Schulversuchsflyer Sprache2 4 - kompetenz … · Fachwortschatz Intensive Deutsch- ......

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Schulversuch KommMIT Stärkung der sprachlichen Integration – Praxis Dr. Katrin Vogt Herausgeber: Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung Schellingstraße 155, 80797 München Tel.: 089 2170-2101, Fax: 089 2170-2105 www.isb.bayern.de Seite 1 Alltagssprache und Bildungssprache Besonderheiten der Bildungssprache Beispiel Grundlegende Kommunikationsfertigkeiten (Basic Interpersonal Com- municative Skills = BICS) für den alltäglichen Gebrauch werden vor allem in der Grundschule gefördert. Die Kinder lernen zu schreiben und zu lesen, sie üben sich darin zuzuhören und auf die Äußerungen anderer einzugehen. Mit zunehmendem Alter werden in der Schule auch die für den Bildungserfolg bedeutsamen, kognitiv schulbezogenen Sprachfähigkeiten (Cognitive- Academic Language Proficiency = CALP) verlangt. Die Kinder und Jugendli- chen müssen in der Lage sein, eine Geschichte zusammenzufassen, einen Bericht zu verfassen, einen Vortrag vorzubereiten oder einen Aufsatz zu- sammenhängend und nachvollziehbar zu strukturieren. Sie müssen ebenso lernen, einen komplexen Sachtext zu verstehen und den Sacherklärungen der Lehrkraft zu folgen. Diese Fähigkeiten sind sprachunabhängig und müs- sen – egal in welcher Sprache – nur einmal erworben werden. Entscheidend für die Sprachförderung und die Ausbildung der CALP ist also, welche Sprachkompetenz in der Muttersprache bereits erreicht wurde (vgl. Cum- mins, 1979; Neugebauer & Nodari, 1999). Bei der Auseinandersetzung mit der bildungsbedeutsamen, schulbezogenen Fachsprache werden Kinder und Jugendliche mit Besonderheiten bezüg- lich Begrifflichkeiten und Satzbau konfrontiert, die so in der Alltagsspra- che kaum oder nie vorkommen. So werden häufig Fachbegriffe, fachspezifi- sche Abkürzungen (siehe a) und Komposita (b) verwendet. Außerdem wer- den viele Verben mit Vorsilben (c) und substantivierte Infinitive gebraucht. Auf Seiten des Satzbaus zeigt sich in Sachtexten, dass vermehrt verkürzte Nebensatzkonstruktionen (d), unpersönliche Ausdrucksweisen (e), passive Satzformen, komplexe Attribute (f) und Nominalisierungen (g) bzw. erweiter- te Nominalphrasen zum Einsatz kommen, die den Sachtext inhaltlich oft so verdichten, dass dieser unverständlich wird (vgl. Leisen, 2011a). Ebenso dehnen sich inhaltliche Bezüge oft über weite Textteile aus. Ein Beispiel zeigt einige dieser Phänomene: Stärkung der sprachl. Integration

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Schulversuch KommMIT

Stärkung der sprachlichen Integration – Praxis Dr. Katrin Vogt

Herausgeber:

Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung

Schellingstraße 155, 80797 München Tel.: 089 2170-2101, Fax: 089 2170-2105

www.isb.bayern.de

Seite 1

Alltagssprache und Bildungssprache

Besonderheiten der

Bildungssprache

Beispiel

Grundlegende Kommunikationsfertigkeiten (Basic Interpersonal Com-municative Skills = BICS) für den alltäglichen Gebrauch werden vor allem in der Grundschule gefördert. Die Kinder lernen zu schreiben und zu lesen, sie üben sich darin zuzuhören und auf die Äußerungen anderer einzugehen. Mit zunehmendem Alter werden in der Schule auch die für den Bildungserfolg bedeutsamen, kognitiv schulbezogenen Sprachfähigkeiten (Cognitive-Academic Language Proficiency = CALP) verlangt. Die Kinder und Jugendli-chen müssen in der Lage sein, eine Geschichte zusammenzufassen, einen Bericht zu verfassen, einen Vortrag vorzubereiten oder einen Aufsatz zu-sammenhängend und nachvollziehbar zu strukturieren. Sie müssen ebenso lernen, einen komplexen Sachtext zu verstehen und den Sacherklärungen der Lehrkraft zu folgen. Diese Fähigkeiten sind sprachunabhängig und müs-sen – egal in welcher Sprache – nur einmal erworben werden. Entscheidend für die Sprachförderung und die Ausbildung der CALP ist also, welche Sprachkompetenz in der Muttersprache bereits erreicht wurde (vgl. Cum-mins, 1979; Neugebauer & Nodari, 1999).

