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QUELLEN UND ABHANDLUNGEN ZUR MITTELRHEINISCHEN KIRCHENGESCHICHTE IM AUFTRAG DER GESELLSCHAFT FÜR MITTELRHEINISCHE KIRCHENGESCHICHTE HERAUSGEGEBEN VON PETER WALTER BAND 105/1

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QUELLEN UND ABHANDLUNGEN

ZUR MITTELRHEINISCHEN KIRCHENGESCHICHTE

IM AUFTRAG DER GESELLSCHAFT

FÜR MITTELRHEINISCHE KIRCHENGESCHICHTE

HERAUSGEGEBEN VON

PETER WALTER

BAND 105/1

Ein Eifler für Rheinland-Pfalz

Festschrift für Franz-Josef Heyenzum 75. Geburtstag am 2. Mai 2003

herausgegeben vonJohannes Mötsch

Teill

Mainz2003

Selbstverlag derGesellschaft für mittelrheinische Kirchengeschichte

04 ( ~4

Der Kaiser und sein Bischof

Kaiser Heinrich VII. und seine "besten Ritter" im Epos derIIVoeux de l' epervier" (kurz nach 1313)

Von Michel MARGUE

In seinem vor zehn Jahren erschienenen Beitrag "Rois et princes cheva-liers" stellt Werner Para vicini eine Liste der Herrscher und Fürsten ausdem Römischen Reich auf, die dem ritterlichen Standesethos des Spätmit-telalters entsprechen'. Neben großen Ritterfiguren wie Kaiser FriedrichBarbarossa, dem Böhmenkönig Johann von Luxemburg oder dem "letztenRitter" Maximilian I., fügt er in diese Aufstellung auch Kaiser Hein-rich VII. (1309-1313) ein, was auf den ersten Blick verwundern mag. Dererste Kaiser aus dem Luxemburger Hause ist eher für seinen gescheitertenVersuch der "Renovatio Imperii"? als auf Grund seiner ritterlichen Tugen-

1 Wemer PARAVICINI,Rois et princes chevaliers (Allemagne, XIIe-XVIe siecles).In: Les princes et le pouvoir au Moyen Age. XXIlIe Congres de la S.H.M.E.S.Brest 1992 (= Public. de la Sorbonne. Serie Hist. Ancienne et Mediävale 28). Pa-ris 1993, S. 8-34, hier S. 10, mit der nüancierten Aussage: Henri VII de Luxem-bourg offre quelques elements de chevalerie.

2 Zu Person und Politik Heinrichs VII. seien hier nur die wichtigsten Studienhervorgehoben: WaIter FRIEDENSBURG,Das Leben Kaiser Heinrichs des Sieben-ten. Berichte der Zeitgenossen über ihn, 2 Bde. Leipzig 1882-1883; FriedrichScHNEIDER,Kaiser Heinrich VII. (= Die Geschichtsschreiber der deutschen Vor-zeit, 14. Jh.; 1-2), 3 Hefte. Leipzig 1924-1928; DERS.,Kaiser Heinrich VII. DantesKaiser. Stuttgart-Berlin 1940; William M. BOWSKY,Henry VII in Italy. The Con-flict of Empire and City-State. Lincoln/Nebraska 1960; G. BENVENUTI,EnricoVII di Lussemburgo (l'imperatore dell a speranza). Pisa 1966; Francesco COG-NASSO,Arrigo VII. Mailand 1973; Kurt-Ulrich JÄSCHKE,ZU universalen und re-gionalen Reichskonzeptionen beim Tode Kaiser Heinrichs VII. In: Festschriftfür Berent Schwineköper zu seinem siebzigsten Geburtstag, hg. von HelmutMAURERund Hans PATZE.Sigmaringen 1982, S. 415-435; Hartmut BOOCKMANN,Heinrich VII. (1308-1313). In: Kaisergestalten des Mittelalters, hg. von HelmutBEUMANN.2. Aufl. München 1985, S. 240-256; Carl D. DIETMAR,Heinrich VII.,Graf von Luxemburg, römischer König und Kaiser. In: Balduin von Luxem-burg. Festschrift aus Anlass des 700. Geburtsjahres, hg. unter Mitwirkung vonJohannes MÖTSCHvon Franz-Josef HEYEN(= Quellen und Abhandlungen zurmittelrheinischen Kirchengeschichte 53). Mainz 1985, S. 44-53; Kurt-UlrichJÄSCHKE,Imperator Heinricus. Ein spätmittelalterlicher Text über Kaiser Hein-rich VII. in kritischer Beleuchtung (= Beiheft zu Hemecht), Luxemburg 1988;Arrigo VII di Lussemburgo Imperatore. Da Aquisgrana a Buonconvento (1309-1313), hg. von N. CARLI,G. CIVITELLI,B. PELLEGRINI.Buonconvento 1990; MariaElisabeth FRANKE,Kaiser Heinrich VII. im Spiegel der Historiographie. Eine

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den bekannt". Paravicinis Bewertung beruht auf dem Ritterbild, das dieBilderchronik Erzbischof Balduins von Trier aufzeigt, die Heinrichs Rom-zug beschreibt".1965 und 1978 hat der Jubilar dieser Festschrift als Erster dieses außerge-wöhnliche Dokument einem größeren Publikum in handlicher Form miteiner umfangreichen Einleitung, Transkription und Übersetzung der In-schriften zugänglich gemacht'', Wie komplex die Analyse der Bilderchro-nik ist, beweist die Tatsache, dass 1993 in einer neuen italienischen Aus-gabe und 2000 bei Gelegenheit einer Ausstellung im LandeshauptarchivKoblenz "Kaiser Heinrichs Romfahrt" abermals untersucht wurde, wobeigewisse Fragen immer noch offen bleiben",

faktenkritische und quellenkundliehe Untersuchung ausgewählter Geschichts-schreiber des 14. Jahrhunderts (= Forschungen zur Kaiser- und Papstge-schichte des Mittelalters 9). Köln-Weimar-Wien1992; Jörg K. HOENscH,Die Lu-xemburger. Eine spätmittelalterliche Dynastie gesamteuropäischer Bedeutung1308-1437 (= Urban-Taschenbücher 407). Stuttgart-Berlin-Köln 2000, S. 32-50.Zum Italienzug vg!. auch noch die rezenten Untersuchungen: 11viaggio di En-rico VII in Italia, hg. von Mauro TOSTI-CROCE.Cittä di Castello 1993; RolandPAULER,Die deutschen Könige in Italien im 14. Jahrhundert: von Heinrich VII.bis Karl IV.Darmstadt 1997, S. 43-114; Jean-Marie MOEGLIN,Henri VII et I'hon-neur de la majeste imperiale. Les redditions de Cremone et de Brescia (1311).In: Penser le pouvoir au Moyen Age (VIIIe-XVesiede). Etudes d'histoire et deIitterature offertes a Franc;oiseAutrand, hg. von Dominique BaUTETund Jac-ques VERGER.Paris 2000, S. 211-245.

3 Im Sinne Paravicinis allerdings Kurt GRÄFE,Die Persönlichkeit Kaiser Hein-richs VII.,Phil. Diss. Jena 1910, der Heinrichs sittlichen Charakter (5. 15) und sei-nen ritterlichen Sinn (5. 20) aus einer wenig kritischen Lektüre der erzählendenQuellen herausliest.

4 PARAVICINI,Rois (wie Anm. 1), S. 10. Vgl. auch Andre JORIS,Autour du Devise-ment du Monde. Rusticien de Pise et l'empereur Henri VII de Luxembourg(1310-1313). In: Le Moyen Age 100 (1994) S. 353-368, hier S. 362, der sich teilsauf Gräfe stützt.

5 Franz-Josef HEYEN,Kaiser Heinrichs Romfahrt. Die Bilderchronik von KaiserHeinrich VII. und Kurfürst Balduin von Luxemburg 1308-1313 (= dtv 1358).München 1978. Erste Ausgabe im Haraldt Boldt Verlag, Boppard am Rhein1965. Zur Balduin-Ausstellung von 1985 in Koblenz kam ein Teildruck in denHandel: Franz-Josef HEYEN,Kaiser Heinrichs Romfahrt. Die Bilderchronik vonKaiser Heinrich VII. und Kurfürst Balduin von Luxemburg 1308-1313 im Lan-deshauptarchiv Koblenz. Koblenz 1985.

6 Franz-Josef HEYEN,Il eicIo iconografico. In: 11viaggio di Enrico VII, hg. vonTosTI-CROCE(wie Anm. 2), 5.71-145; Wolfgang SCHMlD,Kaiser Heinrichs Rom-fahrt. Zur Inszenierung von Politik in einer Trierer Bilderhandschrift des14. Jahrhunderts. Begleitpublikation zur gleichnamigen Ausstellung im Lan-deshauptarchiv Koblenz (Mittelrheinisches Heft 21). Koblenz 2000. Vergessensollte man nicht die verdienstvolle Erstveröffentlichung der Bilderchronikdurch den Archivar Georg IRMER,Die Romfahrt Kaiser Heinrich's VII. im

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Bei der zu Recht immer wieder betonten Einzigartigkeit der Bilderhand-schrift wurde allerdings vergessen, dass es noch eine weitere Quelle gibt, dieHeinrich VII. viel eher als Ritterkönig darstellt, als die Bilderchronik Bal-duins dies zu tun vermag und auch will. Denn man kann in der Tat Zweifelerheben, ob das von Erzbischof Balduin in Auftrag gegebene Werk wirklichein ritterlich-höfisches Bild seines Bruders abgeben soll- die eigentlich höfi-schen Szenen sind eher selten -, oder nicht eher Ziele verwirklichen will, dieim Bereich der Memoria der Luxemburger und der Integration der TriererRitterschaft liegen, wie Wolfgang Schmid überzeugend gezeigt hat".

1.Die" Voeux de l'epervier"Ganz anders die" Voeux de l' epervier" - oder vielleicht besser: die" Voeuxdu voyage du bon empereur Henri'" -, die hier als Vorbereitung zu einereingehenderen Analyse kurz angesprochen seien". Es handelt sich um eine

Bildercyclus des Codex Balduini Trevirensis. Erläuternder Text (unter Benut-zung des literarischen Nachlasses von L. v.Eltester). Berlin 1881.

7 SCHMID,Romfahrt (wieAnm. 6),S. 105-118für die memorialen Aspekte.8 So der allgemein benutzte Titel, den ich aus Verständnisgründen weiter be-

nutze, obwohl er kaum dem Originaltitel entspricht. Er stammt von den erstenHerausgebern G. Wolfram und F. Bonnardot (siehe Anm. 9), wohl in Anleh-nung an die Ritterdichtung der "Voeux du paon" des Jacques de Longuyon,welche die Herausgeber mit Recht als Modell der "Voeux de l'epervier" ansa-hen (siehe unten Anm. 22).Da das Original verlorengegangen ist, lässt sich derursprüngliche Titel nicht mehr bestimmen. Das Versepos bildete den zeitlichältesten Text einer Metzer Kompilation, die 1944durch Kriegseinwirkung ver-schollen ist (Metz, Bibliotheque Municipale, ms. 831 (ancienne cote: 81». Daserklärte Ziel des Autors dieser Kompilation, des Metzer Patriziers Jakob vonEsch (Iacques d'Esch), die in den dreißiger Jahren des 15.Jahrhunderts nieder-geschrieben wurde, war es, eine Chronik der Könige und Kaiser aus dem Lu-xemburger Hause zu schreiben, von Heinrich VII. bis Sigismund. Dabei ginges ihm vor allem um die Einbindung der luxemburgischen Politik in die Met-zer Stadtgeschichte, was sich schon allein durch seine Metzer Abstammungund die Herkunft seiner Quellen ergibt. Teil11dieser Chronik hat der Kompila-tor folgendermaßen übertitelt: Si apres trouveres les voulz que les noblez princes etseigneurs vowont et firent on dit voiaige de Romme en acompaignant le dit emperourHanrey on dit voiaige de Romme. Den richtigen Titel wird man wohl in seinemSchlussteil vermuten können: Les uoulz dou voiage du boin emperour Hanry.

