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7 DER SCHREI UBER DAS MEER Auch wenn die weltbekannte Sängerin Cesaria Evora nur noch selten zu Hause ist – auf den Kapverdischen Inseln bestimmt Musik den Alltag Text: Roland Brockmann Fotos: Max Lautenschläger Celestino (stehend) und ein befreundeter Musiker vertreiben sich mit ihren Gitarren die Zeit 006-023 Kapverden 30.07.1999 15:23 Uhr Seite 6

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DERSCHREIUBER DAS MEERAuch wenn die weltbekannteSängerin Cesaria Evora nurnoch selten zu Hause ist –auf den Kapverdischen Inselnbestimmt Musik den Alltag

Text: Roland BrockmannFotos: Max Lautenschläger

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8 mare No. 16, Oktober/November 1999

LACK ...KLACK ... KLACK ... MÜDEFinger kippen die Schalter am Si-cherungskasten um, und mit einem

letzten nervösen Aufflackern verabschie-den sich die Neonröhren, tauchen dasStrandcafé in stille Dunkelheit. Übrigbleibt allein das ferne Geräusch der Turbi-nen der Süßwasserfabrik, die hinter demTrockendock rund um die Uhr wie einDüsentriebwerk eines Jumbojets heulenund pfeifen.

Es ist gegen vier Uhr morgens. Dieletzten Akkorde der Musiker sind verhallt.Tomar, Rosa und Celestino mit seinemCavaquinho, der kapverdischen Rhyth-musgitarre, sind längst zu Hause, dieSchnapsflaschen abgeräumt, die Stühleaufgestapelt. Die kapverdische Nacht inder „Esplanada Holland“ ist endgültig vor-bei, als Marijuana, die Barfrau, den Strandvon Laginha entlang allein nach Hauseschlendert. Keine Brise mehr. Der ewigeNord-Ost-Passat ist längst eingeschlafen.Starr flankieren die beiden aufragendenPalmen das Café, das eigentlich nur auseinem Container und ein paar Planen übereinem rostigen Eisengestell besteht. Aufder Straße die Scheinwerfer leerer Taxis.Flutlichter tauchen den Strand nochimmer in gleißendes Licht. Wofür ? Nie-mand weiß es.

Und dennoch – es ist so hell, mankönnte hier jetzt die Gedichte des kapver-dischen Freiheitskämpfers Amílcar Cabrallesen, wäre man nicht so fasziniert vomorangenen Funkeln der Sandkörner imkünstlichen Schein: ein kristallines Meer,auf das schaumgekrönt und aquamarin derAtlantik brandet. Marijuana hat keinen

Blick dafür. Zu Hause schläft allein diekleine Tochter, und in ein paar Stundenbeginnt die nächste Schicht, dann in derBar „Nederlands“.

Das ist das Ende. Der Anfang kommt wieeine Armada gespenstischer Narrenschiffedaher: Echsen mit Flügeln und schnee-weiße Einhörner. Fantasiefahrzeuge ausPappmaché gleiten auf Rädern die Rua deLisboa hinauf. Auf ihnen Poseidon mit sei-nem Dreizack, ein Drachentöter, der mitstumpfem Schwert gegen den kobalt-blauen Himmel anfuchtelt, und eine Köni-gin auf der Pappflosse eines riesigen Urfi-sches, bedrohlich im Wind schwankend.Carnaval do Cabo Verde.

Zum letzten Mal geht der Umzug unterSamba-Rhythmen am ehemaligen Gouver-neurspalast in die Kurve. Dann gehört dieAsphaltbühne endgültig dem Volk: Jungsmit falschen Bärten, Piratenkappen, Papp-zylindern und feuerspeienden Plastikge-wehren überklettern die Absperrung unterden strengen Blicken der Policia Militarmit ihren viel zu großen Tropenhelmen.Jetzt ist es ihr Fest. Trillerpfeifen undPosaunen gellen an den Hauswändenhoch. Dazwischen humpelnde Hunde.Jemand hat seinem Tier eine Plastikpupperückwärts aufs Hinterteil geschnallt, einanderer einem die Augen geschminkt.Punk auf den Kapverden. Buntheit durchArmut. Geruch von Grogue – einem Mix-getränk aus Rum, Zitronen und Gewürzen–, Punch und gebratenen Makrelen steigtüber den offenen Garküchen am Straßen-

