Rolf Schneider Beata Sievi - Webmaster · denen Tango getanzt wird. Was mir ebenfalls half war,...

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4 Danza Nr. 1 · 2012 { Tangodanza } beim Auflegen von Schallplatten für seine älteren Schwestern und deren Freunde in der elterlichen Stube habe er sich bereits in die Tangomusik verliebt. In Zürich dann, wo er als Maler arbeitete, lernte er Walter Kaiser kennen, den späteren Weltmeister im Standardtanz – der ihn ermutigte, Turniertän- zer zu werden, und in dessen Tanzschule er auch seine Tanzpartnerin und erste Frau ken- nen lernte. Noch vor dem Architekturstudium ließ er sich zum Tanzlehrer ausbilden. Als Standardtänzer vertrat er die Schweiz erfolgreich bei internationalen Tanzturnieren. Von Anfang an interessierte ihn die Kunst des freien Führens und Folgens. Doch damals wie auch heute noch ist die Turniertanz-Szene eine Welt der eingeübten Schrittfolgen und Posen. Die Kunst des freien Führens und Folgens lehrten ihn die Engländer und präg- ten damit seine weitere tänzerische Laufbahn. Als ihn nun die Erdölkrise zwang, die Weichen neu zu stellen, machte er seine Leidenschaft zum Beruf: Der Architekt wurde Tanzlehrer. Anfang der 80er-Jahre erhielt Rolf Schneider vom Sportverband der Zür- cher Hochschulen den Auftrag, den Argenti- nischen Tango zu unterrichten. 2 Wie hast du das angepackt, Rolf? Außer meiner Ausbildung und Erfahrung als Tanzlehrer, sowie meiner Kenntnis der Kunst des freien Führens und Folgens, hatte ich so gut wie nichts, was mir hätte helfen können. Ein Buch jedoch hatte ich, mit schö- nen Fotos von argentini- schen Tanzpaaren in ele- ganten Posen. Aus mei- nem Wissen als Tanzlehrer suchte ich nun, wie ich von einer Pose in die andere kommen könnte. Dann schaute ich mir auch alte Hollywoodfilme an, in denen Tango getanzt wird. Was mir ebenfalls half war, dass ich neben dem engli- schen und deutschen auch den französischen Tango studiert hatte. Dieser hat am meisten Ähnlichkeiten mit dem Argentinischen Tango, wie er in den 20er- Jahren getanzt wurde. Auch Tangomusik gab es kaum zu kaufen. Eine ein- zige Schallplatte mit dem Namen Tango Project fand ich, eine Art Teehausmu- sik. Und natürlich Aufnah- men von Astor Piazzolla, dessen Stern am Aufgehen war. Diese Musik war für mich aber nicht tanzbar. Also suchte ich in der französischen und italienischen Tangomusik, die weniger plump daherkommt als die deutsche, nach brauchbarem Material. So bastelte ich mir meinen Unterricht zusammen und begann 1983 mit den ersten Kursen. Zwei Jahre später reiste ich zu Dietrich Lange nach Ber- lin, welcher in New York Unterricht genom- men hatte bei Virulazo, einem der Stars von Tango Argentino, der ersten Tangoshow, die durch Europa und Amerika tourte. Bald aber merkte ich, dass dies noch immer nicht genügte, und reiste als einer der ersten Euro- päer überhaupt nach Buenos Aires. Und da, in Buenos Aires, kam ich auf die Welt! 2 Was meinst du damit? Ich ging in die Milonga und bekam recht deutlich zu spüren, dass das, was ich tanzte, nicht das Richtige war, nachdem mich eine Tänzerin nach einem freundlichen „Gracias“ auf der Tanzfläche stehen ließ. Eine harte Lektion für einen Tanzlehrer, nach 20 Jahren Berufserfahrung nochmals von vorne begin- nen zu müssen. 2 Bei wem hast du Unterricht genommen? Namen von argentinischen Tangolehrern hatte ich auch keine. Aber eines Tages, als ich so mit meiner Tanzpartnerin durch die von Catherine Funk Für diejenigen, die schon vor 25 Jahren ihre Liebe zum Tango entdecken durften, gab es in der ganzen Schweiz nur einen einzigen Namen: Rolf Schneider aus Zürich. Niemand kam zum Tango denn durch ihn. Weshalb man ihn heute auch liebe- und respektvoll den ‚Vater der Zürcher Tangoszene’ nennt. Seit drei Jahren sind Rolf und Beata Sievi ein Paar, im Leben wie auf der Tanzfläche. 2 Geboren am Bodensee in der Nähe von Lindau, noch bevor der Krieg ausbrach, ließ sich Rolf Schneider zuerst zum Malermeister ausbilden. Dabei kam er oft im Sommer zum Arbeiten in die Schweiz. Dann begann er ein Architekturstudium in München, arbeitete in den 60er-Jahren als Architekt in Deutschland und später in Südafrika. In Johannesburg leitete er den Bau eines Großprojektes des südafrikanischen Rundfunks. Das Apartheid- Regime war der Grund, weshalb der erfolg- reiche Architekt das Land verließ, als sein Sohn geboren wurde. „Ich wollte nicht, dass meine Kinder in einem solchen Umfeld auf- wachsen, das verdirbt den Charakter“, erklärt er. Die Familie kehrte in die Schweiz zurück, wo Rolf Schneider als Architekt wirkte und sich auch in Betriebswirtschaft weiterbildete. Als aber Anfang der 70er Jahre, als Folge der Nahostkrise, der Baumarkt im Keller lag, gab es für den Deutschen trotz bester Qualifikationen keine Arbeit mehr in der Schweiz. Um nicht nach Deutschland zur Arbeitssuche zurückgehen zu müssen, zog er aus dem Ärmel seine sorgsam gepflegte Trumpfkarte und begann damit eine neue Karriere und ein neues Leben. Diese Trumpfkarte war der Tanz, dem er seit frühester Jugend leidenschaftlich gefrönt hatte. Als Jugendlicher sei er manchmal kilometerweit zu Fuß gegangen, um irgendwo das Tanzbein zu schwingen, erzählt er. Und Rolf Schneider Beata Sievi Danza Rolf Schn & Beata Ein Paar mit viel Rolf Schneider und Beata Sievi sind ein Paar im Leben wie auf der Tanzfläche

