[sa|tü|r] Rhetorik & Stilistik

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2011 Konferenz vom 29. / 30. April 2011 in Salzburg &

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Tagungszeitung zur Konferenz am 29. und 30. April 2011 in Salzburg

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2011Konferenz vom 29. / 30. April 2011 in Salzburg

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Es gibt keine stillosen MenschenInterview mit Prof. Dr. Thomas Schirren

Was ist der Grundgedanke von Satür? DerGrundgedanke von Satür hat sich durch dieZeit entwickelt. Mein Kollege Kolmer wolltezeigen, dass es Rhetorik hier in Salzburg gibt.Interessierte für Rhetorik gibt es nicht nur in Salzburg, sondern auch außerhalb, welche sichzu bestimmten Themen Gedanken machen und diese vorstellen wollen. Das war der An-fang.Ich habe die Rhetorik in Salzburg 2007 über-nommen. Es gab auch in diesem Jahr wiederRhetorikgespräche, da diese damals jährlich in Salzburg stattfanden. Es schien mir eine guteGelegenheit mit Tübingen Kontakt aufzuneh-men. Das bedeutet, dass zwei Universitäten sich zurRhetorik bekennen und der Meinung sind,dass man dazu jedes Jahr eine Tagung mit20 bis 40 Vortragenden machen kann. DerGrundgedanke war damals – und ich glaube,das haben wir auch soweit realisiert – ,dasses ein deutschsprachiges Forum für Rhetorik geben sollte. Dies hat Pilotcharakter, da es daserste dieser Form ist. Insofern ist der Gedanke eigentlich, Kompetenzen zu bündeln und derRhetorik, die längst schon nicht mehr in derakademischen Schmuddelecke steht, den Rangzuzusprechen, den sie mittlerweile, wenn auchnoch nicht institutionell, fraglos hat.Es gibt verschiedene Zugänge zur Rhetorik und ich glaube, sehr viele Leute verstehen durchaus Verschiedenes darunter. Was sollteIhrer Meinung nach unter Rhetorik in uni-versitären Rahmen verstanden werden? Ichglaube, die Rhetorik sollte ihre Doppelgesich-tigkeit der rhetorica docens und der rhetori-ca utens bewahren. Dies bedeutet: Praktische Rhetorik, also Vermittlung von sogenannten soft skills einerseits, und die Auseinanderset-zung mit der Theorie, welche nicht zu kurzkommen soll, andererseits. Die Vermittlung und Refl exion von Theorien ist jedoch nichtnur Bestandteil, weil dies zu einer Universität gehört, sondern weil wir der Meinung sind,dass Rhetorik eine alte Disziplin ist, die sichüber Jahrhunderte, über Jahrtausende, etab-

von Kenntnissen erwirbt man sich eben am Besten, wenn man bestimmte Konzepte in der Praxis umsetzt, also durch die Verbindung von Theorie und Praxis, die natürlich auch auf die Theorie zurückschlägt. Fünfzig zu fünfzig?Ich denke wir haben gegenwärtig eher ein Übergewicht der praktischen Seite. Das hängt, denke ich, auch damit zusammen, dass wir hier in Salzburg, in Österreich überhaupt, die Performanz in der Schule noch nicht genü-gend geübt haben. Das heißt, viele Studierende kommen mit Defi ziten der Performanz in die Seminare. Ich glaube, dass die performative Kompetenz stärker benötigt wird. Und dass

liert hat. Es gibt einen Schatz von Erfahrung, den man eigentlich nur über Theorien richtig kennenlernt. Unsere Erfahrungen sind, wenn wir uns mit modernen Rhetorikberatern be-schäftigen, dass alte Einsichten schlecht ver-standen und schlecht aufbereitet weitergege-ben werden. Die beiden Beine sind also: Praxis für die umgesetzte Rhetorik und Theorie im Sinne einer akademischen Ausbildung. Damit unterscheiden wir uns auch ganz klar vom üb-rigen Markt. Wirklich gutes Reden, die Kunst der guten Rede, ist das Wesen der Rhetorik. Dies profi tiert auch von einer Fülle von Kennt-nissen, man könnte sogar sagen: Sie wird da-durch überhaupt erst ermöglicht. Diese Fülle

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Studierende, wenn sie merken, dass sie durchein besseres Auftreten ihre Inhalte besser ver-mitteln können, klären wollen, was es eigent-lich war, das den Auftritt verbessert hat. In demMoment, wo wir jemanden hinsichtlich seinerPerformanz kritisieren, brauchen wir Begriffe. Welche Dinge sind gut rübergekommen? Wel-che Dinge sind nicht so gut rübergekommen? Und da beginnt bereits die Theorie. Das heißt, die Schlüsselkompetenz, die ver-mittelt werden soll, ist primär der Auftritt? Der Auftritt und alles, was zum Auftritt dazu-gehört, wobei darin schon wieder sehr vielTheorie steckt. Das sind diese beiden Gesich-ter der Rhetorik, die wir entwickeln wollen. Gegenwärtig haben wir ein stärkeres Gewicht auf der Praxis, ich glaube, das wird von denStudierenden auch positiv angenommen. Aberes kann durchaus sein, wenn wir merken, dassdie Praxis gut läuft, mehr Theorie angeboten wird. Bis zu einem gewissen Punkt ist ein Re-pertoire an Tricks notwendig, doch dann istes relvant, darüber hinaus zu kommen, wofürEinblicke in die Theorie benötigt werden.Warum wurde für die heurigen Satür dasMotto Rhetorik und Stilistik ausgewählt?Die Auswahl liegt nun schon etwas zurück. Deruns sehr verbundene Dr. Baldur Kirchner warf dieses Thema damals in die Runde. Dieses istdamals sofort auf große Akzeptanz gestoßen. Wir haben im Rahmen der Vorträge gemerkt, dass Stilistik eine Frage ist, die man sehr un-terschiedlich betrachten kann. Eine Begündung war, dass Stilfragen im Grunde genommen bisin die 80er, 90er Jahre des 20. Jahrhunderts von Literaturwissenschaftlern betrachtet wur-den.Wir wollten zurück zum Anfangspunkt schau-en und uns fragen: Was haben wir an origi-när rhetorischen Potenzialen in der Stilistik? Gedanken dazu waren zum Beispiel das Ge-spräch oder die Darstellung im Fernsehen und auch der Stil von Politikern. Wir hatten jetzt in Deutschland gerade Aufstieg und jähen Sturzeines Verteidigungsministers erlebt, der im-mer für seinen Stil gelobt wurde. Interessant

