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NATIVE ADVERTISING Konzepte - Leitlinien - Best Practice Optionen für Zeitungsverlage

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NATIVE ADVERTISING

Konzepte - Leitlinien - Best Practice

Optionen für Zeitungsverlage

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B D Z V Inhalt S e i t e | 1

Inhalt

Vorwort ...................................................................................................................................... 2

Holger Kansky

Das Konzept „Native Advertising“ ............................................................................................ 3

Barbara Geier

Wie aus Werbung Content wird – internationale Ansätze .................................................... 17

Anne-Marie Grote/Bernd Nauen

Ergebnisse des ZAW-Roundtable Native Advertising ............................................................ 23

Lukas Kircher

Native Advertising – Das bessere Advertising oder Verrat am Journalismus? ..................... 26

Experteninterviews .................................................................................................................. 30

- Dirk von Borstel, Geschäfsführer OMS, Hamburg

- Nicolas Fromm, Geschäftsleitung Digitale Medien, medien holding:nord gmbh, Flensburg

- Jochen Herrlich, Geschäftsführer Funke Digital, Berlin

- Oliver Horst, Geschäftsführer RP Digital, Düsseldorf

- Jeff Jarvis, Journalismus-Professor, Berater und Buchautor, New York

- Sarah Pauls, Head of Partner Studio ForwardNews+ GmbH, Köln

- Stefan Plöchinger, Chefredakteur Süddeutsche.de und Mitglied der Chefredaktion

„Süddeutsche Zeitung“

- Hansi Voigt, Geschäftsführender Chefredakteur watson.ch, Zürich

- Jochen Wegner, Chefredakteur/Editor-in-Chief www.zeit.de, Berlin

- Patrick Wölke, Geschäftsführer DuMont Net, Köln

Robert Danch

Fokus Deutschland: Ein Überblick ........................................................................................... 45

Barbara Geier

Fokus Großbritannien: Der „Guardian“ macht es auf seine Art ............................................ 69

Ulrike Langer

Fokus USA: Aus der Werkstatt von „New York Times“ und „Washington Post“ .................. 76

Die Autoren .............................................................................................................................. 83

Geschäftsbereich Digital beim BDZV ...................................................................................... 85

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B D Z V Vorwort S e i t e | 2

Vorwort

Wie sollen Zeitungsverlage mit Native Advertising umgehen? Es gibt kaum eine

Branchenkonferenz, auf der diese Frage nicht diskutiert wird. Oft mit mehr Emotion als

Sachlichkeit. Da ist die Rede von Schleichwerbung und Irreführung der Nutzer, aber auch von

ungeheuren Schätzen, die nur gehoben werden wollen. In diese wichtige allerdings auch

verwirrende Debatte ein Stück Klarheit zu bringen, das ist das Anliegen dieses Reports.

Er soll die Verlage ermutigen, sich mit nativen Werbemöglichkeiten auseinanderzusetzen und

diese auch zu testen. Große Zeitungen wie die „New York Times“ und der britische „Guardian“,

aber auch regionale Titel hierzulande arbeiten bereits mit dieser redaktionellen Spielart der

Werbung. Herausgekommen sind neue kreative Kommunikationsformen, die beim Leser auf

hohe Akzeptanz stoßen und zugleich das Leistungsangebot für die Werbekunden bereichern. Das

ist eine gute Botschaft. Ganz besonders in einer Zeit, in der die Preise für klassische Werbung im

Netz unterentwickelt sind, Adblocker den Verlagen das Leben nicht gerade leicht machen und

Displaywerbung nicht so recht zum Smartphone passen will.

Native Advertising ist nicht trivial, sondern anspruchsvolles Handwerk, wie unser Report belegt.

Im Zentrum steht relevanter Content. Es geht um Information, Inspiration, Service und

Unterhaltung. All das muss auf das redaktionelle Umfeld fein abgestimmt werden. Und vor

allem: dem Leser muss eindeutig klar sein, dass es sich um eine vom Werbekunden bezahlte

Leistung handelt. Kennzeichnung ist Pflicht! Alles andere wäre eine Täuschung des Publikums

und widerspräche auch den geltenden Regeln zur Trennung von Redaktion und Werbung.

Vertrauen und Glaubwürdigkeit sind Assets der Zeitung, die nicht angetastet werden dürfen.

Freilich sind noch Fragen ungeklärt. So wissen wir nicht, wieviel native Werbung welches

redaktionelle Angebot überhaupt verträgt. Auch gibt es noch keine gemeingültigen Definitionen.

Es fehlen Qualitätsrichtlinien und Standards zu fachlichen und technischen Vorgaben. Daran wird

in den Gremien der Medienverbände und beim Zentralverband der Werbewirtschaft ZAW

gearbeitet. Vieles spricht dafür, dass Native Advertising sich zu einem wichtigen Baustein in der

Vermarktung entwickeln kann. Die dynamisch wachsende mobile Kommunikation wird dies

beschleunigen. Die Verlage könnten von dieser Entwicklung profitieren.

Wir danken allen Autoren und Interviewpartnern für ihre profunden Beiträge zu diesem Report,

der den Verlagsunternehmen hoffentlich eine Orientierungshilfe bietet, wenn sie sich dem

Thema „Native Advertising“ nähern.

Hans-Joachim Fuhrmann

Mitglied der Geschäftsleitung des BDZV

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B D Z V Das Konzept „Native Advertising“ S e i t e | 3

HOLGER KANSKY

Referent Multimedia beim BDZV, Berlin

Das Konzept „Native Advertising“

Smartes Werbeformat oder Schleichwerbung? Native Advertising ist nach wie vor einer der

wichtigsten Trends im digitalen Marketing und sorgt für lebhafte Debatten. Kritiker

befürchten, dass mit Native Advertising die Grenzen zwischen journalistischen und

werblichen Inhalten verschwimmen. Befürworter sehen es als probates Mittel gegen

Bannerblindheit und Werbeblocker.

Was aber genau Native Advertising ist, ist bis heute Diskussionsthema. Eine allgemeingültige Definition fehlt. Im weitesten Sinne handelt es sich um Werbung, die sowohl formal als auch inhaltlich möglichst nah an das Trägermedium angepasst ist. Es geht darum, Marketingziele mittels Content statt mit Werbung zu erreichen. Werbebotschaften werden nicht mehr in Anzeigen transportiert, sondern kommen wie redaktionelle Inhalte daher. Native Formate fügen sich in das redaktionelle Umfeld ein, geben sich dabei aber klar als Anzeige zu erkennen. Klassische Display-Werbung will herausstechen, um beachtet zu werden und zielt darauf ab, den Leser zu unterbrechen. Native Advertising tut genau das Gegenteil: Es ist in das Angebot einer Website sowohl in Form als auch nach der Funktion integriert. Nutzer sollen den Sponsoreninhalt ähnlich wahrnehmen wie die redaktionellen Beiträge. Stil, Stimme, Ausrichtung und Wertigkeit der nativen Werbeformate sollen den redaktionellen Inhalten der Veröffentlichung entsprechen.

Die Idee ist nicht wirklich neu, denn Advertorials sind längst gelebte Praxis. Die sinkende Akzeptanz klassischer Displayanzeigen, die Adblocker-Problematik bei gleichzeitig steigender Mobil-Nutzung hat dem Thema jedoch einen neuen Schub gegeben. In der Digitalwelt gibt es vielfältige Formen, die Native Advertising annehmen kann.

Beim Native Advertising wird mit

redaktionell aufgemachten Text-,

Bild- oder Videoinhalten

geworben. Sie sind als Werbung

gekennzeichnet und passen sich

optisch dem Umfeld an, in dem

sie erscheinen. Klickt der Nutzer

den Teaser an, wird er innerhalb

des Portals auf eine Landingpage

mit weiterführenden werblichen

Inhalten geleitet. Mitunter

verlinkt ein natives Werbemittel

direkt auf die Website des

Werbungtreibenden.

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B D Z V Das Konzept „Native Advertising“ S e i t e | 4

In den USA und Großbritannien wird Native Advertising als ein Weg gesehen, um die

Schwäche in der Displaywerbung auszugleichen und um überhaupt erstmals richtigen

Schwung in die mobile Werbung zu bringen. Vorreiter sind Websites wie „Buzzfeed“,

„Huffington Post“ oder „Facebook“, deren Erlöse sich zu einem großen Teil oder

ausschließlich aus diesen Werbeformen speisen. Inzwischen betreiben auch drei Viertel der

Verlage diese Vermarktungsform, darunter namhafte journalistische Anbieter wie die „New

York Times“, „Wall Street Journal“ oder „Forbes“ (Internationale Fallbeispiele finden sich in

den Beiträgen von Barbara Geier und Ulrike Langer auf S.69 bzw. S.76). „New York Times“-

Verleger Arthur Sulzberger hat Native Advertising gegenüber seinen Mitarbeitern als

„notwendig“ verteidigt. Nicht ohne Grund schielt die Branche auf Facebooks Erfolg mit

Werbung, die als kleine Häppchen in seine Feeds eingebaut wird (In-Feed-Ads). Im dritten

Quartal 2015 vermeldete das soziale Netzwerk, dass der Anteil mobiler Werbung an den

Anzeigenerlösen mittlerweile bei 78 Prozent (Vorjahr 66 Prozent) liegt. Facebook brilliert in

einem Bereich, in dem andere Unternehmen bisher überfordert sind. Firmen von Facebook

über Yahoo bis hin zu großen Verlagen haben neue Dienste oder ganze Abteilungen für

Native Advertising geschaffen. Das Marktforschungsunternehmen eMarketer hält 2015 allein

in den USA Ausgaben von 4,3 Milliarden Dollar für diese Form der Onlinewerbung für

realistisch – das wäre fast dreimal so viel wie 2012 – und erwartet für 2018 einen Anstieg auf

8,8 Milliarden.

In Deutschland deutet sich ebenfalls ein pragmatischer Umgang mit dem Thema an. Bei

„faz.net“ etwa sind bezahlte Inhalte als „Anzeigensonderveröffentlichung“ oder

„Advertorial“ gekennzeichnet. Das „Handelsblatt“ kooperierte mit dem Technologie-Konzern

„General Electric“. Immer mehr Regionalverlage führen Experimente durch (Deutsche

Fallbeispiele finden sich im Beitrag von Robert Danch auf S.45).

Beim BDZV ist Native Advertising eines der zentralen Themen in Arbeitsgruppen und bei

diversen Veranstaltungen. In der AG Digital fand im März 2014 erstmals eine Sitzung mit

diesem Schwerpunktthema statt. Es wurde eine Unterarbeitsgruppe zum Thema gegründet.

Unter der Leitung von Nicolas L. Fromm, Geschäftsleitung Digitale Medien, medien

holding:nord gmbh, wurden Vorschläge für Definitionen, Qualitätsrichtlinien und

Empfehlungen für Mitgliedsverlage erarbeitet. Bei verschiedenen Konferenzen und

Kongressen wurde diskutiert, ob Native Advertising eher ein Fluch oder doch ein Segen ist.

Es erschien ein Report aus Großbritannien und aus den USA zum Thema.

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B D Z V Das Konzept „Native Advertising“ S e i t e | 5

Zeitungskongress 2014: Nicolas L. Fromm, Geschäftsleitung Digitale Medien, medien

holding:nord gmbh zum Thema Native Advertising: Es geht um Geschichten, die die Herzen

der Nutzer erreichen. Foto: BDZV

Native Advertising polarisiert und ist Gegenstand vielfältiger Einschätzungen und Prognosen.

Eine Einigkeit über grundlegende Begriffe und Grenzen gibt es derzeit nicht.

Unterschiedliche Gremien und Arbeitsgruppen besetzen das Thema. Marktstandards fehlen,

was werbewirtschaftlich hinderlich ist, zum Beispiel für die Entwicklung und Vermarktung

entsprechender Formate. Deswegen lud der ZAW im Oktober 2014 erstmalig alle

Mitgliedsverbände zu einem Roundtable „Native Advertising“ ein, an dem auch der BDZV

vertreten war. In mehreren Sitzungen wurde der Versuch unternommen, den Typus Native

Advertising zu beschreiben und zu charakterisieren. Im Oktober 2015 wurde ein Leitfaden

veröffentlicht, der die Essenz der Round-Table-Treffen zusammenträgt und eine Typisierung

von Native Advertising vornimmt.

Vorteile

Die konventionellen Werbebanner auf Websites werden von Nutzern zunehmend als Störung empfunden und immer seltener geklickt. Kunden und Agenturen kritisieren schon seit längerem fehlende Sichtbarkeits- und Wirkungsnachweise. Die anhaltend inflationäre Preisentwicklung bei der Online-Werbung erhöht den Druck auf alternative Refinanzierungsquellen.

Adblocker verhindern, dass Online-Werbung im Browser überhaupt angezeigt wird. Bei rund einem Viertel aller Seitenaufrufe von Zeitungswebsites wird keine Werbung angezeigt. Ein Problem, das native Formate unter Umständen lösen könnten. Denn diese werden von Adblockern nicht oder deutlich schwerer erkannt, da sie nicht wie normale Werbung mit Code markiert werden, sondern tiefer integriert sind und häufig über das CMS ausgeliefert werden.

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Eines der wichtigsten Treiber für Native Advertising ist die kontinuierlich wachsende

mobile Nutzung. Für Verlage ist der enorme Anstieg des mobilen Traffics eine große Herausforderung. Kleinere Bildschirme, winzige Banner und „dicker Daumen“ – das sind die Gründe, weshalb weder Nutzer noch Kunden klassische Bannerwerbung auf Smartphones schätzen. Dagegen könnten Native Ads, wenn sie nahtlos in die mobilen Websites integriert werden, einen Ausweg schaffen. Die Auslieferung von Formaten, die sich mit dem Seiteninhalt anpassen, löst im besten Fall auch Grundprobleme mobiler Werbung: Sie kommt nicht nur um Adblocker herum, sondern auch auf jedem Gerät passend zur Geltung. Und die Seiten-Performance leidet weniger, was die Ladezeit angeht. In der Folge ist weniger Reaktanz bei den Nutzern zu erwarten.

Und schließlich verstärken die rückläufigen Anzeigen- und Vertriebserlöse im Stammgeschäft der Verlage zusätzlich den Druck auf neue digitale Erlöse.

Die Vorliebe der Nutzer für relevante Inhalte und gutes Storytelling könnte Native Advertising zu einem massiven Aufschwung verhelfen:

Sie sind im Vergleich zu anderen Werbeformen weniger aufdringlich. Sie bewegen

sich nicht oder überlagern andere Inhalte. Stattdessen fügen sie sich nahtlos in die Seite ein.

Aufgrund der redaktionellen Gestaltung erwecken Native Ads den Eindruck unabhängiger Berichterstattung. Sie erlangen auf diese Weise eine hohe Glaubwürdigkeit, da sie von der wiederum höheren Glaubwürdigkeit der wirklichen redaktionellen Inhalte profitieren können.

Im mobilen Umfeld sind Native Ads schon ein Quasi-Standard-Werbeformat. Sie können dort besser integriert werden, denn im mobilen Umfeld gibt es wenig Platz für großformatige Display-Anzeigen.

Virales Potenzial: Im Gegensatz zu gängiger Display-Werbung können sie von Nutzern per Facebook und Twitter gelikt und weiterverbreitet werden. Sie tauchen in Suchmaschinen auf und werden in der Regel von Adblockern nicht erkannt. Die Formate sind flexibel einsetzbar. Das alles sorgt für zusätzliche Reichweite und Aufmerksamkeit.

Native Ads bieten Services und Mehrwerte für Rezipienten. Der User soll informiert und unterhalten werden. Damit will der Sponsor auf sich aufmerksam machen und ein Markenbewusstsein beim User erreichen. Dieser soll das Unternehmen in positiver Erinnerung behalten und ein gutes Gefühl mit ihm verbinden. Das funktioniert allerdings nur mit hochwertigem, sauber recherchiertem Content und gut erzählten Geschichten.

Native Advertising ist eine Kernkompetenz der Zeitungsverlage. Viele Werbung-treibende sind noch nicht in der Lage, wertvolle Inhalte zu liefern. Hier könnte eine Chance liegen, wenn Zeitungsverlage den Werbekunden ihre redaktionelle Kompetenz zur Verfügung stellen. Verlage haben eine große Expertise in der Inszenierung von Inhalten und können gegen Mitbewerber punkten, die dieses

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Know-how erst einmal aufbauen müssen.

Es geht um Marktsicherung und Erschließung neuer Märkte. Native Ads bieten die Chance auf zusätzliche und neue Erlösmöglichkeiten. Native Ads sind wirksamer als Display-Werbung und können zu höheren Preisen verkauft werden. Es werden neue Werbeplätze geschaffen, die das Display-Inventar nicht belasten.

Aus all diesen Vorteilen wird erkennbar, dass Native Advertising nach Einschätzung von

Experten kein vorübergehender Trend ist, sondern ein Teil der generellen Transformation

der Industrie darstellt.

Nachteile

Beschädigung der journalistischen Marke Eine zu enge Vermischung von Anzeige und Redaktion birgt die Gefahr, den Leser zu verärgern und die Glaubwürdigkeit der Zeitungsmarke zu beschädigen. Welche Tücken in der neuen Werbeform liegen, musste „The Atlantic” erleben. Das US- Magazin ließ 2013 zwar keine Unklarheit über den Absender eines langen Beitrags auf seiner Website aufkommen. Doch der hieß „Scientology”, was für einen gewaltigen Proteststurm sorgte. Der Beitrag war wie eine Pressemitteilung geschrieben und passte nicht in das ansonsten redaktionell hochwertige Umfeld. Die Nutzerkommentare waren zugunsten des Werbekunden zensiert und fielen durchweg positiv aus. Schnell wurde der Artikel wieder entfernt. Der Verlag entschuldigte sich bei seinen Lesern. Alle Native Advertising-Beiträge durchlaufen seitdem einen zweistufigen Prüfprozess (siehe auch Seite 21).

Hoher manueller und individueller Arbeitsaufwand Ein Problem der langsamen Verbreitung nativer Formate ist der hohe individuelle und vertriebliche Aufwand. Die Umsetzung benötigt in der Regel interne Ressourcen und wird von Kunden oftmals wegen der Komplexität und fehlender Standards nicht gebucht. Zudem sind viele verschiedene Parteien beteiligt, die alle überzeugt werden müssen. Es sind nicht nur die werbenden Unternehmen und die verkaufenden Verlage, sondern ggf. auch Mediaagenturen, Vermarkter und Kreativagenturen einzubinden. Es dauert, bis alle an einem Strang ziehen.

Indirekte Wirkung Die Wirkungsweise ist indirekt, d.h. über die Inhalte wird die Marke aufgewertet. Für den harten Abverkauf ist diese Werbeform oft ungeeignet.

Skalierbarkeit

Die Nähe zum Trägermedium schränkt die Skalierbarkeit ein. Ein einziger nativer

Inhalt auf verschiedenen Portalen und Webseiten auszurollen, ist problematisch, da

sich die einzelnen Websites deutlich voneinander unterscheiden. Zwar gibt es bereits

Dienstleister wie NativeAds, Outbrain oder nativendo, die für Verlage und

Werbekunden automatisierte Lösungen anbieten und deren jeweiligen Aufwand

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reduzieren wollen. In den USA entstehen sogar erste Echtzeit-Marktplätze für Native

Ads. Der große Erfolg von „Forbes“, „Huffington Post“ oder auch „Buzzfeed“ beruht

jedoch darauf, dass die nativen Formate sehr spezifisch auf die jeweilige Plattform

bezogen sind und daher nicht einfach übertragbar sind. Bei einer Skalierung besteht

die Gefahr, dass die Sprache der jeweiligen Plattform verloren geht, die letztlich auch

über den Erfolg der Kampagne mitentscheidet. Schließlich gibt es bis heute keine

allgemeingültige Definition, welche dann einen Vergleich und auch eine Art

Checkliste zur richtigen Kreation von Native Advertising führen könnte.

Starke Marken nutzen eigene Plattformen Starke Marken wie Red Bull oder Coca Cola sind nicht mehr allein auf externe Medien als Werbeträger angewiesen; sie starten einfach ihre eigenen Content-Marketing-Plattformen. Statt Anzeigen und Werbespots zu buchen, erzählen Unternehmen Geschichten rund um ihre Marke – journalistisch aufbereitet und somit nur schwer als Reklame erkennbar. Das erkannte vor einigen Jahren auch die Henkel-Tochter Schwarzkopf – und setzte beherzt auf eine neue Digitalstrategie. Menschen googeln eher Probleme wie „Haarausfall“ und nicht konkrete Produkte. Nach dieser Logik ist die Website der Shampoo-Marke gebaut – und gilt seither als einer der deutschen Content-Vorreiter.

Medientage München 2015: Jochen Kalka, Chefredakteur Werben & Verkaufen; Barbara Geier, Medienjournalistin, Nadine Rosenkranz, Leitung Produktmanagement/Sales Marketing, sh:z Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag und Andrea Malgara, Geschäftsführer Mediaplus (v.l.n.r.) diskutieren beim „Forum Zeitung“ zum Thema Native Advertising. Foto: Medientage München Was ist Native Advertising?

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Nach wie vor herrscht Verwirrung rund um den Begriff Native Advertising. Er wird von

einzelnen Anbietern sehr unterschiedlich ausgelegt und eingesetzt. Für das Werbegeschäft

sind diese Begriffsvielfalt und die variierende Auslegung nicht förderlich. Darüber waren sich

alle Mitgliedsverbände des ZAW beim ersten Roundtable Native Advertising einig. Als

vordringliche Aufgabe sahen die Mitgliedsverbände deshalb die unbedingte Notwendigkeit

einer klaren Definition bzw. von Standards für das Konzept des Native Advertisings. Als

Ergebnis der Roundtable-Gespräche unter dem Dach des ZAW konnte ein gemeinsames

Verständnis entwickelt werden. Der ZAW hat folgende Typisierung von Native Advertising

vorgenommen:

Bereits im Juli 2013 gründete das US-amerikanische Interactive Advertising Bureau (IAB) eine Task Force Native Advertising. Anfang Dezember 2013 legte die Task Force ein Rahmenwerk einschließlich empfohlener Kennzeichnungsregeln für diese neue Art von Anzeigen vor. Mit dem „Native Advertising Playbook“ will das IAB Inserenten und Content-Anbietern eine Orientierungshilfe im Umgang mit Native Advertising bieten. Das IAB schlägt als Definition vor:

„Native advertising is a form of paid media where the ad experience follows the natural form and function of the user experience in which it is placed“.

