens kennengelernt hatte und wie einen auser-wählten Nachfolger inthronisierte. Gut 30 Jahre lagen zwischen der frühen Psalmver-tonung und dieser späten Begegnung mit Brahms – Jahrzehnte, in denen das unbe-kümmerte Selbstbewusstsein der Jugend erheblichen Fliehkräften ausgesetzt war,

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Robert Schumann: 1. Symphonie

hin- und hergeschleudert zwischen rasch wechselnden Erfolgen und Anfeindungen, schwärmerischen Höhenflügen und destruk-tiven Selbstzweifeln. Doch die alte Liebe zu den mächtig besetzten Werken großen Stils hatte niemals Rost angesetzt. »Bedenke auch«, notierte Schumann in seinen »Musika-lischen Haus- und Lebensregeln«, »daß es Sänger gibt, daß im Chor und Orchester das Höchste der Musik zur Aussprache kommt«. Die Mit- und Nachwelt allerdings wollte ihn allzu bald schon auf die Rolle des Miniaturisten festlegen, der ausschließlich im Lied und im pianistischen Charakter-stück Genie besessen hätte. »Für mich existiert eine geistige Scheidewand zwi-schen dem Schumann, der anfangs seine eigenen Bahnen wandelte, und jenem zwei-ten, der, geblendet von dem Formenglanze des großen Mozarterben Mendelssohn, an sich selbst irre und zu einem partiellen, geistigen Selbstmorde getrieben wurde«, bekannte Hans von Bülow und sprach keine Einzelmeinung aus, als er erklärte: »Der Klavierkomponist und der Liedsänger in ihm stehen mir ungleich höher da als der Sym-phoniker, so anbetend ich mich auch zu den Adagios der zweiten und selbst der dritten Symphonie verhalte.«

VOM EINSEITIGEN KULT DER INTIMITÄT

Diese einseitige Vorliebe nahm in Frank-reich sogar Züge eines esoterischen »culte schumannien« an. Die französischen Lyri-ker fühlten sich von Schumanns Liedern und Klavierwerken wesensverwandt ange-zogen, weil seine Musik ihnen ein Ideal der offenen Form und der metrischen Freiheit erschloss, eine »encyclopédie des nuances«. Auch der Maler Fernand Khnopff, Haupt-repräsentant des belgischen Symbolismus, erwies dem Komponisten seine Reverenz

mit dem 1883 entstandenen Bild »En écoutant du Schumann«: In einem erlesen möblierten bürgerlichen Salon sitzt, im Sessel vor dem Kamin, eine Frau, vollkom-men in sich gekehrt; mit der rechten Hand schirmt sie ihr Gesicht ab, um hingebungs-voll und konzentriert dem Klavierspiel zu lauschen, der intimen Musik Robert Schu-manns. Deren Sphäre ist die Stille, die Ein-samkeit, die Weltabgeschiedenheit (jeden-falls nach Ansicht dieses Bildes). Wenn der Dichter spricht, hat der Symphoniker zu schweigen.

CLARA WÜNSCHT SICH »EINEN 2TEN BEETHOVEN«

Doch anders als es seine feinsinnigen Ver-ehrer im späten 19. Jahrhundert wahrha-ben wollten, strebte Schumann durchaus zu den »Mächten der Massen«, vom Salon in den Konzertsaal, zur »Gewalt des Or-chesters wie des Chors«. 1839 verkündete er (etwas voreilig) in einem Brief: »Bald gibt es nur Symphonien von mir zu verlegen und zu hören. Das Clavier möcht’ ich oft zerdrücken, und es wird mir zu eng zu mei-nen Gedanken.« In diesem Selbstverständ-nis wurde er von seiner Verlobten Clara Wieck leidenschaftlich ermutigt: »Nimm mir es nicht übel, lieber Robert, wenn ich Dir sage, dass in mir sehr der Wunsch rege geworden ist, dass Du doch auch für Or-chester schreiben möchtest. Deine Fanta-sie und Dein Geist ist zu groß für das schwache Klavier. Sieh doch, ob du es nicht kannst ? Ich habe nun einmal die Überzeu-gung, Du müsstest ein 2ter Beethoven sein.« Mit diesem forschen Appell an den Ehrgeiz ihres Zukünftigen berührte Clara Wieck freilich einen wunden Punkt. Ein zweiter Beethoven ? Gab es denn nach Beethovens Tod überhaupt noch eine Per-spektive für die Symphonie ? War mit der

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Robert Schumann: 1. Symphonie

Fernand Khnopff: »En écoutant du Schumann« (1883, Ausschnitt)

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Robert Schumann: 1. Symphonie

epochalen Neunten nicht längst »Maß und Ziel erschöpft« und eine historische Grenze erreicht ? Robert Schumann dürfte sich diese und ähnliche Fragen mehr als einmal gestellt haben, zumal er die symphonischen Versuche seiner Zeitgenossen mit unbe-stechlicher Kritik beobachtete: »Die neueren Symphonien verflachen sich zum größten Theil in den Ouverturenstyl hinein, die ersten Sätze namentlich; die langsamen sind nur da, weil sie nicht fehlen dürfen; die Scherzo’s haben nur den Namen davon; die letzten Sätze wissen nicht mehr, was die vorigen enthalten.« An Beethoven, den ersten und einzigen, erinnerten diese Werke einer neuen Generation allenfalls noch in »Anklängen«, nicht aber in der »Beherrschung der groß-artigen Form, wo Schlag auf Schlag die Ideen wechselnd erscheinen und doch durch ein inneres geistiges Band verkettet«.

SCHUBERTS VORBILD LÖST DEN KNOTEN

Natürlich verhielt sich Schumann nicht nur streng gegen andere, sondern auch »miß-trauisch« gegen sein eigenes symphoni-sches Talent. Nach mehreren vergeblichen Anläufen schon in der Studentenzeit und Skizzen zu einer »Sinfonia per il Hamlet« arbeitete Schumann 1832/33 an einer g-Moll-Symphonie, deren erster Satz (das Werk blieb ein Torso) vereinzelt zur Auf-führung kam – mit dermaßen matter Reso-nanz jedoch, dass Schumann, der höchste Ambitionen mit dieser Komposition ver-knüpft hatte (»Von ihr erwarte ich, ohne Eitelkeit, das meiste von der Zukunft«), auf Jahre hinaus von weiteren symphoni-schen Experimenten absah, ja sogar in seinem Pass die Berufsangabe »Künstler« durch »Musikgelehrter« ersetzte ! Warum ihm trotz dieser widrigen Vorgeschichte im berühmten »symphonischen Jahr« 1841

der Durchbruch gelang, dafür gab es vor allem einen Grund: einen glücklichen Fund. Schumann hatte am Neujahrstag 1839 in Wien bei Franz Schuberts Bruder Ferdinand die unveröffentlichte C-Dur-Symphonie D 944 entdeckt, die »Große«, die auf seine Initiative am 21. März in Leipzig von Felix Mendelssohn uraufgeführt wurde. Und die-se Entdeckung erbrachte den beflügelnden Beweis, dass es auch nach Beethoven eine Zukunft für die Symphonie geben konnte: »Clara, heute war ich selig. In der Probe wurde eine Symphonie von Franz Schubert gespielt«, schrieb Schumann am 11. Dezem-ber 1839 an seine Braut, als Mendelssohn das Werk zum zweiten Mal einstudierte. »Wärst Du da gewesen. Die ist Dir nicht zu beschreiben; das sind Menschenstimmen, alle Instrumente, und geistreich über die Maßen, und diese Instrumentation trotz Beethoven – auch diese Länge, diese himm-lische Länge, wie ein Roman in vier Bänden, länger als die 9te Symphonie. Ich war ganz glücklich, und wünschte nichts, als Du wä-rest meine Frau, und ich könnte auch sol-che Symphonien schreiben.« Beide Wün-sche sollten bald schon in Erfüllung gehen.

