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Fachbereich Mathematik, Aktuarswissenschaften OTH Regensburg Skriptum zur Vorlesung Schadenversicherungsmathematik SoSe 2017 Prof. Dr. Michael Fr¨ ohlich

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FachbereichMathematik, AktuarswissenschaftenOTH Regensburg

Skriptum zur Vorlesung

Schadenversicherungsmathematik

SoSe 2017

Prof. Dr. Michael Frohlich

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Inhaltsverzeichnis

1 Grundlagen und Modellbildung 51.1 Individuelle und kollektive Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81.2 Momente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91.3 Ungleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101.4 Ausgleich im Kollektiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111.5 Gesetze der Großen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

2 Individuelles Modell 132.1 Modellannahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132.2 Momente des Gesamtschadens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132.3 Schatzen der Parameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142.4 Ungleichung von Cantelli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162.5 Ausgleich im Kollektiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192.6 Faltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192.7 Charakteristische Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202.8 Wahrscheinlichkeitserzeugende Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222.9 Approximation der Verteilung des Gesamtschadens . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

3 Kollektives Modell 263.1 Momente des Gesamtschadens im kollektiven Modell . . . . . . . . . . . . . . . . 263.2 Verteilung des Gesamtschadens im kollektiven Modell . . . . . . . . . . . . . . . 273.3 Verdunnung eines kollektiven Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

4 Tarifierung 334.1 Grundlagen der Tarifierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334.2 Daten aus Tarifierungsstatistiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384.3 Modelle und Schatzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414.4 Pramiendifferenzierung und Selektionseffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

5 Reservierung 545.1 Schadenabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545.2 Abwicklungsdreiecke (Triangulations) und Abwicklungsquadrate . . . . . . . . . 555.3 Methoden und Modelle zur Schadenreservierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

5.3.1 Abwicklungsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605.3.2 Chain-Ladder Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655.3.3 Loss-Development Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 665.3.4 Bornhuetter-Ferguson Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675.3.5 Additives Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 695.3.6 Cape-Cod Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

5.4 Vergleich der Reservierungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

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6 Ruckversicherung und Risikoteilung 756.1 Formen, Grundbegriffe und Grunde der Risikoteilung . . . . . . . . . . . . . . . . 756.2 Auswirkungen der Risikoteilung auf die Momente der Zufallsgroßen . . . . . . . 826.3 Pramienkalkulation (Quotierung / Pricing) von

Ruckversicherungsvertragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 876.3.1 Quotierung eines proportionalen Ruckversicherungsvertrags . . . . . . . 876.3.2 Quotierung eines nichtproportionalen Ruckversicherungsvertrags . . . . 88

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Prof. Dr. Michael Frohlich

Fakultat Informatik und MathematikOTH RegensburgPostfach 12 03 2793 025 Regensburg

[email protected].: +49 941/943-9786.Raum U 320, Sammelgebaude, Universitatsstraße 31.

Sprechzeiten: Montag, 15.10 -16.00 Uhr, und nach Vereinbarung. Wahrend der vorlesungsfreienZeit nur nach Vereinbarung.

Literaturempfehlungen zur Vorlesung

Heilmann [1987]: Grundbegriffe der Risikotheorie Karlsruhe: VVW.

Liebwein [2009]: Klassische und moderne Formen der Ruckversicherung Karlsruhe: VVW.

Mack [1997, 2002]: Schadenversicherungsmathematik Karlsruhe: VVW.

Pfeiffer [1999]: Einfuhrung in die Ruckversicherung Wiesbaden: Gabler.

Schmidt [2002, 2006, 2009]: Versicherungsmathematik Berlin-Heidelberg: Springer.

Schroter [1995]: Verfahren zur Approximation der Gesamtschadenverteilung Karlsruhe: VVW.

Swiss Re: Exposuretarifierung fur Feuereinzelschadenexzedenten.

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Kapitel 1

Grundlagen und Modellbildung

Was ist Versicherung?

Im Versicherungsvertrag (Police, Risiko) verpflichtet sich das VersicherungsunternehmenVU gegen Erhalt eines im voraus falligen Geldbetrags (Pramie) bei Eintritt von im Vertragnaher definierten und ungewissen Ereignissen (Schaden) bestimmte, in ihrer Hohe meist vombetreffenden Ereignis abhangige Zahlungen an den Vertragspartner (VersicherungsnehmerVN) zu leisten, die den aus dem Ereignis resultierenden wirtschaftlichen Nachteil des VNsreduzieren und ausgleichen sollen.

Das VU ubernimmt also ungewisse Zahlungen gegen feste Pramie. Fur den VN ist der Tauschvon ungewissen Kosten gegen planbare Kosten ein Vorteil. Dazu kommt, daß hohe Schadenmit kleinen Eintrittswahrscheinlichkeiten durch Versicherung uberhaupt erst tragbar werden.

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Historisches zur Schadenversicherungsmathematik

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Schadenversicherung = Non-life Insurance (USA) = General Insurance (UK).

Die Schadenversicherungsmathematik befaßt sich mit der Anwendung bekannter und neuermathematischer Methoden auf Versicherungsprobleme wie Tarifkalkulation, Schadenreser-vierung, Risikoteilung.

Aktuar (actuary) = Versicherungsmathematiker.1993 Grundung der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) als echter Berufsverband mitStandesregeln usw.Der actuarius im alten Rom schrieb die Senatsbeschlusse mit. Die erste LebensversicherungsGesellschaft Equitable Life (1762) gab ihrem chief official die Bezeichnung ”actuary ”.

Prufung zum Aktuar DAV (www.aktuar.de):

Voraussetzung: Mathe-Studium mit Grundkenntnissen in Wahrscheinlichkeitstheorie undStatistik.

Grundwissen Klausuren:

Finanz - MatheStatistische Methoden / RisikotheoriePersonen - Versicherungsmathe (Leben, Pension, Kranken)Schadenversicherungs MatheModellierungInformationsverabeitung (keine Prufung)Vers. WirtschaftslehreRechnungslegung fur AktuareWert- und risikoorientierte UnternehmensfuhrungRechtsgundlagen

Spezialwissen in demjenigen der folgenden Gebiete:Leben, Schaden, Pension, Kranken, Bauspar und Finanz, wo man mindestens 2 Jahre Berufser-fahrung vorweisen kann.

Im Studium bestandene Klausuren an der HS Regensburg werden von der DAV anerkannt,nachdem das Vorlesungsskript zertifiziert worden ist.

Unterschiede zwischen Leben - und Schadenversicherungsmathematik

Leben Schadenmax 1 Schaden pro Risiko mehrere Schaden pro Jahr moglich

feste Schadenhohe, d.h. niedrige Volatilitat variable Schadenhohe, d.h. hohe Volatilitatlange Policenlaufzeit kurze Policenlaufzeit (1 Jahr)

hohes Gewicht des Zinsertrags niedriges Gewicht des ZinsertragsFinanzmathematik Stochastik

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Definition Gesamtschaden:

Gegeben sei ein Bestand, der aus n Risiken besteht und wahrend eines Geschaftsjahres NSchaden erzeugt. Dabei ist die Große des Bestands n ∈ N konstant und die Schadenanzahl Neine Zufallsgroße.Der Gesamtschaden des Bestands wird durch eine Zufallsgroße S dargestellt.

1.1 Individuelle und kollektive Betrachtungsweise

Bei der individuellen Betrachtungsweise wird der Gesamtschaden des Bestands dargestellt inder Form

S :=n∑

i=1

Zi,

wobei die Zufallsgroßen Zi die jahrliche Schadenhohe von Risiko i bezeichnen.

Bei der kollektiven Betrachtungsweise wird der Gesamtschaden des Bestands dargestellt in derForm

S :=N∑

j=1

X j,

wobei N die Zufallsgroße fur die Anzahl der Schaden des Bestands und die Zufallsgroßen X jjeweils die Schadenhohe von Schaden j bezeichnen.

Bemerkungen:

1. Bei der kollektiven Betrachtungsweise spielt es keine Rolle, welches Risiko einen be-stimmten Schaden verursacht.

2. Die kollektive Betrachtungsweise fur die Schadenhohe Zi von Risiko i wird wie folgtdargestellt:

Zi :=N j∑j=1

Xi, j,

wobei Zufallsgroße N j die Anzahl der Schaden von Risiko i und Xi, j die Hohe des j-tenSchadens von Risiko i bezeichnet.

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1.2 Momente

Bei beiden Betrachtungsweisen sind bestimmte Momente von Zufallsgroßen U,V von Interesse:

1. Erwartungswert

E(U).

2. Varianz

Var(U) := E((U − E(U))2

)= E(U2) − (E(U))2 .

3. k-tes zentrales Moment

E((U − E(U))k

).

4. Standardabweichung √Var(U).

5. Variationskoeffizient

V(u) :=

√Var(U)E(U)

=

√Var

(U

E(U)

)=

√E(U2)

(E(U))2 − 1.

Der Variationskoeffizient ist eine dimensionslose Alternative zur Standardabweichungund nur sinnvoll im Fall E(U) > 0.

6. Schiefe

E (U − E(U))3

(Var(U))32

= E

U − E(U)√

Var(U)

3 .Die Schiefe ist dimensionslos.

7. Kovarianz

Cov(U,V) := E ((U − E(U))(V − E(V))) = E(UV) − E(U)E(V).

Es folgt Cov(U,U) = Var(U).

8. Korrelationskoeffizient

ρU,V :=Cov(U,V)√

Var(U)√

Var(V)= Cov

U − E(U)√Var(U)

,V − E(V)√

Var(V)

.Der Korrelationskoeffizient ist dimensionslos, und es gilt

|ρU,V| ≤ 1 sowie|ρU,V| = 1 =⇒ aU + bV = c fur ein c ∈ R konstant und a, b , 0.

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1.3 Ungleichungen

Bei beiden Betrachtungsweisen besteht das Ziel darin, die Verteilung des Gesamtschadenszu berechnen oder naherungsweise zu bestimmen oder verschiedene Wahrscheinlichkeitenabzuschatzen.Grobe Abschatzungen fur bestimmte Wahrscheinlichkeiten konnen aus der Ungleichung vonMarkov und ihren Varianten gewonnen werden:

1. Ungleichung von Markov: Sei c > 0. Dann gilt

P(|U| ≥ c) ≤E (|U|)

c.

Ist h : R+→ R+ monoton wachsend mit h(c) > 0, so gilt

P(|U| ≥ c) ≤E (h(|U|))

h(c).

2. Ungleichung von Tschebyschev: Sei c > 0. Dann gilt

P(|U − E(U)| ≥ c) ≤Var(U)

c2 .

3. Ungleichung von Cantelli: Sei c > 0. Dann gilt

P(U ≥ E(U) + c) ≤Var(U)

c2 + Var(U).

Bemerkung: Man kann zeigen, daß sich die Ungleichung von Cantelli nicht verbessern laßt.Andererseits ist die Ungleichung von Cantelli teilweise sehr grob:

Wenn z.B. U Exp(1)-verteilt ist, gilt E(U) = 1 = Var(U) und

P(U ≥ E(U) + 2) = P(U ≥ 3) = e−3≈ 0, 05.

Die Cantelli-Ungleichung liefert nur

P(U ≥ E(U) + 2) ≤Var(U)

4 + Var(U)= 0, 2.

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1.4 Ausgleich im Kollektiv

Das Prinzip Ausgleich im Kollektiv besagt, daß bei der Zusammenfassung vieler Risiken zueinem Bestand die durchschnittliche Schadenbelastung pro Risiko i.a. klein ist im Vergleichzu der moglichen Schadenbelastung jedes einzelnen Risikos im Bestand. Insbesondere ist derAusgleich im Kollektiv Voraussetzung dafur, daß Versicherungspramien sowohl niedrig alsauch ausreichend sein konnen, was wiederum Voraussetzung dafur ist, daß Versicherungsver-trage zu Stande kommen.

Unter welchen Bedingungen stellt sich ein Ausgleich im Kollektiv ein?Wenn nur wenige Risiken des Bestands von Schaden betroffen werden und der Großteilschadenfrei bleibt.Wenn alle Risiken derselben Gefahr ausgesetzt sind, z.B. Sturm, stellt sich kein Ausgleich imKollektiv ein.

Allgemein liegt also Ausgleich im Kollektiv vor bei stochhastischer Unabhangigkeit derRisiken. Stochhastische Abhangigkeit gefahrdet hingegen den Ausgleich im Kollektiv.

Der Ausgleich im Kollektiv ist außerdem von der Homogenitat des Bestands abhangig.

Definition: Ein Bestand heißt homogen, wenn alle Risiken des Bestands dieselbe Verteilungbesitzen.

Homogenitat wird in der Praxis allenfalls naherungsweise erfullt - dies reicht aber aus, umAusgleich im Kollektiv zu begunstigen. Wahrend bei starker Abweichung von Homogenitatder Ausgleich im Kollektiv gefahrdet wird.

In der Praxis wird versucht, durch die sogenannte Segmentierung bzw. Bildung von Versi-cherungssparten einen hohen Grad von Homogenitat im Bestand zu erreichen. Man versuchtdie sinnvolle Zusammenfassung von Risiken zu Bestanden derart, daß die einzelnen Bestandeweitgehend homogen sind.

Allerdings entsteht in der Praxis bei der Segmentierung ein Zielkonflikt:

1. Das Ziel, einen hohen Grad an Homogenitat zu erreichen, erfordert die Bildung kleinerBestande.

2. Das Ziel, statistisch aussagekraftige Bestande zu erhalten, erfordert die Bildung großerBestande.

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1.5 Gesetze der Großen Zahlen

Der Ausgleich im Kollektiv entspricht in der mathematischen Stochastik dem Gesetz derGroßen Zahlen.

Das Gesetz der Großen Zahlen besagt in Worten, daß sich die Mittelwerte der Beobachtungen,die bei der wiederholten Durchfuhrung eines Zufallsexperiment auftreten, stabilisieren.Pramisse dafur ist, daß die Versuche unabhangig voneinander sind (sich nicht beeinflußen)und die Anzahl der Versuche uber alle Grenzen wachst.

Es gibt verschiedene Varianten vom Gesetz der Großen Zahlen, die sich in der Art derKonvergenz der Stichprobenmittel und in den Annahmen an die gemeinsame Verteilung derStichproben-Zufallsgroße unterscheiden.

Satz: Gesetz der Großen Zahlen im quadratischen MittelSei (Xi)i∈N eine Folge von stochastisch unabhangigen Zufallsgroßen mit E(Xi) = µ und Var(xi) =σ2 fur alle i ∈ N. Dann gilt

limn→∞

E

1

n

n∑i=1

Xi − µ

2 = 0.

Korollar: Schwaches Gesetz der Großen ZahlenSei (Xi)i∈N eine Folge von stochastisch unabhangigen Zufallsgroßen mit E(Xi) = µ und Var(xi) =σ2 fur alle i ∈ N, c > 0. Dann gilt

limn→∞

P

∣∣∣∣∣∣∣1n

n∑i=1

Xi − µ

∣∣∣∣∣∣∣ ≥ c

= 0.

Insbesondere gilt

limn→∞

P

1n

n∑i=1

Xi ≥ µ + c

= 0.

Satz: Starkes Gesetz der Großen ZahlenSei (Xi)i∈N eine Folge von stochastisch unabhangigen Zufallsgroßen mit E(Xi) = µ und Var(xi) =σ2 fur alle i ∈ N, c > 0. Dann gilt

limn→∞

1n

n∑i=1

Xi = µ P-fast sicher.

Beispiel: Beim einfachen Wurf eines unverfalschten Wurfels ist die erwartete Augenzahl 3,5.Fur i ∈ N bezeichne Xi die zufallige Ausgenzahl beim i-ten Wurf. Beim wiederholten Wurfkann man annehmen, daß die einzelnen Wurfe voneinander unabhangig sind. Fur die mittlere

Augenzahl 1n

n∑i=1

Xi gilt daher nach dem Gesetz der Großen Zahlen in allen drei Auspragungen

limn→∞

1n

n∑i=1

Xi = 3, 5.

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Kapitel 2

Individuelles Modell

2.1 Modellannahmen

Definitionen:Fur n ∈ N und eine Familie von Zufallsgroßen (Zi)i∈{1,...,n} heißt das Paar

(n, (Zi)i∈{1,...,n}

)1. individuelles Grundmodell.

2. individuelles Modell, wenn die Schadenhohen (Zi)i∈{1,...,n} stochastisch unabhangig sind.

3. individuelles Modell fur einen homogenen Bestand, wenn die Schadenhohen (Zi)i∈{1,...,n}stochastisch unabhangig und identisch verteilt sind.

Fur ein individuelles Grundmodell(n, (Zi)i∈{1,...,n}

)bezeichnet man den Gesamtschaden des

Bestands durch

S :=n∑

i=1

Zi.

Bemerkungen:Die Unabhangigkeit und daß die Schadenhohen dieselbe Verteilung besitzen, ist in der Praxisimmer sorgfaltig zu uberprufen. Z.B. liegen in der Kraftfahrt-Kasko-Versicherung bei derHagel-Gefahr abhangige Schaden vor. In der Kraftfahrt-Haftpflicht-Versicherung ist z.B. dieAnnahme mit derselben Verteilung naherungsweise erfullt, wenn alle Risiken des Bestandsgleiche Auspragungen der Tarifmerkmale Regional- und Typklasse haben.

2.2 Momente des Gesamtschadens

Fur den Erwartungswert des Gesamtschadens gilt

1. im individuellen Grundmodell

E(S) =

n∑i=1

E(Zi).

2. im individuellen Modell fur einen homogenen Bestand

E(S) = nµ,

wobei µ den gemeinsamen Erwartungswert der Schadenhohen Zi bezeichnet.

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Fur die Varianz des Gesamtschadens gilt

1. im individuellen Grundmodell

Var(S) =

n∑i=1

n∑j=1

Cov(Zi,Z j).

2. im individuellen Modell

Var(S) =

n∑i=1

Var(Zi).

3. im individuellen Modell fur einen homogenen Bestand

Var(S) = nσ2,

wobei σ2 die gemeinsame Varianz der Schadenhohen Zi bezeichnet.

Fur den Variationskoeffizienten des Gesamtschadens gilt

1. im individuellen Grundmodell

V(S) =

√Var(s)E(S)

.

2. im individuellen Modell fur einen homogenen Bestand

V(S) =

√Var(s)E(S)

=

nσ2

nµ=

1√

nσµ

=1√

nV(Z).

2.3 Schatzen der Parameter

Im individuellen Modell fur einen homogenen Bestand lassen sich die Parameter µ und σ mitHilfe der beobachtbaren Daten aus der Vergangenheit schatzen, wenn die Verteilung der Scha-denhohen der Vergangenheit mit der Verteilung der Schadenhohen der Zukunft ubereinstimmt.

Zur Schatzung des Erwartungswerts µ bietet sich die Zufallsgroße

Zn :=1n

n∑i=1

Zi

an, die als empirisches Stichprobenmittel bzw. Schadenerwartung bezeichnet wird. Es gilt

E(Zn) = µ und Var(Zn) =1nσ2 sowie fur alle c > 0

P(∣∣∣Zn − µ

∣∣∣ ≤ c)≥ 1 −

σ2

nc2 .

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Bemerkungen:

1. Wegen E(Zn) = µ ist Zn ein erwartungstreuer Schatzer fur µ.

2. Wegen Var(Zn) = 1nσ

2 ist die Varianz der Schadenerwartung monoton fallend bei wach-sendem Stichprobenumfang n.

3. Wegen limn→∞

P(∣∣∣Zn − µ

∣∣∣ ≤ c)

= 1 fur alle c > 0 ist die Folge (Zn)n∈N eine konsistente Folgevon Schatzern fur µ.

4. Aus der Ungleichung P(∣∣∣Zn − µ

∣∣∣ ≤ c)≥ 1 − σ2

nc2 folgt, daß fur eine vorgegebene obere

Schranke c fur den Schatzfehler∣∣∣Zn − µ

∣∣∣ und eine vorgegebene Fehlerwahrscheinlichkeit1 − η mit 0 < η < 1 fur jeden Stichprobenumfang n ≥ σ2

(ηc2) gilt

P(∣∣∣Zn − µ

∣∣∣ ≤ c)≥ 1 − η.

D.h. der Schatzfehler ist mit Wahrscheinlichkeit 1 − η nicht großer als c.

Zur Schatzung der Varianz σ2 bietet sich im Fall n ≥ 2 die Zufallsgroße

1n − 1

n∑i=1

(Zi − Zn

)2

an, die als empirische Stichproben-Varianz bezeichnet wird. Es gilt

E

1n − 1

n∑i=1

(Zi − Zn

)2 = σ2.

Ubungsaufgabe.

Daher ist die Zufallsgroße 1n−1

n∑i=1

(Zi − Zn

)2ein erwartungstreuer Schatzer fur σ2.

Außerdem kann man zeigen, daß die Folge(

1n−1

n∑i=1

(Zi − Zn

)2)

n∈N≥2

eine konsistente Folge von

Schatzern fur σ ist.

