Mima Hohmann Physiotherapie in der Kleintierpraxis · Physiotherapie in der Kleintierpraxis Reading...

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Mima Hohmann Physiotherapie in der Kleintierpraxis Reading excerpt Physiotherapie in der Kleintierpraxis of Mima Hohmann Publisher: MVS Medizinverlage Stuttgart http://www.narayana-verlag.com/b22151 In the Narayana webshop you can find all english books on homeopathy, alternative medicine and a healthy life. Copying excerpts is not permitted. Narayana Verlag GmbH, Blumenplatz 2, D-79400 Kandern, Germany Tel. +49 7626 9749 700 Email [email protected] http://www.narayana-verlag.com

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Mima HohmannPhysiotherapie in der Kleintierpraxis

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of Mima HohmannPublisher: MVS Medizinverlage Stuttgart

http://www.narayana-verlag.com/b22151

In the Narayana webshop you can find all english books on homeopathy, alternativemedicine and a healthy life.

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5.3

Erläuterungen zu denGliedmaßen-Befundbögen

1 Bei der Untersuchung des Bewegungs-apparats sollte man sich vergegenwärti-

gen, welche Strukturen untersucht werden sollen.Soll der Muskel in seiner Funktion und Muskel-kraft geprüft werden? Will man passiv oder aktivtesten? Will man das Gelenk in seiner Funktion,passiv oder aktiv prüfen? Welche Funktion derStruktur will man testen, und was soll oder willman damit nachweisen?

Beispiel: Die Dehnfähigkeit des Muskels kannbei der Vor- und Rückführung der Gliedmaße ge-testet werden. Die Muskelkraft beim Hund zu tes-ten stellt sich als relativ schwierig dar. Beim Men-schen kann man sagen: „Drücken Sie bitte mit vol-ler Kraft gegen meine Hand!“. Dies klappt beimHund leider nicht. Hier kann man die Muskelkraftnur indirekt beurteilen, wenn er sich z. B. mit derVordergliedmaße gegen die Schwerkraft hochdrü-cken kann. Wie der Hund die Gliedmaße belastet,sagt nicht unbedingt etwas über seine Muskelkraftaus, denn bei Schmerz wird die Gliedmaße ge-schont, obwohl die Muskelkraft vollständig vor-handen sein kann.

5.3.1 Adspektion

2 Bei der Adspektion erhält der TherapeutInformationen darüber, ob sichtbare Ver-

änderungen vorliegen. Durch den Sichtbefundkönnen schon einige Symptome der vorliegendenErkrankung erkannt werden. Daraufhin kann einezielorientierte Untersuchung angeschlossen wer-den. Die Ergebnisse aus der Adspektion dienen alsGrundlage für die anschließende Befunderhebung.

Beurteilung im Stand

3 Beurteilen Sie das Tier im Stand von min-destens zwei Seiten. Eine Umrundung

mit Begutachtung der Gliedmaßenstellung ist vor-teilhafter. So kann man verhindern, dass wichtigeStellungsfehler übersehen werden.

4 Liegt beim Hund eine Plantarfußung vor,kommen folgende Diagnosen in Betracht:

● Ruptur einer Sehne (Fersensehnenstrangruptur,Ruptur der Ursprungssehne des M. gastrocnemi-us, Ruptur des Lig. plantare). Bei der Ruptur derUrsprungssehne des M. gastrocnemius liegt al-lerdings auch eine Hyperflexion der Zehen vor.

● Luxation der Fersenbeinkappe● Kalkaneusfraktur

Zeigt der Hund Zehenspitzenfußung, können eineMuskel- oder Sehnenkontraktur, hochgradigeSchmerzen an der Gliedmaße oder ein Kreuzban-driss an der entsprechenden Hintergliedmaße vor-liegen.

5 Zeichnen Sie die sichtbaren Veränderun-gen am Tier in das Schema ein. Es dient

zur Erinnerung an die Veränderungen zu Beginnder Therapie. Es dient außerdem dazu, den Erfolgoder Nichterfolg der Therapie zu dokumentieren.

Beurteilung in der Bewegung/Ganganalyse

6 Die Ganganalyse (S.118) wird im gleich-namigen Kapitel eingehend behandelt.

Beurteilung im Sitzen

7 Bei der Beurteilung im Sitzen wird daraufgeachtet, wie das Tier sich hinsetzt. Wird

eine Gliedmaße abduziert, adduziert oder nachkranial/kaudal gesetzt?

