Mathematik fur Physiker II Vorlesungsskript SS...

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Fachbereich Mathematik ISMI - Institut f¨ ur Stochastik & Mathematische Informatik Mathematik f¨ ur Physiker II Vorlesungsskript SS 2002 H. Dinges (Fortsetzung von Mathematik f¨ ur Physiker I)

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Fachbereich Mathematik

ISMI - Institut fur Stochastik

& Mathematische Informatik

Mathematik fur Physiker II

Vorlesungsskript

SS 2002

H. Dinges

(Fortsetzung von Mathematik fur Physiker I)

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INHALTSVERZEICHNIS i

Inhaltsverzeichnis

VI. Asymptotisches Verhalten 131. Die Landau’schen Symbole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232. Die Stirling’sche Formel und die Methode von Laplace . . . . . . . . . . . . 433. Die Methode der stationaren Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 834. Wellenpakete und Quantenmechanik des freien Teilchens . . . . . . . . . . . 12

VII. Monotone Konvergenz und Integration 1536. Aufsteigende Folgen, unterhalbstetige Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . 1737. Elementarintegrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2438. Nullfunktionen, meßbare und integrierbare Funktionen . . . . . . . . . . . . 2939. Die wichtigsten Satze der Integrationstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . 3740. Der Satz von Fubini und der Satz von Radon-Nikodym . . . . . . . . . . . 44

VIII. Differenzierbarkeit 4741. Differenzierbarkeit in einem Punkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5042. Absolutstetigkeit und Taylor-Formel mit Restglied . . . . . . . . . . . . . . 5543. Partielle Ableitungen, Taylor-Formel im Rd . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6144. Runde konvexe Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6845. Glatte Kurvenstucke, glatte Flachenstucke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7446. Mannigfaltigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8047. Koordinatenwechsel, Tangentialvektoren und Covektoren . . . . . . . . . . . 8348. Extrema mit Nebenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

IX. Lineare und multilineare Algebra 9550. Affine Geometrie, Geschichtliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9751. Determinanten, Dachprodukte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10152. Abstrakte Theorie der Vektorraume, Basis und Dimension . . . . . . . . . . 10753. k-Vektoren und alternierende k-Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11254. Minoren, Cofaktoren, Cramer’sche Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11955. Nullraume, Kern und Bild einer linearen Abbildung . . . . . . . . . . . . . 12456. Tableaus, Basisaustausch, lineare Gleichungssysteme . . . . . . . . . . . . . 13157. Duale Tableaus, Bilinearformen, Tensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13858. Lineare Optimierung, perfekter Austausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14459. Geometrisches zur linearen Optimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

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Mathematik fur Physiker II 1

Teil VI : Asymptotisches Verhalten

Themenubersicht

31. Vorlesung : Die Landau’schen Symbole Seite 2

an = bn + o (hn) fur n→∞f(x) = g(x) + o

(h(x)

)fur x→ x (in metrischem Raum)

32. Vorlesung : Die Stirling’sche Formel & die Methode von Laplace Seite 4Hat K(·) ein eindeutiges Minimum bei y mit K ′′(y) positiv definit, so gilt :

(1√2πε

)d ∫exp(−1

εK(y)

)q(y)dy =

=1

|K ′′ (y) |1/2 ·[q (y) + εr (y) + o(ε)

]· exp

(−1

εK (y)

).

33. Vorlesung : Die Methode der stationaren Phase Seite 8Wenn im Integrationsbereich nur ein kritischer Punkt y liegt, dann gilt

(1√2πε

)d ∫exp

(i

εK(y)

)· q(y)dy =

= exp

(σ · iπ

4

)· 1√|K ′′ (y) |

[q (y) + εr (y) + o(ε)

]exp

(i

εK (y)

)

34. Vorlesung : Wellenpakete und die Quantenmechanikdes freien Teilchens. Dispersionsrelation, Gruppengeschwindigkeit Seite 12

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2 Mathematik fur Physiker II

31. Vorlesung : Die Landau’schen Symbole

Sprechweisen

a) Der Logarithmus `nn wachst langsamer als jede Potenz nα (α > 0), wenn n→∞.

b) Fur ein Polynom vom Grad k wachst p(n) fur n→∞ nicht schneller als const · nk.

c) exp(− 1x2

)strebt fur x→ 0 schneller nach 0 als jede Potenz xk(k > 0).

Notation (Landaus Notation fur Folgen)Seien f(·) und g(·) reellwertige Funktionen auf einem nach oben unbeschrankten Defini-tionsbereich D ⊆ R. Sei h(·) > 0 auf D. Man notiert fur Funktionen f(·) und g(·) aufD.

a) f(x) = g(x) + o(h(x)

)fur x→∞, falls

1h(x)

∣∣f(x)− g(x)∣∣ −→ 0 fur x→∞ d.h.

∀ε > o ∃M ∀x ≥M∣∣f(x)− g(x)

∣∣ ≤ ε · h(x) .

b) f(x) = g(x) + 0(h(x)

)fur x→∞, falls

1h(x)

∣∣f(x)− g(x)∣∣ beschrankt ist fur x→∞, d.h.

∃C,M ∀x ≥M∣∣f(x)− g(x)

∣∣ ≤ C · h(x) .Die obigen Beispiele besagen in dieser Notation:

a) `nn = o (nα) fur n→∞, (fur jedes α > 0) ;

b) p(n) = 0(nk)

fur n→∞ ;

c) exp(− 1x2

)= o

(xk)

fur x→ 0 (fur jedes k > 0) .

Hinweis : Das Wachstum von Folgen S(n) ist ein wichtiges Thema in der Theorie derAlgorithmen. Man interessiert sich z.B. fur die Anzahl S(n) der Operationen, die einAlgorithmus bei einer Eingabe der Lange n auszufuhren hat. Die Landau’sche Notationist da sehr beliebt.

Beispiel : Eine Menge N von n Zahlen ist aufgrund von paarweisen Vergleichen in auf-steigende Reihenfolge zu bringen. Der Algorithmus Quicksort geht folgendermaßen vor:Man wahle in N ein Element z und zerteile (mit n−1 Vergleichen) die Restmenge N\zin die Menge N0 der kleineren und die Menge N1 der großeren. Wahle z0 in N0, sowie z1

in N1 und zerteile wieder N0\ z0 = N00 +N01 , N1\ z1 = N10 +N11, usw. Wenn mannur noch einpunktige Mengen hat, ist man fertig.Im ungunstigsten Fall (

”worst case“) braucht man ziemlich viele Vergleiche, namlich

S∗(n) = (n−1)+(n−2)+. . .+1 = n(n−1)2

. Wenn man die Elemente z, z0, z1, z00, z01, z10, z00, . . .zufallig wahlt, braucht man mit hoher Wahrscheinlichkeit viel weniger Vergleiche. Mitelementarer Wahrscheinlichkeitstheorie kann man die Situation grundlich analysieren. Esstellt sich heraus, dass die zufallige (!) Anzahl S(n) mit großer Wahrscheinlichkeit in einernicht sehr großen Umgebung von 2n`n n liegt.

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Mathematik fur Physiker II 3

Notation (Landaus Notation fur lokales Verhalten)f(x) und g(x) seien auf einer Teilmenge D eines metrischen Raums definiert. x sei einHaufungspunkt von D (d.h. in jeder Umgebung von x liegen unendlich viele Punkte vonD). h(·) sei strikt positiv auf D. Man notiert

a) f(x) = g(x) + o(h(x)

)fur x→ x ( in D), falls

∀ε > 0∃U (Umgebung von x) : ∀x ∈ U ∩D |f(x)− g(x)| ≤ ε · h(x) .

b) f(x) = g(x) + 0(h(x)

)fur x→ x, falls

∃C,M ∀x ∈ U ∩D |f(x)− g(x)| ≤ C · h(x) .

Man sagt:”f(·) verhalt sich bei Anaherung an x wie g(·) bis auf einen Fehler der Großen-

ordnung o(h(x)

)bzw. 0

(h(x)

)“.

Beispiele

1) Sei f(x) = exp(− 1x2

). Bei Annaherung an 0 verschwindet f(x) von hoherer Ordnung

als jede Potenz von x; d.h. fur alle k gilt

f(x) = o(xk)

fur x→ 0 .

Es gilt namlich

limy→∞

1

ykey

2

=∞ , also limx→0

xk · e1/x2

=∞ , also limx→0

1

xk· exp

(− 1

x2

)= 0 .

2) Wir untersuchen die Funktion f(x) = 2x2−1

bei Annaherung an den Punkt 1. Wirzeigen

2

x2 − 1=

1

x− 1+ 0(1) fur x→ 1

und genauer

f(x) = 1x−1− 1

2+ 0(x− 1) fur x− 1→ 0

f(x) = 1x−1− 1

2+ 1

4(x− 1) + 0

((x− 1)2

)fur x− 1→ 0 .

Dies ergibt sich aus der Formel fur die geometrische Reihe

f(x) = 2(x−1)(x+1)

= 1x−1

(2

(x−1)+2

)= 1

x−1· 1

1+ 12(x−1)

= 1x−1·(1− 1

2(x− 1) + 1

4(x− 1)2 + 0(x− 1)3

)fur x→ 1 .

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4 Mathematik fur Physiker II

32. Vorlesung : Die Stirling’sche Formel und die Methode von

Laplace

J. Stirling fand 1730 die Approximation

n! ≈√

2πn ·(ne

)n.

Wir wollen hier den multiplikativen Fehler studieren

n! =√

2πn · nn · e−n · exp

(S

(1

n

)).

Wir werden sehen

S

(1

n

)=

1

12n+ o

(1

n

)fur n→∞ .

Wenn wir genauer vorgingen, konnten wir mit derselben Methode finden

S

(1

n

)=

1

12n− 1

360· 1

n3+ 0

(1

n5

).

Wir stutzen uns auf das zweite Euler’sche Integral

Γ(α) =

∞∫

0

xα−1 · e−xdx fur α > 0 .

Mit partieller Integration beweist man

α · Γ(α) = Γ(α + 1) .

Fur ganzzahlige n ergibt sich also Γ(n + 1) = n!. Den Korrekturfaktor S(·) wollen wirauch fur nichtganzzahlige Argumente definieren.Wir definieren S(·) auf R+ durch die Formel

Γ(α+ 1) =√

2πα(αe

)α· exp

(S

(1

α

)).

Es ergibt sich

exp(S(

) )= 1√

2πα

∞∫0

xα · e−xdx ·(

)α · eα

=√

α2π

∞∫0

exp(α · `n

(xα

) )· exp

(− α

(xα− 1) )d(xα

)

=√

α2π

∞∫0

exp(− α ·K(y)

)dy

wobei K(y) = y − 1− `ny (fur y > 0) .

Diese Funktion K(·) ist konvex und nimmt im Punkt y = 1 ihr Minimum 0 an. K ′(y) =1− 1

y, K ′′(y) = 1

y2> 0 .

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Mathematik fur Physiker II 5

Die Methode von Laplace (1829) macht nun Aussagen uber das asymptotische Verhalten(ε→ 0) von Integralen der Form

1√2πε

∫exp

(− 1

εK(y)−K0(y)− εK1(y) . . .− εmKm(y)

)dy ,

wobei K(·) eine glatte konvexe Funktion ist, welche ihr Minimum in einem einzigen Punkty annimmt, wo K ′′(y) > 0. K0(·), K1(·), . . .Km(y) sind weitere glatte Funktionen.Wir interessieren uns hier nur fur den Fall m = 1. Wir konnen K(y) = 0 annehmen;denn man kann den Faktor exp

(−1εK(y)

)aus dem Integral herausziehen. Der Trick von

Laplace besteht darin, eine isotone Funktion A(y) einzufuhren mit

1

2A2(y) = K(y) , also A(y) = ±

√2K(y) .

Man kann leicht nachweisen, dass ein zweimal stetig differenzierbares K(·) zu einem stetigdifferenzierbaren A(·) fuhrt.Fur die Stirling-Formel erhalten wir

exp(S(

1a

) )=

√α2π

∞∫0

exp(−α

2A2(y)

)· 1A′(y)

·A′(y)dy =

=√

α2π

∫exp(−α

2a2)·B(a)da

wobei B(A(y)

)= 1

A′(y)=

√2K(y)

K′(y), B(0) = 1√

K′′(y)= 1 .

Die Funktion B(a) laßt sich in eine Potenzreihe entwickeln

B(a) = 1 + b1 · a+ b2 · a2 + b3 · a3 + b4 · a4 + o(a4).

Das Integral laßt sich als ein Erwartungswert deuten. Wenn Z standardnormalverteilt ist,dann haben wir

exp

(S

(1

α

))= E

(B

(1√αZ

))= 1 + b2 ·

1

α+ b4 ·

3

α2+ o

(1

α2

)

und dies laßt sich weiter treiben, wenn man verwendet

E(Zk)

= 0 fur k ungerade

EZ2 = 1, EZ4 = 3, EZ6 = 1 · 3 · 5, EZ8 = 1 · 3 · 5 · 7, . . .

Rechenarbeit entsteht, wenn man die Koeffizienten b2k wirklich ausrechnen soll.Sei Y (·) die Umkehrfunktion von A(·)

12a2 = y − 1− `n(1 + (y − 1)) =

= 12(y − 1)2 − 1

3(y − 1)3 + 1

4(y − 1)4 − . . .

Durch Koeffizientenvergleich findet man c1, c2, . . ., sodass

Y (a)− 1 =∑

ckak

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6 Mathematik fur Physiker II

die Gleichung erfullt. Die Ableitung ergibt die Potenzreihe

B(a) =∑

ck · k · ak−1 ; denn

y = Y(A(y)

), 1 = Y ′(A(y)

)·A′(y) .

Lassen wir den konkreten Fall der Stirling’schen Formel beiseite und wenden wir uns demallgemeinen Prinzip zu.

Theorem (”Die Methode von Laplace“)

Sei K(y) eine glatte Funktion, welche ihr Minimum K(y) in genau einem Punkt y ∈ Rd

annimmt mit K ′′(y) > 0 (d.h. die Hesse-Matrix ist positiv definit). Wenn K(·) undK0(·), K1(·), . . . Km(·) bei y genugend oft stetig differenzierbar sind, dann existieren Zah-len c−1, c0, c1, . . . , cm so dass

(1√2πε

)d ∫exp

(− 1

εK(y)−K0(y)− εK1(y)− . . .− εm ·Km(y)

)dy

= exp(1εc−1 + c0 + εc1 + . . .+ εmcm + o (εm)

)fur ε 0

c−1 =−K(y), c0 = −K0(y)−1

2`n|K ′′(y)|, . . .

Die cj ergeben sich aus den Ableitungen der Kj(·) im Punkt y.Beim Beweis kann man sich auf das folgende Lemma stutzen, welches auch in der Theorievon kritischen Punkten auf Mannigfaltigkeiten eine Rolle spielt.

Lemma von Morse

Sei K(·)(2m+ 2)-mal stetig differenzierbar in einer Umgebung eines Punkts y ∈ Rd mit

K(y) = 0, K ′(y) = 0, K ′′(y) > 0 .

Es existieren dann (2m + 1)-mal stetig differenzierbare Funktionen A1(y), . . . , Ad(y) sodass

1

2

(A2

1 + . . .+ A2d

)(y) = K(y)

in einer Umgebung von y. (Ohne Beweis!)

Das folgende Theorem kann man als eine Verscharfung der Methode von Laplace betrach-ten; man kann aber auch von einer Aussage uber

”asymptotische Laplacetransformation“

sprechen.

Theorem

Zu K(·), K0(·), . . . , Km(·) wie oben sei

pε(y)dy =

(1√2πε

)d· exp

(−1

εK(y)− . . .− εmKm(y)

).

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Mathematik fur Physiker II 7

Dann gibt es in einer Umgebung V des Nullpunkts Funktionen

ϕ−1(ϑ), ϕ0(ϑ), . . . , ϕn(ϑ)

so dass gleichmaßig in V

`n(∫

exp

(1

εϑy

)· pε(y)dy

)=

1

εϕ−1(ϑ) + . . .+ εmϕm(ϑ) + o (εm) .

(Ohne Beweis!)

Bemerke : Offenbar ist ϕ−1(·) die Legendre-Transformierte von K(·)

ϕ−1(ϑ) = supϑy −K(y)

fur ϑ ∈ V .

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8 Mathematik fur Physiker II

33. Vorlesung : Die Methode der stationaren Phase

Bei der Methode der stationaren Phase geht es wie bei der Methode von Laplace um dasasymptotische Verhalten von Integralen (uber einen Integrationsbereich im Rd). Bei derMethode von Laplace fanden wir (unter geeigneten Annahmen an die Funktionen K(·)und q(·) das asymptotische Verhalten

Iε :=(

1√2πε

)d ∫exp(−1εK(y)

)q(y)dy

= 1√|K′′(y)|

(q (y) + εr (y) + o(ε)

)· exp

(− 1

εK(y)

).

Bei der Methode der stationaren Phase lautet das Resultat

Iε :=(

1√2πε

)d ∫exp

(iεK(y)

)q(y)dy =

=∑j

exp(σj · i · π4

)1√

|K′′(yj)|·(q (yj) + εr (yj) + o(ε)

)· exp

(iεK (yj)

).

Hier ist K(·) eine reellwertige Funktion, fur welche es im Integrationsbereich nur endlichviele yj gibt mit K ′ (yj) = 0 (

”kritische Punkte“). In jedem yj sei die Hesse-Matrix K ′′ (yj)

nichtsingular.∣∣K ′′ (yj)

∣∣ bezeichnet den Betrag der Determinante; σj ist die Signatur, d.h.die Anzahl der positiven minus die Anzahl der negativen Eigenwerte.In unserer Beweisskizze nehmen wir an, dass K(·) viermal stetig differenzierbar ist. q(y)ist eine zweimal stetig differenzierbare komplexwertige Funktion, welche außerhalb einerkompakten Menge verschwindet.

Beweisskizze

Wir beweisen den Satz in speziellen eindimensionalen Fallen.Wir zeigen zuerst, dass fur ein 2m-mal stetig differenzierbares q(y) gilt

Iε :=

∫ √ −i2πε

exp

(i

ε· 12y2

)q(y)dy =

=q(0) + ε · r1 + ε2 · r2 + . . .+ εm · rm + o (εm) ,

wobei sich die Zahlen rj aus den Ableitungen von q(·) ergeben.

1. Nehmen wir zunachst an, dass q(·) in einer Umgebung des Nullpunkts verschwindet.Wir zeigen Iε = 0

(εN)

fur alle N .In der Tat gewinnen wir durch partielle Integration

√2πε · exp

(i · π

4

)· Iε =

=

∫y exp

(i

ε

1

2y2

)1

yq(y)dy =

=

∫ (i

εy

)exp

(i

ε

1

2y2

)·(i

εy

)−1

q(y)dy =

= (iε)

∫exp

(i

ε· 12y2

)·(

1

yq(y)

)′dy =

. . . . . . . . .

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Mathematik fur Physiker II 9

2. Sei q(·) identisch = 1 in einer Umgebung des Nullpunkts. Wir zeigen

Iε = 1 + 0(εN)

fur alle N .

Dies gewinnen wir durch einen Vergleich mit der bekannten Formel

1 =

+∞∫

−∞

√λ

2πexp

(−λ

2y2

)dy fur <λ > 0 .

Diese Formel ist uns fur reelle λ = 1σ2 beim Studium der Normalverteilungen be-

gegnet. Es folgt aus allgemeinen Prinzipien der komplexen Funktionentheorie, dasssich die Gleichung fortsetzt fur λ = 1

σ2 − iε

(ε reell).Schwierigkeiten entstehen fur σ2 → ∞, wenn also λ gegen einen Punkt der ima-ginaren Achse konvergiert. Die Schwierigkeit der Integrabilitat wird durch q(y) ausder Welt geschafft.

∫ √λ2π

exp(−λ

2y2)q(y)dy =

=√

1− iεσ2

∫ √ −i2πε

exp(iε· 1

2y2)qσ(y)dy

mit qσ(y) = exp(− 1

2σ2 y2)· q(y) .

Wir haben bereits gesehen, dass das asymptotische Verhalten bis auf einen Fehlero(εN)

nur vom Verhalten des Integranden in der Nahe des Nullpunkts abhangt.

Die folgende Uberlegung macht klar, dass σ2 nur eine technische Rolle spielt. DasIntegral Iε wird von dem q(·), welches in der Nahe des Nullpunkts ≡ 1 ist nichtbeeinflußt, bis auf o

(εN)

fur jedes N .

3. Als Vorbereitung fur das Folgende bemerken wir

+∞∫

−∞

y2 ·√

λ

2πexp

(−λ

2y2

)dy =

1

λfur <λ > 0

+∞∫

−∞

y2m ·√λ

2y2dy =

(1

λ

)m· 1 · 3 · . . . · (2m− 1) .

(Beweis durch partielle Integration.)

4. Wenn q(·) im Nullpunkt zweimal stetig differenzierbar ist, dann existieren Funktio-nen f1(·) und f2(·), so dass

q(y) = q(0) + y · f1(y) =

= q(0) + y · f1(0) + y2 · f2(y) = q(0) + y · f1(0) + y2 · f2(0) + 0(y2) .

Man muss sich jetzt vergewissern, dass√−i2πε

∫exp

(i

ε

1

2y2

)·[q(0) + y · f1(0) + y2 · f2(y)

]dy

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10 Mathematik fur Physiker II

sich fur ε→ 0 ebenso verhalt wie√

λ2π

∫exp

(−λ

2y2) [q(0) + y · f1(0) + y2 · f2(0) + o (y2)

]dy

wenn λ = 1σ2 − i

ε∼ −i

ε.

Im Limes σ2 →∞ erhalten wir

Iε = q(0) + iε · f2(0) + o(ε) .

(Wir wollen die Vertauschung der Reihenfolge σ2 → ∞, ε → 0 hier nicht genauerbegrunden.)

5. Wenn q(·) 2m-mal stetig differenzierbar ist, dann kann man die Asymptotik weitertreiben:

Iε = q(0) + ε · r1 + . . .+ εm · rm + o (εm) ,

wobei rj bis auf einen Faktor die 2j-te Ableitung von q(·) ist.

6. Sei nun K(y) eine (2m+2)-mal stetig differenzierbare Funktion in einer Umgebungdes Integrationsintervalls mit

K ′(0) = 0, K ′′(0) 6= 0, K ′(y) 6= 0 fur y 6= 0 .

Das Integral

Iε =

∫ √ −i2πε

exp

(i

εK(y)

)q(y)dy

hangt asymptotisch (fur ε→ 0) nur vom Verhalten des Integranden bei 0 ab. Wennnamlich q(·) in einer Umgebung des Nullpunkts verschwindet, dann konnen wir K(·)als Integrationsvariable einfuhren:

Iε =

∫ √ −i2πε

exp

(i

εs

)·B(s)ds mit

B(K(y)

)

K ′(y)= q(y) .

Mit partieller Integration finden wir Iε = 0(εN).

7. Es existiert eine isotone Funktion A(y), so dass

1

2A2(y) = ±

(K(y)−K (y)

).

Mit A(·) als Integrationsvariable haben wir

Iε = exp

(i

eK (y)

)·∫ √ −i

2πεexp

(± iεa2

)·B(a)da .

Das ist ein Integral der Art, die wir oben studiert haben.

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Mathematik fur Physiker II 11

Hinweis : Wenn jemand die Beweisskizze als allzu luckenhaft empfindet, dann sei erverwiesen auf das Lehrbuch

P. Bamberg & S. Sternberg :”A course in mathematics for students of physics 2“ (S.

750), Cambridge University Press, 1990.

Beispiel :

Fur x ∈ (−1,+1) hat K(y) =√

1 + y2 − yx genau einen kritischen Punkt :

yx =x√

1− x2.

In der Tat ist√

1 + y2 eine konvexe Funktion, deren Ableitung von −1 nach +1 anwachst.

K ′(y) =y√

1− x2, K ′′(y) =

(1 + y2

)−3/2fur y ∈ (−∞,+∞)

K ′′ (yx) =(1− x2

)3/2fur x ∈ (−1,+1) .

Die Methode der stationaren Phase liefert

∫ √ −i2πε

exp(iε

(√1 + y2 − yx

))q(y)dy

=(

1√1−x2

)3

· exp(iε

√1− x2

) [q(

x√1−x2

)+ 0(ε)

].

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12 Mathematik fur Physiker II

34. Vorlesung : Wellenpakete und Quantenmechanik des freien

Teilchens

Die komplexen Integrale Iε treten in der Theorie der Wellenpakete auf. Ein Wellenpaketentsteht durch die Uberlagerung von ebenen Wellen

const · exp(− i(ωt− kx)

)

(ω ist die Kreisfrequenz, k die Wellenzahl.)Dabei ist die Dispersionsrelation zu beachten. Die Dispersionsrelation ist die FunktionΩ(k), die fur das betreffende Medium die Frequenz als Funktion der Wellenzahl liefert.Diese ebenen Wellen sollen nun mit der komplexen Gewichtung Q(k)dk uberlagert werden

(wobei wir uns vorstellen, dass∣∣Q(k)

∣∣2dk eine Wahrscheilichkeitsdichte ist, die auf eine

Umgebung von k konzentriert ist).Die Amplitude zur Zeit t ist dann

At(x) =

∫exp

(− i(Ω(k) · t− kx

))Q(k)dk .

Solche Integrale interessieren uns fur schnelle kurze Wellenbewegungen; wir fuhren dahereinen Parameter ε ein, und studieren dann fur ε 0.

A(ε)t (x) :=

1√2πε

∫exp

(i

εK(y)

)· q(y)dy

mit K(y) = −Ω(y) · t+ y · x .

Definition :

v = ddy

Ω(y) heißt die Gruppengeschwindigkeit fur die Dispersionsrelation Ω(·). Die kriti-

schen Werte y = Y (t, x) ergeben sich aus Ω′(y) · t− x = 0.Von einem bewegten Wellenpaket redet man, wenn die komplexe Gewichtung Q(k)dk furalle t zu einem At(x) fuhrt, welches um einen Punkt x(t) herum konzentriert ist.

Beispiel (Gaußisch verschmierte Wellenzahlen)

Die Normalverteilung N(k, τ 2

)hat die Dichte

const · ϕ(k − kτ

)= const · exp

(− 1

2τ 2

(k − k

)2).

Wir studieren die komplexe Dichte

Q(k)dk = const · exp (ikx) · ϕ(k − kτ

)dk .

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Mathematik fur Physiker II 13

Wenn wir uns nur fur die Amplitude zur Zeit 0 interessieren, dann ist die Dispersionsre-lation irrelevant. Ao(x) ist einfach die Fourier-Transformierte.

Ao(x) = const ·∫

exp(ikx)Q(k)dk

= const ·∫

exp(− ik (x− x)

)exp

(− 1

2τ2

(k − k

)2)dk

= const · exp(ik (x− x)

)· exp

(− τ2

2(x− x)2

).

Dies ist bis auf dem komplexen Vorfaktor (vom Betrag 1) die Dichte der NormalverteilungN(x, 1

τ2

).

Man beachte : Die Spannweite 1τ

im Ortsraum ist das Reziproke der Spannweite derVerteilung im Raum der Wellenzahlen.

Die Quantenmechanik des freien Teilchens

In der Quantenmechanik versteht man die Teilchen als Wellenpakete. Die Frequenz ist mitdem klassischen Gedanken der Energie verbunden, die Wellenzahl entspricht dem Impuls.

E = ~ω p = ~ · k .(Hier ist wie ublich ~ = h

2πmit der Planck’schen Konstante h = 6, 626·10−34Js. Die Formel

E = hν geht auf Einstein zuruck. Die Formel, die dem Impuls p eine Wellenlange λ =2πk

= hp

zuordnet, heißt die Formel von de Broglie.) Teilchen mit einem scharf definiertenImpuls gibt es nicht, ebensowenig wie Teilchen, die einen scharf definierten Ort haben.Heisenbergs Unscharferelation wird manchmal (mathematisch ungenau) so formuliert :

∆p ·∆x ∼ h .

”Das Produkt der Fehler von Lage- und Impulskorodinate ist durch das Planck’sche Wir-

kungsquantum nach unten beschrankt“.Wir wollen hier keine Anstrengungen unternehmen, die Begriffe

”Fehler von Lage- bzw.

Impulskoordinate“ genauer zu fassen. In irgendeiner Weise entspricht der”Fehler“ der

”Spannweite“ der entsprechenden

”komplexen Dichte“ oder

”komplexen Amplitude“. Das

obige Beispiel gibt einen Eindruck, der sich durch weitere Beispiele verdichten laßt. (Mandenke etwa an die Rechtecksdichten oder andere Dichten, deren charakteristische Funktionwir fruher einmal explizit ausgerechnet haben.)

Die Dispersionsrelation der Quantenmechanik

Wenn wir fur alle Zeiten die komplexe Amplitude At(x) zur Impulsverteilung Q(p)dpausrechnen wollen, dann brauchen wir die Dispersionsrelation, welche die Energie E(p) =~ · Ω(p) als Funktion des Impulses liefert

At(x) = const∫

exp(i(Ω(k)t− kx

))q(k)dk

= const∫

exp(i~

(E(p) · t− px

))Q(p)dp .

Die Dispersionsrelation fur das freie Teilchen hat die einfache Gestalt

E2 − (p · c)2 = const = m2 · c4

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14 Mathematik fur Physiker II

(c ist die Lichtgeschwindigkeit, die Zahl m heißt die Ruhemasse des Teilchens.)Die Herleitung von E(p) uberlassen wir den Physikern; es genugt offenbar, zu wissen, dass(E, p) ein Vierervektor im Sinne der Relativitatstheorie ist.

Die Methode der stationaren Phase gibt Auskunft uber das asymptotische Verhaltendes Integrals fur At(x), wenn man ε = ~ nach 0 streben laßt.Nehmen wir an, die komplexe Dichte des Impulses ist um den Punkt p herum konzentriert.

A(ε)t (x) =

1

2πε

∫exp

(− iε

(E(p) · t− px

))Q(p)dp

liefert nur in denjenigen Punkten x einen wesentlichen Beitrag, fur die es einen kritischenPunkt p = p(t, x) im Integrationsbereich gibt

E ′(p) · t− x = 0 fur ein p ≈ p .

Die Amplitude ist also nur dann von substantieller Große, wenn x ≈ v · t.Das Wellenpaket wandert mit der Gruppengeschwindigkeit v durch den Ortsraum. DieAsymptotik der stationaren Phase stellt also eine Beziehung her zwischen der quanten-mechanischen und der klassischen Betrachtung eines Teilchens mit dem Impuls p und derRuhemasse. Man findet die klassische Geschwindigkeit als Limes (~ 0) der Gruppen-geschwindigkeit von Wellenpaketen.

