Schmidt, Ingo – Rosa Luxemburgs Die Akkumulation Des Kapitals

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Rosa Luxemburgs »Akkumulation des Kapitals« Die Aktualität von ökonomischer Theorie, Im erialismuser k lärun und Klassenanal se Herausgegeben von Ingo Schmidt      V       S  V

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Rosa Luxemburgs»Akkumulation des Kapitals«

Die Aktualität von ökonomischer Theorie,Im erialismuserklärun und Klassenanal se

Herausgegeben von Ingo Schmidt

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Ingo Schmidt (Hrsg.)Rosa Luxemburgs »Akkumulation des Kapitals«

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Ingo Schmidt (Hrsg.)

Rosa Luxemburgs »Akkumulation des Kapitals«Die Aktualität von ökonomischer Theorie,

Imperialismuserklärung und Klassenanalyse

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Die Beiträge von Riccardo Bellofiore, Michael Löwy und Paul LeBlanc wur-den aus dem Englischen von Christian Frings, der Beitrag von Marcel van der

Linden wurde aus dem Niederländischen von Klaus Mellenthin übersetzt.

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Inhalt

Ingo SchmidtEinleitung  .................................................................................................. 7

Ingo SchmidtGeschichte und politische Ökonomie  ..................................................... 13

Riccardo BellofioreRosa Luxemburg – Kritik der politischen Ökonomieund die politische Perspektive  ................................................................ 37

Michael LöwyWestlicher Imperialismus gegen Urkommunismus  ................................ 53Eine neue Lesart von Rosa Luxemburgs ökonomischen Schriften

Paul LeBlancImperialismus und Militarismus .............................................................. 63Rosa Luxemburg und die globale Gewalt des Kapitalismus

Klaus DörreLandnahme und die Grenzen sozialer Reproduktion  ............................... 82Zur gesellschaftstheoretischen Bedeutung Rosa Luxemburgs

Marcel van der LindenRosa Luxemburgs weltgesellschaftliche Klassenanalyse  .................... 117

Ingo SchmidtGeschichte und Sozialismus  ................................................................. 138

Die Autoren  ........................................................................................... 166

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Ingo Schmidt

Einleitung

Vor 100 Jahren wurde Rosa Luxemburgs Akkumulation des Kapitals ( AK )erstmals veröffentlicht.1 Im ersten Teil der  AK  entwickelt Luxemburg eintheoretisches Modell, welches die Abhängigkeit des Akkumulationspro-zesses von der kapitalistischen Durchdringung nicht-kapitalistischer Milie-us erklärt. Im zweiten Teil schildert sie die theoretischen und strategischenDebatten, mit denen Ökonomen vom frühen 19. bis zum Anfang des 20.Jahrhunderts auf wiederkehrende Wirtschaftskrisen, langfristige Entwick-lungsblockaden sowie die Entstehung der Arbeiterbewegung reagiert ha-ben. Im letzten Teil verallgemeinert sie die vorangehenden Analysen zurDialektik von kapitalistischer Expansion und Reproduktion zu einem Mo-dell kapitalistischer Entwicklung, bei der die Akkumulation des industriel-len Kapitals in den Zentren entscheidend von kolonialen Eroberungen inanderen Teilen der Welt abhing. Diese von äußerer Kolonialisierung abhän-gige Form der Kapitalakkumulation musste in der Aufteilung der Welt unter

einer Handvoll Kolonialmächten ihre Grenze finden. Damit, so schlussfol-gerte Luxemburg, käme es zu wirtschaftlicher Stagnation und verschärfterKonkurrenz und in deren Folge zu einer Verschärfung internationaler Kon-flikte und Klassenkämpfe. Diese Diagnose sollte sich alsbald bewahrhei-ten. Nur ein Jahr nach Erscheinen der  AK  brach der Erste Weltkrieg aus.Luxemburgs Hoffnung, ein Krieg könne durch Aktionen der internationa-len Arbeiterbewegung verhindert werden, erfüllte sich allerdings nicht. Viel-mehr führte der Ausbruch des Krieges zu einem vorläufigen Ende einer seit

der Jahrhundertwende ansteigenden Streikwelle. Indes nahm die Streikak-tivität bereits während des Krieges wieder zu und steigerte sich schließlichbis zu revolutionären Aufständen in Russland, Deutschland und Österreich-Ungarn. Die Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren, eine damit verbun-dene neue Welle offener Klassenkämpfe und schließlich der Zweite Welt-krieg bestätigten Luxemburgs düstere Prognosen über die Zukunft des Ka-pitalismus ein ums andere Mal.

