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Zwischen Lebenslust und Schmerz skar o skar Informationsblatt Ausgabe 6 Juni 1999 Begeisterter Beifall brandete auf und wollte nicht en- den - wenn die Bühne im Schlachthof, Neuer Kamp, einen Vorhang hätte, wäre der Bühnenmeister hoch- beschäftigt gewesen, um ihn vielleicht sechs-, sieben- Theaterprojekt von jugendlichen Flüchtlingen aus Afrika und Afghanistan 15 Mädchen und Jun- gen aus Afghanistan, Sierra Leone, Guinea und dem Sudan im Al- ter von 13 bis 17 Jah- ren haben sich auf das Abenteuer Theater ein- gelassen: es galt, ein Stück zu entwickeln, in Szene zu setzen und es schließlich dem Pu- blikum zu präsentieren! HAJUSOM! handelt vom Lebensgefühl der Jugendlichen zwischen vitaler Lebenslust und Einsamkeit. Dabei her- ausgekommen ist eine 70minütige Collage aus Gesang, Tanz und Spielszenen, die den Alltag der minderjähri- Applaus, Blumen, glückliche Gesichter - in der Mitte: Dorothea Reinicke und Ella Huck, die beiden „Coaches“ der Jugendlichen. Nach der Premiere erwartete Gäste und Schauspieler eine kulinarische Verwöhnreise durch mehrere Länder, ausgerichtet von drei Hauswirtschaftlichen Fachkräften aus der Wohngruppe für Flüchtlingskinder und dem Brödermannsweg. Foto: Bormann gen unbegleiteten Flüchtlinge in Deutschland beschreibt, aber auch ihre Träume. Zwei erfahrene „Coaches“ standen den Jugend- lichen zur Seite: die freie Schau- spielerin Ella Huck und Dorothea Reinicke, freie Schauspielerin, Performerin und Regisseurin. Un- ter ihrer Leitung ist innerhalb von drei Monaten aus improvisierten Sequenzen ein Theaterstück ent- standen. „Es hat uns gereizt, mit mal - vielleicht noch öfter - zu lüften: mit ihrer Theater- Collage HAJUSOM! haben die 15 minderjährigen Flüchtlinge aus dem Landesbetrieb Erziehung und Be- rufsbildung einen gefeierten Hit gelandet! Jugendlichen aus unterschiedli- chen Kulturen zusammenzuarbei- ten“, sagt Ella Huck. Fortsetzung auf Seite 4 HAJUSOM!: überraschend, mutig und sehr persönlich Fortsetzung von Seite 1 „Vor dem Hintergrund ihrer je- weiligen Kultur haben die Ju- gendlichen sehr eigene Aus- drucksweisen“, beschreibt Do- rothea Reinicke. „Oft haben sich überraschende Wendungen ergeben.“ Ella Huck und Doro- thea Reinicke haben die Impro- visationen der Jugendlichen mit der Videokamera begleitet, da- mit interessante Fäden nicht verlorengehen - so haben sie zu- sammen mit den Jugendlichen das Stück gewebt. Eindrucksvolle Szene in der Theatercollage HAJUSOM! - vier junge, verhüllte Frauen fordern Gleichberechtigung. Foto: Bormann Die Themen haben die Ju- gendlichen eingebracht, sie ha- ben die Musik ausgewählt und darauf geachtet, dass alle Sze- nen richtig dargestellt wurden. Manches Mal mussten sie über ihren Schatten springen: da wollte es der Bruder zunächst nicht erlauben, dass sich seine Schwester als Mann verkleidet - oder da wagten verschleierte Frauen, ihren Anspruch auf Frei- heit herauszuschreien. Der Titel HAJUSOM! ist übri- gens entstanden aus den An- fangssilben der drei Ju- gendlichen, die vor ei- nem halben Jahr zu- sammen mit den beiden Theaterfrauen den An- trag für das Projekt bei der Kulturbehörde ein- gereicht haben. Aus dem Budget des Landesbetriebs floss ein weiterer Betrag in Inhalt Stichwort ABO (Ar- beits- und Berufsori- entierung): Alles über Aufnahmekriterien und Voraussetzungen für Jugendliche auf Seite 2 Mädchenarbeit Benachteiligungen abbauen, die Gleich- berechtigung von Mädchen und Jungen fördern - so will es das Gesetz. Wie steht es bei uns mit der Qualität in der Mäd- chenarbeit? Kurze Antwort auf Seite 3 ABO-Maßnahme Umfrage Kontinuierliche Be- treuung versus Ein- schränkungen im Privatleben - das Thema Schichtdienst hat bekanntlich zwei Seiten: Umfrage auf Seite 8 Spielfreude und ihrer starken Bühnenpräsenz haben die Ju- gendlichen die Herzen ihrer Zu- schauer im Sturm erobert. Schade, dass es nun erst mal vorbei ist! Angesteckt vom The- die Produktion. Die Aufführungen im Schlacht- hof waren restlos ausverkauft. Mit ihrer Begeisterung, ihrer aterfieber würden die Jugendli- chen das Projekt gern weiterfüh- ren. Jetzt überlegen und bera- ten viele Köpfe, ob und wie sich dieses Anliegen realisieren lie- ße. bo

