Palliative Care bei Kindern – Wer braucht wann, welche PPV ... · Kurativ Palliativ Beginn abrupt...

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19.03.15 1 Palliative Care bei Kindern – Wer braucht wann, welche PPV und wie viel davon? PD Dr. Eva Bergsträsser Leitende Ärztin Onkologie und Palliative Care 8. Dattelner Kinderschmerztage 19.3.2015 Education Day Palliative Care Keine Interessenskonflikte! Zürich – Paradeplatz – UBS / Credit Suisse 2

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Palliative Care bei Kindern – Wer braucht wann, welche PPV und wie viel davon?

PD Dr. Eva Bergsträsser Leitende Ärztin Onkologie und Palliative Care 8. Dattelner Kinderschmerztage 19.3.2015 Education Day

Palliative Care

Keine Interessenskonflikte!

Zürich – Paradeplatz – UBS / Credit Suisse 2

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Übersicht der zu besprechenden Themen

1.  WER – Definition Pädiatrische Palliative Care (PPC) – Welche Kinder – Epidemiologische Aspekte

2.  WANN – Beginn einer palliativen Betreuung – Instrument zur Bestimmung des Zeitpunkts

3.  WAS – Formen der PPV

4.  WIE VIEL

3

Möglichkeiten zur Beschreibung der Population

– Definition von PPC – Die vier Gruppen von ACT / Together for short lives – Epidemiologische Daten

– Sterbeziffern – Prävalenz Berechnung

– Prognostische Parameter von Krankheitsverläufen

http://www.togetherforshortlives.org.uk/news 4

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Für Kinder mit lebens-limitierenden Erkrankungen eine „aktive“ und umfassende Betreuung vom Zeitpunkt der Diagnose bis über den Tod hinaus beinhaltet: körperliche, emotionale, sozial und spirituelle Elemente

incl. Entlastungsangebote für die Familie Ziele: Verbesserung der Lebensqualität, Unterstützung der Familie,

Linderung von belastenden Symptomen

Definition für Kinder

5

Diese Definition ist problematisch – warum?

– Unklarer Zeitpunkt – Fehlende Abgrenzung – Unklare Begriffe

– Was bedeutet aktiv? – Was bedeutet umfassend? – Wie unterscheidet sich PPC von „guter Medizin“? – Was unterscheidet „palliativ“ von „kurativ“?

Bergstraesser. Pediatric Palliative Care: A reflection on terminology. Palliative Care: Research and Treatment 2013:7

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Behandlungsansatz „kurativ“ versus „palliativ“

Kurativ Palliativ

Beginn abrupt Beginn als Prozess Krankheit im Vordergrund Patient und Umfeld im Vordergrund Schlechtere Lebensqualität / Leiden werden in Kauf genommen

Hauptziel Lebensqualität und Linderung von Leiden

„fremdbestimmt“

„selbstbestimmt“

PD Dr. Eva Bergsträsser 7

Diagnosegruppen

Neonatologie Frühgeburtlichkeit, Geburtsfehler –komplikationen

1.  Krankheiten mit kurativen Behandlungsoptionen Krebserkrankungen, korrigierbare Herzfehler

2.  Krankheiten mit eingeschränkter Lebenserwartung nicht korrigierbare Herzfehler, Cystische Fibrose, HIV

3.  Progredient verlaufende Erkrankungen Stoffwechselerkrankungen, Muskeldystrophie

4.  Unheilbare Krankheiten mit schwerer Behinderung schwere Cerebralparese, Mehrfachbehinderung nach Schädelhirntrauma

in Anlehnung an PD Dr. Eva Bergsträsser

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Epidemiologische Zahlen / Schätzungen

Deutschland (ca 80 Mio Einwohner)

Schweiz (ca 8 Mio Einwohner)

Anteil 0-19 J (ca 20%)

16 Mio 1.6 Mio

Todesfälle/Jahr 0-18 J (< 1% aller Todesfälle)

4‘500-5‘000 450-500

Prävalenz1 Kinder mit lebens- limitierender Krankheit 15/10‘000 der 0-19 J

24‘000 2‘400

1 Noyes J et al. Evidence-based planning and costing palliative care services for children. BMC Palliative Care 2013, 12:18

9

Prevalence of LLCs in children in England by major diagnostic group, 2000–2010.

Lorna K. Fraser et al. Pediatrics 2012;129:e923-e929

©2012 by American Academy of Pediatrics

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Demographische Daten einer Population (USA)

aus 6 Spital-basierten PPC Teams über 3 Monate 515 neue Patienten – 41% genetische/kongenitale Erkrankungen – 40% neuromuskuläre Erkrankungen – 20% onkologische Diagnosen

– 50% PEG Sonde – 10% Tracheostoma – 1/3 Schmerzen – 9 Medikamente (Median)

– 12 Monate Follow-up – 30% der Patienten versterben (vorwiegend im Spital) – Früh starben: Säuglinge, onkologische u. kardiologische Pat.