Fragen an den Tierbesitzer: Sitzt das Tier schonimmer so oder erst in letzter Zeit? Seit wann setztsich der Hund so hin? Wird es nach Bewegungbesser, bleibt es gleich oder wird es schlechter?Viele Tierbesitzer haben Schwierigkeiten, dieseFragen zu beantworten, weil sie ihr Tier diesbe-züglich noch nie genau beobachtet haben. DieGliedmaßenhaltung während des Sitzens kannAufschluss darüber geben, ob das Tier die Glied-maße entlastet. Hier ist der Zeitfaktor wichtig:

Wenn das Tier schon immer eine bestimmteSitzhaltung einnimmt, kann man davon ausgehen,dass es eine „Angewohnheit“ des Tieres ist, so zusitzen oder es liegt ein angeborener Schaden desBewegungsapparates vor.

Wird die Sitzhaltung erst in den letzten Tagenoder Wochen eingenommen, kann man davon aus-

5.3 Erläuterungen zu den Gliedmaßen-Befundbögen

Befund

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gehen, dass es sich um eine Schonhaltung handelt.Dabei kann das Tier auf der schmerzhaften Seite sit-zen, da der Druck den Schmerz bessert, oder dieschmerzhafte Gliedmaße von sich strecken.

! MerkeAllein durch die Haltung des Tieres ist nichtauf die schmerzhafte Gliedmaße, dasschmerzhafte Gelenk oder die schmerzhaftenMuskeln zu schließen!

8 Wenn z. B. eine Blockierung im rechtenISG vorliegt, strecken die Hunde oft die

rechte Hintergliedmaße heraus. Auch bei lumba-len Schmerzen wird oft eine Gliedmaße vermehrtin eine Richtung gesetzt. Beim Kreuzbandriss wirdebenfalls die entsprechende Seite nach außen ge-setzt, das Tier entlastet im Stand die Gliedmaße,und man sieht eine Fußung auf den Zehenspitzen.

Bewegungsübergänge

9 Am besten ist es, das Tier sich hinsetzen,hinlegen und aufstehen zu lassen, wenn

der Tierbesitzer keine genauen Auskünfte über dieBewegungsabläufe geben kann, oder wenn mandas Gefühl hat, dass der Tierbesitzer diese verän-derten Bewegungsabläufe als „normal“ erachtet.

Hierbei ist es wesentlich, zu differenzieren, obdas Tier mehr Probleme bei der Aufwärtsbewegungoder der Abwärtsbewegung zeigt. Bei der Auf-wärtsbewegung muss das Tier die schmerzhaftenGelenke mehr belasten als bei der Abwärtsbewe-gung. Aus diesem Grund ist die Aufwärtsbewegungfür das Tier problematischer. Je schwerwiegenderdie Veränderungen im Bewegungsapparat sind,desto mehr zeigt das Tier Schwierigkeiten bei derAuf- und Abwärtsbewegung. Erschwert wird dieBeurteilung, wenn akute Schmerzen, z. B. in derVordergliedmaße, bei der Bewegung mehr ins Ge-wicht fallen als die chronischen Schmerzen in derHintergliedmaße, die die eigentliche Ursache derBewegungsstörung darstellen.

Zusammenfassung der Adspektion

10 Hier werden die gesammelten Befundeaus der Adspektion und der Ganganalyse

zusammengetragen und beurteilt.

5.3.2 Palpation

11 Bei der Palpation versucht man die ein-zelnen Muskelgruppen zu differenzieren.

Dabei wird auf Hauttemperatur, Gewebespannung,Bemuskelung (Tonus, Asymmetrien, Temperatur,Strukturveränderungen, Berührungsempfindlich-keit), Gelenke (Kontur- und Strukturveränderun-gen, Temperatur, Beweglichkeit, Gelenkgeräusche)und auf Schmerzhaftigkeit aller Gewebe undStrukturen geachtet.

Bei der Extension und Flexion der Gliedmaßewird eine Hand auf die veränderte Muskulatur ge-legt, um abnorme Spannungserhöhungen feststel-len zu können.

! MerkeBei der Untersuchung und später bei der Be-handlung nicht gegen Muskelwiderstand ar-beiten! Damit verstärkt man nur die Unsi-cherheit des Tieres oder die vorliegendenSchmerzen.

