Pädagogische Fallanalyse Eine Einführung in Strukturen, Kontexte und Methoden pädagogischer...

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Pädagogische Fallanalyse Eine Einführung in Strukturen, Kontexte und Methoden pädagogischer Fälle Vorlesung im Wintersemester 2013/2014 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena Prof. Dr. Nils Berkemeyer Prof. Dr. Gunter Grasshoff Kontakt: [email protected]

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Pädagogische Fallanalyse

Eine Einführung in Strukturen, Kontexte und Methoden pädagogischer Fälle

Vorlesung im Wintersemester 2013/2014 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena

Prof. Dr. Nils BerkemeyerProf. Dr. Gunter Grasshoff

Kontakt: [email protected]

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10. VorlesungSchülerbiographien und Peers

Prof. Dr. Nils BerkemeyerProf. Dr. Gunter Grasshoff

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Agenda

1. Schüler_innen als Fall qualitativer Bildungsforschung

2. Forschung zu Schullaufbahn und Schulkarriere

3. Forschung zu Schülerbiographien

4. Peers und Peer-culture

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Ordnung der Forschung: Schülerbiographie und -Karriere

• Schülerbiographie: eher qualitative Forschung• Schülerkarriere: eher quantitative Forschung

• Welchen Stellenwert nimmt die Institution Schule im Lebenslauf von Kindern und Jugendlichen ein?

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historische Vorläufer aktueller Forschung

• autobiographische Materialien: z.B. Tagebücher

• Alltagsmaterialen aus dem Unterricht: Schüleraufsätze, Kritzeleien

• Hist. Sozialisationsforschung (Kindheits- und Jugendforschung)

• Psychoanalytische Forschung (z.B. Erdheim)

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1. Forschung zu Schulkarrieren ab 1960

• Studien im Kontext des symbolischen Interaktionismus: Stigmatheorie, Attribuierung, Labelling

• Themen sind zum Beispiel Etikettierung und abweichendes Verhalten und Devianz

• Leistungsversagen und Selbstbild von Schüler_innen• Pygmalion Effekt: Zusammenhang von

Lehrererwartung Leistungsbeurteilung

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Forschung zu Schulkarrieren ab 1960

• Schullaufbahnen und Bedeutung von Schule im Lebenslauf

• Schulische Selektionsprozesse• Veränderung von Jugend als Lebensphase

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Studie von Meulemann

• Befragung von über 3000 Gymnasiasten des 10. Schuljahres von 1970 wurde Mitte der 1980er Jahre und Ende der 1990er Jahre wiederholt

• beruflicher und privater Lebenslauf wurde erhoben

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Studie von Meulemann

• Zentrale Studienergebnisse:– 45% der Gymnasiasten schlagen nach dem 10. Schuljahr mit

Erfolg den normalen Lebensweg in hohe berufliche Positionen ein

– 14% Langzeitstudenten mit oder ohne Examen, aber ohne Berufseintritt

– 7% Studienabbrecher mit einem Übergang ins Erwerbsleben– 9% der ehemaligen Gymnasiasten schaffen einen

nachträglichen Aufstieg in das Studium– 26% der Stichprobe haben nicht den für Gymnasiasten

typischen Weg über ein Studium in höhere berufliche Positionen eingeschlagen

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Studie von Meulemann

• Einflussfaktoren für Erfolg und Misserfolg: soziale Herkunft und familiale Ressourcen, Arbeitsmarkt, Schulleistung, eigene Lebenspläne und Leistungsaspirationen

• Einfluss der sozialen Herkunft in der bildungsprivilegierten Gruppe der ehemaligen Gymnasiasten relativ gering

• eigene Lebenspläne, Aspirationen und die Leistungsbereitschaft wird bedeutender

• Im Alter von 43 Jahren: Differenzen zwischen den Geschlechtern: ehemalige Gymnasiastinnen liegen deutlich unter den Gymnasiasten in Grad der Erwerbstätigkeit, Vollzeitbeschäftigung, Berufserfolg, Berufsprestige und Einkommen

• „Normallebenslauf“ (Gymnasium, Studium, qualifizierte Berufe) kann durchaus sehr unterschiedliche Ausprägungen annehmen

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Forschung zu Schulkarrieren ab 1960

• Forschung zu Übergängen, Sitzenbleiben, Schulformwechseln

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Studie Bellenberg/Klemm

• Studie über Schullaufbahnen in Nordrhein-Westfalen (Einschulungspraxis, Klassenwiederholungen und Schulformwechsel untersucht)