Diesen Ansatz hat die BDZV Unter-Arbeitsgruppe Native Advertising aufgegriffen und erweitert:

„Native Advertising ist vom Anzeigenkunden bezahlter, redaktionell anmutender Inhalt, der auf die Interessen des Nutzers abzielt und sich nahtlos in das redaktionelle Umfeld einfügt. Die Werbebotschaft wird subtil, ohne den Anschein von plakativer Werbung zu vermitteln,

Native Advertising ist eine ursprünglich in den USA entwickelte, mittlerweile auch in Deutschland etablierte, nicht standardisierte digitale Werbeform in Fremdmedien. Als Werbeform ist Native Advertising Teil des Oberbegriffs Content Marketing. Charakteristisch für Native Advertising-Formate ist ihre Anpassung/Integration an das jeweilige mediale Umfeld. Diese bezieht sich dabei im Wesentlichen auf die nachfolgenden Kriterien:

die optische Gestaltung; die thematische Ausrichtung an das jeweilige redaktionelle Umfeld und die nach

Inhalt und Tonalität redaktionsähnlich aufbereitete werbliche Kommunikation; die funktionalen Nutzungsmöglichkeiten und die technische Einbindung in die Infrastruktur des (Fremd)Mediums.

Native-Advertising-Formate sind klar als werbliche Kommunikation zu kennzeichnen, wobei der ZAW empfiehlt, hierfür jeweils eine einheitliche Bezeichnung zu verwenden.

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über den Inhalt transportiert, um besonders hohe Glaubwürdigkeit beim Rezipienten hervorzurufen. Im Gegensatz zu klassischer Werbung steht bei Native Advertising nicht die Menge der Werbeausspielungen im Vordergrund. Das Ziel von Native Advertising ist das Erlebnis und den Mehrwert für den Nutzer sowie die Interaktion mit dem Inhalt in den Vordergrund zu stellen.“ Zu Begriffen wie „Content-Marketing“, „PR“ oder „Advertorial“ gibt es zahlreiche Überschneidungen. Eine abgrenzende Definition ist nach Ansicht des ZAW Roundtables Native Advertising aber wohl nicht möglich. Denkbar und zielführend sei aber eine charakterisierende Beschreibung, bei der prototypische Merkmale und Intentionen von „Native Advertising“ greifbar werden. Folgende Punkte werden dafür als wichtig erachtet:

Strikte Einhaltung des Trennungsgrundsatzes (Kennzeichnung) Unumstritten ist, dass Native Advertising klar gekennzeichnet werden und jeder Betrachter ohne Schwierigkeiten zwischen redaktionellen und bezahlten Inhalten unterscheiden können muss. Die Mittel zur Trennung und Kenntlichmachung sind bei Native Advertising nicht vorgegeben und fallen sehr unterschiedlich aus.

Gestalterische Einpassung in das Plattformlayout In formaler Hinsicht orientiert sich die Darbietung (Bilder, Grafiken, Links) der Inhalte

an das Plattform-Layout.

Orientierung an plattformspezifischer Mediennutzung der Rezipienten In inhaltlicher Hinsicht geht es darum, die jeweilige Nutzungssituation und die

Erwartungshaltung der User zu berücksichtigen. Den Nutzern soll ein über die

werbliche Kommunikation hinausgehender Mehrwert geboten werden. Das ist auch

notwendig, um die angestrebte Verlängerung der Botschaft in Social-Media-Kanäle zu

erreichen.

„Muss meine Redaktion geschrieben haben können“

Die jeweilige Themenauswahl und Aufbereitung orientiert sich stärker an denjenigen

Kriterien, die die Rezipienten für die jeweilige Plattform in redaktionell-

journalistischer Hinsicht erwarten. Hieraus resultieren erhöhte Anforderungen für die

Content-Erstellung und die Produktion von nativen Werbeformaten.

Trennung von werblicher und journalistischer Redaktion Auffassung des ZAW-Roundtables ist, dass die Wahrung der Unabhängigkeit der

journalistischen Arbeit oberste Priorität hat. Einseitig positive Berichterstattung für die bei Native Advertising bezahlt wird und die deswegen als Werbung gekennzeichnet ist, darf sich nicht auf den redaktionellen Teil eines Mediums auswirken. Eine klare Trennung von redaktioneller Tätigkeit und dem Verfassen von Native Advertising sollte in den Redaktionen gegeben sein.

Formate

Im Folgenden werden die verschiedenen Erscheinungsformen von Native Ads beschrieben.

Das IAB-Playbook unterscheidet sechs Typen von Native Ads:

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6. In-Feed Elemente (In-Feed ads)

In-Feed Elemente sind Anzeigen, die nur aus zwei-dreizeiligen Texten bestehen, ähnlich eines Newsfeeds. Sie können entweder auf Inhalte auf der eigenen Webseite hinweisen oder die Verlinkung auf eine andere Seite darstellen.

Beispiele:

Facebook Twitter NativeAds.de Nativo.net

_______________________________________________________________

„Neue Formate erscheinen unerwarteter, der „Bannerausblendreflex“

setzt nicht automatisch ein. Trotzdem gilt auch hier: Was für den

Einzelnen nicht relevant ist, wird radikal ausgefiltert: nicht von

Algorithmen, sondern letztendlich vom gesunden Menschenverstand.“

Wolfgang Schneider, Chief Creative Officer, BBDO

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2. Bezahlte Suchergebnisse (Paid Search Ads) Diese Formen von Native Ads sind sehr häufig zu sehen. Suchen wir bei Google nach einem beliebigen Produkt, sind die oberen 2-3 Treffer bezahlte Suchergebnisse, gekennzeichnet durch das Wort „Anzeige”.

3. Empfehlungen (Recommendation widgets) Gerade auf Nachrichtenportalen, Blogs oder Magazinseiten sehr weit verbreitet, sind die Empfehlungswidgets. Diese bestehen aus einem Vorschaubild für den verlinkten Artikel sowie einem kleinen aussagekräftigen Titel. Auch hier kann entweder auf eigene oder fremde Inhalte verlinkt werden.

Beispiele

Outbrain Taboola Plista Disqus

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4. Geförderte Anzeigen (Promoted Listings) Diese Anzeigen sind sehr häufig bei Amazon zu finden und stellen ein schönes Beispiel dar, wie wenig aufdringlich eine Werbung sein kann. Suche ich nach einem Produkt und lese mir die Beschreibung durch, werden mir passende Suchergebnisse externer Webseiten angezeigt. Im identischen Design wie Amazon, mit einer kurzen Beschreibung samt Produktbild.

5. In-Ads mit nativen Elementen (IAB-Standard) In-Ads sind native Anzeigen, die in IAB-Standard-Containergrößen ausgeliefert werden (z.B. 300 x 250 oder 300 x 600 Pixel). Der Grund, warum diese Anzeigen zu den nativen Formaten zählen, ist die Tatsache, dass sie kontext-relevante Inhalte ausliefern. Nutzer können die Inhalte teilen, liken und kommentieren.

6. Custom Für diese Form einer nativen Ad gibt es keine klare Definition. Diese Anzeigen sind zu 100 Prozent angepasste, maßgeschneiderte Lösungen und passen in keine der bisher beschriebenen Kategorien. Wer zum Beispiel „Spotify” zum Streamen seiner Musik benutzt, bekommt in regelmäßigen Abständen Playlists vorgeschlagen. Dies wäre ein Beispiel für eine komplett an die Plattform angepasste Ad.

Bloß kein Versteckspiel – Die Kennzeichnung

Eine klare Kennzeichnung von Native Advertising steht schon aufgrund der rechtlichen Vorgaben außer Frage. Da Werbebotschaften andere Funktionen erfüllen als redaktionelle Beiträge, ist es wichtig, dass Werbung in Abgrenzung zu redaktionellen Inhalten für den Verbraucher erkennbar und damit kategorisierbar ist. Zugleich gewährleistet der Trennungsgrundsatz die Sicherung journalistischer Qualität. Um diesem Anspruch Rechnung zu tragen, finden sich sowohl rechtliche Vorgaben und ergänzend professionsethische Richtlinien, die eine klare Trennung gewährleisten sollen. So ist für den Bereich der Printmedien in allen Landespressegesetzen vermerkt, dass Veröffentlichungen, für die ein

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Entgelt erhalten wurde und die anhand der gestalterischen Merkmale nicht eindeutig als Werbung erkennbar sind, deutlich mit dem Wort „Anzeige“ zu kennzeichnen sind. Darüber hinaus finden sich Richtlinien im Rahmen der freiwilligen Selbstkontrolle der Presse (Pressekodex, Ziffer 7) und der freiwilligen Selbstkontrolle Werbewirtschaft (ZAW-Richtlinien für redaktionell gestaltete Anzeigen). Neben gesetzlichen Vorgaben und Pressekodizes, die sich an Redaktionen richten, gibt es neuerdings auch Initiativen der werbenden Wirtschaft. Der Arbeitskreis Corporate Compliance der deutschen Wirtschaft, in dem Compliance-Verantwortliche zahlreicher DAX-Konzerne sitzen, hat kürzlich einen Kodex aufgesetzt, der die Einflussnahme von Unternehmen auf die Berichterstattung stoppen soll. Der Kodex sieht unter anderem vor, dass die Unternehmen auf eine klare Erkennbarkeit oder Kennzeichnung der Werbung als Werbemittel hinwirken sollen. Eine ähnliche Regelung hat auch der Deutsche Rat für Public Relations (DRPR) in seine Richtlinie „PR und Journalismus“ aufgenommen. Der DRPR hat den Deutschen Kommunikationskodex für den PR-Bereich bereits im Jahr 2012 vorgestellt. Anders als bei Print-Advertorials wird bei Native Advertising kein einheitlicher Standard zur Kennzeichnung bzw. Trennung vorgegeben. Die Mittel zur Trennung und Kenntlichmachung fallen sehr unterschiedlich aus. Das IAB-Playbook listet zahlreiche Beispiele, wie die einzelnen Publisher diese Kennzeichnung in der Praxis umsetzen. So sind die Native Ads je nach konkreter Situation mit Hinweisen wie Advertisement, Ad, Promoted, Promoted by …, Sponsored, Sponsored by …, Sponsored Content, Presented by …, Featured Partner, Suggested Post (jeweils mit zusätzlichen Tags etwa bei BuzzFeed, Huffington Post oder Facebook) versehen. Darüber hinaus bestehen weitere, ergänzende Möglichkeiten wie Mouse-over-Links, die Texte wie „What´s this?“ einblenden oder Statements wie „Der Inhalt gibt nicht zwingend die Meinung der Redaktion wieder“. Beispiele aus der Praxis belegen, dass auf ein und derselben Plattform unterschiedliche Begrifflichkeiten verwendet werden. Eine weitergehende rechtliche Einordnung findet sich im Reader „Native Advertising – umfassend beleuchtet“ des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft ZAW. Ein kostenloser Download ist hier möglich.

Erfolgsmessung

Früher standen Werbebotschaft und Produkt im Mittelpunkt – heute ist es der Konsument. Anders als bei klassischen Werbeformaten zielt Native Advertising nicht auf eine maximale Ausspielung des Inhaltes ab. Neben Klicks und Visits spielen für die Erfolgsmessung auch die Verweildauer und vor allem Social Media-Aktivitäten eine wichtige Rolle. Immer mehr Arbeit wird in die Frage investiert, wie man eine Kommunikation schafft, die die Nutzer freiwillig konsumieren und teilen. In diesem Zusammenhang wird vom viralen Uplift gesprochen. Der virale Uplift ist die Medialeistung, die durch das virale Verbreiten von werblichen Inhalten ins Netz zusätzlich erzeugt wird, d.h. wenn Nutzer Inhalte nicht nur wahrnehmen und anklicken, sondern auch liken oder retweeten. Buzzfeed behauptet, den viralen Uplift vorhersagen und sowohl Inhalte als auch Überschriften dementsprechend optimieren zu können. Für Buzzfeeds Werbekunden ist der virale Uplift in den Werbepreisen enthalten.

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Empfehlungen

Die AG Native Advertising als Unter-Arbeitsgruppe der AG Digital des BDZV ermutigt Zeitungsverlage, die Möglichkeiten von Native Advertising zu testen und entsprechende Angebote für Werbekunden zu machen. Die Erfahrungen mit anderen, vormals neuen Werbeformen, wie beispielsweise dem Product Placement in TV und Film, zeigen die Fähigkeit der Verbraucher, neue Werbemodelle kennen- und nutzen zu lernen, ohne dass eine Medienmarke zwangsläufig darunter leidet. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn der Nutzer nicht irregeführt wird und native Werbeformen klar und konsequent gekennzeichnet werden.

Zum aktuellen Zeitpunkt existieren keine gemeinsamen Definitionen,

Qualitätsrichtlinien und Standards von Native Advertising. Für einen einheitlichen

Einsatz von Native Advertising innerhalb der deutschen Medienlandschaft müssen

fachliche und technische Vorgaben in Hinblick auf Wording, Art und Aussehen der

Kennzeichnung, Position und Aufmachung des Inhalts definiert werden.

Möglicherweise kann ein Teil dieser Vorhaben unter dem Dach des ZAW erreicht

werden.

Der Trennungsgrundsatz respektive die Erkennbarkeit werblicher Kommunikation muss in besonderer Form berücksichtigt werden. Das betrifft die Startseite, die Linkbeschreibung und den Text. Die Mittel zur Trennung und Kenntlichmachung fallen bisher sehr unterschiedlich aus. Der ZAW-Round-Table spricht sich dafür aus, dass keine spezifischen oder übergreifenden Vorgaben für eine Kennzeichnung gemacht werden sollen. Sie befürworten jedoch, dass zumindest innerhalb einer Website eine einheitliche Kennzeichnung gegeben sein sollte.

Es besteht ein nachvollziehbarer Zusammenhang zwischen Thema, Sponsor und Portal. Die Qualität der nativen Inhalte muss stimmen und die Erwartungen des Users an sein Portal erfüllt werden. Die Inhalte müssen glaubwürdig sein. Die inhaltliche Qualität in Verbindung mit einer entsprechenden Kennzeichnung muss von vorn herein durch ein redaktionelles Qualitätsmanagement gewährleistet sein.

Das Native Advertising Leaderboard listet die erfolgreichsten gesponserten Artikel und Videos. Eines fällt auf: Keiner der Texte bewirbt ein Produkt oder die Marke direkt. Aber alle Artikel drehen sich um Themen rund um das Produkt und sie passen zur Zielgruppe. Nur wenn Medien und Marken es schaffen, Native Advertising spannend für den Leser zu gestalten, haben sie eine Chance, erfolgreich zu sein.

Um die Unabhängigkeit des Verlags zu betonen, werden die Beiträge weder vom Sponsor noch von einer Redaktion der Zeitungswebsite, sondern am besten von einer unabhängigen Service-Redaktion erstellt. Stimmt die interne Struktur, dann stimmt auch die Trennung von journalistischen und werblichen Inhalten.

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Der Erfolg von Native Ads wird nach der Zusammensetzung unterschiedlicher Werte

bemessen (Zugriffe, Verweildauer, Share). Die Erfolgskennziffern müssen im Vorfeld

definiert und ein Traffic Management gewährleistet werden.

Auswirkung von Qualitäts- und Traffic-Management ist, dass auf kurzfristig angelegte

Werbeeinnahmen verzichtet werden muss. Ziel ist es, durch stringente Formate,

Richtlinien und einheitliche Technik neue Erlöse im Hochpreissegment zu generieren.

Die Gestaltung von nativen Werbeformaten muss „suchmaschinenkonform“

erfolgen, etwa durch die Zwischenschaltung einer Subdomain. Ansonsten droht

Google damit, die entsprechenden Angebote komplett aus dem Ranking zu nehmen.

_______________________________________________________________

„Wir präsentieren nicht Werbung als Artikel, sondern wir lassen Artikel

bewerben – und machen das sehr transparent.“

Hansi Voigt, Chefredakteur von watson.ch

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B D Z V Wie aus Werbung Content wird – internationale Ansätze S e i t e | 17

VON BARBARA GEIER

freiberufliche Medienjournalistin und

Kommunikationsberaterin, London

Wie aus Werbung Content wird – internationale Ansätze

Legitim oder fragwürdig? Mehrwert oder Manipulation? Native Advertising spaltet die

Gemüter der Medienmacher. Warum die neuartige Werbeform nicht per se schlecht ist –

und was Verlage beherzigen sollten, um glaubwürdig zu bleiben.

Im April 2014 veröffentlichte „Der Spiegel“ einen kritischen Artikel zum Thema Native

Advertising. Unter der Überschrift „Seelen-Verkäufer” wurde dieser aktuelle Megatrend in

der Onlinevermarktung – Werbung mit Inhalten im redaktionellen Gewand – verdammt:

„Mit ‚native advertising’ erreicht die bewusste Irreleitung der Leser eine neue Qualität: Sie

wird zu einem gängigen Stilmittel der Werbung, vor allem im Netz”. Ganz deutlich hieß es

weiter: „(…) auch beim SPIEGEL ist die Offenheit für das neue Format begrenzt: Werbung,

die aussieht wie ein Text der Redaktion, wird es nicht geben.”

Blöd nur, dass der Medienjournalist Stefan Niggemeier umgehend ein Beispiel für das, was

es angeblich beim „Spiegel“ nie geben werde, auf „Spiegel Online“ fand: Eine von einem

Glücksspielanbieter gesponserte Kolumnen-Rubrik, die äußerlich praktisch nicht vom

redaktionellen Teil zu unterscheiden und mit „Ein Service von WestLotto” auch nicht

eindeutig als Werbung markiert war. Barbara Hans, Vize-Chefredakteurin von „Spiegel

Online“, entschuldigte sich daraufhin im Namen von Chefredaktion und Geschäftsführung:

„Die Werbung hätte nicht live gehen dürfen. Dass dies dennoch geschehen ist, ist ein

Fehler.” 1

Das Beispiel macht deutlich, wie schwer der Medienbranche der Umgang mit diesem Thema

fällt, wie schmal der Grat ist, auf dem sie wandert und auch wie unehrlich manchmal damit

umgegangen wird. Grundsätzlich geht die Diskussion zu Native Advertising oder Sponsored

Content, wie es auch genannt wird, in Deutschland momentan noch ziemlich durcheinander.

Verständlich: Denn viele wissen gar nicht, was Native Ads sind und setzen sie mit

Schleichwerbung gleich – aber genau das sind sie beziehungsweise sollen sie per Definition

nicht sein.

Ein Blick in die USA und nach Großbritannien zeigt, dass die Diskussion dort nicht nur schon

weiter gediehen ist, sondern (seriöse) Medienunternehmen bereits intensiv mit den

Page 19: Reader „Native Advertising

B D Z V Wie aus Werbung Content wird – internationale Ansätze S e i t e | 18

verschiedensten Sponsored-Content-Formaten arbeiten. In den USA ist der Begriff Native

Advertising nicht nur entstanden, im anglo-amerikanischen Raum nimmt das Thema Content

Marketing auch einen prominenteren Platz ein als in Deutschland. Fest steht, dass dieses

Marketing mit Inhalten, das Unternehmen in ihrem Werbemix immer fester verankern, einer

der Hauptgründe für das Wachstum von Native Advertising ist.

Was ist Native Advertising, und wo kommt es her?

Ein Blick zurück: Im September 2011 hielt der Venture Capitalist Fred Wilson im Rahmen der

Advertising Week in New York eine Rede und nutzte dabei für Online-Werbung den Begriff

„native monetisation”. Solche Anzeigen seien für die jeweilige Webseite „unique and native

18ot he experience”, das heisst, sie integrieren sich natürlich in ihr redaktionelles Umfeld

und imitieren dabei Form und Funktion journalistischer Inhalte. Als Urbeispiele solcher

Werbeformen nannte er Googles „paid search”, Twitters „promoted tweets” sowie

Facebooks „sponsored posts”. Dan Greenberg, CEO der US-Internetwerbefirma

Sharethrough, griff das Wort „native” im Folgenden auf und gilt als Erfinder des Begriffs

Native Advertising. Mit seinem Unternehmen hat er sich inzwischen als Guru für das selbige

in den USA positioniert – und voilà: der jüngste Hype im Netz hatte seinen Namen.

In den USA zeigte eine Umfrage der Online Publishers Association im Juni 2013, dass bereits

73 Prozent aller Online Publisher auf ihren Seiten Native-Advertising-Optionen anbieten, und

diese Zahl dürfte inzwischen kräftig gewachsen sein. Ähnlich prominent beherrschte das

Thema in 2013 und 2014 die Medienbranche in Großbritannien und Zeitungs- und

Zeitschriftenverlage arbeiteten an Native-Advertising-Strategien und entwickelten neue,

inhaltsgetriebene digitale Anzeigenprodukte. Gleichzeitig fehlt bisher noch eine einheitliche

Definition von Native Advertising beziehungsweise Begrifflichkeiten wie Native Advertising,

Sponsored Content oder Advertorial werden durcheinandergeworfen.

Die Definitionsfrage

Ein wenig Licht in den Begriffsdschungel bringt die WAN-IFRA als World Association of

Newspapers and News Publishers auf ihrer Website mit einer Zusammenstellung von

Definitionen2, die einige grundsätzliche Wesensmerkmale der im Sprachgebrauch pauschal

unter dem Begriff Native Advertising subsumierten verschiedenen Werbeformen

herausstellt: Sponsored Content sind demnach im Auftrag von Anzeigenkunden von der

Redaktion verfasste und entsprechend mit „presented by”, „sponsored by” oder ähnlichem

Hinweis markierte Inhalte. Native Advertising ist dahingehend und als Urform quasi eine

explizit plattformspezifische Werbeform, die wie zum Beispiel Twitters „promoted tweets” in

genau dieser speziellen Form und in dem ganz eigenen Ton nur auf einer bestimmten

Plattform funktioniert. Advertorials schließlich werden als nicht von der Redaktion

hergestellte Inhalte definiert, die auf verschiedenen Plattformen genutzt werden können. Es

wird betont, dass das neue Schlagwort Native Advertising oft fälschlicherweise genutzt wird,

wenn es sich eigentlich um ein Advertorial handelt.