Beim freien quantenmechanischen Teilchen hat man

E(p) =√m2c4 + (pc)2 .

Durch Ableitung erhalt man die Gruppengeschwindigkeit

v = ddpE(p) = pc2

E(p)= p

M

mit M := E(p)c2

=√m2 +

(pc

)2”bewegte Masse“

Man kann naturlich auch die Großen p und E durch die Großen m und v (die aus derNewton’schen Mechanik bekannt sind) ausdrucken.

Aus p2 = v2 ·M2 = v2(m2 +

(pc

)2)ergeben sich die wohbekannten Formeln

p =mv√

1−(vc

)2 ; E =mc2√

1−(vc

)2 .

Zur Lekture empfohlen:Feynman : Vorlesungen uber Physik, Bd 1, Kapitel 48:

”Schwebungen“.

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Mathematik fur Physiker II 15

Teil VII : Monotone Konvergenz und Integration

Themenubersicht

36. Vorlesung : Aufsteigende Folgen undunterhalbstetige Funktionen Seite 17Supremum einer Menge A ⊆ R. Limessuperior einer Zahlenfolge. Unterhalbstetigkeit einerFunktion f(·) in einem Punkt x.

”Volle Urbilder“. Der konvexe Kegel der unterhalbsteti-

gen Funktion ist gegen punktweise Sumpremumsbildung stabil. Abstand von einer Men-ge. Die Indikatorfunktion einer offenen Menge ist aufsteigender Limes Lipschitz-stetigerFunktionen. Jede unterhalbstetige Funktion ist aufsteigender Limes stetiger Funktionen.

37. Vorlesung : Elementarintegrale Seite 24Stone’scher Vektorverband, normiertes Elementarintegral. Beispiele: Diskrete Maße, Maßemit Dichten auf R, Stieltjes-Integrale. Cantorfunktion.

38. Vorlesung : Nullfunktionen, meßbareund integrierbare Funktionen Seite 29Vom Vektorverband E zum Verbandskegel Eσ. Die Erweiterungen Iσ(·) und Iδ(·). Dievon E erzeugte monotone Klasse E?. Baire-Funktionen, speziell borelmeßbare Funktio-nen. Die σ-Algebra der Baire’schen Mengen, speziell Borel-Mengen. Nullfunktionen undNullmengen. Integrabilitat. Der Satz von Beppo Levi.

Alternative Zugange zum Integral. Das Integral zu einem Wahrscheinlichkeitsmaß. DieVektorraume Lp(Ω,A, µ).

39. Vorlesung : Die wichtigsten Satze der Integrationstheorie Seite 37Satz von der monotonen Konvergenz. Fatous Lemma. Satz von der dominierten Kon-vergenz. Die Vollstandigkeit von L1, Lemma von Borel-Cantelli. Stieltjes-Integrale als Er-wartungswerte. Charakteristische Funktionen und ihre Ableitungen als Stieltjes-Integrale.Differentiation unter dem Integralzeichen.

40. Vorlesung : Satz von Fubini und Satz von Radon-Nikodym Seite 44Der Satz von Fubini fur Produktmaße. Beweisskizze. Unbestimmte Integrale. Radon-Nikodym Ableitungen. Totalstetige Maße sind unbestimmte Integrale (ohne Beweis!)

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16 Mathematik fur Physiker II

Vorbemerkung

Ein Integral I(·) ordnet gewissen reellwertigen Funktionen f(·) (uber einer GrundmengeΩ) eine Zahl I(f) (oder auch

∫fdµ) zu. Die Zuordnung ist linear und monoton

f ≤ g =⇒ I(f) ≤ I(g) .

Der Definitionsbereich des Funktionals I(·) ist ein Vektorraum. Dieser Vektorraum heißtder Raum der I-integrablen Funktionen, und wird haufig mit L1(Ω,B, µ) bezeichnet,wobei µ das zu I(·) gehorige Maß bezeichnet.

µ(B) = I (1B) fur B ∈ B .

Der Raum L1 ist ein vollstandiger normierter Raum, ‖f‖ =∫|f |dµ.

Was nun die Integrale I(·) vor anderen linearen Funktionalen auf irgendwelchen Ba-nachraumen auszeichnet, ist die

Monotone Stetigkeit (Satz von Beppo Levi) :Fur jede aufsteigende Folge in L1 gilt :

f1 ≤ f2 ≤ . . . I (fj) beschrankt ⇒ lim ↑ fj ∈ L1 und I (lim ↑ fj) = lim ↑ I (fj) .

Die monotone Konvergenz ist ein Konvergenzbegriff, der sich nicht in die Theorie der Kon-vergenz in metrischen Raumen einfugt. Wir wollen unserer Integrationstheorie einige all-gemeine Bemerkungen uber monotone Konvergenz vorausschicken. Bei dieser Gelegenheitsollen auch Erfahrungen mit der Quantorenschreibweise und mit der Mengenbetrachtung(”volles Urbild“ usw.) gesammelt werden.

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Mathematik fur Physiker II 17

36. Vorlesung : Aufsteigende Folgen, unterhalbstetige Funktionen

Bekanntlich ist die Menge R der reellen Zahlen bzgl. der ublichen Metrik ein vollstandigermetrischer Raum. R hat nun aber auch bzgl. der Ordnung ≤ eine Vollstandigkeitseigen-schaft. Um die geht es hier.

Satz (Existenz des Supremums)

Zu jeder nichtleeren nach oben beschrankten Zahlenmenge A ⊆ R gibt es in R eine kleinsteobere Schranke supA.

Beweis

Wir zeigen mehr: Wir zeigen, dass es eine aufsteigende Folge (an)n in A gibt und eineabsteigende Folge von oberen Schranken (bn)n, so dass

lim ↑ an = supA = lim ↓ bn .

Wir konstruieren eine solche Folge rekursiv, ausgehend von ao ∈ A und bo obere Schranke.Wenn an ≤ bn bereits konstruiert ist, dann betrachten wir M := 1

2(an + bn). Es gibt zwei

Moglichkeiten: Wenn M obere Schranke ist, dann setzen wir bn+1 := M, an+1 = an. WennM nicht obere Schranke ist, dann ist A ∩ [M, bn] nichtleer. Wir wahlen an+1 aus dieserMenge und bn+1 = bn.

ao ≤ a1 ≤ a2 ≤ . . . . . . ≤ b2 ≤ b1 ≤ bo .

Die Folgen streben gegen denselben Limes; denn der Abstand |bn − an| ist ein 0(

12n

).

Konvention

Man setzt supA = +∞, wenn A nach oben unbeschrankt ist. In diesem Fall gibt es in Aeine monotone Folge, die uber alle Grenzen wachst. Der leeren Teilmenge von R ordnetman das Supremum −∞ zu. Mit diesen Konventionen hat man erreicht, dass supA furalle A ⊆ R definiert ist.

Die großte untere Schranke einer Zahlenmenge A ⊆ R heißt das Infimum von A.

Zur Einubung der Quantorenschreibweise formulieren wir den

Satz :

Sei A ⊆ R und a ∈ R. Es gilt dann

1) supA > a ⇐⇒ ∃a ∈ A : a > a2) supA ≤ a ⇐⇒ ∀a ∈ A a ≤ a3) supA ≥ a ⇐⇒ ∀ε > 0 ∃a ∈ A : a > a− ε4) supA < a ⇐⇒ ∃ε > 0 ∀a ∈ A : a ≤ a− ε5) supA = a ⇐⇒ (supA ≤ a) ∧ (supA ≥ a) .

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18 Mathematik fur Physiker II

Definition (”Limes superior“)

Fur eine Folge reeller Zahlen (an)n definiert man

lim supn→∞

an := limm→∞

↓ sup an : n ≥ mlim infn→∞

an := limm→∞

↑ inf an : n ≥ m .

(Wenn wir verdeutlichen wollen, dass eine Folge monoton gegen ihren Grenzwert kon-vergiert, dann schreiben wir lim ↑ an = a bzw. lim ↓ an = a.) Der obere Limes einerZahlenfolge kann auch +∞ oder −∞ sein.

Satz

Sei (an)n eine Folge reeller Zahlen und a ∈ R. Es gilt

1) lim sup an > a =⇒ ∀N∃n ≥ N : an > a =⇒ lim sup an ≥ a .2) lim sup an ≥ a ⇐⇒ ∀ ε > 0 ∀N ∃n ≥ N : an > a− ε .3) lim sup an < a ⇐⇒ ∃ ε > 0 ∃N ∀n ≥ N an ≤ a− ε

Satz

a) Fur alle Folgen (an)n giltlim inf an ≤ lim sup an

b) (an)n konvergiert gegen a⇔

⇔ lim inf an = a = lim sup an .

Konvention

Man sagt, dass die Folge (an)n gegen +∞ konvergiert, wenn

lim inf an = +∞ .

Entsprechend ist die Aussage lim an = −∞ zu verstehen.

Bemerke : Fur jede reelle Folge (an)n gilt

lim inf (−an) = − lim sup an .

Satzlim sup (an + bn) ≤ lim sup an + lim sup bnlim sup (an + bn) ≥ lim sup an + lim inf bn .

Der Beweis ist eine empfehlenswerte Ubung.

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Mathematik fur Physiker II 19

Unterhalbstetige Funktionen

Definition

Fur eine reellwertige Funktion f(·) auf einem Raum(S, d(·, ·)

)definiert man, was es heißt,

dass f(·) im Punkt x ∈ S unterhalbstetig ist:

f(·) unterhalbstetig in x ⇐⇒def

⇐⇒ ∀ε > 0∃δ > 0 ∀x d(x, x) < δ ⇒ f(x)− f(x) > −ε⇐⇒ ∀ε > 0

x : f(x) > f(x)− ε

ist Umgebung von x .

Bemerkungen :

1. Die Unterhalbstetigkeit in x kann man auch in der Sprache der Folgen ausdrucken:f(·) unterhalbstetig in x ⇐⇒

⇐⇒ Fur alle S-Folgen gilt : xn → x ⇒ lim infn→∞

f (xn) ≥ f(x)

2. Man kann sie auch in der Sprache der Umgebungen von x ausdrucken:f(·) unterhalbstetig in x ⇐⇒

⇐⇒ ∀M < f(x) ∃U (Umgebung von x) : ∀x ∈ U M < f(x).

3. Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass die Unterhalbstetigkeit in der Theorieder konvexen Funktionen (auf einem affinen normierten Raum) eine wichtige Rollespielt. Dort betrachtet man auch Funktionen mit Werten in R∪ +∞. Die obigenFormulierungen ohne ε passen auch fur diesen Fall.

Beispiele :

1. Eine wohlbekannte konvexe Funktion ist

f(x) =

x`nx fur x ≥ 0+∞ fur x < 0

Wenn wir den Wert f(0) nicht-negativ festsetzen, erhalten wir eine konvexe Funktionauf R. Wenn wir f(0) nicht-positiv festsetzen, erhalten wir eine unterhalbstetigeFunktion. Im Falle f(0) = 0 erhalten wir eine unterhalbstetige konvexe Funktion.Diese ist gleich dem (punktweisen) Supremum aller affinen Minoranten.

2. Sei K offen in(S, d(·, ·)

).

1U(x) =

1 fur x /∈ U0 fur x /∈ U

Diese Indikatorfunktion 1U(·) ist unterhalbstetig. In der Tat ist eine Indikatorfunk-tion 1A(·) genau dann unterhalbstetig, wenn A offen ist.

3. Sei A abgeschlossen. Wir erhalten eine unterhalbstetige Funktiion, wenn wir setzen

k(x) = 0 fur x ∈ A , k(x) = +∞ fur x /∈ A .

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20 Mathematik fur Physiker II

Satz

Eine R∪+∞-wertige Funktion f(·) ist genau dann unterhalbstetig auf (S, d(·, ·)) , wennUM :=

x : f(x) > M

offen ist fur alle M ∈ R.

Beweis :

1. Sei f(·) unterhalbstetig, M beliebig.Sei x ∈ UM . Dann gilt f(x) > M und daher f(x) > M in einer vollen Umgebungvon x. UM umfasst also eine Umgebung von x. Dies gilt fur alle x ∈ UM , also istUM eine offene Menge.

2. Sei x ein Punkt mit f(x) <∞.Wenn UM offen ist fur jedes M , dann haben wir insbesondere fur M = f(x)−ε einevolle Umgebung, in welcher f(x) > f(x) − ε gilt. f(·) ist also unterhalbtetig in x.Die x mit f(x) = +∞ sind ebenso zu behandeln.

Man nennt eine Funktion g(·) mit Werten in R ∪ −∞ oberhalbstetig, wenn −g(·) un-terhalbstetig ist.

Satz : (Stetige reellwertige Funktionen)

Eine reellwertige Funktion f(·) ist genau dann stetig in(S, d(·, ·)

), wenn sie unterhalb-

und oberhalbstetig ist. Dies ist genau dann der Fall, wenn die Menge

x : f(x) ∈ (a, b)

=x : f(x) > a

∩x : f(x) < b

offen ist fur alle a, b.

Hinweis : (”Volle Urbilder“)

Eine Abbildungϕ :

(D, d(·, ·)

)→(E, e(·, ·)

)

ist genau dann stetig, wenn

x : ϕ(x) ∈ V

offen ist fur alle offenen V ⊆ E .

Man nennt U =x : ϕ(x) ∈ V

das volle Urbild von V bzgl. der Abbildung ϕ und

schreibtU = ϕ−1(V ) .

Stetigkeit von ϕ(·) bedeutet, dass die”Urbild-Abbildung“ ϕ−1(·) offene Mengen in offene

Mengen abbildet.Man beachte, dass ϕ−1(·) Mengen in Mengen abbildet und keinesfalls mit der Umkehrab-bildung von ϕ(·) (wenn es eine solche geben sollte) verwechselt werden darf.

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Mathematik fur Physiker II 21

Satz

Seien f und g in x ∈(S, d(·, ·)

)unterhalbstetig.

1. Dann sind auch das punktweise Maximum und Minimum f ∨ g bzw. f ∧ g, sowieαf + βg fur α, β ≥ 0 in x unterhalbstetig.

2. Wenn f1, f2, · in x unterhalbstetig sind, dann auch

f := sup fj (punktweises Supremum).

Beweis

h(·) ist genau dann in x unterhalbstetig, wennx : h(x) > M

entweder leer oder eine

Umgebung von x ist.

x : (f ∨ g)(x) > M

=

x : f(x) > M

∪x : g(x) > M

x : (f ∧ g)(x) > M

=

x : f(x) > M

∩x : g(x) > M

x : sup

jfj(x) > M

=

⋃j

x : fj(x) > M

x : (f + g)(x) > M

kann man als abzahlbare Vereinigung von Mengen der Gestalt

x : f(x) > r

∩x : g(x) > s

darstellen.

x : (f + g)(x) > M

=

(r,s) :r+s>Mx : f(x) > r

∩x : g(x) > s

.

Fur ein x mit f(x) + g(x) > M nehme man r so knapp unter f(x) und s so knapp unterg(x), dass auch r + s echt großer als M ist.

Man spricht den Satz gern so aus: Der konvexe Kegel der (in x) unterhalbstetigen Funktionist gegen punktweise Supremumsbildung stabil.

Satz

Jede R+∪+∞-wertige unterhalbstetige Funktion auf einem metrischen Raum(S, d(·, ·)

laßt sich als aufsteigender Limes stetiger Funktionen gewinnen.Fur den Beweis brauchen wir einige Vorbereitungen.

Lemma : Sei A eine beliebige Menge und

d(x,A) := infd(x, y) : y ∈ A

fur x ∈ S

der Abstand von A.Dann ist d(·, A) Lipschitz-stetig mit einem Streckungsfaktor ≤ 1.

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22 Mathematik fur Physiker II

Beweis : Fixiere x und ε > 0. Fur x mit d(x, x) < δ wollen wir zeigen, dass∣∣d(x,A)−

d(x, A)∣∣ < δ. Wahle zu x ein y ∈ A mit d(x, y) < d(x, A) + ε. Wegen der Dreiecksunglei-

chung gilt :d(x, y) ≤ d(x, x) + d(x, y) < δ + d(x, A) + ε .

Da ε > 0 beliebig gewahlt werden kann, haben wir

d(x,A) = infd(x, y) : y ∈ A

≤ δ + d(x, A) .

Bemerke : Fur jede abgeschlossene Menge A gilt

(1− n · d(x,A)

)+ 1A(x) .

Die Lipschitz-stetigen Funktionen h(n)(x) :=(1 − n · d(x,A)

)+streben monoton

absteigend gegen 1A. Damit haben wir auch gezeigt: Die Indikatorfunktion einer offenenMenge ist aufsteigender Limes stetiger Funktionen.

Corollar

Jede positive Linearkombination von Indikatorfunktionen offener Mengen lasst sich alsaufsteigender Limes stetiger Funktionen gewinnen.

Beweis :

Die f(i)j seien positive stetige Funktionen mit

f(1)1 ≤ f

(1)2 ≤ f

(1)3 ≤ . . . α11U1

f(2)1 ≤ f

(2)2 ≤ f

(2)3 ≤ . . . α21U2

. . .

f(1)1 ≤ f

(1)2 + f

(2)1 ≤ f

(1)3 + f

(2)2 + f

(3)1 ≤ . . .

∑αi1Ui

.

Konstruktion (”Abrunden“)

1. Sei f nichtnegativ und unterhalbstetig.Fur jedes feste n und alle m ist

x : f(x) >

m

2n

offen .

Die Indikatorfunktionen f (m)(·) konnen wir bekanntlich als aufsteigende Limitenstetiger Funktionen darstellen.

2. Sei g(n) = 12n

∞∑m=1

f (m)(·)g(n)(·) ist die Abrundung von f(·) auf die nachstkleinere Zahl m

2n .

g(1) ≤ g(2) ≤ . . . mit lim g(1) = f .

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Mathematik fur Physiker II 23

3. Seien g(m)j stetige Funktionen mit

g(1)1 ≤ g

(1)2 ≤ g

(1)3 ≤ . . . lim

j g

(1)j = g(1)

g(2)1 ≤ g

(2)2 ≤ g

(2)3 ≤ . . . lim g

(2)j = g(2)

Wir erhalten eine gegen f aufsteigende Folge

g(1)1 ≤ max

g

(1)2 , g

(2)1

≤ max

g

(1)3 , g

(2)2 , g

(3)1

≤ . . .

Damit ist der Satz bewiesen.

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24 Mathematik fur Physiker II

37. Vorlesung : Elementarintegrale

Einleitende Bemerkungen

1. Im Schulunterricht lernt man: Das bestimmte Integral einer nichtnegativen Funktionuber einem Intervall ist die Flache unter der Kurve. Das Integral einer nichtnegativenFunktion uber einem Bereich B ⊆ R2 ist das Volumen unter der Flache. Bei derIntegration uber Bereiche des dreidimensionalen Anschauungsraums ist das Bild,welches sich auf den Funktionsgraphen bezieht, jedoch unpassend.

2. Ein passenderes Bild ergibt sich, wenn man an so etwas wie kontinuierliche Massen-verteilungen im R3 denkt; man interessiert sich z.B. fur die Gesamtmasse, die eineMassenverteilung auf den Bereich B legt. Wenn die Massenverteilung eine Dichte(bzgl. des Volumenmaßes) hat, dann stellt sich diese Gesamtmasse µ(B) als einIntegral dar

µ(B) =

B

ρ(x, y, z)dxdydz =

∫1B(x, y, z)ρ(x, y, z)dV .

3. In der Elektrostatik studiert man auch Ladungsverteilungen, die keine Dichte bzgl.des Volumenmaßes haben:

”Punktladungen“,

”Oberflachenladungen“ u.dgl.

Die allgemeine Integrationstheorie befaßt sich auch mit Integralen bzgl. solcher all-gemeiner

”Massenverteilungen“. Man spricht vom Integral der Funktion f(·) bzgl.

des Maßes µ(·) uber einem Bereich B und notiert

B

fdµ =

∫(1B · f) dµ = I (1B · f) .

Fur nichtpositive f definiert man

I(f) = I(f+)− I(f−) .

Wenn I(f+) = ∞ und I(f−) = ∞, dann ist f nicht-integrabel; I(f) ist nichtdefiniert.

4. In den Anfangervorlesungen hat man fruher viel Zeit darauf verwendet, fur spezielleFunktionen und spezielle Maße das Integral

∫fdµ

”auszurechnen“. Die aufs Spezielle

gerichteten Kunste sind heute weitgehend obsolet geworden. (Systeme wie MAPLEoder Mathematica leisten solche Aufgaben schneller und zuverlassiger.)

5. In der modernen Integrationstheorie stehen allgemeine Prinzipien zur Debatte. Eineerste Frage ist die nach dem naturlichen Definitionsbereich eines Integrals. Wiecharakterisiert man den Raum der integrierbaren Funktionen?

6. Ein Ziel der Integrationstheorie ist es auch, eine nutzliche Antwort zu geben auf diefolgende Frage:Angenommen, wir haben eine Funktionenfolge (fn)n, welche gegen eine Funktion f

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Mathematik fur Physiker II 25

konvergiert. (Es geht um Funktionenfolgen, die nicht notwendigerweise gleichmaßig,sondern nur in einem schwacheren Sinn konvergieren.)Unter welchen Umstanden konnen wir schließen, dass auch die Integrale konvergie-ren,

∫fndµ→

∫fdµ?

Neben der monotonen Konvergenz spielen hier noch andere Konvergenzbegriffe eineRolle; insbesondere die dominierte Konvergenz und die fastsichere Konvergenz mitgleichmaßiger Integrabilitat.

Wir wollen hier die Integrationstheorie nach P. Daniell (1917) skizzieren. Wer dieBeweise genauer nacharbeiten will, kann sich in vielen Lehrbuchern informieren, z.B.in

L.H. Loomis :”An Introduction to Abstract Harmonic Analysis“ im einleitenden

Kapitel III (S. 29-47) van Nostrand, 1953.

F. Riesz / Bela Sz. - Nagy : Vorlesungen uber Funktionalanalysis, Kapitel III, Deut-scher Verlag der Wissenschaften, 1956.

Elementarintegrale

Definition

Ein Stone’scher Vektorverband (”vector lattice“) ist eine Menge E von reellwertigen Funk-

tionen (auf einer Grundmenge Ω) mit den Eigenschaften

(i) Mit f, g ∈ E, α, β ∈ R gilt αf + βg ∈ E

(ii) Mit f, g ∈ E gilt auch f ∧ g ∈ E, f ∨ g ∈ E

(iii) Mit f gehort auch f ∧ 1 zu E.Wir machen hier der Ubersichtlichkeit halber die starkere Annahme

(iii*) Die Funktion ≡ 1 gehort zu E.

(f ∧ g bezeichnet wie immer das punktweise Minimum,f ∨ g das punktweise Maximum der Funktionen f und g).

Definition (Elementarintegral)

Ein Elementarintegral ist ein monotones lineares Funktional I(·) auf einem Stone’schenVektorverband, welches monoton stetig ist in dem Sinn :

f1 ≥ f2 ≥ . . . lim ↓ fn ≡ 0 =⇒ I(fn) 0 .

Wenn I(1) = 1, dann spricht man von einem normierten Elementarintegral.

Beispiel 1 (”Diskrete Maße“)

Es seien x1, x2, . . . Punkte in Ω und pj ≥ 0 mit∑pj = 1. Fur alle beschrankten Funktionen

f(·) definieren wir

I(f) =∑

pjf(xj) .

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26 Mathematik fur Physiker II

I(·) ist ein normiertes Elementarintegral.(Den Physikern begegnet diese Situation in der Mechanik der Punktsysteme. Man hatPunktmassen in gewissen Positionen xj; die Gesamtmasse ist auf 1 normiert.)Das Funktional I(·) nennt man das Elementarintegral zum

”diskreten“ Maß

µ =∑

pj · δxj.

Dieses µ(·) nennt man auch die konvexe Kombination der δ-Maße in den Positionen xjmit den Gewichten pj.Wenn unendlich viele pj ungleich 0 sind, dann ist die

”Integrationstheorie zu µ“ keines-

wegs trivial. Es gibt Funktionen f(·), welche nicht integrierbar sind. f(·) ist genau dannintegrierbar, wenn die Reihe

∑pj · f(xj) unbedingt summabel ist.

Konkret : Der Grundraum sei der dreidimensionale Anschauungsraum. Wenn fur alleaffinen Funktionen a(·) das

”Integral“

∫adµ =

∑pj · a(xj) existiert, dann bedeutet das,

dass die Massenverteilung einen Schwerpunkt besitzt. Es gibt ein x, sodass

a(x) =∑

pj · a(xj) fur alle affinen a(·) .

Wenn das Integral I(q) fur jede quadratische Funktion existiert, dann bedeutet das, dassdie Massenverteilung um jede beliebige Achse ein endliches Tragheitsmoment besitzt. Mankann den

”Tragheitstensor“ definieren.

Beispiel 2

E sei der Vektorverband aller beschrankten stetigen Funktionen auf R. p(·) sei eine nicht-negative Funktion mit

∫p(x)dx = 1. Fur f ∈ E sei

I(f) =

∫f(x) · p(x)dx .

Es handelt sich um ein normiertes Elementarintegral, die monotone Stetigkeit kann manmit Hilfe des Satzes von Dini beweisen.Man nennt I(·) das Elementarintegral zur Wahrscheinlichkeitsdichte p(x)dx.Die Wahrscheinlichkeitstheoretiker denken hier an eine Zufallsgroße X mit

Ws(X ∈ (a, b]

)=

b∫

a

p(x)dx fur alle a < b .

Das Funktional I(·) liefert den Erwartungswert

Ef(X) =

∫f(x) · p(x)dx

fur die beschrankten stetigen f(·).Die Fortsetzungstheorie wird uns zeigen, wie man den Erwartungswert Eh(X) fur kom-pliziertere Funktionen h(·) gewinnt.

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Mathematik fur Physiker II 27

Beispiel 3

E sei der Raum aller stetigen Funktionen auf dem kompakten metrischen Raum(S, d(·, ·)

).

Jedes monotone lineare Funktional mit I(1) = 1 ist ein normiertes Elementarintegral. Diemonotone Stetigkeit kann in der Tat mit Hilfe des Satzes von Dini leicht bewiesen werden.

Beispiel 4 (Stieltjes-Integral)

E sei der Vektorverband aller Treppenfunktionen der Form

f =∑

αj · 1Aj,

wo die Aj halboffene Intervalle sind. Aj = (aj, bj]. Die αj sind reelle Zahlen, nur endlichviele ungleich 0.Wir wollen auf E das Stieltjes-Integral zur Verteilungsfunktion F (·) einfuhren.

Definition

Eine isotone Funktion F (·) auf R heißt eine Verteilungsfunktion, wenn F (·) rechtsseitigstetig ist mit F (−∞) = 0, F (+∞) = 1.

Hinweis Besonders einfache Verteilungsfunktionen sind die Stammfunktionen zu Wahr-scheinlichkeitsdichten

F (x) =

x∫

−∞

p(y)dy mit p(·) ≥ 0,

∫p(y)dy = 1 .

Andere einfache Verteilungsfunktionen sind die sogenannten Sprungfunktionen

F (x) =∑

pj ·Hj(x− xj) , pj ≥ 0 ,∑

pj = 1 ,

wo H(·) die Heaviside-Funktion ist

H(y) =

1 fur y ≥ 00 fur y < 0

Es gilt auch komplizierte Verteilungsfunktionen, Verteilungsfunktionen, die sich auch nichtals Mischung von Stammfunktionen und Sprungfunktionen gewinnen lassen. Ein beruhm-tes Beispiel ist die Cantor-Funktion C(x), die man folgendermaßen konstruiert

C(x) = 0 falls x = 0

C(x) = 1 falls x ≥ 0

C(x) = 12

falls x ∈[

13, 2

3

]

C(x) = 14

falls x ∈[

19, 2

9

]

C(x) = 34

falls x ∈[

79, 8

9

]

. . . . . . . . .

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28 Mathematik fur Physiker II

Wir kommen auf diese merkwurdige stetige aber nicht absolutstetige Funktion noch ofterszu sprechen.

Fur das Folgende brauchen wir keine speziellen Eigenschaften der VerteilungsfunktionF (·).Wir definieren zu F (·) das Stieltjes’sche Elementarintegral

I(f) := I(∑

αj1(aj ,bj ]

)=∑

αj ·(F (bj)− F (ai)

).

Den Beweis fur die monotone Stetigkeit von I(·) wollen wir hier nicht durchfuhren. Manbeachte, dass die Rechtsstetigkeit von F (·) und die Linksstetigkeit aller f ∈ E wesentlichist. Man betrachte z.B. die Intervalle

(x, x+ 1

n

]. Ihre Indikatorfunktionen streben mo-

noton abfallend gegen die Nullfunktion. Ware F (·) im Punkt x nicht rechtsseitig stetig,dann ware I(·) nicht monoton stetig.

Hinweis : Die Wahrscheinlichkeitstheoretiker denken sich zur Verteilungsfunktion F (·)eine Zufallsgroße X mit

Ws(X ∈ (a, b]

)= F (b)− F (a) fur alle a < b .

Das Funktional I(·) liefert fur die elementaren Treppenfunktionen den Erwartungswert

Ef(X) =

∫f(x)dF (x) =

∑αj ·Ws

(X ∈ (aj, bj]

).

Die Daniell’sche Fortsetzungstheorie zeigt, wei man aus I(·) den Erwartungswert Eh(X)fur kompliziertere Funktionen gewinnt. Interessant sind z.B. die h(·), welche nur die Werte0 und 1 annehmen konnen; das sind die Indikatorfunktionen h(x) = 1B(x) zu den soge-nannten borelmeßbaren Mengen B.Man notiert

E1B(X) =

∫1B(x)dF (x) =

B

dF (x) .

Hinweis : Man kann ubrigens zeigen, dass jedes normierte Elementarintegral auf demVerbandskegel E unseres Beispiels 4 von einer Verteilungsfunktion F (·) herruhrt. Jedesnormierte Borelmaß auf R gehort zu genau einer Verteilungsfunktion.

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Mathematik fur Physiker II 29

38. Vorlesung : Nullfunktionen, meßbare und integrierbare Funk-

tionen

E sei ein Stone’scher Vektorverband uber der Grundmenge Ω; I(·) sei ein normiertesElementarintegral auf E.

Konstruktion

Eσ bezeichne die Menge derjenigen Funktionen f , die man als aufsteigenden Limes vonE-Funktionen gewinnen kann

f = lim ↑ fj mit fj ∈ E .

Fur solche f definieren wirIσ(f) = lim ↑ I(fj) .

Satz

Iσ(·) ist wohldefiniert (mit Werten in R ∪ +∞ ).

