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Vorlesung im WS 2011/12 Motivation, Volition, Handeln Aktivationstheoretische Ansätze Prof. Dr. Thomas Goschke Professur für Allgemeine Psychologie 1

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Vorlesung im WS 2011/12

Motivation, Volition, Handeln

Aktivationstheoretische Ansätze

Prof. Dr. Thomas Goschke

Professur für

Allgemeine Psychologie

1

Überblick

Aktivationskonzept

Retikuläres aktivierendes System und kortikale Aktivation

Autonomes Nervensystem

Hypothese des optimalen Aktivationsniveaus

Aktivation und Leistung: Das Yerkes-Dodson-“Gesetz“

Aktivation, Neugiermotivation und „kollative Variablen“

2

Das Aktivationskonzept

3

Alltagsbeispiele

Kontinuum der Konzentriertheit (z.B. Konzertpianist; free climber)

Kontinuum der „Energetisierung“ (z.B. Höchstleistungen im Sport)

Koma – Schlaf – Wachheit – konzentrierte Aufmerksamkeit – Stress

• Kontinuum der Wachheit

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Definitionen von Aktivation / Erregung (arousal)

„Arousal refers to the mobilization or activation of this energy that occurs in preparation or during actual behavior“ (Deckers, 2001)

„Arousal is the activation of the brain and the body. When we are aroused, body and brain are in a state of readiness, so that we are prepared to engage in adaptive behavior“ (Franken, 2002)

5

Forschungsfragen

Welchen Einfluss hat das Aktivationsniveau des Organismus auf das Verhalten?

Welche Beziehung besteht zwischen Aktivation, Motivation und Leistung?

Welche Hirnsysteme regulieren das Aktivationsniveau?

Welche Reizmerkmale beeinflussen das Aktivationsniveau?

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Aspekte der Aktivation: Subjektive Erregung

Subjektives Gefühl der Erregung oder Energetisierung

Energetische Erregung: positive affektive Tönung

• z.B. mittags hoch, frühmorgens und nachts niedrig / wird durch Koffein verstärkt

Angespannte Erregung: negative affektive Tönung

• z.B. bei Bewertungsangst während Prüfungen, Sportwettkämpfen oder in sozialen Situationen

Messung über Ratingskalen (z.B. Schimmack & Reisenzein, 2002, Emotion)

• schläfrig = 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 = wach

• entpannt = 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 = nervös

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Aspekte der Aktivation: Physiologische Erregung

Aktivierung des sympathetischen Nervensystems

8

Erhöhung der Herzrate und Konstriktion der Blutgefäße Erhöhte Durchblutung

Leber setzt Glukose frei erhöhte Energieversorgung

Erhöhte Ausschüttung roter Blutkörperchen mehr Sauerstoff

Verdauung wird gestoppt

Fett wird in Blutstrom gelassen mehr Energie

Erhöhte Atemfrequenz bessere Kühlung bei Anstrengung

Erhöhte Muskelspannung

Verbesserte Sinneswahrnehmung

Aspekte der Aktivation Zentralnervöse Prozesse

Aktivierte Hirnregionen verbrauchen mehr Energie erhöhte

Durchblutung und Zufuhr von Glukose und Sauerstoff

Messbar mittels Positronen-Emission-Tomografie (PET) und funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT)

10

PET fMRT

Entdeckung des retikulären Aktivationssystems (RAS)

12

15

Retikulärformation

Gruppe von Nervenzellen im

Kern des Hirnstamms, die sich

von der Ebene der Medulla

bis zum Thalamus erstreckt

16

Evidenz für ein Retikuläres Aktivationssystem (RAS)

1. Moruzzi & Magoun (1949): Elektrische Stimulation des RAS führt zu Veränderungen der elektrischen Aktivität des Neokortex -> Wach-EEG

17

Elektroenzephalogramm (EEG)

