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Prof. Dr. Dagmar Richter INP PAN Warszawa Institut für Rechtswissenschaften der Polnischen Akademie der Wissenschaften [email protected] Universität des Saarlandes, WS 2014/15 Vorlesung „Staatsrecht I“ Nr. 3: Das Parlament – Der Deutsche Bundestag 1

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Prof. Dr. Dagmar RichterINP PAN Warszawa

Institut für Rechtswissenschaften der Polnischen Akademie der [email protected]

Universität des Saarlandes, WS 2014/15

Vorlesung „Staatsrecht I“

Nr. 3: Das Parlament – Der Deutsche Bundestag

1

Begriff „Parlament“:

→ ursprünglich Gesprächs- und Beratungsforum; Begriff geht auf Parlement

du Roi (königlicher Hofrat, Frankreich, 13. Jrdt.) zurück.

→ Entscheidungsbefugnisse erst mit Einführung der Demokratie; Durch-setzung mithilfe des Budgetrechts (19. Jrdt.).

Funktion eines Parlaments (allgemein):

“It [the Parliament] must elect a ministry well, legislate well, teach the nation

well, express the nation’s will well, bring matters to the nation’s attention well.“

Walter Bagehot, The English Constitution (London 1867) on ”Parliamentary Government“.

→ 5 klassische Aufgaben: (1) Wahlfunktion, (2) Gesetzgebungsfunktion,(3) Willensbildungsfunktion,(4) Öffentlichkeits- und Legitimierungsfunktion,(5) Kontrollfunktion.

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Deutscher Bundestag (Berlin)

→ ursprünglich Gebäude des Reichstages, Umgestaltung nach der Wiedervereinigung durch Sir Norman Foster

© DBT/Zumbansen

Reichstag 1946:© DBT

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Reichtstagsgebäude

→ ursprüngliche Gestalt des heutigen BT-Gebäudes; Architektur: Paul Wallot, 1894

Fotografie: Hermann Rückwardt 1897; veröffentlicht bei StadtBildBerlin(www.stadtbildberlin.wordpress.com)

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Funktionen des Deutschen Bundestags (Überblick):

� Allgemein: Repräsentationsfunktion (Legitimierung)

→ Volk wählt Volksvertreter → Volksvertreter treffen Entscheidungen.

� Speziell:

� Wahl- (Kreations-)funktion

→ BT wählt insbes. BReg.

� Kontrollfunktion

→ BT kontrolliert BReg.

� Gesetzgebungsfunktion

→ Gesetze als Mittel durchsetzbarer Steuerung; zugleich freiheitssichernd: Rechtsstaat basiert auf Gesetzen.

� Sonstige Funktionen

→ z.B. Anklagefunktion (Präsidentenanklage gem. Art. 61 GG).

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Repräsentationsfunktion:

→ Legitimierung von Staatsgewalt i.S.v. Art. 20 II GG:

„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und

Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der

vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“

Grundproblem der Demokratie in der Massengesellschaft:

→ Wie kann der Wille von Millionen Menschen in Entscheidungen um-gesetzt werden, die als legitim empfunden und deshalb akzeptiert werden?

Lösung: Wahlen legitimieren Volksvertreter und damit das Parlament alskollektives Gremium. BT = „besonderes Organ“ i.S.v. Art. 20 II GG.

→ Konzept der mittelbaren oder repräsentative Demokratie. ZugleichMachtmäßigung durch Gewaltenteilung.

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Folgen der Repräsentativität:→ Wahl der Abgeordneten durch das Volk begründet besonders starke, d.h. unmittel-

bar demokratische Legitimation des Parlaments. Deshalb fallen dem BT folgende Funktionen bzw. Kompetenzen zu:

� Allgemeine Befassungs- und Beschlussfassungskompetenz

Aber: Keine „Allgewalt“: Zuständigkeiten des BT sind durch Kompetenzordnung des GG ausgeformt und finden ihre Grenzen an den Kompetenzen anderer Verfassungsorgane.

