Organisatorische Resultanten

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Organisatorische Resultanten. Studien an Doppelplanarien. I. Von Paul Steinmann, Basel. Mit 2 Figuren im Text. Eingegangen am 14. Oktober 1908. Es ist seit langer Zeit bekannt~ dab man in der freien ~qatur gelegentlich bei fast allen unsern Planarienarten Monstrosit~iten, Doppelbildungen verschiedenster Art, Organvermehrungen usw. trifft. Ahnliehe MiBbildungen lassen sich ohne Miihe im Laboratorium er- zeugen. Ihre Entstehung hat man sich folgendermamen zu denken: Eine Planarie wird zufi~llig oder absichtlich verletzt; ihr Vorder- oder Hinterende wird eine Strecke weit gespalten oder ihr Seitenrand ein StUck weir eingerissen. Nun heilen die beiden Wundri~nder nicht zusammen, sondern jeder bildet unabhi~ngig vom andern das hen, was ihm fehlt. Da nun wlihrend dieser Doppelregeneration dic regene- rierenden Teile -- man denke z. B. an ein gespaltenes Vorderende nicht selbsti~ndig sind, sondern durch ein gemeinsames StUck~ in unserm Fall durch das gemeinsehaftliche Schwanzstiick, zusammenhiingen~ schien es mir wahrscheinlich~ dam sich diese Abhiingigkeit irgendwie im Regenerationsgesehehen ausdrUcken mUsse. Es war nun meine Absicht~ dutch geeignete Experimente diese Correlationskri~fte nicht nut effektiv aus ihren Folgen zu beweisen~ sondern ieh wollte sie quantitativ bestimmen. Daher maehte ich folgende Uberlegung: Existiert ein Einfium des Hinterendes auf die Regeneration seiner beiden Vorderenden, so mum dieser Einfium um so grimmer sein~ je gr(imer das Hinterende im Vergleieh zu den Vorderenden ist. Die Intensit~tt der Einwirkung des Hinterendes auf den Rege- nerationsgang seiner beiden Vorderenden mum direkt pro-

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Organisatorische Resultanten. Stud ien an D o p p e l p l a n a r i e n .

I.

Von

Paul Steinmann, Basel.

Mit 2 Figuren im Text.

Eingegangen am 14. Oktober 1908.

Es ist seit langer Zeit bekannt~ dab man in der freien ~qatur gelegentlich bei fast allen unsern Planarienarten Monstrosit~iten, Doppelbildungen verschiedenster Art, Organvermehrungen usw. trifft. Ahnliehe MiBbildungen lassen sich ohne Miihe im Laboratorium er- zeugen. Ihre Entstehung hat man sich folgendermamen zu denken: Eine Planarie wird zufi~llig oder absichtlich verletzt; ihr Vorder- oder Hinterende wird eine Strecke weit gespalten oder ihr Seitenrand ein StUck weir eingerissen. Nun heilen die beiden Wundri~nder nicht zusammen, sondern jeder bildet unabhi~ngig vom andern das hen, was ihm fehlt. Da nun wlihrend dieser Doppelregeneration dic regene- rierenden Teile - - man denke z. B. an ein gespaltenes Vorderende nicht selbsti~ndig sind, sondern durch ein gemeinsames StUck~ in unserm Fall durch das gemeinsehaftliche Schwanzstiick, zusammenhiingen~ schien es mir wahrscheinlich~ dam sich diese Abhiingigkeit irgendwie im Regenerationsgesehehen ausdrUcken mUsse. Es war nun meine Absicht~ dutch geeignete Experimente diese Correlationskri~fte nicht nut effektiv aus ihren Folgen zu beweisen~ sondern ieh wollte sie quantitativ bestimmen. Daher maehte ich folgende Uberlegung:

Existiert ein Einfium des Hinterendes auf die Regeneration seiner beiden Vorderenden, so mum dieser Einfium um so grimmer sein~ je gr(imer das Hinterende im Vergleieh zu den Vorderenden ist. Die Intensit~tt der E i n w i r k u n g des H i n t e r e n d e s au f den R e g e - n e r a t i o n s g a n g s e i n e r be iden V o r d e r e n d e n mum d i r e k t p ro-

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p o r t i o n a l se in der GriiBe des H i n t e r e n d e s und i n d i r e k t p ro- p o r t i o n a l der S e l b s t a n d i g k e i t de r b e i d e n Vorderenden .

Die Kraft~ welehe aus dem Zusammenwirken der Regenerations- tendenz des Hinterendes und der des Vorderendes resultiert, nenne ieh eine o r g a n i s a t o r i s c h e Resu l t an t e .