18

Elektroenzephalogramm (EEG) in verschiedenen Bewusstseinszuständen

Erhöhte Aktivation / Aufmerksamkeit

-> kleinere Amplitude -> Höhere Frequenz (Alpha-Desynchronisation; Beta-Wellen)

Elektrische Reizung der

Retikulärformation von

anästhesierten Katzen

bewirkt Wechsel vom

Schlaf-EEG zum Wach-EEG

Entspannte Ruhe

-> synchrone Aktivität

-> Alpha-Wellen

19

Evidenz für ein Retikuläres Aktivationssystem (RAS)

2. Wird Neokortex nicht hinreichend durch RAS aktiviert, werden sensorische Signale nicht adäquat verarbeitet

• Fuster (1958): Rhesusaffen lernten schneller, zwei kurz dargebotene Objekte zu diskriminieren, wenn das RAS über eine implantierte Elektrode stimuliert wurde

3. Läsion des RAS führt zu Koma

1. Elektrische Stimulation des RAS führt zu Veränderungen der

elektrischen Aktivität des Neokortex (gemessen über das EEG)

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Evidenz für ein Retikuläres Aktivationssystem (RAS)

Dauerschlaf

Normaler

Schlaf-Wach-

Zyklus

Durchtrennung des Hirnstamms zwischen Medulla u. Rückenmark (bei Katzen)

(= Unterbrechung afferenter sensorischer Bahnen)

-> Direktreizung des RAS führt noch zu Wach-EEG

-> aktivierender Effekt ist nicht über spezifische sensorische Bahnen vermittelt

Durchtrennung des Hirnstamms direkt hinter dem RAS

(= Unterbrechung der Bahnen vom RAS zum Kortex)

-> Direktreizung führt nicht mehr zu Wach-EEG

(Zur Illustration der Operationen

Ist hier ein menschliches

Gehirn dargestellt; die Untersuchungen

wurden an Katzen durchgeführt!) 21

Evidenz für ein Retikuläres Aktivationssystem (RAS)

Führte zur Hypothese, dass das RAS beteiligt ist an

• Erzeugung eines tonischen (anhaltenden) Wachheitszustandes

• Erzeugung einer tonischen Muskelspannung / erhöhten Verhaltensbereitschaft

• Verstärkung oder Abschwächung der Aufnahme und Weiterleitung sensorischer und motorischer Impulse

23

Rezeptoren der Sinnesorganen sind

über spezifische afferente Bahnen mit

sensorischen Arealen im Neokortex

verbunden

Retikulärformation wird über Kollateralen

aktiviert, die von spezifischen afferenten

sensorischen Bahnen abzweigen

Keine Verarbeitung spezifischer

Reizmerkmale, sondern unspezifische

und großflächige Aktivierung des

Neokortex

RAS wird auch durch vom Kortex

absteigende Bahnen aktiviert -> kortikale

Kontrolle der Aufmerksamkeitssteuerung

(erhöhte RAS-Aktivierung, wenn Person

sich auf Reize konzentriert)

Aktivationstheoretische Ansätze:

Retikuläres Aktivationssystem (RAS)

24

Erregungsniveau, Affekt und Leistung: Die Hypothese des optimalen Aktivationsniveaus

28

Die Hypothese des optimalen Aktivationsniveaus

Das zentrale motivationspsychologische Postulat aktivationstheoretischer Ansätze ist die Annahme eines optimalen Aktivationsniveaus

Zu niedrige oder zu hohe Aktivation wird als aversiv erlebt

Organismen sind bestrebt, mittleres Aktivationsniveau zu erreichen oder aufrecht zu erhalten

29

Die Aktivationstheorie von Donald O. Hebb (1904-1985)

Abstrakte Neurophysiologie („conceptual nervous system“)

psychische Prozesse (Gedanken, Vorstellungen) beruhen darauf, dass Neuronenverbände in geordneter Abfolge erregt werden (sog. Phasensequenzen)

Reizinput hat zwei Effekte:

• aktivierende Funktion (arousal function)

• steuernde Funktion (cue function)

steuernde Funktion setzt minimales unspezifisches Aktivationsniveau voraus (Hulls „Drive“ wird zur RAS-Aktivität)

Zu hohes Aktivationsniveau Zusammenbruch von

„Phasensequenzen“ und des geordneten Denkablaufs

Hebb, D. (1955): Drives and the CNS (conceptual

nervous system). Psychological Review, 62, 243-254 30

Die Aktivationstheorie von Donald O. Hebb

Hebb, D.O. (1955). Drive and the C.N.S. (Conceptual

nervous system). Psychological Review, 62, 243-254.

31

Die Aktivationstheorie von Donald O. Hebb: Unterschiede zu Hulls Triebtheorie

Kurvilineare Beziehung zwischen Aktivation und Leistung

• statt monotoner Beziehung zwischen Triebstärke und Reaktionspotential wie bei Hull

Optimales mittleres Aktivationsniveau

• statt eines möglichst niedrigen Triebzustands wie bei Hull

Aktivation hängt von Merkmalen des Reizeinstroms ab

• statt von einem endogen Trieb

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Die Aktivationstheorie von Donald O. Hebb: Annahme eines optimalen Aktivationsniveaus

Leichte Abweichungen vom optimalen Aktivationsniveau (mäßige Inkongruenz, Neuheit oder Komplexität)

wird als angenehm erlebt

Neugier, Interesse, Exploration

Stimulation weit oberhalb des optimalen Niveaus (sehr unerwartete, diskrepante oder intensive Reize)

wird als unangenehm erlebt

motiviert Vermeidungsverhalten

Extreme Erregung führt zu Desintegration des Verhaltens (z.B. Panik bei Katastrophen)

Stimulation weit unterhalb des optimalen Niveaus

wird als unangnehm empfunden

motiviert Suche nach externer Stimulation

! Entscheidend für Aktivationsniveau ist nicht primär physikalische Reizintensität, sondern Informationsgehalt, Komplexität und Diskrepanz zum Erwarteten oder Vertrauten

33

Folgen eines zu niedrigen Aktivationsniveaus: Sensorische Deprivation

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Sensorische Deprivation: Beobachtungen

Nach längerer Zeit zeigten Probanden Halluzinationen und Beeinträchtigungen intellektueller Fähigkeiten

An sich eher langweilige Informationen wie Börsenberichte oder Auszüge aus Telefonbuch wurden begierig aufgenommen

Ein großer Teil der Studenten brach Versuch trotz hoher Bezahlung nach 2. oder 3. Tag ab

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Überblick

Aktivationskonzept

Retikuläres aktivierendes System und kortikale Aktivation

Hypothese des optimalen Aktivationsniveaus

Sensorische Deprivation

Aktivation und Leistung: Das Yerkes-Dodson-“Gesetz“

Neugiermotivation und „kollative Variablen“

37

Aktivationsniveau und Leistungsfähigkeit Das Yerkes-Dodson-”Gesetz” (1908)

Annahme 1: Leistungsfähigkeit ist am besten bei mittlerem Aktivationsniveau

Annahme 2: optimales Aktivationsniveau hängt von der Schwierigkeit der Aufgabe ab (bei leichten Aufgaben liegt es höher)!

38

Aktivation und Leistung Das Yerkes-Dodson-”Gesetz” (1908)

Aktivation

Suboptimal

Optimal

Supraoptimal

Dösig Entspannt Aufmerksam Erregt

Kontrollverlust

Disorganisation

des Verhaltens

Furcht / Stress

effizientes

Problemlösen

und schnelle

Adaptive Reaktionen

Le

istu

ng

39

Aktivation und Leistung Das Yerkes-Dodson-”Gesetz” (1908)

Aktivation

Le

istu

ng

Schwierige Aufgabe Leichte Aufgabe

40

niedrig hoch

hoch

niedrig

Aktivation und Leistung Das Yerkes-Dodson-”Gesetz” (1908)