Page 20: Reader „Native Advertising

B D Z V Wie aus Werbung Content wird – internationale Ansätze S e i t e | 19

„Native advertising isn’t what you think it is“: Das Schaubild der WAN-IFRA grenzt die

Begrifflichkeiten Native Advertising, Sponsored Content, Advertorial und Brand Content

voneinander ab.

Quelle: http://blog.wan-ifra.org/2013/07/22/native-advertising-isn-t-what-you-think-it-is

In der Umfrage der US Online Publishers Association vom Sommer 2013 machen die

Ergebnisse genauso deutlich, dass es bei Verlagen noch kein einheitliches Verständnis

darüber gibt, was Native Advertising zu Native Advertising macht. Nur 68 Prozent sagen hier

zum Beispiel, dass diese Werbeform einen redaktionellen Wert für die Leser haben und ihre

Erwartungen an die redaktionellen Inhalte des jeweiligen Mediums erfüllen müsse.

Allerdings sind sich Experten gerade hier einig: Die Inhalte von Native Advertising als eine

Werbeform, die Nutzern rein äußerlich verspricht, eben gerade keine auf Verkauf

ausgerichtete Anzeige zu sein, müssen hochwertig sein. Ansonsten wird sie nicht

funktionieren. Sprich: Es darf nicht um plumpe PR-Texte gehen, die überhaupt nichts mit

dem Umfeld, in dem sie stehen und den Erwartungen, die der Lesern in diesem hat, zu tun

haben. Ansonsten die Folge: Der Leser fühlt sich auf den Arm genommen und getäuscht; der

Werber und vor allem das Trägermedium verlieren an Glaubwürdigkeit.

Ein weiteres interessantes Ergebnis der Umfrage: Nur 79 Prozent sind der Meinung, dass

Native Ads als Werbung gekennzeichnet werden müssten. Warum dies nicht 100 Prozent

sagen – das darf man sich berechtigterweise fragen. Ganz egal, wie sehr sie auch im

redaktionellen Gewand daher kommen mag, Werbung bleibt Werbung und muss

entsprechend gekennzeichnet werden.

Page 21: Reader „Native Advertising

B D Z V Wie aus Werbung Content wird – internationale Ansätze S e i t e | 20

Wahrscheinlich muss es die eine Definition für Native Advertising aber auch gar nicht geben.

Vielmehr müssen Verlage, wenn sie sich in diesem Umfeld bewegen möchten, innerhalb

eines bestimmten Rahmens ihre eigenen Varianten finden. Und dieser Rahmen ist:

Unternehmen zahlen Medieninhaber, damit diese ihre, von wem auch immer produzierten,

Inhalte (und keine Produktwerbung!) auf deren Plattformen im Rahmen eines deutlich

gekennzeichneten Werbeformats veröffentlichen. Diese Inhalte sollen dabei im Idealfall

dieselbe Funktion haben, wie die unabhängigen redaktionellen Beiträge, das heißt sie

informieren, unterhalten oder analysieren ein Thema, das den Leser interessiert. Das

wiederum bedeutet, dass sie in dem Kontext, in dem sich der User befindet, nicht als störend

empfunden werden, sondern als relevant und wertvoll.

Kontext und Treiber

Bei den Definitionen mag man sich noch streiten, ganz klar ist aber der Kontext, innerhalb

dessen Native Advertising ein solch prominentes Thema geworden ist. Im Wesentlichen

kommen hier drei Komponenten zusammen:

Erstens: das bereits erwähnte starke Wachstum von Content Marketing. Hinter diesem

Schlagwort steht etwas Altbekanntes, denn Unternehmen erstellen und verbreiten schon

lange ihre eigenen Inhalte für ihre Kunden. Was in Deutschland als Corporate Publishing mit

einem Schwerpunkt auf Unternehmensmagazine und andere Publikationen bekannt ist,

heißt im angelsächsischen Raum längst Content Marketing. Der zuvor genutzte Begriff

Customer Publishing klang irgendwann einfach zu sehr nach „nur Papier“. Denn die

ehemaligen Customer Publishing Dienstleister, die inzwischen in den USA und

Großbritannien Content Marketing Agenturen heißen, arbeiten schon lange viel

umfassender für ihre Kunden und stellen Inhaltsformate aller (digitalen) Art her.

Kundenmagazine sind nur ein Element in diesem inhaltsgetriebenen Bereich des

Marketingmixes. Inzwischen geben Unternehmen, flankierend zur klassischen

Anzeigenwerbung mit dem Ziel der reinen Bewerbung und des Abverkaufs, mehr und mehr

Geld dafür aus, ihre Kunden auf verschiedenen digitalen Kanälen dadurch anzusprechen,

dass sie qualitativ hochwertige Inhalte und Mehrwerte produzieren. Mit dem Ziel der

Kundenbindung und –aktivierung möchten sie ihre Geschichten auf ihren Webseiten, zum

Beispiel mit Hilfe von Apps, Social-Media-Seiten, YouTube-Kanälen oder Pinterest-Seiten

erzählen. Denn dank des Webs können sie es nun.

Diese Art des Storytelling wird zunehmend mit Hilfe von Content-Profis bewerkstelligt- meist

ehemalige Zeitungsredakteure, die mit Kusshand von Unternehmen für eigene „newsrooms”

oder von Content Marketing Dienstleistern eingestellt werden. Wenn diese Art der

Kundenansprache über Content Marketing nun also nicht auf unternehmenseigenen

Plattformen stattfindet, sondern auf denen von Newsorganisationen, dann landen wir direkt

bei dem, was Native Advertising genannt wird.

Zweiter Treiber für Native Advertising ist das Problem der „Banner Blindness“. Banner-

Anzeigen werden zunehmend ausgeblendet; Nutzer haben genug vom visuellen „Lärm”,

Page 22: Reader „Native Advertising

B D Z V Wie aus Werbung Content wird – internationale Ansätze S e i t e | 21

wenn sie online sind, und ignorieren störende Werbung. Nutzer halten diese Anzeigen

außerdem selten für relevant. Die Klickrate für Displaywerbung liegt im Durchschnitt

inzwischen nur bei 0,1 Prozent.3

Der mobile Zwang

Der dritte – und extrem wichtige Punkt – ist die Tatsache, dass das Web mobil wird, der

Medienkonsum auf mobilen Endgeräten unaufhaltsam voranschreitet und dieses

Darstellungsformat Werbung zwingt sich zu ändern. Sie muss sich in die Abfolge der Inhalte

auf dem kleinen Bildschirm integrieren und „native” werden. Enders Analysis, ein britisches

Marktforschungsunternehmen, geht davon aus, dass die Zeit, die Leser auf ihren mobilen

Geräten online verbringen, in diesem Jahr oder spätestens 2015 die Desktopnutzung

überholen wird. 4

In diesem mobilen Umfeld müssen sich die Inhalte noch mehr dem Format anpassen und der

Feed, also die die Abfolge von Inhalten, durch die sich der Nutzer scrollt, wie auf Twitter

oder Facebook, dominiert. Anders ausgedrückt: Ein klassisch strukturiertes 1200-Wörter-

Feature passt genauso wenig aufs Handy wie eine Pop-up-Anzeige. Was es derzeit an guten

Beispielen für mobile Werbung gibt, zeichnet sich daher auch durch klassische Merkmale

von Native Advertising aus: Sie ist interaktiv, witzig, vermittelt auf unterhaltsame Weise

Informationen und Wissen, arbeitet mit Gamification und animiert den Nutzer zum Teilen in

seinen sozialen Netzwerken.

Was schiefgehen kann, wenn die Grenzen verschwimmen

In diesem Umfeld, in dem sich Werbung neu erfinden muss, haben sich Medien in den

vergangenen Jahren in den von der Rezession gebeutelten Märkten USA und Großbritannien

auf das Thema Native Advertising gestürzt – als potentiell vielversprechende Erlösquelle im

digitalen Anzeigengeschäft und angesichts immer weiter fallender Preise für

Displaywerbung.

Das Paradebeispiel, wie die Annäherung von redaktionellen Inhalten und Werbung so richtig

schief gehen kann, lieferte im Januar 2013 „The Atlantic“. Das renommierte amerikanische

Nachrichtenmagazin stellte einen von Scientoloy gesponsorten Post auf seine Website und

damit, erster Fehler, Inhalte, die überhaupt nicht zur Tradition der Publikation (in den

Kontext) passten. Dann wurden, zweiter Fehler, auch noch die Kommentare zum Artikel

zensiert und Negatives wurde einfach gelöscht. Es folgte ein Riesenaufruhr im Netz; „The

Atlantic“ entschuldigte sich und etablierte strengere, interne Native-Advertising-Richtlinien.

„Wir haben versagt”, so Scott Havens, zu dem Zeitpunkt Geschäftsführer von „The Atlantic“.

„Wir haben Inhalte veröffentlicht, ohne mit den Werbekunden daran gearbeitet zu haben.

Die Kommentarsektion zu dem Beitrag ist explodiert, und um dies zu kontrollieren, haben

Mitarbeiter die negativen Kommentare zurückgehalten.”5

Page 23: Reader „Native Advertising

B D Z V Wie aus Werbung Content wird – internationale Ansätze S e i t e | 22

Nicht nur wegen solcher Extremfälle wird die Problematik der „blurred lines” diskutiert, die

Verwischung der Grenzen zwischen Journalismus und Werbung und die Gefahr, Leser zu

täuschen und das Vertrauen als unabhängige Nachrichtenquelle zu verlieren. Die jeweiligen

Branchenverbände für Onlinewerbung in Großbritannien und den USA haben daher

Arbeitsgruppen eingerichtet, entwerfen Best-Practice-Richtlinien und machen sich Gedanken

zum Thema Selbstregulierung. Auch Verlegerverbände schalten sich ein und im Mai 2014 bat

in Großbritannien die Association of Online Publishers (AOP UK) gemeinsam mit der

Internetwerbefirma Vibrant Media Industrieteilnehmer an einen Runden Tisch, um sich über

das Thema „verantwortungsvolles Native Advertising” zu verständigen.

Ergebnis dieses Roundtables sind fünf Grundprinzipien, die trivial klingen mögen, aber im

Detail und in der Umsetzung komplex, schwierig und gleichzeitig essentiell sind. Das wird

gleich beim ersten Punkt, Integrität, deutlich. Hiermit ist das Thema Kooperation zwischen

Redaktion und Anzeigenabteilung gemeint: Native Advertising darf nicht akzeptiert werden,

wenn es die redaktionelle Stimme eines Mediums beschädigt. Und da Redakteure diejenigen

sind, die nicht nur wissen, wie man gute Inhalte herstellt, sondern (idealerweise) auch, was

ihre Leser interessiert und welche Werte für sie wichtig sind, müssten sie in die Produktion

von Native Advertising, auf eine wie auch immer geartete Art und Weise, involviert werden,

damit kein „Schrott” produziert wird. Als zweites Prinzip wird Transparenz gegenüber dem

User genannt: Es muss immer und unbedingt eindeutig sein, dass Native Ads

Marketinginhalte sind, auch wenn sie nicht direkt, wie traditionelle Werbung, ein Produkt

oder einen Service bewerben. Drittens müsse die Proportionalität gewahrt bleiben, denn wie

viel an gesponserten Inhalten tragbar ist, hängt von der jeweiligen Publikation und ihrem

spezifischen Publikum ab, und viertens funktionieren Native Ads nur, wenn sie relevant sind.

Diese Relevanz muss gleichzeitig für den User, die Inhalte drumherum und für den

Medientitel gelten. Als fünftes Grundprinzip wurde die richtige Platzierung herausgestellt,

das heißt Native Ads müssen in das jeweilige Format passen und egal für welches Gerät, ob

mobil oder Desktop, entsprechend ausgeliefert werden.

1 http://meedia.de/2014/04/22/ein-fehler-spiegel-online-entschuldigt-sich-fuer-werbe-kolumne/ 2 http://blog.wan-ifra.org/2013/07/22/native-advertising-isn-t-what-you-think-it-is 3 http://www.newsider.de/post/haben-banner-ausgedient 4 http://www.themediabriefing.com/article/enders-analysis-mccabe-dougas-mobile-data 5 http://www.adweek.com/news/advertising-branding/after-scientology-debacle-atlantic-tightens-native-

ad-guidelines-146890

Page 24: Reader „Native Advertising

B D Z V Ergebnisse des ZAW-Roundtable Native Advertising S e i t e | 23

VON BERND NAUEN

Geschäftsführer, ZAW

ANNE-MARIE GROTE

Stellv. Pressesprecherin, ZAW

Ergebnisse des ZAW-Roundtable Native Advertising

Native Advertising – alter Wein in neuen Schläuchen, Untergang des Journalismus oder

Heilsbringer für Medien, Marken und Agenturen?

Die Debatte um Native Advertising bleibt vielstimmig, wird unverändert wortgewaltig

geführt – und ist nicht selten verwirrend. Zusammen mit seinen Mitgliedern hat der ZAW als

Dachverband der Werbewirtschaft daher die Diskussion um diese nicht standardisierte

Werbeform aufgenommen, um sie zu strukturieren und zu versachlichen. Wesentliches Ziel

dabei: eine Typisierung, Charakterisierung von Native Advertising im Verlauf seiner

Roundtables zu erstellen und die Essenz der Treffen in einem Reader zu dokumentieren. Was

ist Native Advertising überhaupt und was versteht die Praxis hierunter?

Am 22. Oktober 2015 hat der ZAW seinen Reader ‘Native Advertising’ veröffentlicht – unter

tatkräftiger Mithilfe seiner Mitglieder, darunter dem BDZV. Vier Beispielcases, die

Typisierung von Native Advertising samt Erläuterungen sowie die rechtlichen Leitplanken

werden in dem Reader vorgestellt. Vorbehalte auszuräumen, Sachlichkeit in die oft

emotionale Debatte zu bringen, einen strukturierten Rahmen zur besseren Einordnung

dieser nicht standardisierten Werbeform anzubieten sind die Ziele der kostenfreien

Publikation (pdf-Datei downloadbar unter www.zaw.de).

ZAW-Roundtables

Im Herbst 2014 hatte der ZAW seinen ersten Roundtable zum Thema Native Advertising

etabliert. Der Grund: Die zunehmende Verwendung von Native Advertising als neuer

Werbeform auch in Deutschland bei gleichzeitig deutlichem Unbehagen hieran auch und vor

allem auf medialer Seite («Native Advertising ist die neueste Sau, die durchs Medien-Dorf

getrieben wird. Dabei ist Native Advertising im Kern nichts anderes als die schlechte alte

Schleichwerbung», so beispielsweise Stefan Winterbauer, Chefredakteur von meedia im Juni

2014).

Page 25: Reader „Native Advertising

B D Z V Ergebnisse des ZAW-Roundtable Native Advertising S e i t e | 24

Es folgten zwei weitere Roundtable-Treffen im Januar und Juli 2015, bei denen Praktiker wie

Buzzfeed, BurdaForward und die medien holding:nord über ihre Aktivitäten in Sachen Native

Advertising informierten. Auch Fachjournalisten nahmen an der Runde teil, da es auf

journalistischer Seite bekanntermaßen auch Vorbehalte gegenüber Native Advertising gab

und gibt. Der intensive und zugleich konstruktive Austausch förderte gemeinsame

Standpunkte und klare Positionen zu Tage. Zentral hierbei:

Die Rechtslage gestaltet sich – wie bei anderen Werbeformen auch – im Grundsatz

eindeutig. Unabhängig davon, auf welcher Plattform Native Advertising ausgespielt wird, in

Deutschland gilt für das Verhältnis werblicher und redaktioneller Bestandteile der

Trennungsgrundsatz, respektive das Erkennbarkeitserfordernis. Niedergelegt und näher

ausgeformt in einer ganzen Reihe gesetzlicher und selbstregulativer Bestimmungen verläuft

die Grenze für Native Advertising prinzipiell nicht anders als bei anderen Werbeformen. Auf

einen Nenner gebracht und mit dem Zuspruch aller Beteiligten des Roundtables: „Unlauter

handelt, wer den Werbecharakter von Native Advertising verschleiert.“

Was ist Native Advertising?

Im Printbereich ist der Begriff ‘Advertorial’ gesetzt, daher fokussiert sich nach ZAW-

Verständnis die Typisierung von Native Advertising auf das Digitale. Als Teil des Oberbegriffs

Content Marketing sind für Native Advertising Formate bei ihrer Anpassung / Integration an

das jeweilige mediale Umfeld folgende Kriterien charakteristisch:

die optische Gestaltung;

die thematische Ausrichtung an das jeweilige redaktionelle Umfeld und die

nach Inhalt und Tonalität redaktionsähnlich aufbereitete werbliche

Kommunikation;

die funktionalen Nutzungsmöglichkeiten und

die technische Einbindung in die Infrastruktur des (Fremd-)Mediums.

Die Kriterien stehen bei Native Advertising regelmäßig in Wechselbeziehung. Sie bedingen

einander und sind dabei – wie könnte es bei einem nicht standardisierten Werbemittel

anders sein – nicht isoliert zu betrachten, sondern in einem beweglichen System

miteinander verschränkt. Immer aber ist Native Advertising als werbliche Kommunikation

erkennbar, was sinnvollerweise so auch als ein Wesenselement dieser Werbeform durch die

Beteiligten des Roundtable herausgestellt wurde.

Page 26: Reader „Native Advertising

B D Z V Ergebnisse des ZAW-Roundtable Native Advertising S e i t e | 25

Bild: ZAW

Die Zukunft von Native Advertising

Auch wenn der Begriff ‘Native Advertising’ für manche bereits diskussionswürdig und Anlass

zu mehr oder weniger feinsinniger Kritik ist, hält der ZAW und die Werbewirtschaft daran

fest: Er ist in Deutschland längst etabliert. Die verschiedenen Diskussionsstränge

aufzunehmen und pragmatische Antworten zu geben, war Aufgabe des Roundtable-

Prozesses. Der ZAW-Reader nun richtet sich mit seinen Inhalten an Werbung Treibende /

Marketer, Verantwortliche der Medienseite wie auch Agenturen, die mit dem Thema

umgehen oder sich ihm nähern wollen. Jetzt ist es an der Praxis, Native Advertising

einzusetzen, weiter zu entwickeln und durch neue Formen zu überraschen. Der ZAW wird

die Entwicklungen beobachtend begleiten, seine Reader fortschreiben und dann neue,

aktuelle Beispielcases aufnehmen.

Page 27: Reader „Native Advertising

B D Z V Native Advertising – Das bessere Advertising oder Verrat am Journalismus?S e i t e | 26

VON LUKAS KIRCHER

Geschäftsführer

C3 Creative Code and Content, Berlin

Native Advertising – Das bessere Advertising

oder Verrat am Journalismus?

„Kaum von redaktionellen Beiträgen zu unterscheiden“, nur mehr „diskret als Anzeige

gekennzeichnet“ und ähnlichen Unsinn liest man auf dem Vermarktungsportal für Native

Advertising eines großen deutschen Verlags. Was für ein katastrophales Missverständnis.

Was für ein Unsinn. Als große Optik ein Chamäleon, das Sinnbild für perfekte Anpassung an

die jeweilige Umgebung. Ich hätte noch einen großen Call to Action Button darüber gelegt,

„Schleichwerbung ganz legal“, „gleich heute bestellen“. „Zögern Sie nicht“...

Das ist umso bemerkenswerter, als gerade dieser Verlag die wichtigste Qualität von

Kommunikation in der Zukunft, „Relevanz“, in den Mittelpunkt seiner Außendarstellung

beispielsweise seiner Corporate Publishing Angebote gestellt hat.

Relevanz entsteht aber nicht durch wegducken. Durch Verstellung und Täuschung der

Nutzer. Relevanz entsteht durch...

Ja durch was eigentlich?

Wir haben es aktuell mit zwei Strategien zur Steigerung von Relevanz in der digitalen

Kommunikation zu tun. Beide reagieren auf den Umstand dass der reine Übertrag von

klassischem Advertising auf Digital gescheitert ist. Die drei Kernbotschaften der

Anzeigenwelt „Kenn mich“ (Awarness), „Kauf mich“ (Lead, Sale) und „ändere Deine Meinung

zu mir“ (Reputation, Loyality) verpuffen in der multioptionalen Wirklichkeit des Internets.

Banner Blindness, Ad-Blocker, die Attraktivität von praktisch werbefreien Content

Plattformen wie Netflix, Social Networks in denen klassische Banner nur mehr eine sehr

diskrete Rolle spielen. Überall Nutzer auf der Flucht vor Werbung, und neue Plattformen und

Marken die diesem Trend aufnehmen und zu ihrem Vorteil einsetzen.

Nicht alle Kunden verhalten sich so wie uns das unzählige Touchpoint-Maps, Buyer Personas

und User Journeys glauben machen wollen. In seinem grandiosen Buch „The Innovators

Dilemma“ zeigt Clayton M. Christensen auf, warum Kunden oder Produkte als wichtigste

Einheit bei der Analyse von Kommunikation und dem Verhalten von Konsumenten immer

wieder zu wenig weit gehen.

In nur ganz wenigen Situationen sind Menschen auf der Suche nach einem konkreten

Produkt. Sie nehmen das Leben wie es so daherkommt, und hin und wieder taucht ein

Page 28: Reader „Native Advertising

B D Z V Native Advertising – Das bessere Advertising oder Verrat am Journalismus?S e i t e | 27

Problem auf, das es zu lösen gilt. Erst dann suchen sie eine Lösung dafür, und nur dann

„mieten“ sie ein Produkt oder einen Service dafür. Die Massenkommunikation hat durch

breite Abdeckung aller Medien und Kanäle erreicht, dass auch ohne präzises Wissen über

den Zeitpunkt an dem ein konkreter Bedarf entsteht, zum richtigen Zeitpunkt das richtige

Angebot zur Stelle war, in Form einer Anzeige oder eines TV-Spots. Relevanz entstand nicht

durch richtiges Timing oder Targeting, das über klassische Zielgruppen Cluster Analysen

hinaus ging, Relevanz entstand einfach durch Masse.