Zunaehst galt es, die relative Selbst~indigkeit der Vorderenden ihrem Hinterende gegenUber in einer me~baren GriiBe auszudrUeken.

Die drei Aehsen eines Wesens mit drei freien Enden mUssen naturgemiiB unter sich gleiche Winkel, also Winkel yon 120 ~ bilden. Die Selbstiindigkeit der Achse eines Vorderendes drtickt sieh aus dureh ihr Verh~tltnis zur Aehse des Hinterendes, die wir Hauptachse nennen wollen. Verbindet man den Endpunkt der Aehse des Vorder- endes mit dem Endpunkt der Hauptaehse, so erhalten wir (in Fig. 1 reehts) das Dreieek abr, dessen ~ 7 120~ dessert Ubrige Winkel zu- sammen 60 ~ betragen. Ist nun L5 a sehr klein, so ist die Selbstiin- digkeit des Vorderendes ebenfalls sehr klein~ betragt er dagegen 60 ~ so ist die Selbst~tndigkeit unendlieh groB 1). Dies ist der Fall, wenn die Aehse des Hinterendes ~ 0 wird; die beiden andern Aehsen bil- den dann unter sich Winkel yon 180 ~ Wir bezeiehnen den Winkel a als ~Selbstiindigkeitswinkel~. Umgekehrt gibt uns der Winkel fl = 60 ~ a an, wie groB die Abhangigkeit des Vorderendes yore Hinter- ende ist. Vollkommener Unabhiingigkeit entspriiche ein ,Abhiingig- keitswinkel, yon 0 ~ Diese W i n k e l - wir wollen nut den Selbstiin- digkeitswinkel in Reehnung z i e h e n - sind Grii6en, die jederzeit aus der Li~nge der Teilaehsen bereehnet werden kSnnen angesiehts des bekannten 120 ~ betragenden zwischenliegenden Winkels.

Der Selbstiindigkeitswinkel ist direkt abhiingig yon der Tiefe des operativen Eingriffs, der das Vorderende spaltet. Die L~tnge des Einsehnittes ist niimlich bestimmend fur das gegenseitige Verhiiltnis der Achsen, deren Summe gleich der ursprUngliehen Gesamtl~inge des K(irpers ist. Der Selbstiindigkeitswinkel liiBt sieh also dureh zwei leieht bestimmbare GrSi~en ausdrUcken~ deren eine vom Experimen- tator willkUrlieh ge~ndert werden kann, dutch die Kiirperl~nge des Versuchstieres und die L~tnge des Operationsschnittes.

Betraehten wir nun Doppelplanarien mit versehiedenem Selb- stiindigkeitswinkel, so werden wir auf gewisse Erscheinungen auf- merksam.

1) Im dreiachsigen System kann der Winkel im Maximum 60 ~ betragen, wird das System zweiachsig, so betragen die Winkel 180 ~ der Selbstiindigkeits- winkel daher 90 ~

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War der Einsehnitt nut sehr wenig tier, ist also der Selbst~tn- digkeitswinkel klein, so werden am Vorderende zwei Kiipfe gebil- det~ die nur wenig grSBer sind als ein halber Kopf eines entspre- chenden Hinterendes. Je tiefer der Einsehnitt, je grS~er also die Selbstiindigkeit des Vorderendes, um so breiter werden die beiden K~ipfe. Erstreekt sieh die Spaltung bis gegen das Schwanzende, so rcgenerieren die beiden Vorderenden fast wie zwei isolierte Halb- warmer, d. h. die KSpfe erreiehen fast die GriiBe eines normalen

Fig. 1.

oder der Halbwurm regeneriert fast soviel, als ihm dureh die Ope- ration entfernt worden ist.

Einem Abh~ngigkeitswinkel yon 0 ~ entsprieht eine Kopfbreite 1; einem Winkel yon 60 ~ eine Breite 1/2. Daraus w~re zu folgern, dab

K~rperliinge bei einem Winkel yon 30 ~ der einem Einsehnitt yon

2 entsprieht, eine Breite des Kopfes ,con 3/4 resultieren mi~ehte. Ieh habe diese Versuehe night mit der n~tigen Genauigkeit ausgeNhrt. Trotzdem glaube ieh behaupten zu dUrfen, dag diese Gri~Ben- beziehungen wirklieh auf Gesetzm~gigkeiten yon so einfaeher Art beruhen.