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Zwischen Lebenslust und Schmerz

skaroskarInformationsblatt Ausgabe 6 Juni 1999

Begeisterter Beifall brandete auf und wollte nicht en-den - wenn die Bühne im Schlachthof, Neuer Kamp,einen Vorhang hätte, wäre der Bühnenmeister hoch-beschäftigt gewesen, um ihn vielleicht sechs-, sieben-

Theaterprojekt von jugendlichen Flüchtlingen aus Afrika und Afghanistan

15 Mädchen und Jun-gen aus Afghanistan,Sierra Leone, Guineaund dem Sudan im Al-ter von 13 bis 17 Jah-ren haben sich auf dasAbenteuer Theater ein-gelassen: es galt, einStück zu entwickeln, inSzene zu setzen undes schließlich dem Pu-blikum zu präsentieren!

HAJUSOM! handeltvom Lebensgefühl derJugendlichen zwischenvitaler Lebenslust undEinsamkeit. Dabei her-ausgekommen ist eine70minütige Collage ausGesang, Tanz undSpielszenen, die denAlltag der minderjähri-

Applaus, Blumen, glückliche Gesichter - in der Mitte: Dorothea Reinicke und Ella Huck, die beiden „Coaches“ der Jugendlichen.Nach der Premiere erwartete Gäste und Schauspieler eine kulinarische Verwöhnreise durch mehrere Länder, ausgerichtet vondrei Hauswirtschaftlichen Fachkräften aus der Wohngruppe für Flüchtlingskinder und dem Brödermannsweg. Foto: Bormann

gen unbegleiteten Flüchtlinge inDeutschland beschreibt, aberauch ihre Träume. Zwei erfahrene„Coaches“ standen den Jugend-

lichen zur Seite: die freie Schau-spielerin Ella Huck und DorotheaReinicke, freie Schauspielerin,Performerin und Regisseurin. Un-

ter ihrer Leitung ist innerhalb vondrei Monaten aus improvisiertenSequenzen ein Theaterstück ent-standen. „Es hat uns gereizt, mit

mal - vielleicht noch öfter - zu lüften: mit ihrer Theater-Collage HAJUSOM! haben die 15 minderjährigenFlüchtlinge aus dem Landesbetrieb Erziehung und Be-rufsbildung einen gefeierten Hit gelandet!

Jugendlichen aus unterschiedli-chen Kulturen zusammenzuarbei-ten“, sagt Ella Huck.

Fortsetzung auf Seite 4

HAJUSOM!: überraschend,mutig und sehr persönlich

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Fortsetzung von Seite 1

„Vor dem Hintergrund ihrer je-weiligen Kultur haben die Ju-gendlichen sehr eigene Aus-drucksweisen“, beschreibt Do-rothea Reinicke. „Oft haben sichüberraschende Wendungenergeben.“ Ella Huck und Doro-thea Reinicke haben die Impro-visationen der Jugendlichen mitder Videokamera begleitet, da-mit interessante Fäden nichtverlorengehen - so haben sie zu-sammen mit den Jugendlichendas Stück gewebt.