Durch die Explosion an Plattformen, Kanälen und Communities ist das im Digitalen nicht

mehr so einfach. Dazu kommt die derzeitige Verfassung der Wirkungsmessung für Banner:

Es ist immer noch nicht klar, ob nicht die Mehrzahl der gezeigten Banner von einem

gutmütigen indischen Click-Roboter erfreut zur Kenntnis genommen wurde.

Bild: C3

In einer großen Zangenbewegung versuchen nun zwei Entwicklungen, „Programmatic“ und

„Content Marketing“, das Thema für wirkungsvollere digitale Kommunikation wieder

einzufangen. „Programmatic“ erzeugt mehr Relevanz, indem Werbemittel datengestützt

intelligenter ausgespielt werden, also die Chance erhöht wird, den richtigen Nutzer zum

richtigen Zeitpunkt mit der richtigen Botschaft zu erreichen. Die Botschaft heißt zwar immer

noch „Kauf mich!“, aber Big Data und Algorithmen helfen durch Timing, Targeting und

Einkaufsoptimierung die Relevanz der Werbebotschaft zu erhöhen. Publisher haben zu Recht

davor Angst, weil der wichtige Vorteil „wir kennen unsere Zielgruppen besser als jeder

andere“ Stück für Stück in fremde Hände entgleitet.

„Content Marketing“ wiederum beschäftigt sich mit Strategien, wie man den Inhalt der

Kommunikation so weiter entwickeln kann, dass er auf mehr Interesse bei echten Menschen

stößt. Content der viel unterhaltsamer ist, Content der sich mit Problemstellungen im echten

Leben ehrlich und nützlich beschäftigt und Hilfestellungen anbietet, Content der aus der

Analyse von typischen Nutzerfragen abseits der Marke entwickelt wird („Responsive

Content“). Also Kommunikation, die nicht mehr das unterbricht, was man eigentlich sehen

will, sondern das IST, was man sehen will. Content Marketing gelingt nur, wenn man sich

radikal in die Perspektive der Lebenswelt eines Kunden einlässt, und dann auch nur, wenn

man mit enormer kreativer Qualität darum ringt, im Content Meer eine relevante Stimme zu

entwickeln.

Page 29: Reader „Native Advertising

B D Z V Native Advertising – Das bessere Advertising oder Verrat am Journalismus?S e i t e | 28

„Native Advertising“ ist die kleine, bezahlte Schwester von Content Marketing. „Native“ soll

die Reichweite von Content Marketing auf Plattformen vergrößern, die entweder als

Absender Qualitativ die richtigen Zielgruppen adressieren (z.B. Zeitung) oder als Plattform

die Möglichkeit haben, die Content Marketing Inhalte mit den richtigen Diskussionen zu

verknüpfen (z.B. Facebook). Native erhöht die Visibility von gutem Content, der von einer

Marke kommt.

Im Umkehrschluss bedeutet das, dass alle Versuche schlechten Content durch Tarnung als

Redaktion nach hinten losgehen werden. Der Nutzer fühlt sich betrogen, sowohl die

Publisher Marke als auch die Marke werden beschädigt. Jeder irrtümliche Click ist ein

schlechter Click. Gutes Native Advertising konzentriert sich auf relevanten Content, nicht auf

redaktionsnahe Gestaltung. Gutes Native Advertising informiert, inspiriert, hilft, unterhält

Leser. Das ist Relevanz. Der Grundbestandteil jeder erfolgreichen Markenkommunikation.

Ist es verwerflich, wenn Publisher anfangen eigene Brand-Redaktionen für Native Advertising

den Marken zur Verfügung zu stellen? Auf keinen Fall, solange eine klare Trennung zwischen

Reaktion und „Native“ Team besteht. Aber muss nicht auch jeder Verleger überlegen, wie

die Kommunikationsstrategien seiner Kunden, der Anzeigenkunden, wieder relevanter

werden könnte? Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Gute Journalisten haben oft Spaß

dabei, Storylines und Content-Strategien für Marken zu entwickeln, weil Marken zunehmend

verstanden haben, dass sie mit umgebastelten PR-Texten oder aufgehübschten Promotion-

Bildchen keinerlei messbare Wirkung im Netz erzielen.

_______________________________________________________________

„Native Advertising ist wie das erstes Date. Wenn man nur über

sich redet, bekommt man kein Zweites.“

Die wichtigste Frage bei Native Advertsing ist, wie eine Content Strategie zur Marke passt.

Also Glaubwürdigkeit. Wollen wir von Coca Cola wissen wie man sich gesünder ernährt? Von

Apple wie nett chinesische Mitarbeiter frühstücken? Nein. Aber ich glaube dem „Weber

Grill“ Magazin mehr wie man ein ordentliches Steak brät als der lokalen Zeitung. Ich glaube

den Air Berlin Flugbegleitern im Air Berlin Magazin mehr, wenn sie Geheimtipps zu den

besten Bars in Barcelona preisgeben – schließlich sind die da 100mal öfters als ich! Diese Art

des Contents ist nicht immer gleich verkaufsfördernd. Aber er stellt ein erstes Vertrauen her,

er berührt Kunden viel früher im Prozess der noch produkt-agnostischen Meinungsbildung

als Advertising, und er eignet sich in vielen Fällen auch hervorragend für die Analyse,

welchen Menschen mit welchen Themeninteressen man da eigentlich vor sich hat. Themen

ersetzen Botschaften.

Abschließend neben vielen technischen Argumenten wie besseres SEO für die Marken noch

der vielleicht wichtigste Grund warum Native Advertising im Vermarktungs-Arsenal eines

Publishers eine führende Rolle spielen sollte: Mobile. Nichts verändert unsere

Kommunikation gerade so fundamental wie iPhone und Co. Wenn Advertising auf

Webportalen schon sehr überschaubar funktioniert, auf Smartphones ist es einfach die Pest.

Page 30: Reader „Native Advertising

B D Z V Native Advertising – Das bessere Advertising oder Verrat am Journalismus?S e i t e | 29

Es ist statistisch wahrscheinlicher bei einem Flugzeugabsturz zu überleben als absichtlich

eine mobilen Banner zu klicken. Auf diesen Devices wird in Facebook gescrollt, die Mail

gescreent, in Chat-Programmen geplaudert. Ganz besonders hier ist Content King, und das

lässt sich nur mit inhaltlich getriebenen Strategien wie Native Advertising adressieren.

Native Advertising ist eben wie das erstes Date. Wenn man nur über sich redet, bekommt

man kein Zweites.

Wie es richtig geht, zeigt sich vor allem in den USA. In der „New York Times“ veröffentlichte

Netflix zum Start der zweiten Staffel ihres Erfolgsformates „Orange ist the new Black“ ein

sehr ansprechendes Miniportal. Die Serie handelt vom Leben weiblicher Gefängnisinsassen

und ihrer Vorgeschichte sowie deren Alltag im Gefängnis. Der Artikel widmete sich allerdings

nicht der Ankündigung der neuen Episoden, sondern deckte vielmehr die Missstände in

amerikanischen Strafvollzugseinrichtungen auf, insbesondere in Hinsicht auf die speziellen

emotionalen und physischen Bedürfnisse von Frauen. Angefangen von der Kleidung bis hin

zur Autoritätsauslebung der für die Insassen verantwortlichen Gefängniswärter und

Führungspersönlichkeiten. Gestützt durch Infografiken, Videobeiträge, in welchen

Einzelschicksale von Inhaftierten porträtiert werden bis hin zu Beispielen, wie kleinste

Umstellungen im Sprachgebrauch sich auf die eigene Psyche auswirken können, wird dem

Leser klar, dass Handlungsbedarf herrscht.

Page 31: Reader „Native Advertising

B D Z V Experteninterviews S e i t e | 30

Experteninterviews

DIRK VON BORSTEL

Geschäftsführer OMS, Hamburg

1. Native Advertising und Display-Vermarktung – Kannibalisierung oder Ergänzung?

Ganz eindeutig ist das eine Ergänzung. Native Advertising stellt gegenüber Display eine völlig

andere Art von Werbung dar. Beispielsweise in Form von Informationen soll Native

Advertising dem Nutzer einen Mehrwert bieten und dadurch positiv auf das Produkt bzw. die

Marke einzahlen. Tatsächlich lässt sich mit Native Advertising richtiges Storytelling betreiben

und es können beispielsweise komplexe Sachverhalte vermittelt und der Nutzer auf der

Customer Journey eng begleitet werden.

2. Was plant die OMS beim Thema Native Advertising?

Aus unserer Sicht bietet die Werbeform des Native Advertising eine sehr gute und

mehrwertige Ergänzung zu bestehenden Display-Werbemöglichkeiten. Entsprechend planen

wir, die Reichweite im Native Advertising Bereich stetig auszubauen.

3. Braucht die Branche ein Regelwerk?

Ohne Regeln sind verbindliche Vereinbarungen kaum möglich, entsprechend wichtig ist ein

Regelwerk. Dazu gehört bereits eine klare Definition des Native Advertisings, das ganz

eindeutig zum Bereich Content Marketing gehört. Da es aber im Markt durchaus

unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, was konkrete Definitionen und Standards

anbelangt, ist vor allem der OVK berufen, hier in absehbarer Zeit durch ein einheitliches

Regelwerk für Klarheit zu sorgen.

Page 32: Reader „Native Advertising

B D Z V Experteninterviews S e i t e | 31

NICOLAS L. FROMM

Geschäftsleitung Digitale Medien

medien holding:nord gmbh Flensburg

1. Warum setzt Ihr Zeitungsverlag auf Native Advertising?

Native Advertising ist eine attraktive Werbeform für unser Verlagsunternehmen. Für unsere

Leser birgt die Werbeform den Vorteil, dass die Inhalte von Native Ads für sie relevant sind

und ggf. einen Nutzen stiften. Werbekunden bietet N.A. den Vorteil besserer

Leistungswerte, da werbliche Inhalte stärker in den Kontext der redaktionellen Inhalte

integriert sind und zudem relevanter für die Leser sind. Demnach stellt die Werbeform eine

Win-win-Situation sowohl für unsere Leser als auch für unsere Werbekunden dar. Uns als

Verlag bietet Native Advertising die Möglichkeit, unsere Kernkompetenzen, Geschichten gut

zu erzählen und an die Leserzielgruppe zu bringen, auch in der Vermarktung nutzenstiftend

einzubringen. Zudem bietet Native Advertising höhere Erlöspotenziale als klassische Online-

Werbeformate.

2. Digitale Erlöse: Welchen Stellenwert hat Native Advertising heute und was erwarten Sie

in den nächsten drei Jahren für Ihren Verlag?

Native Advertising ist aus Perspektive der digitalen Erlöse äußerst interessant. Mit dieser

Werbeform können höhere Erlöse erzielt werden als mit klassischer Display-Werbung. Die

höheren Preise sind dadurch gerechtfertigt, dass die Werbeform durch eine stärkere

Integration der Werbung in die Inhalte und eine höhere Relevanz der Werbebotschaften für

die Leser, eine bessere Werbewirkung erzielt werden. Zudem werden im Rahmen von Native

Advertising agenturähnlich ganzheitliche Kommunikationslösungen konzipiert, die es dem

Verlag ermöglichen, den Share-of-Pocket beim Werbekunden zu erhöhen. Auch wenn sich

die Werbeform derzeit noch am Anfang befindet, wird sie in unserem Revenue-Mix zukünftig

eine relevante Rolle spielen.

Page 33: Reader „Native Advertising

B D Z V Experteninterviews S e i t e | 32

3. Glaubwürdigkeit: Wie weit darf Native Advertising gehen, wo sind die Grenzen?

Native Advertising ist vertretbar, wenn die Inhalte für die Leser relevant sind und die

Werbung nicht ein verkappter PR-Artikel ist. Besonders wichtig ist, dass die redaktionelle

Integrität gewahrt ist und die Transparenz dem Leser gegenüber sichergestellt ist. Native

Advertising darf nicht so weit gehen, dass eine klare Kennzeichnung von Inhalten, die für

oder im Auftrag eines Kunden erstellt wurden, ausbleibt. Dem Pressekodex folgend müssen

solche Inhalte für den Leser transparent mit „Anzeige“ gekennzeichnet sein. Der Leser muss

redaktionelle Inhalte und werbliche Botschaften differenzieren können. Werden diese

Spielregeln beachtet, ist Native Advertising eine attraktive Werbeform für Werbekunden,

Leser und Verlage selbst.

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B D Z V Experteninterviews S e i t e | 33

JOCHEN HERRLICH

Geschäftsführer Funke Digital, Berlin

1. Warum setzt Ihr Verlag auf Native Advertising?

Zunächst: native Advertising ist eine gekennzeichnete Anzeige und daher für den Leser als

solche zu erkennen. Für den Verlag ist diese Form der Vermarktung sinnvoll, weil sie eine

Lösung für die steigende Zahl der Adblocker-User darstellt und zudem ist sie auf mobilen

Endgeräten für viele User die viel angenehmere Anzeigenform.

2. Digitale Erlöse: Welchen Stellenwert hat Native Advertising heute und was erwarten Sie

in den nächsten drei Jahren für Ihren Verlag?

Native Advertising wird sich in den nächsten Jahren positiv entwickeln, vor allem getrieben

durch die steigende Zahl der Ad-Blocker-Verwender und den steigenden Bedarf nach einer

Plattform geeigneten Werbeform für mobile Endgeräte. Aktuell steht teilweise noch im

Fokus den Unterschied zwischen Native und Advertorial zu erläutern.

3. Glaubwürdigkeit: Wie weit darf Native Advertising gehen, wo sind die Grenzen?

Wichtig ist, dass die Werbeform als solche gekennzeichnet ist und damit für den User

transparent als Anzeige erkennbar. Wir sehen mit dieser Werbeform ein deutlich geringeres

Glaubwürdigkeits-Thema als vergleichbar mit "Dicker-Bauch-weg"-Display-Anzeigen.

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B D Z V Experteninterviews S e i t e | 34

OLIVER HORST

Geschäftsführer RP Digital, Düsseldorf

1. Warum setzt Ihr Verlag auf Native Advertising?

Die „Rheinische Post“ setzt mit Produkten wie Advertorials, Firmenporträts und Subchannels

schon seit mehreren Jahren auf das Thema Native Advertising. Die zuführenden Teaser sind

ein nicht störendes, in den Content der Seite integriertes Werbeformat, die dem Nutzer aber

trotzdem ins Auge springen, da diese Formate keiner Bannerblindness unterliegen. Der

Kunde hat flexible Gestaltungsmöglichkeiten, um sein Produkt und weitergehende

Werbebotschaften zu transportieren. Bei unseren Native Advertising-Formaten wird nicht

auf externe Landingpages verlinkt, sondern auf eine von einem Inhouse-Team erstellte Seite,

die informativen und kreativen Content zeigt, der dem Nutzer einen Mehrwert in dem

vertrauenswürdigen redaktionellen Umfeld von RP Online verschaffen soll.

2. Digitale Erlöse: Welchen Stellenwert hat Native Advertising heute, und was erwarten Sie

in den nächsten drei Jahren für ihren Verlag.

Native Advertising bedeutet für uns auch heute schon einen vergleichsweise hohen

Umsatzanteil. Hier lassen sich attraktive Preisvolumina erzielen. Im lokalen sowie im

nationalen Verkauf sehen wir in den kommenden drei Jahren einen deutlichen

Umsatzanstieg für uns. Wir sind fest davon überzeugt, dass insbesondere mobil die

Werbewirkung für Native Advertising deutlich höher sein wird, als für mobile Display-Ads.

3. Glaubwürdigkeit: Wie weit darf Native Advertising gehen, wo sind die Grenzen?

Native Advertising muss klar als das zu erkennen sein, was es ist. Die Grenzen zwischen

redaktionellen und anzeigengetriebenen Inhalten dürfen nicht verwischt werden. Sonst

würden wir unsere Glaubhaftigkeit als seriöses Nachrichtenportal verlieren. Native

Advertising-Content wird bei uns auch von einer vollkommen separierten Redaktion verfasst.

In jedem Fall müssen Native Ads deutlich als Anzeige gekennzeichnet werden, damit der

User nicht das Gefühl bekommt, bewusst in die Irre geleitet zu werden. Bei uns werden

Native Advertising-Teaser zusätzlich farblich anders gekennzeichnet. Außerdem sollte für

den Nutzer ein Mehrwert im Native Advertising Content enthalten sein. Publisher und

Advertiser sollten zusammen passen, damit die Inhalte perfekt kommuniziert werden

können und auch die Marke des Werbetreibenden nur positiven Auftrieb erhält. Wir

veröffentlichen in der Regel nur Native Advertising-Inhalte, die auch unseren

Page 36: Reader „Native Advertising

B D Z V Experteninterviews S e i t e | 35

Qualitätsansprüchen genügen. Die Klickraten und Verweildauern auf unsere Advertorials

geben uns hier Recht.

Page 37: Reader „Native Advertising

B D Z V Experteninterviews S e i t e | 36

JEFF JARVIS

Journalismus-Professor,

Berater und Buchautor, New York

Warum sehen Sie Native Advertising so kritisch?

Auf der einen Seite ist Native Advertising nichts Neues. Es gibt schon lange Advertorials und

in den USA auch Radiowerbung, die von Moderatoren verlesen wird. Und die

Anzeigenkunden haben immer schon versucht, die Leser auszutricksen. Aber jetzt machen

wir Medienleute dabei mit, wir machen uns zu Handlangern. Das ist der Unterschied. Das

wird unsere journalistischen Marken negativ beeinflussen.

Woher wissen Sie das? Ist das nur Ihre Meinung?

Ich habe einen kleinen Test durchgeführt. Ich habe 50 Dollar in eine Google Umfrage

investiert. Und dann habe ich 500 Leute gefragt, was der kleine Kasten mit dem Wort

“promoted” bedeutet, den Upworthy benutzt, um Native Ads zu kennzeichnen. 426 Leute

haben geantwortet. Die Antworten, die zur Auswahl standen, waren : “Dieser Artikel wird

promoted von der Redaktion”, “von den Lesern”, “von einem Algorithmus” oder “wird von

einem Anzeigenkunden bezahlt”. Die gute Nachricht ist: 46 Prozent wussten die richtige

Antwort. Die schlechte Nachricht ist: Die Mehrheit antwortete falsch, denn die meisten

Leute wussten nicht, dass der Text eine Anzeige ist.

Aber Begriffe wie „Paid Post” bedeuten ja das Gleiche.

Wir glauben zwar, dass die Leute wissen, was es bedeutet, wenn wir ihnen Begriffe wie

“Promoted”, “Sonderveröffentlichung” “Brand Voice” oder “Paid Post” vorsetzen, aber in

Wirklichkeit versuchen wir nur, das Wort Anzeige zu vermeiden. Wir verschleiern gegenüber

unseren eigenen Lesern, wo unsere redaktionelle Hoheit liegt. Und das ist sehr gefährlich.

Gibt es ein Geschäftsmodell, Marken dabei zu helfen, ihre eigenen Geschichten zu erzählen?

Ja. Sollten wir dafür unsere eigenen redaktionellen Stimmen und unsere eigenen Marken

benutzen? Nein.

Page 38: Reader „Native Advertising

B D Z V Experteninterviews S e i t e | 37

Viele Medienunternehmen haben aber eine strikte Trennung zwischen der Redaktion und

dem Team, das Native Ads produziert.

Jeff Jarvis: Das ist richtig, aber die anderen, die diese Trennung nicht haben, sind wiederum

Teil des Problems. Von kleinen Websites bis hin zu großen Magazinen auf beiden Seiten des

Atlantiks haben Reporter Native Ads verfasst. Das ist das eine Problem. Das eigentliche

Problem aber ist: Egal wer es macht - ist der Leser ganz klar darüber informiert, wer dafür

bezahlt? Als ich das Magazin “Entertainment Weekly” startete, hatte ich ein dickes Buch mit

redaktionellen Regeln auf meinem Schreibtisch liegen. Eines Tages kam ein kluger älterer

Redakteur in mein Büro und sagte zu mir: “Jarvis, das Buch kann ich Ihnen in einem Satz

zusammenfassen: Der Leser darf nie über die Quelle eines Inhaltes verwirrt werden.” Und

das ist das eigentliche Problem hier: Wir versuchen sehr wohl, unsere Leser zu verwirren.

Und dann gibt es noch ein drittes Problem, und das geht über unsere eigenen Publikationen

und Websites hinaus. Wir versuchen ja jetzt auch in Social Media Streams nativ zu sein.

“Instant Articles”, das sind wir, die im Grunde versuchen bei Facebook nativ zu sein. Ich sage

nicht, dass das nicht legitim ist. Aber wir müssen dabei sehr behutsam vorgehen.

Lohnt sich das Risiko für Verlage überhaupt?

Jeff Jarvis: Ich habe noch keine Studie gesehen, die analysiert, ob Native Ads unter dem

Strich eine gute Rendite erzielen. Kurbeln sie wirklich den Anzeigenumsatz an? Das wissen

wir noch nicht. Wir suchen in der Medienbranche ständig nach irgendeiner Rettung, aber

Native Advertising ist nicht die Rettung.

Was ist denn mit hochwertigen Native Ads wie der von Netflix bezahlte Beitrag über

Frauengefängnisse in der „New York Times”?

Jeff Jarvis: War der Beitrag gut gemacht? Ja. Er wirft aber trotzdem Fragen auf. Erstens: Es

gibt keine Möglichkeit festzustellen, ob der Verfasser des Beitrags realistisch oder doch eher

etwas schönfärberischer über die Zustände in Frauengefängnissen berichtet hat, weil der

Anlass die zweite Staffel einer Netflix-Serie war.