Beweis :

Wir mussen zeigen, dass fur E-Folgen (fj) und (gk), die gegen dieselbe Funktion f auf-steigen, die Integrale gegen denselben Wert aufsteigen.Sei (fj) eine aufsteigende Folge und g ∈ E so, dass

lim ↑ fj ≥ f .

Wir zeigen lim ↑ I(fj) ≥ I(g).Es genugt offenbar, nichtnegative Funktionen zu studieren. Wir schreiben g als Summevon zwei E-Funktionen

g = g\fj + (fj ∧ g)I(g) = I(g\fj) + I(fj ∧ g) .

Wegen lim ↓ (g\fj) = 0 liefert die monotone Stetigkeit

lim ↑ I(fj) ≥ lim ↑ I(fj ∧ g) ≥ I(g) q.e.d.

Satz

Der Verbandskegel Eσ ist gegenuber aufsteigender Limesbildung stabil, d.h.

h ∈ Eσ =⇒ α · h ∈ Eσ fur alle α ≥ 0

h1, h2 ∈ Eσ =⇒ h1 ∧ h2 ∈ Eσ , h1 + h2 ∈ Eσ , h1 ∨ h2 ∈ Eσ

h1 ≤ h2 ≤ . . . aus Eσ =⇒ lim ↑ hj ∈ Eσ .

Der Beweis liegt auf der Hand.

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30 Mathematik fur Physiker II

Satz

Das Funktional Iσ ist positiv linear und aufsteigend stetig auf Eσ, d.h.

Iσ(αh1 + βh2) = α · Iσ(h1) + β · Iσ(h2) fur alle α, β ≥ 0

h1 ≤ h2 ≤ . . . =⇒ Iσ(lim ↑ (hj) .

Der Beweis ist einfach.

Bezeichnung

Eδ bezeichne die Menge derjenigen Funktionen, die man als absteigenden Limes von E-Funktionen gewinnen kann.(Offenbar gilt f ∈ Eσ ⇐⇒ (−f) ∈ Eσ

))

Eσδ bezeichne die Menge derjenigen f , die man als absteigenden Limes von Eσ-Funktionengewinnen kann. Entsprechend sind die Funktionenmengen Eδσ, Eσδσ, . . . definiert.

Bemerke : Die Funktionen in Eσδ konnen die Werte +∞ und −∞ annehmen.

Warnung : Man darf nicht glauben, dass die Vereinigung der eben definierten Funk-tionenmengen gegenuber der Bildung aufsteigender und absteigender Limiten stabil ist.

Definition

E sei ein Stone’scher Vektorverband uber Ω. E? sei die kleinste Menge von numerischenFunktionen, welche E umfaßt und gegenuber der Bildung abzahlbarer Suprema und Infimaabgeschlossen ist.Die Elemente f ? ∈ E? heißen die meßbaren Fuktionen (zu E) oder auch die Baire-Funktionen zu E.Die Mengen B ⊆ Ω, fur welche 1B eine Baire-Funktion ist, heißen die Baire’schenMengen.Die Gesamtheit B aller Baire’schen Mengen ist offenbar eine σ-Algebra ; d.h. sie hat dieEigenschaften

(i) ∅ ∈ B , Ω ∈ B

(ii) B ∈ B =⇒ Ω\B ∈ B

(iii) B1, B2, . . . ∈ B =⇒∞⋃Bj ∈ B .

Man zeigt leicht :B ist die kleinste σ-Algebra (uber Ω), welche alle Mengen

ω : f(ω) > 0

mit f ∈ E

enthalt. Eine numerische Funktion f ?(·) auf Ω ist genau dann eine Baire-Funktion, wenn

ω ∈ f ?(ω) ≤ λ

∈ B fur alle λ ∈ R .

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Mathematik fur Physiker II 31

Beispiel

Sei E die Menge aller beschrankten stetigen Funktionen auf einem metrischen Raum(S, d(·, ·)

). Eσ ist dann die Menge aller unterhalbstetigen Funktionen. Eine Indikator-

funktion 1A gehort genau dann zu Eσ, wenn A offen ist. Die Funktionen in E? heißen indiesem Fall die borelmeßbaren numerischen Funktionen; die B ∈ B heißen die borel-schen Teilmengen des metrischen Raums S.Die Gesamtheit B der Borel-Mengen ist eine sehr große Klasse von Mengen.

Fortsetzungsprogramm

Die Fortsetzung von I(·) (auf E) zu Iσ(·) (auf Eσ) ist nur ein erster Schritt. Wir mochtendas Funktional auf einen Vektorraum

”fortsetzen“. Der Raum aller Baire-Funktionen

kommt schon allein deswegen nicht in Betracht, weil man Funktionen, die die Werte+∞ und −∞ annehmen konnen, nicht punktweise addieren kann.

Definition

Eine numerische Funktion h? heißt Nullfunktion bzgl. I(·), wenn gilt

∀ε > 0 ∃ f ∈ Eσ : |h?| ≤ f und Iσ(f) < ε .

Eine Menge N ⊆ Ω heißt Nullmenge bzgl. I(·), wenn die Indikatorfunktion 1N eineNullfunktion ist.

Hinweis

Wir interessieren uns eigentlich nur fur bairesche Nullfunktionen und bairesche Null-mengen. Wir wollen die Baire-Eigenschaft aber nicht immer erwahnen, wenn sie fur dieSchlusse keine Bedeutung hat.

Satz

Die Vereinigung von abzahlbar vielen Nullmengen ist eine Nullmenge. Das Supremum vonabzahlbar vielen Nullfunktionen ist eine Nullfunktion.

Beweis

Es genugt offenbar, nichtnegative Nullfunktionen zu betrachten.Wir bemerken : Wenn h?1 und h?2 Nullfunktionen sind, dann auch h?1 ∨ h?2.Wir zeigen : Wenn h?1 ≤ h?2 ≤ . . . eine aufsteigende Folge von nichtnegativen Nullfunktio-nen ist, dann ist auch h? := lim ↑ hj eine Nullfunktion.Wir wahlen fj ∈ Eσ so dass

h?j ≤ fj und I(fj) ≤1

2j· ε .

Fur die aufsteigende Folge gj = f1 ∨ f2 ∨ . . . ∨ fj haben wir

lim ↑ gj ≥ h? und Iσ(lim ↑ gj) ≤ ε .

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32 Mathematik fur Physiker II

Satz

Eine Funktion h? ist genau dann eine Nullfunktion, wennω : h?(ω) 6= 0

eine Nullmenge

ist.

Beweis :

Sei N :=ω : |h?(ω)| > 0

eine Nullmenge. Fur jedes n ∈ N ist dann n · 1N eine

Nullfunktion. Der aufsteigende Limes dieser Nullfunktionen ist eine Nullfunktion ≥ h?.Sei |h?| eine Nullfunktion.

(|n ·h?|∧1

)n∈N

ist eine Folge von Nullfunktionen, welche gegen1N aufsteigt.

Definition (Gleichheit fast uberall)

Fur (baire’sche) numerische Funktionen definieren wir

f = g I-fast uberall ⇐⇒ω : f(ω) 6= g(ω)

ist die Nullmenge .

Man notiert kurz f = g f.u.

Satz :

Die”Gleichheit I(·)-fast uberall“ ist eine Aquivalenzrelation mit der Eigenschaft

fj = gj f.u. fur j = 1, 2, . . .

=⇒ sup fj = sup gj f.u. und inf fj = inf gj f.u.

Bemerkungen :

1. Funktionen, die fast-uberall endlichwertig sind, kann man linear kombinieren. DieLinearkombination ist mit der Aquivalenzrelation vertraglich.

2. Die monotone Stetigkeit des Elementarintegrals I(·) war wesentlich fur unsere Kon-struktion der Fortsetzungen Iσ(·) und Iδ(·). Sie garantiert daruber hinaus

g ≤ f, f ∈ Eσ , g ∈ Eδ =⇒ Iδ(g) ≤ Iσ(f) .

(Beweisskizze auf dem Ubungsblatt))

Definition (Integrabilitat) I(·) sei ein Elementarintegral auf dem Stone’schen Vektor-verband E.Eine Baire’sche Funktion h(·) heißt eine I(·)-integrable Funktion, wenn gilt

∀ε > 0 ∃f ∈ Eσ , g ∈ Eδ : g ≤ h ≤ f und Iσ(f)− Iδ(g) < ε .

Fur ein integrables h(·) definiert man

I(h) = infIσ(f) : f ≥ h

= sup

Iδ(g) : g ≤ h

.

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Mathematik fur Physiker II 33

Notation

1. Die Mengenfunktion µ(B) = I(1B) fur B meßbar heißt das Maß zum Integral I(·) .2. Die Gesamtheit aller Aquivalenzklassen von integrablen Funktionen wird mit L1(Ω,B, µ)

bezeichnet.

Bemerke : Wenn µ(B) = I(1B) existiert, dann heißt das, dass man B mit offenenMengen U von außen und abgeschlossenen Mengen A von innen knapp einschließen kann.

A ⊆ B ⊆ U : Iσ(1U)− Iδ(1A) < ε .

Satz

Wenn zwei integrable Funktionen nur auf einer Nullmenge verschieden sind, dann habensie dasselbe Integral.

Beweis

Wenn h und k solche Funktionen sind, dann ist (h ∨ k)− (h ∧ k) eine Nullfunktion.Man findet leicht f ∈ Eσ , g ∈ Eδ , sodass

g ≤ h ∧ k ≤ h ∨ k ≤ f und Iσ(f)− Iδ(g) < 3ε .

Satz

Das Integral I(·) ist auf dem Vektorraum L1(Ω,B, µ) linear.

Beweis

1. Integrable Funktionen sind fast uberall endlich. Außerhalb einer Nullmenge kannman sie punktweise linear kombinieren.

2. Wenn man h ∈ L1 gut einschließen kann, dann auch jedes Vielfache α ·h. Fur α < 0vertauschen sich die Rollen von f ∈ Eσ und g ∈ Eδ.

3. Wenn h1 und h2 gut eingeschlossen werden konnen, dann auch h1 + h2.

Satz (Satz von Beppo Levi, 1906)

Fur jede aufsteigende Folge h1 ≤ h2 ≤ . . . in L1 mit lim ↑ I(hj) <∞ gilt auchh = lim ↑ hj ∈ L1 und

I(h) = lim ↑ I(hj) .

Beweis

Wahle Einschließungengj ≤ hj ≤ fj mit Iσ(fj)− Iδ(gj) < 1

2j · ε .(f1 ∨ . . . ∨ fN )N steigt auf zu einer Majoranten f ∈ Eσ von h und es giltlim ↑ Iσ(f1 ∨ . . . ∨ fN) ≤ lim ↑ I(hj) + ε .g1 ∨ . . . ∨ gN ∈ Eδ ist eine Minorante. Wenn N genugend groß ist, dann giltIσ(f)− Iδ(gN) < 2ε.

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34 Mathematik fur Physiker II

Hinweise

1. Die Einschließung ist ein Prinzip, welches bereits bei den alten Griechen explizitformuliert wurde. Hippocrates von Chios schopfte den Kreis mit regularen Poly-edern aus. Eudoxus (408-355), ein Vorganger von Euklid (365-300) transformiertedie Plausibilitatsargumente in strenge Beweise.

2. Das Riemann-Integral folgt noch demselben einfachen Prinzip. Erst im 20. Jahr-hundert kam man auf die Idee, dass man bei monotoner Stetigkeit auch mit auf-steigenden und absteigenden Folgen einschließen kann. Das war der entscheidendeDurchbruch fur die Maß- und Integrationstheorie. Mit den fur die Anwendung wich-tigen Eigenschaften von I(·) beschaftigen wir uns in der nachsten Vorlesung.

Alternative Zugange zum Begriff des Integrals

Beim Fortsetzungsverfahren nach Daniell, welches wir hier skizziert haben, ist der Aus-gangspunkt ein Elementarintegral. Das Maß auf der σ-Algebra B der meßbaren Mengensteht am Ende der Konstruktion.In vielen Lehrbuchern geht man lieber von den Mengenfunktionen zum Integral. Da stelltsich zunachst einmal die Aufgabe, Maße zu konstruieren. Besonders interessant sind zweiWege, die auf C. Caratheodory (1914) zuruckgehen:

1) Ein Pramaß (auf einer Mengenalgebra) wird zu einem Maß (auf der erzeugtenσ-Algebra) fortgesetzt.

2) Aus einem”außeren Maß “ wird durch Einschrankung auf die σ-Algebra der

”Zerleger“ ein Maß herausdestilliert.

Besonders bequem wird die Integrationstheorie, wenn man die diffizileren Konstruktionenin Definitionen verpackt. Das macht man heute weithin in der elementaren Stochastik, umzu vermeiden, daß die begrifflichen Dinge von den analytisch-technischen Schwierigkeitenverdeckt werden.In der

”Mathematik fur Physiker“ herrschen andere Traditionen; die Techniken und die

analytischen Schwierigkeiten, mit denen die Physiker und Mathematiker im 18. und 19.Jahrhundert gekampft haben, sind unverandert ein integraler Bestandteil des Lehrpro-gramms. Die im 20. Jahrhundert erzielten begrifflichen Fortschritte dagegen werden mitSkepsis beaugt. Man plagt die Studierenden lieber mit technisch uberholten Schwierig-keiten, als mit den technisch ausgereiften modernen Problemlosungen, die abstraktereBegriffe benotigen.

Das Integral zu einem Wahrscheinlichkeitsmaß

Die fur das Rechnen wichtigen Satze der Integrationstheorie, die wir in der nachstenVorlesung prasentieren, kann man u.E. auf der Grundlage der folgenden Definitionen undKonstruktionen recht gut verstehen.

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Mathematik fur Physiker II 35

Definition

Ein Wahrscheinlichkeitsmaß µ(·) ist eine nichtnegative Mengenfunktion auf einer σ-Algebramit den Eigenschaften

(i) µ(∅) = 0 , µ(Ω) = 1

(ii) A ⊆ B =⇒ µ(A) ≤ µ(B)

(iii) µ(A ∪B) = µ(A) + µ(B)− µ(A ∩B)

(iv) A1 ⊆ A2 ⊆ . . . =⇒ µ(∞⋃Aj) = lim ↑ µ(Aj) .

Ein Wahrscheinlichkeitsmaß liefert ein Elementarintegral auf dem Vektorverband der A-Treppenfunktionen

f =∑

αj · 1Aj, I(f) =

∑αj · µ(Aj) .

Offenbar sind diese A-Treppenfunktionen genau diejenigen A-meßbaren reellwertigen Funk-tionen, die nur endlich viele Werte annehmen konnen. Die Funktion

G(λ) = µ(ω : f(ω) > λ

)fur λ ∈ R+

ist eine in endlich vielen Sprungen absteigende Treppenfunktion. Die Flache unter derKurve uber R+ kann als die Summe der Flachen von Rechtecken verstanden werden. Aneinem kleinen Diagramm uberzeugt man sich von der Gleichheit.

∞∫

0

G(λ)dλ =

∞∫

0

µ(ω : f(ω) > λ

)dλ = I(f+) .

Diese Gleichheit ubertragt sich auf den allgemeinen Fall; denn jede nichtnegative A-meßbare Funktion f(·) kann als aufsteigender Limes von Treppenfunktionen dargestelltwerden. (Eine probate Approximation entsteht z.B., wenn man f(·) auf die nachstkleinereDualzahl k

2n abrundet.) Man erhalt die monoton stetige Fortsetzung

Iσ(f+) =

∞∫

0

µ(ω : f(ω) > λ

)dλ .

Damit ist nun die Fortsetzung bereits erledigt. Fur jedes A-meßbare f(·) mit I(f+) <∞ , I(f−) < ∞ setzt man I(f) = I(f+) − I(f−). Die Monotonie und die Linearitatdieses Funktionals I(·) ubertragt sich (mit dem Prinzip der monotonen Approximation)von den Treppenfunktionen auf die Gesamtheit aller A-meßbaren integrablen Funktio-nen. Man muss allerdings zu Aquivalenzklassen integrabler Funktionen ubergehen, umdie

”punktweise“ Addition zu definieren. Der Vektorraum aller Aquivalenzklassen integ-

rabler Funktionen wird mit L1(Ω,A, µ) bezeichnet. Offensichtlich gilt der Satz von dermonotonen Konvergenz.

f1 ≤ f2 ≤ . . . lim ↑ I(fj) <∞ =⇒ I(lim ↑ fj) = lim ↑ I(fj) .

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36 Mathematik fur Physiker II

Normierte Vektorraume zu einem Maß

Der Raum L1(Ω,A, µ) wird durch die Norm

‖f‖1 := I(|f |)

zu einem normierten Vektorraum. Wir werden spater sehen, dass es sich um einen vollstandi-gen Vektorraum, also um einen Banachraum handelt.Ein interessanter Teilvektorraum ist der Vektorraum L2(Ω,A, µ) der f mit

‖f‖2 :=(I(|f |2)

)1/2<∞ .

Es handelt sich um einen Hilbertraum.In der Tat erhalt man fur jedes p ≥ 1 einen Banachraum Lp(Ω,A, µ). Seine Elementesind die Aquivalenzklassen p-integrabler A-meßbarer Funktionen. Die Norm ist ‖f‖p =(I(|f |p)

)1/p.

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Mathematik fur Physiker II 37

39. Vorlesung : Die wichtigsten Satze der Integrationstheorie

Wir haben, ausgehend von einem Elementarintegral auf einem Stone’schen Vektorver-band ein Funktional I(·) konstruiert. Zu I(·) gehort ein Maß µ(·) auf der σ-Algebra dermeßbaren Mengen. Wir haben die Notation eingefuhrt

I(f) =

∫fdµ ,

und wir haben gezeigt, dass man fur nichtnegative f dieses abstrakte Integral durch einklassisches Integral uber R+ ausdrucken kann.

∫f+dµ = I(f+) =

∞∫

0

µ(ω : f(ω) > λ

)dλ .

Diese Darstellung versteckt allerdings die fundamentale Tatsache, dass I(·) auf L1(Ω,A, µ)linear ist. Sie macht auf der anderen Seite die monotone Stetigkeit unmittelbar evident.Wir halten fest: Jede beschrankte meßbare Funktion ist integrabel. Jeder nichtnegativenmeßbaren Funktion kann man einen Integralwert zuordnen, wenn man auch den Inte-gralwert ∞ zulaßt. Eine meßbare numerische Funktion f ist nicht integrierbar, wennI(f+) = +∞ und I(f−) = +∞.Wir rekapitulieren :

Satz (”Satz von der monotonen Konvergenz“)

Sei h1 ≤ h2 ≤ . . . eine aufsteigende Folge meßbarer Funktionen mit I(h−1 ) <∞.

Dann gilt ∫(lim ↑ hn)dµ = lim ↑

∫hndµ .

Bemerke : Die Formulierung ist unsymmetrisch. Fur die Integrale kommt der Wert +∞in Betracht. Fur absteigende Folgen muss der Integralwert +∞ ausgeschlossen werden.Dieselbe Unsymmetrie herrscht auch beim folgenden Satz.

Satz (”Lemma von Fatou“)

Sei h1, h2, . . . eine Folge meßbarer numerischer Funktion, welche eine integrable Minorantebesitzt, d.h.

hj ≥ g mit I(g) endlich .

Es gilt dann ∫(lim inf hj)dµ ≤ lim inf

∫hjdµ .

Beweis :

Fur n = 1, 2, . . . definieren wir

gn := inf hm : m ≥ n .

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38 Mathematik fur Physiker II

Es gilt hj ≥ gj undlim inf hj = lim ↑ gn .

Der Satz von der monotonen Konvergenz liefert

I(lim inf hj) = lim ↑ I(gn) ≤ lim inf I(hn) q.e.d.

Beispiel

Sei f(x) = x1+x3 fur x ∈ R+ und

fn(x) = n · f(nx) =n2

1 + n3x3.

Wir studieren die Flache unter der Kurve uber [0, 1]. Die Folge fn(x) konvergiert punkt-weise nach 0; es handelt sich aber nicht um monotone (oder gleichmaßige) Konvergenz.Das Lemma von Fatou ist anwendbar und liefert die triviale Aussage

0 = I(lim inf fn) ≤ lim inf I(fn) .

Bemerkenswert ist aber, dass der untere Limes der Integrale hier echt positiv ist.

I(fn) =

1∫

0

fn(x)dx =

n∫

0

f(y)dy ↑∞∫

0

f(y)dy > 0 .

Der Bereich in [0, 1], welcher den wesentlichen Anteil zum Integral von fn(·) liefert, wirdsehr klein, wenn n→∞.

Satz (Satz von der dominierten Konvergenz)

Sei h1, h2, . . . eine Folge meßbarer Funktionen, welche fast uberall konvergiert.

lim inf hn(ω) = h(ω) = lim sup hn(ω) fast uberall

Wenn eine integrable Funktion h?(ω) existiert, sodass

|hn(ω)| ≤ h?(ω) fur alle n ,

dann gilt∫

(lim hn)dµ = lim

∫hndµ

und

∫|hn − h|dµ→ 0 .

Beweis

Wir konnen das Lemma von Fatou sowohl auf (hn)n, als auch auf (−hn)n anwenden. Furden fastsicheren Grenzwert h erhalten wir∫

hdµ ≤ lim inf

∫hndµ ,

∫hdµ ≥ lim sup

∫hndµ

also

∫hdµ = lim

∫hndµ .

Wir konnen das Argument auf |hn − h| anwenden und erhalten ‖hn − h‖1 → 0.

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Mathematik fur Physiker II 39

Satz(Vollstandigkeit von L1(Ω,A, µ)

)

Zu jeder Cauchy-Folge in L1 gibt es eine fastuberall konvergente Teilfolge und der fastsi-chere Limes ist auch Limes im L1-Sinn.

Zur Vorbereitung des Beweises beweisen wir zwei Hilfssatze.

Lemma (Lemma von Borel-Cantelli)

Wenn fur eine Folge von Mengen die Summe∑µ(An) endlich ist, dann ist ω : ω ∈

unendlich vielen An eine µ-Nullmenge.

Beweis

hn(ω) =∞∑m=n

1Anzahlt, in wievielen Am mit m ≥ n der Punkt ω liegt.

I(hn) =∞∑

m=n

µ(Am) .

Nach Voraussetzung gilt I(hn) ↓ 0. Also haben die hn fast uberall einen endlichen Wert.

Lemma

Sei h1, h2, . . . eine Folge reellwertiger Funktionen mit

µ(ω : |hn+1 − hn| ≥ αn

)< βn ,

wobei∑αn <∞ und

∑βn <∞ .

Dann ist die Folge fastuberall konvergent.

Beweis

Fur jedes n gilt

An :=ω : ∃m ≥ n : dist

(hm(ω), hn(ω)

)≥ αn + αn+1 + . . .

⊆ ⋃m≥n

ω : dist

(hm+1(ω), hm(ω)

)≥ αm

=⋃m≥n

Bm

wo∑m≥n

µ(Bm) ≤ ∑m≥n

βm <∞ .

Nach dem Lemma von Borel-Cantelli liegen fast alle ω in nur endlich vielen An.(hn(ω)

)n

ist also fur fast alle ω eine Cauchy-Folge.

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40 Mathematik fur Physiker II

Beweis der Vollstandigkeit

1. Zur gegebenen Cauchy-Folge wahlen wir eine Teilfolge(hn(ω)

)n, sodass das Lemma

anwendbar ist.Wir bemerken :

µ(ω : |hn+1(ω)− hn(ω)|

≥ αn

)≤ 1

αn· I(|hn+1 − hn|

).

Zu einer vorgegebenen summablen Folge α1 ≤ α2 ≤ . . . mussen wir die Teilfolge sodunn wahlen, dass

βn :=1

αn‖hn+1 − hn‖1

summabel ist.Nach dem Lemma existiert dann eine reelle Funktion h(ω), gegen die unsere Teilfolgefast uberall konvergiert. h(ω) = lim hn(ω) fast uberall.

2. |hn| ≤ |h1|+∞∑m=1

|hm+1 − hm| fur alle n.

Die rechte Seite hat ein endliches Integral. Nach dem Satz von der dominiertenKonvergenz gilt: ∫

|hn − h|dµ→ 0 .

3. Mit Hilfe der Dreiecksungleichung folgern wir∫|hn − h|dµ→ 0

auch fur die ursprungliche Cauchy Folge (hn)n.

Wahrscheinlichkeitsmaße auf der reellen Achse und Zufallsgroßen Wir rekapi-tulieren die Situation des Stieltjes-Integrals : Eine Verteilungsfunktion ist eine rechtsste-tige monotone Funktion F (x) mit F (−∞) = 0 , F (+∞) = 1.Ein solches f(·) liefert eine Elementarintegral auf dem Vektorverband E der elementarenTreppenfunktionen

E 3 f =∑αj1(aj ,bj ]

I(f) =∑αj[F (bj)− F (aj)

].

Das Funktional kann man nach Daniell fortsetzen. Wenn man auf die Indikatorfunktioneneinschrankt, dann erhalt man ein Wahrscheinlichkeitsmaß µ(·)

µ(B) = I(1B) fur B borelsch .

Eine borelmeßbare numerische Funktion h(·) ist genau dann integrabel, wenn

I(h+) <∞ und I(h−) <∞ .

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Mathematik fur Physiker II 41

In diesem Fall gilt I(h) = I(h+)− I(h−).

Die Stochastiker denken sich zu µ(·) oder F (·) eine Zufallsgroße X hinzu mit

Ws(X ≤ x) = F (x) , Ws(X ∈ B

)= µ(B) fur alle borelschen B .

Die Integrale bzgl. µ(·) interpretiert man als Erwartungswerte

Eh(X) =

∫hdµ .

Der einfachste Fall ist der, wo h(·) nur abzahlbar viele Werte annehmen kann

h(x) =∑

αj · 1Bj(x) mit

∑Bj = R .

Die Zufallsgroße h(X) nimmt den Wert αj an, wenn X einen Wert in Bj annimmth(X) = αj

= X ∈ Bj fur alle j

Eh(X) =∑αj ·Ws(X ∈ Bj) =

∑αjµ(Bj) =

∫hdµ .

Bei diesen unendlichen Summen kann es Schwierigkeiten mit der Summabilitat geben,wenn sowohl positive als auch negative αj vorkommen. Wenn

E|h(X)| =∑|αj| ·Ws(X ∈ Bj) <∞ ,

dann ist h(·) µ-integrabel.Betrachten wir weitere meßbare Funktionen h(·), wie z.B.h(x) = |x|, h(x) = x2, h(x) =eix. Die Erwartungswerte sind dann :

E|X| =∫|x|dµ(x) =

∫|x|dF (x)

EX2 =∫x2dµ(x) =

∫x2dF (x)

ϕ(t) = EeitX =∫eitxdµ(x) =

∫eitxdF (x) .

Beispiele

1. Die Standard-Cauchy-Verteilung

dF (x) =1

π

1

1 + x2dx

Ws(X ∈ (x, x + dx)

)=

1

π· 1

1 + x2dx .

Wir haben bereits fruher berechnet

E|X| =∞ , EX2 =∞ , ϕ(t) = exp(−|t|) fur t ∈ R .

2. Die Standard-Normalverteilung

dF (x) =1√2π

exp

(−1

2x2

)dx F (x) = Φ(x) (

”Fehlerfunktion“)

EX = 0 , EX2 = 1 , ϕ(t) = E exp(itX) = exp

(−1

2t2).

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42 Mathematik fur Physiker II

Satz

Sei µ(·) die Verteilung einer Zufallsgroße X mit E|X| <∞.Die charakteristische Funktion

ϕ(t) =

∫eitxdµ(x) = E exp(itX)

ist dann im Nullpunkt differenzierbar mit

1

iϕ′(0) =

∫x · dµ(x) = EX .

In diesem Fall gilt 1iϕ′(t) =

∫x · eitxdµ(x) fur alle t ∈ R.

Beweis :

Fur eine Nullfolge h1 ≥ h2 ≥ . . . betrachten wir

1

ih

[ϕ(h)− ϕ(0)

]=

∫1

ih

[eihx − 1

]dµ(x) =

∫gh(x)dx

gh(x) =1

ih

[eihx − 1

]; lim

h↓0gh(x) = x fur alle x ∈ R .

Der Satz von der dominierten Konvergenz ist anwendbar; denn die |gh(·)| sind durch dieintegrable Funktion x dominiert. (siehe Lemma)

Satz :

Wenn fur ein p ∈ N gilt E|X|p < ∞, dann ist die charakteristische Funktion p-maldifferenzierbar und es gilt

(1

i

)p· ϕ(p)(t) =

∫xp · eitxdµ(x) .

Zum Beweis (mit dem Satz von der dominierten Konvergenz) brauchen wir das

Lemma :

Fur n = 1, 2, 3, . . . und t > 0 gilt∣∣∣∣eit − 1− it

1!− . . .− (it)n−1

(n− 1)!

∣∣∣∣ ≤tn

n!

Beweis durch vollstandige Induktion nach n.Fur die Funktionen ρ1(t) , ρ2(t) , . . ., deren Absolutbetrag hier abgeschatzt wird, ha-

ben wir

ρ1(t) = eit − 1 = i ·t∫

0

eixdx

ρn(t) = i ·t∫

0

ρn−1(x)dx

|ρn−1(x)| ≤ xn

n!=⇒ |ρn(t)| ≤

t∫0

xn

n!dx = t(n+1)

(n+1)!q.e.d.

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Mathematik fur Physiker II 43

Hinweis :

Grob gesagt gilt : Je kurzer die Schwanze der Verteilung, desto glatter die charakteristi-sche Funktion.Der genaue Zusammenhang zwischen dem Schwanzverhalten der Verteilung und der Glatt-heit der charakteristischen Funktion ist aber nicht ganz einfach. Die Bedingung E|X| <∞ist nicht notwendig fur die einmalige Differenzierbarkeit. Die Bedingung EX2 <∞ dage-gen ist notwendig und hinreichend fur die zweimalige Differenzierbarkeit.(Siehe Feller : An Introduction to Probability Theory and its Application, Vol II, XV 4und XVII 1 .)

Hinweis :

Viele elementare Lehrbucher der Analysis diskutieren die”Differentiation eines bestimm-

ten Integrals nach einem Parameter“.

d

dy

b∫

a

G(x, y)dx?=

b∫

a

G2(x, y)dx .

Warnung : Die Differentiation unter dem Integralzeichen ist nicht immer erlaubt. Eskommt darauf an, dass fur jedes y die Funktionenschar

gh(x) =1

h

[G(x, y + h)−G(x, y)

]

durch eine integrable Funktion g(x) dominiert ist.