»IM THALE BLÜHT DER FRÜHLING AUF !«

Wie im Rausch skizzierte Schumann im Januar 1841 seine B-Dur-Symphonie op. 38, in nur vier Tagen und schlaflosen Nächten: seine »Erste«, deren Instrumentation er am 20. Februar abschließen konnte; »eine ganze Sinfonie – und obendrein eine Frühlingssinfonie«, begeisterte sich der Komponist. Mehr als ein Jahr später berich-tete er Louis Spohr von jenem krea tiven Ausnahmezustand, und der Enthusiasmus des geglückten Werkes schwingt noch im-mer mit: »Ich schrieb die Sinfonie zu Ende Winters 1841, wenn ich es sagen darf, in

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Robert Schumann: 1. Symphonie

jenem Frühlingsdrang, der den Menschen wohl bis in das höchste Alter hinauf und in jedem Jahre von neuem überfällt. Schildern, malen wollte ich nicht; daß aber eben die Zeit, in der die Sinfonie entstand, auf ihre Gestaltung, und daß sie gerade so gewor-den, wie sie ist, eingewirkt hat, glaube ich wohl.« Nicht allein die Zeit und Jahreszeit, auch ein stimmungsverwandtes Gedicht des zeitgenössischen Leipziger Lyrikers Adolf Böttger gab den Anstoß zur Kompo-sition der B-Dur-Symphonie. Die Schluss-verse – »O wende, wende Deinen Lauf – / Im Thale blüht der Frühling auf !« – übertrug Schumann in den Rhythmus des Mottos, das in der langsamen Einleitung zum Kopf-satz ertönt und das obendrein ans Eröff-nungsthema von Schuberts C-Dur-Sympho-nie gemahnt. »Gleich den ersten Trompeten-stoß möcht’ ich, daß er wie aus der Höhe klänge, wie ein Ruf zum Erwachen«, bat Schumann einen befreundeten Dirigenten vor der Berliner Erstaufführung seiner B-Dur-Symphonie. Und legte ihm ans Herz: »Könnten Sie ihrem Orchester beim Spiel etwas Frühlingssehnsucht einwehen – die hatte ich nämlich dabei, als ich sie schrieb.«

DAS MOTTO ALS »INNERES GEISTIGES BAND«

Der »Trompetenstoß« aber, die (auch von den Hörnern) intonierte Fanfare der Intro-duktion, setzt nicht nur »Schlag auf Schlag« den furiosen, mitreißenden, humo-ristisch unberechenbaren Wechsel der Ideen in Gang: Das Motto knüpft zugleich »ein inneres geistiges Band« um die vier Sätze der Symphonie. Im Kopfsatz er-scheint es ohnehin allgegenwärtig, als un-erschöpflicher Impuls und hellwacher Regent; im Larghetto wandelt es sich zum Thema eines reich figurierten Variations-satzes, geistert danach durchs erste Trio

des Scherzos, um schließlich im Finale, kurz vor der Coda, seinen letzten großen Auftritt zu haben. Die ursprünglich poeti-schen Überschriften der einzelnen Sätze zog Schumann jedoch vor Drucklegung zu-rück: »Frühlingsbeginn«, »Abend« oder »Idylle«, »Frohe Gespielen« und »Voller Frühling«. Er wäre sich selbst und seiner erklärten Abneigung gegen literarische Programme untreu geworden, hatte er doch namentlich an Hector Berlioz’ »Symphonie fantastique« die im Konzertsaal verteilte Inhaltsangabe mit ihrer romanhaften Handlung kritisiert: »Ganz Deutschland schenkt sie ihm: solche Wegweiser haben immer etwas Unwürdiges und Scharlatan-mäßiges«, hatte sich Schumann ereifert. »Der zartsinnige [...] Deutsche will in seinen Gedanken nicht so grob geleitet sein; schon bei der Pastoralsinfonie beleidigte es ihn, daß ihm Beethoven nicht zutraute, ihren Charakter ohne sein Zutun zu erraten.«

RÜCKKEHR DER ALTEN »SYMPHONIESCRUPEL«

Nachdem der Bann gebrochen war, die läh-mende Angst vor der Symphonie, kompo-nierte Schumann 1841 gleich noch »in recht fröhlicher Stimmung« die nur locker anei-nandergereihten Sätze Ouvertüre, Scherzo und Finale op. 52, die er zeitweilig unter dem gemeinsamen Titel »Symphonette« oder »Suite« vereinen wollte. Im Mai ent-stand die Phantasie a-Moll für Klavier und Orchester (der spätere Kopfsatz des Klavier-konzerts op. 54); und über die Sommer-monate vollendete Schumann sogar noch eine d-Moll-Symphonie, die Urfassung der späteren »Vierten«. Kein Wunder, dass Schumann bald überschwänglich bekannte: »Jetzt bin ich ganz und gar in die Sympho-nienmusik gerathen. Die für mich höchst ermuthigende Aufnahme, die meine erste

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Robert Schumann: 1. Symphonie

Der Beginn des 1. Satzes in Schumanns Particell (links oben der Vermerk »Frühlingssymphonie«)

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Robert Schumann: 1. Symphonie

Symphonie [unter Mendelssohns Leitung am 31. März 1841] gefunden, hat mich ganz ins Feuer gebracht.« Aber Schumann gehörte weder zu den robusten Frohnaturen noch zur Fraktion der stillen Dulder. Seine schöpferischen Hochgefühle erwiesen sich als überaus wetterwendisch. »Und leben wir Musiker, Du weißest es ja, so oft auf sonnigen Höhen, so schneidet das Unglück der Wirklichkeit um so tiefer ein«, gestand er einem Freund. Als jedenfalls die Urauf-führung der neuen d-Moll-Symphonie in Leipzig weit hinter der erfolgreichen Pre-miere der »Ersten« zurückblieb, kehrten prompt die alten »Symphoniescrupel« zurück, die ewigen Bedenken, die oft ge-hörten und immer wieder geäußerten Mah-nungen, »nach Beethoven abzustehen von symphonistischen Plänen«. Mit einem Frühlingsrausch hatte es begonnen, mit eisiger Katerstimmung ging das »sympho-nische Jahr« zu Ende.

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Johannes Brahms: 4. SymphonieJohannes Brahms: 4. Symphonie

JOHANNES BRAHMS(1833–1897)

Symphonie Nr. 4 e-Moll op. 98

1. Allegro non troppo2. Andante moderato3. Allegretto giocoso4. Allegro energico e passionato

LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN

Geboren am 7. Mai 1833 in Hamburg; ge-storben am 3. April 1897 in Wien.

ENTSTEHUNGDer Charakter der vierten (und damit letz-ten) Symphonie von Johannes Brahms, die in den Sommermonaten 1884 und 1885 in Mürzzuschlag / Steiermark auf der Süd-seite des Semmering entstand, wurde vom Komponisten in einem Brief an Elisabet von Herzogenberg auf das eher raue Klima dieses Mittelgebirgszugs südwestlich von Wien bezogen: »Im Allgemeinen sind ja leider die Stücke von mir angenehmer als ich, und findet man weniger daran zu kor-rigieren ?! Aber in hiesiger Gegend werden die Kirschen nicht süß und essbar...«

URAUFFÜHRUNG

Am 25. Oktober 1885 in Meiningen / Thü-ringen im Großherzoglichen Hoftheater (Großherzogliche Hofkapelle Meiningen un-ter Leitung von Johannes Brahms). Sieben Tage später wurde das Werk unter Hans von Bülow erneut aufgeführt und anschlie-ßend auf einer Tournee des Meininger Orchesters durch Westdeutschland und Holland, deren Leitung sich Brahms und Bülow teilten, einem breiteren Publikum vorgestellt.

