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Rafael Ábalos Grimpow Das Geheimnis der Weisen

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Rafael Ábalos • GrimpowDas Geheimnis der Weisen

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Rafael Ábalos, 1956 in Málagageboren, war zunächst Dozentder Rechtswissenschaft an derUniversität von Granada, biser sich 1984 in seiner Heimat-stadt als Anwalt niederließ. Erhat zwei Romane für Erwach-sene veröffentlicht. »Grim-pow« ist sein erstes Jugend-buch und sorgte bereits Mo-nate vor Erscheinen interna-tional für Furore.

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DER AUTOR

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Rafael Ábalos

Grimpow Das Geheimnis der Weisen

Aus dem Spanischenvon Ilse Layer und Elisabeth Müller

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cbt – C. Bertelsmann TaschenbuchDer Taschenbuchverlag für JugendlicheVerlagsgruppe Random House

Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100Das für dieses Buch verwendeteFSC-zertifizierte Papier Holmen Book Creamliefert Holmen Paper Hallstavic, Schweden.

1. AuflageErstmals als cbt Taschenbuch Oktober 2008Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform© 2005 der Originalausgabe Rafael Ábalos Nuevo© 2005 der Innenillustrationen Fernando Gómez LobatoDie spanische Originalausgabe erschien 2005 unterdem Titel »Grimpow. El camino invisible«bei Random House Mondadori, S. L.© 1988 Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburgfür das Zitat aus Stephen W. Hawking:»Eine kurze Geschichte der Zeit.Die Suche nach der Urkraft des Universums«in der deutschen Übersetzung von Hainer Kober© 2006 der deutschsprachigen Ausgabe cbj Verlag,Münchenin der Verlagsgruppe Random House GmbHAlle deutschsprachigen Rechte vorbehaltenÜbersetzung: Ilse Layer, Elisabeth MüllerLektorat: Angela TroniUmschlagabbildung: © Ferenc Regoes; David ArgemiUmschlaggestaltung: Hauptmann & KompanieWerbeagentur, München–Zürichse · Herstellung: ReDSatz: Uhl+Massopust, AalenDruck: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN 978-3-570-30512-6Printed in Germany

www.cbj-verlag.de

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Für Constantino Bértolo, wen sonst

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Inhaltsverzeichnis

ERSTER TEIL

Die Abtei Brinkum

Eine Leiche im Schnee 13Unverhoffter Besuch 30

Eine Geschichte und eine Legende 55Die Quadratur des Kreises 79Ein Schrei in der Nacht 101

Über den Sternen 121Das Gold der Alchimisten 144

Wollt’ die Sonne den Mond umwerben 166

ZWEITER TEIL

Die Burgen des Steinkreises

Der Baum der Gehenkten 181Der Fluch des Einsiedlers 203Der blutrünstige Räuber 214

Cornille in Flammen 235Der Schlüssel zu dem Geheimnis 261

Beunruhigende Neuigkeiten 272

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In den Sternen liegt Magie 283Die Karte Der Tod 294

Lanzen und Schwerter 306Die Turnierkönigin 319

Endlich die Wahrheit 339Die Herberge von Jan Hinkebein 351

Die Stimme der Schatten 362In ein Fass gesteckt 372

Die versiegelte Kammer 383Zeit und Leben, Zeit und Tod 396

Der Sturm auf die Festung 409

DRITTER TEIL

Der Unsichtbare Weg

Das Dunkel und das Licht 425Wieder vereint 441

Die Barkasse des Troubadours 452Die letzten Worte 461

Eine Blume im Labyrinth 483

Dramatis personae 506Danksagung 507

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Wir leben, so stellen wir fest, in einer befremdlichen Welt. Wir möchten verstehen,

was wir um uns her wahrnehmen, und fragen: Wie ist das Universum

beschaffen? Welchen Platz nehmen wir inihm ein, woher kommt

es, und woher kommen wir?

STEPHEN W. HAWKING

Eine kurze Geschichte der Zeit

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ERSTER TEIL

Die Abtei Brinkum

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Eine Leiche im Schnee

Der dichte Nebel hinderte ihn daran, über seine eigenen Fuß-stapfen in der tiefen Schneedecke hinauszusehen, die sich überdie Berge gelegt hatte. Deshalb bemerkte Grimpow die Leicheerst, als er darüberstolperte und hinfiel. Sofort war ihm klar,welch grausigen Fund er da gerade gemacht hatte, und erstarrte dem toten Mann, der wie schlafend neben ihm lag, ent-setzt ins Gesicht. Voller Angst rappelte er sich sogleich wiederauf, lief so schnell er konnte zur Hütte und stieß dabei dichteAtemwolken aus, wie ein von hungrigen Wölfen gehetztes Reh.