� Öffentlichkeitsfunktion: BT als „Forum der Nation“: Aufgabe, Politik öffentlich zu machen und Kontroversen darzustellen.

Problem: Politik hinter verschlossenen Türen, z.B. in Ausschüssen gem. § 69 GO-BT!

� Willensbildungsfunktion: BT leistet Entscheidungsfindung im Namen des Volkes.Problem: Willensbildung erfolgt weniger im parlamentarischen Diskurs als über die Parteien.

� Zurechnungsfunktion: Handeln des BT wird BRep Deutschland zugerechnet.

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Wahl- (Kreations-)funktion

Der Bundestag wählt:

� Bundeskanzlerin, die wiederum Regierung bildet (Art. 63 GG)

→ parlamentarisches Regierungssystem, Beginn der „ununterbrochenen Legitimationskette“ i.S.d. Demokratieprinzips.

� Wehrbeauftragten des BT (Art. 45 b GG), Beauftragten für Stasi-Unterlagen (§ 35 II Stasi-UnterlagenG), Datenschutzbeauftragte (§ 22 BDatenSchG), etc.

� Nur zur Hälfte zusammen mit BR: Bundesverfassungsrichter (Art. 94 I 2 GG).

Problem: Erforderliche 2/3-Mehrheit im Wahlausschuss (BT: § 6 V i.V.m. 6 II 1 BVerfGG; BR: § 7 BVerfGG) fördert „Parteienschacher“.

� Entsandte des BT in internationalen Gremien (Versammlung des Europarats, der NATO, etc.).

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Kontrollfunktion

Begriff „parlamentarische Kontrolle“

Siehe Art. 45b GG (Wehrbeauftragter).

Historisch

→ Parlament kontrolliert eine vom Monarchen eingesetzte Regierung („Regierung seiner Majestät“).

Problem der parlamentarischen Demokratie von heute

→ Politische Übereinstimmung zwischen Parlamentsmehrheit und Regierung begün-stigt Neigung des Parlaments, Übergriffe der Regierung in Parlamentsrechte zu dul-den.

Lösung

→ Neben die klassischen Kontrollinstrumente der Parlamentsmehrheit treten Instru-mente des politischen Minderheitenschutzes. Politische Minderheit (Opposition) wird „Hüter der Parlamentsrechte“.

→ BT kontrolliert sich mithilfe von Minderheitenrechten selbst. Begrenzende Grundlage bleibt aber das Majoritätsprinzip.

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Kontrollfunktion:Instrumente der Kontrolle – seitens der Mehrheit

� Zitier„recht“ – genauer: Zitierkompetenz (Art. 43 I GG, § 42 GO-BT);

� Budget„recht“ des Parlaments (Art. 110 II GG);

� Konstruktives Misstrauensvotum (Art. 67 GG, § 97 GO-BT): Regierungssturz als ultimaratio.

Instrumente der Kontrolle – seitens der Minderheit

� Anfragen (Interpellationen) an die Regierung, z.B.:

� Große Anfrage (§§ 100 ff. GO-BT): Anfrage (Vorlage) von mindestens 5% der Abge-ordneten an die Gesamtregierung; schriftliche Antwort und anschließende Debat-te. Es gelten §§ 75 f. GO-BT!

� Kleine Anfrage (§ 104 GO-BT). Es gelten §§ 75 III (ohne Beratung im Plenum!), 76 GO-BT.

� Fragestunde (§ 105 GO-BT und Anlage 4): Jedes BT-Mitglied kann kurze Fragen an BReg richten.

� Aktuelle Stunde (§ 106 GO-BT und Anlage 5): Aussprache mit Kurzbeiträgen zu aktuellem Thema auf Verlangen von Ältestenrat oder mindestens 5% der Abgeord-neten.

� Untersuchungsausschüsse (Art. 44 GG, PUAG). 10

Gesetzgebungsfunktion:

• BT bildet zusammen mit dem Bundesrat die gesetzgebenden Körperschaften (BT + BR = Gesetzgeber).