12 Bei der Palpation der Vordergliedmaßewird von proximal nach distal und im

Seitenvergleich vorgegangen. Die Palpation wirdam besten sowohl am stehenden als auch am lie-genden Tier durchgeführt.

Man legt seine Hände auf den Übergang Hals-/Schultermuskulatur und spürt sich erst einmal indas Gewebe hinein, bevor man mit der Palpationbeginnt. Zur Übersicht wird eine Streichung mitdem Handrücken über die gesamte Gliedmaßevon proximal nach distal durchgeführt. Dann wirddie Gliedmaße mit der Handfläche palpiert undmithilfe der Gewebe- und Knetpalpation genauerabgetastet. Bei Veränderungen im Muskelgewebekommt auch die Druckpalpation zum Einsatz.

13 Die Palpation der Hintergliedmaße be-ginnt man hinter dem Rippenbogen am

thorakolumbalen Übergang. Man legt seine Händeauf die Lumbalmuskulatur und spürt sich in dasGewebe hinein, bevor man mit der Palpation be-ginnt. Man steht an der Seite des Tieres und be-ginnt mit Gewebestreichungen und Gewebepalpa-tionen von kranial nach kaudal. Man palpiert ent-lang des M. latissimus dorsi und des M. iliopsoasbis zur Crista iliaca. Mit den Fingerspitzen wird zu-erst der M. iliopsoas nach kranial palpiert und be-

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urteilt, bevor man zur Übersicht die Gliedmaßeabwärts mit dem Handrücken von proximal nachdistal palpiert.

Danach wird mithilfe der Streichungen, Gewe-be- und Knetpalpation die Gliedmaßenmuskulaturuntersucht. Bei Veränderungen im Muskelgewebekommt auch die Druckpalpation zum Einsatz.

Man umfasst zum Seitenvergleich die Hinter-gliedmaßen mit beiden Händen von kraniodorsal,palpiert über die Glutealmuskulatur und beurteiltden M. gluteus superficialis. Danach palpiert manüber den Tuber ischiadicum von proximal nachdistal bis zur Kniekehle und beurteilt den M. bi-ceps femoris, den M. semitendinosus und den M.semimembranosus von kaudal.

Dann fasst eine Hand in den Innenschenkel-bereich und tastet von medial die Innenschenkel-muskulatur von kranial nach kaudal ab, währenddie zweite Hand von lateral die Außenschenkel-muskulatur palpiert:

Beurteilt werden von medial palpatorisch derM. sartorius, der M. rectus femoris und der M.pectineus, die Adduktorenmuskulatur und der M.gracilis. Der M. pectineus weist bei Hüfterkran-kungen oft einen erhöhten Muskeltonus auf, dersich bis zu einem hochgradigen Hartspann mitMuskelverkürzung ausbilden kann. In Folgekommt es zu Innenrotation des Hüftgelenks undValgus-Stellung der Hintergliedmaße. Mithilfe vonDehnungen des M. pectineus kann dem entgegen-gewirkt werden.Von lateral werden beurteilt: M. sartorius, M.

tensor fasciae latae, M. biceps femoris und mit dertiefen Palpation der M. piriformis. Die Metaphysedes Os femoris ist im proximalen Femurbereichpalpierbar.

Als Nächstes sucht man die KnochenpunkteCrista iliaca (Darmbeinschaufel), den Tuber ischia-dicum (Sitzbeinhöcker) und den Trochanter majorauf und beurteilt seitenvergleichend die Stellungdieser Knochenpunkte. Dann beurteilt man denAbstand zwischen und die Lage der beiden Tuberaischiadica. Bei einer Fraktur im Beckenbereichkönnen sie eine unterschiedliche Lage einnehmenund sind oft verschieblich.

! MerkeBei Verdacht auf eine Fraktur im Becken-bereich darf dort keine physiotherapeutischeBehandlung durchgeführt werden! Es musserst wieder die Stabilität des Beckens ge-währleistet sein.

14 Muskelatrophien an der Hinterglied-maße kann man gut durch den Kreuz-

griff nach M. Hohmann (▶Abb. 5.1) palpieren.Dazu greift man mit überkreuzten Händen vonkaudomedial an die Hintergliedmaßen und beur-teilt die Muskulatur.