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4 Danza › Nr. 1 · 2012{Tangodanza }

beim Auflegen von Schallplatten für seine älteren Schwestern und deren Freunde in derelterlichen Stube habe er sich bereits in dieTangomusik verliebt. In Zürich dann, wo er als Maler arbeitete, lernte er Walter Kaiser kennen, den späteren Weltmeister im Standardtanz – der ihn ermutigte, Turniertän-zer zu werden, und in dessen Tanzschule erauch seine Tanzpartnerin und erste Frau ken-nen lernte. Noch vor dem Architekturstudiumließ er sich zum Tanzlehrer ausbilden.Als Standardtänzer vertrat er die Schweiz erfolgreich bei internationalen Tanzturnieren.Von Anfang an interessierte ihn die Kunst desfreien Führens und Folgens. Doch damals wieauch heute noch ist die Turniertanz-Szeneeine Welt der eingeübten Schrittfolgen undPosen. Die Kunst des freien Führens und Folgens lehrten ihn die Engländer und präg-ten damit seine weitere tänzerische Laufbahn.Als ihn nun die Erdölkrise zwang, die Weichen neu zu stellen, machte er seine Leidenschaft zum Beruf: Der Architekt wurdeTanzlehrer. Anfang der 80er-Jahre erhielt Rolf Schneider vom Sportverband der Zür-cher Hochschulen den Auftrag, den Argenti-nischen Tango zu unterrichten.