Wie haben wir uns nun die Erseheinung zu erkl~ren? Das Hinterende hat das Bestreben, einen Kopf yon normaler GreBe zu bilden; auf jedes seiner Vorderenden wUrde also Kopfmaterial yon einem halben Kopf kommen. Die beiden Kopfh~lften haben dagegen

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das Bestreben, alles, was ihnen fehlt, zu ersetzen, also zwei KSpfe yon der GrSl~e 1 zu bilden. Diese beiden Bestrebungen kombinieren sich, und die GrSBe des in jedem Fall effektiv gebildeten Kopfes entsprieht der R e s u l t a n t e aus den b e i d e n KrAften. Das Hinter- ende wirkt also auf die Regeneration seiner beiden Vorderenden hemmend ein, und zwar ist diese Hemmung um so grSBer, je grSBer das Hinterende und je kleiner die Vorderenden sind (d. h. je kleiner der Selbstiindigkeitswinkel, je kiirzer der Einsehnitt ist).

Diese Erklarung ist wohl plausibel; aber man kSnnte einwenden, dab unter allen Umst~nden der Umfang des Regenerationsgesehehens abhAngig ist yon der GrSBe der Verletzung, yon dem Umfang der Wunde. Ist der Einsehnitt nur wenig tief, so bliebe demnach auch der Umfang des Regenerationsgesehehens und damit die Dimension des Regenerats eine geringe. Mit tier Tiefe des Einsehnittes wUrde dann auch, entspreehend der grSBeren Wunde, die GrSBe des rege- nerierten Kopfes zunehmen.

Die Entseheidung far die eine oder andre Deutung ist yon Wich- tigkeit ftir die Fragen der Regenerationsfaktoren im allgemeinen.

Je naehdem wUrde die Frage beantwortet werden: Ist der Faktor der Form, die ganze Gestalt des regenerierenden

TeilstUekes, ,:on bestimmendem EinfluB auf die Natur des Regenerats oder wird dieselbe yon dem Sehnittende bzw. ,con dem Charakter der angrenzenden Gewebe, yon denen in erster Linie die Regeneration ausgeht, bestimmt ?

Zur LSsung der Frage naeh Abh~ngigkeit oder Niehtabh~ngigkeit der Regeneration der Vorderenden yon ihrem gemeinsamen Hinter- ende nnd somit aueh zur Beantwortung der Frage nach der Bedeu- tung der Form des Regeneranten fur das Regenerat ftihrt eine weitere, leieht zu beobaehtende Erscheinung an Doppelplanarien, welche uns die Wirkung resultierender OrffanisationskrAfte mit aller wUnschbaren Deutlichkeit vor Augen ftihrt.

Bekanntlieh liegt der SaugrUssel der Planarien etwa in der K~r- permitte auf der medianen Langsachse. Verletzt nun der Einsehnitt die Riisselwurzel, so wird tier Pharynx ausgestoBen und es bilden sieh bei der regenerativen Ausgestaltung der Doppelplanarie zwei neue SaugrUssel. ~aehdem die Regeneration beendet ist, bemerkt man, dab die beiden RUssel nieht auf der Medianachse der Vorder- enden liegen, sondern yon ihr naeh innen, d. h. nach der Hauptachse (der Aehse des Hinterendes) zu, versehoben sind (vgl. Fig. 2). Das Interessante an dieser Versehiebunff ist ihre Abhangigkeit yore Selb-

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stiindigkeitswinkel. Sind die Vorderenden von ihrem Hinterende sehr wenig abhi~ngig, so ist die Verschiebunff kaum wahrzunehmen (Fig. 2 d). Je unselbst~tndigcr die Vorderenden sind, um so gr(iBer wird die Ent- fernung des Ortes der RUsselbildunff von der Achse der Kopfindivi- duen (Fig. 2b, c). SchlieBlich, bei ganz kleinem Selbst~tndigkeits- winkel, berUhren sich die beiden RUsscl und kommen in eine gemein- same Tasche zu liegcn. Ich babe eine Anzahl Versuche gemacht, die mir unzweifelhaft bewiesen, dab die Verschiebung der Rtissel yon

Fig. 2.

der Achse ihrer Vorderenden indirekt proportional ist dcr Grtil]e des Selbstiin digkeitswinkels,

Bei sehr geringer Selbstlindigkeit muBte ich den Versuch etwas modifizieren, da durch eincn Schnitt, d e r n u r gerade das Kopfende spaltet, die Rtisselgegend nicht verletzt, dcr RUssel also nicht ent- fernt werden kann. Ich schnitt daher zuniichst die Planarie in der HShe der Rtisselwurzel quer entzwei, so dab ich den Pharynx ent- fernen konnte. Dann spaltete ich den wunden Vorderrand durch einen kurzen Einsehnitt in zwei gleiche Teile. Das Resultat waren zwei KSpfe und zwei RUssel, die in einer gemeinsamen medianen, vonder alten RUsseltasche unabhi~ngigen H(ihlung lagen (Fig. 2 a).