Gelenkbefunde

15 Bei der Befunderhebung an den Gelenkenwird die Beweglichkeit des zu unter-

suchenden Gelenks beurteilt und dabei auf Hypo-und Hypermobilität, Schmerzhaftigkeit, Umfangs-vermehrungen und Gelenkgeräusche geachtet.Wichtig ist auch die Ausgangsstellung (Stand, Sit-zen, Liegen) des Tieres zu notieren.

5.3 Erläuterungen zu den Gliedmaßen-Befundbögen

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▶Abb. 5.1 Kreuzgriff nach M. Hohmann zur besseren Pal-pation bei Muskelatrophien.

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Schulter und Schultergelenk

16 Die Untersuchung der Schulter erfolgt imSeitenvergleich im Stand und im Liegen.

Im Stand wird von kranial palpiert. Man sucht denCartilago scapulae auf, tastet weiter zur Spina sca-pulae, palpiert den M. trapezius, M. infraspinatusund M. supraspinatus. An der Spina scapulae ver-sucht man die Ansätze des M. triceps brachii, desM. omotransversarius und des M. deltoideus zupalpieren. Dabei achtet man auf Veränderungender Struktur (Umfangsvermehrungen, Atrophie,Hypertrophie usw.) und auf Schmerzhaftigkeit.

Die Muskelbefunde werden im Befundbogen un-ter „Palpation Haut und Muskulatur“ eingetragen.

Das Akromion wird ertastet und es wird beur-teilt, ob es sich in der gleichen Frontalebene befin-det wie sein Gegenüber, oder ob eine Verlagerungnach kraniokaudal oder eine Verlagerung in derTransversalebene nach dorsoventral vorliegt. Dieskann ein Hinweis auf eine kaudale/kraniale Rotati-on der Skapula oder eher selten auf eine Fraktursein.

Die Palpation wird von kaudal wiederholt. Manstellt sich an die Seite des Tieres, sucht das Akro-mion auf und palpiert im Seitenvergleich von dis-tal nach proximal bis zum Halsansatz und von kra-

nial, Ausgangspunkt Akromion bis nach kaudalzumMargo dorsalis der Skapula.

17 Durch die Untersuchung des thorakoska-pulären Gleitens in unterschiedliche

Richtungen kann differenziert werden, welcheMuskelgruppen am meisten belastet sind(▶Abb. 5.2). Dies wird bei der Aufstellung des The-rapieplans berücksichtigt. Bei der Untersuchungsollte das Tier ruhig auf einer Seite liegen. Falls dasTier die Muskulatur aus Angst verkrampft, solltees erst beruhigt werden, da sonst die Unter-suchung nicht aussagekräftig ist.

Das thorakoskapuläre Gleiten auf der linken Sei-te des Hundes: Die linkte Hand umfasst das Bugge-lenk, die rechte Hand umfasst den Margo dorsalisim dorsalen Bereich, und die Schulter wird nachkranial und kaudal verschoben. Dabei sollte sichdie Schulter je nach Größe des Tieres zwischen2 cm (Dackel) und 5–8 cm (Dogge) locker verschie-ben lassen.

Das Schulterblatt wird nach dorsoventral, kra-niokaudal und in Kippbewegung (Abduktion-Ad-duktion) untersucht. Man achtet auf erhöhte Span-nung beim thorakoskapulären Gleiten und auf

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a b

▶Abb. 5.2 Thorakoskapuläres Gleiten.a Nach kranial.b Nach kaudal.

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Schmerzhaftigkeit. Welche Muskelgruppe ist be-troffen, die Gliedmaßenvorführer oder die -rück-führer?

Bei vielen Erkrankungen kommt es zu Verlage-rungen des Schwerpunkts nach kranial, sodassmehr Gewicht von den Vordergliedmaßen abge-fangen werden muss. Gering- bis hochgradige Ver-spannungen im Schulterbereich sind die Folge. Da-bei werden die Vor- und Rückführer des Schulter-blattes in ihrer Bewegung eingeschränkt, zum Teilsind auch die Vor- und Rückführer der gesamtenVordergliedmaße betroffen. Das thorakoskapuläreGleiten ist bei Spannungserhöhung oft einge-schränkt, das Schulterblatt kann nur noch einge-schränkt bis überhaupt nicht mehr verschobenwerden.