Beispiel :

Bei der Gamma-Funktion geht alles glatt :

d

∞∫

0

xα−1 · e−xdx =

∫(`nx) · xα−1 · e−xdx fur alle α ∈ R+ .

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44 Mathematik fur Physiker II

40. Vorlesung : Der Satz von Fubini und der Satz von Radon-

Nikodym

Im einfachsten Fall handelt der Satz von Fubini (1907) von Doppelintegralen bzgl. desFlachenmaßes im R2 : Die Aussage

∫ ∫f(x, y)dxdy =

∫ [∫f(x, y)dy

]dx =

∫ [∫f(x, y)dx

]dy

gilt fur alle nichtnegativen borelmeßbaren f(·, ·).Genauer gesagt :Wenn f(·, ·) ≥ 0 im R2 borelmeßbar ist, dann ist f(x, ·) fur alle x borelmeßbar (aufR). Weiterhin gilt : Das Integral g(x) :=

∫f(x, y)dy hangt in borelmeßbarer Weise von

x ab (der Wert +∞ ist erlaubt). Schließlich gilt : Das Integral von g(·) ist gleich demDoppelintegral. Die Reihenfolge der Variablen x, y kann man vertauschen.

Satz (”Satz von Fubini“)

(Ω1,B1) und (Ω2,B2) seien meßbare Raume. B1 ⊗B2 sei die σ-Algebra uber Ω1 × Ω2,welche von den Rechtecken B1 × B2 erzeugt wird. µ1 sei ein Wahrscheinlichkeitsmaß aufB1; µ2 sei ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf B2.

a) Dann existiert genau ein Wahrscheinlichkeitsmaß µ(·) auf B1 ⊗B2 mit

µ (B1 × B2) = µ1 (B1) · µ2 (B2) fur alle B1, B2 .

b) Fur jede nichtnegative B1 ⊗B2-meßbare Funktion f(·, ·) ist

g(ω1) :=

∫f(ω1, ω2)dµ2

eine B1-meßbare Funktion, und es gilt∫fdµ =

∫gdµ1 =

∫ (∫f(ω1, ω2)dµ2

)dµ1 .

Beweisskizze

1. Die Gesamtheit derjenigen f(·, ·) fur welche alle f(ω1, ·) meßbar sind, ist stabilgegenuber der Bildung von monoton aufsteigenden und monoton absteigenden Li-miten. Sie enthalt die Menge aller Treppenfunktionen

∑αj · 1Rj

wobei die Rj Rechtecke sind.

Sie umfaßt daher die Gesamtheit aller numerischen B1 ⊗B2-mebaren Funktionen.Anders gesagt: Fur jede B1⊗B2-meßbare Funktion ist f(ω1, ·) fur alle ω1 B2meßbar.

2. Die Gesamtheit derjenigen nichtnegativen B1⊗B2-meßbaren f(·, ·), fur welche gilt∫fdµ =

∫ (∫f(ω1, ω2)dµ2

)dµ1 <∞

umfaßt die Gesamtheit aller Treppenfunktionen. Sie ist (nach dem Satz von dermonotonen Konvergenz) stabil gegenuber der Bildung monotoner Limiten.Die Gleichung gilt also fur alle µ-integrablen nichtnegativen f(·, ·).

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Mathematik fur Physiker II 45

Hinweis :

Das schrittweise Ausintegrieren ist ein wichtiges Prinzip. Die Wahrscheinlichkeitstheore-tiker benutzen es auch fur Maße, die keine Produktmaße sind. Es geht dort um bedingteErwartungswerte und um stochastische Ubergangskerne (

”regulare bedingte Wahrschein-

lichkeiten“).

Unbestimmte Integrale

In der elementaren Differential- und Integralrechnung auf einem Intervall (a, b) kennt manauch den Begriff des unbestimmten Integrals. Die Flache unter der Kurve f(·) uber demIntervall [x, x] wird als Funktion von x studiert

F (x) =

x∫

x

f(y)dy =

∫1[x,x](y)f(y)dy .

(Fur x < x ist F (x) das Negative der Flache).

Fur nichtnegatives f(·) mitb∫a

f(y)dy = 1 ist F (·) isoton und man kann zu F (·) − F (a)

das Stieltjes-Integral konstruieren.

µ(B) =

∫1B(y)dF (y) =

∫1B(y)f(y)dy fur B borelsch .

Diese Mengenfunktion µ(·) heißt in der modernen Maßtheorie das Unbestimmte Integralvon f(·) bzgl. des Lebesque-Maßes auf (a, b).

Allgemeiner definiert man

Definition

Sei (Ω,B, ν) ein Wahrscheinlichkeitsraum und f ≥ 0 mit∫fdν <∞.

Die Mengenfunktion

µ(B) =

∫1B(ω) · f(ω) · dν(ω) fur B ∈ B

heißt das Unbestimmte Integral von f(·) bgl. ν(·).Man notiert

dµ(·) = f(·) · dν(·)und auch

f(·) = dµdν

(·) ν-fast uberall .

(Der Zusatz”ν -fast uberall“ ist notig, weil der Integrand f(·) durch die Mengenfunk-

tion µ(·) nur bis auf eine ν-Nullfunktion bestimmt ist.) f(·) heißt die Radon-Nikodym-Ableitung von µ(·) bzgl. ν(·). Es handelt sich um eine Aquivalenzklasse ν-integrablerFunktionen.

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46 Mathematik fur Physiker II

Bemerke : Wenn f auch negative Werte annehmen kann, dann ist das unbestimmteIntegral eine sog. Ladungsverteilung.

ρ(B) = ρ+(B)− ρ−(B) =

∫f+dν −

∫f−dν .

Der Satz von Radon-Nikodym charakterisiert die unbestimmten Integrale.

Satz (Radon-Nikodym, 1930)

(Ω,B, ν) sei ein Wahrscheinlichkeitsraum. Ein endliches Maß µ(·) auf B ist genau dannein unbestimmtes Integral, wenn µ bzgl. ν totalstetig ist, d.h. wenn gilt :

∀ε > 0 ∃δ > 0 ∀B ∈ B ν(B) < δ =⇒ µ(B) < ε .

Hinweis

Totalstetigkeit (oder Absolutstetigkeit ) von µ bzgl. ν kann auch noch knapper definiertwerden, namlich

µ totalstetig bzgl. ν ⇐⇒ ∀B ∈ B ν(B) = 0⇒ µ(B) = 0 .

(”Jede ν-Nullmenge ist auch µ-Nullmenge“.)

Es gibt eine ganze Reihe von Beweisen, die lohnende Einsichten vermitteln; sie wurdenhier aber zu weit fuhren. Der allgemeine Satz von Radon-Nikodym war ein entscheidenderImpuls fur die Grundlegung der Wahrscheinlichkeitstheorie von A.N. Kolmogorov (1933).Die Theorie der bedingten Erwartungswerte ist ein Herzstuck dieser Grundlegung; unddie bedingten Erwartungen sind nichts anderes als Radon-Nikodym Ableitungen.

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Mathematik fur Physiker II 47

Teil VIII : Differenzierbarkeit

Die Theorie der Differenzierbarkeit ist nicht so ubersichtlich wie die Theorie der Integra-tion. Auch wenn man sich nicht mit Singularitaten befassen will, ist sie belastet mit denbegrifflichen Schwierigkeiten um den Funktionsbegriff, mit welchen die Mathematiker des19. Jahrhunderts von Cauchy bis Weierstraß gekampft haben.Wir zielen vor allem auf eine Theorie der glatten Mannigfaltigkeiten. Im Zentrum die-ser Theorie stehen die glatten Funktionen (und die daraus abgeleiteten Differentialfor-men) und (dual dazu) die glatten Kurven- bzw. Flachenstucke. Wir mussen klaren, wasstetige Differenzierbarkeit bedeutet und zwar nicht nur im (von der Schule her bekann-ten) Fall der Funktionen auf einem Intervall. Die ersten Begriffe sind Gradient, Jacobi-Matrix und Hesse-Matrix. Sie werden in der 41. Vorlesung abgehandelt, die Kurven- undFlachenstucke erscheinen in der 45. Vorlesung.Eine Theorie der Differentiation, welche sich auf diese

”geometrischen“ Themen konzen-

triert, ware aber recht unvollstandig. Die Differenzierbarkeit ist seit der Erfindung desCalculus eng mit der Integration verbunden (

”Fundamentalsatz der Differential- und In-

tegralrechnung“). Diese Verbindung hat sich aber im 20. Jahrhundert als problematischerwiesen. Die Integrationstheorie seit 1900 hat gezeigt, dass die absolutstetigen Funk-tionen ebenso bedeutungsvoll sind wie die stetig differenzierbaren Funktionen. UnsereVersion des Taylor’schen Satzes in der 42. Vorlesung bringt das zum Ausdruck.Die 43. Vorlesung verallgemeinert den Taylor’schen Satz auf hohere Dimensionen, dabeikommen wir auf Multiindizes zu sprechen und auf Tensoren dritter Stufe.Die 44. Vorlesung kann technisch gelesen werden, als eine Ubungssequenz zu den ThemenGradient, Jacobi-Matrix und Hesse-Matrix. Sie ruhrt aber auch an interessante Themender Stochastik: kumulantenerzeugende Funktionen und getiltete Maße im Rd.Parametrisierte Flachenstucke sind begrifflich etwas ganz anderes als zweidimensionaleMannigfaltigkeiten; sie spielen auch eine ganz andere Rolle in der Differentialgeometrie,insbesondere bei der Integration von Differentialformen. Gewissen elementaren Beispielenvon Kurven und Flachen kann man aber beide Aspekte abgewinnen. Das ist das Themader 45. Vorlesung. Den zum Standpunktwechsel gehorenden allgemeinen Satz von der im-pliziten Funktion stellen wir zuruck.In den Vorlesungen 46, 47, 48 kummern wir uns nicht mehr um Glattheit, wir betrachtendie Glattheit als gegeben.Der Begriff der Mannigfaltigkeit, den wir in der 46. Vorlesung definieren ist (nach Mei-nung von Experten) fur Analysis und Geometrie ebenso wichtig wie die Begriffe Gruppeund Vektorraum fur die Algebra. Was fur Gruppen die Isomorphie ist, ist fur glatte Man-nigfaltigkeiten die Diffeomorphie.Mannigfaltigkeiten haben in jedem Punkt einen Tangentialraum, der Dualraum heißt derCotangentialraum. Tangentialvektorfelder und Covektorfelder werden uns spater ausfuhr-lich beschaftigen. In der 47. Vorlesung klaren wir schon einmal ihre Darstellung in lokalenKoordinaten. Zum Abschluß des Abschnitts uber Differenzierbarkeit (48. Vorlesung) be-handeln wir Extrema mit Nebenbedingungen mit Hilfe der Lagrange-Multiplikatoren. Inder 49. Vorlesung wurde wiederholt und geubt. Der Teil IX (Lineare Algebra) beginnt inder 50. Vorlesung.

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48 Mathematik fur Physiker II

Themenubersicht

41. Vorlesung : Differenzierbarkeit in einem Punkt. Seite 50Gradient, partielle Ableitungen, Richtungsableitungen, Jacobi-Matrix. Kettenregel. Kom-plexe Differenzierbarkeit. Hinweis auf die Cauchy-Riemann’schen Differentialgleichungen.

42. Vorlesung : Absolutstetigkeit und Taylor-Formel mit Restglied. Seite 55Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung. Stetige Differenzierbarkeit impli-ziert Absolutstetigkeit. Differenzierbarkeit in jedem Punkt ist weder notwendig noch hin-reichend fur die Absolutstetigkeit. Taylor-Formel mit Restglied.

43. Vorlesung : Partielle Ableitungen und Taylor-Formel im Rd. Seite 61Funktionen mit stetigen partiellen Ableitungen der Ordnung ≤ p. Als Abschwachung :p-fache Absolutstetigkeit. Die Hesse-Matrix ist symmetrisch.

F (x) = F (x) + F ′(x)(x− x) +1

2(x− x)TH · (x− x)T + o(‖x− x‖2) .

Multiindizes.

F (x) =∑

|α|≤p

1

α!(DαF ) (x) · (x− x)α + o (|x− x‖p) .

Das System der Ableitungen der Ordnung N als ein covarianter symmetrischer Tensorder Stufe N .

F (x) = F (x) +∑ai (x

i − xi) + 12!

∑aij (xi − xi) (xj − xj) +

+ 13!

∑aijk (xi − xi) (xj − xj)

(xk − xk

)+ o (‖x− x‖3) .

44. Vorlesung : Runde konvexe Funktionen. Seite 68Wenn die konvexe Funktion k(·) und ihre Legendre-Transformierte φ(·) zweimal stetigdifferenzierbar sind, dann sind k′(·) und φ′(·) zueinander inverse Abbildungen und es gilt

k(φ′(ϑ)

)= ϑ · φ′(ϑ)− φ(ϑ)

φ(k′(x)

)= k′(x) · x− k(x) .

Kumulantenerzeugende Funktionen als runde konvexe Funktionen. Die Gamma-Funktionist auf (0,∞) logarithmisch konvex.

45. Vorlesung : Glatte Kurvenstucke, glatte Flachenstucke Seite 74

Parametrisierte Kurven im R3; der Tangentialvektor zur Zeit t als eine 3-Spalte. Um-parametrisieren. Doppelpunktfreie Kurven mit nicht verschwindendem Tangentialvektor.Parametrisierte Flachenstucke.Beispiele: Ellipse, Lemniskate, Torus, Sphare. Kugelkoordinaten.

46. Vorlesung : Mannigfaltigkeiten Seite 80

Lokale Koordinatisierbarkeit. Zerlegung der Eins. Diffeomorphie. Beispiele. Jede zusam-menhangende kompakte eindimensionale Mannigfaltigkeit ist diffeomorph zur Kreislinie.Die 2-Sphare, der Zylinder und der 2-Torus.

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Mathematik fur Physiker II 49

47. Vorlesung : Koordinatenwechsel, Tangential- und Covektoren Seite 83

Funktionalmatrix des Koordinatenwechsels. Tangentialvektoren als Spalten, Covektorenals Zeilen. Differentiale als spezielle Covektorfelder.

48. Vorlesung. Extrema mit Nebenbedingungen Seite 88

Extrema mit Nebenbedingungen. Lagrange-Multiplikatoren. Beispiele. Quadratische Funk-tionen und Eigenvektoren, Legendre-Transformation, Gibbs-Verteilungen, die Lagrange-Gleichungen zur Punktmechanik.

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50 Mathematik fur Physiker II

41. Vorlesung : Differenzierbarkeit in einem Punkt

Es geht hier um reellwertige Funktionen F (·), die in einer offenen Umgebung U einesPunktes P = (x1, . . . , xd)

T ∈ Rd definiert sind.Ein m-Tupel solcher Funktionen verstehen wir als eine Abbildung der d-Spalten aus U inden Raum Rm der m-Spalten

F (·) =

F (1) (x1, . . . , xd). . .F (m) (x1, . . . , xd)

: Rd ⊇ U −→ Rm .

(Die Koordinatentupel und die Verschiebungen v = P − P im Rd sind als Spalten zuverstehen!)

Definition

Die F (·) heißt in P differenzierbar mit dem Gradienten a, wenn gilt

f(P ) = F (P ) + a ·(P − P

)+ o

(‖P − P‖

)fur P → P .

Der Gradient a ist eine d-Zeile oder abstrakt eine Linearform auf dem Vektorraum V derVerschiebungen.Fur v ∈ V heißt der Wert der Linearform die Richtungsableitung von P in der Richtungv. Diese Bezeichung ist nahegelegt durch

F (P + t · v) = F (P ) + t · (av) + o(|t|) .

Die Eintrage in die Zeile a heißen die partiellen Ableitungen von F (·) im Punkt P ; Mannotiert

aj =∂F

∂xj(P ) .

Definition

Die Funktion F (·) heißt in U stetig differenzierbar, wenn F (·) in jedem P ∈ U diffe-renzierbar ist und der Gradient in U stetig ist.

Bemerkungen

1. Wir werden spater sehen: die Stetigkeit der partiellen Ableitungen

Fj(·) =∂

∂xjF (·) j = 1, . . . , d , in U ,

ist notwendig und hinreichend fur die stetige Differenzierbarkeit von F (·).

2. Die Existenz der partiellen Ableitungen in einem einzelnen Punkt P ist aber nichthinreichend fur die Differenzierbarkeit in P .

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Mathematik fur Physiker II 51

3. Beispiel : F (x, y) = x·y√x2+y2

ist im Nullpunkt stetig aber nicht differenzierbar. Die

Richtungsableitung existiert fur jede Richtung v; die Richtungsableitungen fugensich aber nicht zu einer Linearform zusammen.

Mit stetiger Differenzierbarkeit beschaftigen wir uns in den nachsten Vorlesungen. Hiergeht es zunachst einmal nur um die Differenzierbarkeit in einem Punkt, d.h. um dieApproximierbarkeit von F (·) durch eine affine Funktion.

Definition (Jacobi-Matrix)

F (1)(·), . . . , F (m)(·) seien differenzierbar in P ∈ Rd.Fur die m-Spalte mit den Eintragen F (i)(·) gilt also

F (P ) = F (P ) + J ·(P − P

)+ o

(‖P − P‖

)fur P → P .

Die Matrix J heißt dann die Jacobi-Matrix der Abbildung F (·) im Punkt P .(Man schreibt auch J = F ′(P ).

)

Bemerke

Die i-te Zeile von J = F ′(P ) ist der Gradient der Funktion F (i)(·). Die j-te Spalte von Jist die j-te partielle Ableitung von F . (Man notiert sie DjF .)

Hinweise

1. In weiten Bereichen der physikalischen Literatur achtet man sehr genau darauf, wodie Indizes notiert werden. Die Koordinaten sind x1, . . . , xd. Die Eintrage in derJacobi-Matrix sind

J ij =∂F (i)

∂xji = 1, . . . , m ; j = 1, . . . , d .

Die Approximationsformel erhalt die Form

F (i)(x) = F (i) (x) +∑

j

J ij(xj − xj

)+ o (‖x− x‖) .

2. In diesem Kontext wird die Jacobi-Matrix als ein Tensor bezeichnet, der einfachcovariant und einfach kontravariant ist. Das Summenzeichen wird meistens sogarweggelassen; nach der

”Einsteinkonvention“ ist namlich uber einen Index j, der

sowohl oben als auch unten vorkommt, stets zu summieren.

3. Die Hesse-Matrix, die wir spater kennen lernen werden, ist dagegen ein zweifachcovarianter Tensor. Die Eintrage sind die zweiten partiellen Ableitungen einer Funk-tion F (·) im Punkt P .

hij =∂2F

∂xi∂xj(P ) .

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52 Mathematik fur Physiker II

Die Hesse-Matrix benotigt man fur eine quadratische Approximation

F (P ) = F (P ) + F ′(P )(P − P ) + 12(P − P )TH · (P − P ) + o(‖P − P‖2)

= F (P ) +∑j

aj · (xj − xj) + 12

∑i,j

hij · (xi − xi)(xj − xj) + o(‖x− x‖2) .

Bedingungen, unter welchen eine solche Approximation zweiter Ordnung moglich ist, wer-den wir spater kennen lernen

Hier wollen wir die lineare Abbildung studieren, welche den Verschiebungen v imUrbildraum Verschiebungen im Bildraum Rm zuordnet. (Man nennt sie manchmal dieJacobi-Abbildung zum Punkt P .) v 7→ Jv

F (P + εv) = F (P ) + ε · Jv + o(ε) fur alle v ∈ V .

Satz (”Kettenregel“)

F (·) sei differenzierbar in P , G(·) sei differenzierbar in Q = F (P ). Die zusammengesetzteAbbildung H(·) = G

(F (·)

)ist dann differenzierbar in P mit

H ′(P ) = G′(Q) · F ′(P ) .

Beweis

Wenn Q genugend nahe an Q liegt, dann gilt

‖G(Q)−G′(Q) · (Q− Q)‖ ≤ ε · ‖Q− Q‖ .

Wenn P genugend nahe an P liegt, dann liegt der Bildpunkt F (P ) ausreichend nah beiQ; wenn wir noch naher bei P bleiben, dann haben wir auch

‖F (P )− F (P )− F ′(P )(P − P )‖| ≤ ε · ‖P − P‖ .

Somit gilt

H(P )−H(P ) = G(F (P ))−G(F (P ))

= G′(Q) ·[F (P )− F (P )

]+R1(P )

= G′(Q) ·[F ′(P ) · (P − P ) +R2(P )

]+R1(P )

= G′(Q) · F ′(P ) · (P − P )−R3(P )

mit ‖R3(P )‖ ≤ (1 + c) · ε‖P − P‖ ,

wo c die Norm der linearen Abbildung G′(Q) ist.

Bemerkung (”Produktregel“)

Im Schulunterricht sieht es manchmal so aus, als ware die Produktregel ein ebenburtigerVerwandter der Kettenregel. Das ist aber ein Irrtum, der sich im Rahmen der Differen-tiation mit mehreren Variablen aufklart. Seien f(x) und g(x) differenzierbar im Intervall(a, b). Das Produkt h(x) = f(x) · g(x) ergibt sich, wenn man die Funktion

G

(u

v

)= u · v auf die Spalte

(f(x)

g(x)

)anwendet.

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Mathematik fur Physiker II 53

Die Jacobi-Matrix fur G(·) ist der Gradient

(G1, G2) = (v, u), im Bildpunkt also =(g(x)

), f((x)).

Somit liefert die Kettenregel h′(x) = (G1, G2)(f ′(x)g′(x)

)= g(x) · f ′(x) + f(x) · g′(x).

Hinweis : Die Produktregel ist allerdings mit dieser einfachen Bemerkung keineswegsabgetan. Sie spielt in anderen Formen und Zusammenhangen eine wichtige Rolle. (Stich-wort:

”Derivation in einer Algebra“.)

Definition (Komplexe Differenzierbarkeit)

Die komplexwertige Funktion f(·) sei in einer Umgebung von z ∈ C definiert und in zstetig. Man sagt, f(·) sei im Punkt z komplex differenzierbar, wenn eine komplexe Zahla = α+ iβ existiert, so dass

f(z) = f (z) + a · (z − z) + o (‖z − z‖) fur z → z .

Die komplexe Zahl a heißt die (komplexe) Ableitung von f(·) im Punkt z. Man notiert

a = f ′ (z) .

Bemerke : Im Falle a 6= 0 bildet f(·) die Umgebung von z lokal ahnlich wie eineDrehstreckung auf eine Umgebung von f (z) ab.

Beispiele

1. Jedes Polynom p(z) ist in jedem Punkt komplex differenzierbar.

2. Wenn eine Potenzreihe

ao + a1 (z − z) + a2 · (z − z)2 + . . .

in einem Kreis z : |z − z| < R konvergiert, dann ist die dargestellte Funktion injedem Punkt des offenen Kreises komplex differenzierbar. Eine Funktion in einemGebiet G ⊆ C, die in jedem Punkt komplex differenzierbar ist, wird eine holomor-phe Funktion genannt. Holomorphe Funktionen sind der Gegenstand der komplexenFunktionentheorie.

3. Quotienten von Polynomen heißen gebrochenrationale Funktionen. Eine gebrochen-rationale Funktion ist in jedem Punkt, der nicht Nullstelle des Nenners ist, komplexdifferenzierbar.Man kann die komplexen Zahlen als Punkte im R2 auffassen: z = x+ iy.Eine komplexwertige Funktion auf G ⊆ C bildet einen Teibereich von R2 in den R2

ab.f(z) = f(x+ iy) = u(x, y) + i · v(x, y) .

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54 Mathematik fur Physiker II

Satz :

Sei f(x) in z komplex differenzierbar mit f ′ (z) = a = α+ iβ. Dann sind u(·, ·) und v(·, ·)in x+ iy differenzierbar und die Jacobi-Matrix hat die Gestalt

J =

(ux uyvx vy

)=

(α −ββ α

).

Beweis

a ·((x− x) + i (y − y)

)=[α (x− x)− β (y − y)

]+ i[α (y − y)− β (x− x)

](u

v

)(x, y) =

(u

v

)(x, y) +

(α −ββ α

)(x− xy − y

)+ o (|z − z|)

Corollar

Fur Real- und Imaginarteil einer in jedem Punkt eines Gebiets G ⊆ C komplex differen-zierbaren Funktion gelten die Beziehungen

ux = vy , uy = −vx

(”Cauchy-Riemann’sche Differentialgleichungen“)

Daraus ergibt sich die Harmonizitat von u(·) und v(·)

uxx + uyy = 0 ; vxx + vyy = 0 .

Hinweis

In der Tradition von Cauchy und Riemann hat man im 19. Jahrhundert die komplexeFunktionentheorie auf diese Gleichungen gestutzt; man spricht heute vom geometrischenZugang, weil die Idee der lokalen Drehstreckung im Vordergrund steht.Dem setzte Weierstraß seinen

”algebraischen“ Zugang entgegen. Hierbei sind Funktionen

stets durch lokal konvergente Potenzreihen gegeben.Glucklicherweise hat sich die Weierstraß’sche Funktionentheorie etwa um 1900 als inhalt-lich aquivalent erwiesen mit der Theorie, die sich auf die punktweise komplexe Differen-zierbarkeit stutzt.E. Goursat (1858-1936) bewies, dass jede Funktion, die in einer Umgebung von zo komplexdifferenzierbar ist, unendlich oft differenzierbar ist und sogar in einem (genugend kleinen)Kreis durch eine konvergente Potenzreihe dargestellt werden kann.Das Argument von Goursat wird uns spater beschaftigen, wenn wir die exakten 1-Formenstudieren. Zuerst mussen wir uns aber noch genauer mit der Differenzierbarkeit im Sinneder reellen Analysis beschaftigen.

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Mathematik fur Physiker II 55

42. Vorlesung : Absolutstetigkeit und Taylor-Formel mit Rest-

glied

Wir beschaftigen uns mit reellwertigen Funktionen auf einem Intervall (a, b).

Definition

a) F (·) heißt stetig differenzierbar auf (a, b), wenn F (·) in jedem Punkt x ∈ (a, b)differenzierbar ist und die Ableitung stetig ist.

b) F (·) heißt absolutstetig auf (a, b) , wenn eine uber jedes kompakte Teilintervallintegrable Funktion f(·) existiert, sodass

F (x1)− F (xo) =

x1∫

xo

f(v)dv fur alle xo, x1 ∈ (a, b) .

Sprechweisen

1. Im Fall b) sagen wir auch, F (·) sei die Stammfunktion von f(·).(F (·) ist durch

f(·) bis auf eine additive Konstante bestimmt.)

Wir sagen auch, F (·) sei das unbe-stimmte Integral von f(·). Unbestimmte Integrale und Stammfunktionen sind alsohier fur uns dasselbe. In manchen Lehrbuchern ist das anders.

2. Wenn man an den Satz von Radon-Nikodym denkt, dann versteht man auch, dassf(·) die Radon-Nikodym-Ableitung zu F genannt wird; man notiert

dF

dx= f(·) (Lebesgue-fast uberall)

(f(·) ist durch F (·) bis auf eine Lebesgue-Nullfunktion festgelegt.

)

f(·) wird auch der Integrand zu F (·) genannt.

3. Wir sagen, die Radon-Nikodym-Ableitung von F (·) sei stetig im Punkt x(mit dem

Wert f (x)), wenn es eine in x stetige Version des Integranden gibt.

Beispiele

1. Die Funktion |x| (auf R) ist totalstetig. Der Integrand heißt die Signum-Funktion.

d|x|dx

= signx =x

|x| (Lebesgue-fast uberall)

Der Integrand ist in allen x 6= 0 stetig.

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56 Mathematik fur Physiker II

2. k(·) sei auf (a, b) endliche konvexe Funktion. k(·) ist dann absolutstetig. Die rechts-seitige (linksseitige) Ableitung ist eine isotone Funktion. Sie ist oberhalbstetig (un-terhalbstetig). Man sieht leicht

k (x2)− k (x1) =

x2∫

x1

k′(u)du fur alle x1, x2 .

(Auf die abzahlbar vielen Stellen wo k′ moglicherweise nicht existiert, kommt esnicht an.)

3. k(·) sei zweimal stetig differenzierbar in einer Umgebung des Nullpunkts mit

k(0) = 0 , k′(0) = 0 , k′′(0) = C2 > 0 .

In einer genugend kleinen Umgebung von 0 existiert genau eine isotone Funktiona(x) mit

1

2a2(x) = k(x) , d. h. a(x) = ±

√2k(x) .

Man kann sich uberlegen, dass a(·) stetig differenzierbar ist. Außerhalb des Null-punkts ist das klar. Es kommt also darauf an, nachzuweisen

a′(x) =|k′(x)|√2k(x)

→ C fur x→ 0 .

Das besorgt man schnell mit Hilfe der Taylor-Formel mit Rest (siehe unten!)

4. Die folgende Funktion ist in jedem Punkt x differenzierbar; sie ist aber nicht abso-lutstetig.

F (x) =1

2x2 · sin 1

x2.

Die Ableitung im Nullpunkt verschwindet. Fur x 6= 0 gilt

F ′(x) = x · sin 1

x2− 1

x· cos

1

x2= : f(x) .

Die Funktion f(·) ist nicht integrabel.

+ε∫

−ε

f+(x)dx =∞ =

+ε∫

−ε

f−(x)dx .

F (·) ist also nicht absolutstetig.

5. Es gibt stetige monotone Funktionen, die nicht absolutstetig sind. Man denke andie Cantor-Funktion. Sie ist ubrigens in jedem Punkt außerhalb des Cantor’schenDiskontinuums (einer Lebesgue-Nullmenge) differenzierbar mit der Ableitung = 0.

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Mathematik fur Physiker II 57

Satz (”Fundamentalsatz der Differential- und Integralrechnung“)

Jede stetig differenzierbare Funktion F (·) auf (a, b) ist absolutstetig. Fur den stetigenIntegranden f(·) gilt

1

h

[F (·+ h)− F (·)

]→ f(·)

gleichmaßig auf jedem Kompaktum ⊆ (a, b).

Beweis

1. Sei f(·) stetig auf (a, b), x ∈ (a, b) und

F (x) =

x∫

x

f(v)dv .

(Die Vorzeichenkonvention fur x > x ist aus der Schule bekannt.) Da f(·) auf jedemKompaktum gleichmaßig stetig ist, haben wir fur x ∈ Kompaktum, hn < δ.

|fn(x)− f(x)| ≤

∣∣∣∣∣∣1

hn·x+hn∫

x

|f(v)− f(x)|dv

∣∣∣∣∣∣≤ ε .