41 Zimbardo & Gerrig, 2006

© Pearson Studium 2004

Experimentelle Belege

In verschiedenen Experimenten wurde variiert:

• Aktivationsniveau (z.B. Stärke elektrischer Schocks)

• Aufgabenschwierigkeit (z.B. unterschiedlich schwierige visuelle Diskriminationsaufgabe, durch die Schock beendet werden konnte)

• AV: Anzahl korrekter Lösungen

Ergebnis:

• bei leichter Aufgabe Anstieg richtiger Lösungen mit zunehmender Aktivation

• bei schweren Aufgaben zuerst Anstieg, dann Abfall

optimales Aktivationsniveau lag niedriger

42

0

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

leichte Liste Schwierige Liste

Mit

tle

re F

eh

lerz

ah

l

hoch ängstlich

niedrig ängstlich

Angst und Leistung

43

Spence, Taylor & Ketchel, 1956

Theoretische Erklärungen des Yerkes-Dodson-Gesetzes I

Hulls Triebtheorie

Ängstlichkeit (erhöhtes Triebniveau) erhöht die Stärke aller Reiz-Reaktions-Assoziationen (Habits)

Leichte Aufgaben:

• korrekte Reaktion ist stärker als falsche Reaktionen

• erhöhtes Triebniveau verstärkt diesen Unterschied bessere

Leistung

Komplexe Aufgaben

• korrekte Reaktion ist schwächer oder nur wenig stärker als falsche Reaktionen

• erhöhtes Triebniveau erhöht die Wahrscheinlichkeit falscher Reaktionen

Theoretische Erklärungen des Yerkes-Dodson-Gesetzes II

Cue Utilization (Easterbrook, 1959)

Aufmerksamkeitstheoretische Erklärung

• In jeder Situation ist Aufmerksamkeit auf einige Reize gerichtet, während andere ignoriert werden

• Aktivationsniveau beeinflusst, wie viele Reize in den Fokus der Aufmerksamkeit kommen

• Je höher Aktivation, umso enger der Aufmerksamkeitsfokus

Interaktion mit Aufgabenschwierigkeit

• Solange erhöhte Aktivation zur Fokussierung der Aufmerksamkeit auf relevante Reize führt bessere Leistung (da irrelevante Reize

ausgeblendet werden)

• Zu hohe Aktivation schlechtere Leistung (da auch relevante Reize

ausgeblendet werden)

• Je schwieriger Aufgabe, umso mehr Reize müssen berücksichtigt werden umso niedriger liegt das optimale Aktivationsniveau

48

Theoretische Erklärungen des Yerkes-Dodson-Gesetzes III

Informationsverarbeitungsmodell von Humphreys & Revelle (1984)

Zwei grundlegende Prozesse der Informationsverarbeitung:

• Sustained information transfer (SIT): automatische

Reizverarbeitung und Auslösung assoziierter Reaktionen

• Short-term memory (STM): aktive Aufrechterhaltung von

relevanter Information, so dass diese verfügbar für

Problemlösen ist

Leichte (geübte) Aufgaben erfordern in erster Linie SIT

Schwierige Aufgaben beanspruchen STM

Erhöhung des Erregungsniveaus

• verbessert SIT

• verschlechtert STM

49

Theoretische Erklärungen des Yerkes-Dodson-Gesetzes II Informationsverarbeitungsmodell (Humphreys & Revelle, 1984)

Sustained

Information

transfer

Short-term

memory

Arousal

Low High

Effic

iency

of pro

cessin

g

Poor

Good

50

Probleme des unspezifischen Aktivationskonzepts

Wenn verschiedene Indikatoren für Aktivation Manifestationen eines unspezifischen Erregungssystems sind, sollten sie hoch korreliert sein