Zu bedenken ist auch, dass bei Schmerzen hin-ten rechts die linke Schulter oder die gesamte lin-ke Vordergliedmaße durch die Diagonale der Fort-bewegung mehr belastet wird. So verursacht z. B.ein KBR links erst Schmerzen in der linken Hüfte.Durch die Schonhaltung und Fehlstellung im mus-kuloskelettalen System folgen Schmerzen in derrechten Vordergliedmaße. Meist erkennt der Tier-besitzer erst jetzt, dass sich das Tier „nicht mehrrichtig“ bewegt.

Häufige Erkrankungen der Schulter: Frakturen,Luxationen, Tumoren, Erkrankungen des Plexusbrachialis.

18 Wenn die rechte Schulter abduziert wer-den soll, legt man die linke Hand auf den

Margo dorsalis des Schulterblattes, die rechteHand umgreift den proximalen Humerus von kau-dal, hebt die Schulter im proximalen Bereich leichtan und schiebt die Schulter nach dorsal.

Die Schulter sollte sich leicht nach dorsal schie-ben lassen, ohne Widerstand beim Tier auszulö-sen. Falls Schmerzen in diesem Bereich vorliegen,versucht das Tier die Dehnung durch Muskel-widerstand zu verhindern.

19 Bei der Schulteradduktion wird die Be-wegung von dorsal nach ventral durch-

geführt, dabei führt die Hand am Margo dorsalisdie Bewegung nach ventral aus (▶Abb. 5.3).

20 Die Winkelung des Schulterblatts be-stimmt seine Lage am Körper und ist je

nach Rasse unterschiedlich (Windhunde: 65–75 °,Hütehunde: 55–65 °, hochläufige Terrier: 55–60 °,Dachshund und Basset: 50–55 °). Der Winkel kannbestimmt werden, indem man eine Linie durch dieMitte der Schulterblattgräte und eine Horizontalezur Pfote zieht.

Man spricht von einem flachen Schulterblatt,wenn der Winkel kleiner als 50 °, und von einemsteilen Schulterblatt, wenn der Winkel größer als60 ° ist (▶Abb. 5.4).

21 Bei der speziellen Palpation werden dieMuskelpunkte der genannten Muskeln

vorsichtig palpiert, um Veränderungen in Strukturund Zustand festzustellen (▶Abb. 5.5).

5.3 Erläuterungen zu den Gliedmaßen-Befundbögen

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▶Abb. 5.3 Schulteradduktion: Die linkeHand liegt auf dem Margo dorsalis desSchulterblatts, die rechte Hand umgreiftden proximalen Humerus von kaudal,senkt die Schulter nach ventral undschiebt die Schulter leicht nach distal.

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70° 60° 50°

▶Abb. 5.4 Schulterwinkelung. a steile und c flache Schulter. (nach Beute, Beute-Faber: Atlas der Hunde-Anatomie. Kynos,2000)

a b

▶Abb. 5.5 M. biceps (rot): Ursprung (lateral) und Ansatz (medial). Da der mediale Ansatz nicht an derselben Gliedmaßedargestellt werden kann, wurde der Ansatz an der zweiten Gliedmaße dargestellt.M. infraspinatus (grün): Kontraktur-bereich auf der Skapula.M. supraspinatus (blau): Ursprungsbereich auf der Skapula und Ansatz am Tuberculum majusdes Humerus.

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Man palpiert weiterhin die Muskeln des Schul-tergürtels:● M. brachiocephalicus● Halsteil des M. trapezius● M. latissimus dorsi● M. rhomboideus● Brustteil des M. serratus ventralis

22 Die Untersuchung des Schultergelenkswird im Seitenvergleich zuerst im Stand,

dann im Liegen durchgeführt. Im Stand wird zu-nächst von kranial palpiert (▶Abb. 5.6). Man suchtdas Akromion auf und beurteilt den Abstand vomAkromion zum Tuberculum majus. Ist dieser nichtnormal, können Veränderungen in der Gelenk-struktur vorliegen, und eine weiterführende Un-tersuchung wie z. B. Röntgen ist notwendig. Pal-piert werden dann der Humerus mit Tuberculummajus, Tuberculum minus, Sulcus intertubercularishumeri, die Humerusdiaphysen und die Mm. tri-ceps brachii und biceps brachii. Weiterhin palpiertman die Mm. pectorales superficialis und profun-dus (soweit möglich), den M. deltoideus, den M.teres minor und den M. brachialis. Dabei achtetman auf Gewebespannung, Temperatur sowieStruktur- und Konturveränderungen der Muskeln,

Sehnen und Bänder. Mit einer tiefen Palpation un-tersucht man den Plexus brachialis.