9 Eine kommentierte Neuedition ist geplant. Ältere Edition: Les voeux de l'eper-vier. Kaiser Heinrichs VII. Romfahrt, hg. von Georg WOLFRAMund FranccisBONNARDOT.In: Jahrbuch der Gesellschaft für Lothringische Geschichte undAltertumskunde 6 (1895)S. 177-224 (Abschrift des Textes und geschichtlicheAnalyse von G.Wolfram;Übersetzung und sprachliche Analyse von F.Bonnar-dot). Wiederabdruck mit erweitertem historischem Kommentar in: Die MetzerChronik des [aique Dex (Iacques D'Esch) über die Kaiser und Könige aus demLuxemburger Hause (= Quellen zur lothringischen Geschichte IV), hg. von Ge-org WOLFRAM.Metz 1906,S.18-59.

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poetische Fiktion in französischer Sprache, die den Italienzug HeinrichsVII. zum historischen Vorwand nimmt, um sein eigenes Ziel zu erreichen,das noch näher zu bestimmen bleibt. Die rezente Forschung sieht in der562 Alexandriner zählenden "chanson chevaleresque" ein "Aktualitäts-werk", d. h. ein aus konkretem, aktuellem Anlass verfasstes Werk, das dieepische Versform dazu benutzt, um den Tod seines Helden zu beklagenund seine Mörder zu denunzieren'P, In der Art und Weise, wie die For-schung an diesen Text herangegangen ist, lässt sich eine Parallele zur Bil-derchronik aufstellen: Beide Quellen wurden vor allem auf ihren histori-

10 Erster Kommentar, der vor allem die historische Genauigkeit überprüft unddie Frage nach dem Autor stellt, von WOLFRAM,Les voeux (wie Anm. 9),S. 177-193, und DERS.,Metzer Chronik (ebd.), S. XXI-XL. Literaturhistoriker ha-ben das Gedicht spät entdeckt: Fabienne GEGOU,Du "roi de Sidle" aux ,,voeuxde l'epervier", In: Jean Misrahi Memorial Volume. Studies in Medieval Litera-ture, hg. von Hans R. RUNTE,Henri NIEDZIELSKI,William L. HENDRICKSON.Co-lumbia 1977, S. 71-88; DIES.,Chansons d'actualite. Simon de Marville a l'ecoled' Adam de la Halle. In: Charlemagne et l'epopee romane. Actes du 7e Congresinternational de la Societe Rencevals, Liege, 28 aoüt - 4 septembre 1976, hg.von Madeleine Tyssens und Claude Thiry (Bibliotheque de la Faculte de Philo-sophie et Lettres de l'Universite de Liege 225). Lüttich 1978, S. 669-681; RenateBLUMENFELD-KosINSKI,Historiography and Mutiere Antique: The Emperor HenriVII as New Alexander in the Fourteenth-Century Voeux de l'Eperoier, In: Medie-valia et Humanistica 14 (1986) S. 17-35. Wenn überhaupt, erwähnen Historikerdas Epos nur am Rande: FRANKE,Kaiser Heinrich VII. (wie Anm. 2), S. 522-523;JÄSCHKE,Imperator Heinricus (wie Anm. 2), S. 8-9; Winfried REICHERT,Bi-schofsmitra, Wenzelskrone und Kaiserdiadem. Zur Finanzierung der luxem-burgischen Herrschaft in Trier, Böhmen und im Reich zu Beginn des 14. Jahr-hunderts. In: Liber amicorum necnon et amicarum für Alfred Heit. Beiträgezur mittelalterlichen Geschichte und geschichtlichen Landeskunde (= TriererHistorische Forschungen 28). Trier 1995, S. 63-85, hier S. 82; Marianne PuNDT,Metzer Bankiers im Spätmittelalter: Die Familie Le Gronnais (1250-1350). In:Hochfinanz im Westen des Reiches 1150-1500, hg. von Friedhelm BURGARD,Al-fred HAVERKAMP,Franz IRSIGLERund Winfried REICHERT(= Trierer HistorischeForschungen 31). Trier 1996, S. 153-177, hier S. 167; JORlS,Autour du Devise-ment (wie Anm. 4), S. 363-364; Christiane DE CRAECKER-DusSART,L'expeditiond'Henri VII en Italie et les sources liegeoises, In: Le Moyen Age 106 (2000)S. 513-544, hier S. 520 und 537-542; Franck COLARD,L'empereur et le poison:de la rumeur au mythe. A propos du pretendu empoisonnement d'Henri VIIen 1313. In: Medievales 41 (2001) S. 113-132, hier 5.121-123. SCHMID,Romfahrt(wie Anm. 6), erwähnt die "Voeux de l'epervier" nicht, obwohl sich ein Ver-gleich aufdrängt. Im Gegensatz dazu Winfried REICHERT,"Iuvenis robustissi-mus et in armis strenuus". Walram von Luxemburg (ea, 1280 bis 1311) als Grafim Wartestand. In: Rheinische Vierteljahresblätter 66 (2002) S. 111-141, hierS. 111-114, der mit Recht auf den Wert der Dichtung hinweist und sich denwichtigsten Ergebnissen der Untersuchung Wolframs anschließt.

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sehen Informationswert hin untersuchtll, eine Fragestellung, die dem spe-zifischen Quellentypus der zwei Werke nicht ganz gerecht wird. Hier wiedort dient der historische Stoff, Kaiser Heinrichs Romfahrt, in erster Linieder Repräsentation von Macht, wobei sich die Frage stellt, ob dies dieMacht des Hauptdarstellers, Heinrichs VII., ist, oder diejenige - nur zwi-schen den Zeilen angedeutete - des Auftraggebers, der traditionnell imHintergrund seiner Bestellung bleibt.Eine kurze Zusammenfassung der "Voeux" mag diesen Tatbestand ver-deutlichen. Das Epos beginnt in der Bischofsstadt Metz. Nachdem GrafHeinrich VII. von Luxemburg und sein jüngerer Bruder Walram 1307 mitErfolg die Metzer Bürger im Kampf gegen ihren Stadtherrn, den BischofReinald von Bar (1302-1316) unterstützt haben, kehren beide zu ihrerStammburg zurück. Heinrich hat einen Alptraum. Er sieht sich in Rom, alsKönig und Kaiser auf dem Thron, umgeben und geschätzt von seinentreuen Großen, den peirs d'Allemaingne, zu seinen Füßen seine beiden lie-ben Windhunde, schwarz mit weißem Bauch - eine direkte Anspielung aufdie Prediger, die "Domini canes", welche einem hartnäckigen Gerüchtnach für den späteren Tod Heinrichs VII. verantwortlich sind. Plötzlichstürzt sich eines der beiden Tiere auf den Grafen, greift mit zwei Pfoten inseinen Mund und reisst ihm das Herz aus der Brust. Heinrich erwacht ausseinem schrecklichen Traum; die Gräfin Margareta beruhigt ihn und beidegehen zur Messe. Dort begegnet der Graf seinem Bruder Walram. Er schartseine Getreuen um sich und begibt sich nach Aachen, wo er zum deut-schen König gekrönt wird. Nach dem erfolgreichen Umzug durch dasDeutsche Reich und der Königserhebung seines Sohnes Johann in Böhmenentschließt sich Heinrich dazu, nach Rom zu ziehen. Seine Ausgangssta-tion ist wieder die Stadt Metz, wo er außergewöhnlich gut empfangen undin Taten, Worten und Geschenken unterstützt wird. Vor allem der MetzerPatrizier Philipp Le Gronnais, der du roy Jut moult amis, beschenkt ihnreichlich. Dann zieht der König über Burgund, Savoyen und den Mont Ce-nis über die Alpen und kommt nach Mailand, nachdem er in der Lombar-dei vier Städte eingenommen hat. Hier endet die Einleitung und dieSchlüsselszene kann beginnen.Im königlichen Palast in Mailand sitzt Heinrich VII. mit seinen barons undder Königin zu Tisch. Seine zwölf besten Ritter umgeben ihn, les XII dezmeillours qu'adont Juissent vivant: Theobald von Bar, Bischof von Lüttich(1302 ....:1312)12, die beiden jüngeren Brüder des Grafen von Namur, Guy

11 Was die Bilderchronik anbelangt, hat erst vor kurzem ScHMID, Romfahrt (wieAnm. 6), den richtigen Interpretationsansatz gezeigt.

12 Theobalds Vaterschwester Margareta war mit Heinrich V. von Luxemburg,Heinrichs VII. Großvater, verheiratet. Zu Theobald siehe unten, Anm. 35.

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(t 1311) und Heinrich (t 1337) von Dampierre-Flandern'P, Amadeus (V. derGroße), Graf von Savoyen (1285-1323)14 mit seinen beiden Söhnen, Leo-pold von Habsburg, Herzog von Österreich (1306-1326)15, Rudolf, Pfalz-graf bei Rhein und Herzog von Oberbayern (* 1274, t 1319)16,der Dauphinvon Vienne'", Balduin von Luxemburg, Erzbischof von Trier (1285-1354)18,"Walter" von Montferrat (wohl der Palaiologe Theodor I., Markgraf vonMontferrat von 1305-133819) und Reiner von Brabant'P, Auch der Stadtka-

13 Guy und Heinrich sind die nachgeborenen Söhne aus der zweiten Ehe vonGuy von Dampierre, Graf von Flandern (1278-1305), mit Isabella von Luxem-burg (t 1299), der Vaterschwester Heinrichs VII. Genau wie ihr ältester BruderJohann, Graf von Namür (1298-1330), waren Guy und Heinrich enge Vertrautedes Kaisers. Guy führte dem König hundert Lanzen zu; er starb 1311 vor Pa-via, an einer Krankheit, die der Autor der" Voeux" auf eine Vergiftung zurück-führt. Heinrich war Marschall des kaiserlichen Heeres; der Dichter bezeichnetihn demzufolge als "Söldner" des Königs.

14 Seine Gemahlin Maria von Brabant war die Schwester Margaretas von Bra-bant, Heinrichs VII. Ehefrau. Nach der Auflösung des kaiserlichen Heeres imAnschluss an den Tod Heinrichs VII. brachte Amadeus einen Teil der Aktendes Italienzuges nach Turin. Unter diesen auch das Verzeichnis der chevaliers,die an der Kaiserkrönung in Rom teilgenommen haben, unter denen er an er-ster Stelle steht (MGH, Constitutiones IV/2, hg. von Jakob ScHWALM.Hanno-ver-Leipzig 1909-1911, Nr. 1224, S. 1275-1280; siehe W. v. MAUNTZ,Das Ge-folge Kaiser Heinrichs VII. In: Zeitschrift für vaterländische Geschichte undAlterthumskunde 11 (1849) S. 117-192 und 377-378). Vgl. Gilbert COUTAZ,DieReichsarchivalien in Turin und die Beziehungen des Hauses Savoyen zu Hein-rich VII. (1310-1313). In: Mitteilungen des Instituts für österreichische Ge-schichtsforschung 89 (1981) S. 241-267, hier S. 248-257. Zur Politik Amadeus'gegenüber Frankreich und dem Reich: Bernord DEMOTZ,La politique interna-tionale du comte de Savoie durant deux siedes d'expansion (debut Xllle-debutXVesiecles), In:Cahiers d'histoire 19 (1974) S. 29-64, hier S.49 und 53.

