Schmerzentstehung Physiologie und Pathophysiologie Margit Penzenleitner, DGKS, CSM.
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SchmerzentstehungPhysiologie und Pathophysiologie
Margit Penzenleitner, DGKS, CSM
Definition Schmerz
„Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und
Gefühlserlebnis, das mit tatsächlicher oder
potentieller Gewebeschädigung verknüpft ist oder
in Begriffen einer solchen Schädigung
beschrieben wird“.
International Association for the Study of Pain
(IASP)
Schmerzsystem Schutzsystem• Schmerzen sind eine Reaktionsantwort auf alles, was das Gehirn als
Bedrohung einschätzt
• Das Schmerzsystem kann auch versagen – z.B.bei bösartigen Tumoren, oder bei Krankheiten, Verletzungen fehlerhaft arbeiten (z.B.Diabetes)
• In sehr seltenen Fällen haben Menschen von Geburt an keine Sinnesempfindung für Schmerzen
• Probleme in Gelenken, Sehnen, Bändern können existieren und keine Schmerzen verursachen wenn sie vom Gehirn nicht als bedrohlich eingestuft werden.
• Auch ohne Schäden in Gewebe, Nerven od. Immunsystem kann es trotzdem weh tun, sobald das Gehirn meint, dass Gefahr besteht.
Schmerzerfahrung• Eine unangenehme Erfahrung, die einen dazu zwingt
sich mit dem Problem zu beschäftigen und einen dazu veranlasst etwas dagegen zu unternehmen
• Können so wirkungsvoll sein, dass man nichts anderes mehr denken, fühlen und sich auf nichts mehr konzentrieren kann
• Wieviel Schmerz man verspürt ist nicht unbedingt vom Schweregrad des Gewebeschadens abhängig.
• Man kann auch bei ernsthaften Verletzungen keine Schmerzen spüren
„Schmerz ist das was der Patient angibt, das weh tut“
Schmerz als komplexe Erfahrung
Das Wort Schmerz wird auch in mit Gefühlen wie Trauer, Einsamkeit und Entfremdung vewendet.
Bei allen Schmerzempfindungen- eigentlich bei jeder Art von Erfahrung spielen Gedanken und Gefühle eine Rolle!
Vor allem Schmerzen, die anhalten, sich ausbreiten und unberechenbar zu sein scheinen können nur im Zusammenhang mit zentralnervösen Vorgängen betrachtet werden.
Film
Schmerzleitung und Schmerzverarbeitung
Likar 2010
Nozizeption SchmerzsinnVerschiedene Sensoren die auf Reize reagieren liegen in der Zellmembran der Neurone
• Diese befinden sich in der Haut, der Muskulatur, dem Periost, Organkapseln, in den Wänden der Gefäße und Hohlorgane
reagieren auf
• chemische von außerhalb: Nesseln, Allergiestoffe
im Körper vorhanden: chemische Botenstoffe in Zellen
in Körperflüssigkeiten transportierte z.B. Milchsäure
• thermische heiß - kalt
• mechanische Reize kneifen, Druck
Diese Sensoren bilden gemeinsam mit den Sensoren von Augen, Ohren und Nase das primäre Schutzsystem vor Schäden.
Nozizeption
Schmerzleitung
• Lokale Entzündungsreaktion: durch die pH-Absenkungund Ausschüttung von z.B: Bradykinin und Histamin werden die Nozizeptoren gereizt, die Ausschüttung von Prostaglandinen führt zur peripheren Sensibilisierung.
• schnell leitende A-beta- und A- delta- Fasern und langsam leitende C-Fasern werden aktiviert. Die Reizschwelle der Nozizeptoren wird gesenkt, zuvor inaktive C-Fasern entfalten spontane Aktivität. Dies führt zu lange andauerndem Spontanschmerz und gesteigerter Empfindlichkeit auf Schmerzreize im Bereich des Traumas.
SchmerzfasernA-delta-Fasern:• Schnelle Übertragung der Reizung – augenblickliche Reflexantwort
• Schmerz setzt unmittelbar ein, ist scharf und lokalisiert = Erstschmerz
• Ziehen zum Hinterhorn des Rückenmarks und kreuzen zur anderen Seite, ziehen weiter zum Thalamus und zu somatosensorischen Bereichen der Hirnrinde
• enden im „denkenden Bereich der Hirnrinde, daher kann der Schmerz sehr genau definiert werden
• tragen keine Opioidrezeptoren und die Schmerzempfindung wird durch Opioide nicht beeinträchtigt
• Schutzreflex lässt sich nur durch eine Nervenblockade oder eine tiefe Narkose blockieren
• Verantwortlich für die Wahrnehmung eines Nadelstichs
C-Fasern
• Leiten Impulse langsamer als A-delta –Fasern
• Schmerz ist dumpf, brennend, pulsierend oder ziehend und über einen größeren Bereich zu spüren
• Enden im Stammhirn
• Lassen sich nahezu immer mit Opioiden unterdrücken
A – beta –Fasern• hängen nicht unmittelbar mit der Übertragung von Schmerzreizen
zusammen
• Konzentrieren sich in der Haut
• dick myelinisiert – leiten am schnellsten
• Kreuzen nicht zur anderen Seite des Rückenmarks sondern leiten auf derselben Seite aufwärts zum Gehirn
• Werden durch Berührungen und Empfindungen aktiviert, die normalerweise nicht als schmerzhaft wahrgenommen werden
• Aktivierung der rascher leitenden A-beta-Fasern durch eine Stimulation ( z.B. sanfte Massage, TENS ) kann die Schmerzwahrnehmung senken
Schmerzverarbeitung auf Rückenmarksebene
• Weiterleitung der Schmerzwahrnehmung• Reflexe - somatisch (Hand-weg-ziehen) - vegetativ • Gedächtnisbildung• Schmerzmodulation
Die Gefahrenbotschaft wird im Gehirn analysiert
• Im Gehirn gibt es viele Areale, die bei Schmerzerfahrungen aktiviert werden , dazu gehören Anhäufungen von Neuronen, die für Sensibilität, Bewegung, Emotionen und Gedächtnis zuständig sind.