die Möglichkeit gibt, einen Stil zu etablieren. Damit arbeite ich natürlich an einem Master-code, möglichst von mir selber unterstützt und etabliert, der selbst wiederum Auswirkungen hat. Wir fragen uns zum Beispiel, ob eine Bundes-kanzlerin sich vor ein Mikrofon stellen und sagen kann: „Ich freue mich, dass XY jetzt ge-tötet wurde“. Ist das stilistisch die richtige Aus-sage? Kann man das so formulieren? Politisch, auch ethisch, mag man gute Gründe dafür ha-ben zu sagen, ein Verbrecher ist gefasst wor-den, das beruhigt die Gesellschaft. Dennoch verstößt die gewählte Formulierung gegen ein bestimmtes aptum. Und wenn wir schon ein-mal bei Stilfragen sind: In der Odyssee jubelt Eurykleia über den Tod der Freier. Derjenige, der sie umgebracht hat, nämlich Odysseus, welcher sich dazu gezwungen sah, sagt, über tote Menschen, selbst wenn es die Feinde sind, wird nicht gejubelt. Das ist eine Stilfrage. Das wäre der Bereich der Rhetorik, der über Fra-gen des Ausdrucks hinausgeht und natürlich in die Frage der Manieren, des gesellschaftlichen Comments hinüberspielt. Wir wissen natürlich Rhetorik als eine Wissenschaft der symboli-schen Interaktion muss sich mit solchen Fragen beschäftigen. Und wenn Sie sich umschauen, wie viele Berater für Stil es gibt – die Unsicher-heit ist sehr groß. Eine ganz pragmatische Frage: Wie erwirbt man Stil? Man hat immer schon Stil. Es gibt keinen stillosen Menschen. Das ist, glaube ich, das Ergebnis der 68er Bewegung. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der Stil von Leu-ten als unnötig, als bürgerlich, als höchst pro-blematisch angesehen wurde. Dennoch wurde gesagt, ich trage keine Plastiktüte, sondern eine Jutetasche; ich habe grundsätzlich nur ab-gewetzte Jeans. Heute kaufen sich Jugendliche schon von vorne herein abgewetzte Jeans. Da-ran wird deutlich: Stil ist immer eine bewusste Entscheidung. Also auch derjenige, der sagt, ich habe immer nur alte Hosen, wählt diese alten Hosen. Von Brecht wissen wir, dass sei-ne angebliche Nickelbrille aus Edelmetall war

war, wenn man jetzt die Nachrufe betrachtet, dass der Stil, der vorher hochgejubelt wurde, plötzlich schal wirkte, aufgesetzt und irgend-wie nicht echt. Es wird plötzlich ganz anders bewertet. Vorher fand man, dass er ein wun-derbarer Redner ist. Nachdem bestimmte De-tails seiner wissenschaftlichen Arbeit ans Licht gezerrt wurden, fand man aber, er war eigent-lich immer schon etwas halbseiden. Und das sind Fragen, die natürlich Stil und Mensch, Stil und Ethos des Redners, noch einmal virulent werden lassen – und das ist dann eben einerhetorische Frage. Das bekommt man nicht über die literaturwissenschaftliche Stilbetrach-tung in den Griff. Das war unser Gedanke. Was bedeutet Stil für Sie und welche Rolle spielt er in Ihrem Leben? Ich habe mir dieseFrage auch immer wieder gestellt. Ich glaube, dass ich wahrscheinlich durch meinen Um-gang mit Rhetorik bei Stilfragen sehr sensibel bin. Ich hoffe immer, dass ich den richtigen Stil treffe. Ich glaube, dass das eine Fähigkeit ist, die den größten Erfolg bei den Zuhörern hat. Nun bedeutet aber den richtigen Stil tref-fen oft auch, dass man überhaupt erst einmal einen Stil etabliert. Das beginnt bei der Klei-dung und endet im Ausdruck. Es geht darum,dass man dies auch gegen Widerstände und mit einer gewissen Sicherheit umsetzt. Die Modemacher können als Beispiel dienen.Ich glaube, dass die Mode ein Bereich ist – da hätten wir bei Satür vielleicht auch noch etwas darüber hören müssen – wo es nur um Stil geht. Es werden Milliarden in Stilfragen inves-tiert. Es gibt Gurus, die sagen: Das ist guter Stil. Wenn Sie sich aber ansehen, wie zum Beispiel seinerzeit Coco Chanel den Businessanzug für die Frau etabliert hat, hatte sie natürlich zu-nächst auch mit Kritikern zu rechnen. Es ge-hört also immer auch dazu gegen den Strom zu schwimmen, aber zu wissen, was das Richtige ist. Das fi nde ich an der stilistischen Frage inte-ressant: die Fähigkeit des Einzelnen, über das, was Rhetorik zunächst einmal lehrt, nämlich sich möglichst anzupassen, hinauszukommen. Also zu erkennen, dass es darüber hinaus auch

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und seine Zigarren höchst teuer waren. Es ist alles, auch der scheinbar lässige oder vielleicht sogar armselige Anzug, eine Frage des Stils. Es gibt keine Nullstufe. Ich glaube, das wissen wir auch aus der Rhetorik. Es gibt keine rhetori-sche Nullstufe. Dann geht es darum, den Stil zu entwickeln und zu verfeinern? Es geht darum, zu über-legen, ob diese Entscheidung richtig in die-sem Kontext ist. Ob ich mich so anziehe für den entsprechenden Auftritt oder so anziehe. Ich glaube, dass damit schon viel entschieden ist, auch für die Wirkung des folgenden Auf-tritts. Stilfrage ist die Bewusstmachung des-sen, was ich eigentlich tue. Und darauf folgt die Frage nach der Optimierung. Denn Sie re-den immer irgendwie und irgendwie nutzen Sie auch die Grammatik. Rhetorik untersucht aber, wie ich dies optimieren kann. Insofern müsste die Stilfrage auch eine Optimierung anstreben, sogar gegen Widerstände. Das sind die Chancen, die dem Rhetoriker dadurch zu Gebote stehen, dass er weiß, wie er eine Stra-tegie optimiert. Derjenige, der das nicht weiß, scheitert vielleicht damit. Wir haben immer wieder erlebt, wie stilistische Entscheidungen misslingen können. Ein Beispiel aus der Poli-tik: Die Grünen haben 1980 in Deutschland Einzug in die Landesparlamente, später auch in die Bundesparlamente gehalten. Sie traten zu-nächst provokativ mit Turnschuhen auf. Jeans und Turnschuhe im Bundeskabinett. Das war natürlich zunächst für manche ein Problem. Die Botschaft, die dabei gesendet zu werden schien, lautete: Uns ist egal, was wir tragen, uns geht es um die Sache. Wir legen keinen Wert auf Anzüge und entsprechende Schuhe, wir wollen Inhalte, keine Formfragen. Aber das war natürlich auch eine Form. Sie haben sich für diese Form entschieden, welche zu-gleich auch Teil der Botschaft war: Wir sind locker, wir bringen die Straße ins Parlament. Als Joschka Fischer dann Bundesminister des Äußeren wurde, legte er seine Kluft ab und trat seither in Nadelstreifen auf, weil er der Mei-nung war, das ist angemessener. Das ist nicht nur Anpasserei, sondern das war eine bewusste Entscheidung. Also Aufgabe der Rhetorik an einer Uni-versität wäre es, den Studierenden bewusst zu machen, was sie machen und sie dann aufzufordern, dies auch zu optimieren? Ge-nau. Ihren eigenen Stil zu suchen. Und es gibt sehr unterschiedliche. Wenn sie Anfang des 20.Jahrhunderts auf die Straße getreten wä-ren, da war die Stilfrage eine Frage des Ein-kommens. Es war völlig klar, was man anzog. Man musste einen Hut tragen, man musste ei-nen dunklen Anzug tragen, man hatte entspre-