• Subjektive erlebte Erregung

• Herzfrequenz

• Hautleitfähigkeit / elektrodermale Reaktion

• Hirnelektrische Aktivität: EEG (z.B. relative Power im Bereich der Alphafrequenz)

• Elektromyogramm (Anspannung des Stirnmuskels)

• Lidschlag (Anzahl)

Tatsächlich korrelieren verschiedene Aktivationsindikatoren häufig nicht

• Lacey (1967): Reaktionsspezifität (s.a. Neiss, 1988)

• Mitunter verhalten sich Aktivationsindikatoren sogar gegenläufig

- Konzentration / gespannte Erwartung eines Reizes erhöhte Herzrate

- erschreckende oder aversive Reize reduzierte Herzrate

Verschiedene Personen zeigen individuell unterschiedliche Muster psychophysiologischer Reaktionen

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Probleme des unspezifischen Aktivationskonzepts

Zustände erhöhter Aktivation sind oft mit anderen Veränderungen korreliert, die Verhalten beeinflussen

• Aufmerksamkeitsfokussierung / Konzentration

• Emotionen (Angst, Schreck, Überraschung, Freude)

• Kognitionen (z.B. störende Gedanken, die um gefürchteten Misserfolg kreisen)

Aktivation ist besser als multidimensionales theoretisches Konstrukt aufzufassen, das verschiedene (physiologische und affektive) Aspekte umfasst

multiple neuromodulatorische Systeme im Hirnstamm, die kortikale Erregbarkeit und Informationsverarbeitung modulieren

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Multiple Aktivierungssysteme

diverse Zellgruppen im Hirnstamm sind an der Regulation des kortikalen Erregungsniveaus beteiligt

diese sind mit spezifischen Neurotransmittern (u.a. Noradrenalin, Serotonin, Acetylcolin) assoziiert und projizieren weitflächig in viele kortikale Regionen

haben unterschiedliche Funktionen

Wirkungen hängen zudem davon ab, (a) in welche Hirnregionen die Systeme projizieren, (b) welche Rezeptoren beteiligt sind, (c) ob Aktivität tonisch oder phasisch ist

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Noradrenerges System

Neurotransmitter: Noradrenalin

Ursprungsort: Locus coeruleus

Projektionen in viele kortikale Regionen

Stimulation führt zu erhöhter kortikaler Erregung ( Aufmerksamkeit und

Vigilanz / verbesserter Signal-Rausch-Abstand)

LC-Neurone sind besonders aktiv, wenn Organismus wach ist oder wenn Stressreize verarbeitet werden; inaktiv im Schlaf

NA-Agonisten (z.B. Amphetamin) führen zu Erregtheit u. Schlaflosigkeit

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Serotonerges System

Neurotransmitter: Serotonin

Ursprung: Raphé-Kerne im RAS (Projektionen in viele kortikale Regionen)

u.a. beteiligt an

• Emotionsregulation

• Responsivität für negative emotionale Reize

• Verhaltenshemmung vs. Impulsivität

• Angstverarbeitung

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Dopaminerges System

Nigrostriatales System: Substantia nigra

dorsales Striatum (Regulation motorischer Funktionen; beeinträchtigt bei Parkinson-Krankheit)

Mesolimbisches System: Ventrales Tegmentum (Mittelhirn)

Vorderhirn/limbisches System (Amygdala, Hippokampus, Nucleus accumbens); involviert in Anreizmotivation u. Belohnungseffekte

Mesokortikales System: Ventrales Tegmentum präfrontaler Kortex; spielt

Rolle bei kognitiven Kontrollfunktionen (z.B. Aufrechterhaltung von Zielen)

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Aktivationsniveau, Neugiermotivation und Explorationsverhalten

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D.E. Berlyne (1924-1976)

War beeinflusst durch die neurophysiologischen Entdeckungen (RAS, Belohnungssysteme), Hebbs theoretische Neurophysiologie und Hulls Neo-Assoziationismus