15 Der junge Sohn König Albrechts führte Heinrich VII. 400 Lanzen zu. Er warverheiratet mit Katharina von Savoyen, der Tochter von Heinrichs SchwagerAmadeus. Mit 400 Lanzen und viel Waffenlust war Leopold in jedem heißenGefecht des Römerzugs dabei.

16 Herzog Rudolf war nur für kurze Zeit in Italien und ist in Mailand nicht be-legt.

17 Der Dauphin wird nicht namentlich erwähnt; ob es sich um Guido oder Hugohandelt, die beide im Umkreis Heinrichs in Norditalien zu finden sind, bleibtdemnach offen. Hugo hatte die TochterAmadeus' von Savoyen geheiratet undstand demnach auch im weiteren Familienbanne Heinrichs VII. Guido undHugo führten dem König 400Ritter zu.

18 Grundlegend die Festschrift: Balduin von Luxemburg, hg. von J. MÖTSCHundFr.-J.HEYEN(wie Anm. 2). Vgl. auch den Überblick bei Friedhelm BURGARD,Balduin von Luxemburg. Erzbischof-Kurfürst von Trier. In: Vor-Zeiten. Ge-schichte in Rheinland-Pfalz, Bd. 5. Mainz 1989, S. 33-50.

19 Nach dem frühen Tod Johanns von Montferrat (1305) kam dessen Enkel, Theo-dor I. Palaiologos, nach Italien um die Erbschaft seiner mütterlichen Vorfahren

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pitän ist zugegen, Guido della Torre, den der Autor nicht mit dem Namenerwähnt, sondern etwas abschätzend nur knapp capitaine nennt. Zu denzwölf besten Rittern des Königs zählt er logischerweise nicht. Ihm kommtdie Rolle des von der Stärke der königlichen Macht beeindruckten einhei-mischen Gegenspielers zu, der es dem Autor erlaubt, seine Helden besserin Szene zu setzen. Doch der dreizehnte der besten Ritter, Graf Walram21,

des Königs Bruder, ist abwesend, so dass man ihn rufen lässt.

Als Walram den Saal betritt, ist er noch immer in Gedanken bei der pucelle,die er eben verlassen hat. Da er des weiteren kurzsichtig oder gar auf ei-nem Auge erblindet ist, stößt er sich an der Eingangstür und lässt denSperber fliegen, den er in der Hand hielt. Der Jagdvogel landet beim Bi-schof von Lüttich, der sich an die Episode des indischen KönigssohnesPorus erinnert, des mutigen Gegners König Alexanders. Dieser hatte inmazedonischer Gefangenschaft einen Pfau erlegt, der den zwölf bestenRittern des Cassamus, Alexanders Verbündeten, aufgetischt wurde, wo-raufhin alle ein Gelübde auf den Vogel ablegten und diese dann auch inkriegerischen Heldentaten ausführten. Es handelt sich hier um eine direkteAnspielung auf die "Voeux du paon", einer von Jacques de Longuyon um1312 in gereimten Alexandrinern verfassten "Chanson", die damals, dankzweier literarischer Neuheiten - der Topos der Neun Helden und eben dasMotiv der Rittergelübde auf einen edlen Vogel- überaus erfolgreich warll.

anzutreten. Als Parteigänger Heinrichs VII. erhoffte er sich Unterstützung ge-gen die Erbansprüche seiner Verwandten, der Aleramiden von Saluzzo.

20 Ein Mitglied der Herzogsfamilie, der diesen Namen trägt, lässt sich nicht aus-machen. Falls es sich bei dem Zusatz de Brabant wirklich um einen Hinweis aufdie Herzogsfamilie von Brabant handelt, müsste es sich bei diesem atypischenNamen um einen unehelichen Sohn handeIn. Vollständigkeitshalber sei nocherwähnt, dass in der Ferreti Vicentini Historia rerum in Italia gestarum abanno MCCL ad annum usque MCCCXVIIT, hg. von Carlo C!PPOLLA (= Fontiper la storia d'Italia. Scrittori. Secolo XN), 2 Bde, 1908-1914, lib. rv S. 1037, einRodulphus Brabantiae dux erwähnt wird, wobei es sich allerdings vermutlich umeine Verwechselung mit Rudolph, Herzog von Oberbayern, handelt.

21 Zu ihm siehe jetzt: RElOiERT,Walram IT.(wie Anm. 10).22 Das Werk ist in 29 Handschriften erhalten und wurde ins Niederländische,

Schottische, Spanische und Italienische übersetzt und nachgeahmt. Les Voeuxdu Paon, hg. von R.L. Graeme RrrCHIE.In: The Buik of Alexander (...) by JohnBarbour (Scottish Text Society), 4 Bde. Edinburgh und London 1921-29. Bd. 2,S. 108-248. Neuedition, die mir nicht zugänglich war: Jacques OELoNGUYON,Les voeux du Paon, hg. von CamiIlus CASEY,Ph. D. dissertation. ColumbiaUniversity 1956. Zusammenfassung in: A. THOMAS,Jacques de Longuyon, trou-vere. In: Histoire litteraire de la France 36. Paris 1927, S. 1-35. Siehe auch dieKataloge Les manuscrits a peintures en France du XIIIe au XVIe siede. Paris1955, Nr. 104, und Zwischen Rhein und Maas. Kunst und Kultur 800-1400.Köln 1972, Bd. 1, S. 85, Katalognr. V 21. Zum Autor: Franccis BONNAROOT,A qui Jacques de Longuyon a-t-il dedie le poeme des "Voeux du Paon"? In:

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Theobald von Bar fordert die dreizehn Ritter auf, sich ehrenhafte Taten imDienste ihres Königs auszudenken, deren Ausführung sie dann auf denKopf des Sperbers versprechen sollen. Unter der Regie des Bischofs vonLüttich legen zehn Ritter ein Versprechen ab. Unter ihnen als erster der Bi-schof, aber auch Heinrich VII. selbst und dann [ohann, Graf von Bar, dereigentlich nicht zu den Anwesenden an der Tafelrunde zählte. Bei denGelübden handelt es sich grösstenteils um militärische Leistungen in Kriegund Turnier. Lediglich die Versprechen Theobalds von Bar, Guidos vonNamür und Heinrichs VII. ragen hervor. Guido legt sein Gelübde in Vor-ahnung des Todes seines Königs ab: Er will ihn vor jeder Form von Vergif-tung beschützen. Theobalds und Heinrichs Versprechen ergänzen sich: DerLütticher Bischof will den König auf den Kaiserthron und dann nach Jeru-salem führen; Heinrich VII. verspricht, "seinen" Bischof auf den Papst-thron zu setzen und das Kreuz zu nehmen.Der dritte Teil des Epos' zeigt dann, wie sich einige der Versprechen imKampf vor Brescia erfüllen. Dabei stirbt der Königsbruder Walram imKampf, Guido von Namur wird bei Tisch vergiftet, genau wie die Königinin Genua. Schnell rückt das königliche Heer nach Rom vor, wo Theobaldsein Versprechen einlöst, dann aber in den Straßenkämpfen gegen die Or-sini und die Truppen Roberts von Neapel fällt. Erzbischof Balduin wirddort in letzter Not durch die Glanztat des Burggrafen von Hammersteingerettet. Heinrich zieht sich zurück und belagert Florenz. Als er in der Pre-digerkirche die heilige Kommunion empfängt, wird auch er vergiftet undzwar von einem Dominikaner. Im Angesicht des Todes vergibt er den Pre-digern und insbesondere seinem Mörder, ehe er in Buonconvento stirbt.Am Ende des Gedichts steht dann noch ein Trauerlied Heinrichs vonNamür auf den verstorbenen Kaiser, der mit Alexander dem Großen ver-glichen wird. Heinrich VII. wird in Pisa begraben.Neben der vehementen Denunzierung der Prediger, die als Urheber desAttentats gegen den Kaiser dargestellt werden, geht es dem Dichter vor al-lem um die Darstellung einer höfischen Welt um Kaiser Heinrich VII. Soentspricht schon die Wahl des Sperbers oder Falken als Gelübdevogel derspezifischen Symbolik der Jagd, also der adligen Gesellschaft am Hof.

Romania 24 (1895) S. 577-581; Louis ScHAUDEL,Simon de Marville et Jacquesde Longuyon, poetes francals du XIVesiede. Montmedy 1896; Sylvie LEFEVRE,Jacques de Longuyon. In: Dictionnaire des Lettres francaises, Le Moyen Age,hg. von Robert BOSSUAT,Louis PIOiARDund Guy Raynaud DELAGE,Neued.von Cenevieve HAsENOHRund Michel ZINK.Paris 1964, S. 734-736, mit Litera-turverzeichnis. Dazu vor allem: Renate BLUMENFELD-KosINSKI,The Poetics ofContinuation in the Old French "Paon" Cycle. In: Romance Philology 39 (1986)5.437-447, und Martin GosMAN,Au carrefour des traditions scripturaires: Les"Voeux du Paon" et l'apport des ecritures epique et romanesque. In: Senefi-ance 20-21 (1987) S.551-565.

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Proesse, honour, fine amour, bonteit et biauteit, biaus [ais et biaus dis, humilteit,lairgesse und nicht zuletzt service zu Ehren der Dame, dem König und auchJesus Christus', prägen denn auch den Grundton des Epos', aber auch tor-noix, table ronde, joste, duel und andere "faits d' armes". Über allen chivalierscourtoys aber sticht Heinrich VII. hervor, biaus chivalierz et saigez et lairgez etcortois, der, blan corn flour, dank seiner obengenannten Tugenden dem ho-hen Ritterideal entspricht. Somit passt sich unser Gedicht den Topoi derhöfischen Literatur an und wirkt kaum originell. Es sei hier lediglich aufdas Thema der zwölf besten Ritter hingewiesen, das an die vom mittelal-terlichen Dreiphasengeschichtsmodell beeinflusste Topos der "Neun Hel-den"23 anknüpft und dem "Röle d' armes des Meilleurs Trois"24, einer Auf-listung der besten Ritter nach Dreiergruppen, um etwa dreißig Jahre vor-ausgeht.