In dem Beitrag ging es es aber gar nicht um das Format „Orange is The New Black” bei

Netflix.

Jeff Jarvis: Nein, es ging um Gefängnisse, aber das Format und die Marke Netflix waren mit

dem Beitrag verknüpft. Netflix hat ja dafür bezahlt. Welchen Einfluss hatte diese

Verknüpfung auf den Inhalt? Und außerdem müssen wir uns fragen: Wenn die Geschichte so

gut war, warum hat die “New York Times” nicht selbst redaktionell darüber berichtet?

Berichtet sie jetzt nicht mehr selbst, wenn ein Anzeigenkunde das Thema abdeckt? Das

möchte ich nicht erleben. Und dann wissen wir natürlich auch nicht, was es der “New York

Times” unter dem Strich wirtschaftlich wirklich gebracht hat.

Für Netflix hat es auf jeden Fall eine Menge Aufmerksamkeit gebracht.

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B D Z V Experteninterviews S e i t e | 38

Jeff Jarvis: Ja, Es gibt aber noch ein Problem. Einer der ersten Native Advertising Kunden der

New York Times war der Computerhersteller Dell, der eine Serie von Essays zum Thema

Regierungen und Management finanzierte. Aber will ich wirklich ein Essay von Dell zu solch

einem Thema lesen? Nein. Dell und Technologie - ja. Aber Dell und Politik oder irgendeinem

anderen Thema, das mit Computern nichts zu tun hat? Nein.

Was ist mit dem Energiekonzern General Electric, der stark auf Native Advertising setzt,

und unter anderem bei Buzzfeed ein reichhaltiges Dossier zu Technologiethemen angelegt

hat?

Jeff Jarvis: Das ist gut. Es gibt ein Ökosystem von Informationen. Unternehmen, Marken und

Regierungen haben dort eine Rolle. Sie tragen dazu bei, dieses Ökosystem mit Informationen

anzureichern. Wenn Samsung ein neues Smartphone auf den Markt bringt, wo informiere

ich mich darüber? Natürlich auf der Website von Samsung. Ich informiere mich direkt bei der

Quelle und nicht beim 83. Technologieblog, das von den 82 anderen abschreibt.

Unternehmen haben etwas zu sagen, sie haben nützliche Informationen. Das ist alles gut

und richtig. Mein einziges Problem ist, ob wir als Medien unseren Markenwert an

Anzeigenkunden unter Wert verkaufen oder gar verschleudern. Jemand hat mal sehr klug

gefragt: Essen wir unsere eigenen Saatkörner auf?

Aber was ist die Alternative? Anzeigenkunden werden ja nicht stattdessen in immer

ineffektive Bannerwerbung investieren, wenn Medienunternehmen ihnen den Zugang zu

Native Ads verweigern. Sie werden stattdessen eigene Content-Plattformen aufbauen, an

denen Medienunternehmen nicht nur nichts verdienen, sondern sie werden dann auch

neuen Wettbewerbern auf dem Aufmerksamkeitsmarkt gegenüber stehen.

Jeff Jarvis: Dieses Risiko besteht ja ohnehin schon. Aber das kann ja nicht bedeuten, dass wir

uns selbst korrumpieren. Das Problem ist doch: So lange wir unsere Geschäftsmodelle auf

Reichweite aufbauen, können wir nur verlieren. In allen Reichweitenmodellen sinken die

Erlöse, wenn das Angebot die Nachfrage übersteigt. Was wird dem bisher entgegengesetzt?

Mehr Reichweite, mehr Katzencontent.

Wie können Verlage diesem Teufelskreis entfliehen?

Jeff Jarvis: Indem sie auf Qualität setzen. Deshalb plädiere ich in meinem Buch für eine

Strategie, die auf Beziehungen zu Lesern anstelle von Inhalten setzt. Wenn wir die Leser als

Individuen in ihren Gemeinschaften kennen, dann können wir ihnen Relevanz und

werthaltige Inhalte liefern. Wir ziehen dann auch aus unseren Lesern selbst größeren Wert.

Das funktioniert sogar im bestehenden auf Inhalten basierenden Geschäftsmodell, in dem

wir die Verweildauer und das Engagement der Nutzer mit unseren Inhalten anstelle von

Seitenaufrufen oder Visits vermarkten. Langfristig aber müssen wir die Loyalität unserer

Nutzer zu unseren Marken monetarisieren. Das funktioniert aber nur, wenn wir nicht eben

diese Loyalität durch Irrwege wie Native Advertising selbst untergraben.

Page 40: Reader „Native Advertising

B D Z V Experteninterviews S e i t e | 39

SARAH PAULS

Head of Partner Studio,

ForwardNews+ GmbH, Köln

1. Warum setzt Ihr Verlag auf Native Advertising?

Unsere Zielgruppen verändern sich wahnsinnig schnell – und wir uns mit ihnen. Das sieht

man schon daran, dass sich Burda längst nicht mehr als Verlag sieht, sondern als

Medienhaus. Konsumenten wollen heutzutage nicht durch Werbung in ihrem Leseerlebnis

gestört werden. Sie wollen vielmehr involviert werden, sich tatsächlich in ihren Bedürfnissen

angesprochen fühlen, informiert und unterhalten werden – für alles andere ist die Zeit, in

der wir ihre Aufmerksamkeit haben, viel zu knapp und kostbar.

Genau da setzen wir mit Native Advertising an. Unser Ziel war es schon immer, sei es nun

durch redaktionelle oder durch bezahlte Inhalte, unsere Leser im Alltag zu begleiten. Durch

Nachrichten, nutzwertigen und unterhaltenden Content wollen wir sie glücklich machen und

ihnen Problemlösungen anbieten. Die Inhalte müssen unbedingt einen echten Mehrwert für

die Leser bieten, daher war für uns der Schritt weg vom klassischen Advertorial, hin zu

Native-Advertising-Kampagnen nur logisch. Und diesen eingeschlagenen Weg gehen wir

seither konsequent – mit großem Erfolg.

2. Digitale Erlöse: Welchen Stellenwert hat Native Advertising heute und was erwarten Sie

in den nächsten drei Jahren für Ihren Verlag?

Bereits jetzt besteht der Umsatz auf einigen unserer Portale zur Hälfte aus Native

Advertising. Vor allem bei Special-Interest-Portalen wie NetMoms sehen wir hier eine sehr

große Nachfrage. Aber auch bei den tagesaktuellen Nachrichtenportalen FOCUS Online und

Huffington Post hat Native Advertising inzwischen einen hohen Stellenwert.

Unser Ziel in den nächsten drei Jahren ist es, so hochwertigen Branded Content zu schaffen,

dass er in der Wahrnehmung des kritischen Konsumenten als gleichermaßen nutzwertig,

informativ oder unterhaltend neben den regulären redaktionellen Beiträgen bestehen kann.

Wir haben auch heute schon den Anspruch, dass unsere Leser unsere Inhalte so spannend

und vor allem relevant finden, dass es für sie keinen Unterschied macht, ob dieser aus der

Redaktion kommt oder aus dem Partner Studio. Wichtig ist dabei allerdings, dass das Partner

Studio und die Redaktion vollkommen getrennt voneinander agieren und sich nicht

gegenseitig beeinflussen. Beide Bereiche arbeiten an der stetigen Steigerung der Qualität

und daran, den richtigen Content zur richtigen Zeit in die richtige Zielgruppe zu bringen.

Page 41: Reader „Native Advertising

B D Z V Experteninterviews S e i t e | 40

3. Glaubwürdigkeit: Wie weit darf Native Advertising gehen, wo sind die Grenzen?

Die Glaubwürdigkeit unserer Marken steht an erster Stelle – im Interesse der Konsumenten

und der Kunden. Dazu gehört eine transparente Kennzeichnung der Inhalte, damit die Leser

genau wissen, welcher Kunde hinter welchem Content steht. Das zu verstecken, wäre fatal

und würde sich langfristig negativ auf das Vertrauen der Leser in uns und die Kunden

auswirken.

FOCUS Online, Huffington Post, NetMoms und Finanzen100 sind starke journalistische

Marken. Wir riskieren nicht, sie durch schlechten oder konstruierten Content zu schwächen.

Die Trennung von bezahlten und redaktionellen Inhalten ist eines der wichtigsten Gebote für

journalistische Angebote – das wir selbstverständlich achten und stets berücksichtigen. Die

Kompetenz, die uns weit mehr als 20 Millionen Menschen monatlich zusprechen –

hervorragendes digitales Storytelling – haben wir uns mit objektivem Journalismus hart

erarbeitet. Von diesem Umfeld profitieren Kunden. Das ist der Grund, warum sie mit uns

zusammenarbeiten. Sie möchten gemeinsam mit uns lernen, wie sie Leser im Alltag

unterstützen können und sich so immer wieder ins Gedächtnis rufen. Langfristig erreicht

man so mehr für das Branding und die damit zusammenhängende Kaufentscheidung als mit

einem einfachen PR-Text, der die Vorzüge eines Produktes erläutert.

Page 42: Reader „Native Advertising

B D Z V Experteninterviews S e i t e | 41

STEFAN PLÖCHINGER

Chefredakteur Süddeutsche.de und Mitglied der

Chefredaktion, „Süddeutsche Zeitung“, München

1. Warum setzt Ihr Verlag auf Native Advertising?

Unter dem Begriff versteht doch jeder etwas anderes. Was die New York Times „Native“

nennt, heißt hierzulande Advertorial und existiert schon lange. Andere meinen mit dem

Begriff eher „Powered by“-Anzeigen, die alle großen Nachrichtenseiten seit Jahrzehnten

haben, worunter – wenn es redlich läuft – einfach Sponsoring von redaktionell

unabhängigen Themenschwerpunkten zu verstehen ist. Beides finde ich unproblematisch,

und einige andere Lösungen auch. Problematisch wird es immer dann, wo Werbung im

redaktionellen Gewand daherkommt. Das werden wir nicht machen.

2. Glaubwürdigkeit: Wie weit darf Native Advertising gehen, wo sind die Grenzen?

Schleichwerbung ist die – auch gesetzliche – Grenze. Alles, was in diese Richtung geht, wird

letztlich von den Lesern mit dem Entzug von Glaubwürdigkeit und Vertrauen bestraft. Schon

deshalb: Finger weg davon.

3. Wie wird Native Advertising bei Ihnen gekennzeichnet?

Als Anzeige, wenn der Inhalt vom Werbekunden kommt und nicht unabhängig zustande

gekommen ist. Als „Powered by“, wenn es ein Sponsoring von redaktionell unabhängigen

Themenschwerpunkten ist.

Page 43: Reader „Native Advertising

B D Z V Experteninterviews S e i t e | 42

HANSI VOIGT

Geschäftsführender Chefredakteur

watson.ch, Zürich

1. Warum setzt Ihr Verlag auf Native Advertising?

In Zeiten von Ad-Blockern, Instant Articles und grundsätzlich beschränkten Display-

Möglichkeiten auf den kleinen Oberflächen von Mobile-Devices scheint mir das eine sehr

zukunftsgerichtete Werbeform zu sein.

2. Digitale Erlöse: Welchen Stellenwert hat Native Advertising heute und was erwarten Sie

in den nächsten drei Jahren?

Wir machen heute rund 25 Prozent unserer Erlöse mit Native Advertising. Ich gehe von einer

Verdoppelung innert der nächsten drei Jahre aus.

3. Glaubwürdigkeit: Wie weit darf Native Advertising gehen, wo sind die Grenzen?

Früher war in der Zeitung links das Inserat, rechts der Inhalt. Diese Linie muss nicht mehr so

fadengrade verlaufen, sie kann durchaus gebogen sein. Sie darf aber nicht schraffiert oder

verwischt sein. Das Schlüsselwort bezüglich Glaubwürdigkeit von neuen Werbeformen heißt

Transparenz. Und der Erfolgsfaktor heißt: Interessanter Inhalt. Denn langweilige Promotexte

werden eh durch Nichtbeachtung bestraft.

Page 44: Reader „Native Advertising

B D Z V Experteninterviews S e i t e | 43

JOCHEN WEGNER

Chefredakteur / Editor-in-Chief,

www.zeit.de, Berlin

1. Setzt Ihr Verlag auf Native Advertising? Wenn ja, warum?

So genannte Advertorials, die klar als Anzeige gekennzeichnet sind, gibt es bei ZEIT ONLINE

schon lange. Native Advertising, das noch viel näher an die Beiträge einer Redaktion rückt,

haben wir bisher nicht. Ich glaube aber, dass wir uns manchen Ideen auf Dauer nicht

verschließen können.

ze.tt, ein Startup, das aus ZEIT ONLINE entstanden ist, setzt nicht nur auf klassische

Vermarktung, sondern auch auf Native Advertising. Natürlich achten auch unsere Kollegen

darauf, dass werbliche Inhalte klar gekennzeichnet sind.

2. Glaubwürdigkeit: Wie weit darf Native Advertising gehen, wo sind die Grenzen?

Die Produktion muss von der Redaktion streng getrennt, die Inhalte klar als Werbung

gekennzeichnet sein. Und Native Advertising darf, wie auch jede Werbung, nicht gegen die

Grundsätze einer Redaktion verstoßen.

Page 45: Reader „Native Advertising

B D Z V Experteninterviews S e i t e | 44

PATRICK WÖLKE

Geschäftsführer DuMont Net, Köln

1. Warum setzt Ihr Verlag auf Native Advertising?

Im Rahmen der digitalen Transformation unseres Kerngeschäfts spielt Native Advertising

eine sehr bedeutende Rolle. Mobile steht bei uns neben der klassischen Tageszeitung an

erster Stelle - und auf den Bildschirmen der Smartphones funktionieren Banner nur bedingt.

Wirklich gute Content-Lösungen unserer Kunden laufen hingegen sehr gut, pull statt push.

Zusätzlich hat Native Advertising im Digitalen durch die AdBlocker-Problematik an

Bedeutung gewonnen.

Die DuMont Net besitzt ein dediziertes, von den Redaktionen klar getrenntes Team zur

Erstellung von Native Advertising-Lösungen. Das ist eine sehr fordernde Aufgabe, unser

Anspruch an journalistische Kreativität und Qualität unterscheidet sich nicht von dem an

unsere Reaktionen. Sonst funktioniert es nicht.

2. Digitale Erlöse: Welchen Stellenwert hat Native Advertising heute und was erwarten Sie

in den nächsten drei Jahren für Ihren Verlag?

Der direkt über Native Advertising erzielte Umsatzanteil an den Werbeerlösen liegt im

einstelligen Prozentbereich, dieser Wert bringt die Bedeutung von Native Advertising aber

nicht korrekt zum Ausdruck. Fast immer ist die kreative Native Advertising-Lösung Teil eines

größeren Gesamtpaktes und oft der Treiber für einen Kundentermin und die Buchung von

klassischem Mediavolumen. Der Stellenwert von Native Advertising liegt bereits heute bei 15

bis 20 Prozent, in drei Jahren wird er sich mehr als verdoppelt haben.

3. Glaubwürdigkeit: Wie weit darf Native Advertising gehen, wo sind die Grenzen?

Native Advertising darf alles: Menschen mitreißen, großartige Geschichten erzählen,

polarisieren, zur Interaktion animieren, mit Nutzwert informieren und unterhalten.

Entscheidend ist nur, dass es für den Konsumenten klar als Native Advertising erkennbar ist

und sich auch optisch von den klassischen redaktionellen Inhalten abhebt.

Page 46: Reader „Native Advertising

B D Z V Fokus Deutschland: Ein Überblick S e i t e | 45

VON ROBERT DANCH

Inhaber Kommunikationsagentur Büro DC, Köln

Fokus Deutschland: Ein Überblick

Jenseits aller unterschiedlichen Begriffsdefinitionen von Native Advertising durch

Zeitungsverlage, Werbeagenturen, Digitalvermarkter oder Suchmaschinen-Optimierer kann

sich dem Phänomen am besten durch einen Überblick aus der Praxis genähert werden.

Viele Marktbeobachter sehen Native Advertising in der Tradition von Advertorials oder gar

von Verlagssonderveröffentlichungen für Printprodukte. Wenn Display-Werbung und Banner

die Anpassung von Formatanzeigen ins Internet waren, so soll Native Advertising die

Übertragung von Sonderveröffentlichungen ins Netz darstellen. Fangen wir also mit einer

Annäherung an die bekannte „Print-Umsetzung“ des Begriffs Native Advertising an.

Verlagssonderveröffentlichungen oder neudeutsch „Advertorials“ sind typischerweise

Zeitungsbeilagen, die durch Nähe zum journalistischen Trägerprodukt dessen

Glaubwürdigkeit auf die zu bewerbenden Inhalte übertragen sollen. Wer dabei die

affirmativen Texte der Beilage verfasst, scheint unerheblich – es kann eine dem Verlag

angehörende Beilagenredaktion in Abstimmung mit dem Werbungtreibenden sein oder

Anzeigenkunden der Zeitung selbst. Der Verlag bestimmt den Grad einer gestalterischen

Anpassung der Fremdtexte ans redaktionelle Layout.

Genau hierüber ist viel diskutiert worden, anhand von Präzedenzfällen, die vor Gericht

landeten, auch Presserat und Zentralverband der Werbewirtschaft versuchen, klare

Regelungen zu schaffen. Zusammengefasst geht es darum, Redaktion und „Veröffentlichung

zu werblichen Zwecken“ (Ziffer 7 Pressekodex Presserat) klar zu trennen. Dies soll durch

Layout und/oder Kennzeichnung – deutlich durch das Wort „Anzeige“ – erfolgen. Eine

Kennzeichnung als „Anzeigenbeilage“, „Sonderveröffentlichung“ oder „Verlagsbeilage“

reicht bei gestalterisch ähnlichen Elementen nicht aus. Selbst der Hinweis „Anzeige“ ist nicht

genug, wenn das Wörtchen nicht deutlich mit der Sonderveröffentlichung verbunden ist.

Page 47: Reader „Native Advertising

B D Z V Fokus Deutschland: Ein Überblick S e i t e | 46

Nicht (nur) auf Äußerlichkeiten achten

Das gilt alles für den Printbereich und nimmt man die gängigen, hiesigen Definitionen von

Native Advertising als Basis, wäre die Gültigkeit in Analogie auf die Zeitungswebsites zu

übertragen. Auch online soll durch Ähnlichkeit des redaktionellen Umfelds der Website ein

Glaubwürdigkeitstransfer auf Produkte und Services Dritter erzielt werden. Hieße das also,

den Erfolg mit Sonderveröffentlichungs-Themenplänen auch für die Online-Seiten deutscher

Zeitungshäuser zu suchen? Interessanterweise gibt es im englischsprachigen Bereich

spezifischere Auffassungen von Native Advertising. Hier ist eher von Content die Rede, der

zu Form und vor allem Funktion und Qualität der Medien-Website passt. Es wird also

weniger äußerlich, dafür mehr von der ergänzenden Nutzbarkeit der Fremd-Inhalte aus

unterschieden – User Experience ist das Schlüsselwort, im Übrigen auch in der durch die

BDZV-Arbeitsgruppe „Native Advertising“ vorgeschlagenen Definition. Das Interactive

Advertising Bureau (IAB) nennt in seinem „Playbook“ gleich mehrere Eigenschaften von

Native Advertising, die auf ergänzenden Zusatznutzen abzielen, zum Beispiel Interaction,

Brand Lift oder Recommendation. Hier liegt auch der Schlüssel für funktionierende Native

Advertising – Kampagnen.

Und befreit von der momentanen Diskussion, dass Native Advertising ohne ausreichende

Kennzeichnung als „Anzeige“ besonders online in die Nähe von Schleichwerbung rücken

könnte. Denn nimmt man alleine das Kriterium der „Ähnlichkeit“ von Native Advertising zu

den umgebenden rein redaktionellen Inhalten als unterscheidendes Merkmal, oder die

Einbettung, Integration und Anpassung derselben, gäbe es streng genommen gar keine

Notwendigkeit für diesen neuen Anglizismus. Native Advertising funktionierte

medienübergreifend in einem Advertorial-ähnlichen Minimalkonsens.

Das Potenzial ist dagegen bei richtigem Einsatz enorm: Display-Werbung hat mehr und mehr

zu kämpfen, besonders im boomenden Mobile Web, und bei den Nutzern von Ad-Blockern

ist sie ohnehin chancenlos. Jeder fünfte Onliner surft mit entsprechenden Browsern

werbefrei, in speziellen Zielgruppen sind es, so schätzt Marc Esslinger, Marketing Manager

im Online Verlag Freiburg, bis zu siebzig Prozent. Trotz real steigender Reichweite kann, so

Esslinger, immer weniger Werbeinventar verkauft werden. Native Advertising ist für

„fudder.de“, regionale Jugend-Newsseite der „Badische Zeitung“, sehr erfolgreich, da die

Einpflege von „PR-Anzeigen“ (so der Name in Freiburg) über das CMS von statten geht.

Damit kommen die Kampagnen am Ad-Server vorbei und „fudder.de“ erfreut sich in einer

ansonsten eher werbe-kritischen Zielgruppe einer hohen Akzeptanz.

Page 48: Reader „Native Advertising

B D Z V Fokus Deutschland: Ein Überblick S e i t e | 47

Was Native Advertising kann, soll und verspricht, sei an Hand von einigen weiteren

Beispielen deutscher Zeitungs-, Zeitschriften- und Online-only-Websites erläutert.

Native Advertising vor Jahrzehnten

Ein sehr frühes, wenn nicht sogar das früheste Beispiel von funktionierendem Native

Advertising ist die US-Amerikanische TV-Serie „Hallmark's Hall of Fame“, die seit Anfang der

fünfziger Jahre fast dreißig Jahre bei NBC, später bei anderen Sendern ausgestrahlt wurde.

Der Grußkartenkonzern „Hallmark’s“

sponserte hierbei mit hohen

Produktionskosten die TV-Adaption von

Literaturklassikern und Theaterstücken,

später auch Eigenproduktionen.