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K

Carnaval do Cabo Verde:

Musik und Tanz bis t ie f in d ie Nacht

Das Meer ist die Heimat der Sehnsucht. Es

bringt uns in ferne Länder und trennt uns von

unserer Mutter und unseren Freunden, und wir

wissen nicht, ob wir sie eines Tages wieder-

sehen werden. Ich dachte an mein einsames

Leben, ohne einen Freund an meiner Seite. Ich

schaute auf die am Strand sterbenden Wellen,

und ganz leise kam der Schmerz über mich.

Cesaria Evora, „Mare e Morada de Sodade“

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rand auf . Männer pressen Miniradios ansOhr, verfolgen das Treiben auf den ande-ren Inseln. Frauen lachen, Kinder krei-schen. Und Mädchen entziehen sich allzufrechen Jungs. Und dann, als die Dämme-rung wie ein Vorhang auf das ganze Spek-takel fällt, ist der letzte kapverdische Kar-neval dieses Jahrtausends plötzlich vorbei.Früher war es besser, sagen die meisten.Doch was heißt das schon. Die Zeitenändern sich. Überall.

Mindelo, die Hauptstadt von SãoVicente, einer von zehn Vulkaninseln, diedie Erdgeschichte vor langer Zeit wie ver-sprengte Tintenkleckse 500 Kilometerwestlich des afrikanischen Kontinents andie Oberfläche des atlantischen Ozeanstreten ließ, verfällt in Dämmer. Eine Nachtund einen Tag nur Schlaf, dann rollen dieRollläden wieder hoch, und das alltäglicheLeben beginnt. Vom Karneval bleiben nurdie Kodak-Prints im Expressfotoladen, vordessen Schaufenster sich die Leute drän-gen, auf der Suche nach Freunden undsich selbst.

Vergessenes Mindelo, einst bedeutendeBunkerstation der Dampfer am Schnitt-punkt der Weltrouten Europa – Südafrika –Indien – Australien sowie Afrika – Südame-rika. 1850 errichteten Briten hier die ers-ten Steinkohlelager für ihre „Royal MailSteam Company“; Mindelo blühte auf .Doch mit größeren Schiffsreichweiten undder Umstellung auf Dieseltreibstoff verlores immer mehr an Bedeutung. Zu Anfangdes Zweiten Weltkrieges galt die Stadtnoch als „kleines Casablanca“. Deutscheund britische Spione versuchten in denCafés und Puffs die geheimen Strategiender gegnerischen Seite zu erkunden. Deut-sche U-Boote machten, geduldet von Por-tugals Diktator und Hitler-Freund Antóniode Oliveira Salazar, Station in MindelosPorto Grande.

Ende der fünfziger Jahre war schließ-lich die letzte Kohle aus Mindelo ver-schwunden und damit Arbeit und Geld.Zwar baute man in den neunziger Jahreneinen Terminal, aber die riesigen Contai-

nerfrachter lassen São Vicente links lie-gen. Warum sollten sie, unterwegs vonBremerhaven nach Brasilien, hier heutenoch Halt machen ? Hier, auf einer Inselaus Staub und Stein, von wo es nichts zuexportieren gibt außer den wehmütigenMorna-Liedern: gesungen auf dem einsa-men Archipel, gepresst im Ausland auf sil-berne CDs. Schiffe kommen heute fast nurnoch von Rotterdam, Lissabon oder demafrikanischen Festland. Weil auch derRegen an den Inseln meist vorbeizieht,muss man sogar Vinho Verde und frischesGemüse importieren.