chende Krawatten. Unterschiede gab es nurdarin, dass sich Arbeiter nur einen bestimmten Anzug leisten konnten und den besseren auchnur einmal pro Wochen tragen konnten. Leu-te, die mehr Geld hatten, besaßen eine Vielzahl solcher Anzüge. Aber der Stil war im Grunde festgelegt. Heute – gehen Sie hier in entsprechende Kauf-häuser – liegt es nicht an der Qualität der Ma-terialien, ob etwas teuer ist. Heute ist es eineFrage des Labels. Das heißt, Sie entscheiden sich beim Kauf für die jeweilige Stilistik. Siehaben eine Vielzahl an Optionen. Deswegen ist es wichtig, für die Frage des richtigen Stilsim Sprechen und natürlich darüber hinaus, Be-wusstheit oder Bewusstsein zu entwickeln undauch weiter auszubilden: Welcher Stil passt zumir und zur jeweiligen Situation?Zugleich heißt das aber auch, dass man wissenmuss, wer man selber ist und welche Persön-lichkeit man hat, um den passenden Stil zu fi n-den, sofern es nicht nur angelegte Rollen seinsollen. Dies hat uns auch Prinz Asfa-Wossen Asserate gezeigt. Die Frage heute ist nicht mehr„Was ist der beste Stil?“, sondern „Welcher Stilpasst zu mir?“. Insofern ist auch Rhetorik, undda sind wir wieder bei der Schlüsselkompe-tenz, eine Form von Persönlichkeitsentwick-lung. Um diese Frage beantworten zu können, – welcher Stil passt zu mir – muss ich michselbst schon ein bisschen kennen. Ich sehe,was Rollenverhalten betrifft, nicht so großeProbleme. Ich denke, die Authentizität kannsich auch wandeln oder das ist auch ein Mo-dus sich zu geben. Stil muss nicht immer auf der innersten Wahrheit des Wesens beruhen. Wer sind wir eigentlich? Diese Frage, einmal gestellt, würde uns wahrscheinlich in so tiefesNachdenken bringen, dass wir überhaupt nichtmehr rhetorisch Handeln könnten. Irgendeine Rolle nehmen wir immer an, aber wir solltenuns bewusst machen, dass es eine bestimmte Rolle ist und dass Rollen mehr oder weniger gut passen, mehr oder weniger natürlich sind. Einen letzten Gedanken zu Satür 2011. LetzteGedanken formuliere ich natürlich immer un-gern, weil das heißt, dass es dann keine mehrgibt. Ich denke, der Gedanke, den wir von Sa-tür mit nach Hause nehmen ist: Stilfragen sindso eng mit der Persönlichkeit verzahnt, dasswir das immer wieder betrachten müssen.Auch die Abschlussdiskussion hat gezeigt, wie groß das Spektrum ist, in dem man überStilfragen nachdenken kann. Wie Quintilian dies auch sagt: Die zentralen Kategorien sindSensibilisierung und Selbstbeobachtung.

Christian Haider und Eva Mayringer

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Es gibt keine stillosen MenschenInterview mit Prof. Dr. Thomas Schirren

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Impressionen

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Jetzt seien Sie mal ehrlich … wirklich ehrlich … – Sie haben doch auch mal abgeschrieben, in der Schule – vom Strebernachbarn. Oder? Ich habe zugegebenermaßen nicht oft bis gar nie geschummelt. An ein Mal kann ich mich aber noch sehr gut erinnern: Da scheiterte ich kläglich und wurde vor der versammelten Klas-se von der strengen Lehrerin abgekanzelt – was mir aber gleichzeitig hohe Sympathiewerte seitens meiner Klassenkameradinnen einbrach-te. Ab sofort war ich nicht mehr die Streberin, unantastbar, sondern eine von ihnen. So oder so ähnlich hätte es auch für Karl-Theodor zu Guttenberg laufen können – und fast hätte es ja auch funktioniert – wären da nicht all diese bösen Pressemenschen und all diese noch bö-seren Akademiker gewesen.Alles Unglück nahm seinen Anfang mit einer einfachen harmlosen Buchbesprechung. Dem Rezensenten Andreas Fischer-Lescano fi el das sprachlich als auch argumentativ sehr unein-heitliche Niveau der Arbeit auf. Routinemä-ßig googelte er einige Stellen und was er da fand, erstaunte ihn nicht schlecht. Er kam zu dem Ergebnis, dass die Doktorarbeit an meh-reren Stellen „ein dreistes Plagiat“ und „eine Täuschung“ sei. Guttenberg, selbst ernannter Inbegriff von Wahrheit und Werten, wies dies entschlossen zurück: „Der Vorwurf, meine Doktorarbeit sei ein Plagiat, ist abstrus.“ Als die vergessenen und übersehenen Fuß-noten stetig wuchsen, sagte er in einer Pres-sekonferenz mit sprühender Überlegenheit und voller Güte: „Meine von mir verfasste Dissertation ist kein Plagiat. (...) Sie ist in über etwa sieben Jahren in mühevollster Kleinar-beit entstanden und sie enthält fraglos Fehler. Und über jeden einzelnen dieser bin ich selbst am unglücklichsten. (...) Ich werde selbstver-ständlich aktiv mithelfen festzustellen, inwie-fern darin ein wissenschaftliches, ich betone ein wissenschaftliches Fehlverhalten liegen könnte. Und ich werde gerne bis zum Ergeb-nis dieser Prüfung vorübergehend, ich betone

vorübergehend, auf das Führen des Titels ver-zichten, allerdings nur bis dahin, anschließend würde ich ihn wieder führen.“ Natürlich war die 475-seitige Sache über alle Zweifel erha-ben, aber Guttenberg war schließlich auch kein Kleinkrämer und verstand die Ängste und Zweifel ein paar weniger Thomase. Während des folgenden besonders gemüt-lichen Wochenendes hatten sich die plagi-ierten Seiten inzwischen auf über 260 Seiten addiert. Auch Guttenberg hatte Zeit gehabt, sich mit seiner von ihm verfassten Doktorar-beit noch einmal zu beschäftigen. „Nach dieser Beschäftigung (...) habe ich auch festgestellt, wie richtig es war, dass ich am Freitag gesagt habe, dass ich den Doktortitel nicht führen werde. Ich sage das ganz bewusst, (...) weil ich feststellen musste, dass ich gravierende Fehler gemacht habe; gravierende Fehler, die den wissenschaftlichen Kodex, den man so ansetzt, nicht erfüllen. (...) Und dann gibt es ganz besonders peinliche Beispiele dabei. (...) Und das sind selbstverständlich Fehler. Und ich bin selbst auch ein Mensch mit Fehlern und Schwächen. Und deshalb stehe ich auch zu die-sen Fehlern.“ Vor seinen jubelnden Fans in der Kelkheimer Stadthalle wird Guttenberg nun selber zum reuigen Thomas, äußert Selbstvor-würfe und gibt seine Demut zu Protokoll. Und im gleichen Atemzug mutiert er auch zum David im aussichtslosen Kampf gegen Goliath: „Und, meine Damen und Herren, da verlässt man nicht irgendwelche Schiffe, sondern man bleibt an Deck, und dann hält man Dinge auch entsprechend durch. Und wenn es gelegentlich etwas absurd wird, dann hält man die Dinge einfach auch aus. Auch das ist eine Erwar-tungshaltung, die Sie, glaube ich, an jemanden auch haben, der in der Verantwortung steht.“ Gutti hatte sich schon lange in die Herzen der Menschen geredet und geBILDet und war sich sicher, dass sie ihm diese Sache nachsehen und ihm dabei sogar beistehen würden.Die Opposition war allerdings nicht gewillt,