„Hallmark’s“-Produkte spielten dabei

eine untergeordnete Rolle. Der

Grußkartenhersteller trat als reiner

Sponsor auf, die Produktionen hatten

sogar weniger Werbeunterbrechungen

als die TV-Movies der Konkurrenz. Dennoch war der Werbeerfolg beträchtlich: Da die Filme

der Hall of Fame zahlreiche Preise, Emmys und Golden Globes gewannen und auch beim

Publikum beliebt waren, steigerte sich die Bekanntheit von „Hallmark’s“ enorm – und das

positive Image der Filme übertrug sich von selbst.

Page 49: Reader „Native Advertising

B D Z V Fokus Deutschland: Ein Überblick S e i t e | 48

Auch in Deutschlands Mediengeschichte

gibt es eine im Zeitkontext fast geniale,

wenn auch anders angelegte erste Native-

Advertising-Kampagne: Als

Fernsehansager und Nachrichtensprecher

noch in einem bestimmten, im kollektiven

Gedächtnis fest verankerten Studio-

Ambiente aufzutreten pflegten, wendete

sich mit einem Mal einer von ihnen mit

einem Waschmittel an die

Fernsehzuschauer und empfahl: „Persil – da weiß man, was man hat“.

Beides Geschichte, und, na ja fast, Content mit Mehrwert für den Rezipienten, wie es sein

soll.

Mit freundlicher Unterstützung von...

Verschafft man sich einen Überblick deutschsprachiger Websites von Zeitungen,

Zeitschriften und Online-Only-Anbietern, ist „fremd-präsentierter“ Content eine Form von

Web-Werbung jenseits der Displays. Dabei versuchen Medienberater und überregionale

Vermarkter der Verlage inhaltlich lose Zusammenhänge zwischen dem Werbekunden und

dem von ihm präsentierten redaktionellen Beitrag zu stiften. Wohlgemerkt handelt es sich

hier um eigene Inhalte der jeweiligen Redaktion, der Werbekunde soll klar außerhalb der

Berichterstattung als reiner Präsentator auftreten. Markenauftritt und Logos sind dabei

oftmals dezenter platziert als bei Bannerwerbung, wo es darum geht, den Lesefluss zu

unterbrechen und Nutzer auf Fremdinhalte umzulenken. Diese Form der Online-Werbung ist

inzwischen anerkannt, immerhin können sogar im werbefreien Abendprogramm von ARD

und ZDF anlässlich sportlicher Großereignisse Sponsoren-Clips gesendet werden.

Ein Beispiel – die „Süddeutsche Zeitung“ lässt online ihre Berichterstattung zum

Segelsportevent „Kieler Woche“ von einem sportlich orientierten Premium-

Automobilhersteller präsentieren – als „Schwerpunkt powered by Audi“; Logo inklusive.

Page 50: Reader „Native Advertising

B D Z V Fokus Deutschland: Ein Überblick S e i t e | 49

Inwieweit dabei das „Powern“ redaktionelle Inhalte berührt, und damit die Werbefläche

vom Artikel trennt, soll der Leser bereits aus seiner Print-Erfahrung gelernt haben: Das Wort

Anzeige fehlt auf der Unter-Sektion von „sueddeutsche.de“ – und so schreibt ab der

Headline die Redaktion, nicht Audi oder die Anzeigenabteilung.

Dennoch zeichnet sich hier bereits ein großer Vorteil zur Displaywerbung ab: Adblocker-Fans

und durch algorythmisierte, „passende“ Banner zunehmende enervierte Leser der

Zeitungswebsites nehmen den Präsentator von redaktionellen Themen wahr, im besten Fall

sogar positiv, da ein bewusst ausgewählter Artikel Interesse voraussetzt.

Andere Beispiele für Content-Präsentationen stellen noch engere Zusammenhänge zwischen

thematischem Sponsor und Artikel-Thema her, und da bewegen wir uns schon in eine

bestimmte Richtung. Liest man etwa die Rubrik „Berlin, aber oho!“ auf der Website des

„Tagesspiegel“ wird einem die „Berliner Bank“ als Sponsor empfohlen.

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B D Z V Fokus Deutschland: Ein Überblick S e i t e | 50

Berlin hat gut 160.000 kleine Unternehmen. In der Lokal-Serie stellt die Redaktion jeden

Werktag eines davon vor, ein klassisch-exklusiver Regionalinhalt. Hauptstadtbewohner und

Besucher erfahren beispielsweise etwas über Hersteller von Schutzhüllen für Handys und

Tablets aus Leder und Filz, oder über den „Matchashop“, einen Fachhandel für Grüntee-

Pulver. Dass eine Berliner Bank hier die Porträts von Berliner Jungunternehmern sponsert, ist

sicher kein Zufall. Sie positioniert sich dabei als erste Adresse für Gründerkredite und

Geschäftskonten. Allerdings wird bei einem Klick auf die integrierten Logos deutlich, dass die

Landing-Page noch enger mit der redaktionellen Tonalität verwoben werden könnte – statt

der Startseite (Online Banking) wäre die Einblendung einer externen Page über

Gründerkredite sinnstiftender.

Dennoch: die inhaltliche Nähe des Sponsors zum Artikel punktet, aber dieses Beispiel ist

immer noch sehr eng mit dem klassischen Online-Werbeprinzip Display-Landing Page

verhaftet. Native Advertising soll mehr leisten. Bei weitem ist es nicht genug, reine Text-Bild

Anzeigen online zu adaptieren und dann via Klickfähigkeit auf eine externe Landing Page zu

verlinken.

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B D Z V Fokus Deutschland: Ein Überblick S e i t e | 51

Fremde Inhalte, bekanntes Aussehen

Gehen wir noch einen Schritt weiter. Wenn bereits die inhaltlichen Teaser für werblichen

Content auf der Homepage von Medien gestalterisch redaktionell anmuten und auf

Artikelebene keine gesponserten redaktionelle Beiträge oder externe Landing Pages folgen,

sondern ebenfalls redaktionell anmutende Texte mit werblichen Inhalten – ist das dann

Native Advertising? Vielleicht, denn im Native Advertising sollen originäre Inhalte im

Vordergrund stehen, mit denen Marken und Unternehmen die richtigen Zielgruppen

erreichen – ohne Umwege und direkt im inhaltlichen Umfeld einer Website.

Die „tz“ teasert auf der Homepage im Auto-Ressort im Look and Feel der Ressort-Anleser

einen Bericht zur Premiere des neuen Mazda CX-3.

Bei genauerem Hinsehen mit dem notwendigen Hinweis „Anzeige“, und nach dem Klick

landet man auch im Bericht des Autohauses Sedlmayr über die Premierenfeier des Mazda-

Händlers, offensichtlich durch den Anzeigenkunden selbst verfasst.

Auf ähnliche Weise funktioniert auch ein Werbeformat der Schwesterzeitung „Münchner

Merkur.“ Hier wird auf der Startseite das Thema „Urlaub in Kärnten“ angeteasert, mit einer

durch „Anzeige“ gekennzeichneten, redaktionell aussehenden Anleser-Fläche. Auf

Artikelebene geht es dann weiter, ebenso im Merkur-Standard-Layout. Es werden einige

Tipps aus Kärnten vorgestellt, vom Affenberg bis zur Heidi-Alm. Da sich dieses Format von

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B D Z V Fokus Deutschland: Ein Überblick S e i t e | 52

Reisetipps immer wieder im Ressort wiederfindet – siehe beispielsweise „Die Urlaubstipps

der Reiseprofis“, ist selbst für geübte Leser allein der Werbehinweis und die fehlende

Autorenzeile ein Hinweis, dass hier ein Native-Advertising-Artikel des Werbekunden, in

Zusammenarbeit mit Anzeigenabteilung oder Online-Redaktion erstellt wurde. Hier ist

natürlich die Gefahr vorhanden, dass sich Leser eine deutlichere Trennung von Redaktion

und Werbeformaten wünschen könnten.

In beiden Fällen ist der Lese-Mehrwert, die User Experience eigens erstellter und deutlich

gekennzeichneter Artikel von Werbekunden, beschränkt auf deskriptive Werbung für ein

Autohaus oder eine Touristik-Region. Das Erlebnis für den Leser oder Mehrwerte,

Interaktionsfähigkeit und Social-Media-Viralität - alles ausbaufähig.

Leichter hat es ein Zeitungshaus natürlich, wenn die durch den Werbekunden vorgegebenen

Inhalte von sich aus bereits einen Erlebniswert haben, wie zum Beispiel der „Rheinische

Kultursommer“, welcher in der „Rheinische Post Online“ als Teil der Kampagne vom Landes-

Kulturministerium auch native beworben wird. Im Kultursommer finden knapp hundert

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B D Z V Fokus Deutschland: Ein Überblick S e i t e | 53

Konzerte, Festivals, Ausstellungen, Lesungen, Filmvorführungen und Theaterstücke statt, die

durch die regionale Kulturpolitik unterstützt werden. Nach dem Teaser, von redaktionellen

Inhalten unterscheidbar gemacht durch orange Header und den „Anzeige“-Hinweis, folgt ein

Bereich mit Downloads, Veranstaltungskalender und Kartenmaterial. Für jemanden, der das

Format nicht kennt, bereits eine Broschüre hat oder erstes Interesse vertieft, echter

Mehrwert.

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B D Z V Fokus Deutschland: Ein Überblick S e i t e | 54

Konzeptionell ähneln sich diese beispielhaft vorgestellten Formen von Native Advertising

wenig – Teaser im Redaktions-Look auf Homepage oder Ressortstartseite, mehr oder

weniger gekennzeichnet als „Anzeige“; eigene, auch in den Menüs als Anzeige markierte

Seite im Ressort; entsprechende Inhalte, die vom Werbekunden selbst stammen oder aber

von PR-Beratern oder Anzeigenabteilung angepasst wurden – ebenfalls unter dem Label

„Anzeige“. Schlimmstenfalls: austauschbar, da auch auf anderen Zeitungswebsites

vorstellbar. Bestenfalls: originelle Inhalte, die dem Leser etwas zu bieten haben.

Nach demselben Prinzip funktionieren auch weitere Beispiele wie die Online-

Sonderveröffentlichungen der Cellitinnen zur Hl. Maria in der „Kölnischen Rundschau“ oder

die Texte über Hörgeräte, einem „ Service von Spiegel-Online-Partnern.“

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B D Z V Fokus Deutschland: Ein Überblick S e i t e | 55

Der Video-Virus

Native Advertising im Definitions-Sinn – also so, wie BDZV und ZAW empfehlen, diese

Werbeform zu konzipieren und anzubieten, zeigen eher die folgenden Best Practices auf. Die

Unterschiede sind visuell nur minimal, inhaltlich bedeutend, da sie im Gesamtorchester

Medien-Website den richtigen Ton treffen.

Ein junger „Klassiker“ im deutschsprachigen Native Advertising ist dabei eine primär Social-

Media-basierte Kampagne: „Die Vorwerk Party - mit Mirja Boes“. Seit 2014 wurde hier das

Ziel verfolgt, potentiellen Nachwuchskunden das Vorwerk-Modell Direktvertrieb auf eine

neue und spielerische Art vorzuführen. Auf der unternehmenseigenen Facebook-Seite und

im YouTube-Channel startete der Hausgeräte-Hersteller eine eigene kleine, vierteilige Web-

Serie und räumte mit viel Selbstironie bestehende Vorurteile gegen Staubsaugervertreter

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B D Z V Fokus Deutschland: Ein Überblick S e i t e | 56

und Vorwerk-„Kundenberater“ aus dem Weg. Als Testimonial und gleichzeitige

Hauptdarstellerin stand die Comedienne Mirja Boes im Mittelpunkt der Clip-Serie. „Ich steh

einfach nicht auf Türverkäufer!“ - denkt sie, bis ihre neuen Nachbarn zu einer Vorwerk-

Verkaufs-Party einladen. In weiteren Rollen treten dabei Produkte der Marken Kobold, Jafra

Cosmetics und Thermomix auf. In jeder Webisode konnten die Zuschauer Vorwerk-Produkte

gewinnen. Die vier gedrehten Episoden wurden in jeweils 1,5 Wochen Abstand auf den

Social-Media-Kanälen des Unternehmens untergebracht. Nach der achtwöchigen

Kampagnenlaufzeit zählte Vorwerk 523.881 Views der Videos, 8.066 Teilnehmer am

Gewinnspiel, 4.500 Facebook-Likes und 3.047 neue Newsletterabonnenten. Hauptelement

der Hinführung von Zuschauern auf die Web-Serie waren dabei Native-Ads, die auf den

Webseiten von Nachrichtenportalen geschaltet wurden. Vorwerk nutzt bewusst online das

Trust-Umfeld der Tageszeitung, in Verbindung mit dem bekannten Namen der

Schauspielerin Mirja Boes entsteht die nötige Neugier, um den klar gekennzeichneten

Native-Artikel zu lesen und dann die Web-Episoden anzusehen und auch auf Facebook

weiterzuklicken. Aus Kundensicht ist hier der Mehrwert von durchaus humorvollen

Videoclips gegeben, das Gewinnspiel spielt natürlich ebenfalls eine Rolle. Hier wird

vollkommen klar: Funktionierendes Native Advertising kann die leidige Diskussion über

Schleichwerbung und Verwechslungsgefahr mit redaktionellen Inhalten hinter sich lassen.

Spätestens nach dem Klick des Teasers und dem klar mit Logo versehenen Artikel weiß der

intelligente Nutzer der Zeitungswebsite, dass ein folgendes, spaßiges Video von Vorwerk

stammt, denn alles andere wäre eine sträfliche Unterschätzung.

_______________________________________________________________

„Funktionierendes Native Advertising kann die leidige Diskussion über

Schleichwerbung und Verwechslungsgefahr mit redaktionellen Inhalten

hinter sich lassen. “

Robert Danch

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B D Z V Fokus Deutschland: Ein Überblick S e i t e | 57

Und dennoch überträgt sich das bekannte, positive Image „seiner“ Nachrichtenseite im Web

auf den sympathischen Mini-Film und seine Produkte, denn es gibt die zu Recht geforderte

Interaktion, und der Werbeinhalt wird subtil und humorvoll präsentiert, ein Brand Lift im

Sinne des IAB.

Auch ganz aktuelle, mit weniger Aufwand produzierte Native Ads sind absolut auf dem

richtigen Weg, wie ein weiterer Case zeigt: Die „Main-Post“ empfiehlt im Service-Ressort

ihren Lesern Tipps, darunter etwa „Ketchup auf dem Sofa? So entferne ich Flecken richtig.“

Die Tipps sind gut brauchbar, und wenn der Artikel gelesen ist, folgt die ultimative

Empfehlung der radikalen Fleckentfernung: Ein neues Sofa, gekauft beim Werbepartner

Spritzhüttl, einem Möbelhaus.

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B D Z V Fokus Deutschland: Ein Überblick S e i t e | 58

Prodesse et delectare

Das Verlagshaus Gruner + Jahr bezeichnet Native Advertising auf seinen Vermarkungsseiten

als seine „Kernkompetenz“, mit der von Werbekunden gelieferte Inhalte „von unserer

Service-Redaktion in das Layout der Marken gebracht“ werden sollen. Das neue

Geschäftsfeld bearbeitet die neue Einheit „Digital Product Development“ zusammen mit G+J

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B D Z V Fokus Deutschland: Ein Überblick S e i t e | 59

Media Sales. Ergebnis ist zum Beispiel eine Service-Seite zur Reiseapotheke im Online-

Angebot der „Brigitte“, mit Inhalten, die von Ratiopharm kommen.

Bei Bauer Media ist man ebenfalls aktiv: Seit Mai 2015 gibt es die neugeschaffene Stelle des

Produktmanagers Native Advertising.

Auch Tomorrow Focus (TF) schreibt die empfohlene Umsetzung von Native Advertising fort.

Laut Sarah Pauls, Leiterin des auf die neue Werbeform spezialisierten „Partner Studio der

ForwardNews+ GmbH“, (siehe S. 41) müssen Native-Kampagnen einen „echten Mehrwert

für den Endkonsumenten darstellen.“ Sie grenzt weiter ein: „Dabei sollte die inhaltliche

Strategie entweder einen nutzwertigen oder unterhaltenden Ansatz verfolgen.“ Das bei

Tomorrow Focus so genannte „Digital Storytelling“ ist anhand zweier Cases des

Medienhauses zu verfolgen: den Kampagnen „Diese Zeit gehört Dir“ (Deutsche Bahn) und

„Go Fun Yourself“ (Toyota Aygo).

Im „TF News+ Partner-Studio“, Vermarktungseinheit der mehrheitlich zu Hubert Burda

Media gehörenden Online-Gruppe, spricht man in diesem Zusammenhang von als

„Sponsored Post“ gekennzeichneten Native Brand Specials, übersetzt „Kundeninhalte mit

redaktioneller Leistung“ – angeboten als Brand Page bzw. Brand Hub; letzteres vergleichbar

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B D Z V Fokus Deutschland: Ein Überblick S e i t e | 60

mit einem Dossier aus mehreren Special-Seiten. Gemeinsam mit den Werbekunden,

Unternehmen oder Agenturen entwickelt das Studio in einem interdisziplinären Team aus

Redaktion, Grafik und Marketing die Gestaltung der Artikel, Videos, Grafiken und Banner.

Dabei gibt es auch eine Media-Empfehlung, also welche redaktionelle „Marke“ aus dem

Portfolio für den Werbeinhalt besonders geeignet scheint. Im Fall der internationalen,

adaptierten Kampagne „Go Fun Yourself“ zur Einführung des „Kleinwagens für

Individualisten“ Toyota Aygo, sind die Beiträge im redaktionellen Teil der „Huffington Post“

verankert.

Die Kampagne besteht aus „redaktionellen Teaserpaketen“, die im „Look and Feel jedes

Publishers“ (= redaktionelle „Marke“, alles Verlagsangaben) ausgespielt werden. Das

Besondere und damit der native beworbene USP des Aygo ist dabei, dass bei dem

Kleinwagen unter anderem Frontgrill, Felgendesign und Elemente im Innenraum schnell

auszutauschen sind. Die eingerichtete Toyota-Brand-Page berichtet über die Entstehung des

Aygo, sein Individualisierungs-Konzept und die viralen Netzgeschichten, die sich aus der

multimedialen Kampagne ergeben haben.

_______________________________________________________________

„Die inhaltliche Strategie von Native-Kampagnen sollte entweder

einen nutzwertigen oder unterhaltenden Ansatz verfolgen. “

Sarah Pauls, Head of Partner Studio, Forward News+ GmbH

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B D Z V Fokus Deutschland: Ein Überblick S e i t e | 61

So wurde ein YouTube-Video bereits über zwei Millionen Mal abgerufen, in dem der

YouTube-Star Rahat Hossain als Sitzpolster verkleidet „unsichtbar“ einen Aygo steuert. Laut

TF News+ Partner-Studio war es Ziel der Kampagne, „die Leser mit immer neuen Beiträgen

für den Aygo zu begeistern und diese über soziale Netzwerke wie Facebook weiter zu

verbreiten“ – alles in allem ein innovativer Ansatz, der viel von den geforderten

Eigenschaften von Native Advertising umsetzt. Sieht man allerdings, dass die ausgebrochene

Viralität der eingebetteten Youtube-Spots noch sehr überschaubar blieb – geteilt wurde der

Spot in der „Huffington Post“ nur zweimal, gelikt sechsmal, wird deutlich, dass man bei

Tomorrow Focus in die Zukunft investiert; das „Partner Studio“ bezeichnet sich selbst als

„Vorreiter“ in Sachen Digitales Storytelling. Die Kampagne „Der ultimative Test für Allgäu-

Winter-Urlauber“ in der Huffington Post lief viral besser, hier wurde der Allgäu-Sprachtest

immerhin 1.734 mal geteilt.

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B D Z V Fokus Deutschland: Ein Überblick S e i t e | 62

Somit lohnt auch ein Blick auf die neue, individuelle Vorlieben von Reisenden darstellende,

native Kampagne für den Fernverkehr der Deutschen Bahn. Klingt zunächst wenig aufregend,

es sei denn, man leidet selbst unter den immer wieder mal vorkommenden Verspätungen

und verpassten Anschlüssen. Dann hätte man noch mehr „Zeit für sich“ – Kern der

Werbebotschaft. Ziel der Kooperation von Deutsche Bahn, Ogilvy und Hubert Burda Media

ist es, (User Generated) Content im Portal „Diese Zeit gehört Dir“ zu integrieren und ihm

Traffic (hier im wörtlichen Sinn) zu verleihen. Hierfür zieht die Bahn alle Register:

Gewinnspiel-Microsite, Video-Magazin, YouTube-Channel und TV-Spot erzählen Geschichten

rund um das Thema Zeit, und was man mit ihr anfangen kann - Kisuaheli lernen, Mützen

häkeln oder ein gepflegtes Bier mit Freunden trinken beispielsweise.

Die „Native Advertising Offensive“ (Agenturangabe) soll redaktionell verankerten, als

solchen markierten nativen Content via Print und Online vermitteln und so aus dem

vertrauensvollen Umfeld von „Focus“, „Freundin“, „TV Spielfilm“, „Focus Online“ und

„Huffington Post“ auf die eigenen Aktionen hinführen. Blogger-Kanäle runden den

Kommunikationsmix ab, als originäres Influencer Marketing. Insgesamt neun Blogger

inszenieren sich im Thema „Kreative Reisezeit mit der Bahn“ – immerhin sollen alle

genannten Kanäle nicht weniger als den Menschen in Deutschland wieder bewusster

machen, was sie eigentlich kaufen, wenn sie sich für die Bahn entscheiden. „Sie kaufen nicht

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B D Z V Fokus Deutschland: Ein Überblick S e i t e | 63

nur ein Ticket. Sie werden nicht nur von A nach B gebracht. Sie bekommen etwas, das heute

so relevant ist wie nie: Zeit für sich. Die Reisezeit in der Bahn ist individuell frei nutzbare

Qualitätszeit“, so Gabriele Handel-Jung, Leiterin Marketingkommunikation und Media bei

der Deutschen Bahn, „mit diesem umfassenden Native-Konzept erreichen wir Konsumenten

unmittelbar dort, wo sie sich aufhalten und emotional angesprochen fühlen – und zwar an

völlig unterschiedlichen Touch Points.“ Ein Schwerpunkt auf der Bahn-Branding-Page sind

dabei die beim Nutzer allgemein beliebten Listen, beispielsweise „Zehn Dinge, die man

während einer Zugfahrt machen kann“ oder „Diesen Lese-Typen begegnen Sie im Zug“.