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2.4 Ungleichung von Cantelli

Ungleichung von Cantelli im individuellen Grundmodell

Die Ungleichung von Cantelli liefert eine erste, wenn auch grobe, Information uber dieVerteilung des Gesamtschadens:

Unter der Pramisse, daß die Annahmen des individuellen Grundmodells erfullt sind, gilt:

Lemma Cantelli: Fur alle c > 0 gilt

P(S ≥ E(S) + c) ≤Var(S)

c2 + Var(S).

Mit den Bezeichnungen E(S) als Nettopramie fur den Bestand, c als Sicherheitszuschlag furden Bestand und E(s) + c als Risikopramie fur den Bestand gilt:

P(S > E(S) + c)

ist die Wahrscheinlichkeit dafur, daß die Pramie fur den Bestand nicht ausreichend ist.Das Ereignis {S > E(S) + c} wird als Ruin unter dem Sicherheitszuschlag c bezeichnet, undP(S > E(S) + c) heißt die Ruinwahrscheinlichkeit.

Wegen P(S > E(S) + c) ≤ P(S ≥ E(S) + c) liefert die Ungleichung von Cantelli in Abhangigkeitvom Sicherheitszuschlag c eine obere Schranke fur die Wahrscheinlichkeit des Ruins.

In der Praxis kann mit Hilfe von der Ungleichung von Cantelli der Sicherheitszuschlag sobestimmt werden, daß die Wahrscheinlichkeit des Ruins eine vorgegebene obere Schrankenicht uberschreitet:

Sei ε ∈]0, 1]. Dann gilt fur alle c ≥√

1−εε

√Var(S):

P(S ≥ E(S) + c) ≤ ε.

Die Pramie

H(S) = E(S) +

√1 − εε

√Var(S)

nennt man Pramie nach dem Standardabweichungs-Prinzip, da der Sicherheitszuschlagproportional zur Standardabweichung des Gesamtschadens ist.

Bemerkung: Zur Berechnung der Pramie H(S) werden E(S) und Var(S) benotigt:

Wegen E(S) =n∑

i=1Zi ist E(S) bereits durch die Erwartungswerte der einzelnen Schadenhohen

bestimmt. Var(s) ist i.a. nicht durch die Varianzen der einzelnen Schadenhohen bestimmt.

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Ungleichung von Cantelli im individuellen Modell

Unter der Pramisse, daß die Annahmen des individuellen Modells erfullt sind, gilt:

Lemma Cantelli: Fur alle c > 0 gilt

P(S ≥ E(S) + c) ≤

n∑i=1

Var(Zi)

c2 +n∑

i=1Var(Zi)

.

Korollar: Sei ε ∈]0, 1]. Dann gilt fur alle c ≥√

1−εε

√n∑

i=1Var(Zi)

P(S ≥ E(S) + c) ≤ ε.

Es bleibt die Frage, wie die Pramie fur den Bestand auf die einzelnen Risiken des Bestands fairaufzuteilen ist. Dabei soll die Pramie fur jedes Risiko i ∈ {1, . . . ,n} von der Form E(Zi) + ai mitai > 0 sein. Aus der Bedingung

n∑i=1

(E(Zi) + ai) = E(S) + c

ergibt sich wegen E(S) =n∑

i=1E(Zi) fur die Sicherheitszuschlage die Bedingung

n∑i=1

ai = c.

Sei E(Zi) als Nettopramie fur Risiko i bezeichnet,ai als Sicherheitszuschlag fur Risiko i undE(Zi) + ai als Risikopramie bzw. individuelle Pramie fur Risiko i.

Im Falln∑

i=1Var(Zi) > 0 ist die Bedingung

n∑i=1

ai = c fur

ai :=Var(Zi)

n∑j=1

Var(Z j)

cn

erfullt. Wegen

Var(Zi)n∑

j=1Var(Z j)

=

n∑k=1

Cov(Zi,Zk)

Var(S)=

Cov(Zi,S)Var(S)

liefert diese Aufteilung des Sicherheitszuschlags fur den Bestand auf die einzelnen Risiken eineAufteilung der Pramie nach dem sogenannten Kovarianz-Prinzip.

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Schadenversicherungsmathematik SoSe 2017, Michael Frohlich, OTH Regensburg 18

Ungleichung von Cantelli im individuellen Modell fur einen homogenen Bestand

Unter der Pramisse, daß die Annahmen des individuellen Modells fur einen homogenenBestand erfullt sind, gilt:

Lemma Cantelli: Fur alle c > 0 gilt

P(S ≥ E(S) + c) ≤nσ2

c2 + nσ2 .

Korollar: Sei ε ∈]0, 1]. Dann gilt fur alle c ≥√

1−εε

√nσ

P(S ≥ E(S) + c) ≤ ε.

In einem homogenen Modell ist die Aufteilung der Pramie fur den Bestand auf die einzelnenRisiken des Bestands besonders einfach:

1. Da die Schadenhohen aller Risiken dieselbe Verteilung besitzen, sollten allen Risikendieselben Pramien zugeordnet werden.

2. Da die Nettopramien fur alle Risiken identisch sind, ergibt sich fur alle Risiken derselbeSicherheitszuschlag.

Korollar: Sei ε ∈]0, 1]. Dann gilt fur alle a ≥√

1−εnε σ

P(Z ≥ E(Z) + a) ≤ ε.

Bemerkung: Die individuelle Pramie

E(Z) +

√1 − ε

√Var(Z)

ist wie die Pramie fur den Bestand

E(S) +

√1 − εε

√Var(S)

eine Pramie nach dem Standardabweichungs-Prinzip, und sie fallt, wenn der homogeneBestand wachst, d.h. n großer wird. Dies deutet auf den Ausgleich im Kollektiv hin.

Beispiel: Ein Versicherer besitzt einen homogenen Bestand von 6.400 Risiken mit µ= 5.000 EURund σ= 720 EUR. Die individuelle Pramie soll so bestimmt werden, daß die Ruinwahrschein-lichkeit nicht großer als 0,01 ist: Wegen

1 − 0, 016400 · 0, 01

7202 = 8019 ≤ 902

folgt fur die individuelle Pramie 5.000+90 = 5.090 EUR.

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Schadenversicherungsmathematik SoSe 2017, Michael Frohlich, OTH Regensburg 19

2.5 Ausgleich im Kollektiv

Satz (Gesetz der Großen Zahlen) Fur alle a > 0 gilt

limn→∞

P (S(n) > E(S(n) + na) = 0.

Bemerkungen:

1. Bei einem uber alle Grenzen hinaus wachsenden homogenen Bestand konvergiert alsofur jede Wahl einer individuellen Pramie mit einem positiven Sicherheitszuschlag dieRuinwahrscheinlichkeit gegen 0.

2. Bei Wahl der individuellen Pramie

µ +

√1 − ε

nεσ

mit ε ∈]0, 1] ist die Ruinwahrscheinlichkeit nicht großer als ε. Daher kann der Versichererbei einem wachsenden homogenen Bestand die individuelle Pramie konstant lassen unddie Schranke fur die Ruinwahrscheinlichkeit senken, oder die Ruinwahrscheinlichkeitkonstant lassen und die individuelle Pramie senken, oder beide senken.

3. Man kann zeigen, daß die Ruinwahrscheinlichkeit bei einem uber alle Grenzen hinauswachsenden homogenen Bestand gegen 1 konvergiert, wenn die individuelle Pramie echtkleiner als die Nettopramie ist. Wenn Nettopramie und individuelle Pramieubereinstimmen, konvergiert die Ruinwahrscheinlichkeit bei einem uber alle Grenzenhinaus wachsenden homogenen Bestand gegen 1

2 .

2.6 Faltung

Im individuellen Modell kann die Gesamtschaden-Verteilung aufgrund der stochastischenUnabhangigkeit der Schadenhohen durch wiederholte Anwendung der Faltungsformelberechnet werden, was aber sehr aufwendig ist.

Definition Faltung:Fur zwei stochastisch unabhangige Zufallsgroßen U und V mit den Verteilungen PU und PVgilt

PU+V = PU ∗ PV.

Dabei bezeichnet PU ∗ PV die Faltung von PU und PV.

Sind PU und PV absolutstetig mit Dichten fU und fV bzgl. des Lebesgue-Maßes λ, so gilt dieFaltungsformel

(PU ∗ PV)(B) =

∫B

(∫R

fU(u) fV(z − u)dλ(u))

dλ(z).

Sind fU und fV sogar stetig, so gilt fur jedes Intervall B

(PU ∗ PV)(B) =

∫B

(∫R

fU(u) fV(z − u)du)

dz.

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Beispiele fur Faltungen:

1. Fur PU = B(m, θ) und PV = B(n, θ) gilt PU ∗ PV = B(m + n, θ).

2. Fur PU = Poi(α) und PV = Poi(β) gilt PU ∗ PV = Poi(α + β).

3. Fur PU = NB(α, θ) und PV = NB(β, θ) gilt PU ∗ PV = NB(α + β, θ).

4. Fur PU = Ga(α, β) und PV = Ga(α, γ) gilt PU ∗ PV = Ga(α, β + γ).

5. Fur PU = N(µ, σ2) und PV = N(ν, τ2) gilt PU ∗ PV = N(µ + ν, σ2 + τ2).

Sei δ0 die Einpunktverteilung in 0.Fur eine Zufallsgroße U und alle n ∈ N0 wird die Verteilung

(P∗U)n :=

δ0 falls n = 0(P∗U)(n−1)

∗ PU sonst

als n-fache Faltung von PU bezeichnet.

Fur die Gesamtschaden-Verteilung PS im individuellen Modell gilt somit

PS = (P∗Z)n.

Beispiele fur n-fache Faltungen:

1. Fur PU = B(m, θ) gilt (P∗U)n = B(nm, θ).

2. Fur PU = Poi(α) gilt (P∗U)n = Poi(nα).

3. Fur PU = NB(α, θ) gilt (P∗U)n = NB(nα, θ).

4. Fur PU = Ga(α, β) gilt (P∗U)n = Ga(α,nβ).

5. Fur PU = N(µ, σ2) gilt (P∗U)n = N(nµ,nσ2).

2.7 Charakteristische Funktion

Definition Charakteristische Funktion: Fur eine Zufallsgroße U wird die FunktionφU : R→ C

mit

φU(t) := E(exp(itU))

als charakteristische Funktion der Verteilung von U bezeichnet.

Es gilt φU(0) = 1 und |φU(t)| ≤ 1.Besitzt U ein endliches n-tes Moment, so gilt

E(Un) = (−i)nφ(n)U (0).

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Fur stochastisch unabhangige Zufallsgroßen U und V gilt

φU+V(t) = φU(t)φV(t)

Zwischen Verteilungen und charakteristischen Funktionen existiert eine Bijektion; allerdingsist die Berechnung einer Verteilung aus einer charakteristischen Funktion schwierig.

Beispiele fur charakteristische Funktionen:

1. Fur PU = B(m, θ) gilt

φU(t) = ((1 − θ) + θeit)m.

2. Fur PU = Poi(α) gilt

φU(t) = e−α(1−eit).

3. Fur PU = NB(β, θ) gilt

φU(t) =

(1 − θeit

1 − θ

)−β.

4. Fur PU = Ga(α, γ) gilt

φU(t) =(α

α − it

)γ.

5. Fur PU = N(µ, σ2) gilt

φU(t) = exp(iµt −

σ2t2

2

).

Bemerkung:

1. Fur die charakteristische Funktion des Gesamtschadens S gilt im individuellen Modell:

φS(t) =

n∏i=1

φZi(t).

2. Fur die charakteristische Funktion des Gesamtschadens S gilt im individuellen Modellfur einen homogenen Bestand:

φS(t) =(φZ(t)

)n.

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2.8 Wahrscheinlichkeitserzeugende Funktion

Definition (wahrscheinlichkeits)erzeugende Funktion: Fur eine diskrete Zufallsgroße U mitWerten inN0 wird die Funktion mU : [0, 1]→ Rmit

mU(t) := E(tU) =

∞∑n=0

tnP(U = n)

als (wahrscheinlichkeits)erzeugende Funktion der Verteilung von U bezeichnet.

Bemerkung:Die erzeugende Funktion ist stetig, monoton wachsend und auf [0, 1[ unendlich oft differen-zierbar.Fur alle t ∈ [0, 1] gilt 0 ≤ mU(t) ≤ mU(1) = 1.

Aus der erzeugenden Funktion kann wegen

P(U = k) =1k!

m(k)U (0)

die Verteilung von U bestimmt werden.

Es ergibt sich

E(U) = m′U(1)

Var(U) = m′′U(1) + m′U(1) − (m′U(1))2.

Beispiele fur erzeugende Funktionen:

1. Fur PU = B(m, θ) gilt

mU(t) = ((1 − θ) + θt)m.

2. Fur PU = Poi(α) gilt

mU(t) = e−α(1−t).

3. Fur PU = NB(β, θ) gilt

mU(t) =(1 − θt

1 − θ

)−β.

Fur stochastisch unabhangige Zufallsgroßen U und V gilt

mU+V(t) = mU(t)mV(t)

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Bemerkung (im Fall ganzzahliger Schadenhohen):

1. Fur die erzeugende Funktion des Gesamtschadens S gilt im individuellen Modell:

mS(t) =

n∏i=1

mZi(t).

2. Fur die erzeugende Funktion des Gesamtschadens S gilt im individuellen Modell fureinen homogenen Bestand:

mS(t) = (mZ(t))n .

Die erzeugende Funktion besitzt eine eindeutige Fortsetzung zu einer Funktion

{z ∈ C | |z| ≤ 1} → C.

Diese Fortsetzung wird spater fur die Verknupfung einer erzeugenden Funktion mit einercharakteristischen Funktion benotigt.

2.9 Approximation der Verteilung des Gesamtschadens

Seien U und V Zufallsgroßen mit E(U) = µ und Var(U) = σ2 und PV = N(0, 1).Dann gilt fur die Zufallsgroße W := µ + σV

PW = N(µ, σ2) und also E(W) = µ, Var(W) = σ2.

U und W besitzen also dieselben Erwartungswerte und Varianzen.

Die Normal-Approximation ist die Approximation der Verteilung U durch die Verteilung vonW:

P(U ≤ u) ≈ P(W ≤ u) = P(

W − µσ≤

u − µσ

)= Φ

(u − µσ

).

Dabei bezeichnet Φ die Verteilung der Standardnormal-Verteilung N(0, 1).

Bemerkungen:

1. Da W normalverteilt, ist die Schiefe von W gleich Null und ist daher i.a. nicht gleich derSchiefe von U, und insbesondere ist die Normal-Approximation fur die i.a. rechtsschiefeVerteilung des Gesamtschadens nicht geeignet.

2. Die Normal-Approximation ist ein Spezialfall des Zentralen Grenzwertsatzes:

Sei (Ui)i∈N eine unabhangige und identisch verteilte Folge von Zufallsgroßen. Dann gilt

limn→∞

P

1n

n∑i=1

Ui − E(

n∑i=1

Ui

)Var

(n∑

i=1Ui

) ≤ c

= Φ(c).

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Definition Normal-Power Approximation

Seien U und V Zufallsgroßen mit E(U) = µ und Var(U) = σ2 und Schiefe γ > 0 und PV = N(0, 1).Dann gilt fur die Zufallsgroße

W := µ + σV +σγ

6

(V2− 1

)= µ −

γ2 + 96γ

σ +σγ

6

(V +

)2

W ≥ µ −γ2 + 9

6γσ und E(W) = µ.

Andererseits gilt

Var(W) = Var(µ + σV +

σγ

6

(V2− 1

))= σ2Var

(V +

γ

6

(V2− 1

))= σ2E

((V +

γ

6

(V2− 1

))2)

= σ2(1 +

γ2

18

),

und die Varianz von W stimmt i.a. nicht mit der Varianz von U uberein.

Wegen

E((W − E(W))3

)= E

(σ3

(V +

σγ

6

(V2− 1

))3)

= σ3γ

(1 +

γ2

27

)und

(√Var(W)3

)= σ3

(1 +

γ2

18

) 32

stimmt auch die Schiefe von W i.a. nicht mit der Schiefe von U uberein.

Fur alle u ≥ µ − γ2+96γ σ gilt

P(W ≤ u) = P

(V +3γ

)2

≤1γ2

(γ2 + 6γ

U − µσ

+ 9)

= Φ

√γ2 + 6γu − µσ

+ 9 − 3

−Φ

−√γ2 + 6γ

u − µσ

+ 9 − 3

.Definition:Die Normal-Power Approximation ist die Approximation der Verteilung von U durch

P(U ≤ u) ≈ Φ

√γ2 + 6γu − µσ

+ 9 − 3

.

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Beispiel:

Im Fall PU = Exp(

12

)gilt µ = 2, σ2 = 4, γ = 2. Daraus ergibt sich fur u ≥ −1

6

P(W ≤ u) = Φ

( √6u + 1 − 3

2

)−Φ

(−√

6u + 1 − 32

),

und die Normal-Power Approximation liefert

P(U ≤ u) ≈ Φ

( √6u + 1 − 3

2

).

Andererseits gilt P(U ≤ 0) = 0 und Φ(−1) = 1 −Φ(1) ≈ 0, 16.Der Median von Exp(α) ist ln 2

α , also im Beispiel med(U) = 2 ln 2 ≈ 1, 386.Wegen Φ(0) = 1

2 folgt fur den Median der Normal-Power Approximation 43 ≈ 1, 333.

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Kapitel 3

Kollektives Modell

Definition kollektives Modell Fur eine Zufallsgroße N mit P(N ∈ N0) = 1 und eine Folge vonZufallsgroßen (X j) j∈N heißt das Paar

(N, (X j) j∈N

)kollektives Modell, wenn die Folge (X j) j∈N

unabhangig und identisch verteilt ist und unabhangig von N ist.

In diesem Fall wird der Gesamtschaden S des Bestands durch S :=N∑

j=1X j definiert, und mit X

wird jede Zufallsgroße mit PX = PX j fur alle j ∈ N bezeichnet.

Bemerkung: Ein kollektives Modell(N, (X j) j∈N

)mit P(N = n) = 1 ist gleichzeitig ein individu-

elles Modell fur einen homogenen Bestand, und es gilt dannN∑

j=1X j =

n∑j=1

X j.

3.1 Momente des Gesamtschadens im kollektiven Modell

Fur den Erwartungswert des Gesamtschadens gilt

E(S) = E(N)E(X) (erste Gleichung von Wald).

Im Fall P(N = n) = 1 fur ein n ∈ N gilt E( Sn ) = E(X).

Fur die Varianz des Gesamtschadens gilt

Var(S) = E(N)Var(X) + Var(N) (E(X))2 (zweite Gleichung von Wald).

Im Fall P(N = n) = 1 fur ein n ∈ N gilt Var( Sn ) = 1

n Var(X).

Fur den Variationskoeffizienten des Gesamtschadens gilt

V(S)2 = V(N)2 +1

E(N)(V(X))2 (folgt aus erster und zweiter Gleichung von Wald).

Im Fall P(N = n) = 1 fur ein n ∈ N gilt V(S) = 1√

nV(X).

26

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Ungleichung von Cantelli im kollektiven Modell: Fur alle c > 0 gilt

P(S ≥ E(S) + c) ≤Var(S)

c2 + Var(S)

=E(N)Var(X) + Var(N) (E(X))2

c2 + E(N)Var(X) + Var(N) (E(X))2 .

3.2 Verteilung des Gesamtschadens im kollektiven Modell

Lemma: Fur alle B ∈ B(R) gilt

P(S ∈ B) =

∞∑n=0

P(N = n) · P

n∑j=1

X j ∈ B

=

∞∑n=0

P(N = n) ·(P∗X

)n(B).

Charakteristische Funktion des Gesamtschadens im kollektiven Modell

Satz: Fur alle t ∈ R gilt

φS(t) = mN(φX(t)

).

Beispiele:

1. Fur PN = B(m, θ) gilt

φS(t) = ((1 − θ) + θφX(t))m.

2. Fur PN = Poi(α) gilt

φS(t) = e−α(1−φX(t)).

3. Fur PN = NB(β, θ) gilt

φS(t) =

(1 − θφX(t)

1 − θ

)−β.

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Erzeugende Funktion des Gesamtschadens im kollektiven Modell

Satz: Im Fall P(X ∈ N0) = 1 gilt auch P(S ∈ N0) = 1, und fur alle t ∈ R gilt

mS(t) = mN (mX(t)) .

Beispiele:

1. Fur PN = B(m, θ) gilt

mS(t) = ((1 − θ) + θmX(t))m.

2. Fur PN = Poi(α) gilt

mS(t) = e−α(1−mX(t)).

3. Fur PN = NB(β, θ) gilt

mS(t) =

(1 − θmX(t)

1 − θ

)−β.

Panjer-Klassen

Die wichtigsten Schadenanzahl-Verteilungen sind

1. Die Binomial-Verteilung,

2. Die Poisson-Verteilung,

3. Die Negativbinomial-Verteilung.

Bemerkung: Diese Schadenanzahl-Verteilungen konnen durch eine gemeinsame Rekursions-formel charakterisiert werden.

Im gesamten Abschnitt sei N eine Zufallsgroße mit P(N ∈ N0) = 1, und fur alle n ∈ N0 sei

pn := P(N = n).

Lemma:

1. Fur PN = B(m, θ) gilt fur alle n ∈ N

pn =(m + 1

n− 1

1 − θpn−1.