Bei der Untersuchung des Schultergelenks wirdauf Gelenkfüllung und Krepitation geachtet. Mansollte sich nicht scheuen, zur Prüfung der Krepita-tion das Stethoskop an das jeweilige Gelenk zuhalten und unter Bewegung des Gelenks die Krepi-tation zu beurteilen.

23 Das Endgefühl ist im Schultergelenk inalle Bewegungsrichtungen fest-elastisch.

24 Die Beweglichkeit des Schultergelenkswird im Stehen und im Liegen getestet.

Man legt die fixierende Hand an den kranialenSkapularand und die Spina scapulae, und die aus-führende Hand umfasst den distalen Humerus vonkranial oder kaudal. Die Bewegung wird in kranio-kaudaler Richtung und in Rotation durchgeführt.Dabei wird das Gelenk leicht überstreckt. Im Lie-gen wird die Palpation auf einer Seite wiederholtund die Beweglichkeit des Schultergelenks wiederin der gleichen Form getestet (▶Abb. 5.7).

Außerdem umfasst die fixierende Hand dasSchultergelenk von kranial und hält dabei das Ste-thoskop an das Schultergelenk, während die aus-

5.3 Erläuterungen zu den Gliedmaßen-Befundbögen

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▶Abb. 5.6 Untersuchung des Schultergelenks mit Handgriffdarstellung.

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führende Hand den Humerus von kaudal umfasstund leichte Bewegungen des Schultergelenks aus-führt. Dabei ist auf Gelenkgeräusche zu achten.Zur Beurteilung der Kapselstrukturen am Schul-tergelenk wird eine leichte Gelenktraktion (S.253)durchgeführt.

Man palpiert beim stehenden und liegendenTier vom Schultergelenk weiter nach distal biszum Ellenbogengelenk: den M. triceps brachii, dieMm. pectorales superficialis und profundus, denM. anconeus, M. biceps brachii, M. brachialis, M.deltoideus und M. cleidobrachialis.

25 Der Abduktionstest wird durchgeführt,um Instabilitäten des Schultergelenks

festzustellen. Mit einer Hand wird das Schulter-blatt an den Rumpf gedrückt, mit der anderenHand wird der Humerus umfasst und die Schulterabduziert (▶Abb. 5.8). Die stabile Schulter kannnur bis zu einem Winkel von 30 ° abduziert wer-den. Ist der Abduktionswinkel größer als 50 °, liegteine Instabilität des Schultergelenks vor.

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a b

▶Abb. 5.7 Beweglichkeitsprüfung am Schultergelenk. Bei der Extension der Schulter besser den Humerus umgreifen an-stelle des Unterarms. Bei Schmerzen im Ellenbogengelenk kann so das Ergebnis verfälscht werden.a Bei Extension.b Bei Rotation.

▶Abb. 5.8 Schulterabduktion. Der Un-terarm der Therapeutin unterstützt denHumerus bei der Abduktion.

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26 Parameter zurWinkelmessung(▶Abb. 5.9 und ▶Abb. 5.10):

● Drehpunkt (DP): Tuberculum majus, Messungvon lateral

● Proximaler Zeiger (PZ): gedachte Linie zur Spinascapulae

● Distaler Zeiger (DZ): Humeruslängsachse, Epi-condylus lateralis

● Extension: 160–165 °● Flexion: 45–58 °● Abduktion/Adduktion: 55–65 °● Außenrotation: ca. 45 °● Innenrotation: ca. 35 °

27 An der Schulter kann auch das Schub-ladenphänomen ausgelöst werden,

wenn eine Instabilität des Schultergelenks vor-liegt. Dazu umfasst man mit einer Hand den Hu-merus und fixiert das Tuberculum majus, diezweite Hand umfasst das kaudale Schulterblattund fixiert das Tuberculum glenoidale. Die Handam Humerus versucht nun den Humerus nach

5.3 Erläuterungen zu den Gliedmaßen-Befundbögen

Befund

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a

b

▶Abb. 5.9 Flexionswinkelmessung am Schultergelenk.

a

b

▶Abb. 5.10 Extensionswinkelmessung am Schultergelenk.

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kranial und kaudal zu verschieben. Bei einer stabi-len Schulter ist dies nicht möglich.

