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Moritz Csáky, Christoph Leitgeb (Hg.)Kommunikation – Gedächtnis – Raum

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Moritz Csáky, Christoph Leitgeb (Hg.)Kommunikation – Gedächtnis – Raum.

Kulturwissenschaften nach dem »Spatial Turn«

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INHALT

Kommunikation – Gedächtnis – Raum:

Orientierungen im spatial turn der Kulturwissenschaften

7

VERORTUNGEN IM SPATIAL TURN

Geschichte findet Stadt

ALEIDA ASSMANN

13

Räume von Bedeutung.

Spatial turn, cultural turn und Kulturgeographie

JULIA LOSSAU

29

Felder, Relationen, Ortseffekte: Sozialer und physischer Raum

SIGHARD NECKEL

45

INSZENIERUNGEN DES RAUMS IN DER ÄSTHETIK

Raum im Film – spatial versus topological turn

und der Standort der Kritik

MICHAELA OTT

59

In die Geschichte eintreten. Performatives Erinnern

bei Rimini Protokoll und Klaus Michael Grüber

GERALD SIEGMUND

71

Zur (De-)Konstruktion von Außen- und Innenräumen

in der Literatur. Die Pariser Passagen in Louis Aragons

Paysan de Paris

MECHTHILD ALBERT

93

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Klang als performative Prägung von Räumlichkeiten

CHRISTA BRÜSTLE

113

VIRTUELLE UND REALE RÄUME

Interferenzialität als mitteleuropäisches Raumparadigma

PETER ZAJAC

133

Ist die Schweiz ein Europa im Kleinen?

URS ALTERMATT

149

Personenregister

169

Autorenverzeichnis

171

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Kommunikation – Gedächtnis – Raum:

Orientierungen im spatial turn

der Kulturwissenschaften

Schon vor dem spatial turn interessierten sich Kulturwissenschaf-

ten für „Kultur-“, „Kommunikations-“ und „Gedächtnisräume“:

Wie in ihr sind aber auch im Alltagssprachgebrauch Ort und Be-

deutung seit jeher eng verbunden. Menschen suchen nach „Ori-

entierung“, im „Koordinatensystem“ der Landkarte ebenso wie im

Bedeutungs- und Werteangebot – also dem „Koordinatensystem“

ihrer Kultur. Wenn sie dann ihren „Ort“ gefunden haben, befin-

den sie sich auf einem „Standpunkt“ oder vertreten eine „Posi-

tion“, geographisch wie ideologisch: Sie verwenden rhetorisch be-

stimmte „Topoi“, fixe „Orte der Bedeutung“, um ihre Meinung

„festzumachen“ oder „festzulegen“. Die speichern sie dann in ei-

ner „mind map“ oder einer bestimmten „Region“ ihres Gehirns.

All diese Sprachspiele unterstellen, dass konkrete Orte ein-

deutig mit Bedeutungen zu identifizieren wären: Dieser Mythos

„naturalisiert“ kulturelle Bedeutungen durch ihre Verortung. Zur

Kritik daran will das vorliegende Buch beitragen, indem es solche

metaphorischen und historischen Vereinfachungen aus der Pers-

pektive einer Vielfalt kulturwissenschaftlicher Fächer kritisiert. In

der Begrifflichkeit gesprochen, die Aleida Assmann im einleiten-

den Beitrag vorschlägt: In diesem Band wird analysiert, welche

Mechanismen und welche Politik der Bedeutung wirksam werden,

wenn ein bedeutungsneutraler, physischer „Raum“ zu einem

kulturell definierten und beladenen „Ort“ wird.

Das Buch reflektiert damit auch eine andauernde Paradig-

mendiskussion der Kulturwissenschaft, die unter dem Schlagwort

spatial turn (Edward W. Soja, Doris Bachmann-Medick) Bedeu-

tung gewonnen hat. Richtungweisend für diese Wende wurden

frühere Ansätze bei Claude Lévi-Strauss (Absage an eine euro-

zentristische Raumkonzeption), Michel Foucault (zur wechselseiti-

gen Abhängigkeit von Raum und Diskurs), Siegfried Kracauer (zur

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Kulturwissenschaften nach dem spatial Turn

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wechselseitigen Abhängigkeit von Raumkonstruktion und sozialer

Schicht) und Pierre Bourdieu (Theorie des sozialen Feldes). Die

Vielfalt bisheriger, unter dem Schlagwort spatial turn zusammen-

gefasster Forschungsarbeiten thematisiert dabei so unterschiedli-

che Gegenstände wie eine Soziologie des Raums (z.B. Martina

Löw), den Raum als dominante historische Kategorie (Karl Schlö-

gel), die lieux de mémoire (Pierre Nora) oder den Zusammenhang

von Raum und Schrift (topographical turn, Sigrid Weigel).

