Rainer Nocht, Himmelsmarmor

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Roman, Leseprobe

Transcript of Rainer Nocht, Himmelsmarmor

Edition ZeitGeist

RAINER NOCHT

HIMMELSMARMOR

Rainer Nocht, Himmelsmarmor

Roman

1. Auflage, 2012

Lektorat: Vida Winter

Logo: V-print B.V., Niederlande

Autorenfoto: © Rainer Nocht

Umschlagillustration: © Rainer Nocht

Covergestaltung: Mathias Weise; net-Verlag, Hennef

Satz: BG2B

Druck: V. Lindemann, Offenbach

© Rainer Nocht

© GolubBooks

ISBN 978-3-942732-09-3

Printed in Germany

GolubBooks, Karlsruhe

www.golub-books.de

Vermutlich brauchte es viel Geduld,

Deine liebenswerte Trotzigkeit und Nähe,

um das Entstehen meines neuen Romans zu

begleiten.

Deine Liebe schenkt.

Danke, Kari

Kapitel

Patio 9

Consuela 10

Leon 20

Geraldines Abschied 27

Die Rosemarie 48

Die Flucht 53

Casa el Calor (Haus der Wärme) 67

Verpuffung 73

An der Elbe 84

Rund um Vier 97

Playa de Sotavento 100

Hinter Morgen 106

Nachtmahr 110

Candle-light-Frühstück 121

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Rainer Nocht 129

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Patio

Der Himmel liegt auf meinem Tisch. Scheint sich für den Moment auf der Platte eingebrannt zu haben, stutzt Leon, als er seine Espressotasse auf den Marmortisch stellt und die Zigarette ausdrückt. Wie an fast jedem Abend in den letzten Jahren, seit der Nacht, als er aus Deutschland floh. Vor Rosemarie, deren Charakter dem ersten Anschein seines Asyls ähnelt. Fuerteventura ist schroff, wirkt abweisend. Braucht aber keine Kulissen, keine glamourösen Fassaden, um wie Rosemarie, das Spröde zu verbergen. Und selbst ihre Spröde ist nur die oberste Kruste auf einer Melange aus Niedertracht und Verletzungen, die sie über mich ergoss. Deshalb sitze ich hier, in dem Patio meines kleinen Hauses. Dessen Mauern mir eine neue, eigene Wärme geben. Die mehr ist, als es die in jedem Stein gespeicherte Tageshitze könnte. Weil diese nur thermisch wäre, nur reflektierte, was sie aus dem Tag sog. Lediglich das Jetzt abstrahlen würde, ohne Erinnerungen an den Tag davor und ohne Versprechen für morgen. Doch es waren die Erinnerungen und mein mir gegebenes Versprechen, die meine Hände vor dreieinhalb Jahren für Monate zu Pranken werden ließen. Als ich jeden Tag auf der Baustelle war, in die in den Fels gemeißelte Grube schaute, einen Brunnen grub, und mithalf, die Mauern hochzuziehen. Für die Räume, die meinen Innenhof rahmen, dem Haus eine Mitte geben, die es zulässt, in Geborgenheit in den Himmel zu schauen. Inzwischen ohne das Gefühl, dass zu viele Dochte in mir brennen.