2 Wie hast du das angepackt, Rolf?

Außer meiner Ausbildung und Erfahrung alsTanzlehrer, sowie meiner Kenntnis der Kunst

des freien Führens und Folgens, hatte ich so gutwie nichts, was mir hättehelfen können. Ein Buchjedoch hatte ich, mit schö-nen Fotos von argentini-schen Tanzpaaren in ele-ganten Posen. Aus mei-nem Wissen als Tanzlehrersuchte ich nun, wie ichvon einer Pose in die andere kommen könnte.Dann schaute ich mir auchalte Hollywoodfilme an, indenen Tango getanzt wird.Was mir ebenfalls half war,dass ich neben dem engli-schen und deutschen auchden französischen Tangostudiert hatte. Dieser hatam meisten Ähnlichkeitenmit dem ArgentinischenTango, wie er in den 20er-Jahren getanzt wurde.Auch Tangomusik gab eskaum zu kaufen. Eine ein-zige Schallplatte mit demNamen Tango Project fandich, eine Art Teehausmu-sik. Und natürlich Aufnah-men von Astor Piazzolla,dessen Stern am Aufgehen

war. Diese Musik war für mich aber nichttanzbar. Also suchte ich in der französischenund italienischen Tangomusik, die wenigerplump daherkommt als die deutsche, nachbrauchbarem Material. So bastelte ich mirmeinen Unterricht zusammen und begann1983 mit den ersten Kursen. Zwei Jahre später reiste ich zu Dietrich Lange nach Ber-lin, welcher in New York Unterricht genom-men hatte bei Virulazo, einem der Stars vonTango Argentino, der ersten Tangoshow, diedurch Europa und Amerika tourte. Bald abermerkte ich, dass dies noch immer nicht genügte, und reiste als einer der ersten Euro-päer überhaupt nach Buenos Aires. Und da,in Buenos Aires, kam ich auf die Welt!

2 Was meinst du damit?

Ich ging in die Milonga und bekam rechtdeutlich zu spüren, dass das, was ich tanzte,nicht das Richtige war, nachdem mich eineTänzerin nach einem freundlichen „Gracias“auf der Tanzfläche stehen ließ. Eine harte Lektion für einen Tanzlehrer, nach 20 JahrenBerufserfahrung nochmals von vorne begin-nen zu müssen.

2 Bei wem hast du Unterricht genommen?

Namen von argentinischen Tangolehrernhatte ich auch keine. Aber eines Tages, als ich so mit meiner Tanzpartnerin durch die

von Catherine Funk

Für diejenigen, dieschon vor 25 Jahren ihre

Liebe zum Tango entdeckendurften, gab es in der ganzen

Schweiz nur einen einzigenNamen: Rolf Schneider aus Zürich. Niemand kam zum

Tango denn durch ihn. Weshalbman ihn heute auch liebe- und

respektvoll den ‚Vater der Zürcher Tangoszene’ nennt. Seit drei

Jahren sind Rolf und Beata Sievi ein Paar, im Leben wie auf der Tanzfläche.

2 Geboren am Bodensee in der Nähe vonLindau, noch bevor der Krieg ausbrach, ließsich Rolf Schneider zuerst zum Malermeisterausbilden. Dabei kam er oft im Sommer zumArbeiten in die Schweiz. Dann begann er einArchitekturstudium in München, arbeitete inden 60er-Jahren als Architekt in Deutschlandund später in Südafrika. In Johannesburg leitete er den Bau eines Großprojektes dessüdafrikanischen Rundfunks. Das Apartheid-Regime war der Grund, weshalb der erfolg-reiche Architekt das Land verließ, als seinSohn geboren wurde. „Ich wollte nicht, dassmeine Kinder in einem solchen Umfeld auf-wachsen, das verdirbt den Charakter“, erklärter. Die Familie kehrte in die Schweiz zurück,wo Rolf Schneider als Architekt wirkte undsich auch in Betriebswirtschaft weiterbildete.Als aber Anfang der 70er Jahre, als Folge der Nahostkrise, der Baumarkt im Keller lag, gab es für den Deutschen trotz besterQualifikationen keine Arbeit mehr in der Schweiz. Um nicht nach Deutschland zur Arbeitssuche zurückgehen zu müssen, zog eraus dem Ärmel seine sorgsam gepflegteTrumpfkarte und begann damit eine neue Karriere und ein neues Leben.Diese Trumpfkarte war der Tanz, dem er seit frühester Jugend leidenschaftlich gefrönthatte. Als Jugendlicher sei er manchmal kilometerweit zu Fuß gegangen, um irgendwodas Tanzbein zu schwingen, erzählt er. Und