Insgesamt richtete sich dieser spatial turn der Kulturwissen-

schaften gegen „eine Überlieferung, die Katastrophe ist“ (Walter

Benjamin): Das 19. Jahrhundert prägte ein nationales Narrativ

aus, das mehr oder weniger homogene Räume voraussetzte (Con-

tainer-Raum), national-politische Raum-Abgrenzungen definierte

und kulturelle Konfigurationen entsprechend festschrieb, tra-

dierte bzw. in die Vergangenheit zurückprojizierte. Wenn jedoch

unter Kultur das gesamte Ensemble von Elementen, Zeichen, Co-

des oder Symbolen verstanden wird, mittels derer Individuen in

einem sozialen Kontext verbal und nonverbal kommunizieren,

dann ist auch ein solcher Begriff von Raum obsolet. Der Soziologe

Sighard Neckel entwickelt das in diesem Band exemplarisch am

Beispiel Bourdieus, der mit seinem Begriff des Feldes Handlungs-

räume definiert, die sich eben nicht als Container, sondern als

Relation von Objekten und Akteuren konstituieren.

Kultur ist dann als Kommunikationsraum zu verstehen, in

dem durch die Setzung oder Verwerfung von Elementen Lebens-

welten und Machtverhältnisse ausverhandelt werden. Dieser dy-

namische, performative, relationale und entgrenzte Kommunika-

tionsraum bietet Individuen und Gruppen die Möglichkeit, sich in

einem gesellschaftlichen Kontext immer wieder neu zu orientieren

(Kultur als Bedeutungssystem). Ein solcher Kulturbegriff hat den

Vorteil, dass er sich weder auf die repräsentative Kultur be-

schränkt, noch zwischen Hoch- und Alltagskultur unterscheidet,

eine nationale Festschreibung von Kultur transzendiert und ins-

gesamt eine Absage an eine essentialistische Vorstellung von

Kultur und Raum ist.

Nur ein solcher Raumbegriff kann etwa der traditionalen

sprachlichen (und ethnischen) horizontalen Differenziertheit der

zentraleuropäischen Region gerecht werden, einer imaginären,

„nichtintentionalen Einheit“ (Milan Kundera). Sie setzt sich aus

Kommunikationsräumen zusammen, die sich sowohl konkurren-

zieren als auch überlappen. Daraus folgt, dass in der Realität In-

dividuen und soziale Gruppen sich in der Regel, trotz nationaler

Zuweisungen, in mehreren komplexen bzw. hybriden Kommuni-

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kationsräumen vorfinden (können), dass Identitäten sich auf ein

Gedächtnis berufen, das durch mehrere Erinnerungsweisen und

-mechanismen aktualisiert wird. Ein kompliziertes Netz interfe-

renzieller Gedächnisorte definiert, so resümiert Peter Zajac in sei-

nem Beitrag, den mitteleuropäischen Raum. Scheinbar homogene

„Gedächtnisorte“ lassen sich in unterschiedliche Diskurse, „Ge-

schichten“ (vgl. histoire croisée) bzw. „Bilder“ (Walter Benjamin:

„Geschichte zerfällt in Bilder, nicht in Geschichten“) dekonstruie-

ren, die jeweils ihre Gültigkeit haben: Vor diesem Hintergrund

stellt in diesem Band der Schweizer Historiker Urs Altermatt die

Frage, ob der Umgang der Schweiz mit dem ihr immanenten Plu-

ralismus Vorbildwirkung für ein plurizentrisches Europa haben

könnte.