Transatlantik – das war einst auch einekulturelle Verbindung; hier mischten sichsüdamerikanisches Temperament mit afri-kanischem Lebensgefühl und portugiesi-schem Sentiment. So überhaupt entstanderst Morna – musikalischer Ausdruck derKapverden von Sehnsucht und Hoffnungauf bessere Zeiten.

Die neue transatlantische Verbindunglegt zur Zeit das Kabelschiff „MaerskDefender“. Das Projekt „Atlantis I I“ soll dieelektronische Kommunikation zwischenden Kontinenten beschleunigen. BereitsEnde des 19. Jahrhunderts wurde vonMindelo aus das erste Telefonkabel durchden Atlantik verlegt. Das Hafenleben wirddie „Maersk Defender“ allerdings kaumbereichern. Der Besatzung des im Hafenliegenden Schiffes ist jeglicher Alkoholge-nuss verboten, auch an Land. ModerneZeiten.

Die Sonne steht bereits hoch im Zenit, alsTomar aus dem Dunkel des winzigen Eck-ladens tritt, der ihm gehört und den seineFrau betreibt. Hinter der Theke Bohnenund Büchsen zu verkaufen ist seine Sachenicht. Sein Platz ist vor dem Tresen. Unddeshalb schlendert er jetzt – schwarzeLederschuhe, blaue Stoffhose mit Bügel-falte, Seidenhemd, das C & A-Sakko legerüber die Schulter gehängt – rüber zum„Nederlands“, wo er gar nicht erst bestel-len muss. Marijuana stellt ihm auch so denWhisky auf den Resopaltresen. VAT 69,seine Marke.

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Das Café „Esplanada Hol land“ –

e igent l ich nur e in paar P lanen über

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Tomar, 49, fühlt den pochenden Abs-zess in seiner Mundhöhle. Der Whiskyumspült dämpfend die Zahnwunde. KurzeErleichterung. Heute abend soll er spielen,in der „Esplanada Holland“. In seinerHosentasche lagern ein Röhrchen Aspirinund die Antibiotika, verschrieben vomArzt. Tomars Backe ist geschwollen wiedie eines k.o. geschlagenen Boxers.

Der Sohn eines Lagerarbeiters hat mitCize gespielt, wie Cesaria Evora von ihrenFreunden genannt wird. Mit der Königinder Morna-Lieder also. Die einst selbst nurfür ein paar Centavos in den Bars von Min-delo auftrat und heute internationaler Starder Weltmusik ist. Im letzten Jahr bekamsie den Unesco-Musikpreis. Ihre Stimmefüllt die Konzertsäle der Welt.

Am Himmel bist du ein Stern / Der nicht

scheint / Am Meer bist du der Sand / Der nicht

feucht wird / Felsbrocken und Meer über die

ganze Welt verstreut.

Morna: nostalgischer Schrei der Kap-verdianer nach ihren Brüdern und Schwes-tern in Übersee. Über fünfzig Prozent derInsulaner, meist Männer, leben in derEmigration oder verdingen sich als See-leute. Weil man auf den Inseln kein Geldverdienen kann, als Musiker schon garnicht. In Mindelo kostet ein Satz Saitenfast so viel, wie die Gage für eine kapver-dische Nacht einbringt. Importierte Instru-mente werden mit 85 Prozent besteuert.Tomar, vielleicht der beste Gitarrist vonMindelo, kann sich nicht mal eine eigeneGitarre leisten. Die letzte ging vor Jahrenkaputt. Es fehlt am richtigen Material undwohl auch am Geld, sie zu reparieren. Bisdahin benutzt er die von einem Freund. Soist das hier, in Mindelo, das am Tropf derExilanten hängt wie ein Fisch an derAngel.

„Cesaria Evora spielt im Ausland undich hier!“ so Tomars neidloser Kommentarüber die Karriere der Kollegin, derenStimme aus dem klapprigen Kassettenre-korder im „Nederlands“ dringt. Weil erBegleitmusiker war, wurden auch TomarsAkkorde auf Platten und CDs gepresst,doch er schert sich nicht darum. Nichts

davon hat er gesammelt. Dafür lagern zuHause eigene Kompositionen: seine Le-bensgeschichte in Noten und Worten, dienoch nie jemand zu sehen bekam. Tomarwartet auf den richtigen Moment. Und daskann lange dauern.