• Kompliziertes Zusammenwirken (Unterscheidung zwischen Zustimmungsgesetzen und Einspruchsgesetzen), kein „typisch“ bundesstaatliches System.

Obligatorische Gesetzgebung

� Haushaltsplan (Art. 110 II GG);

� Grundrechtsrelevante („wesentliche“) Entscheidungen (Gesetzesvorbehalt) = freiheitssichernde Funktion des Parlaments;

� Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen (Art. 59 II GG).

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Mitwirkungsfunktion:

→ Reihe unspezifischer, zum Teil exekutivischer Einzelfunktionen des BT, insbes.:

� Feststellung von Verteidigungsfall und Friedensschluss (Art. 115a, 115 l GG),

� Kreditbeschaffung (Art. 115 GG);

� Streitkräfteeinsatz im Ausland („Parlamentsvorbehalt“, vom BVerfG aus Gesamtschau des GG abgeleitet, durch ParlamentsbeteiligungsG v. 2005

ausgeführt).

Siehe BVerfGE 90, 286 – Auslandseinsätze der Bundeswehr (Adria- und AWACS-Einsatz).

� Angelegenheiten der EU (Art. 23 II, III GG i.V.m. Gesetz über die Zusammen-

arbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten

der Europäischen Union i.d.F. v. 2013).

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Selbstorganisation:

→ BT gibt sich kraZ seiner Geschäftsordnungsautonomie gem. Art. 40 I 2 GG eine Geschäftsordnung (GO-BT).

– I.d.R. beschließt jeder neugewählte BT, die GO-BT aus der vorherigen Legislaturperiode (u.U. mit kleineren Änderungen) zu übernehmen.

– GO-BT ist reines „Innenrecht“ des BT → hat keine Gesetzesqualität. BT kann sich über eigene GO-BT hinwegsetzen, soweit er damit nicht zu-gleich das GG verletzt. Siehe allerdings § 126 GO-BT (Selbstbindung an 2/3-Mehrheit)!

– GO-BT konkretisiert GG. Bei Widerspruch zu Regelungen des GG werden diese angewandt und bleibt GO-BT außer Betracht.

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Wesen des Abgeordnetenmandats:

� Art. 38 I 2 GG → Abgeordnete sind jeweils für sich „Vertreter des ganzen Volkes“, nicht ihres Wahlkreises oder ihrer Wähler (Repräsentationsprinzip i.e.S.).

� Abgeordnete genießen wie alle Individuen den Schutz der Grundrechte. Soweit sie jedoch in ihrem Abgeordnetenstatus betroffen sind, gelten sie als Teil des staat-lichen Systems → Grundrechte werden durch Art. 38 I 2 GG überlagert.

Bsp.: Wird Abgeordneten das Wort im Bundestag entzogen (§ 37 GO-BT), ist nur organschaft-liche (staatsrechtliche) Stellung berührt → Abgeordnete können sich nicht auf Art. 5 GG, sondern nur auf Art. 38 I 2 GG stützen!

� Abgeordnetenmandat ist aus Gründen der Gewaltentrennung unvereinbar mit bestimmten anderen amtlichen Funktionen (Inkompatibilität):

Inkompatibel: Bundespräsident (Art. 55 IGG); BR-Mitgliedschaft (§ 2 GO-BR); Mitgliedschaft im Bundesrechnungshof ( Art. 114 II GG [richterliche Unabhängigkeit], § 3 IV BRHG); Wehrbeauftragter (§ 14 III WehrbeauftrG); Bundesbeauftragte für den Datenschutz (§ 23 II BDSG); Beamtin oder Angestellter im öffentlichen Dienst (§ 57 BBG); Soldat (§ 25 SG); Bundes- oder Landesrichter (§§ 4, 36 III DRiG, 3 III 2 BVerfGG).