Allerdings entstanden im Ersten Weltkrieg auch die Grundlagen für die

soziale Integration der Arbeiterbewegung. Die Zusammenarbeit von Staat,Unternehmen und Gewerkschaftsführungen in den Kriegswirtschaften des

1 Rosa Luxemburg: Die Akkumulation des Kapitals. Ein Beitrag zur ökonomischenErklärung des Imperialismus. Buchhandlung Vorwärts Paul Singer, Berlin 1913.

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Ersten Weltkriegs schuf die politischen Formen, in denen sich der Sozial-staatskapitalismus während des langen Aufschwungs nach dem Zweiten

Weltkrieg entwickeln sollte. Luxemburg hatte den Kampf um soziale Re-formen als Lernprozess verstanden, der die Arbeiterbewegung zur revolu-tionären Überwindung des Kapitalismus befähigen sollte, sobald dieser dieGrenzen der Kapitalakkumulation erreicht haben würde. Die historisch ein-malige Wachstumsperiode, die Sozialstaat und Reformismus nach dem Zwei-ten Weltkrieg eine wirtschaftliche Grundlage verschaffte, ließ sich aus einerAnalyse, die kapitalistische Durchdringung nicht-kapitalistischer Milieus mitäußerer Kolonialisierung gleichsetzte, nicht verstehen. Damit stellte sich dieFrage Sozialreform oder Revolution in ganz neuer Weise. Angesichts derNachkriegsprosperität stellte der Kampf um erstere nicht mehr die Vorbe-reitung des revolutionären Endkampfes dar, sondern trieb den Ausbau realexistierender Sozialstaaten voran. Die Revolution war damit aber keineswegstot. Nur trat an die Stelle der proletarischen Revolutionen in den kapitalisti-schen Zentren, von deren Notwendigkeit Luxemburg ebenso überzeugt warwie Lenin und Trotzki oder Marx und Engels, die antikoloniale Revolutionin den kapitalistischen Peripherien. Dabei bildeten sich Entwicklungsstaa-ten heraus, deren Industrialisierungsprojekte von keynesianischer Nachfra-

gesteuerung im Westen ebenso inspiriert waren wie von sowjetkommunisti-schen Planmethoden. Mit Sozial- und Entwicklungsstaaten im Westen bzw.Süden sowie der Ausbreitung des Sowjetkommunismus nach dem ZweitenWeltkrieg und der chinesischen Revolution bildeten sich drei Welten desStaatsinterventionismus heraus, die mit der imperialistischen Konkurrenzund dem Wirtschaftsliberalismus, den Luxemburg bei ihren Analysen vorAugen hatte, nicht mehr viel gemein hatten. Gleichwohl können ihre Ana-lysen einiges zum Verständnis des Staatsinterventionismus sowie des dar-

auf folgenden neoliberalen Kapitalismus beitragen.So lässt sich mit ihrer Kolonialisierungstheorie zeigen, dass die Nach-

kriegsprosperität weniger, wie keynesianische Analysen nahelegen, durch Kon- junkturpolitik und den Verteilungskompromiss zwischen Arbeit und Kapitalermöglicht wurde, sondern ebenso wie die Akkumulation im 19. Jahrhundertvon der Expansion in nicht-kapitalistische Milieus vorangetrieben wurde. Nurzielte diese Expansion nicht so sehr auf die Eroberung fremder Territorien,sondern vornehmlich auf die Kolonialisierung der Lebenswelten in den ka-

pitalistischen Zentren. Zudem schuf die beginnende Industrialisierung in denehemaligen Kolonien Märkte für Industrien in den kapitalistischen Zentren inähnlicher Weise, wie die Spätindustrialisierer, namentlich Deutschland, Ame-rika und Russland, im 19. Jahrhundert den Absatz des ErstindustrialisierersEngland gefördert hatten. Mochten sich postkoloniale Regimes auch staatli-