Zeit ist Mindelos einziger Reichtum –gemessen in Gläsern Grogue, der wohl dieLeber zerstört, aber die Seele beflügelt.„Mit dem Grogue kommt auch Morna“,sagt Celestino, 45, der oben in Monte Sos-sego gerade noch einmal die Gläser mitdem starken Zuckerrohrschnaps füllt. Fastzwanzig Männer, Seemänner, ein Schuh-macher, die meisten von ihnen Tagelöh-ner, hocken in der namenlosen Bar, trin-ken und vertreiben sich die Zeit mitMusik.

Wer will das Blut von Beirona kosten? / Der soll

gehen, es zu sammeln, dort auf dem Grund von

Ladera / Das Blut von Beirona ist so gut und so

süß …

Die Luft in dem kleinen Raum ist heißund stickig. Eine Fliege schwirrt durch dieLuft, landet auf der verschwitzten Schultervon Celestino, dessen Finger jetzt über dieSaiten des Cavaquinho fliegen, währenddie nackten Füße unter der umgekrempel-ten Jeans auf dem Steinboden wippen. Er-schreckt hebt die Fliege wieder ab, drehtsurrend ein paar Runden, um endlich aufeiner Plastikpflanze niederzugehen, dieverstaubt im rohen Dachgebälk hängt.Durch die halb offene Holztür, in der einkleiner Junge steht, verträumt an eineralten Batterie lutschend, kriecht das Son-nenlicht immer tiefer über die blassrosagestrichene Wand. Als die Männer sichhier einfanden, gegen zehn Uhr morgens,war die Sonne noch ausgesperrt. Jetztertasten die Strahlen bereits die Vitrinemit Zigaretten und Schnaps, ganz hintenim Raum. Später Nachmittag. Und es kannnoch lange so weitergehen. Rauchend undsingend. Geredet wird nicht viel. Worüberauch ? Tomars Zahnabszess ist die einzigeNeuigkeit des Tages. Was zählt, ist die

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Zahnarzt fami l ie auf – nachts s ingt s ie

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Musik. Immer neue Variationen ein unddesselben Lebensgefühls: Sodade – Sehn-sucht.

„Sag, Celestino, wie viele Mornas hastDu in Deinem Kopf ?“

„Ach, zu viele, um zu zählen, vielleichtfünfzig, vielleicht hundert.“

Auf jeden Fall genug, um den langenTag damit zu füllen.

Es gab mal eine goldene Zeit / Für Dich Min-

delo / Als Dein Hafen, Dein Herz / Dich mit

Reichtum überflutete / Aber heute lebst Du in

diesem vergangenen Ruhm.

Zu Hause erwartet die abgefülltenMänner meist die schimpfende Frau.Warum also nicht noch bleiben, einfachweiter singen ? Wenn es nicht doch untenim Hafen etwas zu tun gibt. Arbeit ist aufden Kapverden nichts Stetiges, nichts, wasman sucht, eher etwas, das einem zufällt.

Das Einzige, was in Mindelo sicherkommt, ist die Nacht. Und die folgt inÄquatornähe dem Tag, als würde dieserwie eine Glühbirne ausgeknipst. Nachdemdie Sonne wie ein Fallbeil hinter demMonte Cara in den Atlantik gestürzt ist,tauchen die Laternen die Straßen in fahlesLicht: Die meist noch rohen Häuser ragengespenstisch in den Himmel. Unten imZentrum, nahe der Rua Lisboa, suchen einpaar namibische Seeleute, deren Schiff imTrockendock liegt, in der „Chinese Bar“nach Huren. Vergebens. Auf der PraçaAmílcar Cabral, Treffpunkt der Jüngeren,hockt ein Rastafari und trommelt. Im„Nederlands“ kniet jetzt eine Frau voreinem Mann mit Gitarre und drückt ihmeinen Lippenstiftkuss auf die stoppeligeWange, und der Mann singt:

Ich will Dir nur sagen / Mein Herz bleibt bei

Dir / Denn Du bist meine Liebe.