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Consuela

Sie ging vor wenigen Minuten, als mein halbvoller Espresso noch warm war. Ihre Serviette liegt auf dem Tisch. Achtlos gefaltet, mit dem über die Knitter verteilten Abdruck ihrer Lippen. Und daneben ihr Weinglas, an dessen Rand ihr Lippenstift seine unzerknüllte Spur hinterließ. Bevor sie über meine Hand strich, ihr meine Serviette entzog, und sagte, dass sie nun gehen müsse, um noch einmal bei ihrem Laden vorbeizuschauen. Da sie sich unsicher war, ob sie die Rollgitter vor der Tür und dem Schaufenster herunter gelassen hatte. Consuela ist zu ordentlich, um es nicht zu wissen, aber zu versucht, Begehrlichkeiten zu säen. In homöopathischen Dosen, damit ich sie als Frau nicht übersehe, sie spüren, und nicht nur erinnern möge. Mit ihrer Anmut, ihrer Weiblichkeit und ihren spontanen Herzsprüngen, deren Natürliches mich zuweilen sprachlos anzieht. Ich mag Consuela. Eine der beiden Kerzen auf dem Tisch wird sich in Kürze verabschieden. Aufbäumend und schnell wieder fast verlöschend, sucht die Flamme nach einem Rest von flüssigem Wachs im Stumpf des Kerzenhalters. Leon pustet sie aus, entfernt den Stumpen aus dem Halter und legt ihn in eine der beiden leeren Espressotassen, die noch vom Abendessen mit Consuela auf dem Tisch stehen. Eigentlich hätte er gleich abräumen sollen, nachdem er sie zur Tür gebracht hatte und wieder in seinen Patio trat. Doch der Wunsch, erst noch eine Zigarette zu rauchen, sich kurz zu setzen und die Gespräche des gemeinsamen Abendessens nachklingen zu lassen, war in dem Augenblick stärker, als der Ruf der Pflicht. „Wat mutt, dat mutt“, schießt es Leon in den Kopf und verbindet sich für einen Moment mit dem Erstaunen darüber, wie sehr mütterliche Ermahnungen aus der Jugendzeit einen sechzig-jährigen Mann noch antreiben können. Mit verjährter Folgsamkeit beginnt er

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Consuelas Hinterlassenschaften in die Küche zu tragen, und lässt ihre Serviette, wo sie sie ablegte. Um bei der Gelegenheit noch eine Flasche Rioja zu entkorken und Poseidon seinen Futternapf zu füllen. Poseidon, schmunzelt er kopfschüttelnd vor sich hin, während er die Dose auskratzt. Eigentlich ein törichter Name für einen Mischlingsrüden. Aber er scheint sich in den zweieinhalb Jahren daran gewöhnt zu haben. Wie sollte ich einen Hund auch nennen, der, wie vom Hai verfolgt aus dem Meer stürmte, sich vor einem das Wasser aus dem Fell schüttelte, und nicht mehr von meiner Seite wich. Selbst vor dem Supermarkt wartete er geduldig, bis ich nach dem Strandspaziergang meine Einkäufe erledigt hatte. Aber vermutlich war es nur die Fuert-Salami, die aus meiner Einkaufstüte ragte, und den letzten Ausschlag dafür gab, den gemeinsamen Weg fortzusetzen. Wenn gleich unser Start recht holprig war. Ich wollte keinen Hund. War auch vom Equipment her überhaupt nicht darauf vorbereitet. Und als alle Versuche, ihn auf dem Heimweg abzuschütteln oder auszutricksen fehlschlugen, machte ich die Haustür hinter mir zu, und ließ ihn dort sitzen. Ein eindeutiges Signal, dachte ich, und hoffte, er würde sich irgendwann trollen. Spätestens, wenn er Hunger spürte, und er sich erinnern würde, an welchem Hintereingang eines Restaurants oder Hotels immer etwas zu holen sei. Als ich nach einigen Stunden durch das Fenster neben dem Eingang blickte, saß er immer noch da. Hatte nicht ein einziges Mal gebellt oder gejault. Kurz vor dem zu Bett gehen schaute ich noch mal nach. Er war fort. Geht doch, dachte ich. Es gab keine Erinnerung an einen Hund, als ich mich morgens auf den Weg zum Bäcker machte und mir beim Zuschließen der Haustür den Restschlaf aus den Augen rieb. Bis eine Zunge einen langen, feuchten Strich vom Mokassin bis zur Kniekehle über mein Bein zog. Es wurde ein spätes Frühstück. Für uns beide. Ich war inzwischen Besitzer zweier Näpfe und diverser Dosen Hundefutter. Nach dem Frühstück wurde der Hund in