2. Wir haben somit gesehen, dass das unbestimmte Integral einer stetigen Funktionstetig differenzierbar ist. Es stellt sich die Frage, ob es noch weitere stetig differen-zierbare Funktionen F (·) gibt. Wir konnen von F (·) das unbestimmte Integral der(stetigen!) Ableitung f(·) abziehen und mussen dann fragen:Gibt es außer den Konstanten noch weitere stetig differenzierbare Funktionen F (·),die in jedem (!) Punkt x die Ableitung 0 haben? Die Antwort ist Nein.

3. Dies sieht man leicht mit Hilfe eines Arguments, welches auf Michel Rolle (1652-1719) zuruckgeht:Sei f(·) stetig im kompakten Intervall [a, b] und differenzierbar in einem Punkt ξ,in welchem f(·) maximal (oder minimal) ist, dann gilt f ′(ξ) = 0. Weder eine striktpositive noch eine strikt negative Ableitung ist kompatibel mit der Annahme, dassf(·) in ξ einen Extremwert einnimmt. Rolle betrachtete es wohl als selbstverstand-lich, dass das Maximum angenommen wird.Verallgemeinerung : Sei f(·) in [a, b] stetig. Wenn f(·) differenzierbar ist in einemPunkt ξ, wo

f(x)− f(b)− f(a)

b− a · x

extremal ist, dann gilt

f ′(ξ) =f(b)− f(a)

b− a

Corollar

Wenn f(·) in allen Punkten ξ ∈ (a, b) differenzierbar ist mit f ′(ξ) = 0, dann ist f(·)konstant.

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58 Mathematik fur Physiker II

Didaktische These

Der Begriff der in jedem Punkt differenzierbaren reellen Funktion ist ein unglucklicherZwitter. Die Tatsache, dass Satze wie der Satz von Rolle und der traditionelle Mittel-wertsatz der Differentialrechnung die Differenzierbarkeit in jedem Punkt, aber nicht diestetige Differenzierbarkeit voraussetzen, ist u.E. kein guter Grund, mit diesem Begriff zuarbeiten.Im Kontext der Differential- und Integralrechnung sind u.E. einerseits die k-mal stetigdifferenzierbaren und andererseits die k-mal absolutstetigen Funktionen von Interesse.

Bezeichnung

1. Mit C(Ω) bezeichnet man weithin die Menge aller stetigen reellwertigen Funktionenauf Ω.

2. Wenn M eine Mannigfaltigkeit ist, dann schreibt man auch C ()(Ω). C(k)(Ω) be-zeichnet die Menge aller k-mal stetig differenzierbaren Funktionen. Die Elementevon C(k)(Ω) nennt man auch die k-glatten Funktionen auf der Mannigfaltigkeit M .Zum allgemeinen Fall glatter Mannigfaltigkeiten kommen wir spater.

3. Hier wollen wir nur festhalten: C(k)((a, b)

)bezeichnet die Menge aller k-mal stetig

differenzierbaren Funktionen auf dem offenen Intervall (a, b).

4. Wir nennen eine Funktion f(·) auf (a, b) k-mal absolutstetig, wenn sie (k − 1)-malstetig differenzierbar ist und f (k−1)(·) auf jedem kompakten Teilintervall absolutste-tig ist.

A(k)((a, b)

)sei die Menge dieser Funktionen.

5. Der Durchschnitt C(∞) :=∞⋂C(k) heißt die Menge aller unendlich oft differenzier-

baren Funktionen.

Hinweis

In der Geometrie leisten die k-glatten Funktionen das Gewunschte. In der Theorie derFunktionenraume nehmen aber die (k-mal) absolutstetigen Funktionen einen wichtigenPlatz ein. Man arbeitet dort z.B. gern mit den sog. Sobolev-Raumen.

Beispiel eines Sobolev-Raums

Der Vektorraum V aller trigonometrischen Polynome f(t) =∑cne

int wird mit der fol-genden Norm ‖| · ‖| ausgestattet

‖|f(·)‖|2 =1

∫|f(t)|2dt+

1

∫|f ′(t)|2dt =

∑(1 + n2) |cn|2 .

Die Vervollstandigung liefert einen Hilbertraum. Seine Elemente kann man als 2π-periodischestetige Funktionen deuten. Diese Funktionen sind absolutstetig und die Ableitung (bessergesagt: der Integrand) ist quadratintegrabel

f(t) =∑

cneint ;

1

if ′(t) =

∑(n · cn) eint mit

∑|n · cn|2 <∞ .

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Mathematik fur Physiker II 59

Die Konstruktion kann man verallgemeinern:Man erhalt einen Hilbertraum von p-mal absolutstetigen Funktionen, wenn man V ver-vollstandigt bzgl. der Norm

[ 1

∫|f |2dt+

1

∫ ∣∣f (p)(t)∣∣2 dt

]1/2=[∑(

1 + n2p)|cn|2

]1/2

oder auch bzgl. der aquivalenten Norm

[ 1

p∑

j=0

∣∣f (j)(t)∣∣2 dt

]1/2.

Die Aquivalenz der Normen ergibt sich aus einer einfachen Uberlegung, die auf der fol-genden beruhmten Taylor-Formel mit Restglied beruht:

Satz (Taylor-Formel mit Restglied)

f(·) sei n-mal absolutstetig in einer Umgebung von xo.aj = f (j) (xo) sei die j-te Ableitung, j = 0, 1, 2, . . . , n− 1.Wir schreiben

f(x) = ao + a1 · (x− xo) +1

2!a2 · (x− xo)2 + . . .+

1

(n− 1)!an−1 · (x− xo)n−1 +Rn (xo, x) .

Fur den Rest gilt dann

Rn (xo, x) = 1n!

x∫x0

n · (x− y)n−1 · f (n)(y)dy .

= 1n!

(x− xo)n ·1∫0

pn(t) · f (n)(xo + t (x− xo)

)dt

wobei pn(t)dt = n · (1− t)n−1 · dt fur t ∈ [0, 1] .

Beweis

1. Wir bemerken, dass pn(t)dt eine Wahrscheinlichkeitsgewichtung ist. Das Integral inRn (xo, x) ist also eine Glattung der Funktion f (n)(·).

2. Im Fall n = 1 besagt der Satz

f(x) = f(xo) +

1∫

0

f ′(xo + t (x− xo))dt =

x∫

xo

f ′(u)du .

Diese Aussage bedeutet gerade die Absolutstetigkeit von f(·) mit der Ableitungf ′(·).

3. Wir zeigen jetzt fur n-mal absolutstetiges f (n−1)(·):

Rn−1 (xo, x)−1

(n− 1)!(x− xo)n−1 · an−1 = Rn (xo, x)

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60 Mathematik fur Physiker II

oder, anders geschrieben,

(n− 1)! ·Rn−1 (xo, x)− (x− xo)n−1 · an−1 =

x∫

xo

(x− v)n−1 · f (n)(v)dv .

4. In der Tat haben wir

(n− 1)! ·Rn−1 (xo, x)− (x− xo)n−1 · an−1 =

=x∫xo

(n− 1)(x− y)n−2 ·[f (n−1)(y)− f (n−1) (xo)

]dy

=x∫xo

(n− 1)(x− y)n−2 ·y∫xo

f (n)(v)dvdy .

Es handelt sich um ein Doppelintegral uber den Bereich (v, y) : xo < v < y < x.(Der Deutlichkeit halber argumentieren wir fur den Fall xo < x.) Nach dem Satzvon Fubini konnen wir auch zuerst uber y ∈ [v, x] integrieren und dann uberv ∈ [xo, x]. Es gilt daher

x∫

v

(n− 1)(x− y)n−1 · f (n)(v)dv = n!Rn (xo, x) q.e.d.

Satz (Taylor-Formel ohne Restglied)

Sei f(·) n-mal absolutstetig mit einem Wert an der n-ten Ableitung im Punkt xo.Dann gilt

f(x) =ao + a1 · (x− xo) +1

2a2 (x− xo)2 + . . .

. . .+1

n!an · (x− xo)n + o (|x− xo|n) fur x→ xo

Beweis

Die Annahme, dass die n-te Ableitung in xo einen Wert besitzt, bedeutet, dass derIntegrand von f (n−1)(·) eine Version besitzt, die in xo stetig ist. In diesem Falle gilt

Rn (xo, x)−1

n!an · (x− xo)n =

=1

n!(x− xo)n

1∫

0

pn(t) ·[f (n) (x− xo)− an

]dt = o (|x− xo|n) .

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Mathematik fur Physiker II 61

43. Vorlesung : Partielle Ableitungen, Taylor-Formel im Rd.

Wir beschaftigen uns hier mit reellwertigen Funktionen F (·) in einer offenen UmgebungU eine Punkts P = (x1, . . . , xd)

T ∈ Rd. Die Verschiebungen v = (P − P ) notieren wir alsSpalten.

Definition

a) F (·) heißt stetig differenzierbar in U , wenn der Gradient F ′(·) = (F1(·), . . . , Fd(·))in U stetig ist, d.h. wenn die partiellen Ableitungen

Fj(·) =∂

∂xjF (·) stetig sind.

b) F (·) heißt p-mal stetig differenzierbar in U , wenn die Funktionen Fj(·)(p− 1)-malstetig differenzierbar sind. (j = 1, . . . , d)

c) Die Menge aller p-mal stetig differenzierbaren Funktionen wird mit Cp(U) bezeich-net.

Sprechweise

Man nennt U eine sternformige Umgebung von P , wenn gilt

∀P ∈ U ∀t ∈ [0, 1] (1− t)P + tP ∈ U .

Wir schreiben auch P + t · v = P + t · (P − P )(t ∈ [0, 1]

)fur die Punkte auf der

Verbindungsstrecke von P nach P .

Satz

F (·) sei stetig differenzierbar auf einer sternformigen Umgebung U von P . Es existierendann stetige Funktionen G1(P ), . . . , Gd(P ), sodass

F (P )− F (P ) = (G1(P ), . . . , Gd(P )) · (P − P ) .

Beweis

Fur jeden v = P − P ist die Funktion

f(t) = F (P + t · v)− F (P )

stetig differenzierbar in einer Umgebung von [0, 1] mit

f ′(t) =∑

j

Fj(P + t · v) · vj (Kettenregel)

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62 Mathematik fur Physiker II

Nach dem Fundamentalsatz der Differential- und Integralrechnung gilt

F (P )− F (P ) = f(1) =

1∫

0

f ′(s)ds =∑

j

1∫

0

Fj(P + sv)ds · vj .

Die Integrale

Gj(P ) =

1∫

0

Fj(P + s · (P − P ))ds

leisten das Verlangte. Die Stetigkeit liegt auf der Hand.

Lipschitz-Stetigkeit

Sei ‖ · ‖ eine Norm auf dem Raum der Linearformen. Wir konnen dann von der Normeines Gradienten sprechen. Wir verstehen ‖ · ‖ als die duale Norm zu einer Norm auf demRaum der Verschiebungen

‖F ′(P )‖ = sup〈F ′(P ), v〉 : ‖v‖ ≤ 1

.

Wenn F (·) in U stetig differenzierbar ist, dann ist ‖F ′(P )‖ in jedem kompakten Teilbe-reich beschrankt. Daraus ergibt sich die Lipschitz-Stetigkeit von F (·) in jedem kompaktenkonvexen Bereich.

Satz:

Wenn ‖F ′(P )‖ ≤ c fur alle P in einer konvexen Menge U , dann gilt

|F (P2)− F (P1) | ≤ c · ‖P2 − P1‖ fur alle P1, P2 ∈ U .

Zum Beweis verwenden wir die folgende Verallgemeinerung der bekannten Dreiecksunglei-chung

‖v1 + . . .+ vn‖ ≤ ‖v1‖+ . . .+ ‖vn‖ .

Lemma

Seiv(s) : s ∈ [0, 1]

eine integrable Kurve in einem normierten Vektorraum. Es gilt

dann

‖∫v(s)ds‖ ≤

∫‖v(s) ‖ds .

Beweis

Fur jede Linearform gilt

〈`,∫v(s)ds〉 =

∫〈`, v(s)〉ds

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Mathematik fur Physiker II 63

Mit Hilfe der dualen Norm konnen wir die Norm von∫v(s)ds so beschreiben

‖∫v(s)ds ‖ = sup

〈`,∫v(s)ds〉 : ‖`‖ ≤ 1

.

Fur jedes ` mit ‖`‖ ≤ 1 gilt aber

|〈`,∫v(s)ds〉| = |

∫〈`, v(s)ds〉| ≤

∫‖v(s)‖ds q.e.d.

Beweis des Satzes :

F (P2)− F (P1) =

1∫

0

F ′((1− t)P1 + tP2

)dt · (P2 − P1) .

Hinweise Die Norm des Gradienten spielt in vielen Zusammenhangen eine wichtigeRolle.

1. Bei Funktionen auf dem Anschauungsraum mit kartesischen Koordinaten bietet sichdie euklidische Norm an.Die Norm des Gradienten ist dann

‖gradF‖ =√F 2

1 + F 22 + F 2

3 .

2. Zu einer stetig differenzierbaren Funktion F auf einer beschrankten offenen MengeΩ definiert man das Dirichlet-Integral

Ω

‖gradF‖2dxdxdz .

In der Potentialtheorie sucht man unter den Funktionen mit vorgegebenen Rand-werten auf ∂Ω diejenige mit dem kleinsten Dirichlet-Integral. Man kann beweisen,dass die Losung F (x, y, z) der Laplace-Gleichung genugt. 4F = 0 in Ω.

3. Sei u(x, y) in einem beschrankten offenen Bereich Ω ⊆ R2 stetig differenzierbar.Wir denken z.B. an die Auslenkung u(·, ·) einer dunnen elastischen Membran, dieam Rand ∂Ω in der Nullposition festgehalten wird.Die potentielle Energie ist proportional zur Streckung der Membran, d.h. zur Ver-großerung der Flache:

Ω

(√1 + |gradu|2 − 1

)dxdy .

Fur u(·, ·) mit kleinen |gradu| ist das ungefahr die Halfte des Dirichlet-Integrals.

Nach diesem Exkurs in die Welt der Funktionenraume kehren wir wieder zu den indi-viduellen Funktionen F (x1, . . . , xd) zuruck. Aus Grunden der Ubersichtlichkeit behandelnwir hauptsachlich den Fall d = 2.

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64 Mathematik fur Physiker II

Satz

F (·) sei zweimal stetig differenzierbar auf einer sternformigen Umgebung von P . Es exi-stiert dann eine stetige matrixwerte Funktion H(P ), sodass

F (P ) = F (P ) + F ′(P ) · (P − P ) +1

2(P − P )T ·H(P ) · (P − P ) .

Beweis

Fur die oben definierte Funktion f(·) gilt

f ′(0) =∑j

Fj(P ) · vj = F ′(P ) · v

f ′(1)− f ′(0) =1∫0

f ′′(s)ds =1∫0

∑j.k

Fjk(P + sv)ds · vk · vj .

Die Matrix mit den Eintragen

1∫

0

Fjk(P + sv)ds j, k = 1, . . . , d

leistet das Verlangte.

Bemerkung

Die Matrix H(P ) mit den Eintragen Fjk(P ) heißt die Hesse-Matrix der Funktion F (·) imPunkt P .Man schreibt auch

H(P ) = F ′′(P ) .

Unser Satz liefert ein Analogon zur Taylor-Formel vom Grad 2. Wir haben eine Approxi-mation von F (·) durch ein quadratisches Polynom

F (P ) = F (P ) + F ′(P ) · (P − P ) +1

2(P − P )T · F ′′(P )(P − P ) + o(‖P − P‖2)

wenn P → P .

Eine solche Taylor-Approximation gibt es auch in allgemeineren Fallen; es genugt, dassF1(·) und F2(·) absolutstetig sind und die partiellen Ableitungen Fij(·) im Punkt P einenWert haben. Wir zeigen zunachst, dass in diesem Fall die Hesse-Matrix eine symmetrischeMatrix ist. Dies wollen wir jetzt diskutieren. Der Ubersichtlichkeit halber betrachten wirnur den zweidimensionalen Fall.

Sprechweise

Wir nennen eine stetige Funktion F (·, ·) partiell absolutstetig bei (x, y), wenn eine recht-eckige Umgebung von (x, y) existiert, sodass F (x, ·) fur alle x und F (·, y) fur alle y abso-lutstetig ist. Es gilt

F (x, y)− F (x, y) =

=[F (x, y)− F (x, y)

]+[F (x, y)− F (x, y)

]

=[F (x, y)− F (x, y)

]+4(x, y) +

[F (x, y)− F (x, y))

].

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Mathematik fur Physiker II 65

Den ersten und den dritten Term beherrschen wir mit der Taylor-Formel. Wir nehmen an,dass F1(·, ·) und F2(·, ·) partiell absolutstetig sind und untersuchen den mittleren Term.

4(x, y) =[F (x, y)− F (x, y)

]−[F (x, y)− F (x, y)

]

oder 4(x, y) =[F (x, y)− F (x, y)

]−[F (x, y)− F (x, y)

].

4(x, y) =

y∫

y

F2(x, v)dv −y∫

y

F2 (x, v) dv

=

y∫

y

(x∫

x

F21(u, v)du)dv

und andererseits

4(x, y) =

x∫

x

F1(u, y)du−x∫

x

F1 (u, y) du

=

x∫

x

(y∫

y

F12(u, v)dv)du

Diese Rechnung brauchte die Absolutstetigkeit der Funktionen F2(·, v) und F1(u, ·). Wenndie Integranden bei Annaherung an (x, y) stetig sind

F21(·, ·) = c21 + o(1) , F12(·, ·) = c12 + o(1) ,

dann haben wir

4(x, y) = (y − y) (x− x) ·(c21 + o(1)

)

= (x− x) (y − y) ·(c12 + o(1)

)

und somit c12 = c21 .

Hinweis

Schon L. Euler (1707-1783) wusste, dass es bei gutartigen Funktionen F (x, y) nicht daraufankommt, in welcher Reihenfolge man die partiellen Ableitungen durchfuhrt

∂2F

∂x∂y(·, ·) =

∂2F

∂y∂x(·, ·) .

In vielen Lehrbuchern findet man einen beweisbaren Satz dieses Inhalts, der auf H.A.Schwarz (1843-1921) zuruckgeht. Das Resultat kann kurz so ausgesprochen werden: Wenndie gemischten Ableitungen F12(·, ·) und F21(·, ·) in einer Umgebung von (x, y) existierenund in (x, y) stetig sind, dann gilt F12 (x, y) = F21 (x, y).Wir haben eben gesehen, dass die partielle Absolutstetigkeit zusammen mit der Stetigkeitvon Fij(·, ·) ausreicht.

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66 Mathematik fur Physiker II

Taylor-Approximation von hoherem Grad

Wenn ein Funktion F (x1, . . . , xd) bei (x1, . . . , xd) p-mal partiell absolutstetig ist und diepartiellen Ableitungen p-ter Ordnung in (x1, . . . , xd) stetig sind, dann kann man F (·)durch ein Polynom p-ten Grades bis auf einen Fehler o

(‖P − P‖p

)approximieren. Um

das Resultat hinzuschreiben entwickeln wir eine passende Notation.

Multiindizes

1. Ein Multiindex α der Lange d mit dem Gewicht |α| = N ist ein d-Tupel

α = (α1, . . . , αd) αj ∈ 0, 1, 2, . . . ,∑

αj = N .

2. Man definiert dazu die Zahl

α! = (α1!) · (α2!) · . . . · (αd!) gelesen: α-Fakultat .

3. Fur ein d-Tupel von Unbestimmten ξ = (ξ1, . . . , ξd) definiert man die α-te Potenz

ξα := ξα11 · ξα2

2 · . . . · ξαd

d .

Beispiel : Der”Multinomialsatz“ besagt

(ξ1 + . . .+ ξα)N =

∑(N

α1, . . . , αd

)ξα11 · . . . · ξαd

d

wobei fur∑αj = N

(N

α1, . . . , αd

)=

N !

(α1!) . . . (αd!)=N !

α!.

In der Notation der Multiindizes haben wir also

(ξ1 + . . .+ ξd)N =

|α|=N

N !

α!ξα .

4. Sei F (x1, . . . , xd) N -mal stetig partiell differenzierbar. Man notiert

DαF =∂NF

(∂x1)α1 . . . (∂xd)

αd,

Die Funktion DαF entsteht aus F , dadurch dass man (in beliebiger Reihenfolge)α1-mal nach x1 , α2-mal nach x2 . . .αd-mal nach xd partiell ableitet.

Satz (Taylor-Approximation vom Grad p) Sei F (·) bei x ∈ Rd p-mal stetig differenzier-bar.Sei (DαF ) (x) die α-te partielle Ableitung von F (·) im Punkt x. Es gilt dann fur x→ x.

F (x) =∑

|α|≤p

1

α!(DαF ) (x) · (x− x)α + o (|x− x|p) .

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Mathematik fur Physiker II 67

Alternative Formulierung (Covariante Tensoren)

Im Tensorkalkul versteht man die Hesse-Matrix als einen zweifach covarianten symme-trischen Tensor. Die hoheren Terme im Taylor-Polynom p-ten Grades sind covariantesymmetrische Tensoren hoherer Stufe. In den affinen Koordinaten

x1, x2, . . . , xd

sind

sie durch mehrfach indizierte Buchstaben gegeben. In der Tensor-Rechnung achtet mandarauf, dass die Indizes unten stehen; durch das Hoch- bzw. Tiefstellen des Indizes garan-tiert man die Ubersicht, wie die Großen bei einem Koordinatenwechsel zu transformierensind.

F (x) = F (x) +∑ai (x

i − xi) + o (‖x− x‖)F (x) = F (x) +

∑ai (x

i − xi) + 12!

∑aij (xi − xi) (xj − xj) + o (‖x− x‖2)

F (x) = F (x) +∑i

ai (xi − xi) + 1

2!

∑aij (xi − xi) (xj − xj) +

13!

∑i,j,k

aijk · (xi − xi) (xj − xj)(xk − xk

)+ o (‖x− x‖3)

usw. bis zur Ordnung p.

Die Koeffizienten ai1,...,ip sind die partiellen Ableitungen von F im Punkt x.

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68 Mathematik fur Physiker II

44. Vorlesung : Runde konvexe Funktionen

Die konvexen Funktionen verhalten sich in den inneren Punkten ihres Endlichkeitsbereichsziemlich regular. Sie sind zwar nicht notwendigerweise in jedem Punkt differenzierbar; siebesitzen aber doch wenigstens einen Tangentialkegel (siehe Ubungen) und dieser

”entar-

tet“ in fast allen Punkten zu einer Tangentialhyperebene; in fast allen Punkten gibt esgenau eine Stutzhyperebene. Die Ableitung k′(·) hat bemerkenswerte Eigenschaften.Wir wollen hier einen speziellen Typ von zweimal stetig differenzierbaren konvexen Funk-tionen (mit den eben entwickelten Methoden der Differentialrechnung im Rd) etwas ge-nauer studieren.Zuerst rekapitulieren wir aber, was wir bereits uber konvexe Funktionen gelernt haben.

Bekannte Fakten

1. Eine R∪+∞-wertige Funktion k(·) auf einem Vektorraum V heißt konvex, wenngilt

∀P , Q ∈ L ∀λ ∈ [0, 1] k((1− λ)P + λQ

)≤ (1− λ) · k(P ) + λ · k(Q) .

Eine Funktion k(·) ist also genau dann konvex, wenn ihre Einschrankung auf jedeGerade konvex ist.

2. Die interessanten konvexen Funktionen sind die unterhalbstetigen konvexen Funk-tionen. Zu jeder Funktion, die uberhaupt eine affine Minorante besitzt, gibt es einegroßte unterhalbstetige konvexe Minorante. (Die Funktion ≡ +∞ wird nicht als einekonvexe Funktion anerkannt.)

3. Fur jede Funktion f(·), die eine affine Minorante besitzt, definiert man

f ?(ϑ) = supϑx− f(x) : x ∈ V

fur alle ϑ ∈ V ? .

(f ?(·) heißt die Legendre-Transformierte)f ?(·) ist unterhalbstetig und konvex auf V ?.f ??(·) ist die großte unterhalbstetige Minorante von f(·).Anders gesagt :

4. k(·) ist genau dann unterhalbstetig konvex, wenn k?? = k(·) d.h. wenn das punkt-weise Supremum aller affinen Minoranten von k(·) gleich k(·) ist.

k(·) = supa(·) : a ≤ k, a affin

.

Die Funktion aϑ(x) = 〈ϑ, x〉 − k?(ϑ) heißt die Subtangente zu ϑ ∈ V ?. Wenn x einPunkt ist mit aϑ (x) = k (x), dann sagt man, der Graph der Subtangente ist eineStutzhyperebene an den Graphen von k(·).

Sprechweise

k(·) sei konvex; U sei eine offene konvexe Teilmenge des Endlichkeitsbereichs. Wir sagenk(·) sei rund auf U , wenn k(·) zweimal stetig differenzierbar ist und die zweite Ableitungk′′(·) positiv definit ist.

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Mathematik fur Physiker II 69

Satz

Sei k(·) rund auf U (offen konvex im Vektorraum V ).U? sei das k′(·)-Bild von U (U ? ist Teilmenge des Dualraums V ?).Die Legendre-Transformierte ϕ(·) ist dann rund auf U ? und es gilt

ϕ′(k′(x))

= x fur x ∈ Uk′(ϕ′(ϑ)

)= ϑ fur ϑ ∈ U? .

Beispiel :

k(x) = x− 1− `nx ist konvex und rund auf (0,∞)k′(x) = 1− 1

xbildet U = (0,∞) auf U ? = (−∞, 1) ab .

Die Umkehrfunktion ist die Ableitung der Legendre-Transformierten

1− 1

ϕ′(ϑ)= ϑ , d.h. ϕ′(ϑ) =

1

1− ϑ .

Daraus gewinnt man leicht die Legendre-Transformierte

ϕ(ϑ) = `n(1− ϑ) fur ϑ < 1 .

Beweis des Satzes

1. Fur ein festes ϑ gibt es hochstens einen Punkt in U , in welchem

U 3 x 7−→ ϑx− k(x)

das Maximum annimmt; denn k(·) ist in U strikt konvex. Im Maximalpunkt hatk(·) den Gradienten ϑ.

2. Wenn ϑ ∈ U?, dann wird das Maximum wirklich in einem Punkt x ∈ U ange-nommen, namlich in dem Urbildpunkt von ϑ. Die Abbildung k′(·) ist also im U?

umkehrbar. Diese Umkehrabbildung nennen wir

ψ : U? → U .

3. Wir wollen jetzt zeigen, dass ψ(·) die Ableitung der Legendre-Transformierten ist,ψ(·) = ϕ′(·) auf U?. (Den Gradienten einer Funktion auf dem Dualraum V ? konnenwir naturlich als einen Punkt im Raum V = V ?? auffassen.)Zuerst uberlegen wir uns, dass k′(·) und ψ(·) stetig differenzierbare Abbildungensind. In der Tat ist die Jacobi-Matrix der Abbildung k′(·) durch die Hesse-Matrix vonk(·) gegeben. Die Rundheit von k(·) garantiert, dass die Jacobi-Matrix nichtsingularist und stetig von x abhangt. Der Satz von der implizit gegebenen Funktion istanwendbar. (In unserem Fall geht es nur um einen Spezialfall, den Satz von derUmkehrabbildung.) Dieser Satz (den wir spater ausfuhrlich diskutieren) garantiert,dass ψ(·) stetig diffenzierbar ist.

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70 Mathematik fur Physiker II

4. ϕ(ϑ) = supϑx− k(x) : x ∈ V

liefert fur ϑ ∈ U?

ϕ(ϑ) = ϑ · x− k (x) wobei x = ψ(ϑ)ϕ(ϑ) = ϑ · ψ(ϑ)− k

(ψ(ϑ)

).

Die Terme auf der rechten Seite sind stetig differenzierbar. Nach der Kettenregelgilt

ϕ′(ϑ) = ϑ · ψ′(ϑ) + ψ(ϑ)− k′(ψ(ϑ)

)· ψ′(ϑ) = ψ(ϑ) q.e.d.

5. Wir haben alsoϕ(ϑ) = ϑ · ϕ′(ϑ)− k

(ϕ′(ϑ)

)

und das sollte man sich merken:

k(ϕ′(ϑ)

)= ϑ · ϕ′(ϑ) − ϕ(ϑ)

ϕ(k′(x)

)= k′(x) · x − k(x)

Die letzte Zeile wird in manchen Buchern als die Definition der Legendre-Transformiertenϕ(·) zu k(·) vorgestellt.

Fazit : Im runden Fall haben wir eine eineindeutige Beziehung zwischen den Punktenx im Endlichkeitsbereich U von k(·) und den

”Steigungen“ ϑ im Endlichkeitsbereich von

ϕ(·). Zu jedem x ∈ U haben wir eine eindeutig bestimmte Stutzhyperebene und zu jederRichtung ϑ ∈ U? haben wir einen eindeutig bestimmten Beruhrpunkt ϕ′(ϑ).Im nichtrunden Fall ist die Relation zwischen den Punkten und den Steigungen etwaskomplizierter.

Sprechweise

k(·) und ϕ(·) seien zueinander Legendre-konjugiert. Ein Paar (ϑ, x) ∈ V ?× V nennen wirein konjugiertes Paar, wenn gilt

ϑx = k(x) + ϕ(ϑ) .

Bemerke : Fur jedes Paar (ϑ, x) ∈ V ? × V gilt

ϑx ≤ k(x) + ϕ(ϑ) .

Satz

Die Menge der x ∈ V , die zu einem ϑ konjugiert sind, ist entweder leer oder abgeschlossenkonvex.

Beweis :

Die oberhalbstetige konkave Funktion x 7−→ ϑx− k(x) nimmt ihr Supremum ϕ(ϑ) nichtnotwendigerweise an. Wenn sie es aber annimmt, dann ist

x : ϑx − k(x) ≥ ϕ(ϑ)

eine

abgeschlossene konvexe Menge.

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Mathematik fur Physiker II 71

Die positive Uberlagerung konvexer Funktionen

1. Wir betrachten unterhalbstetige konvexe Funktionen auf einem Raum L.Sei kj : j ∈ I eine Schar konvexer Funktionen auf L; seien pj ≥ 0 mit

∑pj = 1.

Wenn∑pjkj(x) fur alle x definiert und in mindestens einem x endlich ist, dann ist

k(·) =∑

pj · kj(·) eine konvexe Funktion.

2. (Ω,A, µ) sei ein Wahrscheinlichkeitsraum.Fur jedes ω ∈ Ω sei kω(·) eine nichtnegative unterhalbstetige konvexe Funktion;kω(x) sei A-meßbar fur jedes x ∈ L. Das Integral

k(·) =

∫kω(·)dµ(ω)

ist konvex, vorausgesetzt, es ist nicht uberall = +∞.