↔ Kompatibel: Mitglied der BReg; Staatssekretärin.

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Wesen des Abgeordnetenmandats (Fortsetzung):

� Abgeordnetenfunktion (Ausübung des Mandats) muss im Mittelpunkt der Tätig-keit stehen (§ 44 a I AbgG – Mittelpunktregelung. Siehe BVerfGE 118, 277 ff.).

� Dauer des Mandats richtet sich nach Wahlperiode des BT (Art. 39 GG). Mit Zusammentritt eines neuen BT erlöschen alle alten Mandate (Diskontinuitäts-

prinzip).

� Verzicht auf das Mandat (§ 46 I Nr. 4 BWahlG) infolge eines „Rotationsprinzips“ verstößt nur gegen Art. 38 I 2 GG, wenn unzulässiger Zwang ausgeübt wird.

� Abgeordneter kann bei Eingriffen in Statusrechte aus Art. 38 I 2 GG Organstreit-verfahren (Art. 93 I Nr. 1 GG; §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG) einleiten. Er oder sie ist ein „anderer Beteiligter, der durch dieses Grundgesetz [nämlich durch Art. 38 I 2 GG] mit eigenen Rechten ausgestattet ist“ (Art. 93 I Nr. 1 GG), nicht jedoch „Organteil“ des BT i.S.v. § 63 BVerfGG!

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Einzelgewährleistungen aus dem Abgeordnetenmandat:

� Freiheit des Mandats� Verbot des „imperativen Mandats“;

� Verbot des Fraktionszwangs;

� Rede- und Stimmrecht im Parlament (i.e. §§ 33 ff. GO-BT)

� Beteiligung an Parlamentsbefugnissen;

� Recht zum Zusammenschluss mit anderen Abgeordneten → Zusammenschluss zu Fraktionen (§ 45 I AbgG) und Gruppen;

� Schutz vor Mandatsverlust → Mandatsverlust nur aus ganz besonderen Gründen (§§ 1 AbgG, 46 BWahl).

ABER: Abgeordnetenrechte sind bloße Mitwirkungsrechte!

→ Begrenzung zugunsten Funktionsfähigkeit des BT, der Ausschüsse, der Fraktionen und durch Rechte anderer Abgeordneter.

→ Gewissen einzelner Abgeordneter steht gegen Bedürfnis, politische Mehrheiten zu

organisieren und zu Entscheidungen zu gelangen („Spannungsverhältnis“).

→ Es obliegt BT in Wahrnehmung seiner GO-Befugnis, Abgeordnetenrechte so zu

koordinieren, dass alle Beteiligten ihre Kompetenzen vernünftig wahrnehmen können und das Gesamtgefüge funktioniert (Art. 40 I 2 GG).

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Einzelgewährleistungen (Fortsetzung):

� Gleichheit der Rechte und Pflichten aller Abgeordneten

� Prinzip der gleichen Beteiligung aller Abgeordneter folgt aus Repräsenta-tionsprinzip: Wenn jede(r) Abgeordnete das gesamte Volk vertritt, muss jede(r) die gleiche Rechtsstellung haben.

� Gleicher Anspruch auf Rücksichtnahme auf Fähigkeiten und Neigungen bei Zuweisung von Ausschusssitzen (§ 57 II GO-BT) – im Rahmen des Möglichen;

� Mitgliedschaft in mindestens einem Ausschuss, allerdings im Falle fraktions-loser Abgeordneter ohne Stimmrecht (§ 57 I 2, II 2 GO-BT).

� Gleiche Ausstattung

→ Funktionszulagen nur ausnahmsweise für BT-Präsident und Stellvertreter sowie Fraktionsvorsitzende (s. BVerfGE 102, 224 ff.).

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Einzelgewährleistungen (Fortsetzung):

� Schutzrechte

� Allgemeines Behinderungs- und Benachteiligungsverbot (Art. 48 II 1 GG, § 2 I, II AbgG).