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Straßen schlenderte, hörten wir auseinem Fenster heraus Tangomusik. Wirstiegen die Treppe hoch und kamen anbei Eduardo Arquimbau und CeliaBlanco, die damals seine Assistentinwar. Die beiden wurden zu meinenersten Lehrern. Dann kamen noch Antonio Todaro, Rodolfo & Maria Cieriund Pepito Avellaneda dazu. Ich erin-nere mich noch, wie wir zu Rodolfound Maria nach Hause in einem Außenbezirk fuhren. Es war so heiß inBuenos Aires, dass wir uns zuerst inihrem Swimmingpool abkühlten undnachher unsere Privatstunde in Unter-wäsche in ihrer Garage erhielten, woes am kühlsten war. Was uns aber dieargentinischen Lehrer beibrachtenwaren vor allem Bühnenfiguren, weilsie dachten, dass alle Ausländer nurShows tanzen wollten. Dass es unsaber interessierte, den Tango so zu ler-nen und zu tanzen, wie sie ihn selbertanzten, konnten sie sich zuerst garnicht vorstellen. Vieles lehrten michdarum die alten Milongueros, die ich zu einem Glas Wein und einemSchwatz einlud.

2 Du hast in der Folge stets mehrereStile unterrichtet und warst der Erste,der Kurse in der engen Umarmunggab. Ich erinnere mich, dass die Leute aus dem süddeutschen Raumzur Tangowoche kamen, die damalsnoch im idyllischen Zug stattfand, um bei dir den so genannten ‚Milonguero Stil’ zu erlernen.

... und die dann in Zug auf die Weltkamen, statt wie ich in Buenos Aires...

2 Ein Begriff, der bei dir immer wieder auftaucht und dir sehr wichtig ist, ist dieses ‚freie Führenund Folgen’, welches du konsequentin allen Paartänzen vermittelst. Ist aber das Führen und Folgen im Tango heute nicht längst zur Selbstverständlichkeit geworden?

Man sollte es meinen, aber ich erlebein meinem Unterricht immer wieder,dass Schüler, die von gewissen Lehrernherkommen, ganz offensichtlich nachfesten Schrittmustern gelernt haben.

2 Wie siehst du die Entwicklungdes Tango in der Schweiz und inEuropa in den vergangenen Jahren?

Dass die Tangoszene quantitativ enormzugenommen hat und wir eine In-flation von Tangolehrern haben, istaugenfällig. Hinz und Kunz werdenTangolehrer, ohne geringste didaktische

Kenntnisse und oft nach nur kurzereigener Lehrzeit. Das Überangebotgilt übrigens auch für die Gastlehreraus Buenos Aires, von denen wir jede Woche sicher zwei Bewerbun-gen abweisen müssen. Zugenommenhat auch die Anzahl der Tangostile,die unterrichtet werden und nebenei-nander existieren. Es kam der TangoNuevo mit experimentellen Tänzernwie Gustavo Naveira und ChichoFrumboli, die uns die Perlen ihrerEntwicklungen gebracht haben. Dannkam das Tanzen zu Electrotango. Dasalles finde ich gut, aber für die Milonga wenig geeignet. Im Gegen-satz zu früher wird heute aber auch viel mehr in enger Umarmung getanzt. Ich glaube, dass sich derTango bei uns auf diesem Niveau stabilisieren und auch in Zukunft halten wird. Und dass er aus demReiz von Nähe und Distanz, also derAbwechslung von geschlossenen undoffeneren Tanzsequenzen weiterhinkreativ sein wird. Auch die Milongashaben sich verändert. Wenn man früher in die Milonga ging, wussteman, wen man sehr wahrscheinlichdort antreffen würde. Bei so vielenMilongas ist heute alles unpersön-licher geworden. Wie sich die Tango-marathone, die jetzt in Mode gekom-men sind, entwickeln werden, wirdman noch sehen. Für mich ist das jedenfalls nichts.