Spezialfall : Fur jedes Wahrscheinlichkeitsmaß µ(·) auf dem Rd ist

ϕ(ϑ) :=

∫exp(ϑx)dµ(x) (ϑ ist d-Zeile)

eine konvexe Funktion.

Bezeichnung :

Man nennt ϕ(−ϑ) manchmal die Laplace-Transformierte des Wahrscheinlichkeitsma-ßes µ(·). Den Logarithmus `nϕ(ϑ) nennen die Wahrscheinlichkeitstheoretiker die kumu-lantenerzeugende Funktion.

Satz

Sei dµ(x) ein Borelmaß auf dem Rd, welches nicht auf einen echten linearen Teilraumkonzentriert ist.Wenn

ϕ(ϑ) :=

∫exp(ϑx)dµ(x)

in einer Umgebung des Nullpunkts endlich ist, dann ist ψ(ϑ) := `nϕ(ϑ) eine rundekonvexe Funktion.

Bemerkung : Wir haben in den Ubungen im 1. Semester gezeigt: Wenn k(·) konvexist, dann auch exp

(k(·)

)oder allgemeiner E

(k(·)

), wenn E(·) eine isotone konvexe Funk-

tion ist. Fur eine positive Funktion ist die logarithmische Konvexitat also eine scharfereEigenschaft als die Konvexitat.

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72 Mathematik fur Physiker II

Beweis des Satzes

Wir zeigen, dass `nϕ(ϑ) im Innern des Endlichkeitsbereichs eine positiv definite Hesse-Matrix besitzt. (Die Betrachtungen am Rande des Endlichkeitsbereichs lassen wir beisei-te).

1. Fur jedes ϑ mit ϕ(ϑ) =∫eϑxdµ(x) <∞ erhalten wir ein Wahrscheinlichkeitsmaß

dµϑ(x) =1

ϕ(ϑ)exp(ϑx)dµ(x) .

Das dazugehorige Integral bezeichnen wir mit Eϑ(·).

2. Besonders interessant sind die folgenden Erwartungswerte

Eϑ (Xk) = 1ϕ(ϑ)·∫xk · eϑxdµ(x)

Eϑ (Xk ·X`) = 1ϕ(ϑ)

∫xk · x` · eϑxdµ(x) .

Man kann sie durch Differentiation aus `nϕ(ϑ) gewinnen.Der Gradient der Funktion `nϕ(ϑ) ist namlich die n-te Zeite

(`nϕ(ϑ)

)′=

1

ϕ(ϑ)

(ϕ1(ϑ), . . . , ϕd(ϑ)

)=(Eϑ (X1) , . . . , Eϑ (Xn)

).

3. Wir transponieren diesen Gradienten und erhalten die Abbildung

χ(ϑ) : ϑ 7−→ 1

ϕ(ϑ)

ϕ1(ϑ)...

ϕd(ϑ)

.

Ihre Jacobi-Matrix ist die d× d-Matrix

χ′(ϑ) =1

ϕ(ϑ)· ϕ′′(ϑ)− 1

ϕ2(ϑ)· (gradϕ)T · (gradϕ) .

Die Eintrage sind

(χ′(ϑ)

)k,l

= 1ϕ(ϑ)·∫xk · x` · eϑxdµ(x)− 1

ϕ2(ϑ)

∫xk · eϑxdµ(x) ·

∫x` · eϑxdµ(x)

= Eϑ (Xk ·X`)− (EϑXk) (EϑX`)= E

((Xk − EXk) (X` − EX`)

)

= cov (Xk, X`) .

4. Jede Covarianzmatrix ist positiv semidefinit. Wenn die Verteilung von α · X =∑αkXk nur fur den trivialen Fall α = 0 auf einen echten linearen Teilraum konzen-

triert ist, dann ist die Covarianzmatrix sogar positiv definit. Es gilt dann namlichfur alle α 6= 0

var(∑

αkXk

)=∑

k`

αkα` · cov (Xk, X`) > 0 .

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Mathematik fur Physiker II 73

Beispiel

Die Gamma-Funktion ist logarithmisch konvex auf (0,∞). Fur α > 0 gilt namlich

Γ(α) =∞∫0

xα−1 · e−x · e−xdx =∫

exp(α · `nx) · 1xe−xdx

=+∞∫−∞

exp(α · y) exp (−ey) dy =∫

exp(αy)dν(y) .

dν(·) ist kein Wahrscheinlichkeitsmaß, aber doch ein positives Maß, fur welches man ahn-lich wie oben schließen kann. (Es kommt nicht auf dν(y) an, sondern auf die

”getilteten“

Wahrscheinlichkeitsmaße

dνα(y) =1

ϕ(α)· eαydν(y) , α > 0 .

Geschichtlicher Hinweis

Es gibt viele vernunftige Funktionen ϕ(α) auf (0,∞), welche die Funktionalgleichung derGamma-Funktion erfullen

Γ(α + 1) = α · Γ(α) fur alle α , Γ(1) = 1 .

Sie alle interpolieren die Fakultatsfunktion

Γ(n+ 1) = n! fur n = 0, 1, 2, . . .

Im 19. Jahrhundert hat man daruber debattiert, welche Funktion ϕ(·) die”naturliche“

Interpolation sei.Philip J. Davis : Leonard Euler’s Integral. A historical Profile of the Gamma Function.

The Chauvenet Papers, Vol. I. J. C. Abbott ed. The Mathematical Association of America.

H. Bohr hat bewiesen, dass das”zweite Euler’sche Integral“

Γ(α) =

∞∫

0

xα−1e−xdx fur α ∈ (0,∞)

die einzige logarithmisch konvexe Interpolation der Fakultatsfunktion ist.Mit einer kleinen Anleitung kann man das heute in einer Ubungsaufgabe verifizieren.

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74 Mathematik fur Physiker II

45. Vorlesung : Glatte Kurvenstucke, glatte Flachenstucke

Wenn man von einem Kurvenstuck spricht, dann denkt der klassische Physiker an einenMassenpunkt, der sich im Anschauungsraum bewegt. Der Anschauungsraum ist fur ihnmit cartesischen Koordinaten x, y, z ausgestattet. Somit ist das Kurvenstuck ein Funktio-nentripel (

X(t), Y (t), Z(t))

: t ∈ (t0, t1) .

Wenn diese Funktionen stetig differenzierbar sind, dann kann man von der Momentange-schwindigkeit zum Zeitpunkt t sprechen. Sie entspricht dem

”Tangentialvektor“ mit den

”Komponenten“ X(t), Y (t), Z(t) (als Spalte notiert). Vom geometrischen Standpunkt ge-

sehen, kann man dieselbe Kurve auch mit anderer Zeitmessung durchlaufen:

X(T (s)

), Y(T (s)

), Z(T (s)

): s ∈ (s0, s1) .

Dementsprechend versteht man ein Kurvenstuck als eine Aquivalenzklasse von Funktio-nentripeln. Damit das mathematisch passt, muss man an die

”Umparametrisierungen“

eine Forderung stellen, namlich

(?)T (x) ist stetig differenzierbar mit T ′(s) > 0 fur alle s.

Dies fuhrt dann tatsachlich zu einer Aquivalenz; denn es gilt

1. Wenn T (·) die Bedingung (?) erfullt, dann auch die Umkehrfunktion S(·). Wir haben

T(S(t)

)= t fur alle t ∈ (t0, t1)

S(T (s)

)= s fur alle s ∈ (s0, s1)

T ′(S(t))· S ′(t) = 1 ; S ′(T (s)

)· T ′(s) = 1 .

2. Wenn S(·) und T (·) die Bedingung (?) erfullen

(r0, r1)S→ (s0, s1)

T→ (t0, t1) ,

dann auch die zusammengesetzte Abbildung

U(r) = T(S(r)

)fur r ∈ (r0, r1) .

Wir haben also die Symmetrie und die Transitivitat, und das ist es, was wir fur eineAquivalenzrelation brauchen. (Die Reflexivitat ist trivial.)

Definition

Ein glattes Kurvenstuck γ auf einer Mannigfaltigkeit M ist eine Aquivalenzklasse stetigdifferenzierbarer Abbildungen

γ(·) : (t0, t1) 3 t 7−→ γ(t) ∈M .

Die Reprasentanten heißen die Parameterdarstellungen des Kurvenstucks γ.

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Mathematik fur Physiker II 75

Beachte :

Ein Kurvenstuck im Sinne der Definition darf man sich nicht immer als eine Punktmengevorstellen, die wie eine etwas verbogene Strecke aussieht. Man muss beachten:

1. Die Moglichkeit eine solche Punktmenge zu durchlaufen gehort zur Struktur derKurve γ.

2. Die Definition schließt nicht aus, dass derselbe Punkt der Mannigfaltigkeit mehrfachgetroffen wird. Eine Kurve mit

∀ t′, t′′ : t′ 6= t′′ ⇒ γ(t′) 6= γ(t′′)

heißt eine doppelpunktfreie Kurve.

3. Wenn man von einer Parameterdarstellung einer Kurve zu einer anderen Parame-terdarstellung ubergeht, dann multipliziert sich der Tangentialvektor mit einer Zahl> 0. Die

”Durchlaufungsrichtung“ gehort zum Begriff der Kurve (im Sinn der Defi-

nition).

4. Eine glatte Kurve (im Anschauungsraum) hat nicht notwendigerweise in jedemPunkt eine

”Richtung“. Betrachten wir z.B. die Neil’sche Parabel

γ(·) : t 7−→(t3, t2

)∈ R2 .

Die dazugehorige Punktmengeγ(t) : t ∈ (−∞,+∞)

ist der Graph der Funktion

f(s) =(

3√s)2

s ∈ (−∞,+∞) .

In der Tat gibt es zu jedem s ∈ R genau einen Punkt der Neil’schen Parabel,dessen erste Koordinate gleich s ist; in unserer Parameterdarstellung gehort er zumParameterwert 3

√s. Die zweite Koordinate ist f(s) = ( 3

√s)

2= t2. Die

”Richtung“,

mit welcher die Neil’sche Parabel sich dem Punkt (0, 0) = γ(0) nahert, verhalt sichunstetig. Der Tangentialvektor nahert sich dem Nullvektor.

Sprechweise (”Richtungen“)

Auf einem reellen Vektorraum V erhalt man eine Aquivalenzrelation, wenn man zwei Vek-toren genau dann aquivalent nennt, wenn sie sich um eine positiven Faktor unterscheiden.Die Aquivalenzklassen, die nicht zum Nullvektor gehoren, nennt man die Richtungenim Vektorraum. Wenn V normiert ist, dann kann man die Punkte der EinheitssphareSd−1 = v : ‖v‖ = 1 mit den Richtungen identifizieren.

Regulare Parametrisierung

Zu einem glatten Kurvenstuck Γ auf M gehort eine Teilmenge von M , namlich die Punkt-menge

L =γ(t) : t ∈ (t0, t1)

⊆M .

Diese Punktmenge kann in manchen Fallen recht wild aussehen. Sie sieht aber relativschon aus, wenn der Tangentialvektor γ(t) nirgends verschwindet. Wir konnen nun um-gekehrt vorgehen und zu geeigneten Punktmengen eine sie durchlaufende Kurve suchen.

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76 Mathematik fur Physiker II

Definition

Wir sagen von einer Punktmenge L, dass sie eine regulare Parametrisierung besitzt, wennes eine glatte Kurve γ(·) gibt mit

L =γ(t) : t ∈ (t0, t1)

und γ(t) 6= 0 fur alle t .

Beachte : Es mag zu L mehrere nichtaquivalente Parametrisierungen geben. In denFallen, wo eine doppelpunktfreie regulare Parametrisierung moglich ist, gibt es aber nichtviele Moglichkeiten. (Man kann da nichts anderes machen als die Durchlaufungsrichtungumkehren.)

Die analogen Begriffsbildungen fur Flachen und hoherdimensionale Gebilde sind ganzahnlich.

Definition

a) Ein parametrisiertes glattes Flachenstuck (ohne Doppelpunkte) ist eine (injektive)stetig differenzierbare Abbildung einer zusammenhangenden offenen Menge G ⊆ R2

in eine Mannigfaltigkeit

α(·, ·) : G 3 (s, t) 7−→ α(s, t) ∈M .

b) Ein glattes Flachenstuck (ohne Doppelpunkte) ist eine Aquivalenzklasse solcher Ab-bildungen. Eine Umparametrisierung ist eine bijektive stetig differenzierbare Abbil-dung

(u, v) 7−→ (s, t) =(S(u, v), T (u, v)

),

deren Jacobi-Matrix nicht singular ist.

Hinweis

Der Satz von der Umkehrabbildung garantiert, dass die Umkehrabbildung

(s, t) 7−→ (u, v) =(U(s, t), V (s, t)

)

ebenfalls stetig differenzierbar ist. Die Jacobi-Matrix der Umkehrabbildung ist die inverseMatrix.

Beispiele

Im Schulunterricht trifft man auf mehrere Definitionen der Ellipse in der Ebene, z.B.

1. Die Ellipse ist der geometrische Ort aller Punkte, fur welche die Summe der Abstandevon zwei Punkten im Abstand 2e den festen Wert 2a hat (

”Definition des Gartners“).

Wir zeigen, wie man von dieser geometrischen Definition zur Ellipsengleichung inkartesischen Koordinaten gelangt.

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Mathematik fur Physiker II 77

Wir legen die”Brennpunkte“ in die Positionen (−e, 0) und (0, e). Die Abstande des

Punkts mit den kartesischen Koordinaten (x, y) sind

d− =√

(x + e)2 + y2 und d+ =√

(x− e)2 + y2 .

Wir suchen eine ubersichtliche Form der Gleichung

d−(x, y) + d+(x, y) = 2a .

Erweitern mit d+ − d− liefert

d2+ − d2

− = 2a(d+ − d−) = 2a(2d+ − 2a)

a− 1

4a4 · ex = d+

a2 − 2ex +e2

a2x2 = d2

+ = (x− e)2 + y2

und mit b2 = a2 − e2 , 1− e2

a2=b2

a2

x2

a2+y2

b2= 1 .

2. Wenn man aus der Ellipse einen Punkt herausschneidet, dann erhalt man einePunktmenge, welche eine doppelpunktfreie glatte Parametrisierung erlaubt.

a) Die Parametrisierung bzgl. des Winkels vom Mittelpunkt liefert

x(φ) = a · cosφ ; y(φ) = b · sinφ(φ ∈ (0, 2π)

).

(Der Beweis ist trivial.)

b) Wenn man Winkel und Radius in Bezug auf den linken Brennpunkt einfuhrt,dann hat man

r(φ) =p

1 + ε · cosφφ ∈ (0, 2π) .

(Beweis in der Ubungen.)

3. Die Lemniskate ist der geometrische Ort aller derjenigen Punkte im zweidimensio-nalen Anschauungsraum, fur welche das Produkt der Abstande von zwei Punktenim Abstand 2e den Wert e2 hat.Wir zeigen, dass die Lemniskate durch eine algebraische Gleichung vom Grad 4beschrieben werden kann.

d− · d+ = e2 ;[(x− e)2 + y2

][(x + e)2 + y2

]= e4

(x2 + y2

)2 − 2e2(x2 − y2

)= 0 .

Eine ubersichtlichere Beschreibung ergibt sich in Polarkoordinaten(x(ϑ), y(ϑ)

)=(r(ϑ) · cos ϑ, r(ϑ) · sinϑ

).

Wegen cos2 ϑ− sin2 ϑ = cos(2ϑ) .

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78 Mathematik fur Physiker II

–1

–0.50

0.5

1

–3 –2 –1 1 2 3

Lemniskate

Wenn ϑ ∈ (0, 2π), dann wird die Lemniskate ohne den ostlichsten Punkt einfachdurchlaufen.

4. Gegeben sei ein Kreis vom Radius R1 im dreidimensionalen Anschauungsraum. DieMenge aller Punkte, die von diesem Kreis einen Abstand < R2 haben (R2 < R1)wird ein offener Volltorus genannt. Der Rand wird ein 2-Torus genannt. Einen2-Torus parametrisiert man am bequemsten durch ein Paar von Winkeln. In ei-ner offensichtlichen Weise entspricht der 2-Torus dem kartesischen Produkt zweierKreise (1-Spharen)

T (2) = S(1) × S(1) = (ϕ1, ϕ2) : ϕ1 ∈ R/2π, ϕ2 ∈ R/2πDen Volltorus ohne die Seele (d.h. den ursprunglichen Kreis vom Radius R1) kannman bequem durch ϕ1, ϕ2 und den Abstand von der Seele koordinatisieren. 0 < ρ <R2. Der Volltorus ist ein Rotationskorper. Ein bequemes Koordinatensystem furjeden Rotationskorper bilden die Zylinderkoordinaten in Bezug auf die Rotations-achse. Der Querschnitt P : ϕ(P ) = 0 wird durch den Abstand r von Achse unddie Hohe z koordinatisiert.

5. Wir beschreiben die obere Kappe der Einheitssphare im dreidimensionalen Anschau-ungsraum.In cartesischen Koordinaten ist das die Punktmenge

A =(x, y, z) : x2 + y2 + z2 = 1, z > 0

.

Eine naheliegende Parametrisierung ist die durch das Paar (x, y). A ist der Funkti-onsgraph der stetig differenzierbaren Abbildung

(x, y) 7−→ z =√

1− x2 − y2 fur x2 − y2 < 1 .

Eine andere beliebte Parametrisierung ist die mit den sog. Kugelkoordinaten

(ϑ, φ) 7−→

X(ϑ, φ)Y (ϑ, φ)Z(ϑ, φ)

=

sin ϑ · cosφsinϑ · sin φ

cosϑ

.

Um zu garantieren, dass alles glatt zugeht, muss man allerdings den Nordpol unddie Datumslinie weglassen

(ϑ, φ) ∈(0,π

2

)× (−π,+π) .

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Mathematik fur Physiker II 79

Beachte

Die Sphare ist eine Mannigfaltigkeit, welche keine globale Koordinatisierung (oder”re-

gulare Parametrisierung“) besitzt. Die Koordinatisierung durch die cartesischen Koordi-naten (x, y) versagt am Aquator; die Parametrisierung durch die Kugelkoordinaten (ϑ, φ)versagt auf der Datumslinie. Man muss sich mit lokalen Koordinatensystemen behelfen,wenn man glatte Abbildungen der Sphare mit dem Kalkul der Funktionen mehrerer Va-riabler behandeln will.

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80 Mathematik fur Physiker II

46. Vorlesung : Mannigfaltigkeiten

Die glatten Funktionen, die wir bisher betrachtet haben, waren auf einer offenen Teilmengeeines Rd definiert. Glatte Funktionen gibt es aber auch auf anderen Grundmengen, z.B.auf der d-Sphare. Man braucht ein lokales Koordinatensystem, um die glatten Funktionenlokal durch Funktionen von d reellen Variablen auszudrucken. Das Operieren mit glattenFunktionen soll nun auf eine axiomatische Grundlage gestellt werden.

Definition

Ein metrisierbarer RaumM mit abzahlbarer Basis tragt die Struktur einer d-dimensionalenglatten Mannigfaltigkeit, wenn eine Menge D von reellwertigen Funktionen ausgezeich-net ist, welche die folgenden Eigenschaften hat. (Die Elemente von D heißen die glattenFunktionen auf der Mannigfaltigkeit M .)

(i) Jede reellwertige Funktion f auf M , welche in der Nahe jedes Punkts P ∈ M miteiner Funktion aus D ubereinstimmt, gehort selbst zu D.

(ii) Wenn F (·, . . . , ·) glatt ist auf irgendeinem Rn und f (1), . . . , f (n) ∈ D , dann giltF(f (1), . . . , f (n)

)∈ D

(iii) Zu jedem P ∈M existiert eine Umgebung U und ein d-Tupel x(1)(·), . . . , x(d)(·) ∈D, sodass fur jedes f ∈ D eine glatte Funktion F (·, . . . , ·) auf dem Rd existiert mit

f = F(x(1), . . . , x(d)

)fur alle P ∈ U .

(Man sagt in diesem Fall, dass U durch x(1), . . . , x(d) koordinatisiert werden kann; undman nennt x(1), . . . , x(d) ein Koordinatensystem auf U .)

Bemerkungen

1. (iii) heißt die Bedingung der lokalen Koordinatisierbarkeit (unseres vorgegebenenmetrischen Raums M).

2. (ii) heißt, dass D”differentiable complete“ ist; man kann glatte Funktionen nicht

nur addieren und multiplizieren; man kann sie z.B. auch in eine Exponentialfunktioneinsetzen. Jedes n-Tupel kann man in jede glatte Funktion von n Variablen einsetzen.

3. (i) zeigt, dass die Glattheit eine lokale Bedingung ist. Die Kraft der Bedingung wirdunterstrichen, wenn man sich vor Augen fuhrt, wie man mit Hilfe einer

”Zerlegung

der Eins“ jede glatte Funktion als Summe von glatten Funktionen mit kleinen kom-pakten Tragern schreiben kann.

(Der Trager der Funktion f ist die abgeschlossene

Hulle von P : f(P ) 6= 0).

Definition (Zerlegung der Eins,”partition of unity“)

Eine Familie von glatten Funktionen hα : α ∈ Indexmenge heißt eine Zerlegung derEins, wenn gilt

(i) 0 ≤ hα ≤ 1 .∑α

hα = 1 auf M .

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Mathematik fur Physiker II 81

(ii) Fur jedes P ∈M existiert eine Umgebung U , sodass nur endlich viele hα zur Summe1 auf U beitragen.

(iii) Fur jede hα existiert eine Umgebung Uα des Tragers, welche koordinatisiert werdenkann.

Hinweis : Man kann zeigen, dass es fur jede Mannigfaltigkeit Partitionen der Eins gibt.Man kann sogar zu jeder offenen Uberdeckung der Mannigfaltigkeit Partitionen der Einsfinden, welche die Uberdeckung in dem Sinn respektieren, dass fur jedes hα der Trager inmindestens einer der offenen Mengen enthalten ist.

Beispiele

1. Die 2-Sphare ist eine zweidimensionale Mannigfaltigkeit. Es ist klar, was es bedeutet,dass eine Funktion f auf der 2-Sphare eine glatte Funktion ist. Es gibt kein globalesKoordinatensystem.

2. Eine beruhmte zweidimensionale Mannigfaltigkeit ist der 2-Torus. Man gewinnt auseinem Quadrat einen 2-Torus, wenn man die gegenuberliegenden Seiten gleichsinnigverheftet. Die glatten Funktionen auf dem 2-Torus entsprechen den doppeltperiodi-schen Funktionen.

Bemerke : Realteil und Imaginarteil von

F (x, y) := eikx · ei`y (k, ` ∈ Z)

sind doppelt 2π-periodische Funktionen. Man kann diese Funktionen und ihre Line-arkombinationen als Funktionen auf dem 2-Torus auffassen. Diese trigonometrischenPolynome sind zwar noch nicht alle glatten Funktionen auf dem 2-Torus; man kannaber alle glatten Funktionen (mitsamt der Ableitungen) durch ihre Fourierpolynomegleichmaßig approximieren.

3. Die offene Kreisscheibe und der ganze R2 sind ebenfalls zweidimensionale Mannig-faltigkeiten. Sie sind nicht kompakt. Eine weitere (nicht kompakte) Mannigfaltigkeitist der Zylinder. Bei einem Kegel muss man den Scheitel weglassen, wenn man eineMannigfaltigkeit haben will.

Definition

Seien (M1,D1) und (M2,D2) glatte Mannigfaltigkeiten. Eine Abbildung ϕ : M1 → M2

heißt eine glatte Abbildung, wenn fur jedes f2 ∈ D die zuruckgenommene Funktionϕ? (f2) zu D gehort

ϕ?(f2) · (P ) = f2

(ϕ(P )

)(”Pullback“)

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82 Mathematik fur Physiker II

Definition (Diffeomorphie)

Zwei Mannigfaltigkeiten heißen diffeomorph, wenn es eine bijektive Abbildung gibt, so-dass sie selbst und ihre Umkehrabbildung glatt ist.(Eine glatte Abbildung mit einer glatten Umkehrabbildung heißt ein Diffeomorphismus.)Die Diffeomorphie ist offenbar eine Aquivalenzrelation.

Eindimensionale Beispiele

Die offenen Intervalle sind eindimensionale Mannigfaltigkeiten. Sie sind zueinander dif-feomorph. Ein naheliegender Diffeomorphismus von (−∞,+∞) auf

(−π

2, π

2

)ist z.B. die

Arcustangensabbildung.Die Kreislinie ist eine kompakte Mannigfaltigkeit. Jede kompakte zusammenhangendeeindimensionale Mannigfaltigkeit ist diffeomorph zur Kreislinie.Die Lemniskate ist keine Mannigfaltigkeit. Wenn man den Doppelpunkt wegnimmt, zerfalltsie in zwei punktierte Kreise (also in zwei offene Intervalle). Jede zusammenhangende ein-dimensionale Mannigfaltigkeit ist entweder zur Kreislinie oder zu einem offenen Intervalldiffeomorph.

Zweidimensionale Beispiele

Jede offene konvexe Menge ist zur offenen Vollkugel diffeomorph. (Das gilt in jedem Rd.)Die geschlitzte Ebene ist zu einem offenen Rechteck diffeomorph. Die Polarkoordinatenleisten den Diffeomorphismus. Die 2-Sphare ohne die Datumsgrenze ist ebenfalls dazudiffeomorph; die Winkel (ϑ, ϕ) leisten den Diffeomorphismus. Die punktierte Ebene istzu einem Zylinder diffeomorph; der Zylinder ist das Produkt einer Kreislinie mit einemIntervall.

Bemerke : In einer d-dimensionalen Mannigfaltigkeit besitzt jeder Punkt P eine Umge-bung U , die zu einer offenen Vollkugel (oder zu einem offenen Parallelepiped) diffeomorphist. Jedes lokale Koordinatensystem leistet einen Diffeomorphismus.

Zusammenhang

Ein topologischer Raum (S,A) heißt zusammenhangend, wenn man S nur auf trivialeWeise als Vereinigung disjunkter offener Mengen darstellen kann.

Beispiel : R ist zusammenhangend, Q ist nicht zusammenhandend.Ohne Beweis erwahnen wir den

Satz

Eine Mannigfaltigkeit (M,D) ist genau dann zusammenhangend, wenn es zu jedem Punk-tepaar Po, P1 eine glatte Kurve gibt, auf welcher Po und P1 liegen.(”Jede zusammenhangende Mannigfaltigkeit ist bogenzusammenhangend“.)

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Mathematik fur Physiker II 83

47. Vorlesung : Koordinatenwechsel, Tangentialvektoren und Co-

vektoren

U sei eine Umgebung von P .x(j) : j = 1, . . . , n

und

y(i) : i = 1, . . . , n

seien Koor-

dinatensysteme auf U .

x(1)

...x(n)

=

X(1)

(y(1) , . . . , y(n)

)

X(n)(y(1) , . . . , y(n)

)

;

y(1)

...,y(n)

=

Y (1)(x(1) , . . . , x(n)

)

Y (n)(x(1) , . . . , x(n)

)

y(i) =Y (i)(X(1)(y(1), . . . , y(n)) , . . . , X(n)(y(1), . . . , y(n))

)i = 1, . . . , , n

x(j) =X(j)(Y (1)(x(1), . . . , x(n)) , . . . , Y (n)(x(1), . . . , x(n))

)j = 1, . . . , , n

Die UmrechnungsfunktionenX(j)(·)

liefern in jedem Punkt eine Jacobi-Matrix.

Die Jacobi-Matrix fur dieY (i)(·)

im gleichen Punkt ist die inverse Matrix.

Diese Jacobi-Matrix bezeichnet man manchmal

∂(x(1), . . . , x(n)

)

∂ (y(1), . . . , y(n))bzw.

∂(y(1), . . . , y(n)

)

∂ (x(1), . . . , x(n)).

Wir bevorzugen die abgekurzte Schreibweise

B =

(∂x

∂y

)bzw. A =

(∂y

∂x

), A ·B = I .

Hinweis : A heißt die Funktionalmatrix des Koordinatenwechsels von x nach y. DieInverse B = A−1 ist die Funktionalmatrix fur den Koordinatenwechsel von y nach x.Es konnte zu Mißverstandnissen fuhren, wenn man die Eintrage der Funktionalmatrix aij

mit ∂y(i)

∂x(j) bezeichnen wurde; die Funktionen aij(P ) nehmen Bezug auf das ganze Systemx(1)(·), . . . , x(n)(·)

.

Tangentialvektoren einer Kurve(γ(t) : t ∈ (a, b)

)sei ein glattes Kurvenstuck auf der Mannigfaltigkeit M . Wir erhalten

fur jedes t einen Tangentialvektor γ(t) mit dem Fußpunkt γ(t). Diesen Tangentialvektorkonnen wir in jedem Koordinatensystem durch eine n-Spalte darstellen. x(t) sei die Spaltemit den Eintragen x(j)(t)

x(j)(t) =d

dtx(j)(γ(t)

)

Der Tangentialvektor hat bzgl. der y-Koordinaten die Eintrage

y(i)(t) = ddtY (i)

(x(1)(γ(t)

), . . . , x(n)

(γ(t)

))

=∑(

∂y∂x

)i,j· x(j)(t) .

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84 Mathematik fur Physiker II

Satz :

Wenn die Spalten x und y denselben Tangentialvektor im x- bzw. y-System darstellen,dann gilt

y = A · x =

(∂y

∂x

)x (Spalte = Matrix × Spalte) .

Bemerke : Mit Hilfe des Tangentialvektors γ(t) erhalt man fur jede glatte Funktion fdie Anderungsgeschwindigkeit entlang der Kurve

f(t) = ddtf(γ(t)

)= d

dtF(x(1)(γ(t)

), . . . , x(n)

(γ(t)

))

=∑Fj(·) · x(j)(t) .

Damit wollen wir uns nun genauer beschaftigen.

Gradienten und Differentiale

Bekanntlich definiert man fur eine glatte Funktion von n reellen Veranderlichen F (·, . . . , ·)den Gradienten als das n-Tupel der partiellen Ableitungen

gradF (·, . . . , ·) = (F1(·, . . . , ·), . . . , Fn(·, . . . , ·))

als Zeile notiert.Fur eine glatte Funktion f auf einer Mannigfaltigkeit definieren wir den Gradienten bzgl.des Koordinatensystems

x(j)(·) : j = 1, . . . , n

als die Zeile mit den Eintragen

fj(P ) = Fj(x(1)(P ), . . . , x(n)(P )

).

Wir notieren

(f1, . . . , fn) =∂f

∂ (x(1), . . . , x(n))bzw.

(∂f

∂x

)

j=1,...,n

.