»Was gibt es denn so Dringendes?«, fragte Durlib und öffnetedie Tür, gegen die Grimpow wie von Sinnen gehämmert hatte.

»Da… da drüben liegt ein toter Mann!«, antwortete Grimpow,noch völlig außer Atem, und zeigte auf den weißen Tannenwaldhinter sich.

Durlib wurde blass. »Bist du dir da ganz sicher, mein Junge?«,forschte er erschrocken nach.

Grimpow begnügte sich mit einem Nicken, während er diebeiden Kaninchen, die er an den vereisten Wasserfällen im Talmit Pfeil und Bogen erlegt hatte, auf einen Baumstumpf fallenließ.

»Warte, ich muss erst mein Schwert holen«, sagte Durlib.

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Er verschwand im Inneren der Hütte, griff nach seinem Fell-umhang und schnallte sich sein langes, stets am Eingang hän-gendes Schwert um die Hüfte.

»Los, mein Junge, bring mich zu der Stelle, wo du den Manngefunden hast.«

Wie zwei Gespenster machten sich die beiden im Nebel aufdie Suche nach dem Leichnam des Unbekannten.

Grimpow schritt zügig vorneweg, den Bogen in der Linken,den Köcher voller Pfeile über der Schulter. Er war bereit, auf al-les zu schießen, was sich in der Nähe regte. Sein Herz hämmertewie wild, während er im Schnee nach seinen eigenen Fußab-drücken Ausschau hielt. Die Spuren waren so deutlich und tief,dass es keinen Zweifel gab. Er musste nur denselben Weg zwi-schen den Felsen und Tannen zurückgehen, dann würde derMann, der wie schlafend im Schnee gelegen hatte, wieder vorihm auftauchen.

»Da ist er!«, rief Grimpow, als er die dunklen Umrisse einesin den Schnee eingesunkenen Leibes ausmachte.

Durlib hielt neben ihm inne.»Du bleibst hier und kommst erst nach, wenn ich es dir sage«,

wies er den Jungen an.Die Leiche lag auf der Seite, das Gesicht dem diesigen Him-

mel zugewandt, als hätte der Mann als Letztes den Wunsch ver-spürt, sich von den Sternen zu verabschieden. Er mochte umdie sechzig sein, und nach seiner Kleidung und dem Umhangaus dickem Tuch über seinen Schultern zu schließen, war er von adliger Abstammung, daran hatte Durlib keinen Zweifel. Er ging langsam näher, kniete vor dem Edelmann nieder undschloss ihm die Lider. Das lange Haar, der weiße Bart und dieAugenbrauen des Toten waren von winzigen Eisnadeln bedeckt,die Haut war blau angelaufen und die völlig ausgetrocknetenLippen umspielte ein Lächeln.

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»Er muss erfroren sein«, erklärte Durlib, nachdem er denLeichnam eingehend untersucht hatte. »Ich kann keine Wundeentdecken, die auf Gewalt hinweist. Wahrscheinlich ist er vomPferd gestiegen und hat sich gestern Abend im Nebel verirrt.Dann ist ihm die Kälte in die Adern gekrochen und hat ihm dasBlut stocken lassen. Aber ich glaube, er ist in Frieden gestorben,trotz seines unglückseligen Endes.«

In diesem Moment sah Durlib, dass die rechte Hand desToten zur Faust geballt war, als enthielte sie einen wertvollenGegenstand, von dem sich der Edelmann nicht einmal in denletzten Momenten seines Lebens hatte trennen wollen. Durlibgriff nach der starren, gefrorenen Hand und bog mühsam je-den einzelnen Finger auf, bis ein runder, geschliffener Steinvon der Größe einer Mandel zum Vorschein kam. Er war von ei-ner eigentümlichen, undefinierbaren Farbe, die sich verän-derte, wenn man ihn hin und her drehte.