Die erste regelmäßige Milonga in der Schweiz eröffnete Rolf Schneiderim Januar 1987 mit seiner damaligenTanzpartnerin im Jugendhaus Draht-schmidli. Wegen der Drogenszenemusste die Milonga bald umziehenund fand nach einigen Umwegen imClub Silbando ihre Bleibe, wo sie bis zum heutigen Tag montags und freitags stattfindet.

Die neue Frau in seinenArmen

Wer bei ‚Korsett’ an ein fleischfarbi-ges Ungetüm zur Stützung der Wir-belsäule oder zum Wegschummelndes Bauchspeckes denkt, liegt völligfalsch. Was Beata Sievi in ihrem Atelier entwirft und herstellt, sindsinnliche Kreationen aus edlen Mate-rialien: St. Galler Spitze, Seide, Samt,Leder oder aus mit Liebesbriefen bedrucktem Stoff – jeder Frau auf den Leib geschnitten, zu schön, umnur ‚darunter’ getragen zu werden.

Danza › Nr. 1 · 2012

Rolf Schneider und Beata Sievi

6 Danza › Nr. 1 · 2012{Tangodanza }

Für die Verführung geschaffen, sei es in derIntimität der eigenen vier Wände oder opu-lent in Szene gesetzt in einem Ballkleid.

Nach einem Psychologiestudium begann diegebürtige Polin mit einer Lehre als Theater-schneiderin. Bei der Herstellung der Kostümefür Der Ritt über den Bodensee von PeterHandke reifte in ihr der Wunsch heran, sichganz dem Korsett zu widmen, seine Ge-schichte zu studieren und seine Herstellungzu erlernen. So wurde Beata Sievi zur ein-zigen Corsetière der Schweiz.

2 Beata, wie kamst du zum Tango und wiekamst du zu Rolf?

Den Anfang verdankt man immer einem Zufall. Mit meinem ersten Mann hatte ich Anfang der 90er-Jahre schon Tango-Unterrichtin St.Gallen genommen. Nach seinem frühenTod suchte ich etwas, womit ich mir selber,neben der Arbeit im Atelier, etwas Gutes tunkönnte. Beim Tango, dachte ich, muss ichnicht immer fröhlich sein. Tango ist auchSehnsucht und Melancholie. Von meinen damaligen Tangolehrern hatte ich den Namen‚Rolf Schneider’ noch im Ohr, denn sie warenseine Schüler gewesen. Ohne große Hoff-nung, dass er Zeit für mich haben würde, riefich ihn an. Und, oh Wunder, er hatte Zeit.Noch in derselben Woche erhielt ich meineerste Privatstunde.

2 Und, wie war das?

Aller Anfang ist schwer...Von den ersten Tangostunden waren wir beide nicht sehrüberzeugt. Ihn störten meine spitzen Schuhe,und ich hatte das Gefühl, dass er im Unter-richt kein Konzept hat. Aber ich stelle imLeben immer zuerst jede Autorität infrage,um dann vielleicht zwei Jahre später zuzuge-ben: Ja, du hattest recht! Da schlug Rolf vor,dass ich auch Gruppenunterricht nehmensollte. Von da an stiegen meine Motivationund der Wunsch, dabei zu bleiben. Schnellwar aber auch das persönliche Interesse da.Wir tauschten Musik und Videos aus, nichtim Unterricht, sondern im Nachhinein. – Undplötzlich hat es gefunkt. Ich nahm dann allenmeinen Mut zusammen und mailte meinemLehrer, dass ich an einer bestimmten Milongaim Silbando sein würde. Ich erhielt die Antwort, dass er zu später Stunde auch ein-treffen werde. Er kam – und wollte nur nochmit mir tanzen. Ich war verzaubert und glück-lich, aber es dauerte etwas länger, bis ich demGlück wirklich trauen konnte.