Irgendein Paar. Vielleicht kennen siesich kaum, vielleicht sind sie seit Jahrenverheiratet.

An der rot-weiß gestreiften Markiseam Eingang vom „My Coffe“ blinkt eineblaue Lichterkette und drinnen winzigeLämpchen an einem Roland E-500 Key-

board. Dahinter hockt ein grauhaarigerMann mit Strickjacke und Schnurrbart. Erheißt Chico Serra und begleitete CesariaEvora auf ihrer ersten Europatournee alsPianist. Alle sagen, dass er einer derBesten sei, aber er wollte die Insel nichtverlassen. Zwischen den Akkorden drehter an Reglern oder tippt auf Tasten; undder Sound springt wie auf Kommando vonSaxophon auf Streicher um, oder der Rhythmus von Morna auf den schnellerenColadeira – ein ganzes Orchester auseinem elektronischen Gerät gezaubert.Aber es bleibt synthetisch. Was ChicoSerra – wie er behauptet – nicht sonder-lich stört und offenbar auch nicht dieGäste aus Europa, die unter Pin-up-Posternund einem Foto des schielenden Daktari-Löwen Clarance in geschmiedeten Garten-stühlen sitzen und Espresso oder Brandytrinken. Eine „kapverdische Nacht“ – eherfür Touristen.

So gegen 22 Uhr schließt Rosa Mestre, 23,die Brettertür ihres Zimmers. Ein ziemlichkarges Zuhause: zwei mal drei Meter, hell-blau getüncht, mit einem Eisenbett, überdem eine nackte Glühbirne hängt, einWecker und ein alter Hitachi-Kassettenre-korder auf einem Holzregal, davor dreiKanister mit Wasser, eine Schüssel, einFläschchen mit Waschlotion, an der Wandein winziger Spiegel. Aber Unabhängig-keit. Es ist eh nur Zeit für ein paar StundenSchlaf . Den Tag verbringt sie im Hauseiner Zahnarztfamilie: sechs Tage dieWoche Bügeln, Saubermachen und auf dieKinder aufpassen. Ihr eigenes Kind wächstderweil bei ihrer Mutter auf . Den Abendverbringt sie mit ihrem neuen Freundmeist an der Praça Amílcar Cabral – oderin einer Bar.

Rosa ist so etwas wie eine jungeCesaria Evora. Zwar teilt sie nicht ganzderen goldene Stimme, aber auf jeden Falldie Liebe zu den Morna-Liedern. Manch-mal singt sie mit Chico Serra im „MyCoffe“. Umsonst. Aber heute wird sie inder „Esplanada Holland“ auftreten, für1800 Escudos! Damit rücken die Buffalo-

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Grogue gehört zum Lebensgefühl

– auf jeden Fal l bei Celest ino

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Stiefel, die sie mittags in einem Laden ent-deckt hat, in greifbare Nähe. „Einfachklasse, die Schuhe – aber 5000 Escudos!“Naja, heute abend müssen es noch einmaldie Espadrillos tun. Dazu die bunte weiteHose und eine Jeansjacke. Fertig für dieNacht; Schminke braucht ihr Gesicht nicht.

Als sie den Weg zum Strand hinab-läuft, ertönt plötzlich ein Pfiff . Jamilo! Fastjeden Abend steht er hier allein an einerHäuserecke und spielt Gitarre. Jamilo.Wenn es ihn nicht gäbe, vielleicht würdesie gar nicht mehr singen. Acht Jahre ist esjetzt her, als sie nach Mindelo kam, undJamilo war ihr erster Freund. Er brachteihr die Morna-Lieder bei. Damals, als sieüberhaupt keine Schuhe hatte und diePraça Amílcar Cabral nur vom Hörensagenkannte. Heute kennt sie die neuen Texte,und Jamilo versucht die Noten dafür zufinden. So ändern sich die Zeiten.