Eindrucksvolle Szene in der Theatercollage HAJUSOM! - vier junge, verhüllte Frauenfordern Gleichberechtigung. Foto: Bormann

Die Themen haben die Ju-gendlichen eingebracht, sie ha-ben die Musik ausgewählt unddarauf geachtet, dass alle Sze-nen richtig dargestellt wurden.Manches Mal mussten sie überihren Schatten springen: dawollte es der Bruder zunächstnicht erlauben, dass sich seineSchwester als Mann verkleidet- oder da wagten verschleierteFrauen, ihren Anspruch auf Frei-heit herauszuschreien.

Der Titel HAJUSOM! ist übri-gens entstanden aus den An-

fangssilben der drei Ju-gendlichen, die vor ei-nem halben Jahr zu-sammen mit den beidenTheaterfrauen den An-trag für das Projekt beider Kulturbehörde ein-gereicht haben. Ausdem Budget desLandesbetriebs flossein weiterer Betrag in

Inhalt

Stichwort ABO (Ar-beits- und Berufsori-entierung): Alles überAufnahmekriterienund Voraussetzungenfür Jugendliche aufSeite 2

MädchenarbeitBenachteiligungenabbauen, die Gleich-berechtigung vonMädchen und Jungenfördern - so will esdas Gesetz. Wie stehtes bei uns mit derQualität in der Mäd-chenarbeit? KurzeAntwort aufSeite 3

ABO-Maßnahme

UmfrageKontinuierliche Be-treuung versus Ein-schränkungen imPrivatleben - dasThema Schichtdiensthat bekanntlich zweiSeiten: Umfrage aufSeite 8

Spielfreude und ihrer starkenBühnenpräsenz haben die Ju-gendlichen die Herzen ihrer Zu-schauer im Sturm erober t.Schade, dass es nun erst malvorbei ist! Angesteckt vom The-

die Produktion.

Die Aufführungen im Schlacht-hof waren restlos ausverkauft.Mit ihrer Begeisterung, ihrer

aterfieber würden die Jugendli-chen das Projekt gern weiterfüh-ren. Jetzt überlegen und bera-ten viele Köpfe, ob und wie sichdieses Anliegen realisieren lie-ße. bo

oskarInformationsblatt Ausgabe 7 September 1999

Mehr Theater: „Wir möchten weitermachen!“Klares Votum der Jugendlichen: das Theaterprojekt HAJUSOM! soll fortgesetzt werden

„Wir wollen weitermachen“ - jetzt werden Jugendliche gesucht, die Lust haben, Theater zu spielen. Foto: Goes

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HAJUSOM II - die FortsetzungFortsetzung von Seite 1

Nachdem die Euphorie abge-klungen und das Alltagslebenwieder eingekehrt ist, betonendie Jugendlichen: „Wir wollenweitermachen!“ Geplant ist einezweite Fassung von HAJUSOM!mit neuen und alten Bildern undSequenzen. Das Stück soll et-was länger werden. Jetzt sucht

die Gruppe Interessentinnenund Interessenten, die Lust amprofessionell angeleiteten The-aterspielen haben.

Anfragen nach Aufführungengibt es schon: das Museum fürArbeit bereitet die AusstellungUnerwünscht – Eine Reise wiekeine andere vor. Beschrieben

wird die Reise eines Flüchtlings.Für das Rahmenprogramm wün-schen sich die OrganisatorenHAJUSOM!. Weitere Anfragenkamen vom Goldbekhaus, vomSchlachthof und sogar aus Kielund Münster.

Eine-Welt-Netzwerk, der Aus-schuss für Kirchliche Weltdien-

ste, und die Hamburger Kultur-behörde wollen das Projekt mitdem Arbeitstitel HAJUSOM IIunterstützen. Die Einrichtungen,in denen die Schauspieler lebenund lernen, tragen aus ihremBudget für Freizeitaktivitätenzum Erhalt der Theatergruppeeinen Teil bei. Aber noch stehtdie Finanzierung nicht. Deshalb

Mit ihrem Theaterstück HAJUSOM! haben 15 jungeFlüchtlinge aus dem Landesbetrieb Erziehung undBerufsbildung einen umjubelten Erfolg gefeiert -oskar berichtete. Wie geht es weiter? Herbert Stelter,Abteilungsleiter HzE, beschreibt die Lage.

