Q19 // Dominic Angeloch // Trawler // Erzählungen

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VERLAGSHAUS J. FRANK | BERLIN Bibliothek Belletristik | Quartheft 19

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Ein Trawler ist ein mit Schleppnetzen ausgerüstetes Schiff. Es wird zum Fischfang eingesetzt, auch zur Tiefseeforschung; im Kriegsfall wurde es bereits zum Minensuch­schiff umfunktioniert. Die Netze werden hart über dem Meeresgrund entlanggezogen, oder – quer zur Strömung … – in vertikaler oder horizontaler Richtung ausgebracht, um die im Meer freischwebenden Organismen zu fangen.

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TrawlerTexte. Dominic Angeloch.

Illustrationen. Johannes Reinhart.

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Als sich endlich der verklemmte Deckel von der Porzellan-zuckerdose löst, springt ein schwarzer Schatten heraus und blendet mich mit Zuckerstaub. Einige Momente lang brennen meine Augen fürchterlich, und ich nehme nurmehr triumphierendes Wiehern wahr und das Getrappel kleiner Hufe, die auf dem Küchentisch davongaloppieren. Aber als ich das Pferdchen, das sich offensichtlich nicht vom Tisch zu springen getraut und deswegen wie ein Hase im Zick-zack über die roten und weißen Karos des Tischtuchs hetzt, endlich eingefangen habe, haben mir meine Tränen den Zucker schon fast wieder aus den Augen gewaschen. Wenn Ludovica jetzt überraschend hereinkommen und mir das

Pferdchen

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Gesicht ablecken würde, würde sie sich bestimmt wundern, wie süß ich schmecke, denke ich, und genieße es sogar ein bißchen zu spüren, wie das Pferdchen mit aller Kraft von innen gegen meine hohle Hand tritt. Plötzlich schaltet sich das Transistorradio, das seit Wochen mangels passender AAA-Micro-Batterien unbeachtet am Fenstergriff hing, von selbst an und näselt, daß „gemäß des kurfürstlichen Braunschweigisch-Lüneburgischen Reglements vom 18. August 1732“, wie es „auf des Feldmarschalls Freyherrn von Bülow erfolgenden Todesfall zu halten“ sei, „das Straffpferd als militärisches Strafgerät in delictis non capitalibus, und welche keine ordinaire processus erfordern, sondern nur mit dem Straffpferde, Pfahl, Gassenlauf und dem Sprenger zu bestrafen stehen, zur schimpfierenden Schaustellung des Verurtheilten“ diene. Das Pferdchen beißt Hautfetzen aus meiner Handinnenfläche – wahrscheinlich ermutigt durch jene auch für es selbst unerwartete Einlassung des Radios; der vorwurfsvolle Unterton war ja nicht zu überhören. Aber schließlich kann das Pferdchen auch damit nicht verhindern, daß ich es in Frischhaltefolie einwickle, mit einem Einmachglasgummi in einer möglichst unbequemen Haltung fixiere und in den Vorratsschrank sperre. Die Porzellanzuckerdose war ein Geschenk von Ludovica. Das Pferdchen nicht. Vielleicht werde ich ihm einmal dankbar sein? Während ich die Scherben der Dose eine nach der anderen aufhebe und darauf achte, daß jede einige Millimeter in meine Haut schneidet, höre ich zu, wie das Wiehern aus dem Vorratsschrank allmählich leiser wird und irgendwann ganz erstirbt.

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Wolken wie Kaffeeflecken auf geräuscharmem Japanpapier. Auch die unvermeidlichen Brandlöcher, die Schmauch-spuren an den schwärenden Wundrändern der Kurzschuß-verletzungen. Kein Wind; nichts, aber auch gar nichts wird fortgetragen.