Frage nach Reizmerkmalen, die Aktivationsniveau bestimmen

Frage nach motivationalen Wirkungen unterschiedlicher Aktivationsniveaus

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D.E. Berlyne: Kollative Variablen und Anregungspotenzial

Aktivationsniveau beruht auf Vergleich von Reizinformation mit gespeicherten Gedächtnisinhalten führt zu unterschiedlich starker

Inkongruenz mit dem Vertrauten oder Erwarteten

kollative („vergleichende“) Reizvariablen:

• Neuigkeit und Veränderung

• Ungewissheit und Konflikt

• Komplexität

• Überraschungsgehalt

Ebenfalls aktivierend wirkende Reize:

• Emotionale Reize

• Sehr intensive Reize

• Reize, die durch innere Bedürfniszuständen erzeugt werden

Zusammen bestimmten kollative Variablen das Anregungspotenzial (arousal potential) eines Reizes

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D.E. Berlyne: Auswirkungen des Anregungspotenzials

Anregungspotenzial Aktivationsniveau

• zu niedriges oder zu hohes Anregungspotenzial hohe Aktivation

• Mittleres Anregungspotenzial niedrige Aktivation

Anregungsspotenzial Affekt

• zu niedriges oder zu hohes Anregungspotenzial = aversiv

• mittleres Anregungspotenzial = angenehm

Aktivationsniveau Motivation

• Organismen streben ein optimales (niedriges) Aktivationsniveau an und präferieren daher Stimulation mit mittlerem Anregungspotenzial

• Erhöhung eines zu niedrigen oder Verringerung eines zu hohen Anregungspotenzials wirkt verstärkend

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D.E. Berlyne: Anregungspotenzial, Aktivationsniveau und Affekt

67

Vergleich der Postulate von Berlyne und Hebb zur Beziehung von Anregungspotenzial, Aktivation und Affekt

Anregungspotenzial Aktivationsniveau

Aktivation

Att

raktivität

____ Hebb

____ Berlyne

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Berlyne: Zwei Arten von Explorationsverhalten

Zu hohes Anregungspotenzial spezifische Exploration

• Auslöser: kollative Variablen / Diskrepanzen / Reizüberflutung

• Suche nach spezifischer Stimulation + Erkundung der Reizinformation

• Ziel: Vertrautheit oder Verständnis zu erhöhen

Zu niedriges Anregungspotenzial diversive Exploration

• Auslöser: Mangel an Stimulation („Langeweile“)

• Suche nach mehr Reizvariation, Spannung, Neuigkeit

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Spezifisches Neugierverhalten und Neuigkeit

Berlyne & Crozier (1971): Probanden wählten aus unterschiedlich komplexen Reizmustern dasjenige aus, das ihnen am besten gefiel

Probanden, die zuvor einem reizarmen Dämmerlicht ausgesetzt wurden, bevorzugten komplexere Muster (= diversive Exploration)

Probanden, die zuvor sehr komplexe (= anregende) Reize zu betrachten hatten, bevorzugten weniger informationshaltige Muster

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Spezifisches Neugierverhalten: Zweideutigkeit und Komplexität

Zweideutige Reize enthalten widersprüchliche Informationen

Komplexität ist nach Berlyne eine Funktion der Vielfältigkeit und Verschiedenartigkeit der Teile eines Ganzen

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Spezifisches Neugierverhalten: Komplexität

Unregelmäßigkeit

der Anordnung Materialmenge Heterogenität

der Elemente

Unregelmäßigkeit

der Form Unstimmigkeit

Unvereinbare

Zusammen-

stellungen

Aus: D.E. Berlyne (1960).

Conflict, arousal, and curiosity.

New York: McGraw-Hill.