2 Warum?

Die ersten gemeinsamen Milongas waren einegroße Herausforderung für mich. Mit einembekannten Lehrer und begehrten Tänzer liiertzu sein, schien mir alles andere als einfach.

Nicht einmal in Istanbul konnten wir anonymbleiben. Überall traf Rolf ehemalige Schüler –und vor allem Schülerinnen, die mit ihm tanzen wollten. Auch ich wurde von unbe-kannten Männern im Tanz eng und zärtlichumarmt, was mich anfangs sehr befremdete.Ich hatte Mühe mit der Kultur, in der Näheund Distanz zu einem Spiel werden.

2 Ausgerechnet du? Das musst du mir erklären. In deinem Atelier veranstaltest duneben der Präsentation deiner Korsett-kollektion doch auch erotische Lesungen....

Das hat gar nichts mit Prüderie zu tun. Der Grund dafür liegt in meiner Lebensge-schichte. Es ist die Angst vor dem Verlust, die Angst, jemandem zuerst sehr nahe zu sein und nachher allein dazustehen. Ich habe nicht nur meinen Mann, sondern auchviele andere geliebte Menschen verloren. ImTango wird der Umgang mit Nähe und Distanz als selbstverständlich vorausgesetzt.Ich aber empfand diese Nähe als ein Versprechen, welches nicht eingelöst wird.Ich musste darum zuerst lernen, damit um-zugehen, und jetzt ist es kein Problem mehr für mich. In dieser ersten Zeit unserer Beziehung habe ich mich auch oft gefragt, wie die Paare in der Tangoszene mit der Eifer-sucht umgehen. Doch niemand sprach darü-ber, alle machten den Eindruck, über derSache zu stehen. Rolf war aber verständnis-voll und geduldig, und vor allem gänzlich mir ergeben. So kam mit der Sicherheit im Tanzen auch die Sicherheit in der Liebe. Jetzt macht es mir nichts mehr aus, wenn Rolf allein zur Milonga geht, und auch ich genieße es, zur Abwechslung mit anderen Männern zu tanzen. Ich habe meinen Platzgefunden.

2 Wer außer Rolf hat dein Tanzen beeinflusst?

Prägend für mich war die Begegnung mit Silvio Grand und Mayra Galante. Mayra bewundere ich für die Eleganz ihrer Bewe-gungen und ihre Fußarbeit. Dann Paola Tachetti, die mir durch die Sinnlichkeit, diesie ausstrahlt, die Erkenntnis brachte, dass inder Anpassungsfähigkeit der Tangotänzerineine große Verführungskraft liegt – und auchihre geheime Waffe.

2 Rolf hat eine Karriere als Showtänzer und Lehrer mit vielen Partnerinnen hintersich. Wie sieht jetzt eure gemeinsame Tangokarriere aus?

Eben weil Rolf in seiner Karriere schon vieleAuftritte genossen hat und ihm das Auf-treten nicht mehr so wichtig erscheint, haben wir beschlossen, uns mehr auf den persön-lichen Genuss zu konzentrieren und immer

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weiter an unserer Harmonie im Paar zu arbeiten. Daneben haben wir eine Gruppe, die wir gemeinsam unterrichten.

2 Zur Paarharmonie wollte ich auch noch kommen, aber erzählbitte zuerst vom gemeinsamen Unterrichten.

Das war, ähnlich wie das Tanzen, ein Findungsprozess. Mit der Zeitstellte es sich heraus, dass wir uns im Unterricht gut ergänzen. Rolfbringt die perfekte Technik und die klare Sprache, ich die Aspekte desTanzes, welche zu Harmonie und Innigkeit beitragen. Während er,ganz Architekt, von „Stockwerkverschiebungen“ spricht, spreche ichvon Musikalität und Emotionen.