2. Fur PN = Poi(α) gilt fur alle n ∈ N

pn =αn

pn−1.

3. Fur PN = NB(β, θ) gilt fur alle n ∈ N

pn =

(β − 1

n+ 1

)θpn−1.

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Ist also PN eine Binomial-, Poisson- oder Negativbinomial-Verteilung, so existieren a, b ∈ Rmita + b > 0 derart, daß fur alle n ∈ N gilt

pn =

(a +

bn

)pn−1.

Im Folgenden wird die Familie aller Schadenanzahl-Verteilungen untersucht, die obigeRekursionsformel erfullen.

Satz Panjer-Klasse Fur a, b ∈ R mit a + b > 0 sind folgende Aussagen aquivalent:

1. Fur alle n ∈ N gilt

pn =

(a +

bn

)pn−1.

2. Fur alle t ∈ [0, 1[ gilt

(1 − at)m′N(t) = (a + b)mN(t).

3. Fur alle n ∈ N und alle t ∈ [0, 1[ gilt

(1 − at)m(n)N (t) = (na + b)m(n−1)

N (t).

In diesem Fall gilt a < 1.

Korollar Panjer-Klasse:

1. Wenn es a, b ∈ R gibt mit a + b > 0 derart, daß fur alle n ∈ N gilt

pn =

(a +

bn

)pn−1,

ist mN auch an der Stelle t = 1 unendlich oft differenzierbar.

2. Wenn es a, b ∈ R gibt mit a + b > 0 derart, daß fur alle n ∈ N gilt

pn =

(a +

bn

)pn−1,

dann gilt

E(N) =a + b1 − a

Var(N) =a + b

(1 − a)2 , a , 1.

Hauptsatz Panjer-Klasse Folgende Aussagen sind aquivalent:

1. Es gibt a, b ∈ R mit a + b > 0 und

pn =

(a +

bn

)pn−1 fur alle n ∈ N.

2. PN ist eine Binomial-, Poisson- oder Negativbinomial-Verteilung.

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Bemerkung:Da die Binomial-, Poisson- oder Negativbinomial-Verteilungen durch eine gemeinsameRekursionsformel charakterisiert werden, kann die Gesamtheit dieser Verteilungen zu einereinzigen parametrischen Klasse von Verteilungen zusammengefaßt werden. Diese Klasse heißtPanjer Klasse.

Panjer-Rekursion in VL erwahnen.

3.3 Verdunnung eines kollektiven Modells

Definition verdunnte SchadenanzahlGegeben sein das kollektive Modell

(N, (Y j) j∈N

).

Es sollen nur Schaden betrachtet werden, deren Schadenhohe Werte in einer Menge C ∈ B(R)annimmt. Dann heißt

N′ :=N∑

j=1

1{Y j∈C}

die verdunnte Schadenanzahl.

Bemerkung: Es gilt

1.

PN′|N = B(N, η) mit η := P(Y ∈ C).

2. Sei η ∈]0, 1[. Da man N′ als Gesamtschaden im kollektiven Modell

(N, {1{Y j∈C}} j∈N)

interpretieren kann, folgt

mN′(t) = mN(1 − η + ηt).

Lemma:

1. Aus PN = B(m, θ) folgt PN′ = B(m, θη).

2. Aus PN = Poi(α) folgt PN′ = Poi(αη),

3. Aus PN = NB(β, θ) folgt PN′ = NB(β,

θη1−θ+θη

).

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Definition verdunnte Schadenhohe

Sei die Folge der zufalligen Numerierung der Schadenhohen mit Werten in C wie folgt definiert

ν0 := 0ν j := min{i ∈ N | ν j−1 < i,Yi ∈ C}.

Die Folge (Y′j) j∈N mit

Y′j :=∞∑

i=1

1{ν j=i}Yi

heißt Folge der verdunnten Schadenhohen.

Satz: Die verdunnte Schadenanzahl und die verdunnten Schadenhohen bilden ein kollektives Modell(N′, (Y′j) j∈N

),

und es gilt fur alle B ∈ B(R)

P(Y′ ∈ B) = P(Y ∈ B | Y ∈ C)

=1η

P(Y ∈ B ∩ C).

Binomial-Modell

Sei (n, (Z j) j∈{1,...,n}

)ein individuelles Modell fur einen homogenen Bestand mit

P(Z ≥ 0) = 1 und 0 < P(Z = 0) < 1.

Dies kann auch als kollektives Modell (N, (Z j) j∈N

)mit P(N = n) = 1 definiert werden.

Wird nun die Verdunnung nach der Menge C = R>0 durchgefuhrt, so erhalt man das kollektiveModell (

N′, (Z′j) j∈N

).

Dann gilt fur alle j ∈ N:

Z′j > 0,

und N′ ist die Anzahl aller Risiken im Bestand, die einen Schaden verursachen. Es gilt

PN′ = B(n, η) mit η = P(Z > 0).

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Satz: Fur den Gesamtschaden

S =

n∑j=1

Z j

im individuellen Modell fur einen homogenen Bestand und den Gesamtschaden

S′ =

N′∑j=1

Z′j

im zugehorigen kollektiven Modell gilt

S = S′.

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Kapitel 4

Tarifierung

4.1 Grundlagen der Tarifierung

Problemstellung:

1. Preis fur Risikoubernahme

2. Schadenkosten decken

3. Markt / Konkurrenz berucksichtigen

4. Notwendigkeit zur Pramiendifferenzierung

5. Anreize fur Schadenvermeidung und Schadenubernahme

Kundenanforderungen:

1. konstante kalkulierbare Pramie

2. Leistungsgarantie

3. Transparenz, Akzeptanz

Losungsansatze:

1. Risikoanalyse

2. Erwarteter Schaden, Zuschlage, Tarifierungsmodelle

3. Problematik: Großschaden, dunn besetzte Daten-Statistiken

4. Ruckversicherung

5. Marktbeobachtung, Marktkurven

6. Tarifierungsmerkmale, Leistungsvergleich

7. Bonus-Malus, Selbstbeteiligung, Pramienruckerstattung

33

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Schadenversicherungsmathematik SoSe 2017, Michael Frohlich, OTH Regensburg 34

Es ist i.a. Schaden , Entschadigung.

Entschadigung (netto) bei Berucksichtigung von

1. Ruckversicherung

2. Policenlimit

3. Beitragsruckgewehr

4. Franchise, Selbstbeteiligung

Daher (teilweise komplizierte) Anpassung der Schadenanzahl- und Schadenhohenverteilun-gen.

Pramienzerlegung:Man bezeichnet als Nettorisikopramie den Erwartungswert der Schadenaufwendungen(Entschadigungen + Schadenbearbeitungskosten).

Man bezeichnet als Bruttorisikopramie die Summe aus der Nettorisikopramie und einemKostenzuschlag fur den Versicherungsvertrieb und - betrieb und einem Gewinnzuschlag.

Sicherheitszuschlage:Wie groß sollte ein angemessener Sicherheitszuschlag sein, wenn die Verteilung der Schadenbekannt ist?Der Sicherheitszuschlag soll alle Zufallsschwankungen auffangen, z.B. benotigt man beigleichem Erwartungswert fur gefahrlichere oder schwankungsanfalligere Risiken einenhoheren Sicherheitszuschlag.

Kennzahlen fur die Große des Risikos:

1. Erwartungswert

2. Varianz, Schiefe, Tailwahrscheinlichkeit P(X > t)

3. Ruinwahrscheinlichkeit

4. Erwarteter Nutzen

Ziele der Tarifierung:Sicherstellung der Erfullung der eingegangenen Verpflichtungen:Zu jedem Zeitpunkt sollte die uber die Zeit akkumulierteRisikoreserve(= Startkapital + Einnahmen - Ausgaben) positiv sein.Das Startkapital wird auch als freie Reserve oder als Eigenkapital bezeichnet.

Erzielung einer angemessenen Rendite (wichtig fur Aktionare):Die Kapitalrentabilitat eines Unternehmens wird als Eigenkapitalrendite (return on equity)bezeichnet. Wieviel % Gewinn entfallt auf das eingesetzte Eigenkapital?

Eigenkapitalrendite =Gewinn

Eigenkapital· 100 in%.

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Schadenversicherungsmathematik SoSe 2017, Michael Frohlich, OTH Regensburg 35

Risiko- und Reserveprozeß

Der Risiko- und Reserveprozeß beschreibt das Risikogeschaft im Zeitablauf mit Hilfe einesSchadenmodells und eines Beitragmodells:Im Schadenmodell wird der Gesamtschadenprozeß modelliert mit Zeitindex t einer Periodeund Zufalllsgroßen Nt (Schadenanzahl),Xt (Schadenhohe) und St (Gesamtschaden).Im Pramienmodell wird der Pramienprozeß modelliert mit der Pramienrate P pro Zeiteinheitund den Beitragseinnahmen P · t im Zeitintervall ]0, t].

Zum Beispiel (Pramienprinzip) Erwartungswertprinzip:

P · t = (1 + δ)E(St) = (1 + δ)λtE(Xt),

wobei δ der Sicherheitszuschlag ist, λt = E(Nt) die erwartete Schadenanzahl im Zeitintervall(0, t] und E(Xt) die erwartete Einzel-Schadenhohe.

Definition des Risiko- und Reserveprozesses und abgeleiteter Kenngroßen

R0:= Anfangsreserve (Startkapital).

Rt := R0 + P · t − St (Reserve zum Zeitpunkt t).

Technischer Verlust zum Zeitpunkt t := {Rt < R0}. Schadenaufwendungen ubersteigentemporar die zugehorigen Beitragseinnahmen.

Technischer Ruin zum Zeitpunkt t := {Rt < 0}. Schadenaufwendungen ubersteigen zu einemZeitpunkt die Beitragseinnahmen zzgl. der Anfangsreserve.

Das Wort ”technisch” bedeutet, daß Kosten und Kapitalertrage (Investment, Zinsen) nichtberucksichtigt werden.

Definition Pramienprinzip:Ein Pramienprinzip H ist eine Abbildung von der Menge der nichtnegativen Zufallsgroßen(Risiken) in die Menge R≥0 (Pramien).

Mit Hilfe von Pramienprinzipien werden den Risiken angemessene Pramien zugeordnet.

Beispiele fur Pramienprinzipien mit geeigneten Parametern a, α > 0:

1. Nettorisikoprinzip: E(X).

2. Erwartungswertprinzip: E(X) + αE(X).

3. Varianzprinzip: E(X) + αVar(X).

4. Standardabweichungsprinzip: E(X) + α√

Var(X).

5. Exponentialprinzip: 1a ln(E(exp(aE(X))).

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Schadenversicherungsmathematik SoSe 2017, Michael Frohlich, OTH Regensburg 36

Nullnutzenprinzip:

Die Pramie π lost die Gleichung

u(0) = E(u(π − X)),

wobei u eine Nutzenfunktion ist: u′ > 0 und u′′ < 0, u(0) = 0, u′(0) = 1.Die Gleichung ist i.a. nicht nach π auflosbar.

Der erwartete Nutzen mit Versicherungsgeschaft ist genau so groß wie der Nutzen ohneVersicherungsgeschaft.

u(x) = 1a (1 − exp(−ax)) fur a > 0 wird als Nutzenfunktion im Exponentialprinzip verwendet.

Bemerkung:Pramienprinzipien sind anwendbar auf das einzelne Risiko oder den gesamten Bestand.Beide Methoden ergeben dasselbe, wenn das Pramienprinzip additiv ist: H(X+Y) = H(X)+H(Y)fur alle stochastisch unabhangigen Risiken X,Y.Die Pramienprinzipien: Erwartungswertprinzip, Varianzprinzip und Exponentialprinzip sindadditiv.

Definition: Ein Pramienprinzip heißt erwartungswertubersteigend genau dann, wennSZ(X) > 0 fur alle X mit Var(X) > 0, wobei SZ(X) := H(X) − E(X) der Sicherheitszuschlag vonH ist.

Das Nullnutzenprinzip ist z.B. erwartungswertubersteigend. (Beweis mit Hilfe der JensenschenUngleichung E(u(Y)) < u(E(Y)) fur konkaves u)

Statistik in der Schadenversicherung

Wenn die Verteilung P von der Zufallsgroße X unbekannt ist, aber Beobachtungen (x1, . . . , xn)vorliegen, wird folgende Methode angewendet:

Sind X1, . . . ,Xn stochastisch unabhangig und identisch verteilt mit Verteilung P, dann konnenE(X) und Var(X) erwartungstreu geschatzt werden durch das arithmetische Mittel

xn :=1n

n∑i=1

xi

und die Stichprobenvarianz

s2 :=1

n − 1

n∑i=1

(xi − xn)2 .

Berucksichtigung unterschiedlicher Datencharakteristika:Z.B. Anpassung mit Inflationsindex oder durch geeignete Volumenmaße oder Trennung nachRisikoklassen.

Beispiel: Gegeben seien folgende Daten:xi, j,k Schadenbeobachtungen, klassifiziert nach zwei Merkmalen A und B mit Merkmals-auspragungen i = 1, . . . , p fur Merkmal A und i = 1, . . . , q fur Merkmal B. In jeder Klasse(i, j) liegen n Beobachtungen vor, d.h. k = 1, . . . ,n (Kreuzklassifikation).

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Grundideen und Techniken zur Schatzung von Erwartungswerten in Risikoklassen

1. Trennung von Schadenanzahl und Schadenhohe (verschiedene Verteilungen dafur geeig-net).

2. Fuhrt Zerlegung der Daten nach Merkmal A und B zu homogenen Gruppen (Teilkollek-tiven)?

3. Maße fur Modellgenauigkeit und Komplexitat: sukzessive Elimination unwichtigerMerkmale; sukzessive Berucksichtigung wichtiger Merkmale

4. Faktoranalyse zur Reduktion der Zahl der Parameter.

5. Korrelationsanalyse zur Interpretation der Faktoren.

Man betrachtet z.B. fur obiges Beispiel geschachtelte Modelle:

1. M1: Alle Zellen haben denselben Mittelwert

E(Xi jk) = µ, µ geschatzt durch µ =1

pqn

∑i, j,k

xi, j,k.

2. M2: Alle Zellen mit gleichem i haben denselben Mittelwert

E(Xi jk) = µi, µi geschatzt durch µi =1

qn

∑j,k

xi, j,k, i = 1, . . . , p.

3. M3: Alle Zellen haben unterschiedliche Mittelwerte

E(Xi jk) = µi j, µi j geschatzt durch µi j =1n

∑k

xi, j,k, i = 1, . . . , p, j = 1, . . . , q.

Jedes dieser Modelle ergibt eine Summe von Fehlerquadraten

s1 =∑i, j,k

(xi, j,k − µ

)2,

s2 =∑i, j,k

(xi, j,k − µi

)2,

s3 =∑i, j,k

(xi, j,k − µi, j

)2.

Fur die Modellfehler gilt s1 ≥ s2 ≥ s3, und die drei Modelle haben 1, p bzw. pq Parameter, d.h.fallende Modellfehler bei steigender Komplexitat.

Bemerkung: Dem Problem der großen Anzahl von Parametern im Vergleich zu den Beobach-tungen begegnet man mit linearen Modellen.

1. M1 : E(Xi jk) = µ, µ heißt Kontrast.

2. M2 : E(Xi jk) = µ + ai mit Zeileneffekt ai, Merkmal A.

3. M1 : E(Xi jk) = µ + ai + b j mit Spalteneffekt b j, Merkmal B.

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Reduktion der Parameter-Anzahl im 3. Modell von pq auf p + q + 1.Zur Identifikation der Parameter benotigt man die Normierung a1 = 0 = b1, sonst wurde manz.B. aus µ′ = µ+c und a′i = ai−c dieselbe Darstellung µ+ai = µ′+a′i fur die Mittelwerte erhalten.

Teilschritte des Tarifierungsprozesses bei Neu- oder Nachkalkulation:

1. Qualitatssicherung zu verwendender Daten (Kapitel 2).

2. Ermittlung einer Kalkulationsstatistik (Kapitel 2).

3. Auswahl eines Tarifmodells und Anwendung aktuarieller Ausgleichsverfahren (Kapitel3).

4. Berucksichtigung weiterer Kostenkomponenten (Kapitel 3).

5. Festlegung des Tarifs (Kapitel 3).

6. Erfassung der Selektionseffekte (Kapitel 4).

4.2 Daten aus Tarifierungsstatistiken

Risikomerkmale und Schadendaten konnen im Rahmen der Tarifierung zur Bildung vonRisikoklassen herangeogen werden.

Definition Tarifmerkmal: Alle bei Vertragsabschluß (oder spater) erhobenen Daten wie z.B.

1. personliche Daten des Versicherungsnehmers

2. technische Daten des versicherten Objektes

3. Informationen uber die Benutzung des Objektes

4. Schadenhistorie

Ein Risikomerkmal wird zu einem Tarifmerkmal, wenn es tatsachlich zur Tarifierung verwen-det wird.

Die Maxime der Tarifierung ist: Aus gleichen Tarifmerkmalen folgt gleiches Risiko.

1. Risikomerkmale, die auch als Tarifmerkmale verwendet werden mit den Risikofaktorenam Beispiel der KH-Versicherung:

(a) Typklasse: z.B. Gewicht, Maximalgeschwindigkeit, PS.

(b) Regionalklasse: z.B. Straßen- und Witterungsverhaltnisse.

(c) Beruf: z.B. soziale Stellung, Mindestalter.

2. Risikomerkmale, die keine Tarifmerkmale sind am Beispiel der KH-Versicherung:

(a) Reaktionsgeschwindigkeit des Hauptnutzers: z.B. Gefahrvermeidung - situativ undtemporar sehr unterschiedlich.

(b) Nationalitat: z.B. Nutzungsart - Diskriminierungsverbot (Schweiz macht es).

(c) Aggressivitat: riskante Fahrweise - schwierige Quantifizierung.

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Schadenversicherungsmathematik SoSe 2017, Michael Frohlich, OTH Regensburg 39

3. Tarifmerkmale, die keine Risikomerkmale sind am Beispiel der KH-Versicherung:

(a) Zahlungsweise: z.B. Kostenersparnis.

(b) Bundelrabatte: Einsparen von Verwaltungskosten.

Qualitatssicherung der zu verwendenden Daten:

1. Daten mussen auf Vollstandigkeit, Anwendbarkeit und Richtigkeit untersucht werden.

2. Aufbereitung der Daten:

(a) Behandlung von Großschaden und Kumulereignissen (z.B. Kupierung).

(b) Behandlung von Nullschaden.

(c) Adaquate Berucksichtigung der Schadenruckstellungen zur Bestimmung des End-schadenaufwands (ultimate loss) mit Hilfe der aktuariellen Methoden aus der Re-servierung.

3. Datenprufungen bei quantitativen und qualitativen Daten mit Histogrammen und Q−QPlots.

Kennzahlen fur Daten aus Tarifierungsstatistiken

Definition Exposure und Exposuremaß:Als Exposure wird das Gefahrdungspotential / Risiko eines Versicherungsvertrags oder einesBestands bezeichnet.Das Exposuremaß oder auch Volumenmaß ist das Maß fur die Bewertung des versicherungs-technischen Risikos einer versicherungstechnischen Einheit, z.B. Jahreseinheiten, Anzahl derRisiken, Pramieneinnahmen, Versicherungssummen.

Schadenkennzahlen in Bezug auf einen Bestand und eine feste Periode:

1. Schadenquote (loss ratio) := SchadensummePramien = S

P .

2. Schadengrad oder Schadensatz := SchadensummeVersicherungssumme = S

V .

3. Schaden-Kosten-Quote (combined ratio) := Schadensumme+KostensummePramien = S+K

P .

4. Schadenfrequenz, Schadenhaufigkeit := Anzahl der SchadenAnzahl der Policen = N

n .

5. Schadendurchschnitt := SchadensummeAnzahl der Schaden = S

N .

6. Schadenbedarf := Schadenfrequenz · Schadendurchschnitt = Nn ·

SN = S

n .

Bemerkung: Fur die Zufallsgroße Schadendurchschnitt D = SN ,N > 0 gilt im kollektiven Modell

PD = PSN |N>0, E(D) = E(X), Var(D) = Var(X) · E

( 1N| N > 0

).

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Großschadenproblematik

Ein Großschaden ist ein selten auftretender großer Schaden, der die Schatzung der Parameterfur die Schadenhohenverteilung signifikant beeinflußt.Durch Kupierung (Schaden oberhalb der Kupierungsgrenze werden auf die Kupierungsgrenzezuruckgesetzt) erreicht man Bereinigung des zufalligen Einflusses, wenn Großschaden ineinzelnen Wagniszellen zufallig auftreten, d.h. daß kein kausaler Zusammenhang zwischendem Schadengeschehen dieser Risikogruppe und dem Auftreten von Großschaden besteht.

In der KH-Versicherung ermittelt man die Kupierungsgrenzen von Großschaden fur die ein-zelnen Fahrzeugtypen mit Hilfe der Tschebyschev-Ungleichung

P(|X − µ| ≥ kσ

)≤

1k2 ,

wobei X eine Zufallsgroße ist mit E(X) = µ und Var(X) = σ2.