ihn davonkommen zu lassen. Kanzlerin Ange-la Merkel hingegen verstand das Anliegen desVolkes und wollte beim Glätten der Wogen helfen: „Ich habe keinen wissenschaftlichen Assistenten berufen, sondern einen Verteidi-gungsminister.“ Genau. Genauso hätte er auchbetrunken fahren können, schließlich hatte sieja auch keinen Fahrer eingestellt. Das Bonmot der Kanzlerin war beherzt und für eine Dok-torin der Physik überaus mutig. Letztendlich konnte es aber leider die glosende Glut auchnicht mehr löschen. Denn inzwischen brann-te es dank über 30.000 akademischer Unter-schriften schon lichterloh. Letztlich und ausschließlich waren es dannaber doch das große Pfl ichtgefühl und die ei-gene Überzeugung und Verantwortung, dieGuttenberg zum Rücktritt veranlassten. „Ichtrage bis zur Stunde Verantwortung in einemfordernden Amt. Verantwortung, die mög-lichst ungeteilte Konzentration und fehlerfreie Arbeit verlangt. (...) Wenn allerdings – wie inden letzten Wochen geschehen – die öffentli-che und mediale Betrachtung fast ausschließ-lich auf die Person Guttenberg und seine Dis-sertation statt beispielsweise auf den Tod unddie Verwundung von 13 Soldaten abzielt, sofi ndet eine dramatische Verschiebung der Auf-merksamkeit zu Lasten der mir Anvertrauten statt. (...) Wenn es auf dem Rücken der Sol-daten nur noch um meine Person gehen soll,kann ich dies nicht mehr verantworten. Unddeswegen ziehe ich – da das Amt, die Bun-deswehr, die Wissenschaft und auch die michtragenden Parteien Schaden zu nehmen drohen – die Konsequenz, die ich auch von anderenverlangt habe und verlangt hätte.“Wer war also Schuld am ganzen Desaster? DieMedien. Natürlich. Die Geister, die Guttenberg selbst herbeigerufen hatte, hatten die Gewich-tung der Nachrichten falsch gelegt und mitihrer „enormen Wucht der medialen Betrach-tung“ alles durcheinander gebracht. Was sindschon ein paar kleine vergessene Zitate im Ver-

Jeder Politikberater rät strengstens davon ab. Und dennoch ist diedefensive Selbstverteidigung unter Politikern höchst beliebt. UlrikeWendenburg zeigte in ihrem Vortrag die Verteidigungsstrategie Karl-Theodor zu Gutenbergs in Zusammenhang mit seinen Plagiatsvorwür-fen auf. Eine Erwiderung auf ihren Vortrag.

Eine Erwiderung auf Ulrike Wendenburg: Karl-Theodor zu Guttenbergs rhetorische Schadensbegrenzung

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gleich zum Tod von Soldaten in Afghanistan? Diese populistische Form von Relativismus ist nicht leicht zu durchschauen. Im Gegen-teil: diese Logik ist universell anwendbar undeignet sich unter anderem auch hervorragend dazu, eine abgekupferte Doktorarbeit als einKavaliersdelikt hinzustellen. 1218 Plagiatsfrag-mente aus 135 Quellen auf 371 von 393 Sei-ten sprechen allerdings eindeutig eine andere Sprache.Eigentlich hat Karl-Theodor zu Guttenberg janur eine kleine Winzigkeit übersehen – nebenall den anderen Fußnoten: In der Schule beiTests abzuschreiben ist leider nicht dasselbe wie bei einer Dissertation die Fußnoten zu ver-gessen. Vielleicht hätte ihm das jemand vorher sagen sollen.

Michaela Lederer

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Kirchner-SeminareRhetorik . Dialektik . Ethik . PsycheRh t ik Di l ktik Ethik P h

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Rhetorik ist mehr als reden.

Die Salzburg-Tübinger Rhetorikgespräche bilden für diesen Gedanken einen wertvollen Rahmen. Das unterstützen wir.

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Rhetorikausbildung ist PersönlichkeitsentwicklungInterview mit Dr. Baldur Kirchner

Dr. Baldur Kirchner eröffnete mit seinem Vortrag über die „Capta-tio benevolentiae“ die 8. Salzburg-Tübinger Rhetorikgespräche. Dabeisprach er nicht nur über eine Stilfigur, sondern überzeugte vor allemdurch seine Persönlichkeit und gewann offensichtlich Wohlwollen undZustimmung des Publikums. Herr Dr. Kirchner äußerte sich zu Rheto-rik, Persönlichkeit und auch zu Persönlichem.

Herr Kirchner Sie beschäftigen sich seit ca.40 Jahren mit dem komplexen Thema der Rhetorik. Was waren für Sie persönlich diespannendsten Erkenntnisse in den vergan-genen Jahren? Wo haben Sie neue Aspekte für sich entdeckt? Ich gehe einen Schritt zu-rück, nämlich zu dem, was mich nach meinem Studium in Tübingen bewogen hat, mich mitRhetorik intensiver zu beschäftigen. Es wardie Beobachtung eines zu methodisch-techni-schen, oberfl ächlichen Kommunikationsver-haltens in der Gesellschaft, in der Politik, in der Wirtschaft, gegebenenfalls in der Kircheund der Wunsch, einen kleinen Beitrag dazuzu leisten, Sprache als ein Merkmal der Persön-lichkeit zu betrachten und nicht an erster StelleTechniken zu kultivieren.Da haben Sie ja mit Ihren Kursen schon ei-nen großen Beitrag geleistet. Ja, das kannich sagen, das sind ungefähr, da wir mit al-len Teilnehmern Einzelgespräche führen – ichsage jetzt wir, weil ich unsere Söhne Alexander und Sebastian mit einbeziehe – etwa 35.000Menschen aller Branchen, mit denen wir ar-beiten. Denen haben wir versucht, Sprache in einer Weise zu vermitteln, die ein Ausdruck der Persönlichkeit ist. Es geht also um die Au-thentizität des Sprechenden und um das damitverbundene Überzeugungsvermögen. Deshalb begleiten wir Führungskräfte auch über meh-rere Jahre.Ich möchte auf die Persönlichkeitsent-wicklung noch weiter eingehen, aber zuvormöchte ich Ihnen noch eine andere Fragestellen: Sie haben Philosophie, Philologie und Theologie studiert und sind seit 40 Jah-ren selbständig in diesem Bereich tätig. Wasist Ihre Berufsbezeichnung bzw. was habenSie vor 40 Jahren beim Ausfüllen eines For-mulars in das Kästchen Berufsbezeichnung eingetragen und was heute? Vor 40 Jahren habe ich „Freier Seminarleiter“ eingetragen und heute schreibe ich „Freier Dozent für An-

gewandte Philosophie“, als Oberbegriff, oder „Dozent für Persönlichkeitsentwicklung“.Klingt schön. Ja, denn Persönlichkeitsbildung ist meiner Meinung nach unzutreffend, denn jedes Kind hat bereits seine Persönlichkeit mit-bekommen. Aber wir betrachten unsere Arbeit als Beitrag an der Persönlichkeitsentwicklung.