Die Erscheinung, dab der Oft der RUsselbildung nach der Achse des Hinterendes verschoben wird, kann wohl nur auf cine Weisc erkliirt werden. Hi~tte das Hinterende die Lage des neuen Pharynx

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zu bestimmen, so kamen beide Rtissel auf seine Achse (Hauptaehse) zu liegen; hiitten die Vorderenden zu bestimmen, so wUrden sich die Pharynge auf ihren Achsen entwickeln. Da nun in der Doppelplanarie beide Bestrebungen sich kombinieren, so ist die Resultante aus den beiden wirksam and bestimmt den Ort der RUsselbildung.

Da nun im Selbstiindigkeitswinkel ein geometrischer Ausdruck fur diese Resultaute gegeben ist und da anderseits auch die Ver- schiebung des RUssels yon der Aehse eine leicht meBbare lineare GrSBe ist, versuchte ieh, das gegenseitige Verhaltnis festzustellen and kam dabei zu Uberrasehenden Resultaten. Ieh land, dab die Ver- sehiebung des RUssels gleich ist einer konstanten Gri~Be multipliziert mit dem Cosinus des jeweiligen Selbstandigkeitswinkels

v ~ p �9 cos a .

Da die Messungen sehr schwierig~ die Fehlerquellen groB nnd die Zahl meiner Experimente klein war, kann ieh nieht mit voll- kommener Sicherheit das Zutreffen dieser Gleichung behaupten. Sie genUgt jedoch nicht nur den yon mir untersuehten Fallen mittlerer Selbstandigkeitswinkel, sondern aueh den beiden Extremfallen voll- kommener Unabhangigkeit der Vorderenden~ d. h. ganzlicher Trennung der beiden Halften, and vollkommener Abhiingigkeit, d. h. ganzlichen Unterbleibens eines Einsehnittes.

Vollkommener Abhlingigkeit entsprieht ein - 4 a v o n 0 ~ v : p �9 c o s . ~ 0 ~

V ~ p ~

d. h. die Ablenkung ist gleich der konstanten GrSBe, dem ~Ablen- kungsmaximum<,. Da die beiden Versehiebungstendenzen yon rechts and yon links her gleich groB and entgegengesetzt sind und da jcde im Endpunkt der andern angreift~ heben sie sich auf; es entsteht in der indifferenten Zon% d. h. median, ein einziger RUssel.

Vollkommener Unabhangigkeit entsprieht ein - 4 a yon 90 ~ v ~ p . c o s - 4 9 0 ~

V ~ 0 .

Es findet iiberhaupt keine Ablenkung statt; der Riissel entsteht auf der Aehse der beiden Halften (Regeneration vollkommen isolierter Halbwiirmer).

Uber den B a u d e r Gleichung mag man sich an Hand der Fig. 1 linke Seite orientieren.

Die Richtung der Verschiebung des RUssels steht zu der resul- tierenden Achse normal; die Richtung, in welcher die Anziehung der

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Hauptaehse wirkt, steht senkreeht zur Hauptachse. Die beiden Rich- tungen bilden also unter sich einen Winkel, der gleich ist dem ~ a, dem Selbst~ndigkeitswinkel. Tri~gt man nun auf der Normalen zur Hauptachse die fur einen bestimmten Fall ermittelte Ablenkungs- gr~iBe (v) ab, so erhi~lt man durch Konstruktion des rechtwinkligen Dreieeks vpa die Seite p, d.h. die Konstante unsrer Gleichung, die wir oben als ),Ablenkungsmaximum,, bezeichnet haben. Dieses Ab- lenkungsmaximum ist wohl fUr die Planarienspeeies charakteristisch und stellt einen konstanten Bruchteil der KSrperli~ng'e dar.

Nun ist in unsrer Figur ~'1

cOS (%1 ~ - - - , P V2

COS ~ 2 ~ - - " P

Daraus ergibt sieh die VersehiebungsgriJBe

V 1 ~ p �9 COS a 1 ,

?;2 -----/'O �9 COS C~ 2 .