Als KH-Kupierungsgrenze wahlt man allgemein µ + kσ mit folgenden Parametern k in derPraxis:

k = 45 als einheitliche Supergroßschadengrenze uber alle Risikogruppen, d.h. nach Tscheby-schev werden maximal 0, 05% der Schaden ausgeschlossen. 2005 war die KH-Kupierungsgrenzeknapp 1 mio. EUR bei PKW.

k = 10 als individuelle Großschadengrenze uber jede Tarifgruppe, d.h. nach Tschebyschevwerden maximal 1% der Schaden ausgeschlossen. 2005 waren die KH-Kupierungsgrenzenzwischen 39k und 210k EUR bei PKW.

Ermittlung einer Kalkulationsstatistik auf Unternehmens-, Pool- oder Verbandsebene:

1. Kalkulationsstatistiken werden aus Schaden- und Bestandsdaten aufbereitet.

2. In der Meldejahrbetrachtung werden alle Schaden nach dem Meldedatum geordnet (no-tification , claims made).

3. In der Anfalljahrbetrachtung werden alle Schaden dem Ereignisjahr zugeordnet (lossesoccurring during).

4. Ermittlung von risikodifferenzierenden Merkmalen als mogliche Tarifmerkmale furdie Zielgroße Schadenbedarf, z.B: durch uni- und multivariate statistische Verfahren(Regressions- und Varianzanalyse) und durch Untersuchung der Abhangigkeitsstrukturmoglicher Tarifmerkmale (Korrelationsanalyse) und Ranking der Merkmale bzgl. ihrerRisikorelevanz.

5. Bestimmung geeigneter Auspragungsklassen moglicher Tarifmerkmale (Cluster- Fakto-renanalyse).

6. Auswahl der Tarifmerkmale und Festlegung der Tarifzellen uber die Merkmalsstrukturder Tarifmerkmale (Segmentierungsverfahren).

Wenn Tarifmerkmale stochastisch unabhangig, dann ist gemeinsame Verteilung gleich Pro-dukt der Randverteilungen. Wenn Tarifmerkmale stochastisch abhangig, enthalt gemeinsameVerteilung bedingte Verteilungen. Copulas werden aktuell angewendet.

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Schadenversicherungsmathematik SoSe 2017, Michael Frohlich, OTH Regensburg 41

4.3 Modelle und Schatzverfahren

Auswahl eines Tarifmodells:

Das Tarifmodell legt fest, wie sich die Pramie aus den einzelnen Komponenten zusammensetzt.Das Tarifierungsverfahren gibt an, wie die Schadenkosten fur die einzelnen Tarifzellen zuermitteln sind.

Fur die Bestimmung der Nettorisikopramien b kommen insbesondere folgende Modelle inBetracht:

1. Multiplikatives Modell : biii2...ir = sb•• ·r∏

k=1uik .

2. Additives Modell : bi1i2...ir = sb•• +r∑

k=1uik .

Mit folgenden Bezeichnungen:

1. r = Anzahl der Tarifmerkmale (im Folgenden meistens r = 2).

2. nk = Anzahl der verschiedenen Auspragungen des k-ten Tarifmerkmals, k = 1, . . . , r.

3. bi1i2...ir Nettorisikopramie fur Risikoklasse (i1, i2 . . . , ir).

4. uik = Tarif - oder Marginalfaktor bzw. Tarif - oder Marginalsummand der ik-ten Aus-pragung des k-ten Merkmals, ik = 1, . . . ,nk und k = 1, . . . , r.

5. sb•• Schadenbedarfsdurchschnitt (Basispramie) des Gesamtkollektivs.

Bemerkung: Die Tariffaktoren und Tarifsummanden sind duch geeignete Ausgleichsverfahrenwie z.B. das Marginalsummenverfahren zu schatzen.

Beispiel KH-PKW:In Segment KH-PKW werden je nach Unternehmen bis zu 7 Tarifmerkmale (mit Zahl derAuspragungen in Klammern) verwendet:

1. Berufklasse (3)

2. Typklassen (25)

3. Regionalklassen (16)

4. Bonus-Malusklassen (34)

5. Altersklassen (3)

6. Jahres-km-Klassen (5)

7. Fahrerzahl-Klassen(3)

Das sind insgesamt 1.836.000 Tarifklassen (Zellen), von denen viele nur schwach besetzt sind,d.h. die Schadendaten reichen fur eine aussagekraftige Tarifierung nicht aus.

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Vorgehen zur Stabilisierung der Tarifklassen:

1. Einbeziehung von benachbarten Zellen in die Tarifierung, d.h. Vergroßerung der Stich-probe.

2. Einfuhrung eines Marginalfaktors bzw. Marginalsummands fur jede Auspragungsklassejedes Tarifmerkmals.

3. Pramie = Summe bzw. Produkt der Marginalsummanden bzw. Marginalfaktoren.

Beispiel Marginalfaktoren bei 2 facher Klassifikation, d.h. r = 2:Pramie = Produkt der Kombination von Marginalfaktoren.Alter A (p = 3 Auspragungsklassen; Marginalfaktoren xi)Geschlecht (q = 2 Auspragungsklassen; Marginalfaktoren y j)

Alter/ Geschlecht Frau :y1 Mann: y2

A ≤ 21 : x1 x1y1 x1y2

21 < A ≤ 59 : x2 x2y1 x2y2

59 < A : x3 x3y1 x3y2

Der Tarif wird durch die Summe der Anzahl der Marginalfaktoren (p+q = 3+2 = 5) beschrieben.

Faktorenmodell bei zweifacher Kreuzklassifikation (r = 2): Gegebene Parameter:

1. A,B Tarifmerkmale mit p Merkmalsauspragungen fur A und q Merkmalsauspragungenfur B.

2. si j = Gesamtschaden in Tarifklasse i, j mit i = 1, . . . , p, j = 1, . . . , q.

3. ni j =Volumen in Tarifklasse i, j (z.B: Anzahl der Policen / Risiken).

4.

sbi j :=si j

ni j

= Schadenbedarf in Tarifklasse i, j.

ni• :=q∑

j=1

ni j, n• j :=p∑

i=1

ni j, n•• :=p∑

i=1

q∑j=1

ni j, i = 1, . . . , p, j = 1, . . . , q

.5.

sb•• :=p∑

i=1

q∑j=1

si j

n••=

p∑i=1

q∑j=1

ni j

n••sbi j

= Schadenbedarfsdurchschnitt des Gesamtkollektivs.

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Tarifierung mittles Marginaldurchschnitten:

1. Marginaldurchschnitt der i-ten Auspragung des Merkmals A:

xi :=si1 + · · · + siq

ni•, i = 1, . . . , p

2. Marginaldurchschnitt der j-ten Auspragung des Merkmals B:

y j :=s1 j + · · · + spj

n• j, j = 1, . . . , q

3. Normierter Marginaldurchschnitt der j-ten Auspragung des Merkmals B:

y j :=y j

sb••, j = 1, . . . , q

4. Bedarfspramie in Tarifklasse i, j:

bi j := xi · y j, i = 1, . . . , p, j = 1, . . . , q.

Bemerkung: Eine Tarifierung mittels Marginaldurchschnitten liefert keine zufrieden stellendeErgebnisse.

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Verfahren von Bailey und Simon

Die Minimierung des der Testgroße des Chi-Quadrat-Anpassungstests nachgebildeten Di-stanzmaßes

Q =

p∑i=1

q∑j=1

(si j − ni jxiy j

)2

ni jxiy j=

p∑i=1

q∑j=1

ni j

(sbi j − xiy j

)2

xiy j

fuhrt auf die Bedingungen

xi =

√√√√√√√√√√√√√√√q∑

j=1

ni jsb2i j

y j

q∑j=1

ni jy j

, i = 1, . . . , p y j =

√√√√√√√√√√√√√ p∑i=1

ni jsb2i j

xi

p∑i=1

ni jxi

, j = 1, . . . , q.

Diese Gleichungen konnen, ausgehend von Startwerten y(0)j = 1, fur m → ∞ iterativ gelost

werden mit schneller Konvergenz.

x(m+1)i =

√√√√√√√√√√√√√√√q∑

j=1

ni jsb2i j

y(m)j

q∑j=1

ni jy(m)j

→ x∗i , y(m+1)j =

√√√√√√√√√√√√√ p∑i=1

ni jsb2i j

x(m+1)i

p∑i=1

ni jx(m+1)i

→ y∗j,

und

bi j = x∗i y∗j

ist dann die Bedarfspramie in Tarifklasse i, j.

Bemerkung: Das Verfahren von Bailey und Simon

1. reagiert empfindlich auf Ausreißer in einzelnen Zellen,

2. uberschatzt systematisch den beobachteten Gesamtschaden,

3. wurde von 1962-1994 zur Erstellung des deutschen Autotarifs eingesetzt (ab 1995 Dere-gulierung).

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Marginalsummenverfahren

Das Marginalsummenverfahren wird vom Gesamtverband (GDV) seit 1995 zum Ausgleichvon Schadentafeln (Bereinigung von Zufallsfehlern) eingesetzt.

Der Ansatz fur die Schadenbedarfspramie lautet

bi j = sb•• · uiv j,

wobei die Parameter ui und v j die folgenden Marginalsummenbedingungen erfullen sollen:

q∑j=1

ni jsb•• · uiv j =

q∑j=1

si j =

q∑j=1

ni jsbi j, i = 1, . . . , p

p∑i=1

ni jsb•• · uiv j =

p∑i=1

si j =

p∑i=1

ni jsbi j, j = 1, . . . , q.

Diese Gleichungen konnen, ausgehend von Startwerten v(0)j = 1, fur m → ∞ iterativ gelost

werden mit schneller Konvergenz. Das Marginalsummenverfahren ist weniger empfindlichauf Ausreißer in einzelnen Zellen als das Verfahren von Bailey und Simon.

u(m+1)i =

q∑j=1

ni jsbi j

q∑j=1

ni jsb•• · v(m)j

→ u∗i , i = 1, . . . , p

v(m+1)j =

p∑i=1

ni jsbi j

p∑i=1

ni jsb•• · u(m+1)i

→ v∗j, j = 1, . . . , q.

bi j = sb•• · u∗i v∗

j

ist dann die Bedarfspramie in Tarifklasse i, j und

u∗i v∗

j ≈sbi j

sb••=: ri j

heißt der normierte Schadenbedarf.

Nachteile dieser Modelle: Keine stochastischen Modelle, also keine Angaben moglich zu

1. Genauigkeit der Schatzer.

2. Gute der Anpassung an die Daten.

3. Prognosegenauigkeit.

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Stochastische Ausgleichsverfahren

Stochastische Ausgleichsverfahren verwenden Wahrscheinlichkeitsverteilungen zur Model-lierung, z.B.

1. Auf der modifizierten Poissonverteilung beruhendes Verfahren, welches als Gleichungfur die Maximum-Likelihood-Schatzer die Marginalsummenbedingung liefert, und fuhrtauf ein verallgemeinertes lineares Modell (GLM).

2. Auf der Lognormalverteilung beruhendes Verfahren, welches unter Anwendung derMethode der kleinsten Quadrate auf ein lineares Modell - hier Regressionsmodellfuhrt.

3. Auf der Gammaverteilung beruhendes Verfahren, dessen Likelihood-Gleichungen durcheine Linearisierung der Parameterstruktur (log-Link-Funktion) auf ein verallgemeinerteslineares Modell fuhren.

Bemerkung: Fur lineare und verallgemeinerte lineare Modelle existiert reichhaltige Software.

Im Folgenden wird das auf der Gammaverteilung beruhende Verfahren erlautert:

Der beobachtete Gesamtschaden si j der Tarifzelle i, j wird als Realisierung der ZufallsgroßeSi j betrachtet, und der auf das Volumen ni j bezogene Gesamtschaden sbi j =

si j

ni jwird als

Realisierung der Zufallsgroße SBi j =Si j

ni jbetrachtet.

Gesucht sind nun Marginalparameter xi und y j derart, daß

E(SBi j) = xiy j ≈ sbi j bzw. E(Si j) = ni jxiy j ≈ si j.

Da SBi j nichtnegativ und rechtsschief ist, ware die Normalverteilung nicht zur Approximationgeeignet.

Man trifft die Annahme, daß der Gesamtschaden Si j (bei bekanntem Volumen ni j) eine gamma-verteilte Zufallsgroße ist

Si j ∼ Γ(ai j, bi j).

Fur ein zellenunabhangiges geeignetes α > 0 mit

ai j =α

xi · y j, bi j = α · ni j, i = 1, . . . , p, j = 1, . . . , q

wurde gelten

E(Si j) =bi j

ai j=α · ni jα

xi·y j

= ni j · xi · y j, i = 1, . . . , p, j = 1, . . . , q

Var(Si j) =bi j

a2i j

=α · ni j

α2

(xi·y j)2

=ni j

α· x2

i · y2j , i = 1, . . . , p, j = 1, . . . , q

Vorteil: (p + q + 1) Parameter anstatt 2pq.

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Schadenversicherungsmathematik SoSe 2017, Michael Frohlich, OTH Regensburg 47

Schatzung der Parameterα, x1, . . . , xp, y1, . . . , yq durch die ML-Methode mit Hilfe der gegebenenSchadendaten si j, (i = 1, . . . , p, j = 1, . . . , q) und der Dichte f von Si j im Punkt s = si j > 0(i = 1, . . . , p, j = 1, . . . , q).

f (si j; ai j, bi j) = e−ai jsi j · sbi j−1i j ·

abi j

i j

Γ(bi j)

= e−α·si jxi ·yj · s

α·ni j−1i j ·

xi·y j

)α·ni j

Γ(α · ni j).

Vorteile der Maximum-Likelihood-Methode: Konsistente und asymptotische Schatzung, unddie Genauigkeit der Schatzer ist uberprufbar.

Die Beobachtungen si j werden als unabhangig vorausgesetzt, und die Log-Likelihood-Funktion ergibt sich dann wie folgt

ln L(si j;α, xi, y j) = ln

p,q∏i, j

f (si j; ai j, bi j)

=

p∑i=1

q∑j=1

ln(

f (si j; ai j, bi j)).

Die Maximierung der Log-Likelihood-Funktion erfolgt uber die Maximierung der Parameterxi, y j, α, und es werden dazu die partiellen Ableitungen gleich Null gesetzt (fur α spater):

0 =∂ln(L)∂xi

= α

q∑j=1

si j

x2i y j−

ni j

xi

, (i = 1, . . . , p)

0 =∂ln(L)∂y j

= α

p∑i=1

si j

xiy2j

−ni j

y j

, ( j = 1, . . . , q),

und daraus folgt

xi =

q∑j=1

si j

y j

q∑j=1

ni j

, (i = 1, . . . , p)

y j =

p∑i=1

si j

xi

p∑i=1

ni j

, ( j = 1, . . . , q).

Dieses Gleichungssystem kann ausgehend von den Startwerten y1 = · · · = yq = 1 iterativ gelostwerden, und es ergeben sich als Losungen die Schatzwerte xi und y j, (i = 1, . . . , p, j = 1, . . . , q).

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Schadenversicherungsmathematik SoSe 2017, Michael Frohlich, OTH Regensburg 48

Fur weitergehende Untersuchungen bzgl. der Genauigkeit dieser Schatzer wird der Parameterα als Schatzer benotigt, welchen man iterativ aus folgender Gleichung erhalt

0 =∂ln(L)∂α

=∑

i, j

ni j

ln(αsi j

xi y j

)−

Γ′(αni j

)Γ(αni j

) .Bemerkung:Das Gleichungssystem zur Bestimmung von xi und y j laßt sich wie folgt umschreiben:

0 = ni j

q∑j=1

sbi j − xi y j

(xi y j)2 xi y j, (i = 1, . . . , p)

0 = ni j

p∑i=1

sbi j − xi y j

(xi y j)2 xi y j, ( j = 1, . . . , q).

Wird nun eine lineare Parametrisierung mit der log-Link-Funktion

g(xi, y j) := ln(xiy j) = ln(xi) + ln(y j) =

p+q∑m=1

ξ(i, j),mβm

durchgefuhrt mit

(β1, . . . , βp, βp+1, . . . , βp+q) = (ln(x1), . . . , ln(xp), ln(y1), . . . , ln(yq))

und

ξ(i, j),m =

1, falls m = i oder m = p + j0 sonst

,

so erhalt man

p∑i=1

q∑j=1

ni jsbi j − xi y j

(xi y j)2

∂xiy j

∂βm= 0, (m = 1, . . . , p + q).

Dieses Gleichungssystem hat die Struktur der Likelihood-Gleichungen eines verallgemeinertenlinearen Modells.

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Schadenversicherungsmathematik SoSe 2017, Michael Frohlich, OTH Regensburg 49

Integration weiterer Kostenelemente zur Nettopramie

Liegen geeignete Basisschadenbedarfe SBBasis vor, z.B. durch eigene Kalkulationsstatistikenoder von der GDV, so folgt fur die (Brutto)Tarifpramie

TP =SBBasis · (1 + SZ) · (1 + SE) · (1 + SRK) + Fixkosten

1 − varKo − KapKo

mit

SZ = SicherheitszuschlagSE = Zuschlag fur zukunftige SchadenentwicklungSRK = variable SchadenregulierungskostenvarKo = variabler KostensatzKapKo = Kapitalkostensatz.

Rabatt-, Gewinn- und Selektionszuschlage konnen zusatzlich integriert werden.

Definition eines Tarifs

Jedes Risiko Ri mit den Auspragungen r1i, r2i, . . . der Risikomerkmale RM1,RM2, . . . und denindividuellen Schaden x1i, x2i, . . . wird uber den Tarif eindeutig in eine Tarifklasse mit denAuspragungen t1i, t2i, . . . , tri der r Tarifmerkmale TM1,TM2, . . . ,TMr mit einer TarifpramieTP(t1i, t2i, . . . , tri) zugeordnet.

4.4 Pramiendifferenzierung und Selektionseffekte

Definition Antiselektion: In einem Versicherungsmarkt mit Differenzierung kommt es beiVersicherungsunternehmen (VU), welche keine Differenzierung vornehmen, zur sogenanntenAntiselektion (adverse selection).Der Prafix ”anti” hat folgende Bedeutung: Eigentlich wollen die VU durch Risikoselektiondie guten Risiken an sich binden. Wenn dies aber den anderen VU gelingt, bekommen diebetrachteten VU ein Ubergewicht an schlechten Risiken, und zwar durch Antiselektion.

Beispiel fur Antiselektion:

Angenommen, es gibt zwei Arten von Risiken A und B mit Erwartungswerten E(A) bzw. E(B),wobei E(A) < E(B). VU 1 differenziert, wahrend VU 2 nicht differenziert. Wenn die VU jeweilsdie Nettorisiko-Pramien verlangen, wird VU 1 die Pramien E(A) bzw. E(B) fur die Risiken Abzw. B verlangen, wahrend VU 2 von beiden eine Einheitspramie m mit E(A) < m < E(B)verlangt. Dies bewirkt folgende Wanderbewegung:Risiken A zu VU 1 und Risiken B zu VU 2, und dadurch wird VU 2 gezwungen, die Pramie min Richtung E(B) anzupassen, was nachteilig furs Neugeschaft ist, denn B-Risiken halten sichi.a. fur gute A-Risiken.

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Sekundare Pramiendifferenzierung: Bonus-Malus-Systeme

Pramien, die vom Schadenverlauf abhangen, werden z.B. duch sogenannte Bonus-Malus-Systeme entwickelt.

Definition: Ein Bonus-Malus-System ist definiert durch

1. Klassen 0, 1, . . . ,m, wobei 0 der Einstiegsklasse entspricht.

2. Gegebene Pramien B(0),B(1), . . . ,B(m) fur die einzelnen Klassen.

3. Ubergangsregeln: T( j, k) ist die Klasse, die man ausgehend von Klasse j bei genau kSchaden erreicht (Umstufung), j = 0, . . . ,m und k = 0, 1, 2, . . . .

Insbesondere ist die Klassenzugehorigkeit im Zeitablauf zufallig und abhangig von derSchadenanzahlverteilung.

Einfaches stochastisches Modell fur einen Versicherungsnehmer:Ausgehend von den zufalligen, stochastisch unabhangigen Schadenanzahlen N = Nt in denPerioden t = 1, 2, . . . und deren identischen Verteilung P kann man die Folge der Klassen K1 =0,K2, . . . , welche der Versicherungsnehmer in den Perioden t = 1, 2, . . . durchlauft als Markov-Kette modellieren mit der Ubergangswahrscheinlichkeit (Wahrscheinlichkeit, von Klasse j inKlasse j eingestuft zu werden)

p(i, j) :=∑

k>0,T( j,k)=i

P(N = k).

Diese Gleichung impliziert, daß die Wahrscheinlichkeit pt(i), in Periode t in Klasse Kt = i zu sein,nur von der Verteilung der Kt−1 in der Periode t − 1 und den Ubergangswahrscheinlichkeitenp(i, j) abhangt. Das nennt man Markov-Eigenschaft.

Damit konnen die pt(i) rekursiv berechnet werden mit Rekursionsanfangp1(0) = 1, p1(1) = 1, . . . , p1(m) = 1:

pt(i) =

m∑j=0

pt−1( j) · p(i, j), i = 0, . . . ,m t = 2, 3, . . . ,

und fur den Erwartungswert der Pramienzahlungen in der Periode t gilt dann

E(B(Kt)) =

m∑j=0

pt(i) · B(i).