Der Erfolg war umwerfend, dieDarstellerinnen und Darsteller, dieTheaterfachfrauen Ella Huck undDorothea Reinicke, die Kollegin-nen und Kollegen aus denFlüchtlingseinrichtungen sowiealle, die sich an der Realisierungdes Theaterstücks beteiligt ha-ben, ernteten viel Lob.

Die Jugendlichen empfingeneine Welle der Sympathie von den

Zuschauern, aber vor allem auchvon sozialpädagogischen Fach-kreisen, von der Theaterszeneund von verschiedenen Organisa-tionen, die Kulturveranstaltungenplanen und durchführen.

Dorothea Reinicke: „Das Inter-esse an weiteren Aufführungenist groß.“

Fortsetzung auf Seite 5

haben die Jugendlichen einenBrief an potentielle Spenderverfasst. „Wir sind guten Mutes,dass das Projekt fortgesetztwerden kann“, so der Tenor al-ler Beteiligten. Und wir dürfengespannt sein auf neue Auffüh-rungen.

Herbert Stelter

Eine ganz persönliche GeschichteDas Theaterprojekt wird fortgesetzt - Gastspiele geplant

Nach der umjubelten Premie-re von HAJUSOM! im Mai 1999und weiteren erfolgreichen Auf-führungen im Schlachthof Ham-burg hat nach der Sommerpause„Phase 2“ des Theaterprojekts be-gonnen. Im Zeitraum von nurzehn Wochen ist eine vertiefteund erweiterte Version des ur-sprünglichen Stücks entstanden:HAJUSOM zwo!

In dieser neuen Fassung erfährtdas Publikum mehr über die The-men, die junge Flüchtlinge hier inDeutschland bewegen, und mehrüber ihre Probleme im fremdenLand. Sie sehen ihr Unverständ-nis, ihre Wut und ihre Verzweif-lung. Und es gibt noch mehr inti-me Einblicke in die Kulturen ihrerHeimatländer.

Fast alle Beteiligten des Ur-sprungsensembles sind dabei -soweit sie noch in Hamburg le-ben. Einige neue Mitglieder habendas Stück mit ihrer Persönlichkeitund ihrer Geschichte bereichert.

Inzwischen sind die Jugendli-chen beinahe „alte Theaterhasen“:Den Aufführungen im Schlacht-hof folgte ein Gastspiel in Mün-ster, das ebenso erfolgreich auf-genommen wurde. Weitere Gast-spiele sind geplant in Rheine undBielefeld. Kontakte gibt es auchschon nach Berlin - und natürlichsollen die Jugendlichen auch inHamburg wieder zu sehen sein.Dann eventuell auf Kampnagel.

Vor allem soll die Theaterarbeitweiter gehen. Das Stück soll er-

Mit HAJUSOM! fing es an - 14 junge Flüchtlinge haben mit Unterstützung zweier Theaterprofis, Dorothea Reinickeund Ella Huck, ihr eigenes Theaterstück erarbeitet. Die Premiere im Mai war ein rauschender Erfolg. Auf Initiative derJugendlichen sollte es mit der Theaterarbeit weiter gehen - und es geht weiter: Die Truppe hat sich neue Zielegesteckt. Foto: Goes

neut vertieft und erweitert, neueAspekte eingewoben werden. Fi-nanzielle Unterstützung erhält das

Projekt vom Landesbetrieb Erzie-hung und Berufsbildung, von terredes hommes, umdenken/Hein-

rich-Böll-Stiftung, Ausschuss fürkirchliche Weltdienste, Eine WeltNetzwerk Hamburg e.V. bo

skaroskarInformationsblatt Ausgabe 9 März 2000

HAJUSOM!, die dritte: Einblicke in fremdeKulturen und sehr persönliche GefühlslagenUnser Ensemble ist inzwischen über die GrenzenHamburgs hinaus gefragt: Im April gastierte esin Rheine - Andrea Aldag berichtet

Mit zwei LEB-eigenen VW-Transportern ging es am Don-nerstag, dem 6. April, in aller Frü-he Richtung Rheine in Nordrhein-Westfalen. Requisiten, Kostüme,technische Ausrüstung - all dashatten wir dabei. Insgesamt sind16 Jugendliche mitgereist - alsodas gesamte HAJUSOM!-En-semble.