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9Einleitung

cher Planungsmethoden bedienen, die den Marxisten des 19. Jahrhunderts un-vorstellbar erschienen wären und den (Neo-)Liberalen des 20. Jahrhunderts

ein Grauen waren, führten diese Methoden doch nur in den wenigsten Fällenauf einen nicht-kapitalistischen Entwicklungsweg, sondern dienten, mitunterentgegen den Absichten der Entwicklungsplaner, der kapitalistischen Durch-dringung der nunmehr unabhängigen Staaten, deren Hinterland unter koloni-aler Herrschaft weitgehend nicht-kapitalistisch geblieben war.

Gleichzeitig hatten Sozial- und Entwicklungsstaaten zur Herausbildung vonöffentlichen Wirtschaftssektoren geführt, die privater Kapitalanlage zunächstnicht zugänglich waren, deren Finanzierung aber von der Akkumulation desKapitals abhing. Nachlassendes Wachstum in den 1970er Jahren löste Fiskal-und Schuldenkrisen aus, die den Anlass zu einer Ausweitung des kapitalisti-schen Akkumulationsfeldes durch fortschreitende Privatisierungen boten. DerZusammenbruch der Sowjetunion und die kapitalistische Wende in China führ-ten dann in den 1990er Jahren zu einer Verbindung mit dieser für den Neoli-beralismus so typischen Akkumulation durch Enteignung und territorialer Ex-pansion. Die Wachstumsraten, die unter staatsinterventionistischen Regimesin der Nachkriegszeit erzielt worden waren, konnten trotz dieser unerwartetenÖffnung neuer Märkte im Osten nicht wieder erreicht werden. Entsprechende

Hoffnungen, die von Finanzanlegern in den späten 1990er Jahren bezüglicheiner vermeintlichen New Economy geschürt wurden, erwiesen sich schonnach dem Börsenkrach 2001 als falsch. Danach schleppte sich der Weltkapi-talismus bis zur Großen Rezession 2008/9 weiter und ist seither in einer Sta-gnationsphase gefangen, die weder mit kurzfristigen Injektionen staatlicherNachfrage noch weiteren Privatisierungen zu überwinden ist. Mit dem Über-gang zur Stagnation stellte sich auch der von Luxemburg so eindringlich ge-schilderte Zusammenhang zwischen Grenzen der Kapitalakkumulation und

Krieg wieder her. Zu Beginn der 1900er Jahre schwächte sich der lange Auf-schwung ab, der in den 1890er Jahren begonnen hatte. Versuche der Unterneh-mer, ihre Profite durch verstärkte Ausbeutung zu sichern, trafen auf entschie-denen Widerstand der Arbeiterbewegung, die in den vorangegangenen Jahrendes Aufschwungs enorm angewachsen war. Aus dieser Perspektive kann derErste Weltkrieg, ohne seine imperialistischen Ziele in Abrede oder relativie-ren zu wollen, auch als eine Maßnahme zur Schwächung der Arbeiterbewe-gung verstanden werden. Ähnliches lässt sich über den 2003 erklärten Krieg

gegen den Terror sagen, welcher die globalisierungskritische Bewegung, diewährend des New Economy-Aufschwungs in den 1990er Jahren entstandenwar, weitgehend zum Verstummen brachte.