Bemerkung: Pramien, die nicht nur von der erreichten Klasse abhangen, sondern auchvon der Laufzeit des Vertrags, sind fur die Praxis nicht gut anwendbar. Daher wahlt manfur die Tarifierung die stationare Verteilung, die sich aus folgender Grenzwertbildungπi := lim

t→∞pt(i), (i = 0, 1, . . . ,m) ergibt:

Definition: Eine stationare Verteilung (π0, . . . , πm) ist definiert durch

m∑j=0

π jp(i, j) = πi (i = 0, 1, . . . ,m) mitm∑

j=0

π j = 1.

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Schadenversicherungsmathematik SoSe 2017, Michael Frohlich, OTH Regensburg 51

Da

limT→∞

1T

T∑t=1

E(B(Kt)) =

m∑j=0

π jB( j),

wird E(B(Kt)) durchm∑

j=0π jB( j) ersetzt.

Bemerkungen:

1. Die Grenzwerte πi konnen als Anteil der Versicherungsnehmer in Klasse i bei sehr langerBestandszugehorigkeit aufgefaßt werden unter Zugrundelegung der Schadenanzahlver-teilung P.

2. Die Berechnung der stationaren Verteilung erfolgt mit Hilfe der(m + 1)× (m + 1) Ubergangsmatrix A =

(p(i, j)

)j,i=0,...,m, deren Zeilensummen gleich 1 sind.

A enthalt in der Regel viele Nullen, da die Umstufung nur in wenige andere Klassenmoglich ist.Die stationare Verteilung π = (π0, π1, . . . , πm) ist formal ein Eigenvektor zum Eigenwert 1der Matrix At, da gilt At

·π = π, und ein Eigenvektor existiert hier, wenn det(At−Im+1) = 0.

In der Praxis wird das Poisson-Gamma-Modell zur Erstellung von Bonus-Malus-Systemenverwendet.

Beitragsruckerstattung und Rabattbedarf

In einigen Sparten der Schadenversicherung, z.B. Hausrat, Haftpflicht oder Rechtsschutzwerden den Versicherungsnehmern gewisse Anteile der gezahlten Beitrage zuruckerstattet,wenn sie keine Schaden gemeldet haben.

D.h. insbesondere muß zwischen gemeldeten und eingetretenen Schaden unterschiedenwerden, und es gibt bei der Schadenanzahlverteilung eine positive Punktmaße im Nullpunkt,da das Ereignis ”keine gemeldeten Schaden” eine positive Wahrscheinlichkeit hat - imGegensatz zum Ereignis ”Schadenhohe gleich Null”.

Modellbildung:

X = (kumulierte) Schaden einer Periodeg(X) = Entschadigung fur den (gemeldeten) Schaden X

B = zu zahlende (Beitrags) Pramieα = Beitragsruckerstattung in % des Beitrags, falls keine Schaden gemeldet werden.

Je nach Rationalitat des Versicherungsnehmers, Tarifbedingungen, Hohe der potentiellen Bei-tragsruckerstattung und Entschadigung gibt es ein kritisches Niveau c ≥ 0, ab dem Schadengemeldet werden.

pc = P(X > c) = Wahrscheinlichkeit, daß Schaden gemeldet werden1 − pc = P(X ≤ c) = Wahrscheinlichkeit, daß keine Schaden gemeldet werden,

d.h. wenn keine eintreten, oder eingetretene nicht gemeldet werden.

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Fur den Aufwand Y des Versicherers (Beitragsruckerstattung bzw. Entschadigung fur gemel-dete Schaden) gilt

Y =

αB falls X ≤ cg(X) falls X > c

.

Die Verteilung PY ist dann eine Mischung aus einer Einpunktverteilung in αB und Pg(X)|X>c:

PY = (1 − pc) · δαB + pc · Pg(X)|X>c.

Bemerkungen zur Modellbildung:

1. Falls jeder gemeldete Schaden voll entschadigt wird (keine Selbstbehalte), gilt g(x) = x,d.h. X = g(X).

2. Bei einer Abzugsfranchise (Entschadigung = der a ubersteigende Anteil des Schadens)gilt g(x) = max(x − a, 0).

3. Wenn jeder eingetretene Schaden gemeldet wird, ist c = 0.

Beitragskalkulation gemaß Aquivalenzprinzip: Es gilt

B = E(Y) = E(E(Y | X))= P(X ≤ c) · E(Y | X ≤ c) + P(X > c) · E(Y | X > c)= (1 − pc) · αB + pc · E(g(X) | X > c),

und daraus folgt

B =pc · E(g(X)|X > c)

1 − (1 − pc)α=

erwartete Entschadigungen fur gemeldete Schaden.

Bemerkung: Beitragsruckgewahr kostet etwas:

E(Y) > E(g(X)) = (1 − pc) · E(g(X)|X ≤ c) + pc · E(g(X)|X > c).

Der Beitrag B ist also die Summe aus dem Rabattbedarf (1 − pc) · αB und dem Erwartungswertder Entschadigungen pc · E(g(X) | X > c).

Es gilt

B = (1 − pc) · αB + pc · E(g(X) | X > c)

= E(g(X)) ·(1 +

(1 − pc)(αB − E(g(X)|X ≤ c

)E(g(X)

) ),

und

1 +(1 − pc)(αB − E

(g(X)|X ≤ c

)E(g(X)

)ist daher der Zuschlag fur Beitragsruckgewahr.

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Beispiele:

1. (ohne Selbstregulierung von Schaden)Die Hohe eines Einzelschadens in EUR ist (0, 1000)-gleichverteilt, und fur die Schadenan-zahl N gilt N ∼ B(1; 0, 4), d.h. P(N = 1) = 0, 4 = 1 − P(N = 0).Bei Leistungsfreiheit erstattet das VU 20% des Beitrags, und der Versicherungsnehmerreguliert die Schaden nicht selber, d.h. c = 0 und X = g(X). Es ist

E(X | X > 0) = E(X) = 500, pc = P(X > 0) = 0, 4, α = 0, 2 und also

B =pc · E(g(X)|X > c)

1 − (1 − pc)α=

0, 4 · 5001 − 0, 6 · 0, 2

≈ 227.

Also ist die erwartete Entschadigung E(X) = E(X | X > 0) · pc = 200 EUR und derRabattbedarf (interpretiert als Leistung des VU) 27 EUR.

2. (mit geeigneter Selbstregulierung von Schaden)Die Hohe eines Einzelschadens in EUR ist (0, 1000)-gleichverteilt, und fur die Schadenan-zahl N gilt N ∼ B(1; 0, 4), d.h. P(N = 1) = 0, 4 = 1 − P(N = 0).Der VN reguliert Schaden selber, falls die Schadensumme 100 EUR nicht ubersteigt, da erim schadenfreien Fall 100 EUR Beitragsruckerstattung erhalt, d.h. c = 100 und g(X) = X.pc ist die Wahrscheinlichkeit, daß ein Schaden gemeldet wird, d.h.

pc = P(X > 100) = P(Z = Einzelschaden > 100,N = 1) = 0, 9 · 0, 4 = 0, 36.

Die Verteilung der gemeldeten Schaden PX|X>c ist hier

U(100, 1000) = PZ|Z>c mit Z ∼ U(0, 1000).

Es folgt

E(g(X)|X > c) = E(Z | Z > 100) =1.000 − 100

2= 550,

und also gilt fur die zu erwartete Entschadigung

E(X) = E(Z | Z > 100) · pc = 550 · 0, 36 = 198EUR

und fur den Rabattbedarf (interpretiert als Leistung des VU)

100 · (1 − pc) = 100 · 0, 64 = 64EUR.

Somit ist B = 198 + 64 = 262 EUR.

Fur den VN gilt :Zahlungserwartungswert= erwarteter Selbstbehalt - erwartete Beitragsruckerstattung =

262 + 0, 4 · E(Z | Z ≤ 100) · P(Z ≤ 100) − 64 = 262 + 0, 4 · 5 − 64 = 200.

(= E(X)) in Beispiel 1.

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Kapitel 5

Reservierung

5.1 Schadenabwicklung

Jeder Schaden hat eine Abwicklungshistorie:

1. Der Schaden entsteht in einem Anfalljahr.

2. Der Schaden wird entdeckt.

3. Der Schaden wird gemeldet.

4. Der Schaden wird erfaßt, und es wird eine Einzelschadenreserve gebildet.

5. Der Schaden wird unter Umstanden uber mehrere Abwicklungsjahre hinweg abge-wickelt.

6. Der Schaden wird geschlossen.

Es gibt verschiedene Ursachen fur Verzogerungen, die zu langer Abwicklung eines Schadensfuhren konnen:

1. Ein Schaden wird spat entdeckt, z.B. Asbest oder Konstruktionsschaden an einer Brucke.

2. Ein Schaden wird sofort entdeckt aber spat gemeldet, z.B. bei XL-Ruckversicherung.

3. Ein Schaden wird sofort entdeckt und sofort gemeldet, aber die Schadenhohe ist nochungewiss, z.B. ein Verkehrsunfall mit Personenschaden.

Man unterscheidet zwei Arten von sogenannten Spatschaden:

1. IBNR-Schaden (Incurred But Not Reported): Dies sind Schaden, welche in einem Anfall-jahr der Vergangenheit entstanden sind und noch nicht gemeldet worden.

2. IBNER-Schaden (Incurred But Not Enough Reserved): Dies sind Schaden, welche ineinem Anfalljahr der Vergangenheit entstanden sind und bereits gemeldet, aber nochnicht geschlossen worden. In diesem Fall ist es moglich, daß die Einzelschadenreservenicht ausreicht.

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Definition Reserven

Reserven sind Ruckstellungen fur Versicherungsleistungen, die in der Zukunft fur Spatschadennoch zu erbringen sind.Zunachst wird fur jeden einzelnen gemeldeten Schaden mit Hilfe fachlicher Einschatzung eineEinzelfallreserve (case reserve) gebildet und bis zur Schließung des Schadens fortlaufendaktualisiert.Zusatzlich werden auf statistischer Basis Reserven fur Bestande gebildet (Segment-Reserven).Diese Reserven beinhalten IBNR und IBNER Schaden.

Die (mathematische) Bestimmung ausreichender Reserven fur Bestande ist der Gegenstandder Schadenreservierung.

Bemerkung: Im mathematischen Sprachgebrauch ist eine Reserve hingegen eine Zufallsgroße,namlich eine zukunftige Versicherungsleistung fur Spatschaden.

5.2 Abwicklungsdreiecke (Triangulations) und Abwicklungsqua-drate

Definition Abwicklungsdauer

1. Die Abwicklungsdauer eines Schadens ist die Anzahl der Abwicklungsjahre, die nachdem Anfalljahr bis zu seiner abschließenden Regulierung vergehen. Mitunter kann es sichbei Schaden (z.B. Architektenhapftlicht oder KH-Personenschaden mit Renten) um mehrals 30 Jahre Abwicklungsdauer handeln.

2. Die Abwicklungsdauer eines Bestands ist die Anzahl der Abwicklungsjahre, die nachdem Anfalljahr bis zur abschließenden Regulierung (fast) aller Schaden des Bestandsvergehen.

Bemerkung: Die Abwicklungsdauer eines Bestands ist spartenspezifisch:

1. kurz in der Feuer-Versicherung (short-tail)

2. lang in der Haftpflicht-Versicherung (long-tail)

Welche Daten benotigt der Reserving Actuary zur Bestimmung ausreichender Reserven fureinen Bestand?

Von Interesse fur die Abwicklung der Schaden eines Bestands sind

1. Schadenanzahlen (loss frequency)

2. Schadenzahlungen (paid losses) als cash flow oder akkumuliert.

3. Schadenaufwande (incurred losses) - dies ist die Summe aus Schadenanzahlungen undEinzelschadenreserven.

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Dargestellt wird ein sogenanntes Abwicklungsdreieck, d.h. fur jedes Anfalljahr aus einer be-stimmten Historie, und fur jedes Abwicklungsjahr werden dargestellt:

1. Zuwachse (Schadenanzahlen, Schadenzahlungen oder Schadenaufwande fur Schadenaus dem Anfalljahr, die genau im Abwicklungsjahr anfallen).

2. Schadenstande (Schadenanzahlen, Schadenahlungen oder Schadenaufwande furSchaden aus dem Anfalljahr, die spatestens im Abwicklungsjahr anfallen).

Bermerkung:

1. Bei Schadenanzahlen und Schadenzahlungen sind i.a. (bis auf Regreß) die Zuwachsepositiv und die Schadenstande monoton wachsend.

2. Bei Schadenaufwanden konnen dagegen auch negative Zuwachse und fallende Scha-denstande auftreten (Luft aus den Reserven heraus genommen).

Abwicklungsdreieck fur Schadenstande mit absoluten Anfall- und Abwicklungsjahren:

Anfalljahr/ Abwicklungsjahr 2005 2006 2007 2008 2009 20102005 1001 1855 2423 2988 3335 34832006 1113 2103 2774 3422 38442007 1265 2433 3233 39772008 1490 2873 38802009 1725 32612010 1889

Abwicklungsdreieck fur Schadenstande mit relativen Abwicklungsjahren:

Anfalljahr/ Abwicklungsjahr 0 1 2 3 4 52005 1001 1855 2423 2988 3335 34832006 1113 2103 2774 3422 38442007 1265 2433 3233 39772008 1490 2873 38802009 1725 32612010 1889

Abwicklungsdreieck fur Schadenstande mit relativen Anfalljahren:

Anfalljahr/ Abwicklungsjahr 0 1 2 3 4 50 1001 1855 2423 2988 3335 34831 1113 2103 2774 3422 38442 1265 2433 3233 39773 1490 2873 38804 1725 32615 1889

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Abwicklungsdreieck und Abwicklungsquadrat fur Schadenstande:

Anfalljahr/ Abwicklungsjahr 0 1 2 3 4 50 1001 1855 2423 2988 3335 34831 1113 2103 2774 3422 3844 40442 1265 2433 3233 3977 4477 46773 1490 2873 3880 4880 5380 56804 1725 3261 4361 5461 5961 63615 1889 3489 4889 5889 6489 6889

Abwicklungsdreieck und Abwicklungsquadrat fur Zuwachse:

Anfalljahr/ Abwicklungsjahr 0 1 2 3 4 50 1001 854 568 565 347 1481 1113 990 671 648 422 2002 1265 1168 800 744 500 2003 1490 1383 1007 1000 500 3004 1725 1536 1100 1100 500 4005 1889 1600 1400 1000 600 400

Interpretiert man die fettgedruckten Werte des unteren Dreiecks des Abwicklungsquadrats alsReserven fur Versicherungsleistungen, die im Abwicklungsjahr k fur Schaden aus dem Anfall-jahr i fallig werden, erhalt man durch Summation weitere Reserven, die fur unterschiedlicheAnalysen von Interesse sind:

1. Zeilenweise Summation ergibt die Anfalljahrreserven, welche zur Kontrolle der Tarifie-rung von Interesse sind:

Anfalljahr Reserve0 01 2002 7003 18004 31005 5000

Summe 10800

2. Diagonalweise Summation ergibt die Kalenderjahrreserven, welche fur ALM von Inter-esse sind:

Kalenderjahr Reserve2006 44002007 32002008 18002009 10002010 400

Summe 10800

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Bemerkung: Die Summe der Kalenderjahrreserven stimmt mit den Anfalljahrreserven ube-rein und heißt Gesamtreserve. Die Gesamtreserve betragt in den Haftpflichtsparten meistensein Vielfaches der jahrlichen Pramieneinnahmen. Auf Pramien kann Investment erzielt werden.

5.3 Methoden und Modelle zur Schadenreservierung

Definition Methode zur Schadenreservierung

Eine Methode zur Schadenreservierung ist ein Algorithmus, der angibt, wie aus verfugbarenDaten und Informationen Reserven kalkuliert werden.

Die Methoden der Schadenreservierung verwenden

1. ausschließlich interne Information oder

2. ausschließlich externe Information oder

3. eine Kombination aus beiden.

Interne Information besteht ausschließlich aus den Daten des Abwicklungsdreiecks furZuwachse oder Schadenstande. Externe Information besteht aus Marktstatistiken fur ver-gleichbare Bestande (GDV Daten), unternehmenseigenen Daten fur vergleichbare Bestandeoder aus Volumenmaßen fur den vorliegenden Bestand wie z.B. Pramieneinnanhmen oderAnzahl Risiken bzw. Anzahl Policen.

Definition Modell zur Schadenreservierung

Ein Modell zur Schadenreservierung ist ein stochastisches Modell, d.h. alle Zuwachse undSchadenstande werden als Zufallsgroße betrachtet, und die gemeinsame Verteilung derZuwachse und Schadenstande wird spezifiziert.

Stochastisches Abwicklungsquadrat fur Schadenstande:

Anfalljahr/ Abwicklungsjahr 0 1 . . . k . . . n-i . . . n -1 n0 S0,0 S0,1 . . . S0,k . . . S0,n−i . . . S0,n−1 S0,n1 S1,0 S1,1 . . . S1,k . . . S1,n−i . . . S1,n−1 S1,n...

......

......

......

i Si,0 Si,1 . . . Si,k . . . Si,n−i . . . Si,n−1 Si,n...

......

......

......

n-k Sn−k,0 Sn−k,1 . . . Sn−k,k . . . Sn−k,n−i . . . Sn−k,n−1 Sn−k,n...

......

......

......

n-1 Sn−1,0 Sn−1,1 . . . Sn−1,k . . . Sn−1,n−i . . . Sn−1,n−1 Sn−1,nn Sn,0 Sn,1 . . . Sn,k . . . Sn,n−i . . . Sn,n−1 Sn,n

Ein Schadenstand Si,k heißt

1. beobachtbar, falls i + k ≤ n.

2. nichtbeobachtbar oder zukunftig, falls i + k ≥ n + 1.

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Schadenversicherungsmathematik SoSe 2017, Michael Frohlich, OTH Regensburg 59

3. aktueller Schadenstand, falls i + k = n.

4. Endschadenstand, falls k = n.

Stochastisches Abwicklungsquadrat fur Zuwachse:

Anfalljahr/ Abwicklungsjahr 0 1 . . . k . . . n-i . . . n -1 n0 Z0,0 Z0,1 . . . Z0,k . . . Z0,n−i . . . Z0,n−1 Z0,n1 Z1,0 Z1,1 . . . Z1,k . . . Z1,n−i . . . Z1,n−1 Z1,n...

......

......

......

i Zi,0 Zi,1 . . . Zi,k . . . Zi,n−i . . . Zi,n−1 Zi,n...

......

......

......

n-k Zn−k,0 Zn−k,1 . . . Zn−k,k . . . Zn−k,n−i . . . Zn−k,n−1 Zn−k,n...

......

......

......

n-1 Zn−1,0 Zn−1,1 . . . Zn−1,k . . . Zn−1,n−i . . . Zn−1,n−1 Zn−1,nn Zn,0 Zn,1 . . . Zn,k . . . Zn,n−i . . . Zn,n−1 Zn,n

Ein Zuwachs Zi,k heißt

1. beobachtbar, falls i + k ≤ n.

2. nichtbeobachtbar oder zukunftig, falls i + k ≥ n + 1.

Insbesondere sind die Reserven nichtbeobachtbare Zufallsgroßen:

1. Anfalljahr-Reserve fur i ∈ {1, 2, . . . ,n}n∑

l=n−i+1

Zi,l.

2. Kalenderjahr-Reserve fur p ∈ {n + 1,n + 2, . . . , 2n}n∑

j=p−n

Z j,p− j.

3. Gesamt-Reserven∑

j=1

n∑I=n−i+1

Zi,I =

2n∑p=n+1

n∑j=p−n

Z j,p− j.

Gesucht sind Pradiktoren fur

1. Reserven oder

2. nichtbeobachtbare Zuwachse

3. nichtbeobachtbare Schadenstande

oder Schatzer fur deren Erwartungswerte.

Erwunschte Eigenschaften von Pradiktoren bzw. Schatzern sind:Erwartungstreue und ein moglichst kleiner (erwarteter quadratischer) Schatzfehler.

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5.3.1 Abwicklungsmuster

1. Abwicklungsmuster fur Anteile: Ein Abwicklungsmuster fur Anteile liegt vor, wenn esParameter ν0, . . . , νn gibt mit

νk =E(Zi,k)E(Si,n)

fur alle i, k ∈ {0, 1, . . . ,n} und E(Si,n) , 0.

Diese Parameter heißen Abwicklungsanteile, und es giltn∑

k=0νk = 1.

Im Fall von Schadenanzahlen oder Schadenzahlungen (kumulierte paids) kann man an-nehmen, daß die νk positiv sind.Fur die Schatzung des Parameters νk steht zunachst nur der individuelle Anteil

ν0,k :=Z0,k

S0,n

des Anfalljahres 0 zur Verfugung, da sonstige Endstande noch unbekannt sind.