2. Ein Loblied auf Kaiser und BischofSchon die knappe Zusammenfassung des Gedichts zeigt die für höfischeEpen dieser Zeit typische Mischung von legendären Elementen und histo-rischen Tatsachen. Es ist hier nicht der Platz, sämtliche historischen Fehler,Ungereimtheiten oder Verzerrungen, aber auch die vielen wahren Bege-benheiten, die der Autor schildert, aufzuzählen. Die ersten HerausgeberWolfram und Bonnardot haben dies schon ansatzweise unternommen undvorzüglich gezeigt, dass der Dichter teils bis ins kleinste Detail sehr gut in-formiert ist, zum Teil auch dichterische Freiheiten beansprucht. Dabei ha-ben sie jedoch nicht genügend unterstrichen, dass die "Voeux de l'eper-vier" nicht primär auf die Übertragung der historischen Genauigkeit ab-zielen. Die Frage nach den historischen Elementen kann allerdings dazudienen, Autor und Abfassungszeit festzulegen, eine zentrale Frage, willman Charakter und Funktion unserer Quelle richtig deuten. Demnach sol-len hier einige Angaben aus dem Epos hervorgehoben werden.Was die Datierung anbelangt, so äußern sich die bisherigen Kommentarenur ungenau. Als Terminus post quem gilt natürlich der Tod Heinrichs VII.und dann seine Bestattung in Pisa am 2. September 1313. Der Lütticher

23 Robert L. WYSS,Die Neun Helden. Eine ikonographische Studie. In: Zeitschriftfür Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 17 (1957) S. 73-106; HorstSG-lRÖDER,Das Topos der Nine Worthies in der Literatur und bildenden Kunst.Göttingen, 1971. Addendum in: Archiv für das Studium der neueren Sprachenund Literatur 218 (1981) S. 330-340; Wim van ANROOIJ,Wereldgeschiedenis ineen notendop. De traditie van de Negen Besten. In: Omgang met het verleden,hg. von R.E.V.STUlPund C. VELLEKOOP.Hilversum 2001, S. 167-185.

24 Werner PARAVIONI,Armoriaux et histoire culturelle. Le Röle d'armes des"Meilleurs Trois". In: Cahiers du Leopard d'or 8 (1997) (= Les armoriaux. Hi-stoire heraldique, sodale et culturelle des armoriaux medievaux) S.361-381.

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Chronist Jean d'Outremeuse (t 1400) benutzt das Gedicht in seinem "My-reur des Histors" (verfasst ab 1395)25,das der auf dem Gebiet der Ritter-epen gut Belesene mit einigen leichten Abweichungen in seinen Prosatexteinbaut. Die längere Sterbeszene Heinrichs VII. steht auch schon in der"Chronique liegeeise de 1402", die aus Fragmenten des 13. und 14. Jahr-hunderts zusammengesetzt ist26•Nun geben die "Voeux de l'Epervier" allerdings eine weitere Angabe zumTerminus post quem, die bis data nicht bemerkt wurde. Als Rudolf, Pfalz-graf bei Rhein und Herzog von Oberbayern, aufgefordert wird, seinGelöbnis auszusprechen, verspricht er seinen König nach Rom zu führen,wie Theobald von Lüttich das schon vor ihm getan hatte. Allerdings fügter hinzu, dass falls Heinrich VII. getötet werde und er, Rudolf, überlebe,aprez lui serais roy d'Allemaigne la grant en Ais a la chapelle, ou je ou my parent.... Da es zu Lebzeiten Heinrichs VII. keine Absprache zwischen den Lu-xemburgern und dem Pfalzgrafen bei Rhein gab, dass dieser HeinrichsNachfolge antreten werde, macht dieses Gelöbnis eigentlich keinen Sinn.Es handelt sich im Gegensatz zu den anderen Versprechen nicht um einenDienst, den der treue Fürst seinem König erweisen würde. Demnach er-klärt sich Rudolfs Aussage nur, wenn man den Kontext der Zeit zwischenSommer 1313 und Sommer 1314 kennt. Rudolf hat wohl nach dem TodeHeinrichs VII. an seine eigene Kandidatur gedacht, ehe er sich zuerst fürdie Wahl [ohanns von Luxemburg verpflichtete, dann ab dem 28. April1314 zu den Habsburgern überging'". Auf keinen Fall aber hat er nach demletzten Datum noch an seine eigene oder an die Wahl seines Bruders Lud-wig von Bayern gedacht. Ganz im Gegenteil: Die oft beschworene Feind-schaft zwischen den beiden Brüdern macht Rudolfs Versprechen in den"Voeux" für die Zeit nach Frühjahr 1314 eindeutig sinnlos.Es sieht also aus, als wären die" Voeux de l'epervier" kurz nach HeinrichsVII. Tod verfasst worden. Dies geht auch aus zwei weiteren Begebenheitenhervor. Einerseits aus dem nostalgischen Ton des gesamten Gedichts, dasstellenweise eher einer Trauer- oder Ehrenrede gleicht, als einer "chansonde geste". Vor allem das Ende des Werkes erinnert - in einer allerdings

25 Jean D'OUTREMEUSE,LyMyreur des histors, hg. von Stanislas BORMANS.Brüssel1880, S. 132-137. Zu Jean d'Outremeuse vgl. Sylvain BALAU,Les sources del'histoire de Liege au Moyen Age. Etude critique. Brüsse11903,S. 559-571, undGodefroid KURTH,Etude critique sur Jean d'Outremeuse. Brüsse11910.

26 Chronique liegeeise dite de 1402,hg. von Eugene BACHA.Brüsse11900,S. 266-267. Der irreführende TItel dieser Chronik stammt von ihrem Herausgeber.Siehe BALAU,Etude critique (wieAnm. 25),S. 533-534.

27 Heinz THOMAS,Ludwig der Bayer. Kaiser und Ketzer, Regensburg und Graz-Wien-Köln, 1994, S. 42-45. Mit Bestimmtheit ist Rudolfs eigene Kandidaturnicht erwiesen.

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knappen Form - stark an die "complaintes", die Klagelieder welche nachdem Tod von Königen und Fürsten verfasst wurden:Marz est le prince dez chivaliers et laflour.Ai! contasse noz damme, cam mar oeist le jourQue voz fils Jut a Ais coronnei per honnour,S'adont heuscez joie, or avez vous dollour.Ha! Jhesu Crist sire, per queille desamourAvez heus mis a mort le muedre empereourQue Jut pues Alixandre le lairge danneour?28

Der älteste französische Planctus stammt von 1226 (Tod König LudwigsVIII.), doch nehmen die Totenklagen, insbesondere die der Herolde zu Eh-ren der auf dem Schlachtfeld gefallenen großen Ritterpersönlichkeiten, inder ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts stark zu29• Was Heinrich VII. anbe-langt, sind mehrere Ehrenreden und Lobgedichte bekannt, die unmittelbaroder kurz nach seinem Tod in seiner nächsten Umgebung verfasstwurden30• .

Andererseits geht die Abfassungszeit auch aus den im Gedicht stark be-tonten Anschuldigungen gegenüber den Dominikanern hervor, die ein-deutig besser in den Kontext kurz nach Heinrichs Tod passen als in dieZeit seines Nachfolgers in der Grafschaft Luxemburg, Johanns, Königs vonBöhmen. Nach dem Tod Heinrichs verbreitete sich das Gerücht der Vergif-tung durch einen Prediger äußerst schnell, wobei der HeeresmarschallHeinrich von Dampierre-Flandern wohl eine entscheidende Rolle gespielthat31• Die feindliche Stimmung gegen die Dominikaner war im kaiserli-chen Gefolge groß und verbreitete sich in Italien und nördlich der Alpenso schnell, dass bereits am 22. September 1313 Bischof Johann von Straß-burg dem Gerücht nachdrücklich entgegentreten musste32• Die Vorwürfegegen die Prediger schwanden nur allmählich unter König [ohann, Am17. Mai 1346 hat sich [ohann selbst in einer sehr persönlichen Urkundebemüht, alle Beschuldigungen an die Adresse der Dominikaner zurückzu-

28 Les voeux (wieAnm. 9),S. 224,V.551-560.29 Oaude THIRY,La plainte funebre (= Typologie des sources du Moyen Age occi-

denta130), Turnhout, 1978,'zu den IIdeplorations francaises" S. 41.30 FRANKE,Kaiser Heinrich VII. (wieAnm. 2), S. 22,mit Quellenangaben.31 Mit den Gerüchten um Heinrichs Vergiftung und ihrem Eingang in die Litera-

tur hat sich eingehend beschäftigt: Franck COLLARD,L'empereur et le poison(wie Anm. 10). Siehe auch schon Jean-Charles KOHN,Le temoignage de Jeanl'Aveugle sur la mort de son pere, l'empereur Henri VII. In: Ons Hemecht 2(1896)S. 34-38 und 75-81, und Peter BROWE,Die angebliche Vergiftung KaiserHeinrichs VII. In:Historisches Jahrbuch 49 (1929)S. 479-488.

32 JÄ5CHKE,Imperator Heinricus (wieAnm. 2),S. 95.

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weisen33• Bei dieser Gelegenheit zählte er alle Verbindungen seiner Familiezum Predigerorden auf, die in der Tat sehr eng waren34• Desweiteren gibter ausdrücklich an, dass auch die ganze luxemburgische Familie keinenDominikaner für den Tod des Kaisers verantwortlich gemacht habe: Derangebliche Mörder Bernhard von Montepulciano habe noch jahrelangfriedlich im kaiserlichen Arezzo gewohnt.Demnach ist der Autor unseres Epos' wohl in der direkten UmgebungHeinrichs VII. zu suchen, in der das Gerücht der Vergiftung ja auch aufge-kommen ist. Seine Totenklage auf den Kaiser, die vehemente Entrüstunggegenüber den Dominikanern und schließlich eine Fülle von Details desItalienzugs, auf die hier nicht näher einzugehen ist, die er aber bemerkens-wert lebhaft und gefühlvoll beschreibt, zeigen, dass er doch persönlichdem Kaiser und seinem Gefolge nahe stand und den Text kurz nach demItalienzug verfasste, an dem er vermutlich wenigstens phasenweise teilge-nommen hatte.Untersucht man weiter die historischen Begebenheiten, die im Gedicht er-wähnt werden, so fallen vor allem zwei Themenkreise auf. Der Autor weißeine Menge Details über den Lütticher Bischof Theobald von Bar zu be-richten; neben dessen Rolle hebt er auch die der Stadt Metz besonders her-vor. Sehen wir uns beide Themen etwas genauer an.Zuerst der Bischof". Thiebault le combatent, li sire de Berroy et de Liege ten-ant36, wird wie die meisten an der Tafelrunde teilnehmenden Ritter zuerstin Mailand erwähnt. Seine Beschreibung zeugt von genauen Kenntnissendes Dichters zu seiner Person. Sie entspricht dem historischen Kontext imoberlotharingischen Territorium Bar am Beginn des 14. Iahrhunderts'": AlsHeinrich Ill., Graf von Bar, 1302unerwartet in Neapel starb, war sein SohnEduard noch minderjährig. Heinrich hatte vor seiner Abreise ins HeiligeLand seinen jüngeren Bruder Theobald zu seinem Stellvertreter ernannt,

33' MGH Const. VIII, hg. von Karl ZEUMERund Richard SALOMON,Hannover1910-1926, S. 5~0, Nr. 37.

34 Michel MARGUE,Fecit Carolus ducere patrem suum in patriam suam. DieÜberlieferung zu Bestattung und Grab Johanns des Blinden. In: Grabmäler derLuxemburger. Image und Memoria eines Kaiserhauses, hg. von Michael ViktorSCHWARZ(= Publications du CWDEM13). Luxemburg 1997, S. 79-96, hier S. 89-90.

35 Vgl. Christian LIMBREE,Thibaut de Bar, eveque de Liege (ea, 1263-1303-1312),memoire inedit, Universite de Liege 1974, und DERS.Thibaut de Bar. In: Biogra-phie nationale de Belgique 42. Brüsse11981, Sp. 703-714.

36 Les voeux (wie Anrn. 9), S. 198, V. 73.37 Marcel GROSDIDIERDEMATONS,Le comb? de Bar des origines au traite de Bru-

ges (vers 950-1301). Paris 1922, S. 473-511; Michel PARISSE,Austrasie, Lotharin-gie, Lorraine (= Encyclopedic illustree de la Lorraine 2). Nancy 1990, S. 178-179; Georges POULL,La Maison souveraine et ducale de Bar. Nancy 1994,S.228-263.