Die 10 interessantesten Fakten über Listicles und Click-Baits

Zur Perfektion gebracht hat diese redaktionelle Sonderform „BuzzFeed“. Die US- News-Seite

wurde vom „Huffington-Post“-Co-Founder Jonah Peretti 2006 gegründet und ist

insbesondere für zwei Dinge bekannt: Listen und Click-Baits. Peretti erkannte beim Start von

BuzzFeed, dass Leser klickbare Listen (Listicles) lieben – scheinbar eine historisch begründete

Tatsache. Enumeratio lautet der lateinische Terminus für jene rhetorische Figur, die seit

biblischen Zeiten verwendet wird, um Dinge klar darzustellen. Von den zehn Geboten über

die Reiter der Apokalypse bis zu Manifesten und Wahlprogrammen – alles einprägsam. Und

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B D Z V Fokus Deutschland: Ein Überblick S e i t e | 64

nichts verbreitet sich so schnell viral im Netz wie einprägsame, originelle Inhalte. „30

Geheimnisse, die Dir Hotline-Mitarbeiter nicht verraten“, „24 Kinder, die den Kampf gegen

den Schlaf verloren haben“, das sind nur zwei Beispiele aus den aktuellen Top-Click-Charts

der 2014 gegründeten, deutschen Ausgabe von BuzzFeed.

„Click-Baits“ eilt ein etwas schlechterer Ruf voraus. Wörtlich übersetzt „ködern“ die

Ankündigungstexte mit Headlines wie diesen: „Sie wollten nicht, dass ihre Tochter neben

diesem Mann sitzt. Sekunden später sind sie geschockt, wer er wirklich ist“ – der Click-Bait-

Spitzenreiter des vergangenen Jahres konnte mit dieser Zeile sage und schreibe über

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B D Z V Fokus Deutschland: Ein Überblick S e i t e | 65

1.751.020 Likes auf Facebook erzielen und wurde 264.580 mal geteilt. Die einfache

Geschichte, mit der Top-Medienseiten wie Bild.de oder Spiegel Online abgehängt wurden:

Ein fremdländisch aussehender Mann in einem Krankenhaus-Wartezimmer, neben dem die

kleine Tochter der Familie nicht sitzen soll, entpuppt sich im Gespräch mit dem

behandelnden Arzt als deren Knochenmarkspender. Reinklicken, liken, sharen.

Traffic wird auf der eigenen Seite generiert und in den sozialen Netzwerken potenziert, und

zwar Redaktionelles und eigens konzipierter, origineller Werbecontent. Bei BuzzFeed wird

aus dem simplen Prinzip ein Geschäftsmodell – Pop-Ups und Displays würden das schnelle

Konsumieren und Teilen nur unnötig stören und sind gar nicht erst im Angebot. Somit

beschäftigt die „Medienfirma für die heutige Art des Medienkonsums“ (Gründer Jonah

Peretti) ein annähernd hundertköpfiges Creative Services Team außerhalb der Redaktion

ausschließlich dafür, Werbeinhalte und Corporate Videos zu erstellen, die den eigenen

redaktionellen Inhalten ähneln. Die fremden Inhalte werden dabei gekennzeichnet, aber

ausschließlich mit den Anzeigenkunden gemeinsam erarbeitet, eine weitere Einnahmequelle

neben den Schaltkosten. Alle Native Ads sind mit „promoted by“ markiert; als Autorenzeile

für den redaktionell anmutenden Inhalt wird der Begriff „Brand Publisher“ zusammen mit

dem Unternehmensnamen kommuniziert.

Paradebeispiele für Native-Advertising-Kampagnen bei BuzzFeed sind „20 Film-Plots, die sich

mit Handys verändert hätten“ (für Virgin Mobile), „Die 20 coolsten Hybrid-Tiere“ (für Toyota

Prius) und ein von BuzzFeed produziertes Katzenvideo „Dear Kitten“ für Friskies

Katzenfutter. Letztes erzielte durch virale Verbreitung über 22,5 Millionen Views.

_______________________________________________________________

„Eine Geschichte, die nicht geteilt und vervielfältigt wird, wird

nur noch von einer Minderheit wahrgenommen. Und

Aufmerksamkeit ist die Währung des digitalen Zeitalters.“

Frank Schmiechen, Chefredakteur „Gründerszene“

Page 67: Reader „Native Advertising

B D Z V Fokus Deutschland: Ein Überblick S e i t e | 66

Sieht man hier die Zukunft des Zeitungsgeschäfts – Distribution von leicht konsumierbarer

Redaktion und integrierter Werbung über verschiedene technische Plattformen (Web,

Mobile) und Potenzierung der Verbreitung in sozialen Netzwerken? Noch nicht. Frank

Schmiechen, Chefredakteur der „Gründerszene“ und Ex-stv. Chefredakteur der WAMS meint

hierzu: „Soziale Netzwerke im Web werden für die Verbreitung von journalistischen Inhalten

noch wichtiger. Es ist gut möglich, dass sie in Zukunft über den Erfolg oder Misserfolg von

journalistischen Inhalten entscheiden. Eine Geschichte, die nicht geteilt und vervielfältigt

wird, wird nur noch von einer Minderheit wahrgenommen. Und Aufmerksamkeit ist die

Währung des digitalen Zeitalters. Jede Redaktion muss also für sich klären, welchen Einfluss

dieser Umstand auf die eigene Arbeit wie Themenfindung oder Formulierung von

Schlagzeilen hat.“ (aus CR Magazine, Kircher Burkhard, Februar 2014)

Schon arbeiten vor allem Boulevard-Titel mehr und mehr mit Listicles und Click-Baits, auf

Bild.de heißt es beispielsweise „Sexy, Lustig, Kurios, diese Bilder müssen Sie sehen!“ und

auch die RP Online listet die „Zwanzig süßesten Tierbabys der Welt“ – bei Seiten wie

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B D Z V Fokus Deutschland: Ein Überblick S e i t e | 67

BuzzFeed ist das Prinzip jedoch andersherum. Erst wird ein dezentrales, funktionierendes

Social Publishing - Distributionsmodell mit sehr affirmativen Inhalten eingeführt, dann die

Redaktion um erfahrene Journalisten erweitert und Schritt für Schritt die Qualität gesteigert.

Am Ende des Überblicks ist zu sagen: Wenige Tageszeitungen und journalistische Angebote

schaffen einen eigenständigen redaktionellen Kontext für werbliche Inhalte. Zu viele

Websites bieten im Zusammenhang von Native Advertising zwar redaktionell gestaltete

Text-Bild-Anzeigen an, die dann auf werbliche Landing Pages mit zu wenig User Experience

führen. Diese Landing Pages zielen zudem auf meist offensichtliche Leads oder Sales ab und

können so den Leser verstimmen. Funktionierendes Native Advertising muss aber die gleiche

hohe Qualität und den Mehrwert haben, wie das sie nahtlos umgebende redaktionelle

Umfeld.

Zeitungsverlage haben den News-Portalen der Digital Natives eines voraus: sie sind im

lokalen und regionalen Werbemarkt fest verankert und haben treue und hochqualifizierte

Leser. Gelingt es, in eigenen Agenturen ähnlich dem Creative Services Team von BuzzFeed

qualitativ hochwertige, originelle, redaktionell geprägte, auch regionale Werbeinhalte in

Kooperation mit den Werbekunden zu produzieren, ergeben sich aus der Kombination von

Agenturdienstleistung und Schaltung attraktive Erlöspotentiale. Dazu kommen die

technischen Perspektiven des neuen Werbeformats: Schon heute können Native Ads

automatisch in verschiedenen Medienangeboten, auch mobil, ausgespielt werden. Bald

könnten sie sich auf Alter, Geschlecht und Vorlieben der Leser anpassen und dabei von Ad-

Blockern völlig unbemerkt bleiben.

Preismodelle

Zu den Preismodellen bei Native Advertising gibt es bisher keine einheitliche Vorgehens-

weise bei den Anbietern. Bei ausführlicheren Native-Konzeptionen, die auf redaktionelle

Bedürfnisse des Kunden eingehen, werden meist individuelle Preise abgesprochen. Bei

einfacheren Formaten wie Content-Sponsoring richten sich die Anbieter nach Tausender-

Kontakt-Preisen (TKP).

Die Skala beginnt bei den nahe an Online-Werbung liegenden Web-Advertorials. So wird für

ein Ressort-Sponsoring im „Tagesspiegel“ ein TKP-Preis ab 50,- Euro berechnet. Für „Content

Ads“ beim „Münchner Merkur“ und der „TZ“ gelten ebenfalls TKP-Preise. Eine „PR-Anzeige“

auf fudder.de kostet pauschal inklusive Produktion, Agenturprovision-fähig, 199,- Euro. Das

Werbeformat erscheint dann für 24 Stunden auf der Startseite, danach läuft es weiter im

Angebot. Zusatzoptionen (z.B. Fotogalerien, Video-Integration) gibt es hier nur auf Anfrage.

Auch bei der „Süddeutschen Zeitung“ gelten für „Content Marketing“ Preise nach

Absprache.

Detaillierte Preisangaben liefert etwa Gruner + Jahr für seine Native Formate (siehe das

„Brigitte“-Beispiel auf Seite 59). Über Vorlaufzeit (ca. 6-10 Wochen je nach Sponsored

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B D Z V Fokus Deutschland: Ein Überblick S e i t e | 68

Content Integration und Full-Service-Umfang), Richtlaufzeit (4 Wochen),

Mindestbuchungsvolumen (ab € 22.000 netto + Produktionskosten auf Anfrage – nicht

rabatt- und Agenturprovisions-fähig). Das G+J Mediapaket der flankierenden werblichen

Promotion besteht standardmäßig aus Native Ad und dem Display Ad „Medium

Rectangle“, wird auf Anfrage jedoch nach Kunden-Wünschen zusammengestellt. Die

Werbemittel erstellt der G+J Kreativ-Service. Alle Werbemittel verlinken direkt in die

Kunden-Integration. Die Redaktionen müssen die Sponsored Content-Integration im

Vorfeld freigeben.

Die „Forward AdGroup“, Vermarkter von Focus.de und Huffington Post, gibt die Preise nicht

an, sondern verweist darauf, dass diese je nach Laufzeit, Umfang, Elemente, Module und

gebuchter Marke variieren, individuelle Konzepte würden gerne erstellt. Auch

Buzzfeed schneidert nach Maß, hier kann man seine Anfrage mit gewünschtem Produkt

und Werbebudget sogar auf der Homepage im Kontaktformular eingeben.

Page 70: Reader „Native Advertising

B D Z V Fokus Großbritannien: Der „Guardian“ macht es auf seine Art S e i t e | 69

VON BARBARA GEIER

freiberufliche Medienjournalistin und

Kommunikationsberaterin, London

Fokus Großbritannien: Der „Guardian“ macht es auf seine Art

Während sich in Deutschland seriöse Nachrichtenmedium wie die „Süddeutsche Zeitung“

oder die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ sehr skeptisch und kritisch zu Native Advertising

äußern und entsprechend verhalten damit umgehen, haben in den USA und Großbritannien

sogar Leitmedien wie die „New York Times“ oder der „Guardian“ Native Advertising auf

ihren Seiten integriert. In sehr unterschiedlichen Ausführungen, was zeigt, wie einzelne

Medienunternehmen Sponsored Content ganz individuell für sich selbst bestimmen:

Der „Guardian“, der schon seit einigen Jahren an verschiedenen Stellen auf seiner Website

mit dem Thema experimentiert, scheint für sich, vereinfacht gesagt, folgende Formel

gefunden zu haben: Inhalte, die zu uns passen, die wir vertreten können, die wir auch ohne

Sponsoring grundsätzlich publizieren würden und die einen Wert für unsere Leser haben,

lassen wir uns von Unternehmenspartnern bezahlen und markieren diese dann

entsprechend als so finanziert. Ein – preisgekröntes – Beispiel für ein solches Inhaltsformat

ist „Guardian Witness”, eine User-Generated-Content-Plattform, in erster Linie für Bilder und

Videos, die von dem britischen Mobilfunkbetreiber EE finanziert wird und 2013 gelauncht

wurde. Der „Guardian“ selbst würde hier übrigens nicht von einem Native-Advertising-

Produkt sprechen, sondern von einer Partnerschaft mit einem Unternehmen: „Guardian

Witness steht als Beispiel für eine innovative Kollaboration mit einem Brand/einer Marke,

um neue digitale Erfahrungen für Leser zu schaffen, die wir aber nicht unbedingt als ‚native’

bezeichnen würden. Auf der Plattform, die von EE gesponsert wird, können Nutzer ihre

eigenen Videos, Bilder und Geschichten teilen. Das Projekt fällt für uns nicht in die Native-

Advertising-Kategorie [im Sinne von Werbeformaten, die sich nahtlos in ihre Umgebung

integrieren], da die Kooperation einen größeren Umfang hatte und eine eigene Plattform

außerhalb der Guardian Seite eingerichtet wurde”, erläuterte Tim Gentry, Revenue Director

des Guardian, bei einem Workshop des Internet Advertising Bureau UK im Herbst 2013. Bei

den British Journalism Awards der Branchenpublikation „Press Gazette“ erhielt „Guardian

Witness“ im Dezember 2013 den Preis für „Innovation of the Year”.

Page 71: Reader „Native Advertising

B D Z V Fokus Großbritannien: Der „Guardian“ macht es auf seine Art S e i t e | 70

Die User-Generated-Content-Plattform „Guardian Witness” wird von dem britischen

Mobilfunkbetreiber EE finanziert.

Quelle: https://witness.theguardian.com/

Die sogenannten „Guardian Professional Networks” sind ein weiteres Beispiel für inhaltliche

Kollaborationen mit Unternehmen, die sich für den Verlag finanziell bezahlt machen und für

die Leser – so zumindest das Ziel - hochwertigen Corporate Content integrieren. Die digitalen

Hubs auf der „Guardian“-Website für spezielle Berufsgruppen und Themen von Medien und

Marketing über Erziehung und IT bis zu Ingenieurwesen werden von verschiedenen

Unternehmen gesponsert. Sie kombinieren unabhängige redaktionelle Inhalte und von den

Unternehmen selbst produzierte und entsprechend als Werbung markierte Texte.

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B D Z V Fokus Großbritannien: Der „Guardian“ macht es auf seine Art S e i t e | 71

Für seine „Professional Networks” arbeitet der „Guardian“ mit verschiedene Unternehmen

zusammen. Hier werden unabhängige redaktionelle Inhalte mit von den Unternehmen selbst

produzierten und entsprechend als Werbung markierten Texten kombiniert.

Quelle: http://www.theguardian.com/guardian-professional

Neue Unternehmenseinheit beim „Guardian“

Im Februar 2014 wurden all diese Aktivitäten mit von Unternehmen bezahlten Inhalten,

Sponsored Content, Branded Content, wie auch immer man es nennen mag, offiziell in einer

neuen Unternehmenseinheit des „Guardian“ zusammengefasst und mit großer Fanfare

gelauncht: Die sogenannten „Guardian Labs“, was in der Branche allgemein als die ganz

eigene „Guardian“-Interpretation von Native Advertising kommentiert wurde, sind laut

eigener Deifinition eine „branded content and innovation agency”. Diese interne Content

Marketing Agentur hat 133 Mitarbeiter - Kreative, Designer, Strategen und „Content

Producers”, zu Deutsch: Redakteure. In einer Pressemitteilung beschrieb der „Guardian“ die

Zielsetzung dieser Labs folgendermaßen: „Wir bieten Brands mutige und neue Wege ihre

Geschichten zu erzählen und das „Guardian“-Publikum anzusprechen.”

Als Launchpartner nahm der Konzern Unilever dieses Angebot für eine siebenstellige Summe

an. Der „Guardian“ produziert dafür eine redaktionell unabhängige digitale Plattform

namens „Live Better” zum Thema „Nachhaltiges Leben“, die auf einer Unterseite der Life &

Style-Seite des „Guardian“ sitzt. Redaktionell unabhängig bedeutet, dass Unilever nichts

abzeichnet und die redaktionelle Verantwortung bei einer Journalistin und politischen

Aktivistin liegt, die unter anderem als Kolumnistin für den „Guardian“ tätig ist. Auf der Seite

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B D Z V Fokus Großbritannien: Der „Guardian“ macht es auf seine Art S e i t e | 72

selbst, die mit „sponsored by Unilever” markiert ist, wird die Rolle von Unilever erklärt: „Live

better wird von Unilever finanziert, aber alle Inhalte sind redaktionell unabhängig, außer sie

sind als Advertisement Feature gelabelt.” Ein Link führt von dort aus zu einer

Informationsseite, den „Commercial Services” des „Guardian“, wo Sponsored Content als

redaktionell unabhänig verfasste Inhalte und Advertisement Feature/Advertorials als nicht

von der Redaktion verfasste Inhalte definiert werden. Links führen außerdem zu einer

„Unilever Partnerzone”, die komplett mit mit Advertisement Features befüllt ist.

„sponsored by”: Die digitale Plattform „Live Better” des „Guradian“ wird von dem

Unternehmen Unilever finanziert – ist aber redaktionell unabhängig.

Quelle: http://www.theguardian.com/lifeandstyle/live-better

Bei einer Konferenz in London im Juli 2014 sprach Anna Watkins, Geschäftsführerin der

„Guardian Labs“, von den Zielen, die mit den „major branded content deals”, wie mit EE

oder Unilever, erreicht werden sollen: Es gehe darum, damit neue redaktionelle Produkte zu

finanzieren. Sie nannte „Guardian Witness“ als die „open journalism platform” der Zeitung

dabei als das Paradebeispiel für eine kommerzielle Partnerschaft, die sich journalistisch

auszahlt: “Guardian Witness lädt unsere Leser ein und beruht auf der „Guardian“-

Philosophie, die charakterisiert ist von Partizipation, ‘Comment is free’6 und dem Teilen

unserer Inhalte über Plattformen hinweg. [Guardian Witness] war ein Treffen der ‚Open

Journalism’-Ambitionen des „Guardian“ mit den Marketingzielen von EE. Wenn wir auf die

richtige Art und Weise Partnerschaften mit einem Brand eingehen, wenn dieser Brand die

für uns richtigen Werte und, wenn man so will, ein höheres Ziel hat und das mit unseren

journalistischen Ambitionen übereinstimmt, dann funktioniert’s.”7 Laut Watkins arbeite der

„Guardian“ zurzeit an 100 Branded-Content-Projekten für verschiedene Kunden. 8

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B D Z V Fokus Großbritannien: Der „Guardian“ macht es auf seine Art S e i t e | 73

Keine Printherkunft – keine Berührungsängste

Rein digitalen Nachrichten- und Unterhaltungsseiten wie „BuzzFeed“ oder „Huffington Post“

fällt der Umgang mit dem Thema Native Advertising viel leichter als Medien, die aus dem

Printbereich kommen. Beziehungsweise: Die Diskussion „Geht das, geht das nicht, kann der

Leser Werbung und Redaktion dann noch auseinanderhalten?” wird bei rein digitalen

Nachrichtenseiten in der Art überhaupt nicht geführt. Man geht dort von einer neuen

Generation aus, die mit dem Internet aufgewachsen ist und dieses anderes navigiert und

nutzt als die pre-Web-Generation.

Die „Huffington Post“ UK führte im Herbst 2013 eine groß angelegte Studie zum Thema

Native Advertising durch.9 Kurz zusammengefasst sind die Ergebnisse, dass die Native

Generation von jetzt im Kern 18- bis 24-Jährigen Werbung möchte, die unterhaltsam ist,

interaktiv und „shareable”, also so gut/witzig/ungewöhnlich, dass man sie auf seinen

sozialen Netzwerken teilen möchte. Wer Absender von Informationen ist, spiele für diese

Generation eine weniger wichtige Rolle, und Unternehmen könnten genauso glaubwürdig

sein wie traditionelle Medien.

Die 2005 in den USA gegründete „Huffington Post“, die nach Großbritannien, Frankreich,

Spanien und Italien seit Herbst 2013 auch mit einem deutschen Ableger (gemeinsam

gegründet mit Burda-Tochter Tomorrow Focus Media) unterwegs ist, setzt voll auf Native

Advertising. Interne Teams, die mit Redakteuren besetzt sind und separat von der

„Huffington Post“-Redaktion agieren, kümmern sich zusammen mit den

Unternehmenspartnern um die Konzeption und um die inhaltiche Komponente von Native-

Advertising-Kampagnen. Von Werbepartnern bezahlte Artikel sind jeweils mit „sponsored”

markiert. Eine Gefahr der Irreführung sieht man hier nicht: „Leser können ‚branded content’

erkennen”, meinte Oliver Eckert, Geschäftsführer von Tomorrow Focus Media, im Rahmen

einer Diskussion zum Thema Native Advertising bei der BDZV Konferenz Zeitung Digital 2014.

Bei dem großen Listenmeister „BuzzFeed“ spiegelt die interne Organisation ebenso klar die

Trennung zwischen Werbung und redaktionellen Inhalten wider: Ein „creative services team”

produziert die charakteristischen Listenartikel für Anzeigenkunden und berät, wie man im

BuzzFeed Stil „Zehn Dinge, die …” oder „Zwölf Gründe, weil …” schreibt. Banner-Anzeigen

gibt es überhaupt keine auf der Seite, die allein mit Native Advertising finanziert wird. Die

nicht-redaktionellen Beiträge sind mit „promoted by” markiert; als Autorenzeile für solche

Inhalt wird der Begriff „Brand Publisher“ in Verbindung mit dem jeweiligen

Unternehmensnamen genutzt.

