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Prof. Dr. Karl-Dieter Bünting (Univ. Duisburg-Essen, Cam pus Essen) 1 Überblick zur Sprachgeschichte des Deutschen Zur Geschichte der Rechtschreibung Ca. 1400 Jahre deutsche Sprache, ausgegliedert aus dem Westgermanischen als Althochdeutsch (ca. 650-1050) Mittelhochdeutsch (ca. 1050-1350) Frühneuhochdeutsch (ca. 1350-1650) Neuhochdeutsch einschließlich der Gegenwartssprache Sprachgeschichte als Gesprochene Sprache: vom Dialekt zur regionalen Umgangssprache und über die Bühnensprache zur mündlichen Hochsprache / Standardsprache / Gemeinsprache Schriftsprache: vom Dialekt über regionale Druckernormen zur Hochsprache / Standardsprache / Gemeinsprache

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Überblick zur Sprachgeschichte des Deutschen

Zur Geschichte der Rechtschreibung

Ca. 1400 Jahre deutsche Sprache, ausgegliedertaus dem Westgermanischen als• Althochdeutsch (ca. 650-1050)• Mittelhochdeutsch (ca. 1050-1350)• Frühneuhochdeutsch (ca. 1350-1650)• Neuhochdeutsch einschließlich der

Gegenwartssprache

Sprachgeschichte als

• Gesprochene Sprache: vom Dialekt zur regionalen Umgangssprache und über die Bühnensprache zur mündlichen Hochsprache / Standardsprache / Gemeinsprache

• Schriftsprache: vom Dialekt über regionale Druckernormen zur Hochsprache / Standardsprache / Gemeinsprache

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Zur Geschichte der Rechtschreibung

ca. 800 bis nur handgeschriebene Texte in Dialekten Mitte 15. Jh.: Schulen in Klöstern, Schreibstuben auch an Höfen

bis ca. 1650: Niederdeutsch wird nicht mehr gedruckt

bis ca. 1750: Entwicklung der HochspracheHochsprache als Schriftsprache1774-86 Wörterbuch von Johann Christoph Adelung (5 Bde.)

im 19. Jh.: Bemühungen um eine einheitliche Rechtschreibung1876 1. Orthographische Konferenz in Berlin

1901 2. Orthographische Konferenz in Berlin: Normierung1902/3 Konrad Duden als Sekretär beauftragt,

der DUDEN-1 seitdem maßgeblich für Norm bis 1996

ca. 1450 Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen LetternGutenberg-Bibel

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Zur Geschichte der Rechtschreibung

20. Jh. Immer wieder Diskussiobn um Reform und Vorschläge

seit 1996 Eine Zwischenstaatliche Kommission mit der Geschäftsstelle beimInstitut für Deutsche Sprache Mannheim (IDS) ist zuständig fürZweifelsfragen, nichtmehr die DUDEN-Redaktionen.

1983-1996 Arbeit an einer Neuregelung, Wiener Gespräche01.07.1996 Internationales Abkommen in Wien unterzeichnet01.08.1998 Neuregelung tritt in Kraft mit Übergangszeit bis 200501.08.1999 Die deutsche Presse übernimmt die Neuregelung nach

Kodifizierung unter Federführung von dpaSommer 2002 Frankfurter Allgemeine Zeitung kehrt zur alten Schreibung zurück

www.ids-mannnheim.de/reformwww.rechtschreibkommission.de

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Abrogans - das erste deutsche Wörterbuch; St. Gallen, 2. Hälfte 8. Jh.

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Handschriften des Mittelalters

Abrogans: ein Wörterbuch (911)

Zur Geschichte der Rechtschreibung

Handschrift des 15. Jh.

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ca. 1400 Jahre deutsche Sprache, ausge-gliedert aus dem Westgermanischen als• Althochdeutsch (ca. 650-1050)• Mittelhochdeutsch (ca. 1050-1350)• Frühneuhochdeutsch (ca. 1350-1650)• Neuhochdeutsch einschließlich der Gegenwartssprache

Merseburger Zauberspruch

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Das Trutzlied der Mädchen (ca. 1050)

Swaz hie gât umbe,daz sind alles megede,die wellent ân manallen disen sumer gân.

Was hier geht um,das sind alles Mädchen,die wollen ohne Mannallen diesen Sommer gehen.

Was hier im Kreis geht,das sind alles junge Mädchen,die wollen den ganzen Sommernicht mit einem Jungen gehen.(Sie wollen noch nicht heiraten.)

Von Carl Orff in die“Carmina burana” (“Ländlichen Lieder”)aufgenommen.

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http://www.tu-dresden.de/slub/proj/sachsenspiegel/sachs.html

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Johannes Gutenberg: Die Erfindung des Buchdrucks

• Buchdrucker wollen konsistente Texte Standardnorm wie DIN• Buchdrucker wollen verdienen, also

überregional verstanden werden kommunikative Norm

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Entwicklungen im 15. und 16. Jahrhundert

Bevölkerungszuwachs führt u.a. zu• Siedlung im Osten, Sprachausgleich,

Rückwirkung auf Altreich kommunikative Norm• größere Städte, Arbeitsteilung, Zunftwesen Standardnorm

Zeitalter der Entdeckungen und des Handels:merkantile Interessen, Banken, Buchhaltung überregionale Verkehrssprache kommunikative Norm

Einführung eines neuen Rechtssystems • “Der ewige Landfriede” durch Kaiser Maximian (1459-1519)• dazu neue Prozessordnung durch Karl V. (1500-1519)• schriftliche Verhandung u. Zeugenaussagen Standardnorm

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Die lange Küste war von Vespucci als neuer Kontinent erkannt worden. Asien konnte es nicht sein. Er hatte auch errechnet, dass da ein weiterer Ozean sein müsse.Bildquelle: Time-Life, .a.O. S. 57

Vespucci war einmal im Auftrag Spaniens und einmal im Auftrag Portugals gereist. Beide Länder hatten großes Interesse an genauen Messungen.