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wozu der Schwiegervater des Grafen, der englische König Eduard I., 1302seine Zusage gab. Obwohl Theobald die Vormundschaft über den jungenEduard bald seinen beiden älteren Brüdern überlassen musste, behielt ertrotzdem barisches Gebiet, das erst später wieder an die Grafschaft fieps.Somit beschreibt unser Autor den Lütticher Bischof ganz richtig nicht nurals "von Bar", sondern als "Inhaber von Bar". Er muss demnach den sichmit Vorliebe den weltlichen Geschäften widmenden Bischof gut gekannthaben.Desweiteren hat er Theobalds Tod auf dem Campo dei Fiori mit einer Füllevon Details beschrieben, die in seinem Werk sonst nur der Schilderung derKriegstaten Balduins von Trier zukommen. Theobald von Bar gebührtauch im zentralen Kapitel der Versprechen die Hauptrolle: Er ist es, der dieFürsten zu den Versprechen auf den Sperber auffordert, er ist es auch, derdas grösste Versprechen ablegt, nämlich den König auf den Kaiserthron zusetzen und ihn dann in den Kreuzzug zu führen. Heinrich VII. hält ihn ingroßer Ehre, will er ihn doch zum Papst erheben:Si Dieu me lait venir la ou li mien euer tent,D'estre droit emperere et coronne pourtantQue je ferais Ipappe, pour salver toute gent,De l'evesque Theibault ou tout Liege appent.39

Sein Tod trifft den Kaiser tief: jamais meilleur clerc ne chanta messe4°. Es darfauch nicht vergessen werden, dass die Bilderchronik Balduins, die sichteils auf unser Gedicht stützt, dem Lütticher Bischof ein Bild widmet, dasihn kurz vor seinem Tod im Straßenkampf in Rom zeigt.Wenn auch Theobald eine wichtige Rolle am königlichen Hof gespielt hat-ab 1308 widmete er sich kaum noch seiner Diözese sondern hielt sich fastnur noch in der Umgebung Heinrichs VII. auf -, so ist er dennoch nicht indem Maße hervorgetreten, wie die "Voeux" es ihm zugeschreiben. An er-ster Stelle des königlichen Gefolges stand er in Italien nicht: Auf den Fres-ken der Burg Rivoli bei Turin, die für ein im Oktober 1310 geplantes Tref-fen Papst Clemens' V. und König Heinrichs VII. den Rittersaal zierten, istdas Wappen Bischofs Theobald an zweiter Stelle der 24 Herren abgebildet,die den König umgeben - vor ihm der Erzbischof von Köln und nach ihmdie großen Laienfürsten, unter denen auch Walram von Luxemburg, Leo-pold von Habsburg, der Graf von Savoyen, Heinrich von Flandern, derDauphin von Vienne, um nur die zu nennen, die auch in den" Voeux" eine

38 POULL, La Maison souveraine (wie Arun. 37), S. 235 und 262. Es handelte sichum die Kastellaneien Lamarche, Chätillon-sur-Saöne und Conflans, die 1310zurück an den Grafen von Bar gehen.

39 Les voeux (wie Arun. 9), S.208, V.258-261.40 Les voeux (wieAnm. 9), S.218, V. 463.

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Rolle spielenv. In der Liste der zwei Dutzend Herren, von denen sich derKönig Ende November 1310 in Asti den Treueid als Räte schwören ließ,wird er unter den Geistlichen an dritter Stelle genannt, nach ErzbischofBalduin und Castone della Torre, Erzbischof von Mailand, aber als Ersterder Bischöfe=. Eine im Februar 1311 wohl in Mailand angefertigte Aufstel-lung des consilium regis führt ihn an neunter Stelle an, nach der Königin,dem Bischof von Genf, dem Dauphin Hugo, Erzbischof Balduin, Walramvon Luxemburg, Amadeus von Savoyen, Guido von Flandern und dem Bi-schof von Konstanz, aber vor vier weiteren Ratsmitgliedem-'. So zählte erneben den beiden Brüdern Guido und Heinrich von Dampierre-Flandern -letzterer Heeresmarschall des Kaisers -, neben Heinrichs Schwager Ama-deus von Savoyen, Generalvikar für Oberitalien, zu den engsten Beraterndes Königs.Inhaber von zehn Kanonikaten in Frankreich und im Reich, war Theobaldbei der Metzer Wahl von 1296 gescheitert, dann aber 1303 in Lüttich erfolg-reich gewesen. Sein Interesse an weltlichen Geschäften, seine rücksichts-lose Politik, seine kriegerischen Leistungen, aber auch seine Rolle als Mä-zen sind bekannt. In letzterer Hinsicht wird er immer wieder in Zusam-menhang gebracht mit dem Dichter Jacques, genannt nach Longuyon, demSitz eines Archidiakonats, das sich über barisches und luxemburgischesGebiet erstreckte. Jacques de Longuyon hat in seinem Auftrag um 1312 die"Voeux du paon" verfasst, ein den "Voeux de l'epervier" ähnlich geartetesOpus'". Nach einer von dem Lütticher Fürstbischof geschenkten Vorlageführte der sonst unbekannte Kleriker in den umfangreichen Zyklus desAlexanderromans ein neues episches Werk ein, das in Ritterkreisen äußerstbeliebt wurde. In der Widmung weist Jacques de Longuyon auf den ritter-lichen Tod des Bischofs in Rom hin. Dort wird auch der Tod Heinrichs VII.erwähnt, genau so wie die These der Vergiftung durch einen "Jakobiner",wie die Dominikaner auch in den" Voeux de I'epervier" genannt werden".

41 Jean-Claude LOUTSCH, Documenti araldici in rapporto con il"viaggio aRoma":I ruoli d'armi di Rivoli e Torino. In: TIviaggio di Enrico VII (wie Anm. 2),S. 161-184, hier S. 165.

42 MGH Const. IV/I (wieAnm. 14), S. 442-444, Nr. 487 vom 29. November 1310.43 Ebenda, S. 533-534, Nr. 578.44 S.o.Anm. 22.45 ]aques de Langhion define ci ses dis,

Qui fu de Loherainne, .1. moult joieus pays,Qui au commant Tybaut, qui de Barfu nays,Rimoia ceste ystoire, qui bele est a devis.Tybaus fu mors a Romme, avec .1. LembourgisQui empereres ert, si ot a non Henris,De Luxembourc fut quens et chevaliers eslis.]acobin preecheur, qui soient tous honnis,Lefirent par poison morir, dont il est pis

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In den "Voeux du paon" wird der Bischof von Lüttich genau wie in den"Voeux de l' epervier" als gais charakterisiert, neben der "prouesse" undder "beaub~" eines der gängigen Topoi höfischer Lebenskunsr'". Jacques deLonguyon umreißt in seiner Widmung ein ritterlich-tugendhaftes Bild vonseinem Auftraggeber, das dem üblichen höfischen Porträt der weltlichenFürsten seiner Zeit entspricht. In der Tat scheint der Bischof neben seinenpolitischen und militärischen Talenten auch durch seine Bildung und seinedichterischen Interessen hervorzustechen - wie übrigens auch sein Bruder,Reinald, Bischof von Metz. Theobald ist nämlich einer der beiden Protago-nisten eines "jeu-parti", eines höfischen Gedichts, in dem er gegen den Au-tor Roland von Reims in einem Rededuell die Meinung vertritt, dass einreicher und mächtiger Fürst seinem König -li rois des Allemans ... vuelt allera Rome par avoir I 'Ampire - nach Rom folgen muss, auch wenn seine Frauihn anfleht, bei ihr zu bleiberr'", Auch hier ist die Anspielung auf The-obalds Teilnahme am Italienzug Heinrichs VII. eindeutig. Seine Treue zumrömischen König hat demnach ihren Niederschlag in der höfischen Litera-tur und Kunst gefunden und man geht kaum fehl, wenn man in Theobaldvon Bar mehr den höfischen Fürsten und Ritter sieht als den mit geistli-chen Problemen beschäftigten Bischof.Da die "Voeux de l'epervier" sich durch eindeutige Anlehnungen an die"Voeux du paon" des Jacques de Longuyon auszeichnen - unter anderemnatürlich durch die Gelübde auf einen Vogel und den zentralen VergleichHeinrichs mit Alexander dem Großen48 - und deren Inhalt in den" Voeuxde l'epervier" durch Theobald ausdrücklich erwähnt werden, liegt dieSchlussfolgerung nahe, dass auch die "Voeux de l'epervier" in TheobaldsUmkreis verfasst wurden, und zwar kurz nach des Bischofs Tod. Dass derAutor in der Umgebung der Grafenfamilie von Bar zu suchen ist, zeigtauch die Erwähnung des sire [ehan, der als chivallier de Bair bezeichnet

A taus bans crestiens et a tout [le] pays.Diex en puist auoir l'ame par les soies mercis,Et de Tybaut aussi, qui gais ert et jolis,Et gentis de lignage, corajeus et hardis,Et tint moult bien son droit contre taus ses marcis,Tant qu'ii Jut au dessus de taus ses anemis;Cil me nomma l'ystoire qui bele est a devis.(Zitiert nach THOMAS,Jacques de Longuyon (wie Anm. 22), S. 1-2, aus BN Pa-ris, ms. fr. 12565, fol. 188v.-189).

46 Et Yeoesque ThiebauIt Jut gais et envoixiez: Les voeux (wie Anm. 9), S. 218, V.451.47 Arthur LANGFORS,Recueil general des jeux-partis francals. Paris 1936,S. 265-

268. Siehe auch LIMBREE,Thibaut de Bar, eveque de Liege (wie Anm. 35),S. 156-157. Zwei weitere dieser Gedichte betreffen Theobalds Bruder, [ohannvon Bar,und Jacques de Longuyon.

48 Auf die Darstellung Heinrichs VII. als "neuen Alexander" weist mit Nach-druck BLUMENFELD-KosINSKI,Historiography (wieAnm. 10),hin.

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wird49• Obwohl am Beginn der "Voeux" nicht als Teilnehmer an der Tafel-runde genannt, wird er dann dennoch vom Bischof von Lüttich zumGelübde auf den Sperber aufgefordert. Dabei ging es dem Dichter offen-sichtlich darum, weitere Mitglieder der Barer Grafenfamilie zu den "zwölfbesten Rittern" Heinrichs VII. zählen zu können. Ob sich [ohann von Bar,zweiter Sohn des Grafen Theobald 11.(t 1291), und in den Jahren 1302-1311 (April) in Bar Regent fur seinen Neffen Eduard, wirklich am Italien-zug beteiligt hat und dort gestorben ist, wie G. Poull vermutetso, bleibtmangels weiterer Quellenzeugnisse zu beweisen'".Ähnlich der Bilderchronik, die als Loblied auf Balduin von Trier und dieLuxemburger konzipiert ist, wären demnach auch die "Voeux de I'eper-vier" als poetisches Denkmal zu Ehren Theobalds von Lüttich und der Ba-rer Grafenfamilie gedacht. Doch stellt sich dann die Frage nach dem dop-pelgleisigen Charakter des Epos', das neben Theobalds Heldentaten auchdiejenigen des Kaisers beschreibt. Genau wie in der Bilderchronik Bal-duins, die in ihrem ersten Teil eher an "Gesta Balduini" als an I1GestaHeinrici" erinnert, kommt hier allerdings nicht nur der Kaiser, sondern vorallem der Bischof - hier Theobald von Lüttich, dort Balduin von Trier - zuEhren. Bischof und Kaiser sind in beiden Werken die zwei zentralen Figu-ren, eng aneinander gebunden, da die Taten des letzteren ohne die Unter-stützung - in Rittersprache: ohne die Dienste, die hier durch die Gelübdezu Heldentaten aufgebauscht werden - des ersteren nicht möglich sind.Das Fokussieren auf zwei Helden ist in der Bilderchronik allerdings nocheinleuchtender als in den" Voeux" - immerhin ging es dort um die Memo-ria der Luxemburger, die Balduin und Heinrich miteinander vereinP2.Doch gibt es zwischen dem Kaiser und Theobald keine direkten Familien-beziehungen, sieht man davon ab, dass Heinrichs VII. Großmutter dieTante Theobalds war.