Ein Leben für die Variation

THOMAS LEIBNITZ

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Johannes Brahms: 4. Symphonie

ANVERWANDLUNG ALS KUNST- UND LEBENSPRINZIP

Der Versuch, das Schaffen eines Komponis-ten unter ein charakteristisches Motto zu setzen, wird immer fragwürdig bleiben. Weder geht das Komponieren Arnold Schön-bergs völlig im Begriff der »revolutionären Neugestaltung« auf, noch sind die Beiträge Wagners und Verdis zur Musikgeschichte ausschließlich auf die Opernbühne zu be-schränken. Aber dennoch haben solche Kurzcharakteristiken – vorausgesetzt, dass ihnen die nötige Differenzierung folgt – ihre Berechtigung und ihren Sinn: Der Blick richtet sich auf das Wesentliche, inner-halb der zahllosen biographischen und werkanalytischen Fakten wird »Struktur« geschaffen. Und so sollte es erlaubt sein, im Falle Johannes Brahms’ den Begriff der »Variation« als Schlüsselbegriff anzuset-zen, und dies gleich in mehrfacher Hin-sicht.

Unübersehbar ist die Neigung des Kompo-nisten zu Anverwandlung und Neubeleuch-tung des bereits Gegebenen; dies spiegelt sich wider in der großen Zahl von Werken, die explizit als »Variationen über…« betitelt sind, wie auch in der Kunst der permanen-ten Variantenbildung, die sein gesamtes Schaffen durchzieht. Darüber hinaus ist das Gesamtwerk von Johannes Brahms – lobend und tadelnd – von vielen Zeitgenos-sen als großangelegte Variation über das Grundthema der »Klassik« angesehen worden, wobei manche den schöpferisch- individuellen Aspekt innerhalb der retro-spektiven Grundhaltung übersahen.

UNBEIRRBARER WILLE UND MUT ZUR EINSAMKEIT

»In diesem Genre liegt ganz entschieden die starke Seite dieses Componisten; denn er ist von Hause aus eigentlich arm an Er-findung, aber er hat viel gelernt und hat eine edle, dem Gemeinen fernab liegende Richtung…« So charakterisierte 1873 der Rezensent des »Vaterlands«, einer öster-reichischen Tageszeitung, die soeben ur-aufgeführten »Variationen über ein Thema von Joseph Haydn«, Brahms’ letztes »Vorbereitungswerk« auf dem Weg zur Symphonie. Das zitierte Lob hat einen etwas schalen Beigeschmack und formu-liert den ständig wiederkehrenden Haupt-vorbehalt aller Brahms-Kritiker: Am pro-fessionellen Können des Komponisten sei nicht zu zweifeln, aber es fehle der schöp-ferische Funke, das Unverwechselbare der eigenen Aussage. Hier hat die Rezeptions-geschichte allerdings klar zu Gunsten des Komponisten entschieden.

Alle Klischeevorstellungen und Vorbehalte der Mitwelt fokussieren in der Aufnahme von Brahms’ 4. Symphonie, seinem letzten Beitrag als symphonischer Komponist. Ganz entschieden hat hier Brahms dem Element des Variativen größtes Gewicht gegeben – mehr als in den vorangegange-nen Symphonien. Vor allem der letzte Satz, in dem der Komponist auf das historische Modell der Passacaglia zurückgreift, scheint das filigrane Variationsprinzip ins Extrem zu treiben – auf Kosten des groß-räumigen symphonischen Entwicklungs-prinzips nach dem Vorbild Beethovens, dem Brahms etwa in seiner 1. Symphonie durch-aus gefolgt war. Kein Wunder, dass auch unter seinen treuesten Anhängern Zweifel aufkamen, ob dem Meister hier vielleicht

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Johannes Brahms: 4. Symphonie

Johannes Brahms (1889)

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Johannes Brahms: 4. Symphonie

nicht doch ein Missgriff unterlaufen sei. In wenigen Fällen war Brahms in so hohem Maß auf sich allein gestellt, musste er gegen den Rat seiner wohlmeinenden und gegen die Schelte seiner übelwollenden Mitwelt so sehr seiner inneren Stimme ver-trauen und an einer Konzeption festhalten, die von der Nachwelt schließlich als über-zeugend und authentisch gewertet wurde.

»AUF DAS AUGE DES MIKROSKOPIKERS BERECHNET«

Die 4. Symphonie entstand innerhalb zweier Sommeraufenthalte Brahms’ in Mürzzu-schlag (Steiermark), und zwar in den Som-mern 1884 (1. und 2. Satz) und 1885 (3. und 4. Satz). Wie immer hatte Brahms den Plan zu einem neuen symphonischen Werk in der für ihn typischen Neigung zum »Understatement« nur in kryptischen An-deutungen kundgetan; in seinem Brief an den Verleger Simrock vom 19. August 1884 bemerkte er lediglich am Rande, er wolle nun »besseres Papier mit mehr Systemen« nehmen, woraus Informierte schließen konnten, dass er wieder an einem Orches-terwerk arbeitete. Rasch verbreitete sich die Nachricht von einer neuen Symphonie unter den Freunden, und bereits am 26. Ok-tober 1884 fragte Elisabet von Herzogen-berg gezielt nach dem Werk. Brahms wollte jedoch die zwei vollendeten Sätze noch nicht aus der Hand geben, und so musste sich der Freundeskreis bis zum September 1885 gedulden. Das mit Brahms befreunde-te Ehepaar Herzogenberg erhielt das Manu-skript zuerst – die Reaktion war indessen Enttäuschung. Die Partitur wurde kommen-tarlos zurückgeschickt, und auch Wochen danach teilten weder Herzogenbergs noch Clara Schumann dem Komponisten ihre Eindrücke mit, was diesen veranlasste, in seinem Brief vom 30. September 1885 an

Heinrich von Herzogenberg etwas kleinlaut und missmutig zu bemerken: »Meine neu-liche Attacke ist ja gründlich misslungen (und eine Symphonie dazu).«

Nun folgte doch ein ausführlicher Brief von Frau Herzogenberg, in dem sie für das neue Werk bewundernde und begeisterte Worte fand: »Man wird nicht müde, hineinzu-horchen und zu schauen auf die Fülle der über dieses Stück ausgestreuten geist-reichen Züge, seltsamen Beleuchtungen rhythmischer, harmonischer und klanglicher Natur, und Ihren feinen Meißel zu bewun-dern, der so wunderbar bestimmt und zart zugleich zu bilden vermag.« Aber ein gewis-ser Vorbehalt konnte nicht verschwiegen werden: »Es ist mir, als wenn eben diese Schöpfung zu sehr auf das Auge des Mikro-skopikers berechnet wäre, als wenn nicht für jeden einfachen Liebhaber die Schön-heiten alle offen dalägen, und als wäre es eine kleine Welt für die Klugen und Wissen-den, an der das Volk, das im Dunkeln wan-delt, nur einen schwachen Anteil haben könnte.« Mit anderen Worten: Das Werk sei zu subtil konzipiert, es fehle der »impact«, die unmittelbar zündende Wirkung.

PRÜGELSTRAFE FÜR GEISTLOSE KRITIKER ?