In Ihren Büchern, Seminaren und Vorträ-gen wird immer wieder die Wichtigkeit der Persönlichkeitsentwicklung betont. Wie würden Sie denn das Verhältnis zwischen Persönlichkeitsentwicklung und Rhetorik beschreiben? Knapp gesagt, Rhetorikausbil-dung ist Persönlichkeitsentwicklung. Womit

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ich meine, dass jemand, der sich häufi ger inRhetorikseminare begibt, erfährt, dass er sichin seiner Wirkung besser begreift, dass er mitRückmeldungen, die andere ihm geben, besserumgehen kann, dadurch souveräner wird und schließlich zu einer tieferen Selbsterkenntnis seiner Persönlichkeit gelangt. In der Rhetorik gibt es ja Parameter, an dersich Qualität messen lässt. Da haben wirheute auch schon einige gehört. Dies erweist sich jedoch als schwieriger, wenn es zurPersönlichkeitsentwicklung kommt. Gibtes Ihrer Ansicht nach dennoch Parameter, an denen sich eine gute Persönlichkeitsent-wicklung messen lässt? Ja. Ich fange mit et-was Vordergründigem an. Ich kann belegen, an der Biographie von Führungskräften, dieich lange begleite, dass sie sich berufl ich hie-rarchisch verbessert haben, womit ich meine,dass sie aufgestiegen sind. Das ist das Vorder-gründige. Das Tiefere ist, ich lehne mich daan Aristoteles, an die Überzeugungsintention an, nämlich Besonnenheit, Tugend (womit ichdie nach modernem Ausdruck „sittliche Kom-petenz“ meine) und Wohlwollen. Das heißt,der Sprechende zeigt Wohlwollen gegenüber dem Publikum, was ein Ergebnis seiner inne-ren Qualität ist, das Publikum beantwortet ihmseinerseits diese Haltung mit einer ebenfalls aufgeschlossenen, freundlichen Art.In Ihrem Buch „Rhetorik für Manager“ schreiben Sie, dass die Rhetorische Bildung letztlich Ausdruck von Persönlichkeitsbil-dung ist. Sollte es Ihrer Meinung nach aucheinen Kurs oder ein Unterrichtsfach an Uni-versitäten oder anderen Ausbildungsstätten mit dem Titel „Persönlichkeits- oder Her-zensbildung“ geben? Unbedingt. Ich habeheute in meinem Vortrag den dänischen Tie-fenpsychologen Ewald Bohm zitiert, der alsErfi nder des Ausdrucks „Verkopfungsneurose“gilt, mit der er die Intellektuellen in Europa kritisiert. Diese defi nieren sich an erster Stelledurch ihre Intellektualität und rationalisierten Erlebnisse. Psychoanalytisch ausgedrückt, alsoalle möglichen Erklärungen geben, aber Angstvor dem wirklich tiefen emotionalen Erleben haben. Es gibt zum Beispiel in anderen Ländern an Gymnasien sogenannte Debattierklubs und Arbeitsgemeinschaften für freies Sprechen. Ne-ben den offi ziellen Lehrstühlen für Rhetorik,Latinistik und Gräzistik sollte es Lehrstühle, Se-minare für Angewandte Rhetorik geben, denn– noch einmal sei es gesagt – Angewandte Rhe-torik ist Persönlichkeitsentwicklung.Und sehen Sie darin auch ein gewisses Prob-lem, was die Lehre als auch die Beurteilung anbelangt, da man sich in einem Bereich be-wegt, der sehr stark in den persönlichen undauch intimen Bereich des Studierenden hin-eingeht? Das bedarf eines ethisch sehr verant-wortungsvollen Verhaltens des Seminarleiters. Es bedarf eines ausgewogenen Interaktionssti-les, wie er mit den in der Gruppe versammel-ten Personen – acht bis maximal zehn Personen– umgeht. Zum Beispiel nicht vergleicht und

keine negative Kritik äußert, sondern gegebe-nenfalls in Einzelgesprächen unter vier Augen sagt, was er Demjenigen nicht vor der Gruppe sagen möchte.Wir haben heute auch in dem Vortrag von Herrn Dr. Asserate gehört, dass wir in einer Zeit der Umbrüche leben. Glauben Sie, dass es in Zukunft solche Kurse an Universitäten geben wird? Ich glaube schon, weil auch an den Universitäten eine neue Generation nach-wächst, die sich eines demokratischen Dis-kussionsstiles befl eißigt. Das demokratische Kommunikationsverhalten aber legt ja nahe, dass der Disputant in exponierter Stelle rela-tiv frei und fl üssig formulieren können sollte. Es ist also erlaubt, dass Studierende Fragen an den Dozierenden stellen und er nicht allein mit fachlicher Kompetenz, sondern auch mit sozi-aler Kompetenz überzeugend antworten sollte. Unbedingt. Ja, ich meine unbedingt, dass an den Universitäten mehr für die Persönlich-keitsentwicklung getan werden müsste.

Was halten Sie von dem Begriff der „Rhe-torik“ ganz allgemein? Es zeigt sich ja auch auf dieser Tagung, dass es sehr viele un-terschiedliche Zugänge und verschiedene Selbstverständnisse oder Konnotationen gibt. Im Grunde ist Rhetorik von der Herkunft eher ein Fach, als eine Fachdisziplin, die ars rhetorica oder rhetorike techne bei Aristoteles ist zunächst ein Hinweis auf die Persönlich-keitsbildung. Wir müssen heute eher sagen: Ausbildung im souveränen Sprechen. Wenn wir die Literarische Rhetorik, das Verfassen von Texten, einmal beiseite lassen, können wir sagen, dass die Angewandte Rhetorik eine Dis-ziplin ist, die sich um das freie monologische und dialogische Sprechen bemüht.Der Seminarmarkt, die Coaching- und Be-ratungsszene boomt. Welche Rolle wird die Rhetorik in Zukunft auf diesem Markt spielen? Offensichtlich eine sehr große, dennsogenannte Rhetoriktrainer, ich sage bewusst

„sogenannt“, weil ich von einem Training der Persönlichkeit nichts halte, aus ethischer und aus tiefenpsychologischer Sicht, aber of-fensichtlich eine sehr große. Denn es gibt ein starkes Bedürfnis von Personen, die sich in Führungspositionen begeben möchten, die ein brillantes Examen absolviert haben, aber schon drei Wochen nicht schlafen können, weil sie die erste Rede oder Besprechung halten müs-sen. Also, es gibt zahlreiche, ja tausende so-genannter Rhetoriktrainer, sodass der Markt boomt. Es ist zunächst auch sehr leicht, einen Teilnehmer vor die Kamera zu stellen und ihm zu sagen, wie er sich äußerlich habituell ver-halten solle. Die Schwierigkeit aber besteht darin eine Kontinuität in der Begleitung zu entwickeln. Die dauert, wie zu Beginn gesagt, viele Jahre. Der Schweizer Autor Rolf Dobelli hat in sei-nem Buch „Wer bin ich“ 777 indiskrete Fra-gen formuliert. Ich erlaube mir, davon sechs Fragen an Sie zu richten.Wie defi nieren Sie Sinn? Sinn bedeutet die Tiefe für die eigene Lebens-gestaltung erkannt zu haben.Gibt es einen thematischen Schwerpunkt in Ihrem Leben? Ja, die Beziehung zum Göttlichen.Woran messen Sie die Qualität Ihres Lebens-entwurfs? An meiner familiären und meiner persönli-chen inneren Harmonie.Was war wichtiger für Sie: Mut oder Beson-nenheit?Besonnenheit.Haben Sie die Tendenz, zu viel oder zu we-nig zu reden?Seitdem ich mich intensiver mit der Kontem-plation beschäftige, das sind nun auch schon vierzig Jahre, wenn ich das sonstige Berufl iche beiseite lege, spreche ich eher, in der Tendenz, weniger und höre mehr zu.Welche Fragen hätten Sie Sokrates gestellt?Ich hätte ihm die Frage gestellt, weshalb er sagt „Ich weiß, dass ich nichts weiß“.Meine letzte Frage an Sie Herr Kirchner: Was möchten Sie jungen Studenten der Rhetorik mit auf den Weg geben?An allererster Stelle an ihrem Selbstwertgefühl zu arbeiten.