Ohne Verschnaufpause ging esweiter: Gleich nach unserer An-kunft begann die Generalprobe,bei der die Jugendlichen letzteInstruktionen bekamen. Das ge-

Gemeinsam Lampenfieber aushalten, gemeinsam Erfolge feiern und Spaß haben - das gehört genauso dazu wiediskutieren und sich mit anderen Kulturen auseinander zu setzen: Das multinationale Ensemble HAJUSOM! istmittlerweile richtig zusammengewachsen.

hört natürlich dazu, wenn man aufGastspiel ist, denn die Akteuremüssen sich mit den neuen Ge-gebenheiten der Bühne bekanntmachen und die Technik musswenigstens einmal geprobt wor-den sein.

Zwei Vorstellungen standen amnächsten Tag auf dem Programm- für die Jugendlichen ganz schönanstrengend. Hut ab, die Truppehat sich innerhalb eines Jahresschon eine hohe Professionalitäterarbeitet - und dafür wurden siebelohnt: Beide Aufführungen -

Nach der rauschenden Premiere und den vielbeach-teten Aufführungen im vergangenen Jahr haben dieRegisseurin Dorothea Reinicke, die SchauspielerinElla Huck sowie Beleuchter und Tontechniker zu-sammen mit den Jugendlichen inzwischen eine drit-te Version des erfolgreichen Theaterstücks entwik-kelt: HAJUSOM! Drei. Das Ensemble ist über dieGrenzen Hamburgs hinaus gefragt: Anfang April istdie Gruppe in Begleitung ihrer Betreuerinnen AndreaAldag und Heide Strauch zu einem Gastspiel im Klo-ster Schloss Bentlage nach Rheine gefahren. Vondieser „Exkursion“ berichtet Andrea Aldag.

eine Schüleraufführung am Nach-mittag und eine Abendvorstellungmit bunt gemischtem Publikum -wurden begeistert aufgenommen.

Nach der Abendvorstellung hatdie gesamte Crew noch mit denZuschauern bis spät diskutiertund gefeiert. Besonders interes-sierten sich die Besucher für die

Situation der jungen Flüchtlingein Deutschland und ihre Schwie-rigkeiten im fremden Land - undnatürlich für ihre Wünsche für dieZukunft. Von all dem hatten dieZuschauer bis dahin nur wenigVorstellungen.

Ganz ohne Blessuren geht soeine „Live-Show“ natürlich nicht

über die Bühne: Zwei gequetsch-te Finger, Heimweh und eine ka-putte Türglasscheibe taten derguten Laune aber keinen Abbruch.Und am Sonnabend ging es dannfröhlich und entspannt zurücknach Hamburg. Als nächstesplant die Truppe weitere Vorstel-lungen in Berlin und Hamburg -Termine gibt es aber noch nicht.

skaroskarInformationsblatt Ausgabe 10 Juni 2000

Ich heiße Baquira, bin 14 Jah-re alt und komme aus Angola,Provinz Bie. In Hamburg bin ichseit Anfang Februar. Als ich hierangekommen bin, hatte ich denEindruck, dass die Leute mich

Baquira aus Angola träumt davon,dass sie eines Tages einen Berufausüben kann - aber zunächst machtihr das Theaterspielen im EnsembleHAJUSOM! viel Spaß.

Die 14-jährige Baquira und die 16-jährige Winifred sind Schauspielerinnen im Ensemble HAJUSOM! Inoskar berichten die beiden von ihrer Situation und von ihrer Freude am Theaterspielen

Die 14-jährige Baquiralebt in der Erstversor-gungseinrichtung Mai-enweg. Schnell hat sieZugang zum Ensem-ble HAJUSOM! gefun-den - aller Sprachbar-rieren zum Trotz. MitHilfe der BetreuerinGesa Kohlhase hat sieein persönliches State-ment formuliert.