Die ökonomische Entwicklung des Kapitalismus seit Erscheinen der AK  lässt sich unter Rückgriff auf die Analysen, die Luxemburg in diesem Werk

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entwickelt hat, genauer verstehen. Die meisten ökonomischen Analysen desKapitalismus schließen nicht-kapitalistische Milieus aus ihrer Betrachtung

aus, obwohl soziologische Analysen, insbesondere im Anschluss an KarlPolanyi und Jürgen Habermas, immer wieder darauf hingewiesen haben,dass kapitalistische Gesellschaften zur Mobilisierung des für ihren Bestandnotwendigen Zusammenhalts auf die moralischen Ressourcen nicht-kapita-listischer Milieus zurückgreifen müssen. Kritiker des Neoliberalismus ha-ben dieses Argument auf den Bereich der Ökonomie ausgedehnt und immerwieder darauf hingewiesen, dass dessen Ziel einer vollständigen Kommo-difizierung der Gesellschaft eine Utopie darstelle und dass Schritte in dieseRichtung zu Krisen statt Wirtschaftswachstum führen würden. Die globa-lisierungskritische Bewegung übersetzte dieses Argument in den griffigenSlogan »Unsere Welt ist keine Ware«.

Trotz dieser offensichtlichen Nähe zu Rosa Luxemburgs Werk, in dem Ko-lonialisierung und Kommodifizierung systematisch untersucht wurden, griffenAnalytiker des Neoliberalismus und Aktivisten der globalisierungskritischenBewegung selten auf die AK  oder andere Schriften Luxemburgs zurück. Hierwirkte die Ablehnung ihrer ökonomischen Theorie durch ihre marxistischenZeitgenossen nach. Diese hatten Luxemburgs Fokus auf nicht-kapitalistische

Milieus als unmarxistisch zurückgewiesen. Sie waren, und in diesem Punktwaren sich Sozialdemokraten und Bolschewisten ausnahmsweise einmal ei-nig, ohnehin nicht allzu begeistert von den Ideen der Genossin Luxemburg.Schlimmer noch als ihre Behauptung, Marx’ Kapital enthalte Fehler, die inder AK  überwunden würden, war ihre Kritik an Partei- und Gewerkschaftsbü-rokratie und das damit verbundene Beharren auf der Fähigkeit der Arbeiter-klasse, sich ohne Bevormundung durch aufgeklärte Avantgarden zu befreien.Erst die Neue Linke in ihrem Kampf gegen die »total verwaltete Welt« griff

Luxemburgs Bürokratiekritik auf und richtete sie über Parteien und Gewerk-schaften als Organisationen der Alten Linken hinaus auch gegen die sowjet-kommunistische, sozial- und entwicklungsstaatliche Apparateherrschaft. DasDesinteresse an Luxemburgs ökonomischer Theorie behielt die Neue Linke jedoch bei, obwohl die neuen sozialen Bewegungen, zu deren Entstehung siebeitrug, durchaus als »antikoloniale« Bewegung verstanden werden können.In dieser Hinsicht nahmen sie den Kampf gegen die Kommodifizierung allerLebensbereiche vorweg, den sich die globalisierungskritische Bewegung spä-

ter auf ihre Fahnen schreiben sollte. Die Kolonialisierung der Hausarbeit wareines der Hauptanliegen, um die sich die Strategiedebatten der neuen Frau-enbewegung drehten, während die Umweltbewegung die Endlichkeit natür-licher Ressourcen in ähnlicher Weise als Wachstumsgrenze thematisierte wieLuxemburg die räumlichen Grenzen kolonialer Eroberungen.

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11Einleitung

Erst in jüngster Zeit finden sich Ansätze, die bei der Analyse des gegen-wärtigen Kapitalismus auf Luxemburgs ökonomische Analyse zurückgreifen

und sich um deren Integration mit ihren Vorstellungen zu Klassenformationund sozialistischer Politik bemühen.Im vorliegenden Band werden einige dieser Ansätze vorgestellt. Das Kapi-