� Verbot des „imperativen Mandats“

→ Art. 38 I 2 GG verbietet Bindung des Abgeordnetenmandats an Willen der Wähler-schaft, Partei oder Fraktion.

� Indemnität (Art. 46 Abs. 1 GG):

→ keine Verfolgung für Abstimmungen oder Äußerungen innerhalb des Parlaments,

Ausnahme „verleumderische Beleidigung“, Tätlichkeiten, Privatgespräche. Problem: Äußerungen gegenüber Presse mit erfasst?

� Immunität (Art. 46 Abs. 2-4 GG)

� Immunität steht grds. dem BT, nicht den Abgeordneten zu! Aber: Art. 46 II i.V.m.

Art. 38 I 2 GG verleiht Abgeordneten eigenen durchsetzbaren Anspruch darauf, dass BT über Aufhebung der Immunität eine willkürfreie Entscheidung trifft (BVerfGE 103, 81 ff. – Pofalla).

� Generelle Aufhebung der Immunität gem. Anlage 6 GO-BT.

� Zeugnisverweigerungsrecht, Beschlagnahmeverbot (Art. 47 GG).

� Urlaubsansprüche, Kündigungsschutz (Art. 48 I, II GG; §§ 2, 4 AbgG). 18

Einzelgewährleistungen (Fortsetzung):

� Ausstattung

� Angemessene (Abgeordneten-)Entschädigung („Diäten“; Art. 48 Abs. 3 GG, § 11 AbgG);

� Amtsausstattung (§ 12 AbgG);

� Freie Beförderung (Art. 48 III 2 GG, § 16 AbgG);

� Versorgungsansprüche, Sozialleistungen (§§ 18 ff. AbgG).

� Unabhängigkeit

→ Abgeordneten unterliegen Transparenzregeln hinsichtlich ihrer Einkünfte (§ 44 a IV AbgG i.V.m. Verhaltensregeln für Mitglieder des BT (Anlage 1 der GO-BT).

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Begriff „Fraktion“:

„Die Fraktionen sind Vereinigungen von mindestens fünf von Hundert der Mitglieder

des Bundestages, die derselben Partei oder solchen Parteien angehören, die auf Grund

gleichgerichteter politischer Ziele in keinem Land miteinander im Wettbewerb stehen.“ (§ 10 I 1 GO-BT)

Fraktionsmindeststärke von 5% lehnt sich an die 5%-Klausel des § 6 VI BWahlG an.

Nur ein versteckter Hinweis auf Fraktionen im GG: Art. 53 a GG.

Begriff „Gruppe“

→ wie Fraktionen, aber unterhalb 5% aller Sitze. Anerkennung als Gruppe (§ 10 IV GO-BT) hängt i.d.R. vom Erreichen des Grundmandats (mindestens 3 Sitze) ab.

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Anerkennung und normative Grundlagen:

Entscheidungen über Anerkennung als Fraktion oder Gruppe trifft Plenum des BT aufgrund Stellungnahme des GO-Ausschusses.

Eigenständige Verfassungsposition der Fraktionen (= „notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens“) und Gruppen folgt aus

� Recht der einzelnen Abgeordneten auf Zusammenschluss (Art. 38 I 2 GG) und

� Regeln über die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Parlaments (vgl. Art. 63, 67 f. GG).

Ausführende Regelungen

• für Fraktionen: §§ 45-54 AbgG (sog. „Fraktionsgesetz“); § 45 II AbgG i.V.m. §§ 10 ff. GO-BT;

• für Gruppen: § 10 IV GO-BT (§§ 45 ff. AbgG sind nicht auf Gruppen anwendbar!)

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Rechtsstellung von Fraktionen und Gruppen als Organteile des BT:

� Fraktionen (und Gruppen) wirken an der Erfüllung der Aufgaben des BT mit (§ 47 I AbgG); sie gewährleisten Bündelung von Einzelmeinungen („organisieren Mehr-heiten“). Zu diesem Zweck dürfen sie Fraktionsdisziplin (Gruppendisziplin) ein-fordern.