»Was ist?«, erkundigte sich Grimpow neugierig.»Komm her«, forderte ihn Durlib auf.Als Grimpow neben ihm stand und dem Verstorbenen noch

einmal ins Gesicht blickte, fand er erneut, dass der Mann aus-sah, als schliefe er. Vielleicht ist der Tod nur ein friedlicher, ewi-ger Schlaf, dachte er. Dann bemerkte er den kleinen Stein, denDurlib in der Hand hielt, und fragte: »Was ist denn das für einStein?«

»Vielleicht hat der Edelmann ihn als Amulett benutzt undkurz vor seinem Tod in die Hand genommen, als er die Gewiss-heit hatte, dass er seine Seele Gott anvertrauen muss«, mut-maßte Durlib und warf ihn Grimpow zu. »Nimm du ihn an dich.Von nun an ist dieser Stein mit deinem Schicksal verknüpft«,fügte er in geheimnisvollem Ton hinzu.

Grimpow fing ihn auf. Der Stein fühlte sich trotz der kaltenBergluft warm an.

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»Was soll das heißen, er ist von nun an mit meinem Schicksalverknüpft?«, fragte der Junge verwirrt. So rätselhaft hatte Dur-lib sich noch nie ausgedrückt.

»Wenn er ein Talisman ist, dann beschützt er dich vermutlichvor bösen Geistern und bringt dir Glück«, erwiderte Durlib un-gerührt.

»Ich habe doch schon einen Talisman«, entgegnete Grim-pow, knöpfte sein Wams auf und zeigte ihm das Leinensäckchenmit den Rosmarinzweigen, das ihm seine Mutter vor Jahren um-gehängt hatte.

»Dann hast du jetzt eben zwei und der böse Blick, Flüche undGift können dir nichts mehr anhaben. Aber wie du am erstarr-ten Gesicht dieses Edelmannes erkennen kannst, musst du dichvor der Kälte in Acht nehmen. Offenbar hat ihm der Talismandagegen nicht viel genützt.«

Grimpow musste daran denken, dass seine Mutter immer ge-sagt hatte, er sei im vierzehnten Jahrhundert zur Welt gekom-men und der Vollmond, der in der Nacht seiner Geburt amHimmel geleuchtet hatte, habe ihm alles Glück und Wohlerge-hen verheißen, welches das unselige Schicksal ihr selbst vorent-halten habe. Während der Junge mit den Fingerspitzen überdie polierte Oberfläche des Steins strich, dachte er: Nun wer-den die Prophezeiungen meiner Mutter in Erfüllung gehen.Doch etwas in ihm ließ ihn auch unwägbare Ereignisse be-fürchten, die er nur dunkel vorausahnte und die ein tiefes Un-behagen in ihm auslösten. Er führte diese Beklemmung auf dieBegegnung mit dem toten Edelmann zurück, dessen lebloserLeib vor ihm lag.

Dabei war dies trotz seines zarten Alters nicht die erste Lei-che, die er zu Gesicht bekam. Sobald eine Seuche ausbrach,starben die Menschen in der Gemarkung Ullense wie die Flie-gen. Grimpow hatte daher schon die schwarz verfärbten, ent-

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stellten Leiber zahlreicher toter Männer, Frauen, Greise undKinder gesehen, die wie unheimliche Schreckgespenster vordem Friedhof aufgetürmt gelegen hatten.

All dies ging Grimpow durch den Sinn, als Durlibs erstaunteStimme ihn aus seinen Gedanken riss.

»Sieh dir diese Kostbarkeiten an!«, rief er freudestrahlend.Hastig nahm er seinen Fellumhang ab, breitete ihn auf dem

Schnee aus und kippte sogleich den Inhalt einer ledernen Sat-teltasche hinein, die er unter dem Leichnam gefunden hatte.Im Schutz des Nebels blitzten im fahlen Mittagslicht zwei unter-schiedlich große Dolche auf, in deren Elfenbeinschäfte Saphireund Rubine eingearbeitet waren. Daneben lagen unzählige Sil-bermünzen, ein wenig Schmuck, ein versiegelter Brief sowie ein in einer Holzschatulle verwahrtes goldenes Petschaft, womitKönige und Adlige ihre Schriftstücke als echt zu kennzeichnenpflegten.

»Du willst diese Schätze doch nicht etwa an dich nehmen?«,fragte Grimpow erschrocken beim Anblick der größten Kost-barkeiten, die ihm je unter die Augen gekommen waren.

Durlib starrte seinen Begleiter verdutzt an. »Was redest du da,Grimpow! Wir sind Landstreicher und Diebe! Hast du das etwavergessen?«

»Aber keine Leichenschänder«, gab der Junge unerwartet be-stimmt zurück.