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Erinnerung an unsere erste Begegnung getauft. Ohne Zeremonie, nur durch konsequente Namensnennung. Und Poseidon begann das Haus zu erkunden, ließ an der einen oder anderen Stelle erahnen, was später seine bevorzugten Plätze sein würden, bevor wir Shoppen gingen. Halsband, Leine und Belohnungshäppchen schienen sein Wohlwollen zu finden, den Besuch beim Tierarzt mit Entwurmung und Impfung nahm er mir ebenso übel, wie das erste Bad mit Hundeshampoo. Er ließ mich unmissverständlich spüren, dass er diesen Teil des Weges in die Hundezivilisation als Zumutung empfand, und suchte sich immer den Platz, der am weitesten von meinem entfernt war. Bis ich abends die Rippchenknochen in eine Ecke der Terrasse legte. An der Tür von der Küche zum Patio bleibt Leon einen Augenblick stehen, lehnt sich an den Rahmen und saugt die noch warme Abendluft in sich ein, während sein Blick über die große Terrasse gleitet. Ein richtiger Patio ist es ja nicht, - aber für mich ist es einer, kontert Leon in Gedanken den despektierlichen Hinweis seines ehemaligen Berufsstandes als Architekt. Immerhin ist es eine an dreieinviertel Seiten ummauerte Fläche unter freiem Himmel. Und es wäre Sünde gewesen, die unverbaubare Sicht auf Morro Jable und das Meer zuzumauern. Die Weite, den Wind des Meeres und die entfernten Geräusche, die gelegentlich aus dem kleinen Ort hochdringen auszuschließen, nur, um strengen Kriterien der Architektur zu frönen. Es ist besser so. Ein kaum wahrnehmbares Lächeln huscht über Leons Gesicht, während er auf die vielen Terrakotta-Töpfe schaut, die an den Wänden seines Patios aufgereiht sind. Mit Lavendel, Hibiskus und Oleander, und der riesigen Engelstrompete mit ihren weiß-rosa Blütenkelchen. Mit der Bouganvilla, deren Zweige schon an der Dachkante entlang ranken. Und dem gemauerten Kamin, dessen Feuer wohlige Wärme abstrahlte, wann immer an den bisherigen

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Novemberabenden die Temperatur auf 16 bis 18 Grad herunter ging. So, wie letzten Mittwoch. Als Consuela am frühen Abend vor der Tür stand. Unangekündigt, und sich hinter der gewaltigen Einkaufstüte, die sie mit beiden Armen umklammerte, versteckte. Ehe ihr Gesicht langsam zwischen der aus der Tüte herausragenden Lauchstange und dem Baguette zum Vorschein kam. Und ihr Anblinzeln die Eintrittskarte für meinen Patio löste. „Deine Terrasse ist die schönste in Morro Jable. Und da heute Leonidensturm ist, dachte ich… .“ „Komm rein, Consuela, ich freue mich!“ „Vielleicht ist ja d i e Sternschnuppe dabei“, sagte sie mit einem angedeuteten Achselzucken, „und ich bin gerne in deiner Nähe.“ Gab mir im Vorbeigehen einen flüchtigen Kuss auf die Wange, und trug ihre Tüte in meine Küche. „Du überrascht mich immer wieder auf das Schönste, Consuela! Ich wollte mir auch gerade mein Abendessen machen. Etwas Salat und Brot, ganz schlicht. Aber die Üppigkeit Deiner Tüte lässt mich ahnen…“ „Man muss halt stark sein, wenn der Himmel sprüht, Don Leonhardt, so eine Schnuppe könnte ja theoretisch auch bei Dir einschlagen, also, ich meine im Patio.“ Meine ganzen Vornamen benutzt Consuela selten. Nur, um ihren Worten Nachdruck zu geben oder Akzente zu setzen. Denen sie dann hin und wieder einen Schleier überwirft. Leonhardt mochte ich noch nie besonders, klingt beschwert. Lastend, wie der größte Teil der elf Jahre mit Rosemarie, die mich immer so nannte. Egal in welcher Situation. Bei Consuela klingt es nur synthetisch, wie aus einem Sprachcomputer. Weil der Name zu hart für die spanische Sprache ist, in der wir miteinander reden. Und die mich immer begleitete, mich phasenweise spanisch träumen ließ. Seit ich mit Fünf in den spanischen Kindergarten in Madrid kam und mein erstes Schuljahr in einer spanischen Klasse erlebte. Nicht, wie die