� § 48 I AbgG verpflichtet Fraktionen auf Grundsätze der parlamentarischen Demokratie; Entsprechendes gilt für Gruppen.

� Fraktionen (und wohl auch Gruppen) sind „rechtsfähige Vereinigungen von Abge-ordneten“ (§ 46 I AbgG).

� Fraktionen und Gruppen sind als „Teile“ des Organs Bundestag parteifähig im Organstreitverfahren (§ 63 BVerfGG).

� Fraktionen und Gruppen unterliegen dem Prinzip der Diskontinuität: Existenz en-det mit Zusammentritt eines neuen BT.

Allerdings: Partielle Fortführung in neue Legislaturperiode ist möglich (§ 54 VII AbgG), um Dauerschuldverhältnisse (Arbeitsverträge, Miete, Pacht etc.) aufrecht zu erhalten.

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Rechtsstellung von Fraktionen im Besonderen:

BVerfG beschreibt Fraktionen als

→ „politisches Gliederungsprinzip des Bundestages“ und

→ „notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens“.

Konsequenzen:

� Fraktionen dominieren Ältestenrat des BT (§ 6 GO-BT); Befugnisse auch in

Bezug auf fraktionslose Abgeordnete (§ 35 GO-BT)!

� Fraktionen benennen ihre Ausschussmitglieder.

� Fraktionen erhalten staatliche Gelder – aber nur für Fraktions-, nicht für

Parteizwecke (§ 50 AbgG).

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Rechtsstellung von Fraktionen im Besonderen (Fortsetzung):

Fraktionen und Abgeordnete:

� Problem Fraktionsausschluss

Einschlägig: Art. 38 I 2 GG i.V.m. § 10 I GO-BT, § 48 I AbgG, GO der Fraktionen.

Verlust der Parteimitgliedschaft führt zu Verlust der Fraktionszugehörigkeit (§ 10 I

GO-BT), aber niemals zum Mandatsverlust!

� Problem „fraktionslose Abgeordnete“:

→ kein Stimmrecht fraktionsloser Abgeordneter in Ausschüssen (§ 57 II 2 GO-BT.

Grundlegend BVerfGE 80, 188 ff. – Wüppesahl). Argument: Überproportionales

Stimmgewicht des fraktionslosen Abgeordneten im Ausschuss im Vergleich zum

Plenum (Prinzip der Spiegelbildlichkeit).

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Rechtsstellung von Gruppen im Besonderen:

• Gruppenstatus ist „kein Status minderen Rechts“: Mitglieder der Gruppe haben im Unterschied zu fraktionslosen Abgeordneten das volle Stimmrecht in Aus-schüssen.

• Aber: Gruppenstatus erfasst nur „Schwerpunkte parlamentarischer Arbeit“(BVerfGE 84, 304 ff. – PDS). Das bedeutet:

� Keine zwingende Berücksichtigung bei Vergabe von Vorsitzen/ Stellvertretun-gen in Ausschüssen, da diese Funktionen „kein spezifisch mitgliedschaftliches

Recht“ der Abgeordneten seien (zw.);

� Gruppen müssen nicht im Gemeinsamen Ausschuss (Art. 53 a GG) vertreten sein, weil Prinzip der Spiegelbildlichkeit hier nur eingeschränkt gilt (str.).

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Wesen und Aufgaben:

Ausschüsse sind verkleinerte Spiegelbilder des Parlaments, in dem die eigentliche

Sacharbeit durch Experten der Fraktionen und Gruppen sowie externe Experten stattfindet (§ 54 GO-BT), hauptsächlich:

→ Vorbereitung von Gesetzesvorlagen und→ Kontrolle der Regierungstä]gkeit.

Als vorbereitende Beschlussorgane beraten die Ausschüsse i.d.R. nicht öffentlich (§ 69 GO-BT).