Seiy(i)(·) : i = 1, . . . , n

ein weiteres lokales Koordinatensystem. Die Funktionalmatrix

(∂y∂x

)ist die Matrix mit den Zeilen

(∂y(i)

∂x

), i = 1, . . . , n.

Mit Hilfe dieser Funktionalmatrix kann man nun fur beliebige f ∈ D den Gradienten bzgl.des x-Systems in den Gradienten bzgl. des y-Systems umrechnen.

Satz (∂f

∂x

)=

(∂f

∂y

)·(∂y

∂x

)(Zeile = Zeile × Matrix) .

Beweis :f = F

(x(1), . . . , x(n)

)= G

(y(1), . . . , y(n)

)

= F(Y (1)

(x(1), . . . , x(n)

), . . . , Y (n)

(x(1), . . . , x(n)

)).

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Mathematik fur Physiker II 85

Partielle Ableitung nach der j-ten Koordinate ergibt

Fj(x(1), . . . , x(n)

)=∑

Gi

(y(1), . . . , y(n)

)· Y (i)

j

(x(1), . . . , x(n)

)

fj =∑

i

gi ·(∂y

∂x

)

i,j

,

wo die gi die Eintrage im Gradienten bzgl. des y-Systems sind.

Der Tangentialraum TP und sein Dualraum T ?PBei den Tangentialverktoren hatten wir bereits eine vom Koordinatensystem unabhangigeVorstellung. Man sagt von zwei Kurven γ(·) und δ(·), welche zur Zeit 0 durch den PunktP gehen, dass sie denselben Tangentialvektor liefern, wenn fur alle f ∈ D gilt

(∗) d

dtf(γ(t)

)=

d

dtf(δ(t)

)fur t = 0 .

Es genugt zu fordern, dass γ(0) und δ(0) fur ein n-Tupel von Koordinatenfunktionenx(j)(·) : j = 1, . . . , n

denselben Wert liefern.

Definition

Ein Tangentialvektor im Punkt P ist eine Aquivalenzklasse von glatten Kurven, die zurZeit 0 durch den Punkt P gehen.Die Kurven γ(·) und δ(·) heißen hierbei aquivalent, wenn(∗) gilt.

Wir werden spater auch eine algebraische Definition geben. Aus der hier gegebenenDefinition ziehen wir schon einmal die Folgerung.

Satz :

Der Raum aller Tangentialvektoren in einem Punkt P einer n-dimensionalen Mannigfal-tigkeit M ist ein n-dimensionaler Vektorraum.

Definition

Der Tangentialraum in P wird ublicherweise mit TP bezeichnet. Der Dualraum wird mitT ?P

bezeichnet; er heißt der Cotangentialraum im Punkt P .

Bemerke

Jede glatte Funktion f liefert in jedem P ∈ M einen Covektor; man bezeichnet ihn mitdf |

P

. Man schreibt

〈df |P

, γ(0)〉 =d

dtf(γ(t)

)|t=0

,

wenn γ(·) eine Kurve ist, die zur Zeit 0 durch den Punkt P geht.

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86 Mathematik fur Physiker II

Notation

Sei (f1, . . . , fn) der Gradient von f bzgl. des lokalen Koordinatensystemsx(j) : j = 1, . . . , n

auf U . Man schreibt dann

df = f1 · dx(1) + . . .+ fn · dx(n) auf U .

Spezialfall : f = y(i) woy(1), . . . , y(n)

ein weiteres lokales Koordinatensystem ist.

dy(i) =∑

j

aijdx(j) mit A =

(∂y

∂x

).

Wie wir gesehen haben, ist der Gradient von f bzgl. des y-Systems die Zeile (g1, . . . , gn)mit

fj =∑

i

gi · aij .

Dies ergibt sich auch durch formale Rechnung.

df =∑

i

gidy(i) =

i,j

gi · aij · dx(j) =∑

fjdx(j) .

Beispiel

Die geschlitzte Ebene kann man einerseits mit kartesischen Koordinaten (x, y) und ande-rerseits mit den Polarkoordinaten (r, ϕ) koordinatisieren

x = r cosϕ = X(r, ϕ) r = R(x, y) =√x2 − y2

y = r · sinϕ = Y (r, ϕ) ϕ = Φ(x, y)

Es gibt keine elementare Funktion, welche Φ(·, ·) in der gesamten geschlitzten Ebeneausdruckt

Φ(x, y)

= arcsin y√x2−y2

in der rechten Halbebene

= arccos x√x2+y2

in der oberen Halbebene

= arctan yx

in der rechten Halbebene

∂(x,y)∂(r,ϕ)

=

(cosϕ −r sinϕsinϕ r cosϕ

)=

(cosϕ − sinϕsinϕ cosϕ

)(1 00 r

)

∂(r,ϕ)∂(x,y)

=

(1r

00 1

r2

)(x y−y x

)=

(1 00 1

r

)(cosϕ sinϕ− sinϕ cosϕ

)

dx = cosϕdr − r sinϕdϕdy = sinϕdr + r cosϕdϕ

Wir eliminieren dϕ, in dem wir cosϕdx und sinϕdy addieren. Ebenso erhalten wir dϕ

cosϕdx+ sinϕdy = dr− sinϕdx+ cosϕdy = rdϕ = 1

r(−ydx+ xdy) .

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Mathematik fur Physiker II 87

Hinweis : Das hoherdimensionale Analogon zu dϕ heißt die Winkelform. Im Falle n = 3

1

r3(x · dy ∧ dz + y · dz ∧ dx+ z · dx ∧ dy)

Die Winkelformen werden uns noch beschaftigen. Den Kalkul der 1-Formen (oder Pfaff’schenFormen)

∑hkdf

(k) werden wir spater ausfuhrlich entwickeln. Pfaff’sche Formen nenntman auch Covektorfelder. Dual dazu sind die Vektorfelder. Ein Vektorfeld ordnet jedemP ∈ M einen Tangentialvektor mit dem Fußpunkt P zu. Ein Covektorfeld ordnet jedemP eine Covektor zu.

Hinweise :

1. Fruher sagte man manchmal: Die Anderung einer Funktion f entlang einer Kurveγ(·) ist das

”innere Produkt“ des Gradienten von f mit dem Tangentialvektor von

γ(·).d

dtf(γ(t)

)|t=0

=∑

Fj · x(j)(0)(

= 〈df, γ(0)〉).

Demgegenuber weisen wir darauf hin, dass die Tangentialvektoren und die”Gradi-

enten“ in zu einander dualen Vektorraumen TP bzw. T ?P liegen. Es geht nicht umein

”inneres Produkt“, sondern um die naturliche Paarung 〈·, ·〉. (Den Begriff des in-

neren Produkts verwendet man meistens synonym zum Begriff des Skalarprodukts;ein Skalarprodukt ordnet einem Paar von Vektoren im gleichen Raum V eine Zahlzu.)

2. Im Raum der Tangentialvektoren haben wir zunachst kein inneres Produkt. Man-nigfaltigkeiten, bei welchen in jedem Tangentialraum TP ein inneres Produkt spezi-fiziert ist, werden uns im 3. Semester beschaftigen. Es geht dort um Riemann’scheund Semi-Riemmann’sche Mannigfaltigkeiten.

3. Wenn wir tiefer in die analytische Mechanik einsteigen wollten, dann mussten wiruns auch mit sog. symplektischen Mannigfaltigkeiten beschaftigen. In dieser Struk-tur hat man in jedem Punkt eine ausgezeichnete Bilinearform, die etwas andereEigenschaften hat als ein inneres Produkt.

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88 Mathematik fur Physiker II

48. Vorlesung. Extrema mit Nebenbedingungen

Sprechweise

Eine glatte Funktion f auf der n-dimensionalen Mannigfaltigkeit M heißt stationar imPunkt P , wenn ihr Gradient im Punkt P verschwindet.Dies ist genau dann der Fall, wenn fur jede glatte Kurve γ(·), die zur Zeit 0 durch denPunkt P hindurchgeht, gilt

〈df, γ(0)〉 = 0 .

Ein stationarer Punkt P ist jedenfalls dann ein lokales Minimum, wenn die Hesse-Formin P positiv definit ist.Andererseits: Wenn P ein lokales Minimum ist, dann ist die Hesse-Form positiv semide-finit. Im eindimensionalen Fall ist das alles von der Schule her bekannt. Neu ist nur, dassman auf verschiedenen Kurven durch den Punkt P hindurchgehen kann.

Sprechweise

g(1), . . . , g(m) seien glatte Funktionen mit linear unabhangigen Gradienten in P . f sei glatt.Man sagt, P sei ein stationarer Punkt fur f unter der Nebenbedingung

g(·) = g(P )

,

wenn gilt〈df, γ(0)〉 = 0 fur alle γ(0) ∈ TP mit〈dg(i), γ(0)〉 = 0 fur i = 1, . . . , m .

Hinweis

Es existiert eine Umgebung U von P , sodassg(·) = g(P )

∩ U eine (n−m)-dimensionale

Mannigfaltigkeit ist. Dies ist im Wesentlichen die Aussage des”Satzes von der implizit

gegebenen Funktion“, den wir spater ausfuhrlich behandeln werden.

Satz (Lagrange’sche Multiplikatoren)

g(1), . . . , g(m) seien glatte Funktionen mit linear unabhangigen Gradienten in P . Die Funk-tion f hat genau dann in P einen stationaren Punkt mit der Nebenbedingung

g(·) =

g(P ), wenn Zahlen λ1, . . . , λm existieren, sodass

df = λ1dg(1) + . . .+ λmdg

(m) im Punkt P .

Der Beweis ergibt sich aus dem folgenden Satz der linearen Algebra:

Satz

`(1), . . . , `(m) seien linear unabhangige Linearformen auf einem n-dimensionalen Vektor-raum V . Dann ist

V0 =x : `(i)(x) = 0

ein (n − m)-dimensionaler Vektorraum. Die Gesamtheit aller Linearformen, die auf V0

verschwinden, ist die lineare Hulle der `(i).` : ` (v0) = 0 fur alle v0 ∈ V0

=∑

λi`(i).

Satze dieser Art werden wir spater ausfuhrlich diskutieren. Hier betrachten wir

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Mathematik fur Physiker II 89

Beispiel 1 (Quadratische Funktionen) Q sei eine symmetrische n× n-Matrix

q(x) =1

2xT ·Q · x fur x ∈ Rn .

Wir suchen die Punkte auf der Einheitssphare S =x : xT · x = 1

, in welchen q(·)

stationar ist. Wir suchen also diejenigen x ∈ S, in welchen der Gradient von q(·) einVielfaches ist von

dg = d(x2

1 + . . .+ x2n

)= 2x1dx1 + 2x2dx2 + . . .+ 2xndxn .

Der Gradient von q(·) (bzgl. des Koordinatensystems x1, . . . , xn ist die Zeile mit denEintragen

aj =∑

i

xiQij , fur j = 1, . . . , n ;

denn nach der Produktregel gilt

dq(·) = d

(1

2

i,j

xi ·Qij · xj)

=1

2

∑dxiQij · xj +

1

2

∑xi ·Qijdxj .

x ∈ S ist genau dann ein stationarer Punkt fur q(·) auf S, wenn ein λ existiert, sodass

Qx = λx .

Diese x nennt man die (normierten) Eigenvektoren der Matrix Q.q(·) nimmt auf der kompakten Mannigfaltigkeit das Maximum und das Minimum an.Es gibt daher mindestens zwei Eigenvektoren. Wir werden spater sehen, dass die Mengeder Eigenvektoren den ganzen Rn aufspannt. Die Eigenwerte sind die Nullstellen descharakteristischen Polynoms der Matrix Q.

Beispiel 2 (Minimaler Abstand von einer Sphare) P0 und P1 seien Punkte im euklidi-schen Rn. Auf der Sphare

S =P : ‖P − P1‖2 = r2

suchen wir den Punkt P , welcher minimalen Abstand von P0 hat. Die Funktion

f(P ) = ‖P − P0‖2 = r2

ist auf S zu minimieren.Mit dem Schluß von oben ergibt sich

(P − P0) = λ ·(P − P1

).

Der gesuchte Punkt P liegt auf der Verbindungsgerade von P0 und P1. Diese Verbindungs-gerade schneidet die Sphare S in zwei Punkten; in dem einen ist f(·) minimal, im anderenist f(·) maximal (

”unter der Nebenbedingung P ∈ S“).

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90 Mathematik fur Physiker II

Beispiel 3 (Legendre-Transformation) k(·) sei eine glatte konvexe Funktion

K =x : k(x) = h

.

Wir suchen fur eine vorgegebene Linearform ϑ

ϕ(ϑ) := supϑx : x ∈ K .

Wenn das Supremum in einem Punkt xϑ angenommen wird, dann ist der Gradient vonϑx ein Vielfaches des Gradienten von k(x) in diesem Punkt xϑ.

ϑ = λ · k′ (xϑ) , k (xϑ) = h .

Beispiel : Sei p > 1 , 1p

+ 1q

= 1.

K :=x : |x1|p + . . .+ |xn|p = 1

; ϑ = (ϑ1, . . . , ϑn) mit ϑj > 0 .

Das Supremum ϕ(ϑ) wird im positiven Oktanten angenommen.

λ · k′ (x) = (λp)(xp−1

1 , . . . , xp−1n

)= ϑ .

Wir bemerken p− 1 = pq, qp

+ 1 = q

xj = c · ϑq/p fur j = 1, . . . , n .

Die Konstante ergibt sich aus 1 =∑xpj = cp ·∑ϑqj .

ϕ(ϑ) = supϑx :

∑xpj = 1

=∑

ϑjxj = c∑

ϑqj =(∑

ϑqj

)1/q

.

Das ist die Holder’sche Ungleichung, die wir fruher mit einem kleinen Trick etwas schnellerhergeleitet haben.

Beispiel 4 (Gibbs-Verteilungen)Sei Ω eine endliche Menge von

”Zustanden“. Wenn sich ein Teilchen im Zustand ω befin-

det, dann hat es die Energie u(ω).Wir legen Nω Teilchen in den Zustand ω, ω ∈ Ω, und erhalten die Gesamtenergie proTeilchen

1

N

∑Nω · u(ω) = U .

Sei nun U vorgegeben. Wir suchen durch geschickte Wahl der relativen Haufigkeiten

pω ≥ 0 mit∑

pω = 1

die”Entropie“ zu maximieren

S(p) := −∑

pω · `npω .

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Mathematik fur Physiker II 91

(Das ist es, was die Natur macht.)Die Funktion S(·) ist im positiven Oktanten konkav. (x · `nx ist konvex auf R+ undSummen konvexer Funktionen sind konvex.)S(·) ist unter den Nebenbedingungen

g(1)(p) :=∑

pω!= 1 und g(2)(p) :=

∑pωu(ω)

!= U

zu maximierendS =

∑− (`npω + 1) dpωdg(1) =

∑dpω

dg(2) =∑uωdpω .

Im Maximalpunkt ist dS eine Linearkombination von dg(1) und dg(2).

− (`npω + 1) = const + β · u(ω)pω = const · exp

(− β · u(ω)

)= 1

Z(β)· exp

(− β · u(ω)

).

Die Konstanten sind aus den Nebenbedingungen zu bestimmen.

1 =∑pω =⇒ Z(β) =

∑exp

(− β · u(ω)

)

U =∑u(ω)pω ⇐⇒ U = 1

Z(β)

∑u(ω) · exp

(− βu(ω)

).

Aus dieser Gleichung konnen wir nun ein eindeutiger Weise β zu U finden(fur U im

Intervall zwischen dem Minimalwert und dem Maximalwert von u(·)); denn `nZ(β) ist

eine runde konvexe Funktion von β, deren Ableitung

d

(`nZ(β)

)= − 1

Z(β)

∑u(ω) · exp

(− β · u(ω)

)

die reelle Achse auf das Intervall abbildet (vgl. die 44. Vorlesung).Wir bemerken

S(p) = −∑ pω · `npω = −∑ p(ω)[− `nZ(β)− βu(ω)

]

= `nZ(β) + β · U .

Hinweis : In der statistischen Mechanik entspricht β der reziproken Temperatur

pω =1

Z· exp

(− 1

k · T · u(ω)

)(k = Boltzmann-Konstante)

Die Zustandsvariable − 1β`nZ heißt die Helmhotz’sche freie Energie zur Energie U bei der

Temperatur T

F =1

β`nZ(β) = U − T · S .

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92 Mathematik fur Physiker II

Beispiel 5 (Die Lagrangeschen Gleichungen erster Art)Betrachten wir ein System von Massenpunkten, an welchen einerseits außere Krafte an-greifen, die aber andererseits auch durch geometrische Bedingungen gebunden sind. Sosind etwa einzelne Massenpunkte an gewisse Flachen gebunden und die Abstande zwischengewissen Paaren von Massenpunkten fixiert. Im Gleichgewichtszustand verschwindet injedem Massenpunkt die Summe der außeren Krafte und der

”Zwangskrafte“, die dafur

sorgen, daß die geometrischen Bedingungen eingehalten werden. Die Zwangskrafte sindKrafte, die keine Arbeit leisten bei den

”virtuellen Verruckungen“.

Nehmen wir hier an, daß die Bedingungen in der Form von Gleichungen zwischenden d = 3N Koordinaten des Systems gegeben (

”holonome“ Systeme), die von der Zeit

unabhangig sind (”skleronome“ Systeme).

F (i)(x1, . . . , xd) = 0 fur i = 1, 2, . . . , m .

Die i–te Zwangskraft ist ein Vielfaches von dF (i). Die außeren Krafte sind durch eine1–Form gegeben

ω = k1 · dx1 + . . .+ kd · dxd ,(im Falle, daß sie von einem Potential U herruhren ω = −dU).

Im Gleichgewichtszustand haben wir

0 = ω +∑λi · dF (i) =

(k1 + λ1

∂F (1)

∂x1+ . . .+ λm

∂F (m)

∂x1

)dx1

+(k2 + λ1

∂F (1)

∂x2+ . . .+ λm

∂F (m)

∂x2

)dx2

. . .

+(kd + λ1

∂F (1)

∂xd+ . . .+ λm

∂F (m)

∂xd

)dxd

Die Bedingung, daß die Koeffizienten der dx verschwinden, liefert die Gleichungen vonLagrange fur das statische Gleichgewicht. Das Gleichungssystem hat ebenso viele Glei-chungen wie Unbekannte, namlich d + m. Gelingt die

”Losung“, so hat man nicht nur

die Gleichgewichtsposition x∗1, . . . , x∗m sondern auch die Lagrangeparameter, welche die

Druck– und Zugkrafte messen, welche die Massenpunkte auf die Fuhrungsmechanismenausuben.

Beispiel 6 : Fur die Dynamik, wo also die Massenpunkte beschleunigt werden konnen,sind einfach die ki durch ki −mi · xi zu ersetzen.

Dies ergibt die sog. Lagrangeschen Gleichungen erster Art

m1 x1 = k1 + λ1∂F (1)

∂x1+ . . .+ λm

∂F (m)

∂x1

. . .

md xd = kd + λ1∂F (1)

∂xd+ . . .+ λm

∂F (m)

∂xd

F (1)(x1, . . . , xd) = 0. . .

F (m)(x1, . . . , xd) = 0

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Mathematik fur Physiker II 93

Hinweis Man konnte nun die klassische Mechanik in die Sprache der Mannigfaltig-keiten zu ubersetzen. Nicht der Konfigurationsraum sondern der Phasenraum (mit Orts–und Impuls–Koordinaten) ist die Mannigfaltigkeit, fur die man sich zu interessieren hat.Wenn man die Impulskoordinaten einfuhrt, dann erhalt man die Lagrangeschen Glei-chungen zweiter Art und die Hamiltonschen Gleichungen. Wir verweisen z.B. auf Joos:Lehrbuch der Theoretischen Physik, Akademische Verlagsgesellschaft, S. 110 ff (1959).

Sehr kurz und elegant werden die Prinzipien herausgearbeitet in G.W. Mackey:Mathematical Foundations of Quantum Mechanics. W.A. Benjamin, Inc. 1963, page 1–29.

In der 49. Vorlesung gab es Wiederholung und Ubungen.

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Mathematik fur Physiker II 95

Teil IX : Lineare und multilineare Algebra

Themenubersicht

Didaktische Vorrede: Matrizenrechnung, lineare Algebra, geometrische Anschauung.

50. Vorlesung : Affine Geometrie, Geschichtliches Seite 97Punkte, Geraden, Ebenen. Affine Teilraume und ihre Verschiebungen, Affine Teilraume alsNullstellengebilde. Dualraum, duale Abbildung.

”Objekte hoherer Stufe“. Zur Geschichte:

Geometrie in n Dimensionen bei Graßmann, Riemann, Cayley. Hamiltons Quaternionen,

”Vektoranalysis“. Differentialformen bei E. Cartan. Determinanten von Leibniz bis Jacobi.

51. Vorlesung : Determinanten, Dachprodukte Seite 101Die Determinantenfunktion als multiplikative Funktion auf GLn. Die Determinante alsalternierende Multilinearform. Die Determinante als Umrechnungsfaktor fur

”Raumele-

mente“.

52. Vorlesung : Abstrakte Vektorraume, Basis und Dimension Seite 107Axiome, lineare Hulle, lineare Unabhangigkeit, Basis, Austauschlemma. Linearformen,duale Basis. Naturliche Paarung.

53. Vorlesung : k-Vektoren und alternierende k-Formen Seite 112Formale Linearkombinationen von k-fachen Dachprodukten. Umrechnungsregeln. Bezugauf eine Basis. Das

”Vektorprodukt“ als Beispiel. Alternierende Multilinearformen

(ΛkV

)?.

Duale Basen vK : |K| = k und`(K) : |K| = k

. ΛV = ΛV ⊕ Λ1V ⊕ . . .⊕ ΛnV . Das

Dachprodukt in der Graßmann-Algebra ΛV .

54. Vorlesung : Minoren, Cofaktoren, Cramer’sche Regel Seite 119Minoren eine Matrix. Cofaktoren und der Laplace’sche Entwicklungssatz fur Determinan-ten, Cramer’sche Regel, Transformation

”polarer“ Vektoren.

55. Vorlesung : Nullraume, Kern und Bildeiner linearen Abbildung Seite 131Nullraume bzgl. der naturlichen Paarung. Der Satz vom Rang. Nullraume bzgl. einernichtausgearteten Bilinearform (z.B. Orthogonalraume). Duale Abbildung. Zeilenrang =Spaltenrang. Vektorraum-Homomorphismen und Isomorphismen. Hinweis auf stetige li-neare Abbildungen.

56. Vorlesung : Tableaus, Basisaustausch,lineare Gleichungssysteme Seite 128Basisaustausch durch Spaltentableaus. Die Matrizen im vollstandig ausgetauschten Ta-bleau. Gleichungssysteme durch Zeilentableaus. Hinweis auf den Satz von der implizitgegebenen Funktion.

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96 Mathematik fur Physiker II

57. Vorlesung : Duale Tableaus, Bilinearformen, Tensoren Seite 135Basiswechsel und Koordinatenwechsel. Matrizen und Tableaus zur Darstellung linearerAbbildungen. Lineare Abbildungen als Bilinearformen. Der Rang einer Bilinearform. DasTensorprodukt U ⊗ V und sein Dualraum U ? ⊗ V ?.

58. Vorlesung : Lineare Optimierung, perfekter Austausch Seite 141Maximierung als Zeilentableau, Minimierung als Spaltentableau. Zulassige Losungen desSpaltentableaus liefern obere Abschatzungen fur die Zielfunktion im Maximierungspro-blem. Zahlenbeispiel fur perfekten Austausch.

59. Vorlesung : Geometrisches zur linearen Optimierung Seite 146Extremalpunkte. Auf einer abgeschlossenen konvexen MengeK, die keine Geraden enthalt,nimmt jede auf K beschrankte konvexe Funktion ihr Maximum in einem Extremalpunktan. Perfekter Austausch im Fall

”allgemeiner Lage“. Legendre-Dualitat und Dualitat in

der linearen Optimierung. Duale Kegel. Der Satz von Farkas.

supcx : x ≥ 0, Ax ≤ b = infξb : ξ ≥ 0 , ξA ≥ c .

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Mathematik fur Physiker II 97

Teil IX : Lineare und multilineare Algebra

Didaktische Vorrede:

Die lineare Algebra steht fur die Studierenden der Mathematik neben der elementarenAnalysis ganz am Anfang des Studiums. Den Studierenden der Physik wird in Frankfurtkeine separate Veranstaltung zur

”Linearen Algebra“ oder

”Analytischen Geometrie“ an-

geboten. In der”Mathematik fur Physiker“ soll die Algebra zusammen mit der Geometrie

und der Analysis entwickelt werden. Die Prinzipien des algebraischen Operierens sollenalso sowohl mit geometrischer Anschauung verbunden werden, als auch mit den Ideen vonKonvergenz und Stetigkeit. Die von den Mathematikern so geschatzte Systematik mussda in den Hintergrund treten.Ein besonders empfehlenswertes Lehrbuch ist

A.I. Kostrikin, Yu,I. Manin”Linear Algebra and Geometry“, Taylor & Francis Group

1997.

Die elementaren Teile enthalten gute Ubungsaufgaben. Ungewohnlich sind die intuitivrelativ leicht zuganglichen, sehr ernsthaften Ausblicke auf Anwendungen in der Quanten-mechanik.

Wir haben die Matrizenrechnung als eine Vorstufe der Theorie der Vektorraume imersten Semester zusammen mit den komplexen Zahlen und den Polynomen vorgestellt.Die Matrizen waren da Rechengroßen, die man addieren bzw. multiplizieren kann (wenndie Formate passen). Auf Anschaulichkeit mussten wir verzichten. Dieses Defizit soll nunausgeglichen werden. Wir entwickeln die Theorie der Vektorraume als lineare Geometriemit der Dualitat als zentralem Prinzip. Geometrische Betrachtungen zur Matrizenrech-nung spielten naturlich auch schon an fruheren Stellen der Vorlesung eine Rolle, zuletztbei den Kurven auf einer Mannigfaltigkeit und bei den Extrema mit Nebenbedingungen.Wir sollten also fit sein fur den abstrakten Zugang der linearen Geometrie.

50. Vorlesung : Affine Geometrie, Geschichtliches

Die affine lineare Geometrie handelt zunachst einmal von Punkten, Geraden, Ebenen,. . . , also von affinen Teilraumen (eines gegebenen affinen Raums L). Der VektorraumV der Verschiebungen muss kein R-Vektorraum oder C-Vektorraum sein. Wir wollen alsKoeffizientenkorper einen beliebigen Korper K zulassen.

Zu einem k-dimensionalen affinen Teilraum M ⊆ L gehort der k-dimensionale Teil-vektorraum W seiner Verschiebungen. (Wir nennen ihn manchmal den Tangentialraumvon M .) Wenn P ein beliebiger Punkt von M ist, dann gilt

M = P : P = P + w mit w ∈ W .

Andererseits kann man M aber auch als Durchschnitt von Hyperebenen beschreiben.

M = P : a(1)(P ) = 0, . . . , a(m)(P ) = 0 .

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98 Mathematik fur Physiker II

Hier sind die a(i)(·) affine Funktionen auf L.Die affinen Funktionen auf L und die dazugehorigen Linearformen auf V spielen eine

ebenso zentrale Rolle in der affinen linearen Geometrie wie die Vektoren. Der Vektor-raum der Linearformen heißt der Dualraum von V . Die Linearformen werden oft auchCovektoren genannt.

Definitionen

a) Eine K-wertige Funktion a(·) auf einem affinen Raum M heißt eine affine Funkti-on, wenn gilt

a((1− λ)P + λQ

)= (1− λ) · a(P ) + λ · a(Q) fur alle P,Q ∈M, λ ∈ K .

b) Eine K-wertige Funktion `(·) auf einem Vektorraum W heißt eine Linearform,wenn gilt

` (αw1 + βw2) = α · ` (w1) + β · ` (w2) fur alle w1, w2 ∈ W, α, β ∈ K .

c) Eine Abbildung ϕ von einem K-Vektorraum V in einem K-Vektorraum U heißt einelineare Abbildung oder eine Vektorraum-Homomorphismus, wenn gilt

ϕ (αv1 + βv2) = α · ϕ (v1) + β · ϕ (v2) fur alle v1, v2 ∈ U, α, β ∈ K .

d) Entsprechend ist der Begriff der affinen Abbildung eines affinen Raums in einenaffinen Raum definiert. Eine affine Abbildung A(·) bestimmt einen Vektorraum-Homomorphismus

ϕ(w) = A(P + w)− A(P ) .

Wir werden uns meistens nur mit dieser linearen Abbildung beschaftigen.

Dimension :

Ein erster zentraler Begriff der affinen linearen Geometrie ist die Dimension (eines Teil-vektorraums bzw. eines affinen Teilraums). Ein Teilvektorraum kann als die lineare Hulleeiner Familie von Vektoren gegeben sein oder als das Nullstellengebilde einer Familie vonLinearformen. In beiden Fallen stellt sich das Problem, die Dimension zu bestimmen.Eine lineare Abbildung bildet Teilvektorraume in Teilvektorraume ab. Die Dimension desBilds kann aber kleiner sein als die Dimension des abgebildeten Raums.

Wenn A(·) eine affine Abbildung ist und a(·) eine affine Funktion auf dem Ziel-raum, dann ist die zuruckgenommene Funktion A?(a)(·) eine affine Funktion auf demUrbildraum. Der Pullback A?(·) liefert eine lineare Abbildung des Vektorraums aller af-finen Funktionen auf dem Zielraum in den Vektorraum aller affinen Funktionen auf demUrbildraum.

Wir interessieren uns, wie gesagt, vor allem fur lineare Abbildungen (auch lineareOperatoren genannt)

ϕ : V −→ U .

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Mathematik fur Physiker II 99

Der Vektorraum der Linearformen auf V , der Dualraum von V , wird mit V ? bezeichnet.Fur jedes ` ∈ U? ist die zuruckgenommene Funktion eine Linearform auf U . Die Ein-schrankung des Pullback ϕ?(·) auf U? heißt die zu ϕ duale Abbildung und wird mit ϕ?

bezeichnet.ϕ? : V ? ←− U? zu ϕ : V −→ U .

Die duale Abbildung ϕ? bildet Teilvektorraume von U? in Teilvektorraume von V ? ab.Auch hier stellt sich die Frage, wie die Dimension durch die Abbildung verringert wird.Fur alle diese Fragen ist die lineare Algebra zustandig.