Ende September 1885 spielte Brahms, sei-ner Gepflogenheit gemäß, das neue Werk den Wiener Freunden in Friedrich Ehrbars Klaviersalon in einer Fassung für zwei Kla-viere vor; sein Partner war Ignaz Brüll. Pro-minente Vertreter des zeitgenössischen Musiklebens hatten sich eingefunden: Hans Richter, Eduard Hanslick, Theodor Billroth, auch der Musikkritiker und Brahms- Biograph Max Kalbeck. Kalbeck schildert seine Eindrücke: Nach dem »wundervollen Allegro« sei eine »ziemlich lähmende Stille«

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Der Beginn des 1. Satzes (oben) und der Beginn des 3. Satzes (unten) in der Handschrift des Komponisten

Johannes Brahms: 4. Symphonie

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Johannes Brahms: 4. Symphonie

eingetreten. »Endlich gab Brahms mit ei-nem knurrigen: ›Na, denn man weiter !‹ das Zeichen zur Fortsetzung; da platzte Hans-lick nach einem schweren Seufzer, als ob er sich erleichtern müsste und doch fürch-tete, zu spät zu kommen, noch schnell he-r aus: ›Den ganzen Satz über hatte ich die Empfindung, als ob ich von zwei schreck-lich geistreichen Leuten durchgeprügelt würde.‹ Alles lachte, und die beiden spielten fort.«

Hanslicks Bonmot hatte die drückende Stim-mung durchbrochen, nicht aber die Zweifel ausgeräumt. Insbesondere der Final satz er-schien Kalbeck zwar als »die Krone aller Brahms’schen Variationensätze«, jedoch nicht als geeigneter Abschluss einer Sym-phonie. Getrieben von der ernsthaften Be-fürchtung, dem verehrten Freund drohe ein »eklatanter Misserfolg«, suchte er Brahms am nächsten Morgen auf, trug ihm seine Bedenken vor und machte ihm den ungewöhnlichen Vorschlag, er solle die Symphonie zurückziehen und tiefgreifend umarbeiten. Brahms reagierte weder belei-digt noch empört, sondern argumentierte mit dem Vorbild Beethovens: Auch dieser hätte, in seiner »Eroica« nämlich, eine Symphonie mit einem Variationensatz ab-geschlossen. Er sei Kalbeck für dessen freimütige Kritik dankbar, bleibe aber den-noch bei seiner Konzeption.

VERSCHLEIERTER BAUPLAN, IMPONIERENDE ARCHITEKTUR

Ohne Umschweife beginnt der Kopfsatz mit dem sanft fließenden, etwas melancho-lischen Hauptthema, das sogleich dem Variationsprinzip unterworfen wird; in der Wiederholung erscheint das Thema in der Achtelbewegung, Begleitfiguren und Instru-mentation sorgen für neue Beleuchtung. In

der Weiterführung tritt ein Charakteristi-kum von Brahms’ Komponieren zutage: Der rhythmische Fluss der Geradtaktigkeit wird unterbrochen, scheinbar ungeradtaktige Bildungen schieben sich ein. All diese Ele-mente verschleiern und verfremden das Bild des klassischen Sonatensatzes, der jedoch auch diesem Kopfsatz als Grund-struktur unzweideutig zugrunde liegt. Da von Anfang an das Prinzip der variativen Umformung und Neufärbung vorherrscht, fällt es nicht leicht, den klassischen Bau-plan der Sonatenform – Exposition, Durch-führung, Reprise – hörend nachzuvoll-ziehen. Entgegen dem »Traditionalismus«, den man Brahms nur zu gern unterstellt, hält der Komponist stets neue Überra-schungen bereit – etwa in der höchst origi-nell gestalteten Reprise, die die erste Hälf-te des Hauptthemas zwar notengetreu, aber mit weiter Dehnung der Notenwerte über einem zart bewegten Streicher-teppich präsentiert; erst die zweite Hälfte des Themas, nunmehr in der Originalge-stalt, erleichtert das Wiedererkennen.

Das Prinzip der Variation konzentriert sich im nun folgenden langsamen Satz auf har-monische Subtilität und vielschichtige Klangfärbungen. Grundtonart ist E-Dur; doch Brahms modifiziert die harmonische Struktur durch Rückgriff auf gleichsam archaische Wendungen, durch Einschub kirchentonaler Elemente, insbesondere der »phrygischen Sekunde«. Sie gibt dem rhythmisch gleichförmig einher schreiten-den Holzbläserthema das charakteristi-sche Gepräge und zeigt, wie durch Rück-griff auf historisch längst »überholte« Wendungen überraschend innovative Wir-kungen erzielt werden können. Formal lässt sich der Satz in seiner großräumigen Zweiteiligkeit leicht überblicken; jeder der beiden Teile ist durch die Dualität des vor-

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Johannes Brahms: 4. Symphonie

Johannes Brahms (1896)

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Johannes Brahms: 4. SymphonieJohannes Brahms: 4. Symphonie

rangig bläserdominierten Hauptthemas und des auf Streicherklang basierenden Seitenthemas bestimmt.

Züge grimmig-grotesker Heiterkeit trägt der 3. Satz, der die Tradition des Menuett- bzw. Scherzo-Satzes auf sehr individuelle Weise fortsetzt. Grundtonart ist C-Dur, doch will sich keineswegs die mit dieser Tonart gemeinhin verbundene Feierstim-mung einstellen; dies verhindert bereits das rhythmisch »gegen den Strich ge-bürstete« Hauptthema, das an einen stampfenden Tanz denken lässt. Immer wieder lässt Brahms Akkordblöcke lapidar aufeinanderprallen, die durch den Einsatz des Triangels geradezu unheimlichen Klangcharakter annehmen. Das für ein Scherzo unabdingbare Trio ist auf wenige Bläserphrasen reduziert.

Als Krönung des symphonischen Baus gilt der Schlusssatz, als reiner Variationensatz ein Novum in Brahms’ Symphonien. Er greift auf das barocke Modell der Passacaglia zu-rück, deren Eigenheit in der unablässigen Wiederholung eines achttaktigen Bass-themas besteht. Fast scheint es, als wollte Brahms beweisen, mit welch rudimentären Mitteln große Wirkungen zu erzielen sind: Das Thema ist von größter Einfachheit, tonleiterartig schreitet es in lapidaren Se-kundschritten voran, nur im fünften und siebten Takt durch chromatische Schärfung verfärbt. Es folgen nun 30 Variationen über das Thema, das zunächst – entgegen dem Prinzip der historischen Passacaglia – in der Oberstimme auftritt, ab der vierten Variation jedoch »regelgemäß« in den Bass verlegt wird. Seine Linie ist vorerst klar nachvollziehbar, wird jedoch im Verlauf der Entwicklung durch die stets komplexer werdende Stimmenstruktur in den Hinter-grund gedrängt. Brahms legt über die

strenge Form der Passacaglia umrissartig die Züge der Sonatensatzform, wodurch die in Variation 16 wieder klar erkennbare Linie des Passacaglia-Themas den Charakter einer »Reprise« bekommt. In monumentaler Steigerung schließt das Werk.

GRABENKÄMPFE, SALONSCHLACHTEN,

VERNICHTUNGSKRITIKEN

Man nahm es Brahms in Wien etwas übel, dass er die Symphonie nicht in seiner Wahl-heimat, sondern in Meiningen zur Urauf-führung brachte, die am 25. Oktober 1885 stattfand. Brahms selbst dirigierte, und in der Folge wurde die Symphonie in zahlrei-chen deutschen Städten vorgestellt, bevor erst am 17. Januar 1886 Wien an die Reihe kam. Hier erzielte die »Vierte« lediglich einen bescheidenen Achtungserfolg, und fast schien es, als hätte Max Kalbeck mit seinen Bedenken Recht gehabt.

Mit größter Schärfe vernichtete Komponis-tenkollege Hugo Wolf im Wiener »Salonblatt« Brahms’ neuestes Opus: Die Tatsache, dass die Symphonie in der für Symphonien unüb-lichen Tonart e-Moll geschrieben sei, müsse als einziges halbwegs »originelles« Element gelten, sonst herrsche hier nichts als »Nichtigkeit, Hohlheit und Duckmäuserei«. Die »Kunst, ohne Einfälle zu komponieren«, habe in Brahms ihren würdigsten Vertreter gefunden. Mehr als 100 Jahre nach Kal-becks Änderungswünschen und Wolfs »Vernichtungskritiken« – die dem Kompo-nisten übrigens großes Vergnügen berei-teten und von ihm mehrfach zitiert wur-den – ist die 4. Symphonie einschließlich ihres Passacaglia-Finales unbestrittener Bestandteil des musikalischen Weltreper-toires.