Grenzen der Delegationsbefugnis:

� BT darf keine Aufgaben auf Ausschüsse übertragen, die zum Kernbereich seiner

verfassungsmäßigen Funktion gehören, insbesondere nicht Kompetenz als solche

übertragen (z.B. keine Übertragung der GO-Befugnis).

Ausnahme: Art. 45 S. 2 GG (betr. Ausschuss für Angelegenheiten der EU).

� Der BT darf keine Aufgaben an Ausschüsse delegieren, die seinen eigenen Kompe-tenzbereich überschreiten („Korollartheorie“).

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Anzahl, Art und Größe:

Fakultative Ausschüsse kann BT nach freiem Ermessen einrichten, sofern jedes BT-Mitglied mindestens einem Ausschuss angehört (Art. 38 I 2 GG; § 57 I 2 GO-BT).

18. Wahlperiode: 24 ständige Ausschüsse zu Fachressorts. Mitgliederzahl schwan-kend zwischen 17 und 41, je nach erwartetem Arbeitsaufwand und arithmetischen Erfordernissen .

Obligatorische Ausschüsse: Ausschüsse für Angelegenheiten der EU (Art. 45 GG), für auswärtige Angelegenheiten (Art. 45 a GG), Verteidigungsausschuss (Art. 45 a GG), Petitionsausschuss (Art. 45 c GG), Haushaltsausschuss (§ 95 GO-BT), Wahlprüfungsausschuss (§ 3 WahlprüfungsG).

Sonderausschüsse für einzelne Angelegenheiten (§ 54 I 2 GO-BT): Untersuchungsausschüsse (Art. 44 GG, PUAG), Enquête-Kommissionen (§ 56 GO-BT).

Keine Ausschüsse im technischen Sinne (keine Struktur nur des BT): Vermittlungsausschuss (Art. 77 Abs. 2 GG), Gemeinsamer Ausschuss (Art. 53 a GG), Richterwahlausschüsse (Art. 94 II, 95 II GG).

Sonderfall: Parlamentarisches Kontrollgremium zur Überwachung der Geheimdienste (Art. 45 d GG, Kontrollgremiumgesetz – PKGrG).

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Besetzung:

→ nach dem Prinzip der Spiegelbildlichkeit, d.h. das politische Kräfteverhält-nis der Fraktionen und Gruppen im BT muss sich auch in jedem einzelnen Ausschuss wiederspiegeln.

Fraktionsleitung entscheidet über Zuweisung zu bestimmtem Ausschuss (§ 57 II 1 GO-BT). Fraktionslose Abgeordnete weist BT-Präsident zu (§ 57 II 2 GO-BT).

Vorsitze und Stellvertretungen werden zwischen den Fraktionen im Ältesten-rat ausgehandelt (§§ 6, 58 GO-BT) bzw. nach der Methode Sainte-Laguë/ Schepers vergeben. Folge: Auch die Opposition erhält Vorsitze (traditionell: Vorsitz im Haushaltsausschuss).

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Wesen des Untersuchungsausschusses:

→ nicht-ständiges Gremium zur Aufklärung eines bestimmten Unter-suchungsgegenstandes („Skandals“).

Bsp.: NSA-Untersuchungsausschuss.

Einsetzung durch Mehrheit des Bundestages (Mehrheitsenquête) oder aber durch Minderheit als Mittel der Opposition (Minderheitsenquête).

Rechtsgrundlagen:

Art. 44 GG, § 55 GO-BT; Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersuchungs-ausschüsse des Deutschen Bundestages (PUAG).

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Einsetzung:→ durch Beschluss (der Mehrheit) des BT (Art. 44 I GG, § 1 II PUAG). Aber: Einsetzungsbeschluss muss auf Antrag eines Viertels der BT-Mitglieder gefasst werden, sofern Untersuchungsverfahren zulässig ist.

Voraussetzungen der Zulässigkeit:

� Hinreichende Bestimmtheit des Untersuchungsgegenstandes.