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anderen Kinder der Mitarbeiter der deutschen Botschaft, die in eine gesonderte Schule gingen. Leonhardt von Bordersund war einfach nur Leon, „el alemán“, in der Grundschule des Stadtviertels Salamanca. Und Alejandro, mit dem ich heute noch befreundet bin, könnte auf jede Stelle an seinem Schienenbein zeigen, an dem ich ihn traf. Offene Wunden oder Prellungen hinterließen, weil ich beim Fußball zu stelzig war, um ihn mit der gleichen Geschmeidigkeit zu umspielen, wie die spanischen Jungs. Zwei hießen auch Leon, ohne Zusatz, weil sie den Ball trafen. Es war wohl Mutter, die meinen Namen aussuchte. Ich kann sie nicht mehr fragen. Und Consuela wollte ich nicht fragen. Warum sie Leonhardt statt Leon sagte. Es war zu nebensächlich, um ihrer Koketterie die Leichtigkeit zu rauben. Das Kribbeln in den Fingern erinnert Leon, dass er immer noch mit der Rioja-Flasche in der Hand im Türrahmen steht. Er stellt sie auf den Marmortisch, holt noch eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank, den Ton-Kühler aus dem Eisfach, und lässt sich in seinen Korbsessel fallen. Begleitet von Poseidon, der inzwischen alle in seinen Fressnapf gelegten Lammknochen vom Abendessen mit Consuela nach draußen trug, und zu einem ansehnlichen Häufchen neben Leons Sessel gestapelt hat. Es ist schon abstrus, entfachen seine Gedanken an Consuela aufs Neue. Beim ersten Kontakt vor gut zwei Monaten habe ich sie überhaupt nicht als Frau wahrgenommen. Lediglich als Atelier-Besitzerin, die in ihrem Laden wunderschöne, selbstgestaltete Wohnaccessoires feilbietet. Erst beim Herausgehen aus ihrem Laden, begannen sich ihre angedeuteten Komplimente zu meinem Aussehen und meinem Geschmack zu einem Potpourri zu fügen. Dessen Finale mein Ja zu ihrem Drängen war, die gekauften Schätze am nächsten Tag in mein Haus zu liefern. In ihrer Siesta, zwischen halb Zwei und Vier, und natürlich nur ausnahmsweise. Als ich ihren

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Laden verließ, drehte ich mich noch einmal um. Sah Consuela zwei Pirouetten auf ihrem Weg zum Kassentisch drehen. Ihr Rock schwang kegelförmig von der schlanken Taille abwärts, während sie mit den Händen ihr langes Haar im Zaum hielt. Und ich hatte plötzlich keinen Zweifel, dass höchstens eine Pirouette meinem Umsatz galt. Ich blieb noch einige Momente stehen, und schaute Consuela zu, die, mir mit dem Rücken zugewandt, an ihrem Ladentisch Dinge hin und her schob. Ihr Haar ruhte wellig auf ihren Schultern, auch wenn sie ihren Kopf ab und zu neckisch auf die Seite kippen ließ, und es mir mit jeder Sekunde schwerer machte, mich von dem Schaufenster zu lösen. Aber es wirkte albern, sich nach dem Einkauf die Nase an der Scheibe platt zu drücken. Morgen würde ich sie wiedersehen. Wenn sie nicht doch noch einen Boten schickt. Als Consuela am nächsten Tag lieferte, stellten wir alles auf oder hängten es dorthin, wo ich es in Gedanken sah, als ich in ihrem Laden war und einkaufte. Und an viele Stellen, die Consuela für die einzig möglichen hielt. Sie setzte Landmarken. Und ich spürte nicht den kleinsten Wunsch, mich zu widersetzen. Im Gegenteil. Wann immer ich inzwischen an ihren Marken vorbeiging, erfreute mich die Tatsache, dass sie es dort positionierte mehr, als das Accessoire an sich. Daran änderte sich auch nichts, als Consuela am nächsten Tag anrief, und mir von ihrer nahezu schlaflosen Nacht berichtete. Verursacht durch Gedankenspiele darüber, wo das von ihr, aus Holzplanken eines an der Küste gestrandeten Schoners, gebaute Weinregal einen noch besseren Platz in meinem Wohnzimmer hätte. Einfach viel wirkungsvoller zur Geltung käme. Und fast entschuldigend fügte sie hinzu, dass sie deshalb in der Mittagspause noch einmal kommen müsse. Punkt halb Zwei stand sie vor meiner Haustür, wir stellten das Regal um und tranken Kaffee. Tasse um Tasse, bis Vier. Als sie ging, erinnerte ich sie noch an die ausstehende Rechnung. Zwei Tage später rief Consuela an und fragte, wann sie die vorbei bringen dürfte. Mit meinem Vorwand, dass die spanische Post durchaus