3. Die Grafenfamilie von Bar und die Bischofsstühle von Metz und LüttichWeiter hilft vielleicht der zweite Themenkreis, den der Autor gut zu ken-nen scheint, nämlich die Geschichte der Stadt Metz am Beginn des14. Jahrhunderts. Die IIVoeux" beginnen, ohne dass sich dies im Zusam-menhang mit Heinrichs Italienzug aufgedrängt hätte, in der lothringischenBischofsstadt Metz. Hier hatte Heinrich VII. - damals noch als Graf - in

49 Les voeux (wieArun. 9), S. 210, V.309-310.50 POULL, LaMaison ducale (wieAnm. 37), S. 234.51 Wolfram glaubt hingegen in ihm einen Vasallen des Bischofs Theobald sehen

zu können, der im weiteren Verlauf des Gedichts als [ehan de Fonte (Herr vonFontoy /Fentsch unweit Diedenhofen?) auftritt: Die Metzer Chronik (wieAnm. 9), S. 39 und 52.

52 S.o.Arun. 7.

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der Tat 1307 den Metzer Bürgern in ihrem Konflikt gegen den BischofReinald von Bar (1302-1316), Theobalds Bruder, und dessen NeffenEduard beigestanden=. Allerdings sind die urkundlichen und chronikali-schen Zeugnisse zu dieser Aktion sehr dünn; bekannt ist lediglich, dassHeinrich und sein Bruder Walram im Sommer 1307 der Bürgerschaft ihreHilfe gegen den Bischof und seine Brüder - den Bischof von Lüttich undden Grafen von Bar - versprachen=. Zeitgenössische chronikalische Nach-richten aus Metz bestätigen diese Allianz und deuten an, dass es dem Gra-fen von Luxemburg nicht nur um einen politischen und militärischenKampf gegen den Nachbarn von Bar ging, sondern um handfeste finanzi-elle Interessen: 50.000 Pfund kleiner Turnasen soll Heinrich von der Stadtfür geleistete Hilfe erhalten haben, die ihm den Erwerb der Königs- undKaiserkrone erleichtert hätten55• Obwohl diese Summe auf den ersten Blicksehr hoch scheint, so war das bedeutende Finanzzentrum Metz durchausin dem Maße belastbar, vor allem wo es ja den Bürgern um die Verteidi-gung ihrer Rechte gegen den Bischof als Stadtherrn ging. Ob diese Summeunmittelbar oder indirekt zur Finanzierung von Heinrichs Wahl zum römi-schen König oder aber seiner Italienexpedition diente, lässt sich nicht mitSicherheit bestimmen=.

53 Zum Konflikt zwischen der Bürgerschaft von Metz und ihrem Bischof vgl.Heinrich Volbert SAUERLAND,Geschichte des Metzer Bistums während des14. Jahrhunderts. In: Jahrbuch der Gesellschaft für lothringische Geschichteund Altertumskunde 6 (1894)S. 119-176und 7/2 (1895)S. 69-168, hier Teil 1,S. 136,195und 227,und Teil2, S. 108-109;Jean SCHNEIDER,La ville de Metz auxXIIIe et XIVe siecles, Nancy 1950, S. 269-270; Michel PARISSE,L'apogee me-dieval de la principaute et du diocese (1120-1383).In: Le diocese de Metz (=Histoire des dioceses de France), hg. von Henri TRIBOUTDEMOREMBERT.Paris1970, S. 57-58; PUNDT,Metzer Bankiers (wie Anm. 10), S. 166-167; WinfriedREICHERT,Landesherrschaft zwischen Reich und Frankreich. Verfassung, Wirt-schaft und Territorialpolitik in der Grafschaft Luxemburg von der Mitte des 13.bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts (= Trierer Historische Forschungen 24/1 u.2). Trier 1993,Bd. 2, S. 211-212.Siehe auch unten, Anm. 78.

54 Histoire generals de Metz, par des Religieux Benedictins de la Congregationde Saint-Vannes, hg. von Jean FRAN<;:OISund Nicolas TABOUILLOT,4 Bde. Metz1775 (Paris 1974),Ill, pr. S. 286.Vg!. Camille WAMPACH,Urkunden- und Quel-lenbuch zur Geschichte der altluxemburgischen Territorien bis zur burgundi-schen Zeit, 10 Bde. Luxemburg, 1935-1955 [künftig: UQB], hier: VII, Luxem-burg, 1949,Nr. 1109vom 29. Juni 1307,S. 169. Siehe auch UQB VII, Nr. 1110,S. 170:Regest einer Originalurkunde aus der Stadtbibliothek von Metz, die imSommer 1944verbrannte.

55 Die Quellenangaben bei REICHERT,Bischofsmitra (wie Anm. 10), S. 81-84. Vgl.auch schon SAUERLAND,Geschichte des Metzer Bistums (wie Anm. 53), Teil 2,5.108-109.

56 REICHERT,Bischofsmitra (wie Anm. 10),S. 84.

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In dem Sinn wird aber die zweite Erwähnung der Stadt Metz in den"Voeux" durchaus plausibel. Ehe der König 1310 nach Italien aufbricht,soll er noch nach Metz gekommen sein, wo er nicht nur gut empfangen,sondern auch reich beschenkt wurde, en dons et en presens et en fais et ensdis57• Insbesondere der Metzer Schöffe Philippe le Gronnais, der du ray Jutmault amis58, wird hier erwähnt, was seiner tatsächlichen Rolle als Leihge-ber der Fürsten und seiner Bezeichnung in gräflichen Quellen auch durch-aus entspricht-", Ein Kreditgeschäft, das 1302 zwischen Heinrich von Lu-xemburg und einem Mitglied der Familie Le Gronnais stattfindet, erwähntgenau wie die "Voeux de l'epervier" die Rolle der Le Gronnais, was dieLieferung von Pferden, Pferdegeschirr und Sattelzeug an den Grafen vonLuxemburg anbelangt=', Philipp soll Heinrich beim Ankauf von Pferdenbehilflich gewesen sein und ihm weitere Geschenke gemacht haben. Indieser Hinsicht kann man nur staunen, wie der Autor der" Voeux de I'e-pervier" besonders gut besonders über die Metzer Verhältnisse unterrich-tet ist.Diese Abschweifungen vom zentralen Thema erinnern an die Miniatur ausder Bilderchronik, die Erzbischof Balduin als Finanzierer des Italienzugszeigen'". Hier zeigen sich in beiden Quellen besondere Interessen undKenntnisse zu den materiellen Stützen der Romfahrt. Demnach wird manwohl kaum fehlgehen, wenn man den Autor der "Voeux" im weiterenKreis der Metzer Finanzwelt sucht, behauptet er doch - an der einzigenStelle des Gedichts, wo der Dichter von sich selbst redet - dass er Philippele Gronnais persönlich kennt: Don bourgoy sa le nom, n'en suix mie faintis62•Genau so wie die Bilderchronik nicht in Luxemburg sondern in Trier ent-standen ist, zeigen denn auch die "Voeux de l'epervier" nicht nach Luxem-burg, sondern nach Metz. In die gleiche Richtung weist ja auch die Über-lieferungsgeschichte der "Voeux", die in einem Metzer Codex erhalten wa-ren63• Bonnardot und Wolfram haben nun darauf hingewiesen, dass die

57 Les voeux (wie Anm. 9),S. 196,V. 37.58 Ebenda V.42.59 REICHERT,Landesherrschaft (wie Anm. 53),S. 469.PUNDT,Metzer Bankiers (wie

Anm. 10),S. 165,vermutet, dass Philippe Le Gronnais schon 1302Kredit gege-ben habe. Dabei wäre Philippe - und nicht Poince, wie die spätere kopialeÜberlieferung einer mittelalterlichen Quelle angibt - Gastgeber des späterenKönigs in Metz gewesen. Sie nennt ihn ähnlich wie unser Gedicht nostre boinami und nostre host. Kurzregest in: WAMPACH,UQB (wie Anm. 54),VI, Luxem-burg 1949,S. 387,Nr. 915.

60 WAMPACH,ebenda.61 Zur Interpretation dieser Miniatur, vgl, REICHERT,Bischofsmitra (wie Anm. 10).62 In der Übersetzung von Bonnardot:

De ce bourgeois je sais le nom, ce n'est pas une feinte(Les voeux (wie Anm. 9),S. 196-197,V. 41).

63 S.o. Anm. 9.

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Familie Le Gronnais ein Exemplar der "Voeux du paon" des Jacques deLonguyon in ihrem Besitz hatte'". Was die Identität des Autors anbelangt,wäre also nach einem Dichter aus dem Metzer Raum zu suchen, dergleichsam in Verbindung zu den Le Gronnais, zu Heinrich VII., zur Gra-fenfamilie von Bar und insbesondere zu Theobald, Bischof von Lüttichund dessen "Hofdichter", demAutor der "Voeux du paon", gestanden hat.Ohne alle Vorbedingungen zu kennen, glaubte Wolfram in der Person desMagisters Simon von Marville fündig geworden zu sein, eine Identifika-tion, die ursprünglich allgemein angenommen wurde'P. Allerdings hat vorkurzem Maria Elisabeth Franke diese Hypothese in Frage gestellt und aufJacques de Longuyon als möglichen Autor der "Voeux de l'epervier" hin-gewiesen'", Der Identifikationsversuch Wolframs lässt sich jedoch mitguten Gründen stützen. Simon'" stammt aus einem Ort, der zum gemein-samen barisch-luxemburgischen Besitz gehörte, den sogenannten "Terrescommunes de Marville"68. Von zwei Pröpsten und ihren niederen Amtleu-

64 Die Metzer Chronik (wie Anm. 9), S. XXXIX.65 Wolframs Beweisführung in: Die Metzer Chronik (wie Anm. 9), S. XXXI-XL.66 FRANKE,Kaiser Heinrich VII. (wie Anm. 2), S. 23, Anm. 64.67 Zu Simon de Marville, neben den Ausführungen Wolframs und den in Anm. 22

genannten Studien vgl. auch noch: Charles AlMOND,Histoire de Marville. Terre-Commune aux Duclies de Luxembourg et Bar-Lorraine. Marville 1958, S. 40;Franceise FERY-HuE,Simon de Marville. In: Dictionnaire des Lettres francaises.Le Moyen Age, hg. von Robert BOSSUAT,Louis PICHARDund Guy Raynaud DELAGE,Neued. von Cenevieve HASENOHRund Michel ZINK.Paris 1964, S. 1393-1394; Christiane RENARDY,Le monde des maitres universitaires du diocese deLiege (1140-1350). Recherehes sur sa composition et ses activites (= Bibliothe-que de la Paculte de Philosophie et Lettres de l'Univ. de Liege 227). Paris 1979,S. 379-380, und DIES.,Les maitres universitaires dans le diocese de Liege. Re-pertoire biographique (1140-1350) (= Bibliotheque de la Faculte de Philosophieet Lettres de l'Univ. de Liege 232). Paris 1981, S. 444-445. Die wichtigsten Quel-len zu Simon bei Heinrich Volbert SAUERLAND,Vatikanische Urkunden und Re-gesten zur Geschichte Lothringens, I (= Quellen zur lothringischen GeschichteI). Metz 1901, passim, sowie bei SCHWALM,MGH Const. IV/1 (wie Anm. 14),passim, und Wampach, UQB (wie Anm. 54), VI und VII, passim.