� Gegenstand liegt im Rahmen der verfassungsmäßigen Zuständigkeit des BT (§ 1 III PUAG).

� Kein Übergriff in den Zuständigkeitsbereich anderer Staatsgewalten (Prinzip der Gewaltentrennung): Beachtung des „Kernbereichs exekutiver Eigenverantwor-tung“ → Gefahr des Mitregierens des BT!

Beispiele für unzulässige Gegenstände:

� Noch nicht abgeschlossenes Regierungshandeln (Kernbereich der Exekutive);

� Überprüfung von Gerichtsurteilen (Kernbereich der Judikative).

� Beachtung der Grundrechte betroffener Privatpersonen.

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Beweiserhebung und Geheimnisschutz:

Siehe Art. 44 I, II GG; §§ 15 ff. PUAG: Aufklärung mithilfe strafprozessualer Befugnisse!

Die Regierung kann nicht mit bloßem Hinweis auf Staatsgeheimnisse Herausgabe von Aktenmaterial verweigern. Denn:

� Sicherheit des Staates ist nicht nur der BReg, sondern auch dem BT anvertraut (Flick-Entscheidung des BVerfG).

� Sicherheitsbedenken kann durch geeignete Verfahrensweisen Rechnung getragen werden (siehe §§ 15 f. PUAG).

Das Recht der qualifizierten Parlamentsminderheit, die Einsetzung eines U-Ausschus-ses zu erzwingen, setzt sich in die Beweiserhebung fort:

� Ablehnung eines Beweisantrags seitens der Minderheit bedarf Begründung und ist gerichtlich überprüfbar.

� Können wegen Ablaufs der Legislaturperiode nicht mehr alle Anträge bearbeitet werden, muss Mehrheit angemessene Berücksichtigung der Beweisanträge der Minderheit sicherstellen, auch im Rahmen der Mehrheitsenquête! (BVerfG -Parteispendenausschuss).

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Öffentlichkeit:

→ nicht bei den Beratungen (§ 12 I PUAG), aber bei Sitzungen zur Beweisauf-nahme (§ 13 I PUAG).

Abschlussbericht:

→ wird von Mehrheit verabschiedet. Aber: Sondervoten der Minderheit

(Opposition) sind zulässig (§ 33 II PUAG).

Rechtsschutz:

Entscheidung über Zulässigkeit der Einsetzung: BVerfG (Organstreit gem. Art. 93 I

Nr.1, §§ 13 Nr.5, 63 ff. BVerfGG; siehe auch §§ 2 III 2, 36 I PUAG).

Ablehnung des Ersuchens um Vorlage von Beweismitteln: BVerfG auf Antrag des

U-Ausschusses oder eines Viertels seiner Mitglieder das BVerfG (§ 18 III PUAG).

Fragen der Geheimhaltungsstufe oder der Rechts- und Amtshilfe: Ermittlungs-

richter des BGH (§ 18 III, IV PUAG).

Im übrigen (außerhalb der Zuständigkeit des BVerfG): BGH (§ 36 PUAG).

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Bewertung:

Recht, Untersuchungsausschuss einzusetzen, verschafft BT „Recht zur

Selbstinformation“ mit eigenständigem Recht zur Beweiserhebung

(Art. 44 II GG).

Doppelfunktion:

(1) Allgemeines Aufklärungsinstrument der parlamentarischen Mehrheit

oder Minderheit in Bezug auf alle Angelegenheiten von öffentlichem

Interesse.

Bemerkenswert: Art. 44 I GG lässt mit dem Erfordernis des BT-Beschlusses (mit

Mehrheit!) immer noch die historische Frontstellung zwischen Parlament und

monarchisch eingesetzter Regierung erkennen. Heute ist es hauptsächlich Instrument

der Minderheit.

(2) Kontrollinstrument der politischen Minderheit.

Zu diskutieren: Ist das Ein-Viertel-Quorum (Art. 44 I GG) zu hoch ange-

setzt?

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