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zuverlässig arbeite, kapitulierte ich alsbald. Was sollte ich auch ihrem Wunsch, noch einmal von ihren handgefertigten Unikaten Abschied nehmen zu wollen, entgegen setzen? Sie kam wieder Punkt halb Zwei, wir tranken Kaffee. Tasse um Tasse, bis Vier. Seit dem Tag nahm Consuela Abschied von ihren Unikaten. Mindestens einmal wöchentlich, seit zwei Monaten. Sie liebt dieses Spiel, scheint sich der Magie des Zaubers zu überlassen. Obwohl Consuela die Formeln spricht, die unser sich Annähern entfalten und die, die ein Erhaschen vermeiden. In dem sie manchmal den Schritt auslässt, der unserer Beziehung neue Nähe gäbe, und den andeutet, der entfernt. Wir umkreisen uns elliptisch. Im Erwarten eines zündenden Funkens. Es gab die Momente. Eine Woche nach dem Consuela die Rechnung vorbei brachte, und mich beim Gehen ein erstes Mal umarmte. Ich hatte sie für den folgenden Samstag zum Abendessen eingeladen. Ins >Cuarento y cuatro<, einem Restaurant an der Promenade von Morro Jable, dessen Namen sich einfach aus der Hausnummer ableitet. Und von der Dachterrasse einen, an manchen Abenden wie gemalt wirkenden Blick auf das Meer schenkt. Nicht in die untergehende Sonne, die verabschiedet sich im Rücken, hinter den Bergen, auf der anderen Seite der Insel. Die Lichter der auf dem Wasser treibenden Fischerboote sind es, die immer wieder zu einem Blick auf die See verleiten. Hinaus, zu den Männern, deren Arbeit jeden Abend um diese Zeit beginnt, während Consuela und ich an dem kleinen Ecktisch Platz nahmen, den ich reserviert hatte. Ein wenig abseits der anderen elf Tische auf der überschaubaren Dachterrasse. Es war ein milder Septemberabend. Seit wir uns gesetzt hatten, nestelte Consuela unaufhörlich an ihrem Kleid. Wir wechselten einige Sätze über die gelungene Tischwahl, und sie zupfte. Wir stießen mit unseren Aperitifs an, und Consuela umstrich den obersten Knopf am Dekoltee ihres durchgeknöpften Kleids. Wir vertieften uns in

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die Speisekarten, und sie fand immer neue Stofffältchen, die ausgerichtet werden mussten. Als ich auf der Seite mit den Desserts angekommen war, blickte Consuela auf die vier übersichtlichen Vorspeisen der ersten Seite. Und ordnete Strähnen ihrer wallenden Haare, die perfekt saßen. Alles war unübertrefflich. Ihr sinnlicher Mund, ihre dunkelbraunen Augen, ihr volles, welliges Haar, das bis auf ihre Schultern fiel, und in seiner Kastanienfarbe mit der gebräunten Haut ihres Dekoltees verschmolz. Mir fiel ihre Anmut ein, mit der sie zum Kassentisch tanzte, als ich nach meinem Einkauf durch das Schaufenster blickte, und ihre Figürlichkeit bewunderte. Was zupft sie? Leise, in den Worten nicht erkennbar, klangen Gesprächsfetzen und das Klappern von Bestecken auf den Tellern an unseren Tisch. Der Kellner drehte auf halbem Wege ab und widmete sich entschlossenen Gästen. „Consuela …“, klopfte ich an der Tür unserer Sprachlosigkeit. Ihr Blick löste sich mit einem Lächeln von der Speisekarte, die sie mit einem einzigen Griff auf die Seite „Fisch“ umblätterte. „Hast du schon etwas ausgewählt?“ „Hier nehme ich immer Fisch. Wirklich unübertroffen. Bestelle mir doch bitte die Seezunge, und entschuldige mich für einen Moment.“ Im Aufstehen legte sie mir ihre Hand auf den Arm und hauchte mir „Ich bin gleich wieder bei dir, nur eine Minute“ ins Ohr. Ich bestellte uns eine Flasche Weißwein, Wasser und das Essen. Schaute auf das Meer, dachte an Consuela und spürte die bescherende Vorfreude auf den Abend mit ihr, der uns vielleicht in meinen Patio führen könnte. Der Kellner brachte den Wein, und wenig später die Beilagenteller mit dem Salat. Der meine ganze Aufmerksamkeit hatte. Weil mich die Frage fesselte, ob das Welken des Salates eine Frauen-Minute überdauern könne. Er sah noch grün aus, die Tomaten rot, als