»Ich bitte dich!«, erwiderte Durlib versöhnlich. »In meinemlangen, elenden Leben als Geächteter und gemeiner Wege-lagerer hat mir der Himmel noch nie einen so wertvollenSchatz wie diesen hier vor die Füße gelegt, ohne dass ich dafürKopf und Kragen aufs Spiel setzen musste. Und jetzt verlangstdu von mir, dass ich die Kostbarkeiten nicht an mich nehme?Bist du denn verrückt geworden, mein Junge?«, wollte er erregtwissen.

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Grimpow ließ den Stein in der Hand kreisen und suchte nachArgumenten, um Durlib von seinen Absichten abzubringen.

»Wir haben keine Ahnung, wer dieser Mann ist, woher erstammt und wie er in diese Gegend geraten ist. Vielleicht weißsogar jemand Bescheid, dass er hier vorbeigekommen ist, undmacht sich bald auf die Suche nach ihm.«

»Der Neuschnee hat sämtliche Spuren verwischt, darüberbrauchst du dir also keine Sorgen zu machen«, erwiderte Dur-lib, um ihn zu beruhigen.

»Und sein Pferd?«, hakte Grimpow nach.»Darum werden sich die Wölfe kümmern, falls er überhaupt

ein Pferd hatte.«»Die Wölfe können weder die Zügel noch den Sattel fressen.

Wenn die Sachen gefunden werden, wird man uns des Mordesbezichtigen, und wir müssen eines elenden Todes sterben«, er-klärte Grimpow schlagfertig.

»Daran habe ich gar nicht gedacht«, räumte Durlib ein undkratzte sich am Kopf. »Vielleicht verstecken wir den Schatz lie-ber in der Nähe der Hütte und kommen gegen Abend zurück,um den Verstorbenen zu begraben, bevor es dunkel wird. Einguter Christ überlässt den Leib eines Toten nicht den wildenTieren. Anschließend nehmen wir als Lohn für die Gefälligkeitden Schatz an uns, dann findet seine Seele ihren Frieden mitGott und unsere bleibt frei von jeder Sünde.«

Bei den letzten Worten bekreuzigte er sich wie ein predigen-der Mönch.

»Wir sollten dem Abt von Brinkum Bescheid sagen«, meinteGrimpow trocken.

Durlib machte keinen Hehl aus seiner Verwunderung überden Vorschlag des Freundes. »Dem Abt von Brinkum? Das istder größte Dieb in dieser Gegend, seit die Welt erschaffenwurde! Wenn er den Schatz zu Gesicht bekommt, streicht er ihn

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ganz gewiss als Entgelt für die vielen Messen und Gebete ein,die seine Abtei dem Seelenheil des toten Edelmannes jeden Tagwidmen wird«, gab Durlib voller Hohn zurück.

»Aber er könnte feststellen, um wen es sich bei dem Totenhandelt, und dafür sorgen, dass er in der Klosterkirche beerdigtwird, wie es einem Edelmann gebührt«, entgegnete Grimpowhartnäckig.

»Das Quartier für einen so vortrefflichen adligen Verstorbe-nen wird der gute Abt sich ebenfalls ohne jeden Zweifel groß-zügig entlohnen lassen«, erklärte Durlib, und sein Tonfallwurde dabei noch ironischer.

»Damit haben wir nichts zu schaffen«, sagte der Junge ver-ächtlich.

Aus Durlibs plötzlichem Schweigen schloss Grimpow, dass ersich geschlagen gab.

»Ich frage mich, wer wohl mit solch einem Schatz in der Sat-teltasche allein durch die Berge hier reitet«, meldete Durlibsich nach einer Weile nachdenklich zu Wort.

Grimpow war nicht klar, ob die Frage an ihn gerichtet waroder ob sein Freund sie sich selbst stellte. »Hast du eine Ver-mutung?«, wollte er wissen.

»Vielleicht ist er einer der Kreuzritter, die vor Jahren mit denSchätzen der Ungläubigen aus dem Heiligen Land zurückge-kehrt sind, oder ein Pilger, der in einsamer Buße zu den Reli-quien eines heiligen Apostels unterwegs ist, um sich von seinenSünden reinzuwaschen. Es könnte sich auch um einen ent-machteten König aus einem fernen Reich handeln, der mit demgeflohen ist, was in seine Satteltasche gepasst hat, oder um ei-nen Strauchdieb wie wir, der mit dieser prunkvollen Kleidungseine Untaten vertuschen will. Jedenfalls glaube ich nicht, dasser aus der Gegend stammt. Ich habe noch nie derartige Dolchegesehen, aus bestem Eisen und mit so vielen herrlichen Edel-

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steinen auf den Elfenbeinschäften«, antwortete Durlib wenigüberzeugt.