Feudtner et al_PPC pts. A prospective multicenter cohort study. Pediatrics 2011;127:1094-1101 11

47% kognitive Einschränkung

Wichtiger Grundsatz:

Nicht die Diagnose begründet den Bedarf / die Notwendigkeit für eine palliative Betreuung, sondern die Bedürfnisse (needs) des Patienten und der Familie.

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Beschreibung der Population „Palliativ-Patienten“ unter Einbezug der NEEDS-Frage

– Im Erwachsenenbereich (v.a. aus Onkologie) über prognostische Scores, aber auch Intensität Symptome und Betreuungsaufwand

– Lebenserwartung – Performance (ECOG score – Eastern-Cooperative-Oncology Group) – Symptome (v.a. Dyspnoe, Anorexia, Delirium) – Interventionen durch Palliative Care Support Team – Betreuungsaufwand (Probleme i.d. Betreuung zu Hause, care

giver oder family burden)

Gaertner et al. Supp Care Cancer 2012;20:507-13 13

– Alternative zur Kategorisierung von Diagnosen: – Complex Chronic Conditions (CCC) – Children with Medical Complexity (CMC)

– Beschreibung / Hinweise für Änderung des Krankheitsverlaufs – Zunahme von Hospitalisationen incl. Intensivmedizin – Akute Krankheitsepisoden, von denen sich das Kind nicht

erholt – Körperliche Veränderungen (Nahrungsaufnahme, Änderung

der Atmung, Abnahme wacher und aktiver Phasen)

Cohen et al. Children with medical complexity. Pediatrics 2011;127:529-38 Brook, Hain. Predicting death in children. Arch Dis Child 2008;93:1067-70

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Population der pädiatrischen „Palliativ-Patienten“

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Children with Medical Complexity (CMC)

Cohen et al. Children with medical complexity. Pediatrics 2011;127:529-38 15

CMC

Needs Familiy, child

Chronic conditions

Health care use Functional limitations

Was braucht es?

– Definition krankheitsspezifischer Punkte im Krankheitsverlauf, bei denen Palliative Care als integrativer Bestandteil der Betreuung beigezogen werden muss.1

– Hilfsmittel – Tools – um diese Punkte zu erfassen.2

1 Gaertner et al. Supp Care Cancer 2012;20:507-13 2 Weissman DE, Meier DE. Identifying pts in need of palliative care. Consensus Report. J Pall Med 2011;14:17-23

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Typische Verläufe

gesund

Diagnose RMS

Chemo kurativ - palliativ

Best

rahl

ung

16 Monate

Lebe

nsqu

alitä

t

Onkologie

Pallia

tive

Begl

eitu

ng

Diagnose zyanotischer nicht-korrigierbarer Herzfehler

8.5 Jahre

Lebe

nsqu

alitä

t

multiple Operationen

REA nein

Diagnose MPS

16.5 Jahre

Lebe

nsqu

alitä

t

„ges

und“

REA nein

18

Cardiologie

Pallia

tive

Begl

eitu

ng

12/2

011

Pallia

tive

Begl

eitu

ng

04/2

010

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Ein Instrument – was müsste es leisten können?

– Unterstützung im Entscheidungsprozess – Einschätzung prognostisch unsicherer Krankheitssituationen – Einschätzung des erwarteten Erfolgs einer Therapie

– Einschätzen des Bedarfs für eine Palliative Begleitung – Anwendbar für alle pädiatrischen Diagnose- und Altersgruppen

(ausser 1. LJ) – Einfache Handhabbarkeit für Ärzte / Behandlungsteams

Paul Glare, Sydney1 •  Forseeing •  Fortelling •  Decision-making

1 Glare, Sinclair. Palliative medicine review: Prognostication. JPM 2008;11:84-103 19

PROZESS

Paediatric Palliative Screening Scale PaPaS Scale

Fünf Domänen 1.  Krankheitsverlauf und Auswirkung auf die Alltagsaktivitäten des

Kindes 2.  Erwarteter Erfolg einer auf die Grunderkrankung gerichteten

Therapie und Belastung durch die Behandlung 3.  Symptome und Belastung durch die Symptome 4.  Wünsche und Bedürfnisse des Patienten oder der Eltern

– Einschätzung von Fachpersonen / Behandlungsteam 5.  Geschätzte Lebenserwartung

Bergstraesser et al. BMC Palliative Care 2013;12:20 Bergstraesser et al. Pall Med 2014;28:530-4

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Domäne 2 Erwarteter Erfolg einer auf die Grunderkrankung gerichteten Therapie und Belastung durch die Behandlung

2.1 Erwarteter Erfolg einer auf die Grunderkrankung gerichteten Therapie

…kurativ. 0 !