Einige der stärker theoretisch orientierten Beiträge, die mit

Assmann und Neckel diesen Band eröffnen, entwickeln allerdings

eine skeptische Perspektive darauf, ob die Abkehr von der Con-

tainermetapher für sich ausreicht, einen Essentialismus auch in

der Stoßrichtung des kulturwissenschaftlichen spatial turn zu

vermeiden. Die Kulturgeographin Julia Lossau etwa skizziert, wie

historisch ihr Fach seine Aufgabe immer weniger darin sah, phy-

sische Räume zu beschreiben, und seine Gegenstände als davon

abzuhebende Bedeutungsräume begriff: Vor dieser Entwicklung

erscheint aber die Emphase, mit welcher die Kultur- und Geistes-

wissenschaften einen teilweise durchaus physisch verstandenen

Raumbegriff neu zu entdecken vorgeben, durchaus problema-

tisch. Die Filmtheoretikerin Michaela Ott kommt zu einem ver-

gleichbaren Befund, auch wenn sie für ihre Analyse einen ganz

anderen Hintergrund wählt: Die Auflösung einer essentialisti-

schen Vorstellung des Raums, so argumentiert sie, motivierte sich

wissenschaftsgeschichtlich aus seiner Koppelung mit der Vor-

stellung der Zeit. Während aber ein Medium wie der Film eine

solche Koppelung anschaulich mache, wenn er seine Mittel be-

wusst gebraucht, habe einige unter dem Etikett spatial turn pub-

lizierte Theorie sie wieder verdrängt, um Zeit und Raum als Ge-

gensatz zu inszenieren.

Ästhetische Verfahrensweisen stellen Mechanismen der Kop-

pelung von Raum und Bedeutung aus, welche den spatial turn

der Kulturwissenschaften bestimmen: Das zeigt sich nicht nur in

Bezug auf den Zusammenhang von Zeit und Raum im Film: Die

Literaturwissenschaftlerin Mechthild Albert führt am Beispiel der

Pariser Passagen vor, wie sehr schon ein Surrealist wie Aragon

den Raum „als eine Art Text“ (Sigrid Weigel) betrachtet. Er nutzt

die Unentschiedenheit der Passagen innerhalb einer Dichotomie

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Kulturwissenschaften nach dem spatial Turn

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von Innen und Außen, um konventionelle Bedeutungszuschrei-

bungen zu verunsichern und den Schauplatz als einen des Begeh-

rens zu inszenieren. Die Musikwissenschaftlerin Christa Brüstle

führt aus, wie auch in der Musik der Raum zunehmend als mit-

bestimmender Faktor für die Komposition einerseits und die

Aufführung andererseits erkannt und mit inszeniert wird. Und

der Theaterwissenschaftler Gerald Siegmund schließlich nähert

sich der Verbindung von Raum und Bedeutung über den Begriff

der Reflexion: Er geht davon aus, dass Theatralität sich überall

dort ereignen kann, wo der Blick einen anderen Ort aushebt, von

dem aus wir, die Zuschauer, selbst wiederum angeblickt werden

können. Von da ausgehend beschreibt er, wie die avancierten

Theaterprojekte von Rimini Protokoll und Klaus Michael Grüber

die traditionelle Unterscheidung von Spiel- und Zuschauerraum

ins Spiel bringen. Sie inszenieren damit zugleich eine Differenz

dessen, was Aleida Assmann in ihrem einleitenden Beitrag als

„Ort“ und „Raum“ unterschieden hat.

Der vorliegende Band versammelt die Beiträge der 9. Interna-

tionalen Konferenz des Forschungsprogramms Orte des Gedächt-

nisses der Kommission für Kulturwissenschaften und Theaterge-

schichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, die

vom 8. bis 10. November 2007 in Wien stattfand. Die Herausgeber

danken dem wissenschaftlichen ExpertInnenrat der Kommission

und ihren KollegInnen an der Kommission für inhaltliche Anre-

gungen und organisatorische Unterstützung sowie Sabine Kram-

mer für die umsichtige Bearbeitung der Druckfassung.

Moritz Csáky Christoph Leitgeb

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Verortungen im spatial turn

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Geschichte findet Stadt

ALEIDA ASSMANN

All unser Wissen von Geschichte haftet an Orten. [...] Wir kommen ohne Bilder von Schauplätzen, an denen

sich alles ereignet hat, nicht aus. History takes place – Geschichte findet statt.1

Angeregt von diesen Sätzen Karl Schlögels möchte ich im folgen-

den Beitrag über den Zusammenhang von Geschichte, Raum und

Gedächtnis nachdenken. „History takes place“ – diese Formel er-

öffnet gewichtige Fragen: wie kommt die Geschichte zum Raum?