tel »Geschichte und politische Ökonomie« zeigt, wie Luxemburg die Dialektikvon kapitalistischer Expansion und Reproduktion theoretisch hergeleitet undanhand der real- und theoriegeschichtlichen Entwicklung des Kapitalismusim 19. Jahrhundert entwickelt hat. Im zweiten Teil des Kapitels wird Luxem-burgs Theorie, wiederum unter Bezug auf real- und theoriegeschichtliche Ent-wicklungen, auf die Analyse des 20. Jahrhunderts angewandt. Ricardo Bel-lofiore arbeitet in seinem Beitrag »Rosa Luxemburg – Kritik der politischenÖkonomie und politische Perspektiven« die sozialen Gegensätze heraus, dieökonomischen Erscheinungen zugrunde liegen. Ausgehend von diesem me-thodischen Verständnis stellt er Luxemburg als eine Vorläuferin der mone-tären Werttheorie dar, die im Anschluss an die neue Marx-Lektüre seit denfrühen 1970er Jahren ausgearbeitet wurde. Dabei geht er neben der  AK  aufLuxemburgs Einführung in die Nationalökonomie ein, die neben einer his-torischen Rekonstruktion der Herausbildung von Warenproduktion und Ka-

pitalakkumulation zentrale theoretische Ansatzpunkte für eine kritische poli-tische Ökonomie enthält. Michael Löwy konzentriert sich in seinem Beitrag»Westlicher Imperialismus gegen Urkommunismus« dagegen auf die histo-rischen Abschnitte der »Einführung«. Darin gibt Luxemburg, gestützt auf diezu ihrer Zeit verfügbare anthropologische Literatur, einen Überblick über ver-schiedene Formen urkommunistischer Gesellschaften und deren sukzessiveVerdrängung durch Warenproduktion und Kapitalakkumulation. Außerdemdiskutiert Löwy die Aktualität dieser Analysen vor dem Hintergrund der ge-

genwärtigen Kolonialisierung indigener Gesellschaften. Paul LeBlanc greiftdas Thema Kolonialisierung in seinem Beitrag »Imperialismus und Militaris-mus« auf und betont die Rolle militärischer Gewalt für Entstehung, Aufrecht-erhaltung und Wandel des Imperialismus. Dabei geht er nicht nur auf die un-mittelbare Gewalt ein, die durch militärische Interventionen ausgeübt wird,sondern ebenso, theoretisch in deutlicher Nähe zu den Arbeiten der MonthlyReview-Autoren Baran, Magdoff und Sweezy, auf die ökonomische Rolle desMilitarismus, der Luxemburg in der AK  bereits ein eigenes Kapitel gewidmet

hatte. Klaus Dörre untersucht einen anderen Aspekt der Kolonialisierung.In seinem Beitrag »Landnahme und die Grenzen sozialer Reproduktion«stellt er unter Rückgriff auf die Bielefelder Schule des Feminismus die Ka-pitalisierung von Reproduktionsarbeiten dar und betont dabei, dass die Re-produktionssphäre nicht einfach in den Kreislauf des Kapitals eingegliedert

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wird, sondern gleichzeitig eine fortwährende Auslagerung von Arbeiten indiese Sphäre stattfindet. In der Folge gehen Markterweiterung und Exter-

nalisierung von Kosten Hand in Hand. Dörre schildert zudem die Rolle desFinanzkapitals bei dieser Form der Kolonialisierung, ein Aspekt, auf denbereits Luxemburg mit Blick auf die äußere Kolonialisierung im 19. Jahr-hundert hingewiesen hat und auf den Bellofiore bei seiner RekonstruktionLuxemburgs als Vorläuferin einer monetären Werttheorie ebenfalls verweist.Marcel van der Lindens Beitrag »Rosa Luxemburgs weltgesellschaftlicheKlassenanalyse« verschiebt den Fokus von Kolonialisierung und Kapital-akkumulation auf Prozesse der Klassenkonstitution. Er zeigt zunächst, dassArgumente zu diesem Thema an vielen Stellen in Luxemburgs Werken auf-scheinen. Hieran wird deutlich, dass sie sich bei der Analyse ökonomischerund politischer Entwicklungen der Bedeutung von Klassenbildung und Klas-senkampf als Triebkräften dieser Entwicklungen stets bewusst war, auchwenn sie ihre Überlegungen zu diesem Thema nicht zu einer Theorie derKlassenkonstitution zusammengefasst hat. Van der Linden zeigt weiterhin,dass Luxemburg als Analytikerin des globalen Kapitalismus auch die Frageder Klassenbildung in globaler Perspektive gestellt hat. Er macht aber eben-falls deutlich, dass mit der Herausbildung des globalen Kapitalismus alles

andere als eine Vereinheitlichung der Klassenverhältnisse verbunden war,sondern eine Vielzahl von Fragmentierungen entstanden ist.