»Offenbar hatte er eine Nachricht zu überbringen«, sagteGrimpow und deutete auf den versiegelten Brief.

Durlib griff danach und betrachtete ihn von allen Seiten.Dann zog er das goldene Petschaft aus der Schatulle und ver-glich es mit dem Abdruck im Siegellack. Es war eine seltsameSchlange, die sich in den Schwanz biss und so mit ihrem Körpereinen Kreis beschrieb, der von unverständlichen Zeichen um-geben war.

»Das Siegel stammt eindeutig von diesem Petschaft«, bestä-tigte er, nachdem er beide eingehend miteinander verglichenhatte.

»Wenn wir es aufbrechen, erfahren wir vielleicht etwas überden Toten.«

Durlib sah Grimpow erwartungsvoll an, als suchte er im Blickdes Jungen nach der Bestätigung, dass auch er den Inhalt desSchreibens kennenlernen wollte. Genau in diesem Augenblickbegann Grimpow, die verborgene Macht des Steins wahrzuneh-men, während er diesen wie ein Spielzeug mechanisch in derHand kreisen ließ.

»Brich es auf«, erwiderte er, ohne zu zögern.Durlib löste das Siegel mithilfe des kleineren Dolchs, doch

aus seiner Miene war zu schließen, dass ihnen das Öffnen derNachricht gar nichts brachte. Sie war nämlich in Geheimschriftverfasst.

»Was haben diese komischen Schriftzeichen wohl zu bedeu-ten?«, fragte er halblaut.

Grimpow bat ihn um den Brief. Kaum hatte er die Zeilen vorAugen, da reihten sich die Wörter in seinem Kopf auch schonaneinander, als bärge diese seltsame Zeichenfolge keinerleiGeheimnis für ihn.

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»Im Himmel sind das Dunkel und das Licht. Aidor Bilbicum.Straßburg«, las Grimpow flüssig vor, ohne zu begreifen, warumihm ausgerechnet diese und keine anderen Worte über dieLippen kamen, während vor seinem geistigen Auge zahllose un-wirkliche, wirre Bilder erschienen.

Durlib sah ihn mit einer Mischung aus Verblüffung und Arg-wohn an. »Wieso verstehst du, was da steht?«

»Ich verstehe es gar nicht«, gab der Junge zu. »Es ist, alskönnte ich diese Zeichen lesen, ohne die Sprache zu kennen,genauso wie ich ›Vogel‹ oder jedes andere Wort sage, auch wennich es nicht schreiben kann. Ich glaube, es liegt an diesem Stein,dass ich dieses Rätsel lösen konnte«, überlegte er verblüfft.

Gleichzeitig spürte er, wie der seltsame Stein mit seiner Hautzu verschmelzen schien und ihm auf magische Weise ein ganzesUniversum an Wissen eröffnete. Er argwöhnte, der tote Edel-mann höchstpersönlich habe sich seiner Seele bemächtigt.

Auf einmal verwandelten sich die Eisnadeln in den Haarenund an den Augenbrauen des Leichnams in kleine Wassertrop-fen, das Gesicht nahm eine rosige Farbe an, und der Körper be-gann auf dem Schnee zu schmelzen wie eine Wachspuppe inder Hitze des Feuers, bis er gänzlich verschwunden war.

»Bei den Narben eines verprügelten Diebes! Ich will am Gal-gen von Ullense hängen, wenn hier nicht der Teufel die Handim Spiel hat!«, rief Durlib ungläubig aus.

Grimpow hingegen war von dem wundersamen Ereignis kei-

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neswegs überrascht. »Mir scheint, der Mann ist dorthin zurück-gekehrt, wo er hergekommen ist«, erklärte er versonnen. Nochimmer spürte er den Stein in der Hand und war sich nicht ganzsicher, ob er gerade wirklich selbst sprach.

Durlib sah ihn entgeistert an. »Was soll das für ein Ort sein,wo sich die Toten wie durch Zauberei in Luft auflösen?«

»Das weiß ich auch nicht genau. Aber seit ich diesen Stein inder Hand halte, sehe ich Dinge, die dir nicht im Traum einfal-len würden. Und ich kann es mir beim besten Willen nicht er-klären«, antwortete Grimpow.

»Ach komm, red keinen Unfug! Gerade eben hat hier direktvor unserer Nase die Leiche eines Mannes gelegen und jetzt istsie nicht mehr da! Das muss die Zauberei eines Schwarzmagierssein, der mit dem Teufel im Bunde ist«, polterte Durlib los undbekreuzigte sich erneut mit geheuchelter Frömmigkeit.