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KünstlerbiographieKünstlerbiographie

DIRIGENT

Fabio Luisi

Der italienische Dirigent wurde 1959 in Ge-nua geboren und absolvierte nach einem Klavierstudium bei Aldo Ciccolini in Paris seine Dirigierausbildung bei dem kroati-schen Dirigenten Milan Horvat. 1984 wurde Fabio Luisi als Studienleiter und Kapellmeis-ter ans Opernhaus Graz berufen, von 1995 bis 2000 war er Chefdirigent des Nieder-österreichischen Tonkünstler-Orchesters und ab 1996 einer der drei Hauptdirigenten des Orchesters des Mitteldeutschen Rund-funks in Leipzig, dem er von 1999 bis 2009 als alleiniger Künstlerischer Leiter vor-

stand. 1997 war Luisi für die Dauer von fünf Jahren zusätzlich Chefdirigent des Orches-tre de la Suisse Romande in Genf. Seine in-ternationale Karriere, die ihn ans Pult zahl-reicher Orchester Europas, Amerikas und Japans führte, begann Fabio Luisi an der Bayerischen Staatsoper München, der er bis heute verbunden ist. Seit 1988 dirigiert er aber auch an den Berliner Opernhäusern, an der Hamburgischen und an der Wiener Staatsoper sowie an den Opern häusern von Genua, Florenz und Genf. 2005 wurde Fabio Luisi Chefdirigent der Wiener Symphoniker, 2007 trat er die Nachfolge Bernard Haitinks als Generalmusikdirektor der Sächsischen Staatsoper Dresden an. Seit 2012 ist er Generalmusikdirektor am Opernhaus Zürich, seit 2010 außerdem Principal Guest Con-ductor an der Metro politan Opera in New York.

Fabio Luisi ist ständiger Gast der führenden Orchester, Opernhäuser und Festivals in Europa und USA. Am Pult der Münchner Phil-harmoniker stand Luisi erstmals im Dezem-ber 1995. Im April 2014 sprang er kurz-fristig für den erkrankten Lorin Maazel ein und leitete das Orchester bei seinem Gast-konzert in der New Yorker Carnegie Hall.

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Französische Musik bei den Münchner PhilharmonikernFranzösische Musik bei den Münchner Philharmonikern

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Französische Musik bei den Münchner PhilharmonikernFranzösische Musik bei den Münchner Philharmonikern

Französische Musik in den ersten Jahrzehnten der

Orchestergeschichte GABRIELE E. MEYER

Anders als die Musik russischer und weite-rer slawischer Komponisten stand das französische Musikschaffen seltener auf den Programmen der Münchner Philhar-moniker. Einzig Hector Berlioz, meist mit seiner »Symphonie fantastique«, sowie Camille Saint-Saëns und César Franck wur-den vergleichsweise oft aufgeführt. Doch auch Werke von Georges Bizet, Charles Bordes, Emmanuel Chabrier, Gustave Char-pentier, Ernest Chausson, Claude Debussy, Léo Delibes, Paul Dukas, Vincent d’Indy, Désiré-Émile Inghelbrecht, Édouard Lalo, Aimé Maillart, Jules Massenet, Jules Mou-quet, Jacques Offenbach, Maurice Ravel, Ambroise Thomas, Édouard Trémisot und Charles M. Widor wurden gespielt, pro-grammatisch hin und wieder noch erwei-tert und ergänzt um Werke der eng mit der französischen Musiktradition verbundenen Schweizer Komponisten Gustave Doret, Arthur Honegger, Émile Jaques-Dalcroze und Pierre Maurice sowie der Belgier Paul Gilson und Désiré Pâque. Einige Namen sind heute nahezu unbekannt. Andere, allen voran Berlioz, Debussy und Ravel, gehören schon längst zum Standardrepertoire eines jeden Orchesters. – Immerhin wurden in

den ersten Jahrzehnten seit der Orches-tergründung 1893 auch gerne französi-sche Abende durchgeführt. So erklangen, beispielsweise, am 21. November 1904 unter Felix Weingartners Leitung Stücke von d’Indy, Jaques-Dalcroze und Berlioz, dem nur wenige Tage später mit der »Harold-Symphonie« und der »Phantastischen« ein umjubelter Berlioz-Abend unter dem Diri-genten Peter Raabe folgte.

Für die Spielzeit 1928/29 stellte der phil-harmonische Dirigent Friedrich Munter unter dem Motto »fremdländische Aben-de« ebenfalls einen »Französischen Kom-ponisten- Abend« zusammen. Das Konzert wurde mit den Worten angekündigt, dass es aufgrund des großen Umfangs der Mu-sik leider nicht möglich sei, auch die alt-französischen Meister wie Lully, Rameau und Grétry zu berücksichtigen. Munter begann mit Berlioz, dem »französischen Beethoven« und seiner Ouvertüre zu »Le Corsaire«. Am Ende stand ein Beispiel der »allermodernsten französischen Musik«, das 1920 entstandene Orchesterstück »El Greco« von Inghelbrecht, einem Schüler und Freund Debussys.

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Französische Musik bei den Münchner Philharmonikern

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Französische Musik bei den Münchner PhilharmonikernFranzösische Musik bei den Münchner Philharmonikern

Französische Musik in den ersten Jahrzehnten der

Orchestergeschichte GABRIELE E. MEYER

Anders als die Musik russischer und weite-rer slawischer Komponisten stand das französische Musikschaffen seltener auf den Programmen der Münchner Philhar-moniker. Einzig Hector Berlioz, meist mit seiner »Symphonie fantastique«, sowie Camille Saint-Saëns und César Franck wur-den vergleichsweise oft aufgeführt. Doch auch Werke von Georges Bizet, Charles Bordes, Emmanuel Chabrier, Gustave Char-pentier, Ernest Chausson, Claude Debussy, Léo Delibes, Paul Dukas, Vincent d’Indy, Désiré-Émile Inghelbrecht, Édouard Lalo, Aimé Maillart, Jules Massenet, Jules Mou-quet, Jacques Offenbach, Maurice Ravel, Ambroise Thomas, Édouard Trémisot und Charles M. Widor wurden gespielt, pro-grammatisch hin und wieder noch erwei-tert und ergänzt um Werke der eng mit der französischen Musiktradition verbundenen Schweizer Komponisten Gustave Doret, Arthur Honegger, Émile Jaques-Dalcroze und Pierre Maurice sowie der Belgier Paul Gilson und Désiré Pâque. Einige Namen sind heute nahezu unbekannt. Andere, allen voran Berlioz, Debussy und Ravel, gehören schon längst zum Standardrepertoire eines jeden Orchesters. – Immerhin wurden in

den ersten Jahrzehnten seit der Orches-tergründung 1893 auch gerne französi-sche Abende durchgeführt. So erklangen, beispielsweise, am 21. November 1904 unter Felix Weingartners Leitung Stücke von d’Indy, Jaques-Dalcroze und Berlioz, dem nur wenige Tage später mit der »Harold-Symphonie« und der »Phantastischen« ein umjubelter Berlioz-Abend unter dem Diri-genten Peter Raabe folgte.