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Consuela mich von hinten umarmte, ihre Wange an meinem Dreitagebart rieb, und ich ihre Lippen spürte. „Schon bin ich wieder da“, sagte sie. Und unser Lachen eröffnete den Abend. Nach den Stunden auf der Terrasse gingen wir durch die Gassen, über die unzähligen Treppen, hinauf zu meinem Haus am oberen Rand von Morro Jable. „Von oben auf unseren ersten Abend schauen …“, deutete sie an, als wir das Restaurant verließen. Und uns auf den Weg zu meinem Haus machten, ohne, allen Stufen zum Trotz, unsere verknoteten Hände aus ihrem liebevollem Gewahrsam zu lösen. Während Consuela gleich nach unserer Ankunft wieder im Bad verschwand, zündete ich im Patio einige Kerzen an, entkorkte den Wein und goss ein. Schließlich hat Wein ein längeres Verfalldatum, als Salat, und es war ja noch früh am Abend. Erst Elf. Sie kam wieder von hinten, ähnlich, wie auf der Dachterrasse, und gab mir einen Kuss auf die Wange. Spürbar, aber schnell genug, um den Sessel auf der anderen Seite des Tisches zu erreichen. Consuela trank ihr Glas zügig, erzählte von ihrem 52. Geburtstag Ende der kommenden Woche am 4. Oktober, lud mich ein, ihn mit einigen engen Freunden von ihr zu feiern. „Ich möchte, dass meine alten Freunde dich kennen lernen, und ich den ersten Geburtstag mit dir feiern kann.“, sagte sie, und ließ mir kaum Gelegenheit, ihr zu zeigen, wie sehr die überraschende Einladung mich überwältigte. Als sei sie selber über sich erstaunt, leerte Consuela in einem Zug ihr noch unberührtes Wasserglas, und bat mich, beim Taxistand unterhalb der Treppe anzurufen. Der Wagen kam schnell. Wir hatten knapp eine halbe Stunde im Patio gesessen. Zündeln, auspusten, zündeln, wieder anpusten, so heißt unser Spiel, dem vielleicht nur ein Satz fehlt, schließt Leon für den Moment seine Gedanken an die vergangenen zwei Monate mit Consuela.

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Aus dem Ort hallt das Bellen eines Hundes herüber. Vermutlich wieder eine jener Revierverletzungen durch Menschen, die aus den Lokalen kommen und nach Hause oder in ihr Hotel wollen. Poseidon quittiert es mit einem kurzen Anheben seines Kopfes, ehe er sich wieder dem Verdauungsschlaf für die im Magen liegenden Lammknochen überlässt. Selbst ein winziger Positionswechsel wäre jetzt zu anstrengend. Leon schaut auf seine Uhr, es ist fast Elf. Consuela wird schon zu Hause sein, vielleicht schon schlafen? Er nippt an seinem Rotwein und zündet sich eine Zigarette an. Der Abend ist samtig. Langsam lässt Leon den Rauch zwischen den Lippen entweichen und schaut den aufsteigenden Schwaden hinterher. Wie sie sich verflüchtigen, vor dem Marmorhimmel auflösen. Dessen kleine Wolken als Defilee des Vollmondes erscheinen. Ihn für Momente bedecken, die Nacht düster machen, ehe sie sein Licht wieder freigeben. Oder einfach vorbei gleiten. Und mit jeder Annäherung weißer und heller erstrahlen, um sich dann mit den Anderen in ein neues Bild zu fügen. Für das es auch keine Ewigkeit gibt, weil die Augenblicke sich zu einer Nacht aneinander reihen. Der erste kühle Luftzug umweht die Engelstrompete und füllt den Patio mit ihrem Duft. Schön, dass es dich gibt, spürt Leon, als er auf Poseidon schaut, der vor seinen Füßen liegt, und gelegentlich ein wohliges Schnarchen durch seine Lefzen schickt. Leon steht auf, um sich noch einen Espresso zu machen. Es wäre schade um den Abend, die Nacht.