68 Zur Geschichte der Terres Communes und der Stadt Marville: Marcel GROSDl-DlERDEMATONS,Bar et Luxembourg au XIIIe siede. In: Cahiers Luxembourge-ois 9 (1932) 5.621-632; AlMOND,Histoire de Marville (wie Anm. 67); Alain GI-RARDOT,Les marchands de Marville au XIVe siede. In: Le Luxembourg en Lo-tharingie. Luxemburg im lotharingischen Raum. Festschrift Paul Margue, hg.von Paul DOSTERT,Michel PAULY,Pol SCHMOETIEN,Jean SCHROEDER.Luxemburg1993, S. 167-175; [ean-Marie YANTE,Le condominium barro-luxembourgeois deMarville-Arrancy (XIIIe-XVIIe siecles), Enjeux politiques, realites administrati-ves et atouts economiques. In: Les enclaves territoriales aux Temps Modernes(XVIe-XVIIIe siecles). Colloque international de Besaneort ... 1999, hg. von PaulDELSALLEund Andre FERRER(= Annales litteraires de l'Universite de Franche-Comte 706. ColI. "Historiques" 18). Besaneort 2000, S. 235-258.

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ten verwaltet, die imDienst einerseits des Grafen von Bar, andererseits desGrafen von Luxemburg standen und dem französischen und deutschenSprach- und Kulturraum angehörten, hat das an einem Verkehrsknoten-punkt günstig gelegene Kleinstädtchen Marville und seine in den Fernhan-del eingebundene Bourgeoisie eine ganze Reihe von gebildeten Amtsleu-ten und Klerikern hervorgebracht, die durch ihre Studien zu höherenFunktionen in der Umgebung der Grafen und Bischöfe emporstiegen. AlsKanoniker und Schatzmeister (thesaurarius) in Metz, Kanoniker in Lüttich,Rat Heinrichs VII., sowie wohl durch seine Funktion in Metz auch Bekann-ter des Finanziers Philippe Le Gronnais, entspricht Simon de Marville demobigen Profil. Als Schatzmeister der Metzer Kirche muss Simon auchdurch die Kreditgeschäfte zwischen Philippe le Gronnais und BischofReinald in Verbindung mit dem Metzer Bankier getreten sein'", In den er-sten Jahren des 14. Jahrhunderts wurde Simon für seine Pfründen an derMetzer, Touler, Lütticher und Verduner Kirche von der Residenzpflicht be-freit, um am päpstlichen und königlichen Hofe weilen zu können, späterauch weil er an der Universität Recht, Theologie und Scholastik(weiter)studierte. Den magister Simon sehen wir schon als Kapellan in derUmgebung der Päpste Bonifaz VIII. und Clemens v., dann ab 1303 alsSchatzmeister in Metz, und ab 1309 als Kleriker und Ratgeber HeinrichsVII. Ob Heinrich in der Umgebung Klemens V. oder schon 1307 im Kon-flikt um die Stadt Metz auf ihn aufmerksam wurde, entzieht sich unsererKenntnis. Nach der Königswahl in Frankfurt am 27. November 1308 unter-schrieb er als thesaurarius Metensis mit anderen testibus ad premissa vocatisspecialiter et rogatis den Wahlbericht, den die Kurfürsten mit der Bitte umdie Kaiserkrönung an Papst Klemens V. schickten'", Unter den weiterenZeugen finden wir auch den Kleriker Petrus von Esch, einen Angehörigenderjenigen Metzer Familie, zu der auch der Verfasser der Kompilationgehörte, welche die" Voeux de l'epervier" beinhaltet.Schon bald betraut Heinrich VII. Simon de Marville mit wichtigen diplo-matischen Missionen. Im Juni 1309 ging er u.a. mit den Grafen Amadeusvon Savoyen, Johann Dauphin von Vienne und Guido von Dampierre-Flandern in Heinrichs Auftrag nach Avignon, um Clemens V. in des Kö-nigs Namen den Treueid zu leisten und die Kaiserkrönung zu erbitterr".Heinrich VII. bezeichnet ihn dort als capellanus des Papstes und gleichzei-tig als secretarius et jamiliaris noster dilectus. Im Juni 1311 spricht der König

69 1302 gibt Philippe Le Gronnais einen Kredit von 500 Pfund kleiner Tournosenan den neuen Bischof Reinald von Bar; seit 1305 gehörten auch die BrüderReinaids, [ohann und Peter von Bar,zu seinen Schuldnern: PUNDT,Metzer Ban-kiers (wieAnm. 10), S. 166.

70 Camille WAMPACH, UQBVII (wieAnm. 54), S. 303-304, Nr. 1228.71 MGH Const. IV /1 (wie Anm. 14), S. 254-255, Nr. 293 = WAMPACH, UQB VII

(wie Anm. 54), S.331-332, Nr. 1257 vom 2. Juni 1309.

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vor Brescia Johann von Flandern und Simon von Marville als seine consi-liarii, familiares, procuratores et nuntii an, die mit den Gesandten und Bevoll-mächtigten des französischen Königs verhandelt haben72• Einen explizitenHinweis auf einen auch nur kurzen Aufenthalt Simons in Italien gibt es al-lerdings nicht; anders als andere Kleriker und Räte "höchster intellektuel-ler Qualität"73 wie Nicolas de Ligny-en-Barrois, der Schatzmeister Gillesde la Mareelle - wie Simon, Kanoniker von Saint-Lambert in Lüttich -, wiemagister Jean delle Roche oder der Legist Henri de Jodoigne, steht Simonvon Marville nicht in den königlichen Rechnungsbüchernö. Doch zeigenseine nüancierten Aussagen zu den Mailänder Kräfteverhältnissen undseine Beschreibung der Kämpfe vor Brescia mit manchen, aus anderenQuellen nicht bekannten Details'", dass er zumindest äußerst gut unter-richtet oder vielleicht dennoch direkter Augenzeuge der Ereignisse der er-sten Monate des Italienzugs war.Demnach lassen sich in Ergänzung zu Wolframs Ausführungen eine ganzeReihe von gewichtigen Argumenten anführen, welche die Hypothese einerIdentifikation mit Simon von Marville stützen, wenngleich auch ein ein-deutiger Quellenbeweis ausbleibt. Wäre damit die Frage nach dem Autorso weit wie möglich beantwortet, so bleibt noch die nach dem Auftragge-ber, der Wolfram und Bonnardot sowie die nachfolgenden Studien er-staunlicherweise nicht nachgegangen sind.

4. Luxemburg und BarAm 13. Juli 1312 gestattete Clemens V. auf Verwendung des Metzer Bi-schofs Reinald von Bar, dass der Lütticher Kanonikus und päpstliche Ka-pellan Simon von Marville, der Theologie studierte, seine Pfründen an derLütticher, Metzer und Verduner Kirche auch ohne Residenzpflicht auf dreiJahre genießen durfte/", In der Umgebung Heinrichs VII. ist Simon nunnicht mehr zu finden, wohl aber in Metz im Umkreis ReinaIds von Bar.Demnach wäre es in Metz, wo magister Simon in Anlehnung an die vorkurzem verfassten "Voeux du paon" ein Loblied auf Theobald von Lüttich,den Bruder seines Bischofs und Protektors, und auf seinen eigenen frühe-

72 MGH Const. N /1, S.580, Nr. 617 vom 17. Juni 1311.73 So JORlS, Autour du devisement du monde (wie Anm. 4), S. 364, mit Angaben zu

den genannten Räten Heinrichs VII.74 Inihrer unveröffentlichten Arbeit, die sie mir freundlicherweise zur Verfügung

gestellt hat, erwähnt Veronique srou, Henri VII de Luxembourg. Recherehessur son entourage lors de sa Romfahrt 1310-1313, memoire de licence, Univer-site de Liege, 1986-1987, Simon de Marville nicht.

75 In der in Anm. 9 angekündigten Arbeit werde ich im Detail auf diese Schilde-rungen zurückkommen, insbesondere auf die sehr interessante DarstellungGuidos della Torre.

76 SAUERLAND, VatikanischeUrkunden (wieAnm. 67), S. 120,Nr. 200.

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ren Herrn, den Kaiser, schrieb. Vergessen wir nicht, dass Simon zur ZeitTheobalds von Bar eine Pfründe in Lüttich innehatte. Diese Konstellationum den vermutlichen Autor der "Voeux de l'epervier" würde also plausi-bel erscheinen, wäre da nicht der eingangs erwähnte Konflikt aus demJahr 1307 zwischen Simons Auftraggeber, Bischof Reinald von Metz, unddem damaligen Grafen Heinrich von Luxemburg.Zu diesem scheinbaren Widerspruch wäre zuerst zu bemerken, dass derAutor der "Voeux de l'epervier" in den ersten Versen seines Gedichts zwardie Unterstützung erwähnt, die Heinrich den Metzer Bürgern gewährte,tunliehst aber nicht ihren Gegenspieler, den Bischof von Metz, und schongar nicht dessen Identität:Apres ce que Hanrey olt deden mets conquis,Et aforce de bras de lour guerre acomplisEt enver les bourgois accourdez et paix mis77

Man merkt, dass der Dichter die Stadt Metz hervorheben will, da sie in sei-nen Augen zum Gelingen des Italienzugs und der Kaiserkrönung beigetra-gen hat, den Konflikt zwischen dem späteren Kaiser und dem Metzer Bi-schof aber verschweigen will. Reinald von Bar sollte hier nicht in ein schie-fes Licht gerückt werden, geht es dem Autor doch auch um ein Loblied aufdessen Bruder Theobald.Was sich 1307/1308 in Metz zugetragen hat, wurde jüngst genauestens un-tersucht?", Fest steht, dass der zum Metzer Bischof erwählte Reinald vonBar - der die Priesterweihe noch nicht empfangen hatte - wie ein Laien-fürst lebte und dass sein höfischer Lebensstil und sein Mäzenatentumgroße Geldsummen verschlangen, dies auf Kosten des Besitzes der MetzerKirche und seiner Kleriker. Dies geht aus zwei Klageschriften von 1307und 1308 hervor, welche die Kanoniker an ihren Bischof richteten. Sie be-klagten sich über den latenten Kriegszustand zwischen Bischof und Stadt,der der Metzer Kirche großen Schaden zufüge; über das Eingreifen des Bi-schofs in die Einkünfte der Kanoniker und der Kleriker und seineschlechte Wirtschaftsführung im allgemeinen; über seine für einen Bischofunpassende und brutale Lebensweise, die eher einem (Raub)ritter entspre-che. In der Tat beherrschte Reinald offensichtlich mit Hilfe seiner barischen

77 Les voeux (wie Anm. 9), S.194, V.1-3.78 Mariarme PuNDT, Metz und Trier: vergleichende Studien zu den städtischen

Führungsgruppen vom 12. bis zum 14. Jahrhundert (= Trierer Historische For-schungen 38). Mainz 1998, S. 473-481. PARISSE, L'apogee medieval (wie Anm.53), S. 57-58, zeichnet ein knappes, aber sehr düsteres Bild der Metzer Kircheam Beginn des 14. Jahrhunderts. Zu den Ereignissen um 1307-1308 in kurzerForm auch: DERS., Rainald von Bar. In: Lexikon des Mittelalters, 1.7. München-Zürich 1980, Sp. 1429.