Ellenbogengelenke

28 Die Untersuchung des Ellenbogengelenkswird im Seitenvergleich im Stand und Lie-

gen durchgeführt. Man sucht von kranial die Epi-condyli lateralis und medialis auf und palpiert dasTuber olecrani. Diese drei Orientierungspunkte soll-ten bei leicht gebeugtem Gelenk in einer Ebene lie-gen. Falls eine Dislokation vorliegen sollte, kann dasein Hinweis auf eine Luxation oder eine Fraktursein. Einen vermehrten Füllungszustand am Ellen-bogengelenk kann man im Stand von lateral amvorgewölbten M. anconeus palpieren, der zwischenEpicondylus lateralis und Tuber olecrani verläuft.

29 Das Endgefühl im Humeroulnargelenkist in Extension fest-elastisch und in Fle-

xion häufig weich-elastisch (Muskelstopp) oderfest-elastisch (Bänderstopp). Im Radioulnargelenkist das Endgefühl in Supination fest-elastisch undin Pronation hart-elastisch.

30 Zur Prüfung der Beweglichkeit des Ellen-bogengelenks legt man die fixierende

Hand von kaudal an den distalen Humerus, unddie ausführende Hand umfasst distal Radius undUlna von kranial. Die Bewegung wird in kranio-kaudaler Richtung (Extension, Flexion) und in Ro-tation (Supination, Pronation) durchgeführt. Dabeiwird das Gelenk leicht überstreckt und überbeugt.Im Liegen wird die Palpation auf einer Seite wie-derholt und die Beweglichkeit des Ellenbogenge-lenks wieder in der gleichen Form getestet.

Außerdem werden die medialen und lateralenGelenkstrukturen untersucht:● Laterale Gelenkstrukturen (Proc. anconeus):

Man legt den Daumen oder einen Finger der fi-xierenden Hand zwischen Epicondylus lateralisund Tuber olecrani, die ausführende Hand um-fasst die distale Gliedmaße und überstreckt sieleicht. Zeigt das Tier Schmerzhaftigkeit bei die-ser Bewegung, ist es bei jungen Hunden ein Hin-weis auf einen isolierten Processus anconeus(s. u.) und bei älteren Tieren auf Ellenbogen-arthrose (▶Abb. 3.1).

● Mediale Gelenkstrukturen (Proc. coronoideusmedialis ulnae, Trochlea humeri): Mit der aus-

führenden Hand umfasst man distal das Karpal-gelenk und beugt es um 90 °, gleichzeitig wirddie Pfote supiniert (Supinatoren: M. brachiora-dialis, M. supinator). Dann wird die Pfote pro-natiert und die Pronatoren werden daraufhingetestet, ob Schmerzhaftigkeit auftritt (Pronato-ren: M. pronator teres, M. pronator quadratus).Die fixierende Hand umfasst das Ellenbogenge-lenk von kraniomedial und legt den Daumen aufden Epicondylus medialis. Wird durch die Beu-gung Schmerz ausgelöst, kann dies ein Hinweisauf einen fragmentierten Proc. coronoideusmedialis (s. u.) oder auf Osteochondrosis dis-secans der Trochlea humeri sein.

Der Verlauf von Radius und Ulnawird weiter nachdistal palpiert. Die beiden Knochen lassen sichbeim gesunden Tier geringgradig gegeneinanderverschieben. Die proximale Ulna liegt mehr kau-domedial, im weiteren Verlauf verlagert sie sichnach lateral. Das Caput radii befindet sich mit sei-ner proximalen Metaphyse lateral. Es kann aberaufgrund der aufliegenden Extensoren und Flexo-ren der unteren Gliedmaße nicht palpiert werden.

Man versucht die Muskelbäuche der Extensorenund Flexoren zu differenzieren und geringgradig ge-geneinander zu verschieben. Dies sollte bei einemgesunden Tier sehr gut möglich sein. Bei der Palpa-tion von Radius und Ulna sollten sich der M. flexorcarpi ulnaris, der M. flexor digitorum superficialisund der M. flexor carpi radialis voneinander diffe-renzieren lassen. Ab der Mitte des Unterarms ist derRadius wieder palpierbar. Hier liegt er dann medial.

Bei der Palpation achtet man auf Gelenkgeräu-sche, Umfangsvermehrungen, Kontur- und Struk-turveränderungen, Gewebespannung, Verschieb-lichkeit der verschiedenen Gewebeschichten undSchmerzhaftigkeit.