Zuwachse und Anteile:

Anfalljahr/ Abwicklungsjahr 0 1 2 3 4 5 Summe0 1001 854 568 565 347 148 34831 1113 990 671 648 422 200 40442 1265 1168 800 744 500 200 46773 1490 1383 1007 1000 500 300 56804 1725 1536 1100 1100 500 400 63615 1889 1600 1400 1000 600 400 68890 0,287 0,245 0,163 0,162 0,100 0,042 1,0001 0,275 0,245 0,166 0,160 0,104 0,049 1,0002 0,270 0,250 0,171 0,159 0,107 0,043 1,0003 0,262 0,243 0,177 0,176 0,088 0,053 1,0004 0,271 0,241 0,173 0,173 0,079 0,063 1,0005 0,274 0,232 0,203 0,145 0,087 0,058 1,000

2. Abwicklungsmuster fur Quoten: Ein Abwicklungsmuster fur Quoten liegt vor, wenn esParameter γ0, . . . , γn gibt mit

γk =E(Si,k)E(Si,n)

fur alle i, k ∈ {0, 1, . . . ,n} und E(Si,n) , 0.

Diese Parameter heißen Abwicklungsquoten, und es gilt γn = 1.Im Fall von Schadenanzahlen oder Schadenzahlungen (kumulierte paids) kann manannehmen, daß 0 < γ0 < γ1 < · · · < γn gilt.

Fur die Schatzung des Parameters γk steht zunachst nur die individuelle Quote

γ0,k :=S0,k

S0,n

des Anfalljahres 0 zur Verfugung, da sonstige Endstande noch unbekannt sind.

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Schadenstande und Quoten:

Anfalljahr/ Abwicklungsjahr 0 1 2 3 4 50 1001 1855 2423 2988 3335 34831 1113 2103 2774 3422 3844 40442 1265 2433 3233 3977 4477 46773 1490 2873 3880 4880 5380 56804 1725 3261 4361 5461 5961 63615 1889 3489 4889 5889 6489 68890 0,287 0,533 0,696 0,858 0,958 1,0001 0,275 0,520 0,686 0,846 0,951 1,0002 0,270 0,520 0,691 0,850 0,957 1,0003 0,262 0,506 0,683 0,859 0,947 1,0004 0,271 0,513 0,686 0,859 0,937 1,0005 0,274 0,506 0,710 0,855 0,942 1,000

Anteile und Quoten: Wenn die Parameter ν0, . . . , νn ein Abwicklungsmuster fur Anteilebilden, dann bilden die Parameter γ0, . . . , γn mit

γk :=k∑

l=0

νl

ein Abwicklungsmuster fur Quoten.

Wenn die Parameterγ0, . . . , γn ein Abwicklungsmuster fur Quoten bilden, dann bilden dieParameter ν0, . . . , νn mit

νk :=

γ0 falls k = 0γk − γk−1 sonst

ein Abwicklungsmuster fur Anteile.

3. Abwicklungsmuster fur Faktoren: Ein Abwicklungsmuster fur Faktoren liegt vor, wennes Parameter φ1, . . . , φn gibt mit

φk =E(Si,k)

E(Si,k−1)fur alle i ∈ {0, 1, . . . ,n}, k ∈ {1, . . . ,n} und E(Si,k−1) , 0.

Diese Parameter heißen Abwicklungsfaktoren.Im Fall von Schadenanzahlen oder Schadenzahlungen (kumulierte paids) kann manannehmen, daß φk > 0 gilt.

Fur die Schatzung des Parameters φk stehen zunachst die individuellen Faktoren

φi,k :=Si,k

Si,k−1

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der Anfalljahre i = 0, 1, . . . ,n − 1 zur Verfugung, da sonstige Endstande noch unbekanntsind.

Schadenstande und Faktoren:

Anfalljahr/ Abwicklungsjahr 0 1 2 3 4 50 1001 1855 2423 2988 3335 34831 1113 2103 2774 3422 3844 40442 1265 2433 3233 3977 4477 46773 1490 2873 3880 4880 5380 56804 1725 3261 4361 5461 5961 63615 1889 3489 4889 5889 6489 68890 1,853 1,306 1,233 1,116 1,0441 1,889 1,319 1,234 1,123 1,0522 1,923 1,329 1,230 1,126 1,0453 1,928 1,351 1,258 1,102 1,0564 1,890 1,337 1,252 1,092 1,0675 1,847 1,401 1,205 1,102 1,062

Faktoren und Quoten: Wenn die Parameter γ0, . . . , γn ein Abwicklungsmuster fur Quotenbilden, dann bilden die Parameter φ1, . . . , φn mit

φk :=γk

γk−1

ein Abwicklungsmuster fur Faktoren.

Wenn die Paramete φ1, . . . , φn ein Abwicklungsmuster fur Faktoren bilden, dann bildendie Parameter γ0, . . . , γn mit

γk :=n∏

l=k+1

1φl

ein Abwicklungsmuster fur Quoten. (Teleskopprodukt gkgk+1

gk+1gk+2

...gn−1gn

= gk)

Schatzung der Faktoren: Fur die Schatzung des Parameters φk stehen daruber hinaus alleSchatzer der Form

φk :=n−k∑j=0

W j,kφ j,k

mit Zufallsgroßen oder Konstanten W0,k,W1,k, . . . ,Wn−k,k mitn−k∑j=0

W j,k = 1 zur Verfugung.

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Der bekannteste Schatzer dieser Klasse fur den Abwicklungsfaktor φk ist derChain-Ladder Faktor

φCLk :=

n−k∑j=0

S j,k−1

n−k∑h=0

Sh,k−1

φ j,k =

n−k∑j=0

S j,k

n−k∑j=0

s j,k−1

.

Anfalljahr i/ Abwicklungsjahr k 0 1 2 3 4 50 1001 1855 2423 2988 3335 34831 1113 2103 2774 3422 38442 1265 2433 3233 39773 1490 2873 38804 1725 32615 1889φCL

k 1,899 1,329 1,232 1,120 1,044

Die Chain-Ladder Quote

γCLk :=

n∏l=k+1

1

φCLl

ist ein Schatzer fur die Abwicklungsquote γk:

Anfalljahr i/ Abwicklungsjahr k 0 1 2 3 4 50 1001 1855 2423 2988 3335 34831 1113 2103 2774 3422 38442 1265 2433 3233 39773 1490 2873 38804 1725 32615 1889φCL

k 1,899 1,329 1,232 1,120 1,044γCL

k 0,275 0,522 0,694 0,855 0,958 1

4. Abwicklungsmuster fur Schadenquotenzuwachse: Ein Abwicklungsmuster furSchadenquotenzuwachse bzgl. der Volumenmaße π0, π1, . . . , πn liegt vor, wenn es Para-meter ξ0, ξ1, . . . , ξn gibt mit

ξk = E(

Zi,k

πi

)fur alle i, k ∈ {0, 1, . . . ,n} und πi , 0.

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Wenn die Paramter ξ0, ξ1, . . . , ξn ein Abwicklungsmuster fur Schadenquotenzuwachsebilden, dann bilden die Parameter γ0, . . . , γn mit

γk :=

k∑l=0ξl

n∑l=0ξl

ein Abwicklungsmuster fur Quoten.

Schatzung der Schadenquotenzuwachse: Fur die Schatzung des Parameters ξk stehenalle Schatzer der Form

ξk :=n−k∑j=0

W j,kZ j,k

π j

mit Zufallsgroßen oder Konstanten W0,k,W1,k, . . . ,Wn−k,k mitn−k∑j=0

W j,k = 1 zur Verfugung.

Der bekannteste Schatzer dieser Klasse ist der additive Schadenquotenzuwachs

ξADk :=

n−k∑j=0

π j

n−k∑h=0πh

Z j,k

π j=

n−k∑j=0

Z j,k

n−k∑j=0π j

.

Bemerkung: Aus den additive Schadenquotenzuwachsen erhalt man die additiven Quo-ten

γADk :=

k∑l=0ξAD

l

n∑l=0ξAD

l

als Schatzer fur das Abwicklungsmuster von Quoten.

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Zuwachse und Schadenquotenzuwachse:

Anfalljahr i/ Abwicklungsjahr k 0 1 2 3 4 5 πi0 1001 854 568 565 347 148 40001 1113 990 671 648 422 45002 1265 1168 800 744 53003 1490 1383 1007 60004 1725 1536 69005 1889 82000 0,250 0,214 0,141 0,141 0,087 0,0371 0,247 0,220 0,149 0,144 0,0942 0,239 0,220 0,151 0,1403 0,248 0,231 0,1684 0,250 0,2235 0,230ξAD

k 0,243 0,222 0,154 0,142 0,090 0,037γAD

k 0,274 0,524 0,697 0,857 0,958 1,000

5.3.2 Chain-Ladder Verfahren

Dem Chain-Ladder Verfahren liegt die Annahme zugrunde, daß ein Abwicklungsmuster furFaktoren vorliegt.Als schatzer fur die Abwicklungsfaktoren werden die Chain-Ladder Faktoren verwendet

φCLk :=

n−k∑j=0

S j,k−1

n−k∑h=0

Sh,k−1

S j,k

S j,k−1=

n−k∑j=0

S j,k

n−k∑j=0

s j,k−1

.

Fur i ∈ {1, . . . ,n} und k ∈ {n − i + 1, . . . ,n}werden die sogenannten Pradiktoren

SCLi,k := S j,n−i

k∏l=n−i+1

φCLl

als Chain-Ladder Pradiktoren bezeichnet.

Das Chain-Ladder Verfahren beruht also ausschließlich auf den beobachtbaren Schadenstandendes Abwicklungsdreiecks, und es werden die aktuellen Schadenstande (auf der Diagonalen)mit Hilfe der Chain-Ladder Faktoren φCL

l schrittweise auf das Niveau des Abwicklungsjahresk skaliert. Dabei werden alle beobachtbaren Schadenstande verwendet.

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Anfalljahr i/ Abwicklungsjahr k 0 1 2 3 4 50 1001 1855 2423 2988 3335 34831 1113 2103 2774 3422 3844 40132 1265 2433 3233 3977 4454 46503 1490 2873 3880 4780 5354 55904 1725 3261 4334 5339 5980 62435 1889 3587 4767 5873 6578 6867φCL

k 1,899 1,329 1,232 1,120 1,044

Bemerkung:Aus der Definition der Chain-Ladder Quoten

γCLk :=

n∏l=k+1

1

φCLl

erhalt man wegen

SCLi,k = Si,n−i

k∏l=n−i+1

φCLl

= Si,n−i

k∏l=n−i+1

φCLl

n∏l=k+1

φCLl

= γCLk

Si,n−i

γCLn−i

eine alternative Darstellung von Chain-Ladder Pradiktoren.

Grossing-Up Verfahren und Marginalsummenverfahren erwahnen.

5.3.3 Loss-Development Verfahren

Dem Loss-Development Verfahren liegt die Annahme zugrunde, daß ein Abwicklungsmusterfur Quoten vorliegt und daß a-priori Schatzer

γ0, γ1 . . . , γn

mit γn =1 fur die Abwicklungsquoten γ0, γ1 . . . , γn verfugbar sind.

Diese a-priori Schatzer konnen aus

1. interner Information (Abwicklungsdreieck)

2. externer Information (GDV, Daten aus ahnlichen Bestanden)

3. Volumenmaßen (Pramien fur vorliegenden Bestand)

gewonnen werden.

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Fur i ∈ {1, . . . ,n} und k ∈ {n − i + 1, . . . ,n}werden die Pradiktoren

SLDi,k := γk

Si,n−i

γn−i

als Loss-Development Pradiktoren bezeichnet.

Beim Loss-Development Verfahren werden also die aktuellen Schadenstande zunachst mitHilfe des Schatzers γn−i auf das Niveau des letzten Abwicklungsjahres n skaliert und dann mitHilfe des Schatzers γk auf das Niveau des Abwicklungsjahres k skaliert.Vom gesamten Abwicklungsdreieck werden nur die aktuellen Schadenstande verwendet:

Anfalljahr i/ Abwicklungsjahr k 0 1 2 3 4 50 34831 3844 40462 3977 4393 46243 3880 4767 5266 55434 3261 4476 5499 6074 63945 1889 3440 4722 5802 6409 6746γk 0,280 0,510 0,700 0,860 0,950 1,000

Bemerkung: Wegen

SLDi,k := γCL

kSi,n−i

γCLn−i

lassen sich die Chain-Ladder Pradiktoren als Loss-Development Pradiktoren bzgl. der Chain-Ladder Quoten interpretieren.

5.3.4 Bornhuetter-Ferguson Verfahren

Dem Bornhuetter-Ferguson Verfahren liegt die Annahme zugrunde, daß ein Abwicklungsmu-ster fur Quoten vorliegt und daß a-priori Schatzer

γ0, γ1, . . . , γn

mit γn =1 fur die Abwicklungsquoten γ0, γ1 . . . , γn unda-priori Schatzer

α0, α1, . . . , αn

fur die erwarteten Endschadenstande

αi := E(Si,n) mit i ∈ {0, 1, . . . ,n}

verfugbar sind.

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Fur i ∈ {0, 1, . . . ,n} und k ∈ {n − i, . . . ,n}werden die Pradiktoren

SBFi,k := Si,n−i +

(γk − γn−i

)αi

als Bornhuetter-Ferguson Pradiktoren bezeichnet.

Beim Bornhuetter-Ferguson Verfahren werden also die aktuellen Schadenstande mit Hilfe dera-priori Schatzer linear fortgeschrieben. Vom gesamten Abwicklungsdreieck werden nur dieaktuellen Schadenstande verwendet:

Anfalljahr i/ Abwicklungsjahr k αi 0 1 2 3 4 50 3517 34831 3981 3844 40432 4598 3977 4391 46213 5658 3880 4785 5295 55774 6214 3261 4442 5436 5995 63065 6325 1889 3344 4546 5558 6127 6443γk 0,280 0,510 0,700 0,860 0,950 1,000

Bemerkung: Wegen

SLDi,k := γk

Si,n−i

γn−i= Si,n−i +

(γk − γn−i

) Si,n−i

γn−i

lassen sich die Loss-Development Pradiktoren als Bornhuetter-Ferguson Pradiktoren bzgl. dera-priori Schatzer

αLDi :=

Si,n−i

γn−i

der erwarteten Endschadenstande interpretieren.

Wegen

SCLi,k := γCL

kSi,n−i

γCLn−i

= Si,n−i +(γCL

k − γCLn−i

) Si,n−i

γCLn−i

lassen sich insbesondere die Chain-Ladder Pradiktoren als Bornhuetter-Ferguson Pradiktorenbzgl. der Chain-Ladder Quoten und der a-priori Schatzer

αCLi :=

Si,n−i

γCLn−i

= SCLi,n

der erwarteten Endschadenstande interpretieren.

Iteriertes Bornhuetter-Ferguson Verfahren erwahnen.

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Schadenversicherungsmathematik SoSe 2017, Michael Frohlich, OTH Regensburg 69

5.3.5 Additives Verfahren

Dem additiven Verfahren, das auch als Incremental-Loss-Ratio Verfahren oder Verfahrender anfalljahrunabhangigen Schadenquotenzuwachse bezeichnet wird, liegt die Annahmezugrunde, daß bekannte Volumenmaße (Pramien oder Exposureunits).

π0, π1, . . . , πn

fur die Anfalljahre verfugbar sind und daß ein Abwicklungsmuster fur Schadenquoten-zuwachse vorliegt, d.h. daß Parameter ξ0, ξ1, . . . , ξn existieren mit

ξk = E(

Zi,k

π j

)fur alle i ∈ {0, 1, . . . ,n} und k ∈ {n − i, . . . ,n}.

Fur i ∈ {0, 1, . . . ,n} und k ∈ {n − i, . . . ,n}werden die Pradiktoren

SADi,k := Si,n−i + πi

k∑l=n−i+1

ξADl

mit den additiven Schadenquotenzuwachsen

ξADk =

n−k∑j=0

Z j,k

n−k∑j=0π j

als additive Pradiktoren bezeichnet.

Anfalljahr i/ Abwicklungsjahr k 0 1 2 3 4 5 πi0 1001 854 568 565 347 148 40001 1113 990 671 648 422 45002 1265 1168 800 744 53003 1490 1383 1007 60004 1725 1536 69005 1889 8200ξAD

k 0,243 0,222 0,154 0,142 0,090 0,0370 1001 1855 2423 2988 3335 34831 1113 2103 2774 3422 3844 40112 1265 2433 3233 3977 4454 46503 1490 2873 3880 4732 5272 54944 1725 3261 4324 5303 5924 61805 1889 3709 4972 6137 6875 7178

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Schadenversicherungsmathematik SoSe 2017, Michael Frohlich, OTH Regensburg 70

Wegen

SADi,k := Si,n−i + πi

k∑l=n−i+1

ξADl = Si,n−i +

(γAD

k − γADn−i

)αAD

i

lassen sich die additive Pradiktoren als Bornhuetter-Ferguson Pradiktoren bzgl. der additivenQuoten

γADk =

k∑l=0ξAD

l

n∑l=0ξAD

l

und der a-priori Schatzer

αADi := πi

n∑l=0

ξADl

der erwarteten Endschadenstande interpretieren.

5.3.6 Cape-Cod Verfahren

Dem Cape-Cod Verfahren liegt die Annahme zugrunde, daß bekannte Volumenmaße

π0, π1, . . . , πn

fur die Anfalljahre verfugbar sind und daß ein Abwicklungsmuster fur Quoten vorliegt unda-priori Schatzer

γ0, γ1, . . . , γn

mit γn =1 fur die Abwicklungsquoten γ0, γ1 . . . , γn, und es einen Parameter κ gibt mit

κ =E(Si,n)πi

=E(Si,n−i)πiγn−1

fur alle i ∈ {0, 1, . . . ,n}.

Bemerkung: κ ist ein anfalljahrunabhangiger a-priori Schatzer fur die Endschadenquote.

Fur i ∈ {0, 1, . . . ,n} und k ∈ {n − i, . . . ,n}werden die Pradiktoren

SCCi,k := Si,n−i +

(γk − γn−i

)π jκ

CC

mit der Cape-Cod Schadenquote

κCC =

n∑j=0

π jγn− jn∑

h=0πhγn−h

S j,n− j

π jγn− j=

n∑j=0

S j,n− j

n∑j=0π jγn− j

als Cape-Cod Pradiktoren bezeichnet. (Summe der Hauptdiagonale durch Summe der ver-brauchten Pramien = κ).

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Die Definition der Cape-Cod Pradiktoren entstammt der Gleichung

E(Si,k) = E(Si,n−i) +(γk − γn−i

)π jκ.

Anfalljahr i/ Abwicklungsjahr k 0 1 2 3 4 5 πi0 34831 38442 39773 38804 42615 1889γk 0,280 0,510 0,700 0,860 0,950 1,0000 4000 40001 4275 45002 4558 53003 4200 60004 3519 69005 2296 8200

Als Quotient der Diagonalsummen ergibt sich

κCC =21.33422.848

≈ 0, 934.

Anfalljahr i/ Abwicklungsjahr k 0 1 2 3 4 5 πiκCC

0 3483 37351 3844 4054 42022 3977 4422 4670 49493 3880 4776 5281 5561 56024 4261 5485 6516 7096 7418 64435 1889 3650 5105 6330 7019 7402 7657γk 0,280 0,510 0,700 0,860 0,950 1,000

Wegen

SCCi,k := Si,n−i +

(γk − γn−i

)π jκ

CC = Si,n−i +(γk − γn−i

)αi

CC

lassen sich die Cape-Cod Pradiktoren als Bornhuetter-Ferguson Pradiktoren bzgl. der a-prioriSchatzer

αCCi := πiκ

CC

der erwarteten Endschadenstande interpretieren.

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Daruber hinaus laßt sich das Cape-Cod Verfahren auch als Robustifizierung des Loss-Development Verfahrens interpretieren:

Anfalljahr i/ Abwicklungsjahr k 0 1 2 3 4 50 34831 3844 40462 3977 4393 46243 3880 4767 5266 55434 4261 5848 7185 7937 83555 1889 3440 4722 5802 6409 6746γk 0,280 0,510 0,700 0,860 0,950 1,0000 3483 40001 3844 4054 45002 3977 4422 4670 53003 3880 4776 5281 5561 60004 4261 5485 6516 7096 7418 69005 1889 3650 5105 6330 7019 7402 8200

4.261 im Anfalljahr 4 wurde gesetzt, um Ausreißer-Effekte zu beschreiben.

Die Cape-Cod Schadenquote ist ein gewichtetes Mittel der Schatzer

κLD :=Si,n−i

πiγn−i=

SLDi,n

πi.

Robustifiziert man die aktuellen Schadenstande Si,n−i = γn−iπiκLD durch

Ti,n−i := γn−iπiκCC,

so erhalt man

κCC =Ti,n−i

πiγn−i=

TLDi,n

πi.

mit den Loss-Development Pradiktoren TLDi,n auf der Basis der robustifizierten aktuellen

Schadenstande.

Es gilt

SCCi,k = Si,n−i +

(γk − γn−i

)πiκ

CC

= Si,n−i +(γk − γn−i

) Ti,n−i

γn−i

= (Si,n−i − Ti,n−i) + γkTi,n−i

γn−i

= (Si,n−i − Ti,n−i) + TLDi,k .

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Daher ist der Cape-Cod Pradiktor SCCi,k die Summe aus dem Ausreißer-Effekt Si,n−i − Ti,n−i

und dem Loss-Development Pradiktor TLDi,k auf der Basis der robustifizierten aktuellen

Schadenstande.