Bei der Auseinandersetzung mit der bildungsbedeutsamen, schulbezogenen Fachsprache werden Kinder und Jugendliche mit Besonderheiten bezüg-lich Begrifflichkeiten und Satzbau konfrontiert, die so in der Alltagsspra-che kaum oder nie vorkommen. So werden häufig Fachbegriffe, fachspezifi-sche Abkürzungen (siehe a) und Komposita (b) verwendet. Außerdem wer-den viele Verben mit Vorsilben (c) und substantivierte Infinitive gebraucht. Auf Seiten des Satzbaus zeigt sich in Sachtexten, dass vermehrt verkürzte Nebensatzkonstruktionen (d), unpersönliche Ausdrucksweisen (e), passive Satzformen, komplexe Attribute (f) und Nominalisierungen (g) bzw. erweiter-te Nominalphrasen zum Einsatz kommen, die den Sachtext inhaltlich oft so verdichten, dass dieser unverständlich wird (vgl. Leisen, 2011a). Ebenso dehnen sich inhaltliche Bezüge oft über weite Textteile aus.

Ein Beispiel zeigt einige dieser Phänomene:

„Zum Aufbau (g) von Biomasse wird neben Kohlenstoffdioxid und Wasser auch Energie gebraucht (e). Als Energiequelle nutzen die Pflanzen die Sonne, die ständig riesige Energiemengen in den Weltraum abstrahlt (c). Davon gelangen nur winzige Bruchteile auf die Erde. Durchdringen extrem kurzwellige und langwellige (f) Strahlungsanteile die Atmosphäre (d), werden sie absorbiert oder reflektiert. Des-halb trifft vorwiegend Strahlung mit Wellenlängen (b) zwischen 280 und 3000nm (a) auf die Erdoberfläche.“

Stärkung der sprachl. Integration

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Sprachsensibler Unterricht

Lernkartei zum Fachwortschatz

Intensive Deutsch-förderung im Fach Geographie

Die bildungsbedeutsame Fachsprache ist in besonderer Weise in der Se-kundarstufe zu fördern und zwar als Aufgabe aller Fächer, damit aus ei-nem Mangel an Sprachkompetenz nicht ein Mangel an spezifischer Fach-kompetenz erwachsen kann. Daher müssen oben dargestellte Sprachhürden vermieden werden. Die Unterrichtssprache sollte sich am Sprachstand der Lerner orientieren und nicht an der Sprache des Fachs. Fachsprachliche Strukturen müssen geschult werden. Beim Lesen von Texten sollten Hilfen gegeben und das Textverstehen geübt werden (für eine detaillierte Darstel-lung des sprachsensiblen Unterrichts vgl. Leisen, 2011b). Im Folgenden werden ausgewählte Schulprojekte zur Sprachförderung aus dem Schul-versuch KommMIT vorgestellt.

In der Mittelschule Zeil-Sand wurden im Rahmen des DaZ-Unterrichts pro Jahrgangsstufe ein bis zwei Unterrichtsstunden parallel zum Regelunterricht angeboten, um Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund eine Erweiterung ihres Fachwortschatzes in den Sachfächern (PCB, GSE, AWT) und eine Förderung des Leseverständnisses von Sachtexten und Definitio-nen zu ermöglichen. Hierzu wurden die jeweils aktuellen Themen aus den Sachfächern diskutiert und Verständnisschwierigkeiten aufgearbeitet. Es wurden Lernkästen mit Lernkarteikarten erstellt, die auf der Vorderseite die jeweiligen Fachbegriffe und Definitionen zeigen, welche auf der Rückseite mit eigenen Worten oder Bildern erklärt werden. Die Schülerinnen und Schü-ler recherchierten dazu in vielfältiger Weise selbst (z. B. Internet, Lexika), was die Vertiefung des Unterrichtsstoffes unterstützte.

Die ausnahmslos positiven Erfahrungen in diesem Pro-jekt zeigen, dass die Zu-sammenarbeit zwischen DaZ-Lehrkraft und Klassen-lehrer bei der Erstellung sol-cher Lernkästen sehr eng sein muss. Schülerinnen und Schüler, die die Lernkarten erstellt hatten, zeigten in der Regel deutlich bessere Leis-

tungen in den Probearbeiten. Außerdem wurden die Lernkästen auch gerne von Schülerinnen und Schülern ohne Migrationshintergrund verwendet.

Am Hardenberg-Gymnasium in Fürth wurde eine intensive Sprachförderung im Leitfach Geographie in einer Kleingruppe von maximal 10 Schülerinnen und Schülern aus Zuwandererfamilien umgesetzt. Hierzu fanden Förder-stunden mit verbindlicher Anmeldung für das gesamte Schuljahr statt. Geo-

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Doppeldeutigkeit von Wörtern in

Wortwitzen

graphische Inhalte erwiesen sich wegen ihres hohen Motivationspotentials und der Möglichkeit zur Verbesserung der interkulturellen Kompetenz der Schülerinnen und Schüler als besonders geeignet, die Notwendigkeit einer korrekten Anwendung der Bildungssprache zu erschließen. Ziel war die Er-weiterung des allgemeinen und geographischen Wortschatzes, die Verbes-serung der grammatikalischen Fähigkeiten, der mündlichen Ausdrucksfähig-keiten sowie der Lesekompetenz. Hierzu wurden z. B. Wortschatzhefte ge-führt und Lesestrategien geübt. Zur Motivation der Lerner fanden Exkursio-nen und Unterrichtsgänge statt und es wurden Produkte und Ergebnisse, wie beispielsweise angefertigte Karten, Collagen, Fotos oder literarische Texte zum Thema, im Schulhaus ausgestellt.