Die beiden stehen inmitten dieserstaubigen Einöde aus halbfertigen Häu-sern, in denen bläulich die Fernseher flim-mern, und am Himmel hält der Mond Hof .Jamilo spielt und Rosa singt. Nein, keinesdieser so traurigen Lieder, sondern:

Das erste Mal, als ich / Nach Ribeira Grande

kam / Da war dort ein wildes Gelage / In einem

Lagerschuppen / Wir waren zu dritt / Und tran-

ken Rumpunsch / Wir waren vollkommen abge-

füllt / Und torkelten wie / Der bucklige Senhor

Antone.

Das passt zur Stimmung in der „Espla-nada Holland“, dieser Bar bei Laginha.Nicht mehr als ein weiß lackierter Con-tainer, vor dem sich alte Lkw-Planen überrostigen Eisengestellen spannen. Undirgendwie der beste Ort in ganz Mindelo.Freier Blick aufs Meer. Was will manmehr ? Tomar flickt gerade eine gerisseneSaite. Celestino, die Flasche zu seinenFüßen, redet mit Olaf „Spaghetti“, der sie-ben Sprachen spricht, als kapverdischerBootsmann sein Leben auf norwegischenSchiffen zubrachte und keinen Tropfenmehr trinkt, seit er eines Tages, dünn wieeine Nudel, gemerkt hat, dass er übersTrinken das Essen vergaß. Vielleicht er-zählt Celestino aber auch, wie er Bana,

dem ungekrönten König der Morna-Musik,das Gefühl für den Cavaquinho beibrachte.Bana, der auch längst weg ist. Und vondem es nun jede Menge CDs gibt.

Irgendwann hat Tomar endlich dieneue Saite eingefädelt. Er spielt einenColadeira-Song. Schneller, rhythmusbe-tonter als Morna. Rosa stimmt ein. Nochetwas unsicher. Es ist nicht so leicht, denRhythmus der Männer zu finden.

Der Nord-Ost-Passat hebt die Lkw-Planensanft an. Die französischen Seglerinnen,die heute von den Kanaren angekommensind, saugen an ihrem Strohhalm, der ingrünen Kokosnüssen steckt – Agua deCoco con Gin. Ein Arbeiter vom Kraftwerknebenan, mit riesigen Handschuhen, be-stellt bei Susi, dem schwulen Kellner inden Frauenschuhen, ein Bier. Marijuanaschenkt den namibischen Seeleuten ein,die jetzt doch hier gelandet sind.

Etwas abseits hockt ein junger Typ mitweichen Gesichtszügen, in Shorts und bar-fuß – Dú, der Sohn von Cesaria Evora.Ziemlich angetrunken. Immer wieder grölter über die Stimme von Rosa hinweg.Zweimal hat Marijuana ihn schon abge-mahnt, aber Dú gibt nicht nach, gefällt sichin der Rolle des Störenfrieds. Und plötzlichreicht es Rosa. Sie rennt raus und ent-schwindet entnervt in der Nacht.

Zurück bleiben Gitarre und Cava-quinho. Tomar und Celestino. Sie spielenund trinken und trinken und spielen.

Irgendwann sind sie müde, fahrennach Hause, im Taxi. Marijuana räumt dieletzten Flaschen ab, stapelt die Stühle. Diefranzösischen Seglerinnen liegen in ihrerKoje, genau wie die namibischen Seeleute.Und der Atlantik brandet aquamarin aufden goldenen Strand von Laginha. b

Roland Brockmann, Jahrgang 1961, ist freier Journalist

und lebt in Berlin. Für mare schrieb er zuletzt ein

Porträt über die Chefin des Panamakanals (Heft 15).

Max Lautenschläger, geboren 1974, ist Fotograf in

Berlin. In Heft 15 erschienen seine Bilder von Curaçao.

Eine Besprechung der Musik von Cesaria Evoras CD

„Café Atlantico“ erschien ebenfalls in mare No. 15

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Mindelo – Hauptstadt der

Kapverden und ihrer Musik

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