»Weder Gott noch der Satan hat etwas damit zu tun. Glaubmir«, widersprach der Junge. Er konnte jedoch nicht sagen, wieer zu dieser Erkenntnis kam.

»Also, ich bleibe jedenfalls keine Sekunde länger in diesemverfluchten Wald, um der Sache auf den Grund zu gehen. Sonstschlägt uns das Gespenst des Edelmannes am Ende noch denKopf ab und spießt ihn auf, damit die Geier uns genüsslich dieAugen aushacken können.«

Hastig raffte Durlib den Schatz des toten Edelmannes auf sei-nem Fellumhang zusammen. Er stopfte alles in die Satteltaschedes Verstorbenen und wollte aufbrechen.

»Seit wann glaubst du an Gespenster, Durlib? Irgendetwassagt mir auch, dass der geheimnisvolle Edelmann eine Missionzu erfüllen hatte, einen wichtigen Auftrag, den er nicht wie ge-plant zu Ende bringen konnte. Das werden wir nun für ihnübernehmen müssen, als Gegenleistung dafür, dass wir denSchatz behalten«, erklärte Grimpow.

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Aus Durlibs Miene zog Grimpow den eindeutigen Schluss,dass sein Freund fürchtete, das Amulett des Edelmannes habeihn um den Verstand gebracht.

»Er hat sich also diese einsame, verschneite Berggegend aus-gesucht, um dem Tod ins Auge zu blicken, uns seine Reichtü-mer zu vermachen und anschließend zu verschwinden wieChristus nach der Kreuzigung?«, fragte Durlib angriffslustig.

»Vielleicht war er nur auf der Durchreise, vermutlich nachStraßburg, um diesem Aidor Bilbicum den versiegelten Brief zuüberreichen«, überlegte Grimpow laut.

Durlib seufzte entnervt und machte so große Augen wie eineKröte. »Denk, was du willst! Jedenfalls bringen nur der Leib-haftige und sein Gefolge aus Hexenmeistern, Zauberern undSchwarzmagiern solche Wunder zuwege, wie wir es hier soebenerlebt haben – womöglich zu unserem Unglück und Verder-ben«, begann er. »Wir machen uns also am besten zur AbteiBrinkum auf, bevor die Nacht hereinbricht. Dort nehmen wiram letzten Stundengebet des Tages teil und läutern Körper undSeele mit reichlich Weihwasser. Nur so können wir den Schadenabwenden, den der Geist dieses toten Magiers, Hexenmeistersoder was auch immer uns mit seinen Zaubereien aus dem Jen-seits zufügen will.«

»Verstehe, im Grunde bist du genauso abergläubisch wie ge-fräßig«, stellte Grimpow lachend fest. »Aber dass sich der toteEdelmann, der uns so reich beschenkt hat, an uns rächen will,das glaube ich nicht. Außerdem – was haben wir ihm schon an-getan? Wir wollten ihm doch ein christliches Begräbnis nebendem Altar der Abtei Brinkum verschaffen!«, fügte der Jungeüberzeugt hinzu.

Durlib zog die Augenbrauen zusammen und verlieh so seinenZweifeln Ausdruck. »Ich vertraue darauf, dass die hellseheri-schen Fähigkeiten, die dieser Stein dir offenbar verliehen hat,

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Rafael Ábalos Nuevo

Grimpow - Das Geheimnis der Weisen

Taschenbuch, Broschur, 512 Seiten, 12,5 x 18,3 cmISBN: 978-3-570-30512-6

cbt

Erscheinungstermin: September 2008

Ein großes fantastisches Abenteuer voller Mystik und Geheimnisse Als Grimpow im Wald über einen Toten stolpert, ahnt er nicht, dass damit das größte Abenteuerseines Lebens beginnt. Der Unbekannte trägt einen Edelstein bei sich, der den Jungen aufeine gefährliche Odyssee quer durch Frankreich und auf die Spur des legendenumranktenRitterordens der Templer führt. Grimpow ist wild entschlossen, das Geheimnis des »Steins derWeisen« zu entschlüsseln, auch wenn es sein Leben kosten könnte. Denn die Häscher derInquisition setzen alles daran, den Stein in ihren Besitz zu bringen. • Eine atemberaubende Jagd durch eine mittelalterliche Welt – auf der Suche nach demGeheimnis des »Steins der Weisen«• Mit Enigmen und Wortspielen zum Miträtseln