77

Präferenzurteile für visuelle Figuren unterschiedlicher Komplexität

Munsinger & Kessen (1964)

78

Spezifisches Neugierverhalten: Komplexität

Komplexität und Informationsgehalt eines Reizes ist nur relativ zu den Vorerfahrungen und zum Wissen des wahrnehmenden Lebewesens zu bestimmen

Empirische Befunde sprechen dafür, dass Lebewesen Reize bevorzugen, die etwas komplexer sind als die, an die sie gewöhnt sind (Befundlage ist aber nicht einheitlich: s. Überblick bei Schneider & Schmalt, 2000)

79

Spezifisches Neugierverhalten: Komplexität

0,5

0,7

0,9

1,1

1,3

1,5

4 6 9 13 19 27 40

Komplexität

Zeit

(lo

g s

ec)

2 Jahre

4-7 Jahre

Nach Switzky et al., 1974

Dauer der Beschäftigung mit unterschiedlich komplexen

Objekten (Kunststoffkörper)

80

Spezifisches Neugierverhalten: Unsicherheit und Überraschung

Unsichere oder unerwartete Ereignisse lösen Überraschung aus und motivieren spezifische Exploration (Wissenssuche, Erklärungsversuche)

Shannon & Weaver (1949): entwickelten quantitatives Maß für den Informationsgehalt einer Informationsquelle

• Informationsgehalt eines Ereignisses ist maximal, wenn die Wahrscheinlichkeiten aller möglichen Ereignisse gleich verteilt sind = maximale Unsicherheit (z.B. Würfel)

• Je wahrscheinlicher ein Ereignis wird, umso geringer ist sein Informationsgehalt = umso weniger Unsicherheit wird durch das Ereignis reduziert

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Fazit

Neue, zweideutige, komplexe, unerwartete Reize haben gemeinsam, dass sie im Organismus subjektive Unsicherheit auslösen

Neugierverhalten hat die Funktion, Unsicherheit zu reduzieren, indem neues Wissen erworben wird, so dass überraschende oder diskrepante Reize in bestehende kognitive Schemata integriert werden können

Reduktion von Unsicherheit durch Wissenserwerb Lernen wirkt positiv verstärkend

• neuere Studien: Lernerfolg und neue Einsichten aktivieren Belohnungssysteme im Gehirn

82

Aktivationstheoretische Erklärung einiger alltäglicher Beobachtungen

Erworbene Präferenzen für zunächst als aversiv / diskrepant empfundene Dinge

• z.B. exotisches Essen; Bier; Kaffee)

Ästhetische Urteile

• Je mehr Expertise/Erfahrung, umso höherer Grad von Komplexität wird als angenehm erlebt (z.B. abstrakte Malerei, atonale Musik, komplexe intellektuelle Probleme)

83

Subjektive Komplexität und Präferenzurteile für populäre Musik

84

A. C. North and D. J. Hargreaves, 1995,

Psychomusicology, 14, p. 82

Interindividuelle Unterschiede im Explorationsverhalten und der Erregbarkeit

Explorationsverhalten wird durch individuelle persönliche Dispositionen beeinflusst unterschiedliche Ausprägungen des Neugiermotivs und der Erregbarkeit

wichtige Ansätze:

• Eysenck: Extraversion/Introversion

• Gray: Behavioral inhibition und activation system

• Zuckermann / Cloninger: Sensation seeking / novelty seeking

85

Aktivationstheoretische Ansätze: Zentrale Merkmale

Fokus auf Intensitätsaspekt von Verhalten (Parallele zu Triebkonzept)

Neurophysiologische Orientierung: Entdeckung aktivierender Systeme im Hirnstamm

Aktivation / Erregung (arousal) löste als Konstrukt das unspezifische Triebkonzept ab (statt biologischen Bedürfnissen jetzt Fokus auf „zentralnervöse Stimulation“)

Annahme eines optimalen (mittleren) Aktivierungsniveaus: Umgekehrt U-förmige Beziehung zwischen Aktivation und Leistung

Erforschung der Reizmerkmale, die Erregungsniveau beeinflussen (z.B. Neuartigkeit, Erwartungsdiskrepanz)

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