2 Da sind wir wieder bei der Harmo-nie. Rolf, ich weiß von einem deiner Schüler, der zu einer Privatstunde gekommen war,um sich auf einen kleinenAuftritt mit seiner Tanz-partnerin am selbenAbend vorzubereiten.Nach einer Stunde,während derer intensivan den Schritten gearbeitet worden war,bat er dich um einen letztenRat: Worauf sollte er sich amAbend in erster Linie konzentrie-ren? Etwa auf seine Haltung oder diekorrekte Ausführung der Drehungen? „Auf gar nichts von alldem“, war deine Antwort. „Das Einzige, worauf du dich konzentrieren musst, ist die Frau in deinenArmen. Darauf, wie sich ihr Kleid unter dei-ner Hand anfühlt, auf den Duft ihrer Haare.Alles andere wird sich von selbst ergeben.“

Ja, das stimmt. Die Harmonie im Tanzpaarentsteht nicht durch technische Perfektion.Natürlich wäre es schön, wenn beide mög-lichst makellos tanzen würden. Die Harmonieentsteht vielmehr so: Der Mann schlägt eineBewegung vor, auf welche die Frau reagiert.Entsprechend ihrer Erfahrung, ihrer Tages-form, ihrer Laune. Der Mann nimmt diese Reaktion auf und erschafft daraus die nächsteBewegung, den nächsten Vorschlag, auf dendie Frau wieder auf ihre eigene Art eingeht.Aus diesem unablässigen Eingehen auf dieAntwort des Anderen entsteht die Harmonie.

Dass Rolf und Beata diese Kunst auch inihrem Privatleben pflegen, darüber bestehtkein Zweifel.Ein Porträt von Rolf Schneider wäre unvoll-ständig, würde man seine übrigen Leistungenfür den Tanz in der Schweiz unerwähnt lassen. Wollte man aber alle Tango- und Paar-tanzschulen, alle Stiftungen und Festivals aufzählen, die Rolf mit verschiedenen Part-nern oder Partnerinnen bis zum heutigen Tagins Leben gerufen hat, käme eine lange Listeheraus. Aufführen muss man aber neben dem Club Silbando die Tangoschule Zürichund die Zürcher Tangowoche, welche 1995,

damals noch als Zuger Tangowoche, zum ersten Mal durchgeführtwurde. Gemeinsam ist allen Gründungen ihre juristische Form: Sie allesind Stiftungen, die niemandem im Besonderen sondern allen gemein-sam gehören, und in denen viele mit Idealismus freiwillig arbeiten. Innovativ setzt Rolf immer neue Projekte in die Welt, in letzter Zeithauptsächlich auf dem Gebiet des Paartanzes.

Während vielerorts in der Tangoszene Neid, Missgunst und Kon-kurrenzdenken vorherrschen, fühlt sich Rolf Schneider stets in erster Linie der Sache verpflichtet, nie dem eigenen Ruhm und Profit. Wo gewisse Lehrer ihre Schüler eifersüchtig vor dem

‚Fremdgehen’ zu bewahren trachten, ermutigt Rolfdie seinen, es auch bei anderen Lehrern zu

versuchen. Gelassen steht er über denkleinen und großen Problemen.

Ein schlechtes Wort über die Kollegen wird man von ihm

nie hören. Namen fallenkeine. Doch wenn es da-rum geht, jemandem zuhelfen, ist er da. Zuverläs-sig, ohne großes Aufheben,uneigennützig. Er erkennt

und fördert Jungtalente undschenkt ihnen sein Vertrauen.

Auch wenn man nicht wüsste,was der Tango Rolf Schneider alles

verdankt, merkt jeder, der mit ihm zu tunhat: Für die Schweizer Tangoszene ist er nichtnur der Vater, er ist ihr Grandseigneur. Z 1

www.rolf-und-beata.ch

Danza › Nr. 1 · 2012

Rolf Schneider, Pionier der Schweizer Tangoszene, und Beata Sievi