Fragen der Klassenkonstitution stehen auch im Mittelpunkt des abschlie-ßenden Beitrags »Geschichte und Sozialismus«. Die Entstehung von Arbei-terklassen und -bewegungen im 19. Jahrhundert wird in diesem Text als einLernprozess begriffen. Die sozialistische Herausforderung, die von diesenBewegungen ausging, konnte im 20. Jahrhundert allerdings durch die »Ver-staatlichung« der Arbeiterbewegung in Sozial- und Entwicklungsstaaten vor-

übergehend neutralisiert werden. Eine neue Welle von Arbeiterkämpfen inden 1970er Jahren sowie die gleichzeitige Entstehung neuer sozialer Bewe-gungen und die Radikalisierung der antikolonialen Revolution führten unterneoliberaler Ägide seit den 1980er Jahren zu einer globalen Zusammenset-zung einer Arbeiterklasse »an sich«, die trotz verschiedenster lokaler Kämpfeund der damit verbundenen Lernprozesse noch weit davon entfernt ist, sichals Klasse »für sich« zu konstituieren. Schritte in diese Richtung lassen sich jedoch beobachten. So erscheint es durchaus vorstellbar, dass sich 100 Jahre

nach der Veröffentlichung der AK  ein neuer Internationalismus herausbildet,der sich gleichermaßen aus dem Widerstand gegen kapitalistische Ausbeu-tung, Unterdrückung und Naturzerstörung wie dem Kampf gegen die fort-schreitende Kolonialisierungvon Arbeits- und Lebenswelten speist.

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Die Autoren

 Riccardo Bellofiore lehrt politische Ökonomie an der Universität Bergamo.Jüngste Buchveröffentlichung: Rosa Luxemburg and the Critique of Po-litical Economy (London: Routledge 2009).

Klaus Dörre ist Professor für Wirschaftssoziologie und leitet die Forschungs-gruppe »Postwachstumsgesellschaften« an der Universität Jena. Letz-te Buchveröffentlichung (mit anderen): Bewährungsproben für die Un-terschicht. Soziale Folgen aktivierender Arbeitsmarktpolitik (Frankfurta.M.: Campus 2013).

Paul LeBlanc ist Professor für Geschichte am La Roche College in Pittsburghund ist Mitherausgeber des Bandes Socialism or Barbarism. SelectedWritings of Rosa Luxemburg (Pluto Press, 2010). Letzte Buchveröffent-lichung (mit Michael Yates): A Freedom Budget for All Americans: Re-capturing the Promise of the Civil Rights Movement in the Struggle forEconomic Justice Today (New York: Monthly Review Press 2013).

 Marcel van der Linden ist Forschungsdirektor des Internationalen Instituts

für Sozialgeschichte und lehrt Geschichte der Sozialbewegungen an derUniversität von Amsterdam. Jüngste Buchveröffentlichung: Beyond Marx.Confronting Labour-History and the Concept of Labour with the GlobalLabour-Relations of the Twenty-First Century (Leiden: Brill, 2013; mitKarl Heinz Roth und Max Henninger).

 Michael Löwy ist emeritierter Forschungsdirektor am Centre National dela Recherche Scientifique (CNRS) in Paris. Seine Bücher und Artikelsind in 29 Sprachen übersetzt worden. Zu seinen Hauptwerken gehören

Georg Lukács: From Romanticism to Bolchevism, Verso 1981 und FireAlarm. Reading Walter Benjamin’s ›On the concept of history‹, Lon-don, Verso, 2005.

 Ingo Schmidt  leitet das Labour Studies Program der Athabasca Universi-ty in Kanada. Letzte Buchveröffentlichung (herausgegeben mit Bry-an Evans): Social Democracy After the Cold War (Athabasca Universi-ty Press 2012).