Christian Haider

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Stil, Manieren und ein Prinz aus dem Hause David

Asfa-Wossen Asserate sprach in seinem Abendvortrag über den „homooeconomicus als stilistisches Phänomen“. Dabei kam der Prinz ausdem äthiopischen Kaiserhaus nicht nur auf spezielle Gepflogenheitenzu sprechen, sondern reflektierte das Wesen von Manieren und Stil.

„Das gehört sich nicht!“ – „Das macht mannicht!“ – „Das zieht man nicht an!“ Wer kenntsie nicht – diese Aussagen und auch dieses„man“. Doch woher kommen derartige An-nahmen über das „richtige“ Benehmen, werist „man“ und wer legt richtig und falsch fest?Manieren und Benehmen sind Bereiche, wel-che nach wie vor in jeder gesellschaftlichen Si-tuation relevant sind. Ihre Relevanz wird seltenin Frage gestellt, ihre Verbindlichkeit und An-gemessenheit schon eher. Früher war verhält-nismäßig klar, wie man sich verhält und werdie präskriptiven Größen in Stilfragen sind.„Der Knigge“. Das Standardwerk über guteManieren mit dem Titel „Über den Umgang mit Menschen“ von Adolph Freiherr von Knig-ge erschien erstmals 1788. Dennoch ist es ebendieses Werk, welches vielen von uns beimStichwort Manieren ins Bewusstsein rückt. DieKlarheit und Reglementierung von anno dazu-mal ist mittlerweile einer Vielfalt an Stilen und einer großen Unsicherheit gewichen. Waren eseinst Adelige, welche sie prägten, und Tanz-lehrer, welche sie vermittelten, gibt es heutenicht mehr DIE Instanz für den Bereich Manie-ren. Es gibt nicht eine Fachdisziplin, welche für das umfassende Gebiet zuständig ist. VieleDisziplinen setzen sich mit Teilgebieten desgroßen Themas „Manieren“ auseinander undpicken sich einzelne Bestandteile heraus. DieseUnklarheit in puncto Zuständigkeit macht auchdie gesellschaftliche Unsicherheit in puncto Manieren verständlich. Wer könnte heute noch ein Werk über Ma-nieren schreiben, welches in eine Reihe mit„Knigge“ gestellt werden kann? Viele Rezen-senten scheinen sich einig zu sein: Asfa-Wos-sen Asserates „Manieren“ ist so ein Werk. Er sagt jedoch selbst, dass es sich dabei um keinepräskriptiven Betrachtungen handelt, sondern dass sein Vorgehen deskriptiv, analytisch und etymologisch war. Er ist den Fragen nach Ma-nieren nicht systematisch nachgegangen, da er selbst sagt, „ich glaube, damit dem Geistmeines Themas zu entsprechen, denn die Ma-

nieren sind kein System, sie sind logisch nicht erschließbar und sie entziehen sich der exakten Fixierung.“ Dennoch zeigt der Autor, sowohl in seinen Werken als auch in seinem Vortrag ein Gespür für diese Thematik. So führte er in seinem Vortrag mit dem Titel „Der homo oeconomicus als stilistisches Phänomen“ bei-spielsweise ironisch und zugleich genau be-obachtet die verschiedenen Ausformungen des Gastempfanges in den oberen Etagen der Geschäftswelt an. Humorvoll skizzierte Asfa-Wossen Asserate unterschiedlichste Möglich-keiten, angefangen von der Abholung des Gastes durch den Chef persönlich in der Emp-fangshalle bis hin zu dessen Sitzenbleiben hin-ter dem Schreibtisch, wenn der vor der Türe wartende Gast endlich vorgelassen wird. In jedem Fall eine deutlich Aussage, in jedem Fall auch eine Frage des Stils.Wir wissen nun, wer ein Werk über Manie-ren im Gefolge von Knigge verfasst hat, doch weshalb ist gerade Asfa-Wossen Asserate ge-lungen, was vielen misslang? Nachdem Be-nehmen und Stil schwer fassbare Größen dar-stellen, und sich genauer Klassifi zierung undDisziplinen entziehen, ist Expertise schwer feststellbar. Ein Indikator könnte jedoch sein, dass es keine Inkongruenz zwischen Wort und Tat gibt: Asfa-Wossen Asserate schreibt und spricht über Manieren UND lebt dies auch. EinPrinz aus dem äthiopischen Kaiserhaus für den Stil und Manieren von Geburt an selbstver-ständlicher, alltäglicher Bestandteil waren. So erzählt er in seiner Biographie („Ein Prinz aus dem Hause David und wie er nach Deutsch-land kam“) vom täglichen Speisezeremoniell, von Kleidungsvorschriften und nicht zuletzt von glanzvollen gesellschaftlichen Ereignissen. Und in all diesen Situationen waren Stil und Manieren nicht nur schmückendes Beiwerk, sondern tragende Bestandteile. Wenngleich eine kaiserliche, äthiopische Zeremonie nicht mit europäischem Alltag verglichen werden kann, so werden durch diesen veränderten Blickwinkel Eigenarten unserer Kultur und

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könnte auch sagen, sich selbst ausschließlich im Spiegel der anderen wahrzunehmen. Der Aufmerksame ist darauf konzentriert, die Lage, in der er sich befi ndet, zu erkennen. Er blickt die Menschen, die ihm begegnen, an. Die-se Menschen sind ihm wichtig. Es gibt keine unwichtigen Menschen und unwichtigen Be-obachtungen. Was in der jeweiligen Situation vernachlässigt werden kann, muss zunächst wahrgenommen werden.“

Eva Mayringer

Parfüm ist es klug, sich Manieren anzueignen, die mit den persönlichen Gegebenheiten nicht in kreischendem Gegensatz stehen, sondern sie glücklich ergänzen.“ Doch nicht nur die eige-ne Person sollte als Referenzgröße dienen, son-dern auch die jeweilige Situation (man denke an den rhetorischen Begriff des aptums). Was in einer Situation angemessen ist, kann in der anderen völlig verkehrt sein. Daher kann es nicht darum gehen, spezielle Vorschriften zu kennen, sondern um Angemessenheit der ei-genen Person, dem Umfeld und der Situation gegenüber. Asfa-Wossen spricht nicht nur von einzelnen Gepfl ogenheiten, sondern themati-siert in seinen „Manieren“ auch Einstellungen und Werte, welche dahinter liegen. Zentrales Element ist aufmerksam zu sein, zu beobach-ten und zu refl ektieren: „Aufmerksamkeit ist eine Grundhaltung des Menschen der Welt gegenüber. Der Aufmerksame hat sich dazu entschieden, nicht sich selbst, sondern die ihn umgebenden Phänomene zu betrachten, man

Satür 2011 [10 ]

unseres Stil deutlich. Einige dieser Eigenarten sammelte der Autor in „Draußen nur Känn-chen“, wobei er dabei speziell auf kulturelle Eigenarten der Deutschen eingeht. Die fehlende präskriptive Größe, die Unfass-barkeit des Gebietes und die kulturellen Unter-schiede werfen uns auf eine zentrale Größe derheurigen Salzburg–Tübinger–Rhetorikgesprä-che zurück: die Persönlichkeit. Der Zusam-menhang zwischen Stil und Persönlichkeit wareines der Hauptthemen. Dies wurde sowohl im Eröffnungsvortrag von Dr. Baldur Kirch-ner, als auch in Einzelbeiträgen während derTagung, sowie in der abschließenden Plenar-diskussion behandelt. Persönlichkeit spielt imRahmen von Stil und Manieren eine so zentrale Rolle, da es bei einer derartigen Unbestimmt-heit der Sache unmöglich ist, sich ausschließ-lich auf situative Festschreibungen zu verlas-sen. Es gilt sich selbst zu fragen, welcher Stil zu einem passt. „Manieren sind das Parfüm, dasvergessen lässt, dass wir stinken, und wie beim

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Olaf Kramer: Eine Frage des Stils?Erfolgsbedingungen politischer Redein der Mediendemokratie

Wie soll man heute eigentlich reden, damit die Menschen es verste-hen? Reichen Worte alleine noch aus, um das reizüberflutete undpolitikverdrossene Volk zu erreichen?