! MerkeLiegt Schmerzhaftigkeit vor, sollte auf alle Fäl-le auch das Gelenk auskultiert werden, umeventuell vorliegende Strukturveränderungendurch das Gelenkgeräusch zu differenzieren.

Bei krankhaften Veränderungen im Ellenbogenge-lenk ist die Verschieblichkeit von Ulna und Radiusim mittleren Radioulnarbereich oft eingeschränktund/oder schmerzhaft. Dabei muss man auf die

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kleinste Veränderung am Tier und bezüglich derGewebespannung unter den Fingern achten, sonstkann es passieren, dass man diese Reaktionen beider Palpation übersieht bzw. nicht fühlt.

Liegt beim Hund ein isolierter Processus anco-neus vor, weist er eine gering- bis hochgradigeLahmheit der Vordergliedmaße, Innenrotationund Adduktion des Ellenbogengelenks bei Belas-tung und Bewegung sowie Abduktion von Unter-arm und Pfote auf. Es treten Schmerzhaftigkeitbeim Strecken und Überstrecken des Ellenbogen-gelenks und fühlbare Krepitation auf. Die ver-mehrte Gelenkfüllung ist von lateral fühlbar.

Bei einem isolierten Processus coronoideuszeigt der junge Hund intermittierende Lahmheit,besonders nach Belastung. Beim alten Hund, be-sonders beim Deutschen Schäferhund und GoldenRetriever, treten akute Lahmheiten auf. Der me-diale Teil des Ellenbogengelenks wird entlastetund dabei die Pfote leicht nach außen rotiert. Au-ßerdem wird die gesamte Gliedmaße ab dem El-lenbogengelenk abduziert. Oft treten Gelenk-schwellungen im medialen, z. T. auch im lateralenBereich auf. Die Krepitation ist nur mit dem Ste-thoskop zu hören, selten zu fühlen.

31 Parameter zurWinkelmessung(▶Abb. 5.11 und ▶Abb. 5.12):

● Drehpunkt (DP): Epicondylus lateralis● Proximaler Zeiger (PZ): gedachte Linie zwischen

Tuberculum majus und Epicondylus lateralis● Distaler Zeiger (DZ): gedachte Linie vom Epicon-

dylus lateralis zum Os carpi ulnae● Extension: 160–166 °● Flexion: 30–36 °● Aktive Pronation und Supination: bis 20 °● Passive Supination (ermöglicht durch das Radio-

ulnargelenk): bis 50 °

Karpalgelenke

32 Die Untersuchung der Karpalgelenkewird im Seitenvergleich erst im Stand

und danach im Liegen durchgeführt. Bei der Palpa-tion des Karpalgelenks werden die prominentenErhebungen des Proc. styloideus radii (medial ge-legen) und des Proc. styloideus ulnae (lateral gele-gen) sowie das Os carpi accessorium aufgesucht.Am Os carpi accessorium kann man den dort inse-rierenden M. flexor carpi ulnaris gut palpieren.

Die Knochen des Karpalgelenks werden im Lie-gen einzeln durchpalpiert und geringgradig ge-geneinander verschoben. Gelenkfüllungen in die-sem Bereich können am besten von dorsolateralund dorsomedial gefühlt werden. Die Metakarpal-knochen werden weiter nach distal abgetastet. Jeweiter distal palpiert wird, desto größer ist beimgesunden Tier die Verschieblichkeit der Metakar-palknochen gegeneinander. Liegt z. B. eine Arthro-se in diesem Bereich vor, kann die gesamte Gewe-bestruktur verhärtet sein, und es ist keine Ver-schieblichkeit mehr möglich.

Die Sehnen der Flexoren und Extensoren solltenvon palmar und von plantar frei unter den Finger-spitzen beweglich sein. Bei Sehnenverkalkungen istdies nicht möglich und oft schmerzhaft für das Tier.

33 Das Endgefühl im Karpalgelenk ist in Ex-tension hartelastisch und in Flexion fest-

elastisch.

5.3 Erläuterungen zu den Gliedmaßen-Befundbögen

Befund

erhe

bung

169

a

b

▶Abb. 5.11 Flexionswinkelmessung am Ellenbogen.

aus: Mima Hohmann (Hrsg.) u.a., Physiotherapie in der Kleintierpraxis (ISBN 9783132049611) © 2017 Sonntag Verlag in Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York