Winifred aus Liberia gehört seit der Ent-stehung des Ensembles HAJUSOM! zurTruppe - damit ist sie also schon einerecht erfahrene Schauspielerin. DasTheaterspielen hat sie verändert, es hatsie selbstbewusster gemacht. Und: Ge-

„Wenn wir zusammen lachen, ist alles einfacher“

sehr freundlich empfangen undbereit sind, gute und traurige Mo-mente mit mir zu teilen. Am An-fang hatte ich ein bisschen Angst,an einem Platz zu sein, wo dieLeute meine Sprache nicht spre-chen, wo viele mir unbekannteMädchen sind. Alles war neu fürmich.

Als ich neu in Hamburg war, binich in die Theatergruppe HAJU-SOM! gekommen. Die Jugendli-chen sind sehr nett, aber es istschwer für mich, alles zu verste-hen. Die anderen reden Englischoder Deutsch. Ein Mädchenspricht auch Portugiesisch, abersie übersetzt mir nicht alles, wasgesprochen wird.

Wir hatten in Rheine zwei Auf-führungen. Ich war neugierig und

hatte zugleich Lampenfieber.Das Publikum hat viel ge-

klatscht. Ich glaube, dass esihnen gefallen hat. AmSchluss haben sie vieleFragen gestellt. Ichmöchte gern weiter Thea-ter spielen.

Die Bedingungen inDeutschland und in derErstversorgungseinrich-tung Maienweg sind vielbesser, als ich es in Ango-la erlebt habe. Ich träumedavon, eines Tages einenBeruf ausüben zu können. ImMoment möchte ich Ärztin,Krankenschwester oder Pilo-tin werden.

Ich hoffe, dass ich mich imMaienweg ein bisschen orientie-ren kann, und dass ich zurücknach Angola kann, wenn die Si-tuation es erlaubt.

Baquira

Wini, Du spielst jetzt schonseit über einem Jahr bei der The-atergruppe HAJUSOM! mit. Washat sich für Dich durch das The-aterspielen verändert?

Wini: Ich habe mich sehr ver-ändert. Wir diskutieren sehr viel.Die afghanischen und afrikani-schen Jungen sehen oft die Mäd-chen nicht als eigenständige Per-sonen, die auch etwas dür-fen. Ich habe gelernt,meine Rechte alsFrau zu sehenund zu be-

anspruchen. Ich fühle mich jetztrichtig stark.

Hilft Dir das Theaterspielenauch in Alltagssituationen?

Wini: Ja, ich kann mich jetzt vielbesser in der Öffentlichkeit zei-gen. Ich habe neue Freunde ge-funden und habe auch viel bes-ser Deutsch gelernt.

Wie ist der Zusam-menhalt in Eurer

Gruppe?

Wini: Die Gruppe ist jetzt richtigzusammengewachsen. Wir se-hen, dass wir alle in einer ähnli-chen Situation sind. Das gibt unsHalt. Wenn wir zusammen lachen,ist alles einfacher.

Willst Du auch in Zukunft wei-ter Theater spielen?

Wini: Ja, auf jeden Fall. Es machtmir sehr viel Spaß und ich bekom-me sehr viele positive Rückmel-dungen.

Vielen Dank für das Gespräch.

„Ich fühle mich jetzt richtig stark“ - Winifred aus Liberia ist seit der Gründungdes Ensembles HAJUSOM! dabei. Das Theaterspielen hat die 16-Jährigeselbstbewusster gemacht.

meinsames Lampenfieber und gemein-sam erlebte Erfolge haben die multina-tionale Gruppe zusammenwachsen las-sen. Im Gespräch mit Gesa Kohlhase er-zählt die 16-Jährige mit ihren eigenenWorten davon.

Eine schöne Kulisse: Das Kloster Schloss Bentlage in Rheine, Nordrhein-Westfalen, war für die Zeit des Gastspiels Aufführungsort undÜbernachtungsstätte für die gesamte Crew.

„Backstage-Feeling“ - in Ankleideräumen kann es schon mal ganz schöneng werden. Das scheint aber der guten Laune während des Gastspielskeinen Abbruch getan zu haben.

Am 5. und 6. Dezember war es endlich so weit: Dieinzwischen über Hamburgs Grenzen hinaus be-kannte Theatergruppe HAJUSOM! stellte ihre neueProduktion „Sieben Leben“ in der Fabrik in Ham-burg Altona vor!