Heutzutage werden politische Reden und Statements notwendigerweise über die Mas-senmedien vermittelt. Von einem ausführli-chen Beitrag des Redners bleiben meist nur ein paar Zitatschnipsel übrig, welche, aus dem Zusammenhang gerissen und in einen anderen Kontext versetzt, oft ein falsches Bild wider-spiegeln, aber dennoch von Presseagenturen verbreitet und in Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen gebetsmühlenartig wiederholt wer-den.Jeder Politiker ist daher auf der Hut und er-geht sich naturgemäß in Allgemeinplätzen. Wie wichtig es ist, genau zu überlegen, was man sagt, kann man aktuell an Angela Merkels Satz „Ich freue mich darüber, dass es gelun-gen ist, Osama bin Laden zu töten.“ sehen. Der Pastorstochter wird moralisches Fehlverhalten angekreidet und ihre christlich-demokratische Grundgesinnung angezweifelt. Es gilt, kurz und exemplarisch die politische Botschaft zu vermitteln und sich nicht in lang-wierigen Sachverhalten zu ergehen. So ge-nannte „soundbites“ sind gefragt. Rhetorisch gesehen nichts Neues. Jede Rede sollte auf einen Satz, noch besser auf ein Wort herun-ter gebrochen werden können. Von der Rede Barack Obamas zur Tötung Osama bin Ladens wird vor allem ein Satz in Erinnerung bleiben: „Justice has been done.“ Im Idealfall entstehen aus soundbites Chiffren für politische Positi-onen, wie Bushs „axis of evil“ oder Obamas „change“-Rhetorik. Die neue Informationspolitik lebt aber nicht nur von Worten, sondern vor allem auch von mediengerechten, symbolischen Gesten und Bildern. Richtig positioniert haben sie aus-schlaggebenden Anteil am Erfolg eines Politi-kers. Keiner weiß davon ein besseres Lied zu singen als Karl-Theodor zu Guttenberg. Dank seiner Bildpolitik wurde der Adelige von den Medien in kürzester Zeit zum Hoffnungsträger einer ganzen Nation hochstilisiert. Zum hip-pen strahlenden Celebrity und Gutmenschen, der sich wohltuend von den anderen regieren-den „grauen Mäusen“ abhob. Als seine Insze-nierung nicht mehr hielt, was sie versprach, wurde er jedoch genauso schnell wieder fallen gelassen.Barack Obama kämpft seit seiner Wahl zum Präsidenten von Amerika mit stetig sinkenden

Popularitätswerten. Sein Führungsstil wird als zu zögerlich, nachsichtig, passiv und sogar feige bewertet. Sein jüngster Coup, die Gefan-gennahme Osama bin Ladens, ließ die Umfra-gewerte jedoch in die Höhe schnellen. Nicht zuletzt, weil symbolträchtige Bilder über die Bildschirme fl immerten und ein Foto aus dem „Situation Room“ verbreitet wurde, das ver-mittelte, wie riskant und mutig die Entschei-dung Obamas zur Gefangennahme Osama bin Ladens gewesen war.Neben inzwischen nicht mehr geheimen Re-denschreibern und Spindoktoren ist es vor al-lem das Web 2.0, mit dem sich viel Terrain für die Verbreitung der eigenen politischen Ideen gewinnen lässt. Es eröffnet nicht zuletzt auch die Möglichkeit, wieder direkt in Kontakt mit den Wählern zu treten. Barack Obama verstand die Eigenheiten sozialer Netzwerke in seinem Wahlkampf 2008 richtig und erfolgreich ein-zusetzen. Die Mobilisierung, u.a. auch bishe-riger Nichtwähler, durch persönliche Anspra-che mittels Podcasts, Youtube, Facebook und Twitter waren entscheidend für seinen Wahl-erfolg. Kurz vor der Wahl verschickte er an alle seine Anhänger eine persönliche Email mit der Aufforderung, wählen zu gehen: „Du, Peter Berger, bist wichtig, deine Stimme zählt!“, und diese Nachricht auch an alle Freunde wei-terzuleiten (wobei sie automatisch personali-siert wurde). Auch jetzt hat er seine erneute Wiederkandidatur zuerst mittels Videoclip sei-nen Anhängern bekanntgegeben. Diese direkte emotionale Kommunikation macht die Kam-pagnen von Barack Obama bislang einzigartig und äußerst erfolgreich. Neben all diesen Faktoren ist und bleibt der Politiker als Mensch selbst wichtig. Er muss Authentizität und Persönlichkeit vermitteln, um nicht als Marionette und Produkt seiner Strategen zu verkommen. Niemandem, auch nicht dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika (George Bush senior), wird es nachgesehen, deren Regieanweisung mitzule-sen: „Botschaft: Ich bin für euch da.“

Michaela Lederer

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Satür 2011 - Ein Gedanke

Auch die Satür 2011 waren mit den Ta-gungsbeiträgen wieder anregend, die Ge-spräche mit anderen Tagungsteilnehmernam Rande waren erfrischend und vor al-lem gilt ein besonderer Dank Herrn Bal-dur Kirchner für den überaus gelungenenImplusvortrag zu Beginn der Tagung.

Klaus-J. Grothe

Auf der Suche nach einer von vielen mög-lichen Antworten auf die interessante Fra-ge nach dem Verhältnis von Inhalt undStil komme ich nach dem spannenden in-terdisziplinären Austausch bei Satür 2011zu der komprimierten, metaphorischenQuintessenz: Stile „sprechen“.

Katrin Müller-Höcker

Die Gespräche mit Rednern und Rhetorik-trainern haben mir viel Freude gemacht.

Dominikus Zohner

„In dir muss brennen, was du in anderenentzünden willst.“ – Bemerkenswert war –zu beobachten, dass es den aus der Pra-xis kommenden Referenten besser gelangdiese Begeisterung zu vermitteln, als denAkademikern. Dies mag vielleicht auch da-ran liegen, dass das Feuer in der akademi-schen Ausbildung gelöscht oder unzurei-chend gefördert wird. Hier sehe ich einPotenzial der Rhetorik an Universitäten,dieses Bewusstsein wieder herzustellen.

