Pol. Ökonomie
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Neue Politische Ökonomie:
Zur Entscheidung über das Ausmaß
politischer Repräsentation
Vorlesung an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
SS 2008
Prof. Dr. Lars P. FeldRuprecht-Karls-Universität Heidelberg, ZEW Mannheim, Universität St. Gallen
(SIAW-HSG), CREMA Basel und CESifo München
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Zur Entscheidung über das Ausmaß politischer Repräsentation
Aufbau der Vorlesung
• Das Kalkül von Buchanan und Tullock
– Entscheidungskosten
– Präferenzkosten (externe Kosten)
– Der Trade-Off
• Prinzipal-Agenten-Probleme
– Informationskosten vs. Delegationskosten
• Direkte vs. Repräsentative Demokratie
• Präsididial- vs. parlamentarische Demokratie
• Zusammenfassung
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Das Kalkül von Buchanan und Tullock I
• Welche Abstimmungsregel sollte im Verfassungsvertrag für welche Entschei-dungsbereiche vereinbart werden?– Einstimmigkeits- vs. Mehrheitsregeln
• Einstimmigkeit verlangt die Zustimmung aller und hat daher hohe Einigungs- bzw. Entscheidungs-kosten: Es kann sehr lange dauern, bis eine Ent-scheidung getroffen wird.
• Aber Vorteil: Alle müssen zustimmen, so dass die Interessen jedes Einzelnen berücksichtigt werden.
• Mehrheitsregeln erlegen notwendigerweise der unterlegenen Minderheit externe Kosten auf, da sie eine gewisse Willkür besitzen.
• Aber Vorteil: Die Entscheidungskosten werden reduziert. Pol. Ökonomie
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Das Kalkül von Buchanan und Tullock II
• Welche Abstimmungsregel sollte im Verfassungsvertrag für welche Entschei-dungsbereiche vereinbart werden?– Willkür der Mehrheitsregel wird am deut-
lichsten, wenn man statt dessen eine einzelne Person als Entscheidungsträger nimmt.
– Buchanan und Tullock sprechen von externen Kosten anstelle von Willkür.
– Den Individuen, die nicht für eine öffentliche Massnahme stimmen, wird eine Politik aufgezwungen, die sie nicht wollen.
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Das Kalkül von Buchanan und Tullock III
• Welche Abstimmungsregel sollte im Verfassungsvertrag für welche Entschei-dungsbereiche vereinbart werden?– Notabene: Externe Kosten treten nicht bei pri-
vaten Gütern auf.
– Hier entscheidet ein Individuum quasi für die ganze Gesellschaft.
– Nicht vom Wohlwollen des Bäckers hängt es ab, ob wir unser Brot bekommen (frei nach Adam Smith).
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Das Kalkül von Buchanan und Tullock IV
• Welche Abstimmungsregel sollte im Verfassungsvertrag für welche Entschei-dungsbereiche vereinbart werden?– Externe Kosten sind: ‚costs that the individual
expects to endure as a result of the actions of others over which he has no direct control.‘
– Entscheidungskosten sind: ‚costs which the in-dividual expects to incur as a result of his own participation ... in decisions when two or more individuals are required to reach agreement.‘ (S. 45f. in Buchanan und Tullock, 1962).
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Das Kalkül von Buchanan und Tullock V
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Erwartete Kosten
Anzahl StimmbürgerN
Abbildung 1: Die optimale Mehrheitsregel
CD
C+D
K
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Das Kalkül von Buchanan und Tullock VI
• Diejenige Abstimmungsregel sollte ge-wählt werden, welche die Summe aus externen Kosten und Entscheidungsko-sten (interdependence costs) minimiert.
• Sie wird von Problemklasse zu Problem-klasse verschieden sein.
• Bei Grundrechtsfragen wird man eine höhere Mehrheit, etwa Einstimmigkeit verlangen.