Gesa Kohlhase über die Fortsetzung von HAJUSOM!

„Sieben Leben“ - es geht doch weiter

Die Gruppe der Flüchtlingsju-gendlichen unter der Regie vonDorothea Reinicke und Ella Huckhat ein neues Stück erarbeitet:„Sieben Leben“. Der Name - „Sie-ben Leben“ - ist in Anlehnung andie sieben Leben einer Katze zuverstehen, erläutern die Regis-seurinnen der Theatergruppe:„Auch wenn man glaubt, schontot zu sein, geht das Leben wei-ter.“ Auch die Jugendlichen ha-ben scheinbar aussichtslose Si-tuationen durchlebt, seien aberdoch wieder auf die Füße gefal-len.

Im Theaterstück stellen siebenProtagonistinnen und Protagoni-sten Situationen ihres Alltags dar;unterstützt werden sie dabei vonden übrigen Darstellerinnen undDarstellern, die in Tanzchoreogra-phien und kleinen Szenen in Ak-tion treten.

Anders als bei dem Stück „HA-JUSOM!“, das collagenartig auf-gebaut war, ist die Dramaturgievon „Sieben Leben“ in sich ge-schlossener und formal struktu-rierter. Die Jugendlichen impro-

visieren zu den Lebensabschnit-ten Heimat, Flucht und die der-zeitige Station Hamburg nach ei-ner vorgegeben Dramaturgie. EinSchwerpunkt ist die Auseinander-setzung mit der aktuellen politi-schen Situation, es bleibt aberauch Raum für eine Liebestragö-die in Stummfilm-Manier und fürdie Magie eines afrikanischenZauberers, der zum Gelingen derFlucht beiträgt.

Anleitung bei der tänzerischen,musikalischen und choreographi-schen Ausgestaltung ihrer Ideenbekommt die Gruppe von ClaudeJansen und Jochen Roller, dieüber jahrelange Erfahrung in pro-fessionellen Theaterprojekten ver-fügen.

Seit dem Sommer kommen dieungefähr 20 Jugendlichen regel-mäßig an den Wochenenden undin den Schulferien zu den Proben.Sieben von ihnen gehörten schonder alten Besetzung an, die an-deren Jugendlichen sind neu da-bei. Die Proben zeigen, dass dieGruppe sehr präsent ist und gutmiteinander arbeitet.

mat, als auch in Deutschland op-positionell gegen die Regierungseines Landes tätig gewesen.Seine Mitwirkung an dem StückHAJUSOM! - dokumentiert durchdie engagierte Pressearbeit vonDorothea Reinicke - hat das Bun-desamt für die Beurteilung desAsylantrags hinzugezogen. Er-gebnis: Der Jugendliche verfügtjetzt über ein unbegrenztes Blei-berecht in Deutschland.

Für die Zukunft streben die Re-gisseurinnen eine größere Anbin-

Das neue Theaterstück von HAJUSOM!, „Sieben Leben“, schildert alltägliche Situationen in szenischenImprovisationen, Tanz und Musik.

Das Projekt „HAJUSOM!“ kommtbeim Publikum ausgesprochengut an: So haben etwa 3500 be-geisterte Zuschauer die mittler-weile 20 Aufführungen in Ham-burg, Münster und Rheine, an de-nen 40 Jugendliche beteiligt wa-ren, besucht.

Als weiteren Erfolg ihrer Arbeitwerten die Regisseurinnen auch,dass sie einen jungen Schauspie-ler bei seinem Asylverfahren un-terstützen konnten. Der junge To-golese ist sowohl in seiner Hei-

dung an andere Jugendtheater-projekte in Deutschland an. Es be-stehen Kontakte zum Haus derKulturen in Berlin, zum Internati-onalen Jugendtheaterfestival „Ex-plosiv“ in Bremen und zu Theater-projekten in Frankfurt und Mün-chen.

Für diejenigen, die nicht bei derPremiere dabei sein konnten: DasStück „Sieben Leben“ wird im Ja-nuar wieder in der Fabrik aufge-führt: Am 16.1. um 20 Uhr undam 17.1. um 11 sowie um 20 Uhr.

oskarInformationsblatt Ausgabe 12 Dezember 2000