… Krankheitskontrolle und Lebensverlängerung mit guter Lebensqualität.

1 !

…keine Krankheitskontrolle aber positiver Effekt auf Lebensqualität.

2 !

…keine Krankheitskontrolle und keine Verbesserung der Lebensqualität.

4 !

2.2 Belastung durch die Behandlung

Keine oder minimale Belastung oder keine Therapie

0 !

Niedrige Belastung 1 !

Mittelmässige Belastung 2 !

Hohe Belastung 4 !

Palliative Care beginnt in einem Prozess

Evaluation

Erklären

Vorbereiten

Beginnen

Score ≥ 10

Score ≥ 15

Score ≥ 25

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Wie findet PPV statt?

– PPC wird international in unterschiedlichen Strukturen angeboten. – Spital-Setting: keine eigenen Stationen, v.a. Konsultations-Modell

– spezialisiertes PPC Team unterstützt primäres Behandlungsteam Schmerz- und Symptomkontrolle, Entscheidungsfindung, Vereinbarung von Behandlungszielen, Psychosoziales, Koordinationsaufgaben

– Home-Setting: enge Zusammenarbeit amb. Kinderkrankenpflege, Kinderarzt, Spezialist, Palliativmediziner

23 Eur J Pediatr (2013) 172:111–118 Feudtner et al. PPC patients. A prospective multicenter cohort study. Pediatrics 2011;127:1094-1101

Was sich Professionelle wünschen

– Bedürfnisanalyse 2007 (21 Fachpersonen deutschsprachige Schweiz) – PPC Team Befragungen im Kispi 2009 (55 Fachpersonen) Ergebnisse – PPC gehört zu den Verantwortlichkeiten aller i.d. Pädiatrie Tätigen – Unterstützung durch spezialisiertes PPC Team (u.a.

Symptomkontrolle, koordinative Aufgaben der Betreuung) – Supervision / Coaching (Gesprächsführung, Patienten-/

Familienbegleitung insb. für komplexe Patienten) – Guideline zur Strukturierung schwieriger Gespräche – Kriterien für Beginn von PPC

Bergsträsser et al. Eur J Pediatr (2013) 172:111–118 Jünger et al. Barriers and needs in PPC home care in Germany. BMC Palliative Care 2010,9:10

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Was braucht es / in welchem Setting?

Für Familien – Unterstützung in der Betreuung des Kindes – Verbesserte Symptomkontrolle – Entlastungsmöglichkeiten – Angebote zur Trauerbegleitung Für Professionelle – „Standardisierung“ des Vorgehens / Einleitung PPC – Vorausschauende Planung (advance care planning) – Symptomkontrolle (v.a. Schmerzen, Dyspnoe, Angst, Unruhe) – Pädiatrische Patientenverfügung – Transition in den Erwachsenenbereich

Eur J Pediatr (2013) 172:111–118 25

Patienten in spezialisierter Palliative Care

Patienten in der Grundversorgung

Behandlungs- und Betreuungskomplexität

Anza

hl Be

troffe

ne

Pädiatrische Patienten und deren Familien

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Formen und Angebote der PPV

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Formen und Angebote der PPV

– Kategorien – Spezialisierte PPV – PPV innerhalb bestehender Strukturen

– Konsultationsservice1 – vorwiegend Konsultation mit der Familie, incl. Patient (44%) – 30% ausschliesslich Beratung des Betreuungsteams – 20% Personen aus Betreuungsteam + Familie / Patient

Hauptziele: Symptommanagement, Kommunikation, Entscheidungsfindung, logistisch-koordinative Fragestellungen

Feudtner et al. Pediatrics 2011;127:1094-1101 27

Wie viel braucht es?

– Lässt sich kaum beantworten – da höchst individuell. – Komplexität der Krankheit und des Betreuungsbedarfs – Ressourcen der Familie

– Für das Netz braucht es Beziehung, Vertrauen, Sicherheit. – Pflegerisch z.T. Rund-um-die-Uhr Betreuung – Situationen, in denen dies am ehesten im Spital gewährleistet ist.

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Take home

– Beginn einer palliativen Betreuung richtet sich nach dem Bedarf – Krankheitsverlauf – Therapiemöglichkeiten – Symptomen – Bedürfnissen des Kindes / der Familie

– PaPaS Scale könnte klinische Entscheidungsprozesse unterstützen

– Palliative Care sollte nicht zu spät beginnen – Lebensqualität – Formen der spezialisierten PPV – vorwiegend Konsultations-Service

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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

Pädiatrische Palliative Care