• 30% der Hauptschüler, 25% der Realschüler und 11% der Gymnasiasten müssen Klassen wiederholen

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Studie Bellenberg/Klemm

• Durchlässigkeit im deutschen Schulsystem (Möglichkeit zwischen den Schulformen zu wechseln) ist vor allem eine Durchlässigkeit „nach unten“

• fast ein Viertel der gymnasialen Schüler wechseln zu Haupt- bzw. Realschule

• nur 2% der Gymnasiasten in der 10. Klasse sind aufgestiegen• „Aufsteiger“ wiederholen in der Gesamtschuloberstufe dreimal häufiger

und in der gymnasialen Oberstufe sogar fünfmal häufiger als die anderen Schüler eine Klasse

• Mädchen durchgängig weniger als Jungen von problematischen Brüchen der Schullaufbahn betroffen (weniger zurückgestellt, wiederholen seltener eine Klasse, steigen seltener in Haupt- oder Realschule ab, sind bei den Aufsteigern in höhere Schulformen überrepräsentiert)

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2. Schülerbiographische Forschung

• Frühe Arbeiten vor allem aus den 70er Jahren noch weitgehend deskriptiv

• Fokus z.B. auf „bildungsferne“ Schüler_innen im Arbeitermilieu (Willis, Wexler)

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2. Schülerbiographische Forschung

• Methodologische Fundierung der Forschung in der 1980iger Jahren

• Fritz Schütze, Theodor Schulze

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Biographische Schülerforschung

Subjektive Verarbeitung von institutionellen Erfahrungen

Modellierung von unterschiedlichen biographischen Handlungsmustern

Biographietheoretische Rahmung: Biographie als subjektive Konstruktion gesellschaftlicher Erfahrungen

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Studie von Nittel, 1992

• biographieanalytische Studie zu gymnasialer Schullaufbahn und Identitätsentwicklung

• Untersuchungsfokus: Rekonstruktion schulischer Sozialisationsprozesse mittels autobiographisch-narrativer Interviews

• Ziel: möglichst umfassendes Bild vom Ablauf der Entwicklung vom Beginn der frühen Kindheit bis zum Zeitpunkt des Schulaustritts

• Welchen Anteil haben organisatorische und professionelle Vorkehrungen der Schule am Lebensschicksal der der Informanten?

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Studie von Nittel, 1992

• Verknüpfung von Forschung zum ‚heimlichen Lehrplan‘ mit dem Ansatz der sozialwissenschaftlichen Biographieforschung

• Interviews mit– Zwanzig Teilnehmern, welche sich zwischen Schulaustritt

und Erwachsenenstatus (hier mit Heirat und Beruf verknüpft) befinden (12 m/ 8 w) (18 Teilnehmer, welche gymnasiale Karriere mit oder ohne Abschluss beendet haben und 2 ohne gymnasiale Karriere)

– Drei Lehrern (Experten-Interviews)

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Studie von Nittel, 1992

• Beispiel: Portrait Willi Kunze– Wächst in Sozialbausiedlung auf mit Eltern und Bruder (Mittelschicht)– Früher Tod des Vaters– Umzug in „besseres“ Viertel, höhere Schullaufbahn der Kinder Familie im Prozess des sozialen

Aufstiegs– WK wächst in anregender Umwelt auf, jedoch angeschlagener Gesundheitszustand– Mit Schuleintritt Erweiterung der sozialen Kontakte, gute Leistungen, positive Erfahrungen mit

Klassenlehrerin– WK erkennt, dass er in zwei verschiedene Interaktionskreise eingebunden ist: Kinder der Freunde

der Eltern und Kindere einer sozial niedriger gestellten Schicht– Wird als Sonderling eingeschätzt (gilt als Streber, wenig Freizeitaktivitäten, angeschlagener

Gesundheitszustand)– Ist jedoch bestrebt, sich angepasst zu verhalten– Seit der siebten Klassen: Orientierung an neuem Klassenlehrer (Vorbildfunktion, Vaterersatz)– Wird in höhere Klasse versetzt, im Gegensatz zu vielen Mitschülern fühlt sich erwählt, besonderer

Status– Fixiert auf Schule (keine Hinweise auf Ausbildung von Geschlechterrolle, keine neuen

Interessensgebiete)– Reflektiert soziale Welt der Schule sehr intensiv

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Studie von Nittel, 1992

– Bei Übergang in die Oberstufe Ablösung vom Idealbild des Klassenlehrers– Neuer Lateinlehrer verliert Vertrauen, dass alle schulischen Verfahrensabläufe korrekt sind– Sammlung von Informationen zu Lehrerbiographien zumindest in der Phantasie