Dos and Don’ts für Zeitungsverlage

Mit dieser Unbekümmertheit, die junge Online-Medien an den Tag legen, nähern sich

Zeitungen, die zum Teil über Jahrhunderte das Vertrauen ihrer Leser und ihre

Glaubwürdigkeit als unabhängige Medien erarbeitet haben, dem Thema Native Advertising

natürlich nicht. Und das sollten sie auch nicht. Angebracht ist vielmehr eine möglichst

nüchterne Analyse der Situation, an deren Ende eine Entscheidung stehen sollte: Können,

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wollen und müssen wir das mitmachen? Für viele Medienhäuser in den USA und in

Großbritannien lautet die Antwort darauf ja, nicht zuletzt angesichts massiver Einbrüche im

Printbereich, die nach wie vor nicht durch die digitalen Erlöse aufgefangen werden können.

Native Advertising kann anders und besser bepreist werden als Banner-Anzeigen und vor

allem im Paket mit solchen verkauft ergeben sich sehr attraktive Erlöspotentiale für Verlage.

Internationale Bastionen von Qualitätsjournalismus wie die „New York Times“ und der

„Guardian“ scheinen sich auf jeden Fall einig zu sein, dass auf der Suche nach Wegen, wie

ein solcher Journalismus finanziert werden kann, immer weiter gegangen werden muss.

Native Advertising ist in diesem Sinne auch kein vorübergehender Trend ist, sondern

weiterer Ausdruck und Teil der generellen Transformation der Branche. Um damit umgehen

zu können, gelten für Verlage, die sich auf diesem Terrain bewegen, einige grundsätzliche

Dos und Don’ts:

Was kommerzieller Inhalt ist, muss immer klar markiert und der Leser darf nie getäuscht

werden. Mit anderen Worten: Das Vertrauen, das Verlage bei ihren Lesern genießen, ist das

höchste Gut. Dazu müssen klare interne Standards gesetzt werden, sowohl was die

Produktion von Sponsored Content anbelangt – wer macht was – als auch welche Ansprüche

Inhalte von Unternehmenspartnern erfüllen müssen. Denn wenn die Qualität von Native

Advertising nicht stimmt, sprich: wenn die Aufmerksamkeit der Leser nicht mit guten

Inhalten belohnt wird, wird das Ganze nicht nur nicht funktionieren, sondern die jeweilige

Medienmarke wird auch als „Gastgeber” schaden nehmen. Im Endeffekt werden die Leser

als Schiedsrichter agieren und entscheiden, wie weit Verlage gehen können. Und das hängt

von der redaktionellen Stimme einer Publikation ab – im Bereich Entertainment oder Mode

wird man sicher andere Kooperationen eingehen können als im seriösen

Nachrichtengeschäft.

Wer also „in Native Advertising machen“ möchte und das richtig– also: keine Produkt- und

Servicewerbung anbieten möchte, die sich in redaktionellem Gewand verbirgt – muss sich im

Klaren darüber sein, dass er sich auf eine zeitaufwändige, kollaborative Werbeform einlässt.

Unternehmen und Medienhäuser, die ihre Webseiten als Werbeplattform für solch

inhaltsgetriebene Werbung zur Verfügung stellen, müssen enger als bisher

zusammenarbeiten und vor allem auch kreativer. Gemeinsam müssen sie folgende Fragen

beantworten: Welche Geschichte kann das Unternehmen X auf unserer Webseite erzählen,

die man diesem Unternehmen abnimmt, die zu uns als Medium passt, die unsere Leser

interessiert, und wobei ganz deutlich gemacht wird, dass es sich um bezahlte Inhalte

handelt? Wenn Medium und Werber hier Antworten finden, die Mehrwerte für die Leser

generieren, dann kann Native Advertising funktionieren. Alles andere, was diese Fragen

außer Acht lässt oder schlecht beantwortet, wird nach hinten losgehen.

6 Comment is free” ist die Kommentar- und politische Meinungsseite auf guardian.com, die Guardian

und Observer Kommentare enthält plus Beiträge von über 600 Autoren. 7 http://www.thedrum.com/news/2014/07/24/guardian-eyes-branded-content-opportunities-google-

glass-edition-guardian-labs-chief?utm_content=buffer0a898&utm_medium=social&utm_source=twitter.com&utm_campaign=buffer

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B D Z V Fokus USA: Aus der Werkstatt von „New York Times“ und „Washington Post“S e i t e | 76

VON ULRIKE LANGER

Auslandkorrespondentin und

Medienberaterin, Seattle

Fokus USA: Aus der Werkstatt von „New York Times“ und „Washington

Post“

Mit einem Knalleffekt reihte sich die „New York Times” (NYT) im Juni 2014 als erste

überregionale US-Zeitung, die Native Advertising produzierte, in die Riege von Buzzfeed,

Forbes und Co. ein. „Women Inmates”, ein gesponserter Beitrag über amerikanische

Frauengefängnisse, war die erste große Kreation des frisch gegründeten T-Brand-Studios

unter der Leitung von Sebastian Tomich. Das opulente multimediale Dossier “Women

Inmates” enthält Illustrationen von Star-Illustrator Otto Steininger, der unter anderem für

das Magazin „The New Yorker” arbeitet.

Es dreht sich um Frauen in Haft und somit

um ein zivilgesellschaftlich wichtiges

Thema. Aber im Beitrag selbst kommt als

einziger Hinweis auf den Anlass der

Kampagne - den damals bevorstehenden

Start der zweiten Serienstaffel - nur Piper

Kerman als Autorin des gleichnamigen

Buches und zugleich Hauptfigur der Serie

zu Wort. Stünden in der Dachleiste nicht

die Logos von Netflix und „Orange is the

New Black”, dann wäre dieser Beitrag

durch nichts von anderen hochwertigen

NYT-Beiträgen zu unterscheiden. Was

wiederum für Jeff Jarvis die Frage

aufwirft, warum sich die NYT nicht auch

ohne Netflix als Geldgeber schon längst

dem brisanten Thema gewidmet habe (s.

Interview auf Seite 36).

An diesem noch immer wegweisenden

Beispiel, das in der Branche als das „Snowfall” des Native Advertising gelobt wurde, zeigt

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B D Z V Fokus USA: Aus der Werkstatt von „New York Times“ und „Washington Post“S e i t e | 77

sich deutlich, was die Werbeform zu leisten vermag und was im Idealfall der Unterschied zu

herkömmlichen Verlagssonderveröffentlichungen oder Advertorials ist: Der Anlass eines

Native Advertising-Beitrags ist werblich, der Inhalt aber ist es nicht. Er ist informativ und

anregend und regt Nutzer dazu an, ihn weiter zu verbreiten. Nach einer internen

Auswertung der NYT und vergleichenden Messdaten des Social-Analytics-Dienstleisters

Nudge beschäftigten sich die Nutzer mit den Inhalten des Dossiers auf der NYT-Website aktiv

durchschnittlich länger als drei Minuten. Das NYT-Special wurde rund 6.700 mal in sozialen

Netzwerken geteilt und Netflix bekam dadurch zusätzlich durch die virale Hebelwirkung

mehr als 145.000 Aufrufe kostenfrei obendrein.

Seitdem ist das T-Brand-Studio, das getrennt von der übrigen Redaktion operiert, von

zunächst neun auf mittlerweile rund 40 Mitarbeiter angewachsen. Allerdings hat keine in der

Inhouse-Abteilung entwickelte Kampagne bisher ähnliche Furore gemacht wie die „Women

Inmates”. Erfolgreich waren unter anderem Shell, die Schuhmarke Cole Haan und United

Airlines mit einer Werbeaktion, die allerdings schon einige Monate vor der Netflix-Kampagne

lief. Eine interaktive Grafik zeigte im Januar 2014, wie weit die teilnehmenden Athleten

jeweils zu den olympischen Winterspielen in Sotchi anreisen mussten. Das Dossier mit der

Grafik als Kernelement erzielte in kurzer Zeit fast 200.000 Abrufe und wurde somit mehr

genutzt als viele redaktionelle Beiträge in der NYT.1

Der Computerhersteller Dell veröffentlichte im vergangenen Winter über mehrere NYT-

Plattformen hinweg eine native Kampagne zu Themen aus der Arbeitswelt, in denen es

ebenfalls nicht offensichtlich darum ging, mehr PCs zu verkaufen. Für die auf drei Monate

angelegte Kampagne bezahlte Dell nach vom Fachblatt Advertising Age zitierten NYT-

Insidern2 einen sechsstelligen Millionenbetrag und bekam dafür mehrere Artikel in nativen

Formaten plus Werbebanner. Die darin enthaltenen Beiträge wie „Werden Millenials ihr

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B D Z V Fokus USA: Aus der Werkstatt von „New York Times“ und „Washington Post“S e i t e | 78

Büro in Unternehmen jemals völlig aufgeben?” wurden teilweise von freien Mitarbeitern der

NYT verfasst und ebenso verlinkt und mit Vorschauen platziert wie redaktionelle Beiträge.

Sie wurden allerdings nicht in sozialen Netzwerken beworben. Auch nach Ablauf der

Kampagne sind die Beiträge auf der NYT-Website noch auffind- und abrufbar3.

_______________________________________________________________

„Der Anlass eines Native Advertising-Beitrags ist werblich,

der Inhalt aber ist es nicht.“

Ulrike Langer

Im vergangenen Jahr erzielte die NYT mit nativer Werbung noch nicht einmal ein Zehntel

ihrer digitalen Werbeumsätze, die insgesamt rund 182 Millionen Dollar betragen. Doch das

soll sich ändern. Im Herbst 2015 soll ein entscheidender Hebel umgelegt werden. Dann

nämlich will die NYT auf mobile Banner und Layer-Ads, die sich über den ganzen Bildschirm

legen, komplett verzichten. „Wir wollen dahin kommen, dass wir unseren Nutzern diese

unerfreulichen Werbeformen ersparen”, kündigte Chief Revenue Officer Meredith Levien,

die Unternehmensbeauftragte für Wachstum und neue Umsatzfelder, Anfang August 2015

gegenüber AdAge an.4

Die NYT zieht damit Konsequenzen aus einer Erkenntnis, die alles andere als ein

Branchengeheimnis ist: Niemand mag die real existierenden Formen mobiler Werbung.

Smartphone-Nutzer hassen Display-Ads, weil sie sich oft quer über den Bildschirminhalt

legen und man sie beim Scrollen kaum wegbekommt, ohne sie unwillentlich anzuklicken.

Marketer und ihre Kunden finden die kreativen Möglichkeiten des Banners bestenfalls

bescheiden und ärgern sich über hohe Fehlklickraten. Und Publisher wie die „New York

Times” merken, dass technologisch viel innovativere Wettbewerber, allen voran Facebook,

ihnen mit Riesenschritten davon eilen und ihnen nur die Umsatzkrümel auf dem rasant

mobilen Werbemarkt übrig bleiben.

Statt mobile Unterbrecherwerbung entwickelt das T-Brand-Studio seit Neuestem mobile

Werbeformen, die eher an die werblichen Status-Updates und Tweets bei Facebook und

Twitter erinnern. Die neue Werbeform sollen als „Mobile Moments” vermarktet werden.

Dabei will die NYT nach dem Prinzip „Weniger ist Mehr“ verfahren. Es werde weniger mobile

Werbung geben - jeder einzelne Nutzer soll höchstens sieben mobile Momente pro Tag zu

sehen - bekommen, dafür soll die Werbung aber jeweils fast den gesamten mobilen

Bildschirm ausfüllen und hochwertig anmuten, kündigen Levien und Tomich an. Die „Mobile

Moments” sollen nicht nur inhaltlich, sondern auch situativ stärker an Nutzerinteressen

angepasst werden als herkömmliche mobile Werbung. So wird am frühen Vormittag, wenn

ein Nutzer die Nachrichtenlage eher flüchtig scannt, ein textlastiger „Moment” zu sehen

sein. Nutzer, die am Frühstückstisch oder auf dem Weg zur Arbeit schnell ihr Smartphone

checken, bescheren nämlich der NYT ein Viertel ihres gesamten mobilen Traffics. Später am

Tag und abends sollen die neuen mobilen Werbeformate dann auch Fotos, Video- und

Audio-Content enthalten.

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Wie schon bisher bei nativer Desktop-Werbung will das T-Brand-Studio die Inhalte der

Kampagnen Inhouse für und gemeinsam mit den Werbekunden entwickeln. „Das ist in

unseren Augen echtes Native Advertising”, so Tomich gegenüber AdAge. „Wir stellen

unseren Kunden im Grunde die gleichen Werkzeuge zur Verfügung, die unsere Redakteure

auch benutzen.” Dazu sollen beispielsweise automatisch abspielende Videos und

eingebettete Diashows gehören. Die Umsetzung dieses Konzepts soll noch einige Zeit

dauern, aber dann, sollen alle oder zumindest fast alle redaktionellen Elemente auch

Werbekunden zur Verfügung stehen. „Und das ist dann in unseren Augen echtes Native

Advertising”, betont NYT-Umsatzsteigerungschefin Levien.

„Washington Post” - Algorithmus von Amazon für native Kampagnen

Auch bei der „Washington Post” wurde die früher so oft zitierte Wand zwischen Redaktion

und Marketing eingerissen. Was nicht bedeutet, dass bei der Traditionszeitung das Streben

nach Qualitätsjournalismus aufgegeben wurde. Jahrzehntelang zehrte das Blatt vom Glanz

der Aufdeckung des Watergate-Skandals. Es galt aber auch als behäbig und mangels

innovativer neuer Geschäftsideen als Qualitätszeitung im wirtschaftlichen Niedergang. Das

hat sich seit dem Verkauf der Zeitung an den Amazon-Gründer und -Chef Jeff Bezos vor zwei

Jahren grundlegend geändert. „Wir müssen uns von der Idee verabschieden, dass die

redaktionelle und betriebswirtschaftliche Seite eines Zeitungsverlags isoliert voneinander

arbeiten können”, benannte der seit 2013 amtierende Chefredakteur Martin Baron jüngst in

einem Vortrag5 an einer kalifornischen Universität ganz pragmatisch eine der “brutalen

Wahrheiten” des Medienwandels. Ohne die Prinzipien einer unabhängigen und ehrlichen

Berichterstattung aufzugeben, müssten sich Redaktionen daran beteiligen, Produkte zu

entwickeln, die Anzeigenkunden attraktiv finden, die Leserschaft vergrößern und beide

Seiten gleichermaßen befriedigen, glaubt Baron.

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Seit November 2014 bietet die WP ihren Anzeigenkunden als Erweiterung seiner Native

Advertising Plattform „Brand Connect”6 eine so genannte „Brand Connect Perspective” an.

Im offenen Meinungsteil „Op-Ed”, der üblicherweise Wissenschaftlern, Prominenten,

Politikern oder anderen Personen mit öffentlich relevanter Meinung ein Sprachrohr gibt,

können sich Werbekunden unter der deutlich sichtbaren Bezeichnung „Perspectives” mit

Namensbeiträgen einkaufen. Erster Werbekunde war Bayer, seitdem gab es im Meinungsteil

rund 50 weitere Kampagnen von Unternehmen wie beispielsweise Audi, AirBnB, Mercedes

Benz, Philips und Shell.

_______________________________________________________________

„Wir müssen uns von der Idee verabschieden, dass die redaktionelle

und betriebswirtschaftliche Seite eines Zeitungsverlags isoliert

voneinander arbeiten können. “

Martin Baron, Chefredakteur Washington Post

Page 82: Reader „Native Advertising

B D Z V Fokus USA: Aus der Werkstatt von „New York Times“ und „Washington Post“S e i t e | 81

Anders als bei der „New York Times” gehört zum Leistungsumfang von WP „Brand Connect”

keine umfangreiche Beratung oder gar Inhouse-Produktion. Die „Perspectives” werden von

den Unternehmen selbstständig veröffentlicht und erinnern damit eher an die „Brand

Voices” von Forbes. Allerdings gibt die Abteilung ihren Kunden eine ausführliche Anleitung,

wie Content beschaffen sein müsse, um von Nutzern für werthaltig befunden und

weitergeleitet zu werden. Zu den Tipps gehören:

Erzählen Sie eine bildliche Geschichte

Gehen Sie über eine Presseerklärung hinaus

Bieten Sie Einblicke hinter die Kulissen

Schreiben Sie für Leser, nicht für Experten

Bieten Sie exklusive Informationen

Passen Sie ihre Inhalte an die aktuelle Nachrichtenlage an

Zusätzliche Tipps für Beiträge, die gedruckt erscheinen, heben auf die auch in den USA noch

hochgehaltene Werthaltigkeit von Zeitungen ab. „Print ist greifbar und vermittelt den

Eindruck von Permanenz”, heißt es in den Tipps. Die wichtigste journalistische Frage

allerdings, die Unternehmen sich stellen sollten, lautet (so ein Ratschlag aus der Liste):

„Warum produziere und verbreite ich diesen Inhalt?” Das klingt alles nicht anders als die

Grundsätze, die Journalistenschülern und Volontären in ihrer Ausbildung ebenfalls vermittelt

werden.

Eine interessante Erweiterung bietet die WP seit dem Frühjahr 2015 an. Ähnlich wie der

Vorschlagsalgorithmus von Amazon („Kunden, die X kauften, interessierten sich auch für Y”)

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soll das Tool „Clavis” (Lateinisch für Schlüssel) dafür sorgen, dass nicht mit der Gießkanne

alle, sondern die richtigen Leser die jeweils passenden nativen Werbebeiträge zu sehen

bekommen. Ein ähnliches Verfahren optimiert schon seit einiger Zeit die Empfehlungsliste

mit weiteren Beiträgen, die für jeden Nutzer je nach Lesehistorie anders aussieht.

Clavis gleicht nun zusätzlich die Lesehistorie mit nativen Beiträgen in der Datenbank ab und

zeigt nur Inhalte an, die zum Interessenprofil des jeweiligen Lesers passen. Dieses Angebot

wird unter dem Namen „Brand Connect Intelligence” vermarket. Bisher geschieht das noch

ausschließlich manuell, doch die WP arbeitet laut dem Fachdienst Digiday7 daran, das

Verfahren zu automatisieren und somit zu skalieren. Mit dem optimierten

Vorschlagsalgorithmus konnte die WP im vergangenen Jahr ihre Seitenaufrufe gegenüber

dem Vorjahr verdoppeln. Weshalb man dort optimistisch ist, den Erfolg auch beim Native

Advertising wiederholen zu können.

1 Nathalie Tadena, “NYT Readers Spend Same Amount of Time on Paid Posts as News Stories”, Wall Street Journal, 14.05.2014, http://blogs.wsj.com/cmo/2014/05/14/nyt-readers-spend-same-amount-of-time-on-paid-posts-as-news-stories/ 2 Michael Sebastian, Five Things to Know About The New York Times' New Native Ads, Advertising Age, 08.01.2014, http://adage.com/article/media/york-times-debuts-native-ad-units-dell/290973/ 3 Bezahlte Dell-Posts bei nytimes.com: http://ad-assets.nytimes.com/paidpost/dell/will-millennials-ever-completely-shun-the-office.html#.VdC1axNVikr 4 Tim Peterson, “New York Times Plans to Make its Mobile Ads More Native, Less

Interruptive”, Advertising Age, 04.08.2015, http://adage.com/article/media/york-times-

plans-add-mobile-native-ads-september/299814/ 5 Washington Post Executive Editor Martin Baron on journalism’s transition from print to digital”, The Washington Post, 08.04.2015, https://www.washingtonpost.com/pr/wp/2015/04/08/washington-post-executive-editor-martin-baron-on-journalisms-transition-from-print-to-digital/ 6 WP Brand Connect, http://www.washingtonpost.com/sf/brand-connect/ 7 Lucia Moses, “The Washington Post takes an Amazon-inspired approach to native ad targeting”, Digiday, 17.04.2015

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B D Z V Die Autoren S e i t e | 83

Die Autoren

Robert DANCH,

Inhaber der Kommunikationsagentur Büro DC, Köln

Barbara GEIER,

freiberufliche Medienjournalistin und Kommunikationsberaterin, London

Anne-Marie GROTE,

Stellv. Pressesprecherin beim Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft ZAW, Berlin

Holger KANSKY,

Referent Multimedia beim BDZV, Berlin

Lukas KIRCHER,

Geschäftsführer, C3 Creative Code and Content, Berlin

Ulrike LANGER,

Fachjournalistin für digitale Medieninnovationen, Seattle/USA

Dr. Bernd NAUEN,

Geschäftsführer beim Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft ZAW, Berlin

Die Interviewpartner

Dirk von BORSTEL,

Geschäftsführer OMS, Hamburg

Nicolas L. FROMM,

Geschäftsleitung Digitale Medien, medien holding:nord gmbh, Flensburg

Jochen HERRLICH,

Geschäftsführer Funke Digital, Berlin

Oliver HORST,

Geschäftsführer RP Digital, Düsseldorf

Jeff JARVIS,

Journalismus-Professor, Berater und Buchautor, New York

Sarah PAULS,

Head of Partner Studio ForwardNews+ GmbH, Köln

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B D Z V Die Autoren S e i t e | 84

Stefan PLÖCHINGER,

Chefredakteur Süddeutsche.de und Mitglied der Chefredaktion "Süddeutsche Zeitung"

Hansi VOIGT,

Geschäftsführender Chefredakteur watson.ch, Zürich

Jochen WEGNER,

Chefredakteur/Editor-in-Chief www.zeit.de, Berlin

Patrick WÖLKE,

Geschäftsführer DuMont Net, Köln

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B D Z V Geschäftsbereich Digital beim BDZV S e i t e | 85

Geschäftsbereich Digital beim BDZV

Hans-Joachim Fuhrmann Holger Kansky

Mitglied der Geschäftsleitung Referent Multimedia

Telefon 030/726298-210 Telefon 030/726298-213

E-Mail: [email protected] E-Mail: [email protected]

Impressum

Native Advertising Report

Berlin 2016

Redaktion: Holger Kansky, BDZV

Die Beiträge geben die Auffassung der jeweiligen Autoren

wieder. Diese müssen nicht unbedingt mit der des BDZV

übereinstimmen.

Bilder: BDZV, C3, Medientage München, ZAW

Redaktionsschluss: Januar 2016

© BDZV e.V.

Markgrafenstraße 15 - 10969 Berlin

Tel.: 030/726298-0, Fax: 030/726298-217

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