• Beinahe-Einstimmigkeitsregel (90%).
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Das Kalkül von Buchanan und Tullock VII
• Einfache Mehrheitsregel: 50% + 1 Stimme.
• Delegation von Entscheidungsbefugnis-sen als Abweichung von der Einstim-migkeit.
• Föderalisierung zur Verringerung der Verhandlungskosten.
• Schutz vor zufälligen Mehrheiten auch durch das Erfordernis der ‚Einheit der Materie‘.
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Prinzipal-Agenten-Probleme I
• Nach Buchanan und Tullock ist die Frage, wieviel Delegation in einer Demokratie notwendig ist, von der Höhe der Entscheidungskosten abhängig.
• Je grösser die Gruppe, desto weniger entscheiden die Individuen direkt in Abstimmungen.
• Sass (2001): ‚rent seeking‘ Kosten ent-stehen in einem demokratischen Ent-scheidungsverfahren durch Interessen-gruppeneinfluss.
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Prinzipal-Agenten-Probleme II
• Informationskosten: Bürger müssen sich über politische Sachfragen informieren, wenn sie darüber entscheiden wollen.
• Vorteile der Spezialisierung helfen In- formationskosten einzusparen.– Politiker und Parteien sind Spezialisten, die
einen komparativen Vorteil im politischen Geschäft haben.
– So wie Konsumenten Entscheidungen über Gesundheitsleistungen an ihren Arzt delegieren, delegieren Bürger politische Entscheidungen an die Politiker.
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Prinzipal-Agenten-Probleme III
• Delegationskosten:– Abgeordnete und die Regierung führen den
Wählerwillen nicht notwendigerweise aus.
– Sie versuchen sich private Vorteile zu verschaffen.
– Nicht notwendigerweise Korruption, sondern einfach ein angenehmeres Leben (Dienstwagen, Sekretärin, wissenschaftliche Mitarbeiter, Reisebudget usw.)
– Gleiches Problem wie die Beziehung zwischen Manager und Shareholder.
– Agency costs: Monitoring and constraining.
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Direkte vs. repräsentative Demokratie I
• Trade-Offs:– Komplizierter als bei Buchanan and Tullock.
– Kessler (2005): Abwägen der (weit definierten) Informationskosten und den (weit definierten) Delegationskosten.
– Partielle Delegation:• Nicht alle Entscheidungen sollten von
Abgeordneten und der Regierung autonom entschieden werden.
• Delegation sollte aber Anreize zur Kompetenzan-eignung auf Seiten der Repräsentanten schaffen.
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Direkte vs. repräsentative Demokratie II
• Asymmetrische Information:– Kessler (2005): Reine direkte Demokratie hat
zu hohe Kosten
– aber: Anreicherung der repräsentativen Demokratie mit direkt-demokratischen Elementen
– Referendum und Initiative als Mechanismen zur selektiven Kontrolle der Politiker.
– Das Volk behält sich vor, in bestimmten Sachfragen, dann wenn es will (!), bindende Sachfragen zu entscheiden.
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Direkte vs. repräsentative Demokratie III
• Asymmetrische Information:– Marino und Matsusaka (2005): Volle
Delegation unterhalb eines bestimmten Reservationswertes, etwa ein Schwellenwert für neue Staatsausgaben.
– Oberhalb des Schwellenwertes muss oder kann das Volk über ein neues Ausgabenprojekt entscheiden.
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Direkte vs. repräsentative Demokratie IV
• Asymmetrische Information:– Matsusaka (1992): Unsicherheit auf Seiten der
Politiker führt dazu, dass verteilungspolitisch bedeutsamere Entscheidungen in Referenden entschieden werden.
– Prozessorientierte Fragen werden stärker ausschließlich durch Parlamente und Regierungen entschieden.
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Direkte vs. repräsentative Demokratie V
• Empirische Evidenz:– Die Stimmbeteiligung in Volksabstimmungen
ist höher bei verteilungspolitisch relevanten oder moralisch umstrittenen Themen.