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Lehnsmannen das Metzer Umland, von wo er die Stadt von ihren externenwirtschaftlichen Beziehungen abschnitt. Bemerkenswert ist auch, dass ineinem umfangreichen Notariatsinstrument von Juni 1307,das an den Papstgeschickt wurde, die geistlichen Institutionen gemeinsam mit den Orga-nen der Stadtgemeinde gegen den Bischof klagen und dessen Absetzungfordern. Amtsmissbrauch, Vernachlässigung seiner geistlichen Aufgaben -hier drängt sich der Vergleichmit Reinaids Bruder Theobald in Lüttich auf-, Besetzung der bistümlichen Burgen mit barischen Lehnsleuten, Veräuße-rung von Besitz des Domkapitels, zählen auch hier zu den Hauptanklage-punkten. Domkapitel und Bürger sahen sich jedenfalls vereint im Kampfgegen einen Bischof, der Stadt und Kirche schweren Schaden zufügte. Inseiner Funktion als Schatzmeister war Simon von Marville von dieser Si-tuation direkt betroffen, doch bleibt seine Haltung im Konflikt der Bürgerund Kanoniker mit ihrem Bischof im Dunkeln. Interessant ist aber, dass er1309 zum ersten Mal auch in der Umgebung Heinrichs VII. auftritt, ebenals der Konflikt zwischen der Stadt und dem Klerus von Metz sowie denLuxemburgern einerseits, und dem Hause Bar andererseits beigelegt ist.Wie gesehen, hat Heinrich VII. sich 1307 resolut auf die Seite der Stadt ge- .stellt. Sein Bruder Walram stand ihm dabei zur Seite. Die Grafen von Lu-xemburg konnten wohl kaum tatenlos zusehen, wie sich der Machtbereichdes Hauses Bar auf das Metzer Land ausbreitete. Neben den finanziellenInteressen des Grafen und seines Bruders ging es Heinrich auch darum,Nutzen zu ziehen aus dem Metzer Konflikt in seinem latenten Erbstreitmit dem Grafen von Bar unter anderem um die Propstei Marville IArrancyund die Kastellanei Longwy?", Die Grafenbrüder Theobald, dann Johannund Reinald führten in dieser Zeit die Geschicke der Grafschaft. NachdemHeinrich erfolgreich den Kampf zwischen den Bürgern und ihrem Bischofbeendet hatte, ging er dazu über, sich mit den Grafenbrüdern von Bar zuversöhnen. Diese überraschende Kehrtwende in Heinrichs Politik lässt sichnur dadurch erklären, dass der Graf von Luxemburg für die Wahl seinesBruders zum Erzbischof von Trier und vielleicht auch für seine eigenenAmbitionen die Vermittlung der beiden Bischöfe von Lüttich und Metz zuPapst Clemens V.brauchte. Bekannt ist, dass das Haus Bar in sehr gutenBeziehungen zu Papst Clemens V.stand80• Wie dem auch sei, es kann wohlkaum Zufall sein, dass die Begleichung der Streitigkeiten in Poitiers imMärz 1308 festgehalten wurde'", dort wo Balduin von Luxemburg am10.März zum Erzbischof von Trier geweiht wurde.

79 Zum jahrelangen Konflikt zwischen Bar und Luxemburg: Klaus KLEFISCH,Kai-ser Heinrich VII. als Graf von Luxemburg, Diss. Bonn 1971, S. 46-62.

80 PUNoT, Metz und Trier (wie Anm. 78), S. 479.81 WAMPACH, UQB VII (wie Anm. 54), S. 214-217, Nr. 1163.

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Nach Beilegung des Zwistes zwischen Bar und Luxemburg und der an-schließenden Königswahl Heinrichs wurde Theobald von Bar zum eifrigenParteigänger des Luxemburgers. Seine Brüder standen fortan ebenso aufHeinrichs Seite. Erst jetzt lässt die politische Konstellation das Entsteheneiner Chanson als Loblied zu Ehren von Bar und Luxemburg zu. Durchseine engen Beziehungen zu den Bischöfen von Metz und Lüttich, aberauch zum Kaiser war Simon von Marville der geeignete Mann für dieseAufgabe. Einiges deutet darauf hin, dass er im Auftrag Reinalds von Bargeschrieben hat: Die Rolle, die er der Stadt Metz in seinem Werk zukom-men lässt, aber auch Reinalds Rolle als Auftraggeber einer ganzen Reihevon wertvollen Handschriften, die ihn als Kunstmäzen ausweisen=.Die Untersuchungen über die Herkunft dieser Kunstwerke zeigen Verbin-dungen zu England auf, die leicht zu erklären sind, war doch Graf Hein-rich, der älteste Bruder der Bischöfe Theobald und Reinald, mit der Toch-ter König Eduards I. von England verheiratet gewesen. Es scheint, dasseine ganze Reihe von Prachthandschriften aus der Bibliothek Reinalds ausder Zusammenarbeit von einem englischen und einem Metzer Atelier her-vorgingen. Nun zeigt eine eingehendere Analyse des literarischen Motivsder Gelübde auf einen Vogel, deren diverse Aspekte an anderer Stelle ver-tieft werden'v, dass dieses Motiv in der Form eines höfischen rhetorischenWettstreits84 um die gleiche Zeit in - nach unserer Hypothese - Metz undam englischen Königshof belegt ist. Der Fortsetzer der "Flores Histori-arum" des Matthew Paris berichtet nämlich, Eduard I.habe 1306 bei Gele-genheit der Feste zum Ritterschlag seines Sohnes Eduards (H.) in Westmin-ster einen Schwur auf zwei Schwäne abgelegt'". Er habe dort feierlich ver-kündet, er werde Schottland erobern und die von Robert Bruce geleiteteRebellion niederwerfen, worauf seine magnates ihrerseits ein Gelübde ab-legten, das sie zu Treue und Dienst in diesem Krieg verpflichtete. DieTreue der Vasallen zu ihrem Herrn, die sich hier über den Tod ihres Königshinaus - der ja dann auch während des siegreichen Schottenfeldzugs 1307eintritt - auch auf seinen Sohn und Nachfolger bezieht, ist bei den "Voeux

82 Zur Rolle Reinaids als Mäzen, vg!. Ecriture et enluminure en Lorraine auMoyen Age. Catalogue de l'exposition "La plume et le parchemin" ... 1984,Musee historique lorrain a Nancy. Nancy, 1984, 5.115-121.

83 Siehe demnächst die geplante Neuedition der "Voeux de l'epervier".84 Zu der literarischen Gattung der Gelübde auf einen Vogel, zu der man auch

noch die "Voeux du heron" am Hofe Eduards Ill. von England und die "Voeuxdu faisan" am Hofe Philipps des Guten von Burgund zählen muss, und ihrerHerleitung aus den rhetorischen Wettkämpfen des frühen Mittelalters, sieheJohn L. GRIGSBY,Gab epique, mais gab lyrique? In: Marche Romane 33 (1983)5.109-122.

85 Flores historiarum, hg. v. Henry R. LUARD(= Rolls Series), Bd. 3, London 1890,S. 132. Vgl. B. J. WHITING,The Vows of the Heron. In: Speculum 20 (1945)5.261-278, hier S.266 mit Anm. 2.

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du cygne" wie bei den" Voeuxde l'epervier" das zentrale Thema. Der Auf-stand der Schotten gegen den vorn englischen König designierten schotti-sehen König erinnert an den Aufstand der Mailänder und der Brescianerbeim Italienfeldzug Heinrichs VII.Hier wie dort handeln die Schwörendenim Namen Gottes, wobei allerdings weder Eduard I. noch Heinrich VII.ihren Schwur ausführen können, da der Tod sie während ihres "Auftrags"trifft. Auch beim "Schwanenschwur" handelt es sich wie bei den "Voeuxde l'epervier" demnach um eine poetische Ausmalung einer aktuellen Be-gebenheit, einer "chanson d'actualite"86.Es kann wohl kaum Zufall sein, dass das Thema der" Voeux" auf einen Vo-gel etwa zur gleichen Zeit am englischen Hof und im Umkreis der BarerGrafenfamilie auftritt, die in engen kulturellen und verwandtschaftlichenBeziehungen zueinander stehen. Als zentrale Figur dieser Beziehungen er-weist sich einmal mehr der Metzer Bischof Reinald von Bar, der ironischer-weise das Schicksal der literarischen Heldenfiguren in den "Voeux" teilt:1316 soll er von seinen Gegnern in Metz vergiftet worden sein'".Somit öffnet sich um die Barer Bischofsbrüder Reinald von Metz undTheobald von Lüttich und ihre Umgebung eine höfische Welt, die weitausstärker den Künsten verhaftet ist als der Religion. Die beiden Brüder er-weisen sich gleichsam als Realpolitiker'" und sensible Mäzene, zwei Eigen-schaften, die nach 1308 und der Beilegung des Streites zwischen Bar undLuxemburg dem neuen König zugute kamen. In ihrem Umkreis entstanddas idealisierte Bild des neuen Alexanders, der - wie in Balduins Bilder-chronik - in Italien von Sieg zu Sieg bis zur Kaiserkrönung eilt, und hiernur durch den perfiden Verrat eines Predigerbruders von seinen großenKreuzzugsplänen aufgehalten werden konnte.Herr über das Reich und Italien, "Blüte des Rittertums'f", so die von denBischöfen aus dem Hause Bar geprägte Sicht der "Voeux de l'epervier",konnte Heinrich VII. allerdings ähnlich König Artus nur dank der Ritterseiner Mailänder Tafelrunde sein, dank der Unterstützung seiner treuenund mächtigen Ritterfürsten, allen voran Theobalds von Bar, Bischofs vonLüttich. Dieser ebnet seinem König den Weg nach Rom, durch seine eige-nen kämpferischen Leistungen, aber auch dadurch, dass er es versteht,Heinrichs Ritter mittels der "Voeux" zu Heldentaten herauszufordern. WieBalduin von Trier in der Bilderchronik oder Peter von Aspelt auf seinerGrabplatte erscheint Theobald, den Albertino Mussato superillustrissimus

86 Nach der Bezeichnung dieser Literaturgattung bei G~GOu, Du "roi de Sieile"(s.o. Anm.10).

87 PARISSE, Rainald von Bar (wie Anm. 78).88 PuNDT, Metzer Bankiers (wie Anm. 10), S. 167, spricht von der "allzu weltli-

chen und materialistischen Amtsführung" Reinalds.89 Morz est leprince dez chivaliers et laflour (wie oben, Anm. 28).

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und der Autor der "Voeux de l'epervier" den meiIleur clerc nennt, als derwahre "Kingmaker". Es sind diese großen Reichsbischöfe, mächtige Für-sten und Ritter, Förderer der Künste, die von ihrem Kaiser das Bild präg-ten, das eingangs erwähnt wurde: Heinrich VII. als le prince dez chivaliers.

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