Überwindung der strukturellen Begrenzung im Lehrer-Schüler-Verhältnis– Beginnt Theater zu spielen expressive Selbstdarstellung– Erstrebenswerte Ziele sind für ihn: gute Noten und hohes Ansehen bei den Lehrern– Favorisiert Berufssparten, die Maximum an Lebenserwartung versprechen, außerdem

Sicherheit, Geld, Ansehen– Definiert erfolgreichen Schulabschluss als Krönung seines Lebens– Sein Selbstkonzept ist auf Schülerrolle reduziert– Sein Ziel ist gehobene Beamtenlaufbahn– WK ist es gelungen, sich immer angepasst zu verhalten, jedoch errichtet er die trügerische

Fassade, mit seinem Lebens im Reinen zu sein– Leidet faktisch unter Isolation, verfügt über angeschlagenes Selbstwertgefühl, hat

Schwierigkeiten zu seiner eigenen sozialen Herkunft zu stehen und Probleme mit dem anderen Geschlecht

– Labiles Gleichgewicht mag aufrecht erhalten werden, wenn er weiterhin im angestammten Familienbund verbleibt und sich in klar definierten, schulähnlichen Institutionen aufhält

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Studie von Nittel, 1992

• Auszüge aus dem Transkript

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Studie von Nittel, 1992

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Studie von Nittel, 1992

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Studie von Nittel, 1992

• Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der Studie– jede Station bzw. Phase beinhaltet verschiedene

Problemlagen– Erfahrungen im Kindergarten haben keine Prognosefunktion

für weitere Schulkarriere, jedoch die Erfahrungen mit dem ersten Klassenlehrer

– in Oberstufe sind Schüler hin und hergerissen zwischen Notenoptimierung und Berufsorientierung

– bis zum Abitur Schwankung zwischen außerschulischen und schulischen Einflüssen auf die Identitätsentwicklung

– in Abiturvorbereitungsphase wird Fokus auf Schule gelegt

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Studie von Nittel, 1992

– Schulversagens-Verlaufskurve: schlechte soziale Rahmenbedingungen => Degradierungsprozess => moralisch abweichendes Verhalten => Gleichgültigkeit => zynische Haltung der Situation gegenüber

– bei Schulversagen oft defizitäre Selbst- und Fremdeinschätzung, später massive Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt

– Schüler mit guter Anpassungsleistung sind meist überdurchschnittlich leistungsstark und erfolgsorientiert => Gefühl der Einzigartigkeit ; haben jedoch oft massive Probleme mit dem eigenen Begabungsweltbild (schulischer Erfolg wird auf geschickte Selbstrepräsentation zurück geführt und weniger auf Fleiß, Begabung, Intelligenz)

– Peers haben großen Einfluss auf Gestaltung der Schullaufbahn– Eltern müssen Balance halten zwischen Unterstützung der schulischen

Absichten und der Gewährleistung von Schutz und Trost des Kindes– große Bedeutung hat die professionelle Arbeit der Lehrer auf

Identitätsentwicklung

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Weiterführende Designs

• Vermittlung einer biographischen mit einer institutionellen Perspektive

• Theorie der Schulkultur (Helsper u.a. 2001)• Schulbiographische Passung (Kramer 2002)

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Peer und Peer-culture Forschung

• Relativ heterogenes Forschungsfeld

• Thema: heimlicher Lehrplan, Schülertaktiken, Hinterbühne

• Klassiker: Studie von Willis 1979

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Willis 1979

• Ethnographie der Peer-Kultur von Arbeiterjugendlichen• Frage nach der kulturellen Reproduktion von Klassenunterschieden• Abwendung von formaler Leistung und die Hinwendung zu manueller

Arbeit• Clique der „lads“ steht im Zentrum von Willis’ Ethnographie (oppositionelle

Haltung gegenüber schulischen Autoritäten und denjenigen Schülern, die sich diesen Autoritäten unterwerfen)

• eher getarnte Auflehnung, keine offene Konfrontation• Ausformung einer Opposition zur Schule bedarf der Infrastruktur der Peer-

group• wichtigsten Elemente und Ausdrucksformen der Gegen-Kultur bestehen im

Kleidungsstil, im Rauchen und Alkohol trinken in der Öffentlichkeit• diese Kultur ist auch durch Gewalttätigkeit, Sexismus und Rassismus

gekennzeichnet

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