Aus einem beliebigen Selbstiindigkeitswinkel lieBe sieh demnach ohne weiteres die Gri~Be der zu erwartenden Verschiebung des RUssels bereehnen, sobald man einmal die Konstante p, alas Ablenkungs- maximum, kennt.

In der Praxis sind, wie gc~agt, diese GrSI~en schwer zu messen and die Genauigkeit der Bereehnung wird oft zu wtinschen tibrig lassen. Eine wiehtige Fehlerquelle ist z. B. die funktionelle Anpas- sung, indem die Doppelplanarie in ihrem Bau spezielle Anpassungen an die eigentUmliehe Doppelfunktion, die Doppelbewegung und die yon ihr bedingten speziellen Druck- und Zugrichtungen, aufweist. Somit wird es kaum gelingen, das Zutreffen obiger Gleiehung experi- mentell mit absoluter Sicherheit zu beweisen. Immerhin gewinnt man beim Experimentieren an Doppelplanarien die Uberzeugung, dab hier sehr einfaehe Gesetzm~tBigkeiten wirksam sein mUssen. Ein weiteres Moment, das fur die Richtigkeit unsrer Betraehtungsweise sprieht, ist die Tatsache, dab dieselben Correlationen auch bei doppel- schwlinzigen Planarien, bei denen der Einschnitt am Hinterende be- ginnt, zutreffen. SchlieBlich zeigen sich i~hnliche Erscheinungen yon RUsselverschiebungen an seitlichen, sog. Knospenindividuen, die dureh seitliehe horizontale Einsehnitte erzeugt werden kSnnen. Der Betrag der Versehiebung ist in diesem Fall abhiingig yon tier Breite der GewebsbrUeke zwisehen vorderem and hinterem Teil des Mutterindi- viduums, and zwar ist die Ablenkung des Ri|ssels yon der Achse der

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Knospe um so kleiner, je tiefer der Einschnitt war. Auch hier kommt also die relative Selbsti~ndigkeit der Knospe im Vergleieh zum Matter- tier in Betracht; die Lage des RUssels wird durch die Resultante aus den Organisationsbestrebungen des Mutter- und des Knospentieres bestimmt.

Welehe allgemeinen Schltisse ergeben sich nun aus diesen Be- traehtungen ?

Einmal ist aueh hier wieder festgestellt, dab die Fo rm des R e g e n e r a n t e n a u f die q u a l i t a t i v e und q u a n t i t a t i v e Ausge - s t a l t u n g des R e g e n e r a t s yon b e s t i m m e n d e m Einf luB ist. Das gemeinsame Hinterende ether doppelkiipfigen Planarie beeinfiuBt nieht nut den Umfang des Regenerationsgesehehens an seinen beiden Vorderenden, sondern bewirkt Organverlagerungen in ihnen. Meine Untersuchungen waren speziell auf die Lage des RUssels geriehtet; ieh zweifle jedoeh keinen Augenbliek, dab aueh andre Organsysteme i~hnliche Versehiebungen erleiden. Die Regeneration ist demnaeh nicht die Leistung eines spezifischen Regenerationsgewebes oder be- stimmter Zellen des Organismus (Stammzellen, Bildungszellen), son- dern der Gesamtorganismus letter und organisiert das Regenerations- gesehehen entspreehend den yon Roux untersehiedenen allgemeinen Wirkungen 1). Dutch den Gesamtorganismus wird dies Geschehen auch sistiert, sobald das Gleiehgewieht h~rgestellt ist.

Vielleieht noeh bedeutungsvoller ist der zweite SchluB, den wir aus unsern Experimenten ziehen dUrfen.

In den so auBerordentlieh komplizierten Regulationsvorgitngen bet den Planarien, denen der verwiekeltetste aller Regenerationsmodi zukommt, herrseht im Prinzip seh r e i n f a c h e Gesetzmii l~igkeit . Aus der Tiefe eines yon uns willkUrlieh gemachten Einsehnittes k~nnen wit die GreBe einer resultierenden Organversehiebung be- reehnen . Diese Tatsaehe wird wohi den Vitalisten zu denken geben. Trotzdem verhehle ich mir keineswegs, dab dutch diese Einsicht kaum ein Liehtstrahl in das dunkle Labyrinth der Regenerationserseheinungen an Planarien fallt, die naeh wie vor unsrer causalen Analyse unzu- giinglich bleiben.

Base l , Oktober 1908.

1) W. Roux, Biolog'. Centralbl. Bd. XIII. S. 657 oder Gesamm. Abh. Bd. II. S. 896 u. f.