Fur die Summe der Ausreißer-Effekte gilt

n∑i=0

(Si,n−i − Ti,n−i

)=

n∑i=0

(Si,n−i − γn−iπiκ

CC)

=

n∑i=0

Si,n−i −

n∑i=0

γn−iπi

κCC

= 0.

(Differenz der beiden Diagonalen).

Insbesondere werden die Ausreißer unter den aktuellen Schadenstanden auf alle aktuellenSchadenstande verteilt.

Andererseits laßt sich zeigen, daß die additiven Pradiktoren als Cape-Cod Pradiktoren bzgl.der Volumenmaße πi und der additiven Quote γAD

k dargestellt werden konnen.

In Vorlesung erklaren:

Tailfaktor und Berucksichtigung von Inflation und Tarifveranderungen .

Inflationsmethoden, Trends, Strukturbruche.

Besserabwicklung, Kurve von CL-Faktoren gegen 1, die Summanden gegen 0 usw..

Wieviel Jahre Schadenhistorie benotigt man, damit genugend Aussagekraft?

RC Decennale.

Fur Feuer- bzw. Sachgeschaft machen triangulations keinen Sinn, da shorttail.

Fachbegriffe: Incurred, paid, case reserves, kumulierte paids, outstanding usw.

Barwert (present value factor) bei Haftpflicht.

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5.4 Vergleich der Reservierungsmethoden

Vorteile:

Bornhuetter − Ferguson : maximale Flexibilitat;externe Schatzer der Abwicklungsquoten und dererwarteten Endschadenstande moglich

Loss −Development : starkere Verwendung der Abwicklungsdaten;externe Schatzer der Abwicklungsquoten moglich.

Chain − Ladder : ausschließliche Verwendung der Abwicklungsdaten.Cape − Cod : robustifizierend unter Verwendung von Volumenmaßen;

externe Schatzer der Abwicklungsquoten moglich.Additiv : robustifizierend unter ausschließlicher Verwendung

von Volumenmaßen.Nullen auf der Diagonalen kein Problem

Nachteile:

Bornhuetter − Ferguson : Gefahr der Willkur bei der Wahl der a-prioriSchatzer der Abwicklungsquoten und dererwarteten Endschadenstande

Loss −Development : Gefahr der Willkur bei der Wahl der a-prioriSchatzer der Abwicklungsquoten;verwendet nur aktuelle Schadenstande;empfindlich bzgl. Ausreißer, Großschadeneinfluß

Chain − Ladder : empfindlich bzgl. Ausreißer, Großschadeneinfluß;falls aktueller Schadenstand Null, bleibt es NullEckensensitivitat: links unten und rechts oben

Cape − Cod : Gefahr der Willkur bei der Wahl der a-prioriSchatzer der Abwicklungsquoten;verwendet nur aktuelle Schadenstande;Gefahr durch inadaquate Volumenmaße

Additiv : Gefahr durch inadaquate Volumenmaße.

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Kapitel 6

Ruckversicherung und Risikoteilung

6.1 Formen, Grundbegriffe und Grunde der Risikoteilung

Formen des Risikotransfers:

1. Versicherung

2. Ruckversicherung

3. Retrozession = Weiterruckversicherung

4. ART (Alternativer Risk Transfer)

Risikoteilung ist ein teilweiser Risikotranfer.

Formale Darstellung der Risikoteilung:

1. X = Risiko (Schadenvariable oder Schaden pro Ereignis / Versicherungsperiode / Ver-trag)

2. g(X) = versichertes Risiko (transferiertes Risiko); g ist eine reellwertige, monoton wach-sende Funktion mit 0 ≤ g(x) ≤ x.

3. SB := X − g(X) = Selbstbehalt, Selbstbeteiligung, Eigenbehalt, retention, deductible.

X = g(X) + X − g(X) = g(X) + SB = transferiertes Risiko + Selbstbehalt.

75

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Die Risikoteilung gliedert sich in proportionale Risikoteilung (d.h. g(x) = c · x) und nichtpro-portionale Risikoteilung (alle ubrigen Formen der Risikoteilung).

Der Jahresgesamtschaden S einer festen Periode (meistens 1 Jahr) wird wie folgt dargestellt:

1. Bei Zerlegung der Risiken gemaß dem individuellen Modell

S =

n∑j=1

Z j,

wobei n die Anzahl der Risiken ist und Z j der Gesamtschaden des j-ten Risikos,j = 1, . . . ,n.

2. Bei Zerlegung der Risiken gemaß dem kollektiven Modell

S =

N∑i=1

Xi,

wobei N die zufallige Anzahl der Schaden im Kollektiv (innerhalb fester Periode) ist undXi die Hohe des i-ten Einzelschadens, i = 1, . . . ,N.

3. Bei Zerlegung der Risiken nach (Kumul-) Schadenereignissen (kollektives Modell nachZusammenfassen von zum selben (Kumul-) Ereignis gehorigen Einzelschaden)

S =

N∗∑i=1

X∗i , (Gesamtschaden aller versicherten Schadenereignisse eines Jahres)

wobei N∗ die zufallige Anzahl der (versicherten) Schadenereignisse eines Jahres ist,Ni die Anzahl der Einzelschaden bei dem i-ten Schadenereignis, (i = 1, . . . ,N∗),Xi j die Hohe des j-ten Einzelschadens bei dem i-ten Schadenereignis,(i = 1, . . . ,N∗, j = 1, . . . ,N) und

X∗i :=Ni∑j=1

Xi j = Gesamtschaden des i-ten Schadenereignisses.

Bezeichnungen fur Selbstbehalte und transferierte Risiken:

1. X := X − g(X) = Selbstbehalt bzgl. des Risikos X.

2. X := g(X) = transferierterTeil des Risikos X.

3. X = X + X gilt fur alle Risiken X.

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Schadenversicherungsmathematik SoSe 2017, Michael Frohlich, OTH Regensburg 77

Formen proportionaler Risikoteilung

1. Risikoteilung in der Erstversicherung :Prozentuale Selbstbeteiligung (percentage deductible)

2. Risikoteilung in der Ruckversicherung :

(a) Quotenruckversicherung (quota share reinsurance)

(b) Summenexzedentenruckversicherung (surplus reinsurance)

Prozentuale Selbstbeteiligung:

1. Risikoteilung zwischen VN und EVU.

2. Eignung bei kleineren und mittleren Schaden, die vom VN noch anteilig getragen werdenkonnen, z.B. in Hausrat Selbstbeteiligung bei Unterversicherung.

3. Wirkungsweise: Xi = cXi, Xi = (1 − c)Xi sowie S = cS, S = (1 − c)S .

Quotenruckversicherung:

1. Risikoteilung zwischen EVU und RVU.

2. Eignung bei Auftreten vieler kleine und mittlerer Schaden und bei Einfuhrung neuerVersicherungszweige.

3. Einfache Verwaltung.

4. Wirkungsweise bzgl. einzelner Schaden (kollektives Modell) mit q = Abgabe (cession)und p = 1 − q = Selbstbehalt (retention).Xi = qXi, Xi = (1 − q)Xi = pXi sowie S = qS, S = (1 − q)S = pS, 0 < q < 1) .

Summenexzedentenruckversicherung:

1. Risikoteilung zwischen EVU und RVU.

2. Eignung zur Reduktion von Spitzenrisiken und Homogenisierung des Bestands.

3. Parameter und Wirkungsweise (bzgl. der einzelnen Vertrage - individuelles Modell) : v0= Maximum = maximaler Selbstbehalt des EVU bei jedem einzelnen Risiko.Analog zur Quotenruckversicherung, wobei sich aber die Quoten q j vertragsindividuellaus dem Maximum und den individuellen Versicherungssummen ergeben: q j ist dasVerhaltnis des das Maximum v0 ubersteigenden Teils der j-ten Versicherungssumme v jzur Versicherungssumme v j, ( j = 1, . . . ,n).

q j =(v j − v0)+

v j=

0 falls v j ≤ v0

1 − v0v j

falls v j > v0= 1 −min

(v0

v j; 1

), ( j = 1, . . . ,n)

Z j = q j · Z j, Z j = (1 − q j) · Z j sowie S =n∑

j=1Z j, S =

n∑j=1

Z j.

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Schadenversicherungsmathematik SoSe 2017, Michael Frohlich, OTH Regensburg 78

Beispiel in Vorlesung.

Haftungsbegrenzungen beim Surplus-Vertrag:Meist wird die vom RVU zu ubernehmende Haftung dadurch begrenzt, daß bei der Bestimmungder vertragsindividuellen Quote q j der das Maximum ubersteigende Teil der Versicherungs-summe v j durch einen Maximalbetrag begrenzt wird. Haufig ist dieser Maximalbetrag m · v0mit m ∈ N ein ganzzahliges Vielfaches von v0.

q(m)j =

min((v j − v0)+; m · v0

)v j

= min(q j;

m · v0

v j

)( j = 1, . . . ,n)

Z j = q(m)j · Z j = min

(q j;

m · v0

v j

)· Z j bzw. S =

n∑j=1

Z j

Beispiel:

V0 = 100.000 EUR, v j = 500.000 EUR (Versicherungssumme der betroffenen Police).

q j = individuelle Quote (vor Haftungsbegrenzung) der betroffenen Police =(v j−v0)

v j= 80%.

m = 3 = Anzahl der Maxima 100.000 EUR.q(m)

j = min(q j;

m·v0v j

)= min

(80%; 300.000

500.000

)= 60%, d.h.

Jeder Schaden dieser Police wird zu 60% vom RVU ubernommen.

Die Kapazitat eines Surplus ist die Summe vom Selbstbehalt und der Haftungsstrecke desRuckversicherers.In der Praxis gibt es haufig eine Komposition mehrerer Surplus-Vertrage (von verschiedenenRVU), d.h. die erreichte Kapazitat ist das Maximum des darauf folgenden Vertrags.

Formen nichtproportionaler Risikoteilung

1. Risikoteilung in der Erstversicherung:

(a) Abzugsfranchise (pure franchise)

(b) Jahresfranchise (surplus reinsurance)

(c) Integralfranchise (franchise)

(d) Erstrisikoversicherung

2. Risikoteilung in der Ruckversicherung:

(a) (Einzel)Schadenexzedentenruckversicherung (excess of loss reinsurance per risk, XL)

(b) Jahresuberschadenexzedentenruckversicherung (stop loss, SL)

(c) Kumulschadenexzedentenruckversicherung (excess of loss per event, Cat-XL)

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Schadenversicherungsmathematik SoSe 2017, Michael Frohlich, OTH Regensburg 79

Abzugsfranchise:

1. Risikoteilung zwischen VN und EVU - haufige Form der nichtproportionalen Risikotei-lung.

2. Parameter und Wirkungsweise: Franchisegrenze a > 0; Wirkungsweise bzgl. einzelnerSchaden (per risk, kollektives Modell) : EVU ubernimmt den die Franchisegrenze a uber-steigenden Anteils jedes Schadens:

Xi = max(Xi − a; 0) = (Xi − a) · 1[Xi>a]

Xi = min(Xi; a) = Xi · 1[Xi≤a] + a · 1[Xi>a] = Xi − Xi

Jahresfranchise:

1. Risikoteilung zwischen VN und EVU.

2. Parameter und Wirkungsweise: Franchisegrenze A > 0; Wirkungsweise bzgl. Jahresge-samtschaden (kollektives Modell) : EVU ubernimmt den die Franchisegrenze A uberstei-genden Anteils jedes Jahresgesamtschadens:

S = max(S − A; 0) und S = min(S; a).

Integralfranchise:

1. Risikoteilung zwischen VN und EVU; weniger gebrauchlich, da moral hazard.

2. Parameter und Wirkungsweise: Franchisegrenze a > 0; Wirkungsweise bzgl. einzelnerSchaden (kollektives Modell) : EVU ubernimmt den gesamten Schaden, wenn dieser dieFranchisegrenze a uberschreitet, sonst Null.

Xi = Xi · 1[Xi>a], Xi = Xi · 1[Xi≤a].

Erstrisikoversicherung:

1. Risikoteilung zwischen VN und EVU; gebrauchlich Form der nichtproportionalen Risi-koteilung.

2. Parameter und Wirkungsweise: Versicherungssumme/ Deckungssumme/ Limit v > 0;Wirkungsweise bzgl. einzelner Schaden (kollektives Modell) : EVU ubernimmt den gan-zen Schaden bis zu der vereinbarten Hohe v.

Xi = min(Xi; v), Xi = max(Xi − v; 0).

Einzelschadenexzedentenruckversicherung :

1. Risikoteilung zwischen EVU und RVU; wichtigste Form der nichtproportionalen Ruck-versicherung, da besonders zum Schutz vor Großschadenrisiko geeignet.

2. Parameter und Wirkungsweise: Prioritat (Deductible, Attachmentpoint) M > 0; Wir-kungsweise bzgl. einzelner Schaden (per risk, kollektives Modell) : RVU ubernimmt dendie Prioritat M ubersteigenden Anteil eines jeden Schadens (Basisvariante: ohne Haf-tungsbegrenzung, unlimitted).

Xi = (Xi −M)+ und S =

N∑i=1

Xi

Xi = min(Xi; M) und S =

N∑i=1

Xi.

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Schadenversicherungsmathematik SoSe 2017, Michael Frohlich, OTH Regensburg 80

Erganzungen:

Haftung (Limit oder Cover) = Haftungsstrecke L > 0 des RVU. I.a. werden in der Praxismehrere XL-Vertrage (mit verschiedenen RVU) derart kombiniert, daß die Summe der Prioritatund der Haftungsstrecke (Plafond) des 1. XL-Vertrags die Prioritat des 2. XL-Vertrags bildetusw. (Layerung), und die einzelnen XLs werden Layer genannt.Ein Working Cover ist der untere Bereich aneinander gereihter Layer, wo regelmaßig Schadenpassieren. Wegen der Gleichung

min((X −M)+; L

)= (X −M)+

− (X − (M + L))+

konnen alle Betrachtungen auf XL-Vertrage ohne Haftungsbegrenzung zuruckgefuhrt werden.

Wiederauffullungen und AAL in Vorlesung ansprechen.

Jahresuberschadenexzedentenruckversicherung:

1. Risikoteilung zwischen EVU und RVU; Eignung zum Schutz vor hohen Gesamtschadenbzw. Schadenquoten und besonders in Sparten, wo die Abgrenzung von Kumulschadenproblematisch ist: Frost, Hagel, Leitungswasser.

2. Parameter und Wirkungsweise: Prioritat M > 0 Haftung L > 0; Wirkungsweise bzgl.Jahresgesamtschaden : RVU ubernimmt den die Prioritat M ubersteigenden Anteil desJahresgesamtschadens (kollektives Modell), aber hochstens L. Ublich ist die prozentualeAngabe von Prioritat und Haftung bzgl. des EPI’s = estimate premium income.

S = min((S −M)+; L

)und S = max(min(S; M); S − L).

Kumulschadenexzedentenruckversicherung:

1. Risikoteilung zwischen EVU und RVU; Eignung zum Schutz vor Kumulrisiken, z.B.Sturm, Flut, Erdbeben = EQ. Cat allgemein.

2. Parameter und Wirkungsweise: Kumul-Prioritat M∗ > 0 pro Kumul-Ereignis; Kumul-Haftung L∗ > 0 pro Kumul-Ereignis; mit AAL = annual aggregate limit (Haftungsbe-schrankung furs Versicherungsjahr)Wirkungsweise bzgl. Jahresgesamtschaden : RVU ubernimmt den die Prioritat M∗ uber-steigenden Anteil des Jahresgesamtschadens (kollektives Modell), aber hochstens L∗.

X∗i = min((X∗i −M∗)+; L∗

)und S =

N∗∑i=1

X∗i

X∗i = max(min(X∗i ; M∗); X∗i − L∗) und S =

N∗∑i=1

X∗i .

In Vorlesung noch AAD und Kombination der Ruckversicherungsvertrage: Quote auf SB vonSurplus, per risk XL auf retention von QS, per event XL auf Prio von per risk XL und SL obendrauf.

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Schadenversicherungsmathematik SoSe 2017, Michael Frohlich, OTH Regensburg 81

Grunde der Risikoteilung:

1. Aus Sicht des VN:

(a) Pramienreduktion

(b) Aufwandsreduktion bei Kleinschaden.

2. Aus Sicht des EVU gegenuber VN:

(a) Kleinschadenregulierung entfallt.

(b) Verringerung der Verwaltungskosten.

(c) Verringerung des moralischen Risikos.

(d) Risikoteilung statt Pramienerhohung.

3. Aus Sicht des EVU gegenuber RVU:

(a) Reduktion des versicherungstechnischen Risikos: Irrtums-, Anderungs- und Zu-falllsrisiko.

(b) Erhohung der Zeichnungskapazitat.

(c) Eigenkapitalersatz.

(d) Knowhow Transfer.

4. Aus Sicht des RVU gegenuber EVU:

(a) Existenzgrundlage, da Kunden alles EVU sind.

(b) Diversifikation.

(c) Arbeitsteilung mit EVU, z.B. Risikoprufung bei EVU.

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Schadenversicherungsmathematik SoSe 2017, Michael Frohlich, OTH Regensburg 82

6.2 Auswirkungen der Risikoteilung auf die Momente der Zufalls-großen

Die zu analysierenden Zufallsgroßen innerhalb der Risikoteilung bzgl. auf EVU und RVUtransferierten Risiken:

1. N = Anzahl der Versicherungsleistungen im Jahr ≤ N.

2. Xi = g(Xi) = Hohe der Versicherungsleistungen fur den i-ten Schaden ≤ Xi (i = 1, . . . ,N).

3. Z j = g(Z j) = Hohe der gesamten Versicherungsleistungen fur das j-te Risiko ≤ Z j( j = 1, . . . ,n).

4. S = Summe der gesamten Versicherungsleistungen eines Jahres =N∑

i=1Xi =

n∑j=1

Z j ≤ S.

Die zu analysierenden Zufallsgroßen innerhalb der Risikoteilung bzgl. Selbsbehalt des VN unddes EVU:

1. N = Anzahl der Schaden, bei denen ein Selbstbehalt getragen wird ≤ N.

2. Xi = Xi − Xi = Hohe des Selbstbehalts bei dem i-ten Schaden ≤ Xi (i = 1, . . . ,N).

3. Z j = Z j − Z j = Hohe des Selbstbehalts bei dem j-te Risiko ≤ Z j ( j = 1, . . . ,n).

4. S = S − S Summe der gesamten Selbstbehalte eines Jahres ≤ S.

Auswirkungen der proportionalen Risikoteilung

1. Prozentuale Selbstbeteiligung

(a) N = N = N.

(b) E(Xi) = E(c · Xi) = c · E(Xi), E(Xi) = (1 − c) · E(Xi).

(c) σ2(Xi) = σ2(c · Xi) = c2· σ2, σ2(Xi) = (1 − c2)σ2(Xi).

(d) V(Xi) =σ(Xi)E(Xi)

=c·σ(Xi)c·E(Xi)

= V(Xi) = · · · = V(Xi).

(e) Schiefe γ(Xi) = γ(Xi) = γ(Xi).

(f) Unveranderte Verlustwahrscheinlichkeiten mit P:= Pramie.

P(Xi > P) = P(c · Xi = Xi > c · P

)= P

((1 − c) · Xi = Xi > (1 − c) · P

).

(g) Transformierte Schadenhohenverteilungen:

Xi ∼ Exp(α) =⇒ Xi = c · Xi ∼ Exp(αc

)Xi ∼ Γ(α; β) =⇒ Xi = c · Xi ∼ Γ

(αc

; β)

Xi ∼ Par(α; β) =⇒ Xi = c · Xi ∼ Par(c · α; β)

Xi ∼ LN(µ; σ2) =⇒ Xi = c · Xi ∼ LN(ln(c) + µ; σ2).

(h) S = cS S = (1 − c) · S.

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Schadenversicherungsmathematik SoSe 2017, Michael Frohlich, OTH Regensburg 83

2. Quotenruckversicherung: Analog wie bei prozentualer Selbstbeteiligung.

3. Summenexzedentenruckversicherung:

(a) Da individuelles Modell bei Surplus, ist n = Anzahl der Risiken und

n :=n∑

j=11[v j>v0] ≤ n = Anzahl der Risiken mit RV-Schutz. Fur jedes Risiko tragt das

EVU einen Selbstbehalt , d.h. n = n.

(b) Fur jedes Einzelrisiko Z j sind die Auswirkungen analog zu der Quotenruckversiche-rung bzgl. der einzelnen Schaden.

(c) Gesamtschaden:

E(S) = E

n∑j=1

Z j

= E

n∑j=1

q j · Z j

=

n∑j=1

q j · E(Z j)

E(S) = E

n∑j=1

Z j

= E

n∑j=1

(1 − q j) · Z j

=

n∑j=1

(1 − q j) · E(Z j)

σ(S) =

√√√√σ2

n∑j=1

Z j

=

√√√ n∑j=1

σ2(q j · Z j

)=

√√√ n∑j=1

q2j · σ

2(Z j

)

σ(S) =

√√√ n∑j=1

(1 − q j)2 · σ2(Z j

).