Für die Spielzeit 1928/29 stellte der phil-harmonische Dirigent Friedrich Munter unter dem Motto »fremdländische Aben-de« ebenfalls einen »Französischen Kom-ponisten- Abend« zusammen. Das Konzert wurde mit den Worten angekündigt, dass es aufgrund des großen Umfangs der Mu-sik leider nicht möglich sei, auch die alt-französischen Meister wie Lully, Rameau und Grétry zu berücksichtigen. Munter begann mit Berlioz, dem »französischen Beethoven« und seiner Ouvertüre zu »Le Corsaire«. Am Ende stand ein Beispiel der »allermodernsten französischen Musik«, das 1920 entstandene Orchesterstück »El Greco« von Inghelbrecht, einem Schüler und Freund Debussys.

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Französische Musik bei den Münchner PhilharmonikernFranzösische Musik bei den Münchner Philharmonikern

Französische Musik in den ersten Jahrzehnten der

Orchestergeschichte GABRIELE E. MEYER

Anders als die Musik russischer und weite-rer slawischer Komponisten stand das französische Musikschaffen seltener auf den Programmen der Münchner Philhar-moniker. Einzig Hector Berlioz, meist mit seiner »Symphonie fantastique«, sowie Camille Saint-Saëns und César Franck wur-den vergleichsweise oft aufgeführt. Doch auch Werke von Georges Bizet, Charles Bordes, Emmanuel Chabrier, Gustave Char-pentier, Ernest Chausson, Claude Debussy, Léo Delibes, Paul Dukas, Vincent d’Indy, Désiré-Émile Inghelbrecht, Édouard Lalo, Aimé Maillart, Jules Massenet, Jules Mou-quet, Jacques Offenbach, Maurice Ravel, Ambroise Thomas, Édouard Trémisot und Charles M. Widor wurden gespielt, pro-grammatisch hin und wieder noch erwei-tert und ergänzt um Werke der eng mit der französischen Musiktradition verbundenen Schweizer Komponisten Gustave Doret, Arthur Honegger, Émile Jaques-Dalcroze und Pierre Maurice sowie der Belgier Paul Gilson und Désiré Pâque. Einige Namen sind heute nahezu unbekannt. Andere, allen voran Berlioz, Debussy und Ravel, gehören schon längst zum Standardrepertoire eines jeden Orchesters. – Immerhin wurden in

den ersten Jahrzehnten seit der Orches-tergründung 1893 auch gerne französi-sche Abende durchgeführt. So erklangen, beispielsweise, am 21. November 1904 unter Felix Weingartners Leitung Stücke von d’Indy, Jaques-Dalcroze und Berlioz, dem nur wenige Tage später mit der »Harold-Symphonie« und der »Phantastischen« ein umjubelter Berlioz-Abend unter dem Diri-genten Peter Raabe folgte.

Für die Spielzeit 1928/29 stellte der phil-harmonische Dirigent Friedrich Munter unter dem Motto »fremdländische Aben-de« ebenfalls einen »Französischen Kom-ponisten- Abend« zusammen. Das Konzert wurde mit den Worten angekündigt, dass es aufgrund des großen Umfangs der Mu-sik leider nicht möglich sei, auch die alt-französischen Meister wie Lully, Rameau und Grétry zu berücksichtigen. Munter begann mit Berlioz, dem »französischen Beethoven« und seiner Ouvertüre zu »Le Corsaire«. Am Ende stand ein Beispiel der »allermodernsten französischen Musik«, das 1920 entstandene Orchesterstück »El Greco« von Inghelbrecht, einem Schüler und Freund Debussys.

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Paris – Moskau: Drei Komponisten auf Freiheitssuche in der Musik

Der Traum in der Flöte des Fauns

PETER JOST

Eugène Damblans: »Vive la France ! Vive la Liberté !« (Titelillustration für die Zeitschrift »La Musique«, 1913)

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Französische Musik bei den Münchner Philharmonikern

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Französische Musik bei den Münchner Philharmonikern

Dessen Musik wiederum war bei den Phil-harmonikern zum wahrscheinlich ersten Mal am 5. Dezember 1903 zu hören: »Herr José Lassalle eröffnete den letzten der drei Modernen Abende, die er mit dem ver-stärkten Kaim-Orchester veranstaltet hat, mit einem Stück des gelegentlich seiner Komposition von Maeterlincks »Pelléas et Mélisande« auch in Deutschland vielge-nannten Claude Debussy. Die Wiedergabe des Vorspiels zum ›Nachmittag eines Faun‹, dem eine Dichtung von Stéphane Mallarmé, dem bekannten Décadent, zu Grunde liegt, ließ […] manches zu wünschen übrig.« Zu Beginn seines Konzertberichts versuchte der möglicherweise durch die anscheinend unzulängliche Wiedergabe irritierte Rezen-sent der »Münchner Neuesten Nachrich-ten« dem Stück noch insofern gerecht zu werden, indem er sich auf Debussys kom-positorische Idee einließ. Doch am Ende seiner Überlegungen bekannte er in einer aberwitzigen Volte, dass das Stück zwar rein musikalisch betrachtet, barer Unsinn sei, aber »trotz alledem etwas hat, was durchaus neu und von einzigartig unbe-schreiblichem Reiz ist«.

Weitere Begegnungen mit dem Werk des großen Klangmagiers folgten, teilweise als Münchner Erstaufführungen. Aufgeführt wurden die »Petite Suite«, in der Orches-terfassung von Henri Büsser, sodann, am 25. Oktober 1912, »Rondes de Printemps«, die Nummer 3 aus den »Images«. Ferner erklangen, 1913, »Danse sacrée et Danse profane« für chromatische Harfe und Streichorchester, ausgeführt von dem be-rühmten italienischen Harfenvirtuosen Lu-igi Magistretti, sowie, noch im Herbst, eine Bearbeitung derselben »Danses« für Kla-vier und Streicher.

Viele Jahre später lernten die Münchner Konzertbesucher in Oswald Kabasta einen Dirigenten kennen, der nach zeitgenössi-schen Berichten zu urteilen, ein vorzügli-cher Sachwalter der Debussy'schen Klang-welt gewesen sein muss. Die Wiedergaben von »La Mer« und »Ibéria« machten offen-kundig, wie sehr sich die Einstellung zu der nur auf den ersten Blick substanzlosen, lediglich auf atmosphärische Farbmischun-gen ausgerichteten Musik geändert hatte. Oscar von Pander von den »Münchner Neu-esten Nachrichten« sah in »Ibéria« »die geistreichste Orchestermusik, die man sich denken kann. […] Die Ausführung unter Kabastas glänzender Leitung zeigte wiede-rum die treffl iche Arbeit unserer Philhar-moniker«, die den ganz ungewöhnlichen Anforderungen des Stücks hinsichtlich Schönheit, Genauigkeit und Durchsichtig-keit beispielhaft gewachsen waren. »Der Beifall war stürmisch und wurde vom Diri-genten mit Recht auch auf das prächtige Orchester bezogen« (MNN, 8. Feb. 1939).

Maurice Ravels 1928 in Paris uraufgeführ-ter »Boléro« erlebte seine Münchner Pre-miere in Zusammenarbeit mit dem einige Jahre zuvor gegründeten Forum für Neue Musik, der »Vereinigung für zeitgenössi-sche Musik«. Auf dem von Adolf Mennerich geleiteten Programm vom 13. März 1931 standen außerdem Paul Hindemiths 3. Vio-linkonzert und Wolfgang von Bartels 1. Symphonie. Während Hindemiths Konzert als Zumutung und Verirrung abgetan wur-de, bezeichnete H. Ruoff (MNN) die Ra-vel'sche Komposition als »eine Marotte des großen Könners, aber eine geistreiche und witzige«. Nach dem abrupten Stillstand des scheinbar unaufhaltsam kreisenden Stücks schallten dem Dirigenten und den

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Französische Musik bei den Münchner Philharmonikern

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Französische Musik bei den Münchner Philharmonikern

auch hier glänzend disponierten Musikern laute Bravorufe entgegen.