Wie besetzt Geschichte Räume und wie wird das Besetzen von

Räumen zum Ziel von Geschichte? Angesichts dieses umfassen-

den Komplexes von Fragen, mit denen ich es hier nicht annähernd

aufnehmen kann, werde ich mich auf einen kleinen Ausschnitt

beschränken. Die Zuspitzung des Themas schlägt sich in der Vari-

ation meines Titels nieder. Es soll um das Verhältnis von Ge-

schichte und Stadt gehen, und damit um die Frage, wie sich Ge-

schichte in den städtischen Raum einschreibt, in ihm verankert

und diesen immer wieder verändert. Bevor ich jedoch auf die Stadt

als Palimpsest und Geschichtsspeicher eingehe und anschließend

Probleme architektonischer Rekonstruktion diskutiere, möchte ich

zunächst einige theoretische Vorbemerkungen vorausschicken und

dabei eine begriffliche Unterscheidung vorschlagen.

Raum und Ort

Der so genannte spatial turn hat in die Kulturwissenschaften

neue Begriffe und Fragen eingebracht. Bekanntlich war eine

wichtige Stimme bei dieser Wende die des Geographen und Ar-

chitekturtheoretikers Edward Soja. Er bediente sich der Wende-

1 Karl Schlögel: Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik, München, Wien: Hanser 2003, S. 70.

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Aleida Assmann

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rhetorik, um das Paradigma der Zeit, das die Historiker seit dem

19. Jahrhundert geleitet hatte, durch das neue Paradigma des

Raumes als das des ausgehenden 20. Jahrhunderts zu ersetzen.

Raum als die Dimension der Gleichzeitigkeit, so das Argument,

sei lange genug durch die Konzentration auf die linearen Prozesse

von Zeit und Wandel verdeckt worden. Noch einmal Schlögel:

Das historische Narrativ hat wesentlich dazu beigetragen, den Raum zum Schweigen zu bringen, der nicht in der zeitlichen Sequenz zur Sprache und zur Anschauung gebracht wird, sondern in der Vergegenwärtigung des Ne-beneinander.2

Soja zeigte, was dabei mit vergessen worden war: nämlich die

schöpferisch lokalisierte Lebenswelt, die nicht nur das Produkt von Ge-schichte, sondern vor allem auch der Konstruktion menschlicher Geogra-phien ist, einer sozialen Konstruktion von Raum und der stetigen Formung und Umformung geographischer Landschaften.3

Soja konnte an die Arbeiten französischer Historiker anknüpfen,

die bereits zwei Jahrzehnte zuvor den Grund für die Wende gelegt

hatten. Einer von ihnen war Henri Lefebvre, der über La Produc-

tion de l’espace geschrieben hatte und den Raum als „ein Reser-

voir von Ressourcen“ definiert hatte. Raum, so Lefebvre, sei „mehr

als ein Theater, eine Bühne oder ein Setting für Handlung. Raum

ist nicht nur eine neutrale Voraussetzung, sondern hat einen ak-

tiven Anteil am Geschehen als Instrument und Ziel, Mittel und

Zweck.“4 Vor Lefebvre hatte bereits Foucault in einem Vortrag vor

Architekten aus dem Jahre 1967 über Andere Räume (des espa-

ces autres) gesprochen. In diesem Vortrag, der erst kurz vor sei-

nem Tode knapp zwei Jahrzehnte später veröffentlicht wurde,

schrieb er: Am Ende des 20. Jahrhunderts leben wir

in einer Epoche der Gleichzeitigkeit, des Nebeneinanders, in einer Epoche der Nähe und Distanz, der räumlichen Enge und der großen Entfernungen. Wir verstehen uns heute weniger als Wesen, deren Leben sich in der Zeit

2 Ebd., S. 64. 3 Edward Soja: Postmodern Geographies. The Reassertion of Space in Criti-

cal Social Theory, London u.a.: Verso 1989, S. 10. Vgl. auch: Ders.: Thirdspace. Journeys to Los Angeles and Other Real and Imagined Pla-ces, Cambridge/Mass.: Blackwell 1996.

4 Henri Lefebvre: La Production de l’espace, Paris: Éd. Anthropos 1974, Englisch, Ders.: The Production of Space, Oxford u.a.: Blackwell 1991, S. 410f.