Auswirkungen der nichtproportionalen Risikoteilung

1. Abzugsfranchise a:

(a)

N = Anzahl der Schaden

N = Anzahl der Entschadigungen =

N∑i=1

1[Xi>0] =

N∑i=1

1[Xi>a] ≤ N

N = Anzahl der Schaden mit SB des VN = N.

(b) Verteilungsaussagen fur die Anzahlen mit α := P(Xi > α):

N ∼ Poi(λ) =⇒ N ∼ Poi(α · λ)

N ∼ B(m;θ) =⇒ N ∼ B(m;α · θ)

N ∼ NB(β;θ) =⇒ N ∼ NB(β;α · θ

1 − θ + α · θ).

(c) Erwartungswerte der Anzahlen:

E(N) = E

N∑i=1

1[Xi>a]

= E(N) · P(Xi > a) = α · E(N).

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(d) Entschadigungen und Selbstbehalte bei den Einzelschaden sind gestutzte Schaden,deren zugehorige Verteilungen sich aus der Verteilungsfunktion F der identischverteilten Xi (kollektives Modell) ergeben:

i. Xi hat die Verteilungsfunktion F(x) =

F(x) (x < a)1 (x ≥ a)

.

ii. Xi hat die Verteilungsfunktion F(x) = F(x + a) (x ≥ 0).iii. Xi := Xi − a|Xi > a hat die Verteilungsfunktion

F(x) =F(x + a) − F(a)

1 − F(a)(x ≥ 0).

(e) Momente

E(Xi) = E((Xi − a)+) =

∞∫a

(1 − F(x))dx E(Xi) = E (min(Xi; a)) =

a∫0

(1 − F(x))dx.

σ2(Xi) + σ2(Xi) ≤ σ2(Xi)

V(Xi) ≤ V(Xi) ≤ V(Xi)

γ(Xi) ≤ γ(Xi).

(f) Gesamtschaden

S =

N∑i=1

Xi =

N∑i=1

Xi

S =

N∑i=1

Xi =

N∑i=1

Xi

σ2(S) + σ2(S) ≤ σ2(S)

V(S) ≤ V(S) ≤ V(S).

2. Jahresfranchise:Bzgl. Jahresschaden, - entschadigungen und - selbstbehalte die analogen Ergebnisse wiebei Abzugsfranchise.

3. Integralfranchise a:

(a) Anzahlen

N =

N∑i=1

1[Xi=0] =

N∑i=1

1[Xi≤a] ≤ N

N =

N∑i=1

1[Xi>0] =

N∑i=1

1[Xi>a] = N − N ≤ N

(b) Entschadigungen und Selbstbehalte

E(Xi) = E((Xi · 1[Xi>a]

)=

∞∫a

(1 − F(x))dx + a · (1 − F(a))

E(Xi) = E((Xi · 1[Xi≤a]

)=

a∫0

(1 − F(x))dx − a · (1 − F(a)).

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4. Erstrisikoversicherung:Analoge Ergebnisse wie bei Abzugsfranchise unter Austausch von Selbstbehalt und trans-feriertem Risiko.

5. Einzelschadenexzedentenruckversicherung:Analoge Ergebnisse wie bei Abzugsfranchise.

6. Jahresuberschadenexzedentenruckversicherung:Analoge Ergebnisse wie bei Einzelschadenexzedentenruckversicherung bzgl.Jahresschaden, - entschadigungen und - selbstbehalte.

7. Kumulschadenexzedentenruckversicherung:Analoge Ergebnisse wie bei Einzelschadenexzedentenruckversicherung bzgl. Ku-mulschaden, - entschadigungen und - selbstbehalte.

EntlastungseffektfunktionGrundlage: Kollektives Modell, Xi identisch verteilt mit der Verteilungsfunktion F.Xi = max(Xi − a; 0), Xi = min(Xi; a).

Definition: Die Funktion r : [0,∞)→ [0, 1], definiert durch

r(a) =E(S)E(S)

=E(X)E(X)

=

a∫0

xdF(x)dx + a · (1 − F(a))

E(X)=

a∫0

(1 − F(x))dx

E(X), (a ≥ 0)

heißt Entlastungseffektfunktion.

Bemerkungen:

1. r(a) ist unabhangig von der Schadenanzahl, von Inflationseffekten und Wahrungskurs-schwankungen.

2. Bei der Abzugsfranchise a gibt r(a) den Anteil der Schadenerwartung an, der kleiner odergleich der Hohe von a ist, und um den somit das EVU entlastet wird.

3. Bei der Einzelschadenexzedentenruckversicherung mit Prioritat a heißt der Graph vonder Funktion r Exposurekurve, z.B. verschiedene Exposurekurven der Swiss Re; LloydsKurve usw.

(a) r(a) zeigt die Schadenlast an, welche unterhalb der Prioritat a verbleibt.

(b) Das Argument a von der Funktion r wird i.a. in % der VSU bzw. PML (possiblemaximum loss) angegeben, und a bezeichnet dann den Schadengrad.

(c) Die Exposurekurve gibt zu jedem Schadengrad den Anteil an der Gesamtschadenlastan, der bis zu diesem Schadengrad angefallen ist.

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4. Eigenschaften von r unter Annahme, daß F differenzierbar:

(a) r(0) = 0 und r(v) = 1 mit v := sup{x | F(x) < 1} = Hochstschaden (Normierung aufv = 1 : a%-Satz der VSU).

(b) r′(a) =1−F(a)E(X) (r′(a) > 0 fur a < v)

(c) r′(0) = 1E(X) (r′(v) = 0)

(d) r′′(a) = −F′(a)E(X) ≤ 0 fur a ≥ 0, d.h. r(a) verlauft konkav von (0,0) nach v.

(e) r ist eine vollstandige Charakterisierung der Schadenhohenverteilung F :

F(x) = 1 − r′(x) · E(X) = 1 −r′(x)r′(0)

.

Beispiele fur Entlastungseffektfunktionen - Ubungsaufgaben:

1. Bestimme r(a) zur Einpunktverteilung P(X = v) = 1.

2. Bestimme r(a) zur gestutzten Exponentialverteilung mit λ > 0 :

F(x) =

1 − exp(−λx) (0 ≤ x < v)1 (x ≥ v)

.

3. Bestimme r(a) zur diskreten Verteilung pi = P(X = xi), (i = 1, 2, 3) mit (in % von v):

xi 0,25 0,5 1pi 0,6 0,3 0,1

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6.3 Pramienkalkulation (Quotierung / Pricing) vonRuckversicherungsvertragen

6.3.1 Quotierung eines proportionalen Ruckversicherungsvertrags

Die Quote, also das Aufteilungsverhaltnis zwischen EVU und RVU, wird auf die Schadenund die original Bruttopramie appliziert. Das RVU vergutet dem EVU eine Provision bzw.Commission in % der original Bruttopramie, um sich an der Schadenregulierung und derVerwaltung zu beteiligen - die Commission orientiert sich an den Kosten des EVU.

Es wird entweder eine prozentuale fix Commission oder eine sogenannte Sliding-ScaleCommission vereinbart.

Haufig decken Feuer-Surplus Vertrage zusatzlich Naturgefahren. Bei der Bewertung einerproperty Quote oder eines property Surplus uberpruft das RVU anhand von Schadenhistorie,Inflation und Tarifveranderungen, ob die geforderte Commission plausibel ist, um keinen Ver-lust zu erleiden. Dabei wird bei den property prop. Vertragen, die Naturgefahren mitdekcken,eine Dreiteilung der Schaden vorgenommen:

Die ”großen” per risk Schaden, die Cat-Schaden (Sturm, EQ, Flut) und die kleinen Basisschaden(attritional losses). Fur alle drei Schadensegmente werden mit Hilfe der Historie erwartete lossratios ermittelt fur das zu quotierende Jahr. 100% - Summe diese drei L/Rs - Brokerage (Makler)- Marge sollte dann die maximal moglich zahlbare Commission fur das RVU sein.Beispiel in Vorlesung. Außerdem werden Barwerte kalkuliert.

Bei einer Haftpflicht (casualty) Quote (z.B. einer Motor-Quote) werden die loss triangula-tions benotigt, um die sogenannten as-if ultimates mit Hilfe der in Kapitel 3 vorgestelltenReservierungs-Methoden zu kalkulieren. Zusatzlich zur normalen Inflation (consumer priceIndex oder Gebaudekostenindex fur property (Sach) und Lohn/Gehaltskosten index furcasualty) wird bei proportionalen casualty Vertragen mit Personenschaden Exposure einesuperimposed inflation appliziert, um die Schaden der Vergangenheit as-if auf das zuquotierende Jahr hochzurechnen. Beispiel in Vorlesung.

Neben der Sliding-Scale Commission gibt es zwei weitere ubliche Klauseln bei proportiona-len Ruckversicherungsvertragen: Die Profit Commission Clause und die Loss ParticipationClause.

Bei der Profit Commission Clause gibt das RVU am Ende des Vertrags-Jahres, falls das RVUeinen Gewinn erwirtschaftet hat, einen prozentualen Anteil dieses Gewinns wieder dem EVUzuruck after management expenses. Beispiel in VL.

Bei der Loss Participation Clause beteiligt sich das EVU prozentual in einem gewissenL/R-Corridor an der Schadenquote am Ende es Jahres. Beispiel in VL.

Zur Bewertung von Surplus-Vertragen benotigt man immer die sogenannten Surplus Stati-stics. Bei einer Quote spielt es keine Rolle, ob die Schadenhistorie auf 100% Basis oder auf Basisder Quotenabgabe vorliegt.

Haufig liegt eine Kombination aus Quote und Surplus vor, daß die Quote z.B. das Maximum(die retention) vom Surplus deckt.

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Schadenversicherungsmathematik SoSe 2017, Michael Frohlich, OTH Regensburg 88

6.3.2 Quotierung eines nichtproportionalen Ruckversicherungsvertrags

Die RV-Pramie wird im Gegensatz zur proportionalen Ruckversicherung unabhangig von derOriginalpramie kalkuliert und ausgedruckt als %-Satz vom EPI = estimated premium incomefurs zu quotierende Jahr. (vom EVU geschatztes Bruttopramieneinkommen des EVU furskommende Jahr abzgl. Pramie fur vorweg ziehende RV, Beitragsruckerstattung, Storni).Als fix-Rate oder als swing-Rate.

GNPI = gross net premium income des EVU fur jeweils ein vergangenes Jahr. (Brutto-pramieneinkommen des EVU abzgl. Pramie fur vorweg ziehende RV, Beitragsruckerstattung,Storni). Da das EVU am Beginn der Vertrags-Periode eines XLs oder eines SLs noch nicht dasgenaue GNPI kennt, wird die RV-Pramie eines XLs oder SLs prozentual vom EPI angegeben.Dadurch werden grobe Verschatzungen ausgeglichen. Das RVU bekommt zu Beginn desXL-Vertrags eine minimum und deposit Pramie, die dann nach Vertragsende adjustiert wird.

Weitere Begriffe aus der Ruckversicherung:

1. Rate on Line (ROL) eines XLs := RV-Pramie absolutHaftung .

ROL eines SLs ganz einfach abzulesen - Beispiel in VL.

2. Payback :=Haftung

RV-Pramie absolut = 1ROL .

Der payback gibt an, wieviel schadenfreie Jahre das RVU benotigt, um bei gleichbleiben-der Pramie einen Totalschaden zu rekuperieren.

3. Wiederauffullung, AAL und AAD. In Vorlesung erlautern mit Beispielen.

4. Wiederkehrperiode T eines Schadens JT: Ist der Zeitraum, in dem im Mittel die Scha-denhohe von JT genau einmal erreicht bzw. uberschritten wird. Gibt sogenannte Markt-WKPs, z.B: Lothar 50 Jahre in France, Daria und Kyrill 15 Jahre in Deutschland.

5. Brokerage (Courtage), Margin, XL fur gemeinsame Rechnung, No claims bonus usw. Allesin VL mit Beispielen erlautern.

6. In KH haufig illimite-XLs, d.h. ohne endliche Haftung.

7. Indexklauseln fur Haftlicht (Casualty) XLs: Fully indexed und SIC.

8. Sleep easy XL; Working XL.

9. Across the boarrd Beteiligung eines RVUs.

10. Plafond = Prioritat + Haftung.

11. Ungenutzte Haftstrecke.

12. Schadenhohe = Loss Severity; Schadenanzahl = Loss Frequency.

13. Present value factor bei Casualty XLs.

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Schadenversicherungsmathematik SoSe 2017, Michael Frohlich, OTH Regensburg 89

Jeder limitierte Layer h xs a laßt sich als Differenz zweier unlimitierter Layer schreiben

min(max(X − a; 0); h) = max(X − a; 0) −max(X − (a + h); 0) = min(X; a + h) −min(X; a).

Exposure-Pricing eines XLs h xs a in property (Swiss-Re Curves) undin casualty (Riebesell)

Mit Hilfe eines Risikoprofils wird fur jedes ruckversicherte Risiko der Risikogruppe i derEntlastungskoeffizient ri(a) ermittelt und der Risikokoeffizient 1 − ri(a) auf die zugehorigeNettorisikopramie (nach Abzug der Kosten) bi dieser Risikogruppe appliziert.Fur einen limitierten Layer h xs a ergibt sich damit der Erwartungswert des Gesamtschadensfur das RVU aus ∑

i

bi (ri(a + h) − ri(a)) .

Sinnvoll ist eine Staffelung der Entlastungseffektkurve nach der Hohe der VSU. In der Sach- bzw. Haftpflichtversicherung (außer KH/Motor) werden dazu unterschiedliche Annahmengetroffen: PPP aus Probevorlesung in VL austeilen und besprechen mit Beispielen. VW-Policemit multi locations erwahnen - Exposurequotierung ist dann zu uberschatzt.

Experience Pricing eines XLs:

Aus der indivuellen Schadenerfahrung der Vergangenheit wird mit Hilfe der Burning-CostMethode (BC) auf das zu erwartende Schadenpotential der Zukunft geschlossen.Das RVU stutzt sich ausschließlich auf die Schadenerfahrung des gedeckten Portefeuillesdes EVU oberhalb einer Schadenmeldegrenze (meistens ≥ 50% der Prioritat des XLs, umInflation zu berucksichtigen).

Folgende Faktoren, die in der Vergangenheit Schaden und Pramien beeinflußt haben, sollten -wenn moglich - fur die BC-Quotierung berucksichtigt werden:

1. Veranderungen in der Underwriting-Politik (z.B. Policenbedingungen, vorweg ziehendeRuckversicherungsstruktur).

2. Wirtschaftliche Veranderungen (z.B. Inflation, Tarifveranderungen).

3. Portefeuilleveranderungen (z.B. Zusammensetzung, Wachstum, Ruckgang).

4. Negative oder positive Trends, Strukturbruche.

Bemerkungen: Inflation bzw. Tarifveranderungen lassen sich durch Indexierung der Brut-toschaden bzw. der GNPIs innerhalb der gegebenen Schadenhistorie erfassen, d.h. vergangeneSchaden und vergangene GNPI’s werden mittels Indexierung auf die Wertverhaltnisse des zuquotierenden Jahres adjustiert (Revalorisierung) - man bezeichnet dies als as-if Betrachtung-und dann wird erst die vorgebene XL-Struktur auf diese as-if Schaden angewendet.

Beispiel von PPP, wie man in KH einen Schaden inflationiert und wie man die Tarifverande-rungen berucksichtigt.

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Schadenversicherungsmathematik SoSe 2017, Michael Frohlich, OTH Regensburg 90

Definition der BC = Burning Cost eines XLs:

BC :=Summe aller as-if XL-Schaden aus vorliegendem Beobachtungszeitraum

Summer aller as-if GNPIs aus vorliegendem Beobachtungszeitraum

Als Beobachtungszeitraum sind bei property (Sach) Geschaft 5-10 aufeinander folgende Jahrebis zum aktuellen Jahr sinnvoll, bei casualty (Haftpflicht) 8-30 Jahre je nach Segment. Fur RCDecennale und WC USA z.B. 30 Jahre.

Die BC ist genau dann ein sehr guter Schatzer fur die Schadenerwartung des betrachtetenXLs, wenn es im Beobachtungszeitraum weder Trends noch Strukturbruche gab und der XLein working layer ist, also mindestens einen as-if (nach Inflation) Totalschaden in der Historieund jedes Jahr as-if Teilschaden des Layers gibt.Die BC als Rate angewendet auf das EPI ergibt die zu erwartende monitare XL-Schadenerwartung.

Wenn der XL zwar in jedem Jahr des Beobachtungszeitraums as-if Teilschaden besitzt aberkeinen as-if Totalschaden, spricht man von einer ungenutzten Haftstrecke. Die BC-Rate waredann zu ”gunstig” , da sie die XL-Schadenerwartung bis zum großten as-if XL-Schaden desBeobachtungszeitraums angibt aber die ungenutzte Haftstrecke unberuckichtigt laßt, d.h. dieungenutzte Haftstrecke wurde das RVU umsonst decken.

Daher extrapolieren die Quotierer eines RVU bei einem property XL die vorhandenen XL-Schaden mit der Paretoverteilung

F(x) = 1 −(xd

)α, (x > d).

DIE wichtigste Verteilung in der Ruckversicherung fur property Großschaden per risk undCat-Schaden per event.Bei Haftpflicht ist Pareto nicht so geeignet - eher Lognormal oder Weibull fur die Schadenhohebei GTPL XLs und Marktkurven fur KH bodily injury XLs, wenn es keine Schadenerfahrungfur den XL gibt.

Der Pareto-Parameter α wird mit der Maximum-Likelihood-Methode geschatzt:

Sind x1, x2, . . . , xn as-if Schaden aus einem Beobachtungszeitraum, die großer als eine bestimmteausgewahlte Hohe d (threshold, z.B. Schadenmeldegrenze) sind, so ist der ML-Schatzer fur α:

α :=n

n∑i=1

ln(

xid

) .Typische α-Bereiche aus der Praxis (experienced values):

1. Feuer (pro Risiko = per risk): 1, 5 ≤ α ≤ 2, 5. (meistens default α = 1, 5.)

2. Sturm (pro Ereignis = per event): 0, 7 ≤ α ≤ 1, 2. (meistens default α = 1.)

3. Allgemeine Haftpflicht (ohne KH): 2 ≤ α ≤ 3.

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Schadenversicherungsmathematik SoSe 2017, Michael Frohlich, OTH Regensburg 91

Schatzung des Erwartungswertes der Schadenanzahl Nd oberhalb d fur das zu quotierendeJahr:

Nd := EPI ·Anzahl der as-if Schaden oberhalb von d aus vorliegendem Beobachtungszeitraum

Summer aller as-if GNPIs aus vorliegendem Beobachtungszeitraum.

Beispiel fur BC, Exposure, Pareto in der Vorlesung und Formeln fur Pareto.

Alternativen zur Bewertung von non-prop XLs:

1. Frequency-Severity Analyse mit Monte-Carlo Simulation: Negativbinomial- und Poisson-verteilung am geeignetsten fur XL-Schadenanzahl. Binomial fallt raus, da nicht overdi-spersion wie in der Realitat.Pareto, Lognormal, Weibull fur τ < 1 am geeignetsten fur XL-Schadenhohe, da bei allenDreien die mean-excess function f (X) = E(X | X > Prio) streng monoton wachsend - paßtzur Praxis-Beobachtung.

2. Marktkurve fur homogene Segmente KH bodily injury, Sturm, EQ oder Motor Kasko Cat.Achtung: Marktkurve ist keine technische Bewertung, keine Quotierung.

3. Pareto-Plausibilitatscheck mittels WKPs bzw. bei Cat-Kumul XLs: Paretoansatz mit α = 1und as-if Referenzschaden, z.B. Sturm Lothar von Dezember 1999 aus Frankreich furfranzosischen Cat XL. Achtung: per event Schaden werden anders inflationiert (horizontalmit Pramienwachstum) als per risk Schaden (vertikal mit Inflations-Indizes).

Beispiele in Vorlesung.

Stop-Loss Ruckversicherung

Gegeben ist ein SL h xs a, wobei a und h prozentual zum EPI ausgedruckt sind.Ist S die Gesamtschadenquote eines bestimmten Jahres aus einer bestimmten Branche, z.B.Hagel, so tragt das EVU das Erstrisiko

S := min(S; a) (im allgemeinen ist a > 100%).

Das RVU ubernimmt einen durch h > 0 limitierten Layer

min(max(S − a; 0); h) = max(S − a; 0) −max(S − (a + h); 0) = min(S; a + h) −min(S; a).

Methoden zur Bewertung von( Hagel) Stop-Loss Vertragen: (braucht man große loss ratiosHistorie 15-25 Jahre)

1. BC, falls working-Layer.

2. Normal-Power approximation, da die empirische Verteilung der Schadenquoten meistensrechtsschief, also Schiefe großer Null.

3. Bowers-Ungleichung (siehe Heilmann) als obere Schranke.

4. Lognormal-Verteilung und Benktander.

Wichtig beim Stop-Loss: Tarifveranderungen sollten - wenn moglich - berucksichtigt werden,um die Schadenquoten-Historie as-if aufs zu quotierende Jahr abzubilden.Beispiele in Vorlesung.