• Die Schmerzen „leihen „ sich diese Areale aus, um sich im Körper darzustellen.
• Schmerz kann als mögliche Reaktionsantwort auf ankommende Informationen angesehen werden.
Schmerzverarbeitung• sensorisch (Reizort, Stärke, Dauer, Art des Schmerzes wie z.B. Schlag,
Hitze …)
• motorisch (Reflexe, Schonhaltung…)
• affektiv (Bewertung aufgrund Erfahrung, Stimmungslage, Erwartung)
• kognitiv ( Bewertung durch frühere Schmerzerfahrungen und dem situativen Kontext)
• somatosensorisch (vegetative Reaktion wie Blutdruck, Herzfrequenz, Atmung, Schwitzen
Gate- Control- Theorie
• In der 1965 von Melzack und Wall postulierten Theorie wurde klargestellt, dass das ZNS kein ausschließlich passives System in Bezug auf die Schmerzverarbeitung ist sondern Informationen filtert und modelliert
• Von großer Bedeutung sind deszendierende Hemmsysteme, für die viele supraspinale Strukturen wie der präfrontale Kortex, Teile des limbischen Systems und einige mehr, diese kommunizieren untereinander und entfalten ihre Wirkung auf spinaler Ebene
Gate- Control
• Angst• Aufregung• Erhöhte Anspannung• Gefühle der Einsamkeit• Autonomieverlust• usw.
• Ablenkung• Humor• Entspannung• Imagination• Wohlbefinden• Aktivierung der A-beta
Fasern durch Stimulation. z.B. Massage, Wärme-, Kälteanwendung, usw.
• Bewegung
• Faktoren, die das Tor öffnen
Faktoren, die das Tor schließen
Chronischer Schmerz
Neurobiologische Faktoren Psychobiologische Faktoren
• periphere Sensibilisierung durch Entzündungsmediatoren
• Aktivierung stummer Nozizeptoren
• bei sehr langer Reizung gesteigerte Erregung der Hinterhornneurone
• Sensibilisierungsprozesse setzen sich supraspinal fort
• Es kommt zu zentralnervösen Veränderungen
• PatientInnen werden empfänglicher für schmerzhafte Reize
• unterschiedliche Arten von Lernprozessen spielen darüber hinaus eine Rolle für die Entstehung, Aufrechterhaltung und Verstärkung chronischer Schmerzen
• wie PatientInnen über den Schmerz denken
• Gefühle, die sie dabei empfinden
• Veränderung der gesamten Lebensperspektive
• Rollen können nicht in gewohnter Weise ausgefüllt werden
• Verlust des Arbeitsplatzes
• Gefühle, Angst, Verzweiflung, Depression Ärger, Trauer, Autonomieverlust
Ursachen des Tumorschmerzes
• Schmerzen durch invasiv wachsende Tumore
• Schmerzen infolge von Therapie
• Schmerzen aufgrund der Folgen von Tumorerkrankungen (Ulzerationen, Muskelschmerz aufgrund der der Immobilität)
• Schmerzen aufgrund einer weiteren Erkrankung
Durchbruchschmerz• Verstärkung des Dauerschmerzes
• „Ein Durchbruchschmerz ist eine vorübergehende Exazerbation einer Schmerzsymptomatik vor dem Hintergrund eines ansonsten stabilen Schmerzes bei einem Patienten, der eine Opioidtherapie erhält“
Nicht mit End-of-Dose-failure verwechseln!
Durchbruchschmerz
•Aufgrund von invasivem Tumorwachstum 70-80%
•Antineoplastische Behandlung 10-20%
•Durch Bewegung hervorgerufen 50-60%
•Spontan ausgelöster Durchbruchschmerz 20-60%
Tumorschmerzverstärkende Faktoren
• Furcht vor dem Schmerz
• Kontrollverlust
• Mobilitätsverlust
• Verlust der Unabhängigkeit
• Das Gefühl, Anderen zur Last zu fallen
• Angst vor Sterben und Tod
• Verzweiflung
• Finanzielle Probleme, Unsicherheit bezüglich der Zukunft
• Depression
Literaturverzeichnis
• Papathanasiou,G.S.:Neuraltherapie: Von der Gate Contol Theorie zur Neuromatrix in Ganzheitsmedizin Heft 3, Jahrgang 19, Oktober 2006 • Kröner-Herwig, B.; Frettlöh, J.; Klinger, R.; Nilges, P.: Schmerz-psychotherapie 7.Auflage, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg 2011 • Frede, U.: Herausforderung Schmerz, Pabst Sience Publishers Lengerich 2007 Likar, R.: Schmerztherapie, 2011, 12. Auflage • Margulies, A.; Fellinger, K.; Kroner, Th.; Gaisser, A.: Onkologische KrankenpflegeSpringer Medizinverlag Heidelberg 2006, 4. Auflage• Likar, Rudolf, Univ.-Prof. Dr.: Schmerztherapie, September 2011, 12. Auflage• Butler, Mosley: Schmerzen verstehen, 2009, 2. Auflage Springer-Verlag