Kassiber

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Obwohl man weiß, daß Milchmädchenrechnungen unter solchen Himmeln häufig sind, läßt kaum einer von seinem eingeübten Mardergesicht, ganz, als wäre es Vorschrift so, und die Sturmgewehre in den Kabuffs natürlich stets geladen, griff- und schußbereit. Nicht zu vergessen die hausgemachten Zwangsvorstellungen, Bettlaken zu Schreckgespenstern und dergleichen. Rachefreibriefe gibt es in summa wirklich genügend, wohlfeile Vendetten dutzendweis. Deswegen immer häufiger Ausbrüche von allenfalls dünn ritualbemäntelter Gewalt, erwartungsgemäß besonders dort, wo der Vollzug der kryptographischen Methode noch schlimmere Sinnschieflagen hervorruft, regelrechte Affen-tänze. Wahrscheinlich die unvermeidliche Folge des Glaubens an den Verkehr mit der Geisterwelt, wie er hier sehr verbreitet ist, aber was kann man schon gegen Rückständigkeit. Der Schattenwurf verzerrt den Gegenstand und läßt ihn mit dem Fortschreiten der Tageszeit größer erscheinen, als er ursprünglich ist. Auch hier kommen Blitzverbrüderungen vor, sogar nicht selten – nur hinterher will es immer keiner gewesen sein. Die zivilen Verantwortlichen lassen keine Gelegenheit ungenützt, sich bequem auf Berufsethos und eifrig vorge-schütztes Pflichtbewußtsein herauszureden. Diese Anhaltspunkte müssen vorerst genügen; auch uns gibt das meiste noch Rätsel auf. Genauere Informationen betreffs jener jüngsten Vorfälle unterliegen dem in militä-rischen Angelegenheiten wie dieser automatisch in Kraft tretenden Geheimhaltungsgebot, daher erst nach dessen definitiver Aufhebung mehr.

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Zwischen Träubchen tomback und smaragden hat man uns in schöpferischen Gefügen auf Porzellan und Silberplatten arrangiert; ungeachtet unserer jeweiligen Zusammensetzung besteht unsere Aufgabe derzeit darin, uns dezent einem möglichst gelungenen Mümmeln anzuempfehlen. Angesichts der plötzlich ausgebrochenen Bärenhunger ist das nicht ganz einfach beziehungsweise schwerer als anfangs gedacht.

Empfangslage

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Ein Stück Fischpastetchen, Honigmelonenwürfelchen einszwodrei, dann ein Lammwürstel mit Zimt, Kokosraspeln und Tsatsiki. Der Lollo rosso macht den Vormäher. Was die Wartehaltung angeht, so ist akimbo für uns vielleicht gerade noch drin; Weitergehendes empfänden wir von selbst als ungehobelt. Das Pieksen und Stechen der Zahnstocher und Gabeln ist hie und da vielleicht unangenehm, wäre aber störender, fühlten wir uns nicht durch einige wattierte Stündchen seit Beginn des Abends vergleichsweise gepolstert. Quiche Lorraine. Draußen rumpeln Straßenbahnen; ein Windstoß läßt die Flämmlein auf den Kerzen schwanken. Sieht man von den Dizzy-Gillespie-Bäckchen der Canapés einmal ab, wirkt die Physiognomie einiger unserer Nachbärchen leider schon jetzt manchmal etwas trauerrandig. Aber von den speckummantelten Backpfläumchen ist auch noch was da – immer nur zugreifen, keiner möchte Nachschrap sein! Das einflußreich minzdurchfältelte Taboulé, den Rucola-salat und die Sellerie-, Gürkchen-, Karottenstäbchen mögen wir alle nicht, weil sie uns verhältnismäßig keck durchnässen. Überhaupt sind wir aus bisher ungesicherten Gründen generell nicht ganz zufrieden. Wie sagte noch gleich Göte? Erfreut ein wirtlicher Empfang die Gäste, / Behend verlischt der Übel tief Gefühl. Die verzweifelten Klopfzeichen der unbemerkt unter den Tisch gefallenen gegrillten Sardinen ignorieren wir, so gut es geht. Der Widerschein der Stehlampe jedoch legt sich, finden wir, unverändert ungut auf die Kammermusik. Wir selbst sind unter unserm Firnis insgeheim dick mit Cold Cream bestrichen.

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