Noch zwei weitere Werke Ravels profi tier-ten von der inzwischen erlangten Subtilität im Umgang mit der französischen Klang-welt. Mit der Münchner Erstaufführung der »Rapsodie espagnole« am 28. November 1938 erinnerten die Musiker, wiederum unter Kabastas Leitung, an den im Herbst 1937 gestorbenen Komponisten, »der nach dem Tode Debussys als der repräsentativ-ste der zeitgenössischen Komponisten

Frankreichs gelten durfte«. Etwa zwei Mo-nate später stellte Adolf Mennerich in ei-nem deutsch-französischen Abend noch Ravels »Ma Mère l’Oye« vor. Die Schönhei-ten auch dieser Partitur gerieten nach da-maligen Berichten zu einem »höchst fes-selnden Erlebnis«. – Dann, mit dem Ein-marsch Hitlerdeutschlands in Frankreich im Mai 1940, wurde es rasch still um die französische Musik.

Ravels »Boléro« steht 1931 zum ersten Mal auf dem Programm der Münchner Philharmoniker

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Französische Musik bei den Münchner Philharmonikern

Dessen Musik wiederum war bei den Phil-harmonikern zum wahrscheinlich ersten Mal am 5. Dezember 1903 zu hören: »Herr José Lassalle eröffnete den letzten der drei Modernen Abende, die er mit dem ver-stärkten Kaim-Orchester veranstaltet hat, mit einem Stück des gelegentlich seiner Komposition von Maeterlincks »Pelléas et Mélisande« auch in Deutschland vielge-nannten Claude Debussy. Die Wiedergabe des Vorspiels zum ›Nachmittag eines Faun‹, dem eine Dichtung von Stéphane Mallarmé, dem bekannten Décadent, zu Grunde liegt, ließ […] manches zu wünschen übrig.« Zu Beginn seines Konzertberichts versuchte der möglicherweise durch die anscheinend unzulängliche Wiedergabe irritierte Rezen-sent der »Münchner Neuesten Nachrich-ten« dem Stück noch insofern gerecht zu werden, indem er sich auf Debussys kom-positorische Idee einließ. Doch am Ende seiner Überlegungen bekannte er in einer aberwitzigen Volte, dass das Stück zwar rein musikalisch betrachtet, barer Unsinn sei, aber »trotz alledem etwas hat, was durchaus neu und von einzigartig unbe-schreiblichem Reiz ist«.

Weitere Begegnungen mit dem Werk des großen Klangmagiers folgten, teilweise als Münchner Erstaufführungen. Aufgeführt wurden die »Petite Suite«, in der Orches-terfassung von Henri Büsser, sodann, am 25. Oktober 1912, »Rondes de Printemps«, die Nummer 3 aus den »Images«. Ferner erklangen, 1913, »Danse sacrée et Danse profane« für chromatische Harfe und Streichorchester, ausgeführt von dem be-rühmten italienischen Harfenvirtuosen Lu-igi Magistretti, sowie, noch im Herbst, eine Bearbeitung derselben »Danses« für Kla-vier und Streicher.

Viele Jahre später lernten die Münchner Konzertbesucher in Oswald Kabasta einen Dirigenten kennen, der nach zeitgenössi-schen Berichten zu urteilen, ein vorzügli-cher Sachwalter der Debussy'schen Klang-welt gewesen sein muss. Die Wiedergaben von »La Mer« und »Ibéria« machten offen-kundig, wie sehr sich die Einstellung zu der nur auf den ersten Blick substanzlosen, lediglich auf atmosphärische Farbmischun-gen ausgerichteten Musik geändert hatte. Oscar von Pander von den »Münchner Neu-esten Nachrichten« sah in »Ibéria« »die geistreichste Orchestermusik, die man sich denken kann. […] Die Ausführung unter Kabastas glänzender Leitung zeigte wiede-rum die treffl iche Arbeit unserer Philhar-moniker«, die den ganz ungewöhnlichen Anforderungen des Stücks hinsichtlich Schönheit, Genauigkeit und Durchsichtig-keit beispielhaft gewachsen waren. »Der Beifall war stürmisch und wurde vom Diri-genten mit Recht auch auf das prächtige Orchester bezogen« (MNN, 8. Feb. 1939).

Maurice Ravels 1928 in Paris uraufgeführ-ter »Boléro« erlebte seine Münchner Pre-miere in Zusammenarbeit mit dem einige Jahre zuvor gegründeten Forum für Neue Musik, der »Vereinigung für zeitgenössi-sche Musik«. Auf dem von Adolf Mennerich geleiteten Programm vom 13. März 1931 standen außerdem Paul Hindemiths 3. Vio-linkonzert und Wolfgang von Bartels 1. Symphonie. Während Hindemiths Konzert als Zumutung und Verirrung abgetan wur-de, bezeichnete H. Ruoff (MNN) die Ra-vel'sche Komposition als »eine Marotte des großen Könners, aber eine geistreiche und witzige«. Nach dem abrupten Stillstand des scheinbar unaufhaltsam kreisenden Stücks schallten dem Dirigenten und den

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Susanna SchneiderSusanna Schneider

»Da Schumanns erste Symphonie auch ›Frühlingssymphonie‹ genannt wird und die-ses Werk, wie er es selbst beschrieben hat ›in feuriger Stunde geboren‹ wurde, war für mich eine farbenfrohe Umsetzung unum-gänglich. Die ganze Symphonie hat er in nur vier Tagen zu Papier gebracht, was sich in den vier gewählten Farben, widerspiegelt. Knallig sollte es sein, da es sich für mich so anhört, als wäre diese Werk in einem Art Schaffensrausch entstanden:

›Ich schrieb die Sinfonie, wenn ich sagen darf, in jenem Frühlingsdrang, der den Men-schen wohl bis in das höchste Alter hinreißt und in jedem Jahr von neuem überfällt. Schildern, malen wollte ich nicht; dass aber eben die Zeit, in der die Sinfonie entstand, auf ihre Gestaltung, und dass sie grade so geworden, wie sie ist, eingewirkt hat, glau-be ich wohl.‹ (Robert Schumann)Die Leichtigkeit, die im Stück durch seine spielerischen Variationen zum Ausdruck kommt, zeigt sich in der Transparenz des Materials. Es war die Hochphase seines Le-bens und diese Lebendigkeit wollte ich gra-fisch einfangen. Die Acryl-Stäbe habe ich

zersägt und punktuell erhitzt um diese an-schließend in die Form des vorgegebenen Logos zu biegen.« (Susanne Schneider, 2016)

DIE KÜNSTLERIN

»Mein Name ist Susanna Schneider, ich bin 1991 in München geboren und habe bis vor ein paar Monaten dort gelebt. Ich bin im behüteten Neuhausen/Nymphenburg auf-gewachsen und daran hängt mein Herz – ich werde also eines Tages zurückkommen. Nach meiner Ausbildung zur Kommunikati-onsdesignerin an der Designschule München habe ich mich dazu entschieden weiter zu studieren und meinen Master in London zu machen, um mich als Designerin weiter zu entwickeln. Dieser multikulturelle Ort ist erfrischend, inspirierend und die perfekte Gelegenheit mein Englisch aufzupolieren. Eine Erfahrung, die ich schon nach so kurzer Zeit nicht missen möchte. Trotzdem ist es als Münchner Kindl eine besondere Ehre auch aus der Ferne ein Plakat zu entwerfen, das in meiner Heimatstadt zu sehen sein wird.«