Die Arbeit in einer Kleingruppe ermöglichte ein intensives und vertrauensvol-les Lernen, so dass fast alle Schülerinnen und Schüler ihre Noten in den Fächern Deutsch und Geographie verbessern konnten und sich selbst auch sicherer im mündlichen und schriftlichen Ausdruck fühlten. Durch die Ex-kursionen und eine sinnvolle Verortung des Förderunterrichts im Stunden-plan (keine Randstunden!) konnte eine hohe Motivation und Mitarbeit erzielt werden.

Neben diesen zwei Beispielen aus dem Sekundarbereich sei auch auf ein Projekt der Ludwig-Steub-Volksschule (Grundschule) in Aichach verwiesen, welche im Rahmen einer modularen Sprachförderung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund in den Jahrgangsstufen 3 und 4 ei-nen interessanten Ansatz bietet. Die Schülerinnen und Schüler sollen mit Hilfe der Textsorte Witze die Doppeldeutigkeit von Wörtern erschließen. Hierzu wurden zunächst Witze recherchiert und erzählt, in einem zweiten Schritt wurden zerschnittene und durcheinander geratene Witze neu zu-sammengesetzt und letztlich eigene Witze geschrieben.

Die Schülerinnen und Schüler zeigten hohes Interesse und Aufmerksamkeit und arbeiteten meist sehr konzentriert. Das Schreiben der Witze bereitete ihnen viel Spaß. Durch das Spiel mit Doppeldeutigkeiten wird die Sprach-kompetenz verfestigt und auf die CALP vorbereitet. Eine große Herausforde-rung stellte die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler dar.

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Hinweise Neben den drei hier exemplarisch näher ausgeführten Projekten wurden im Schulversuch weitere ebenfalls sehr innovative und interessante Ansätze zur Sprachförderung umgesetzt. Beschreibungen dazu sind im ISB-Internet-Portal unter www.kompetenz-interkulturell.de verfügbar.

Daneben wurde im Rahmen des Schulversuchs ein Instrument zur Sprach-standsmessung Deutsch bei Schülerinnen und Schülern mit Migrationshin-tergrund (Sekundarstufe I) entwickelt. Es umfasst die Bereiche Rechtschrei-bung, Grammatik, Artikel- und Pluralbildung, Verbbeugung und Sprachprag-matik. Der Test liegt in zwei parallelen Versionen vor und ermöglicht somit die Diagnose zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten ohne Lerneffekt. Ziel ist es, sowohl für den Gesamttest als auch für seine Testteile Normwerte aus-zuweisen. Die Normierung ist derzeit noch nicht abgeschlossen. Zudem ist an die Ausweitung des Tests um weitere Aspekte der Sprachanwendung und des Leseverstehens gedacht. Der normierte Test kann dann von allen inte-ressierten Schulen genutzt werden.

Literatur Cummins, J. (1979). Linguistic interdependence and the educational development of bilin-gual children. Review of Educational Research 49, 222-251.

Leisen, J. (2011a). Der sprachsensible Fachunterricht. Betrifft: Lehrerbildung und Schule, 8, 6-15.

Leisen, J. (2011b). Handbuch Sprachförderung im Fach. Sprachsensibler Unterricht in der Praxis. Bonn: Varus Verlag.

Neugebauer, C., Nodari, C. (1999). Aspekte der Sprachförderung. In: M. Gyger, B. He-ckendorn-Heiniman (Hrsg.): Erfolgreich integriert? Fremd- und mehrsprachige Kinder und Jugendliche in der Schweiz (S. 161 – 175). Bernischer Lehrmittel- und Medienverlag.

Ansprechpartner

Stand 09/11

Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) Schellingstr. 155 80797 München Fax: 089/2170-2205 Projektleitung: Arnulf Zöller: [email protected], Tel.: 089/2170-2210 Pädagogische Betreuung: Dr. Ursula Weier: [email protected], Tel.: 089/2170-2295

Wissenschaftliche Begleitung: Dr. Katrin Vogt: [email protected], Tel.: 089/2170-2241 Barbara Klöver: [email protected], Tel.: 089/2170-2228

Schulartübergreifender Projektbeirat (ISB): Dr. Vassilia Triarchi-Herrmann (GHF), Gudrun Pfab (RS), Josef Koller (Gym), Thomas Hochleitner (BES)