Portugal protestierte, es wurde zäh verhandelt und 1494 wurde eine neue, nun geltende Linie festgelegt. Brasilien ragt nach Osten heraus und spricht heute deshalb Portugiesisch.

Der Papst hatte 1481 eine Demarkationslinie festgelegt, nach der Portugal alle Länder südlich der Kanarischen Inseln zusprach. Dem Papst ging es um Missionsraum.

Nach der Rückkehr von Kolumbus wurde 1493 eine neue Linie festgelegt, jetzt eine Nord-Süd-Linie Das Land westlich des 50. Längengrads sollte Spanien und östlich Portugal zufallen.

Die Aufteilung der Welt zwischenden beiden großen Seefahrt-Ländern durchPäpstliche Bullen (lat. bulla ‘versiegelte Urkunde‘)

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Die Gründung von Schulen in Städten und von Universitäten durch Landesfürsten führte zu einem Berufsstand von Lehrern und Professoren, die sich sofort auch um die deutsche Sprache bemühten, Grammatiken ind Orthographien schrieben - übrigens auch Briefsteller.

Phillip von HessenUniversität Marburg 1521

Rennaissance und Humanismuslösten die kirchliche Scholastikim Wissenschaftsparadigma ab.

Galileo Galilei

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Einführung einesneuen Rechtssystemsdurch Kaiser Maximilian.

Der ewige

Landfriede1459-1519

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13Einführung eines neuen Prozessordnung durch Kaiser Karl V.

1530/32, genannt die “peinlich gerichts ordnung”

1500-1519

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Martin Luther: Die Luther- Bibel von 1545

• Martin Luther übersetzt (mit Mitarbeitern) die Bibel, richtet sichin der Orthografie nach der sächsisch-meißnischen Kanzlei.

• Luthers Sprach- und Rechtschreibnormierungen beeinflussen dieSprachentwicklung und Normierung.

• Er benutzt das Mitteldeutschend bezieht das Oberdeutsche ein.

überregionale Norm

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Deutsch im 16. Jahrhundert: Dialekte

Aus Luthers »Tischreden«

Deutschland hat so viele Dialekte, dass die Leute in einem Abstand von 30 Meilen einander nicht verstehen. Die Österreicher und Bayern behalten keine Diphthonge, denn sie sagen e-ur, fe-ur, bro-edt für feuer, euer, brodt. Die Franken reden so eintönig und dick, dass die Sachsen besonders die Sprache in Antwerpen nicht verstehen ... die Oberlendische sprache ist nicht die rechte teutzsche sprache, denn sie hat sehr offene und starke Laute, aber die sächsische Sprache ist sehr leicht, sie wird mit fast zusammengepresstenLippen gesprochen.(Original auf Lateinisch)

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Situation im 16. Jahrhundert

Christoph Walter: Von vnterscheid der Deudschen Biblien (Wittenberg 1563)

Das aller vornemist vnd notigst in allen Sprachen ist / das man man Orthographiam helt /das ist / das man alle worter mit jren eigenen vnd geburlichen Buchstaben schreibe oder drucke / das man keinen Buchstaben aussen lasse / keinen zu viel neme / keinen fur denandern neme / Das einer die worter mit Buchstaben schreibe / gleich wie der ander / Item /das man die gleichlautende worter / welche zwey ding bedeuten in jrem laut /mit sonderlichen Buchstaben vnterscheide / wie die Ebreische / Griechische vnd LatinischeSprache geordnet vnd gefasset ist.Aber in der Deudsche sprache / schreibt ein jder die worter mit Buchstaben / wie es jm einfellet vnd in sinn komet / das / wenn hundert Brieue / vnd gleich mehr / mit einerleyworter geschrieben worden / so worde doch keiner mit den Buchstaben vberein stimmen/ das einer mit buchstaben geschrieben worde wie der ander.Derhalb ist die Sprache auch so vnuerstendlich / dunckel vnd verworren/Ja gantz verdrieslich vnd vnlustig zu lesen. Vnd sonderlich komet sie den frembdenvndeudschen Leuten sehr schwehr vnd sawer an zuuerstehen / vnd vnmuglich recht zu lernen.

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Notieren Sie, was Ihnen an der Schreibung auffällt.

Vô der Orthographia ein kleyne vnderweisungOrthographia ist ein Ghriechisch wort / heißt recht buchstäbisch schreibê / da sich die teütschê schwärlich reformieren werdê lassen / dañ das vnrecht schreibê der wörter vñ buchstabê / ist in diser sprach so gemein / das der gemein brauch nû muß kunst sein / darzu so ists den Teütschê nit wol müglich recht zuschreibê / diewil si / wi gsagt / nicht wenigers ´vstehn / dañ jre teütsche sprach.Man solt sich aber souil ymer müglich / d´ Orthographia befleissen / dañ auß keinr ãdern vrsach / ist die teütsche sprach so gãtz vnkendtlich / vñ jr selbs vngleich worden / als durch dz falsch schreibê / Aber es möchten die zwu nachuolgende Regel etwas zu solcher Orthograpia thun.Die erst / Wer den verstand eins worts / dasselb recht zuschreibê habê will / der mercke auff die bedeütung vñ Composition des selbê worts / das ist / er sehe vñ merck / was es sei vnd heisse.Die ander / das er dasselb wort oder seine theyl / das ist / die buchstabê zuuor in seinen mund neme / vnd frag seine oren / was vñ wie es laute.(Valentin Ickelsamer: Eine Teütsche Grammatica, 1534)

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