TITELGESTALTUNG ZUM HEUTIGEN KONZERTPROGRAMM

Münchner Klangbilder

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Vorschau

Sonntag12_03_2017 17 Uhr

6. KAMMERKONZERTMünchner Künstlerhaus am Lenbachplatz

»WENN EINER NICHTS ZU SAGEN HAT, HÖRT MAN ES SOFORT«

WOLFGANG AMADEUS MOZARTQuintett für Klavier, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott Es-Dur KV 452KRZYSZTOF PENDERECKI Sextett für Klarinette, Horn, Streichtrio und KlavierLUDWIG VAN BEETHOVENQuintett für Oboe, Klarinette, Fagott, Horn und Klavier Es-Dur op. 16 ULRICH BECKER, OboeALEXANDRA GRUBER, KlarinetteHOLGER SCHINKÖTHE, FagottJÖRG BRÜCKNER, HornIASON KERAMIDIS, ViolineJANO LISBOA, ViolaSVEN FAULIAN, VioloncelloCORA BRÜCKNER-IRSEN, Klavier

Mittwoch 15_03_2017 20 Uhr h4 Freitag 17_03_2017 20 Uhr c

CHARLES IVES»The Unanswered Question«GEORGE BENJAMIN»Dream of the Song« für Countertenor, Frauenchor und kleines OrchesterLEONARD BERNSTEINSymphonie Nr. 2 für Klavier und Orchester »The Age of Anxiety«

KENT NAGANO, DirigentANDREW WATTS, CountertenorGILLES VONSATTEL, KlavierFRAUENCHOR DES PHILHARMONISCHEN CHORES MÜNCHEN, Einstudierung: Andreas Herrmann

Mittwoch22_03_2017 20 Uhr k4Donnerstag23_03_2017 20 Uhr b

CLAUDE DEBUSSY»Prélude à ›L'Après-midi d’un Faune‹«FRANZ SCHUBERTSymphonie Nr. 4 c-Moll D 417 »Tragische«GUSTAV MAHLERSymphonie Nr. 4 G-Dur VALERY GERGIEV, DirigentGENIA KÜHMEIER, Sopran

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Das OrchesterDas Orchester

1. VIOLINENSreten Krstič, KonzertmeisterLorenz Nasturica-Herschcowici, KonzertmeisterJulian Shevlin, KonzertmeisterOdette Couch, stv. KonzertmeisterinClaudia SutilPhilip MiddlemanNenad DaleorePeter BecherRegina MatthesWolfram LohschützMartin ManzCéline VaudéYusi ChenIason KeramidisFlorentine LenzVladimir TolpygoGeorg Pfirsch

2. VIOLINENSimon Fordham, StimmführerAlexander Möck, StimmführerIIona Cudek, stv. StimmführerinMatthias Löhlein, VorspielerKatharina ReichstallerNils SchadClara Bergius-BühlEsther MerzKatharina SchmitzAna Vladanovic-Lebedinski

Die MünchnerPhilharmoniker

Bernhard MetzNamiko FuseQi ZhouClément CourtinTraudel ReichAsami Yamada

BRATSCHENJano Lisboa, SoloBurkhard Sigl, stv. SoloMax SpengerHerbert StoiberWolfgang StinglGunter PretzelWolfgang BergBeate SpringorumKonstantin SellheimJulio LópezValentin Eichler

VIOLONCELLIMichael Hell, KonzertmeisterFloris Mijnders, SoloStephan Haack, stv. SoloThomas Ruge, stv. SoloHerbert HeimVeit Wenk-WolffSissy SchmidhuberElke Funk-HoeverManuel von der NahmerIsolde Hayer

CHEFDIRIGENT VALERY GERGIEVEHRENDIRIGENT ZUBIN MEHTA

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Das Orchester

Sven FaulianDavid HausdorfJoachim Wohlgemuth

KONTRABÄSSESławomir Grenda, SoloFora Baltacigil, SoloAlexander Preuß, stv. SoloHolger HerrmannStepan KratochvilShengni GuoEmilio Yepes Martinez Ulrich von Neumann-Cosel

FLÖTENMichael Martin Kofler, SoloHerman van Kogelenberg, SoloBurkhard Jäckle, stv. SoloMartin BeličGabriele Krötz, Piccoloflöte

OBOENUlrich Becker, SoloMarie-Luise Modersohn, SoloLisa OutredBernhard BerwangerKai Rapsch, Englischhorn

KLARINETTENAlexandra Gruber, SoloLászló Kuti, SoloAnnette Maucher, stv. SoloMatthias AmbrosiusAlbert Osterhammer, Bassklarinette

FAGOTTERaffaele Giannotti, SoloJürgen PoppJohannes HofbauerJörg Urbach, Kontrafagott

HÖRNERJörg Brückner, SoloMatias Piñeira, Solo

Ulrich Haider, stv. SoloMaria Teiwes, stv. SoloRobert RossAlois SchlemerHubert PilstlMia Aselmeyer

TROMPETENGuido Segers, SoloBernhard Peschl, stv. SoloFranz UnterrainerMarkus RainerFlorian Klingler

POSAUNENDany Bonvin, SoloMatthias Fischer, stv. SoloQuirin Willert Benjamin Appel, Bassposaune

TUBARicardo Carvalhoso

PAUKENStefan Gagelmann, SoloGuido Rückel, Solo

SCHLAGZEUGSebastian Förschl, 1. SchlagzeugerJörg HannabachMichael Leopold

HARFETeresa Zimmermann, Solo

ORCHESTERVORSTANDStephan HaackMatthias AmbrosiusKonstantin Sellheim

INTENDANTPaul Müller

Das Orchester

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Impressum

IMPRESSUM

Herausgeber:Direktion der MünchnerPhilharmonikerPaul Müller, IntendantKellerstraße 481667 MünchenLektorat: Christine MöllerCorporate Design:HEYE GmbHMünchenGraphik: dm druckmedien gmbhMünchenDruck: Gebr. Geiselberger GmbHMartin-Moser-Straße 23 84503 Altötting

TEXTNACHWEISE

Wolfgang Stähr, Thomas Leibnitz und Gabriele E. Meyer schrieben ihre Texte als Originalbeiträge für die P rogrammhefte der Münchner Philharmoniker. Künstlerbiographie: nach Agenturvorlage. Alle Rech-te bei den Autorinnen und Autoren; jeder Nachdruck ist seitens der Urheber ge-nehmigungs- und kosten-pflichtig.

BILDNACHWEISE

Abbildungen zu Robert Schumann: Ernst Burger (Mitarbeit: Gerd Nauhaus), Robert Schumann – Eine Lebenschronik in Bildern und Dokumenten, Mainz 1998; wikimedia commons.Abbildungen zu Johannes Brahms: Christian Martin Schmidt, Johannes Brahms und seine Zeit, Laaber 1998; Christiane Jacobsen (Hrsg.), Johannes Brahms – Leben und Werk, Wies-baden / Hamburg 1983; Franz Grasberger, Johan-nes Brahms – Variationen um sein Wesen, Wien 1952. Programmzettel 1931 (»Boléro«): Privat. Künst-lerphotographie: Barbara Luisi (Luisi).

Gedruckt auf holzfreiem und FSC-Mix zertifiziertem Papier der Sorte LuxoArt Samt

Page 31: SCHUMANN - Die Münchner Philharmoniker · Natürlich verhielt sich Schumann nicht nur streng gegen andere, sondern auch »miß-trauisch« gegen sein eigenes symphoni-sches Talent.

HAUPTSPONSOR

UNTERSTÜTZT

VA L E RY G E RG I E V Y U JA WA N G

MÜNCHNER PHILHARMONIKER

BRAHMS: KONZERT FÜR KLAVIER UND ORCHESTER NR.1 D-MOLL OP.15

MUSSORGSKIJ: „BILDER EINER AUSSTELLUNG” (INSTRUMENTIERUNG: MAURICE RAVEL)

D I R I G E N T

K L AV I E R

OPEN AIR KONZERTE

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MÜNCHEN TICKET 089/54 81 81 81 UND BEKANNTE VVK-STELLEN

SONNTAG, 16. JULI 2017, 20.00 UHR

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DAS ORCHESTER DER STADT

’16’17