Christian Haider

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Die Trainingsmethode von DaleCarnegie im Gespräch

Wir haben uns im Rahmen dieses Magazins mit einigen Themen undFragen der heurigen Satür beschäftigt. Dale Carnegie fehlte noch –der Vortrag von Karsten Stölzgen hat eine heftige Diskussion ausge-löst, die wir auf der Suche nach der geeigneten Textsorte fortführten.Schließlich fanden wir uns in einem Streitgespräch wieder und fühltenuns an Sokrates und Kallikles, zwei Hauptcharakteren aus Platons Di-alog „Gorgias“ erinnert. Schon hatten wir die passende Form gefun-den. Hier ein Auszug aus unserem rekonstruierten Gespräch:

Hinführung: Dale Carnegie (1888-1955) ist einer der Pioniere des modernen Trainings-wesens. Seine Bücher wie „Wie man Freunde gewinnt“ oder „Sorge dich nicht, lebe“ fan-den nicht nur bei Managern bis zur Hausfrau großen Anklang. Das von ihm entwickelte Dale Carnegie Training „konzentriert sich darauf, dass Menschen ihre Fertigkeiten derart ausbau-en, dass sie im Berufsleben, aber auch persön-lich, nachhaltig positive Ergebnisse erzielen“. Karsten Stölzgen beschäftigte sich mit der Fra-ge, was man außer Tipps und Tricks noch leh-ren könnte, da diese nur bis zu einem gewis-sen Grad hilfreich sind. Rhetorik ist für viele nichts als ein „großer Haufen von Tipps“. Die Empfehlungen in Dale Carnegies goldenem Büchlein sind eine Antwort auf die Frage, was rhetorischen Erfolg wahrscheinlicher macht.

– Das ist so eine Krux mit diesen Tipps und Tricks. Wir kennen es alle, dass wir zu Be-ginn der Rhetorikkurse klare Regeln und Hilfestellungen – Wohin mit meinen Hän-den? – gewünscht haben. Doch nach eini-gen Kursen merkt man, dass man sich alleine dadurch nicht mehr weiter verbessern kann.

– Ist ja schon interessant, dass man, wenn man schon einige Kurse besucht hat, häufi g rich-tig mutmaßt, wer schon welchen Kurs bei wem besucht hat – nur anhand der ange-wendeten Tipps.

– Am Anfang haben die Tipps tatsächlich eine Verbesserung bewirkt. Da fällt mir ein, was Alexander Kirchner im letzten Kurs gesagt hat: Wenn man sich persönlich verändert, ändert sich auch die eigene Rhetorik. Ich bin

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machen. Dann kann ich die Chancen erhö-hen, diesen Umstand zu verändern – durchBewusstmachung und Akzeptanz.

– Vielleicht ist tatsächlich etwas dran. Wie wirim Eröffnungsvortrag gehört haben, hat Rhetorik immer etwas mit Selbsterkennt-nis zu tun. Selbsterkenntnis hat immer mit Bewusstwerdung und Refl exion zu tun. Ichfi nde es nur problematisch, dass nicht wirk-lich klar ist, was wir mit diesen großen Be-griffen Bewusstwerdung, Selbsterkenntnis tatsächlich bezeichnen wollen.

– Naja, das Problem beschäftigt ja auch diePhilosophie heute noch. Ich glaube, dass du auch gerne ein Rezept hättest. Dale Carne-gies Ansatz ist ja ein Rezept und das kriti-siert du ja auch. Also ein Rezept, das wissen-schaftlich fundiert ist.

– Ein Rezept nicht direkt. Aber ich fi nde esschwierig zu sagen, das ist das Ziel und sonst nichts. Ich frage mich auch, ob man Sätze,wie „Don’t worry, be happy“ überhaupt als Rezept bezeichnen kann.

– Vielleicht Richtlinien, Orientierungspunk-te, Orientierungshilfen, die, wenn wir sie verinnerlichen zu dauerhaften Tugenden beziehungsweise Haltungen werden und diese machen schließlich unsere Persönlich-keit aus. Und dann sind wir wieder bei dem Thema von vorhin: Diese Tipps und Tricks können eine gewisse Zeit hilfreich sein, aber irgendwann wird es nötig, die Stützräder abzulegen und frei zu fahren. Da gibt es dann kein richtig und falsch mehr.

– Wo wir wieder beim Abendvortrag von Asfa-Wossen Asserate und dem Diskurs über Stil und Persönlichkeit wären.

Christian Haider und Eva Mayringer

nur skeptisch, ob dies mit Carnegie gelingen kann.

– Dale Carnegie ist der Prototyp des amerikani-schen Selfmademans und auch das Konzept entspringt dem amerikanischen Denken. Das lässt sich wiederum in die Positiv Den-ken Bewegung einordnen, die in den 50erund 60er Jahre begonnen hat und stark von Personen wie Norman Vincent Peale und Dale Carnegie geprägt wurde. Wenngleich dieses Konzept stark umstritten ist und ihrewissenschaftliche Untermauerung gänzlich fehlt, hat sie sich stark im westlichen Den-ken verbreitet. Charakteristisch für dieseAnsätze ist, dass sie ein Bild des Menschen entwerfen, der nicht nur glücklich, sondern überdies auch noch gesund, erfolgreich und vermögend ist und alle seine (berufl ichen)Ziele erreichen kann. Dies mag erklären, wa-rum diese Konzepte gerade in unserer leis-tungsorientierten Gesellschaft auf so großen Anklang stießen und dies immer noch tun.Aber der entscheidende Punkt ist, glaubeich, dass es darauf ankommt, ob man letzt-lich diese Empfehlungen, wie man sie in Carnegies goldenem Büchlein fi ndet, ebensoals Tipp und Trick anwendet, oder ob mandaraus Haltungen formt.

– Aber wie kann man sich auf so ein Konzeptverlassen, wenn jede fundierte empirische Überprüfung fehlt. Dann ist doch alles nurMutmaßung.

– Da fällt mir ein Grundsatz, der oft in derMedizin gilt, ein: Wer heilt, hat Recht. Es gibt unter anderem auch eine neue Richtung innerhalb der Psychologie: Die Positive Psy-chologie beschäftigt sich auch mit ähnlichen Fragen und hier gibt es empirische Unter-mauerung. Dies ist jedoch letztlich wiedernichts anderes, als eine neue Form von Aris-toteles’ Nikomachischer Ethik.

– Trotzdem verstehe ich nicht, wie man bei-spielsweise den Grundsatz „Don’t worryabout the past“ ernst nehmen kann. Seienwir ehrlich, es wäre vernünftig, wenn es so einfach in der Umsetzung wäre. Es fehlt eineAnleitung, wie man zur Realisierung dieserGrundsätze kommt.

– Ich bin jetzt zwar kein Experte für Dale Car-negie, aber da fällt mir Aristoteles ein. Wennman will, kann man dieses Konzept auch alsneue Form der Tugendethik verstehen. Und nach Aristoteles erwirbt man neue Haltun-gen beziehungsweise Tugenden, indemman sie einübt und trainiert.

– Übe mal die Vergangenheit zu vergessen.Wie übe ich denn das?

– Tja, da bin ich jetzt auch überfragt, da müss-ten wir Dale Carnegie fragen. Ich glaubemich aber zu erinnern, dass Karsten Stölz-gen erklärt hat, dass es bereits um die Be-wusstmachung geht, dass es nichts bringt,sich über die Vergangenheit Gedanken zu

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IMPRESSUM

HauptverantwortlicherUniv. Prof. Dr. Thomas Schirren

TagungsorganisationUniv. Prof. Dr. Thomas SchirrenSilvia SteinkellnerJessica PachlatkoEva Mayringer

RedaktionSusanne AltendorferChristian HaiderMichaela LedererEva Mayringer

LayoutChristian HaiderEva Mayringer

TagungsfotosSusanne Altendorfer

Titelbildkostenlose Überlassung durchChristopher K. Spiegl+43(0)699/ 17160698

Fotos: Asfa-Wossen AsseratePR-Abteilung Universität SalzburgAndreas Kolarik

KontaktBüro des Rektorats - RhetorikUniversität SalzburgKaigasse 17/15020 [email protected]