– Fragen wie die Ausgestaltung eines neues Finanzausgleichs gewinnen hingegen kaum Aufmerksamkeit.
– In den U.S.-Bundesstaaten werden mehr verteilungsrelevante Fragen als Verfahrens-fragen über Initiativen entschieden.
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Direkte vs. repräsentative Demokratie VI
• Empirische Evidenz:– Je geringer die Bevölkerung, desto mehr
direkte Volksrechte.
– Die Heterogenität der Bevölkerung gemessen an der Einkommensverteilung und an anderen sozio-ökonomischen Diversitätsmaßen (als Maße für Kosten der Entscheidungsfindung) führt zu mehr repräsentativer Demokratie.
– Je höher das Einkommen historisch war, desto wahrscheinlicher mehr repräsentative Demokratie.
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Präsidial- vs. parlamentarische Demokratie I
• Westminster System:– Kaum eingeschränkte Macht der herrschenden
Partei im Westminster System.
– Starke politische Führung mit schnellen politischen Entscheidungen und Instabilität.
• U.S.-System der ‚checks and balances‘:– Klare Beschränkungen der Macht durch den
politischen Wettbewerb zwischen Machtzentren im amerikanischen System.
– Langsame aber dauerhafte Entscheidungen.
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Präsidial- vs. parlamentarische Demokratie II
• Trotz der höheren Entscheidungseffi-zienz im Westminster System lassen sich kaum Reformen hin zu diesem System feststellen.
• Die Bürger fragen Institutionen zur Beschränkung der Regierung nach.– ‚Divided government‘, ‚cohabitation‘,
Bundestag und Bundesrat.
• Formale Regeln der ‚checks and balan-ces‘ verbessern die Position der Abge-ordneten gegenüber der Bürokratie.
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Zusammenfassung I
• Welche Verfahrensregel bei demokra-tischen Prozessen gewählt wird, hängt ab von den Kosten der Entscheidungs-findung und ‚externen Kosten‘ (Unter-drückung der Minderheit).
• Einstimmigkeit vs. Mehrheitsregel.• Delegation und Föderalismus als
Möglichkeit, Entscheidungskosten einzusparen.
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Zusammenfassung II
• Politik als Geschäft im Sinne einer optimalen Arbeitsteilung
• Delegation verursacht Kosten der Be-aufsichtigung, Kontrolle und Sanktion
• Informations- vs. Delegationskosten• Partielle Delegation als optimales Ergeb-
nis bei asymmetrischer Information.• Repräsentative Demokratie sollte durch
Referendum und Initiative angereichert werden.
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Zusammenfassung III
• Selektive Mechanismen zur Kontrolle und Sanktion.
• Empirische Evidenz – Kosten der Entscheidungsfindung
– Unsicherheit in verteilungspolitischen Fragen.
• Nachfrage nach Präsidial- gegenüber parlamentarischen Systemen, weil stärkere Kontrolle der Regierung.– Keine empirische Evidenz
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Literatur
Literatur
– Buchanan, J. M. and Tullock, G. (1962), The Calculus of Consent, Ann Arbor: University of Michigan Press.
– Kessler, A. S. (2005), “Representative versus Direct Democracy: The Role of Informational Asymmetries,“ Public Choice 122, pp. 9-38.
– Marino, A. M. and Matsusaka, J. G. (2005), “Decision processes, agency problems, and information: An economic analysis of capital budgeting procedures,“ Review of Financial Studies 18 (1), pp. 301-25
– Matsusaka, J. G. (1992), “Economics of Direct Legislation,“ Quarterly Journal of Economics 107, pp. 541-571.
– Sass, T. R. (2001), “The Anatomy of Political Representation: Direct Democracy, Parliamentary Democracy, and Representative Democracy,“ The Elgar companion to public choice, pp. 157-79.