Objekte hoherer Stufe

Die lineare Geometrie betrachtet noch andere mathematische Objekte als nur die Vek-toren. Sie beschaftigt sich z.B. auch mit

”Stellungen“ im Raum, die durch Paare von

Vektoren (”Parallelogramme“) gegeben sind. Die Physiker kennen diese Objekte im drei-

dimensionalen Anschauungsraum als”polare Vektoren“. In mehr als dreidimensionalen

Raumen bestimmen auch Tripel, Quadrupel von Vektoren”Stellungen“ im Raum. Diese

Objekte sind die Elemente der Graßmann-Algebra ΛV . Auch mit diesen Objekten undden dazu dualen Objekten, den alternierenden Multilinearformen wird in der affinen Geo-metrie gerechnet. Es ist zu hoffen, dass sich mit dem Rechnen geometrische Vorstellungs-kraft entwickelt, denn die geometrischen Vorstellungen werden wir in der Weiterfuhrungder Theorie der Mannigfaltigkeiten dringend brauchen.Ein Blick in die Geschichte der Geometrie zeigt, dass es einiger geistiger Flexibilitat be-darf, eine tragfahige geometrische Intuition zu entwickeln.

Zur Geschichte

Hermann Graßmann (1809-1877) explizierte 1844 (und dann nochmal 1862) in seiner”Li-

nealen Ausdehnungslehre“ die Idee, dass man mit gewissen geometrischen Großen direktrechnen sollte; es sei unpassend immer nur mit Zahlen zu rechnen. Dabei war das, wasman spater Vektoren nannte, fur Graßmann nur ein spezieller Typ geometrischer Großen.Graßmanns revolutionare Ideen wurden von seinen Zeitgenossen ebensowenig verstan-den wie Riemanns

”Hypothesen, die der Geometrie zugrundeliegen“ (1854). Uberhaupt

wurde die Geometrie von mehr als drei Dimensionen mit Mißtrauen und Unglauben auf-genommen. (Cayley hatte 1843 den Begriff eines Raumes von n Dimensionen in einerweniger abschreckenden Form eingefuhrt als Graßmann.) Die Entwicklung ließ die Ideenvon Graßmann zunachst beiseite. Hamilton bemuhte sich uber Jahre um einen Kalkulder Zahlentripel nach dem Muster der komplexen Zahlen (die man als Zahlenpaare ver-stand). Bei den Tripeln hatte er keinen Erfolg, wohl aber bei den Quadrupeln. Als er 1843die Quaternionen (als Zahlenquadrupel) entdeckte, war die Begeisterung groß. Es zeigtesich aber recht bald, dass man den Wert der Quaternionen fur die Geometrie doch starkuberschatzt hatte. Es blieb immerhin ein Teil der Quaternionenkalkuls im Bewußtsein,namlich die Theorie der Vektoren (der Name stammt von Hamilton).Aus dieser Tradition heraus entwickelte eine spatere Generation von Mathematikern undPhysikern die Vektoranalysis fur affine und fur metrische Raume; zu nennen sind vor al-lem J.W. Gibbs (1839-1903) in Amerika und O. Heaviside (1850-1925) in England.

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100 Mathematik fur Physiker II

Der viel tiefer greifende Ansatz von Graßmann wurde erst spater wiederentdeckt. E. Car-tan (1869-1951) baute darauf seine Theorie der Differentialformen und ihrer Integraleuber Mannigfaltigkeiten. Die Differentialformen haben heute einen zentralen Platz in derGeometrie und in der mathematischen Physik.Die von Graßmann eingefuhrten

”Großen hoherer Stufe“ kann man sich als Aquivalenz-

klassen von Parallelogrammen (Dim = 2), Parallelepipeden (Dim = 3) . . . vorstellen. Bevorwir zu einer mathematischen Definition dieser Objekte (und den dazu dualen Objekte)sowie zu den Dachprodukten (

”wedge-products“) kommen, mussen wir einiges uber De-

terminanten sagen.

Geschichtliches uber Determinanten

Die Idee der Determinante ist alter als die lineare Geometrie. Sie geht auf Leibniz (1693)zuruck. (Ein japanischer Wissenschaftshistoriker hat 1914 festgestellt, dass der japanischeMathematiker Seki Kowa die Idee der Determinante bereits 1683 besessen hat.) Der GenferProfessor Gabriel Cramer hat die Determinanten 1750 wiederentdeckt und zur Losunglinearer Gleichungssysteme verwendet. Der Name Determinante stammt von Gauß (1801)und wurde auch von Cauchy (1812) verwendet. Zum Gemeingut der Mathematiker wurdedie Theorie der Determinanten durch eine beruhmte Arbeit von Jacobi

”De formatione et

proprietatibus determiantium“ (1841). Sylvester (1814-1897) pragte den Namen”Jacobi-

Determinante“. Der Begriff der Matrizen (speziell der Jacobi-Matrix einer Abbildung)stammt aus einer spateren Zeit.

Wir wollen die Determinanten in vier Schritten vorstellen.

- Die Determinante als eine multiplikative Funktion auf der Menge der n×n-Matrizen.

- Die Determinante als alternierende Multilinearform auf der Menge der n-Spalten.

- Die Determinante als Umrechnungsfaktor von einer Basis zu einer anderen.

- Die k × k-Determinanten (”Minoren“) als Eintrage in den Matrizen, wleche die

Koordinatentransformation in einer Graßmann-Algebra regelt.

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Mathematik fur Physiker II 101

51. Vorlesung : Determinanten, Dachprodukte

Die Determinante einer n× n-Matrix

Die Determinante einer 2× 2-Matrix

det

(a11 a12

a21 a22

)= a11 · a22 − a12 · a21

ist bereits aus der Schule bekannt. Vielleicht auch die Determinante einer 3 × 3-Matrix;sie ist die alternierende Summe von 6 Produkten. Eine entsprechende Formel gibt es auchfur die Determinante einer n× n-Matrix A =

(aij)i,j

detA =∑

σ

(signσ) · a1σ1· a2

σ2· . . . · anσn

.

Dabei ist uber alle Permutationen σ = (σi1 , . . . , σin) zu summieren. Das Signum von σ ist+1 oder −1, je nachdem, ob σ eine gerade oder eine ungerade Permutation ist.

Exkurs uber Permutationen: Eine bijektive Abbildung einer endlichen Menge heißteine Permutation. Eine Permutation, welche zwei Elemente vertauscht und alle ubrigenfestlaßt, heißt eine Transposition. Jede Permutation kann durch das Hintereinanderschal-ten von Transpositionen gewonnen werden. Die Permutation heißt gerade, wenn man siemit einer geraden Anzahl von Transpositionen gewinnen kann, andernfalls ungerade.Es ist nicht trivial, dass es ungerade Permutationen gibt. Man konnte ja vielleicht ver-muten, dass man jede Permutation (insbesondere jede Transposition) durch eine geradeAnzahl von Permutationen gewinnen kann, wenn man nur geschickt vorgeht.

Satz :

Sei (σ1, . . . , σn) eine Permutation der Zahlen 1, . . . , n. Nennen wir ein Paar i < j eineFehlstelle fur σ, wenn σi > σj. Bei jeder Transposition benachbarter Elemente wird dieAnzahl der Fehlstellen entweder um 1 vergroßert oder um 1 verkleinert. Der Beweis seidem Leser uberlassen.

Corollar : Wenn N(σ) die Anzahl der Fehlstellen fur σ ist, dann gilt

signσ = (−1)N(σ) .

Als Ubung beweise man: Eine zyklische Permutation von k Elementen ist ungerade, wennk gerade ist und gerade, wenn k ungerade ist.

Eigenschaften der Determinantenfunktion

1. Die Determinante der Einheitsmatrix ist = 1.

2. Wenn man eine Spalte (oder eine Zeile) der Matrix A mit λ multipliziert, dannmultipliziert sich die Determinante mit λ.

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102 Mathematik fur Physiker II

3. Wenn man zwei Spalten (oder Zeilen) vertauscht, dann multipliziert sich die Deter-minante mit −1.

4. Die Determinantenfunktion ist linear als Funktion der j-ten Spalte (oder i-ten Zeile),wenn man die ubrigen Spalten (bzw. Zeilen) festhalt; i, j beliebig.

Konsequenzen :

1. Eine Matrix mit zwei gleichen Spalten (Zeilen) verschwindet.

2. Wenn man zu einer Spalte (Zeile) Vielfache anderer Spalten (Zeilen) dazuaddiert,dann bleibt die Determinante unverandert.

3. Durch mehrfaches Anwenden dieser Regel kann man die Determinante mit relativgeringem Aufwand ausrechnen. Man muß nur geschickte elementare Zeilenoperatio-nen oder elementare Spaltenoperationen anwenden.

Satz :

Sei A eine n× n-Matrix. Wenn fur ein λ ∈ K

det(A− λ · I) = 0 ,

dann sind die Zeilen (und die Spalten von A−λI linear abhangig und es existieren Spaltenxλ 6= 0 (und Zeilen ξλ 6= 0), sodass

Axλ = λxλ , ξλ ·A = λ · ξλ .

(Diese xλ heißen Eigen-Spaltenvektoren zum Eigenwert λ, die ξλ heißen Eigen-Zeilenvektorenzum Eigenwert λ fur die Matrix A).

Den Beweis verschieben wir auf spater. Wir werden sehen, dass die Menge der Eigen-vektoren zum Eigenwert λ ein Vektorraum ist, der die Dimension k hat, wenn A − λIden Rang n− k hat. Die Begriffe Dimension und Rang werden in den nachsten Wochenausfuhrlich diskutiert.

Bemerkungp(z) := det(A− z · I)

ist ein Polynom n-ten Grades

p(z) = (−z)n + s1 · (−z)n−1 + . . .+ sn

mit sn = detA und s1 = a11 + a22 + . . . + ann. (Der Koeffizient s1 heißt die Spur von A(trace (A)

); Spuren werden uns im nachsten Semester beschaftigen).

p(·) heißt das charakteristische Polynom der Matrix. p(·) ordnet jedem Skalarλ ∈ K einen Skalar p(λ) zu. Wenn K = C, dann hat p(·) Nullstellen (

”Fundamentalsatz

der Algebra“). Fur allgemeine Skalarenkorper K gibt es keinen derartigen Satz. Wir be-handeln im Folgenden K-Vektorraume mit beliebigen Koeffizientenkorper; die Theorie derEigenvektoren und Eigenraume stellen wir zuruck.

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Mathematik fur Physiker II 103

Die Determinante als alternierende Multilinearform

Wir fassen die Determinante von n-reihigen Matrizen als Funktion des n-Tupels der Spal-ten auf. Sei also A =

(aij)i,j=1,...,n

eine I×J-Matrix und aj die I-Spalte mit den Eintragen(aij)i=1,...,n

(fur j = 1, . . . , n) und

detA = Φ (a1, a2, . . . , an) .

Φ(·, ·, . . . , ·) ist dann eine alternierende Multilinearform vom Grad n im Sinne der folgen-den allgemeineren

Definition

Sei V ein n-dimensionaler Vektorraum. Eine K-wertige Funktion Φ(·) auf dem k-fachencartesischen Produkt V ×V × . . .×V heißt eine alternierende k-Form (oder

”alternierende

Multilinearform vom Grad k“), wenn gilt

(i) Φ (w1, . . . , wj, wj+1, . . . , wk) = (−1) · Φ (w1, . . . , wj+1, wj, . . . , wk);

(ii) Φ (λw1, w2, . . . , wk) = λ · Φ (w1, w2, . . . , wk) fur alle λ ∈ K;

(iii) Φ (w′1 + w′′

1 , w2, . . . , wk) = Φ (w′1, w2, . . . , wk) + Φ (w′′

1 , w2, . . . , wk).

Bemerke :

1. Im Falle k = 1 ist die Bedingung (i) leer. Eine 1-Form ist nicht anderes als eineLinearform auf V . Die Gesamtheit aller alternierenden 1-Formen ist der DualraumV ?.

2. Der Vektorraum aller alternierenden n-Formen ist eindimensional. Es existiert einealternierende n-Form, welche nicht identisch 0 ist; und jede alternierende n-Formist ein Vielfaches davon.

3. Fur jedes k ist die Gesamtheit aller alternierenden k-Formen ein K-Vektorraum;man kann k-Formen linear kombinieren. Diesen Vektorraum bezeichnet man mitΛkV ?. Wir werden spater sehen, dass dieser Vektorraum die Dimension

(nk

)besitzt.

(k = 1, . . . , n).

Studieren wir jetzt den Fall k = n.

Satz :

V sei ein n-dimensionaler Vektorraum, v1, . . . , vn sei eine Basis.

a) Es existiert genau eine alternierende n-Form mit

Φ (v1, . . . , vn) = 1 .

b) Seien w1, . . . , wn Vektoren

wj =∑

viaij fur j = 1, . . . , n .

Dann giltΦ (w1, . . . , wn) = (detA) · Φ (v1, . . . , vn) = detA .

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104 Mathematik fur Physiker II

Beweis

1. Wir reprasentieren die Basisvektoren vi durch die Einheitsspalten. Die wj sind danndurch die I-Spalten mit den Eintragen

(aij)i=1,...,n

reprasentiert. Die Determinante

von A liefert die gesuchte alternierende n-Form.

2. Sei Φ(·) eine alternierende n-Form auf dem Raum der n-Spalten. Bei den elemen-taren Spaltenumformungen, die oben zur Berechnung der Determinante empfohlenwurden, bleibt der Wert von Φ(·) unverandert

(aufgrund der Eigenschaften (i), (ii)

und (iii)). Φ(·) ist also durch den Wert Φ (v1, . . . , vn) eindeutig bestimmt.

Corollar 1 Ein n-Tupel von Vektoren w1, . . . , wn ist genau dann linear abhangig, wenn

Φ (w1, . . . , wn) = 0

fur jede alternierende n-Form Φ(·). Das ist genau dann der Fall, wenn die Determinanteder Matrix verschwindet, welche die wj in einer beliebig gewahlten Basis darstellt.

Determinanten als Vergleichsfaktoren

(Sollte auch direkt nach Vorlesung 52 und Vorlesung 53 studiert werden)Wir gehen jetzt erste Schritte auf dem von Graßmann gewiesenen Weg. Wir rechnen mitneuartigen geometrischen Großen im n-dimensionalen Raum. Die Objekte der neuen Artsind die formalen Linearkombinationen von Dachprodukten. Zunachst geht es nur um dien-fachen Dachprodukte. Diese Rechengroßen konnte man als Raumelemente interpretie-ren. Das Entscheidende sind aber die Rechenregeln. Die Algebra ist insofern einfach, alsje zwei

”Raumelemente“ sich nur um einen Faktor unterscheiden; wir brauchen nur einen

Kalkul der Umrechnungsfaktoren. Und das ist der Determinantenkalkul in einem neuenGewand.

Notation

1. v1, . . . , vn und w1, . . . , wn seien linear unabhangige n-Tupel von Vektoren in einemn-dimensionalen K-Vektorraum V . Wir schreiben

1 · w1 ∧ . . . ∧ wn = α · v1 ∧ . . . ∧ vn ,

wenn α die Determinante der Matrix A ist, welche die wj durch die vj ausdruckt :

wj =∑

i

vi · aij fur j = 1, . . . , n .

2. Wenn u1, . . . , un linear abhangig sind, dann schreiben wir

1 · u1 ∧ . . . ∧ un = 0 · v1 ∧ . . . ∧ vn

oder auch kurz 1 · u1 ∧ . . . ∧ un = 0.

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Mathematik fur Physiker II 105

3. Statt 1 · w1 ∧ . . . ∧ wn schreiben wir auch w1 ∧ . . . ∧ wn.Wir wollen mit den Linearkombinationen der formalen Ausdrucke

α · v1 ∧ . . . ∧ vn

rechnen. Die Rechenregeln ergeben sich aus den Rechenregeln fur Determinanten.Diese lauten in der neuen Notation folgendermaßen:

Rechenregeln fur n-fache Dachprodukte

(i) Fur jedes n-Tupel von Vektoren und jedes j gilt

w1 ∧ . . . ∧ wj ∧ wj+1 ∧ . . . ∧ wn = (−1)w1 ∧ . . . ∧ wj+1 ∧ wj ∧ . . . ∧ wn

(”Transpositionen andern das Vorzeichen“)

(ii) µ (λw1) ∧ w2 ∧ . . . ∧ wn = (µλ) · w1 ∧ w2 ∧ . . . ∧ wn(”Skalare Faktoren kann man aus jedem Faktor herausziehen“)

(iii) (w′1 + w′′

1) ∧ w2 ∧ . . . ∧ wn = w′1 ∧ w2 ∧ . . . ∧ wn + w′′

1 ∧ w2 ∧ . . . ∧ wn(Das Dachprodukt ist in jedem Faktor linear)

Bemerke : Wegen (i) mussten wir die Homogenitat (ii) und die Additivitat (iii) nur furden ersten Faktor feststellen.

Satz :

Durch die Rechenregeln (i), (ii) und (iii) ergibt sich fur jede Matrix(aij)

= A

(∑vi1 · ai11

)∧(∑

vi2 · ai22)∧ . . . ∧

(∑vin · ainn

)= (detA) · v1 ∧ . . . ∧ vn .

Beweis (durch einfaches Rechnen)Wir konnen distributiv ausmultiplizieren.Die linke Seite ist die n-fache Summe

i1,...,in

(ai11 · ain2 · . . . · ainn

)vi1 ∧ . . . ∧ vin .

Wenn in einem Dachprodukt zwei Indizes gleich sind, dann ergibt das keinen Beitrag.Wenn σ = (i1, . . . , in) eine Permutation von (1, . . . , n) ist, dann haben wir

vi1 ∧ . . . ∧ vin = (signσ) · v1 ∧ . . . ∧ vn .

Die Summe ist also

σ

(signσ) · ai11 · ai21 · . . . · ainn (v1 ∧ . . . ∧ vn) = (detA) · (v1 ∧ . . . ∧ vn) .

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106 Mathematik fur Physiker II

Definition (Volumenmessung)

Eine K-wertige lineare Funktion Ψ(·), welche jeder formalen Linearkombination

α

aαvα1 ∧ . . . ∧ vαn

einen Skalar zuordnet, sodass die Zuordnung mit den Rechenregeln (i), (ii) und (iii) ver-traglich ist, heißt eine Volumenmessung in V .

Bemerke :

1. Eine Volumenmessung ist schon dadurch eindeutig bestimmt, dass man einem be-liebig gewahlten Dachprodukt e1 ∧ . . . ∧ en 6= 0 einen Skalar zuordnet.Man kann sagen, dass die Menge aller Volumenmessungen ein eindimensionaler Vek-torraum ist.

2. Wenn man die Volumenmessung Ψ(·) nur auf die”Monome“ w1∧ . . .∧wn anwendet,

dann hat man eine alternierende n-Form Φ(·), wie im vorigen Abschnitt.

Empfehlung : Man vermute nicht zu viel hinter der Sprechweise”formale Linearkombi-

nation“. Die eventuell vorhandene Scheu wird sich legen; man suche jetzt bitte nicht nacheiner mathematischen Definition. Verstanden hat man, wenn man begreift: Erst durcheinen Gleichheitsbegriff wird aus der Gesamtheit der formalen Linearkombinationen eineMenge im Sinne der Mathematik.

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Mathematik fur Physiker II 107

52. Vorlesung : Abstrakte Theorie der Vektorraume, Basis und

Dimension

Wir haben bereits mehrere R-Vektorraume und C-Vektorraume kennengelernt. Fur dieabstrakte Theorie der (endlichdimensionalen) Vektorraume, die wir jetzt entwickeln wol-len, brauchen wir keine speziellen Eigenschaften des Skalarenkorpers. Sei also K irgendeinKorper.

Definition (K-Vektorraum)

Ein K-Vektorraum ist ein Tupel(V, 0,+, ·) .

Hierbei ist V eine Menge mit einem ausgezeichneten Element 0 und einer Verknupfung +,welche (V, 0,+) zu einer kommutativen Gruppe macht, in welcher 0 das neutrale Elementist.Die skalare Multiplikation · ist eine Abbildung

K× V → V , (α, v) 7→ αv

mit den Eigenschaftenα (v1 + v2) = αv1 + αv2 ,

(α + β)v = αv + βv ,α(βv) = (α · β)v ,

1 · v = v .

Definitionen

a) Eine Teilmenge eines Vektorraums, die gegenuber Addition und skalarer Multipli-kation abgeschlossen ist, heißt ein Teilvektorraum.

b) Der kleinste Teilvektorraum, welcher eine gegebene Familie vα : α ∈ I enthalt,heißt die lineare Hulle dieser Familie oder der von der Familie erzeugte Vektorraum.Die Familie heißt ein aufspannendes System fur diesen Vektorraum.

c) Ein Teilvektorraum V heißt endlichdimensional, wenn er ein endliches aufspannen-des System besitzt.

d) Ein endliches aufspannendes System minimaler Lange heißt eine Basis des Teilvek-torraums. Die Lange der Basis heißt die Dimension des Teilvektorraums.

e) Eine Familie vα : α ∈ I heißt linear unabhangig, wenn man den Nullvektor nurauf die triviale Weise als Linearkombination der vα darstellen kann.(In unseren K-Vektorraumen gibt es nur endliche Linearkombinationen.)

vα : α ∈ I linear unabhangig ⇔(∑

λαvα = 0⇒ ∀ α : λα = 0).

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108 Mathematik fur Physiker II

Satz :

Die Dimension eines endlichdimensionalen Vektorraums V ist die maximale Lange eineslinear unabhangigen Tupels.Wenn V n-dimensional ist, dann ist jedes linear unabhangige n-Tupel eine Basis.

Der Beweis wird sich leicht ergeben, wenn wir zuerst einige wichtige Konstruktionenin Vektorraumen diskutieren. Wir konnen den Satz noch etwas anders formulieren.

Satz (Charakterisierung einer Basis)

Sei V ein n-dimensionaler Vektorraum. Dann gilt

a) Jedes linear unabhangige System der Lange n ist ein aufspannendes System.

b) Jedes aufspannende System der Lange n ist ein linear unabhangiges System.

Der Satz weist mehrere Wege, Basen zu konstruieren:a) Wenn ein linear unabhangiges System noch nicht den ganzen Vektorraum V auf-

spannt, dann kann man irgendeinen Vektor, der nicht in der linearen Hulle liegt, hinzu-nehmen, ohne die lineare Unabhangigkeit zu gefahrden.

b) Wenn ein aufspannendes System nicht linear unabhangig ist, dann kann man gewisseVektoren weglassen ohne die lineare Hulle zu verkleinern.

c) Sei v1, . . . , vn eine Basis von V und

w = α1 · v1 + . . .+ αnvn .

Wenn ak 6= 0, dann kann man vk durch w ersetzen und erhalt eine neue Basis (”Aus-

tauschlemma“).

Beweis des Austauschlemma

o.B.d.A. nehmen wir an α1 6= 0. Wir konnen dann v1 durch w ersetzen; denn

v1 =1

α1w1 −

n∑

2

αkα1vk

Jedes w = β1v1 +n∑2

βkvk kann auch mit Hilfe des Systems w, v2, . . . , vn ausgedruckt

werden

w =β1

α1w +

n∑

2

(βk −

αk · β1

α1

)vk .

Den Austausch notiert man als Pivottransformation eines sog. Spaltentableau.

v1 α1 β1 w 1α1

β1

α1

v2 α2 β2 v2 −α2

α1β2 − α2

α1β1

......

vn αn βn vn −αn

α1βn − αn

α1β1

= w = w = v1 = w

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Mathematik fur Physiker II 109

Diesen Gedanken werden wir spater grundlich verfolgen.

Linearformen, duale Basis

Definition V sei ein K-Vektorraum.

a) Eine K-wertige Funktion `(·) auf V heißt eine Linearform, wenn gilt

` (αv1 + βv2) = α · ` (v1) + β · ` (v2) fur alle α, β ∈ K , v1, v2 ∈ V .

b) Der Vektorraum aller Linearformen heißt der Dualraum von V und wird mit V ?

bezeichnet.

c) Wenn v1, . . . , v2 eine Basis von V ist und `(1), . . . , `(n) die Linearformen mit

`(i) (vj) =

1 fur i = j0 fur i 6= j

dann heißt`(1), . . . , `(n)

die duale Basis.

Die Bezeichnung”duale Basis“ braucht eine Rechtfertigung. Wir mussen uns uberzeugen.

i) Die `(i)(·) sind linear unabhangig.ii) Die `(i)(·) erzeugen den ganzen Dualraum V ?.

Dies ergibt sich aus den folgenden Bemerkungen:

1. Eine Linearform `(·) ist durch ihre Werte in den Basisvektoren vj eindeutig be-stimmt.

` (vj) = βj ⇒ `(∑

αjvj

)=∑

βj · αj .

Es gilt

`(·) =∑

βj · `(j)(·) .

2. Da jedes v ∈ V eine eindeutige Darstellung v =∑αjvj besitzt, sind die Abbildun-

gen v 7−→ αj Linearformen. Sie sind in der Tat die Elemente der dualen Basis. Esgilt

v =∑

`(j)(v) · vj .

Notation : Statt `(v) notiert man 〈`, v〉. Die Abbildung

〈·, ·〉 : V ? × V → K

heißt die naturliche Paarung fur V .

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110 Mathematik fur Physiker II

Bemerke

1. Die naturliche Paarung ist bilinear

〈α`′ + β`′′, · 〉 = α · 〈`′, ·〉+ β · 〈`′′, ·〉〈 ·, αw1 + βw2〉 = α · 〈·, w1〉+ β · 〈·, w2〉 .

2. Jedes v ∈ V liefert eine Linearform auf V ? und jede Linearform auf V ? kommt voneinem v.Man sagt kurz: V ?? ist in naturlicher Weise isomorph zu V .

3. Die duale Basis zu`(1), . . . , `(n)

ist die ursprungliche Basis v1, . . . , v2 (wenn man

V ?? mit V identifiziert).

Konvention

Wenn man in einem Vektorraum V eine Basis vj : j ∈ J ausgezeichnet hat, dann be-schreibt man den Vektor v =

∑αj · vj durch die J-Spalte mit den Eintragen αj. Die

Linearformen `(·), die man auch Covektoren nennt, beschreibt man durch J -Zeilen.`(·) =

∑βj · `(j)(·) ist die Zeile mit den Eintragen βj.

〈`, v〉 ist das”Matrizenprodukt“

∑βj · αj (Zeile × Spalte).

Achtung!

1. Die naturliche Paarung nennt man manchmal das innere Produkt. Man darf diesesinnere Produkt aber nicht mit dem inneren Produkt (

”Skalarprodukt“) in euklidi-

schen Raumen verwechseln.Das Skalarprodukt im euklidischen (bzw. hilbertschen) Raum ist eine Abbildung

〈·|·〉 : V × V → R(bzw. C)

die bilinear (bzw. sesquilinear) ist.

2. Man beachte auch: Aus einem Paar von Spaltenvektoren kann man nicht ohne wei-teres einen Skalar gewinnen; man muss den einen Spaltenvektor zuerst zu einemZeilenvektor machen, z.B. mit Transposition oder durch hermitische Konjugation.

(x, y) 7−→ xT · y oder (x, y) 7−→ x? · y .

Hinweis Bei den d-dimensionalen Mannigfaltigkeiten hat man in jedem Punkt P ∈ Mden Tangentialraum TP . Dies ist der d-dimensionale R-Vektorraum aller Tangentialvek-toren. Sein Dualraum T ?P heißt der Cotangentialraum. Das Differential df einer glattenFunktion (

”der Gradient“) liefert in jedem Punkt P einen Covektor.

Die naturliche Paarung macht aus dem Gradienten und dem Tangentialvektor der Kurveγ(·) zu jedem Zeitpunkt t eine reelle Zahl

〈df, γ(t)〉 =d

dtf(γ(t)

).

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Mathematik fur Physiker II 111

Man sagt : Die infinitesimale Anderung der Funktion f entlang der Kurve ist das”innere

Produkt“ des Gradienten mit dem Tangentialvektor.Man sollte bei dieser Aussage nicht denken, dass man eine euklidische Struktur in TPbraucht. Das

”innere Produkt“ ist die naturliche Paarung.

Erganzung (Direkte Summen)

Seien V und W K-Vektorraume. Das kartesische Produkt V × W(d.h. die Gesamtheit

aller Paare (v, w))

besitzt dann in naturlicher Weise eine Vektorraumstruktur

α · (v, w) = (αv, αw)(v1, w1) + (v2, w2) = (v1 + v2, w1 + w2) .

Man nennt diesen Vektorraum die direkte Summe und bezeichnet sie V ⊕W . Zu (v, w) ∈V ×W erhalt man das Element v ⊕ w ∈ V ⊕W .Offenbar gilt :

dim(V ⊕W ) = dimV + dimW .

Wenn (v1, . . . , vn) eine Basis von V ist und (w1, . . . , wm) eine Basis von W , dann ist(v1, . . . , vn, w1, . . . , wm) eine Basis von V ⊕ W . Jedes u ∈ V ⊕ W besitzt genau eineDarstellung u = x1 · v1 + . . .+ xn · vn + y1 ·w1 + . . .+ ym ·wm. Den Dualraum von V ⊕Wkann man mit der direkten Summe V ? ⊕W ? identifizieren.

Hinweis

Wir werden spater zu V,W den Vektorraum V ⊗W , das Tensorprodukt konstruieren. Mandarf das Zeichen ⊗ nicht mit dem Zeichen × fur das mengentheoretische cartesische Pro-dukt verwechseln. Das Tensorprodukt ist ein Vektorraum der Dimension (dim V )·(dimW );die Elemente sind Objekte einer neuen Art. Die Physiker kennen Tragheitstensoren, Span-nungstensoren und dergleichen mehr. Bei der Taylor-Formel sind wir auch schon Tensorenhoherer Stufe begegnet. Die abstrakte Konstruktion der Tensorprodukte verschieben wirauf spater.

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112 Mathematik fur Physiker II

53. Vorlesung : k-Vektoren und alternierende k-Formen

(Dieser Abschnitt kann beim ersten Lesen ubersprungen werden. Das Thema kann ge-wiss nicht in einer einzigen Doppelstunde grundlich abgehandelt werden. Man kann denAnfangern wohl nur andeuten, wie sich die Determinanten in die moderne multilineareAlgebra einfugen.)

Definition (k-Vektoren uber V )

V ist ein n-dimensionaler Vektorraum. Fur k = 1, 2, . . . , n definieren wir einen Vektor-raum ΛkV (wobei Λ1V = V ). Dieser Vektorraum heißt der Vektorraum der k-Vektorenuber V . Die Elemente g gewinnt man als formale Linearkombinationen von k-fachen

”Dachprodukten“ w1 ∧ . . . ∧ wk. Dabei sind

α

aα · (wα1 ∧ . . . ∧ wαk) und

β

aβ · (wβ1 ∧ . . . ∧ wβk)

als gleich zu betrachten, wenn sie mit Hilfe der folgenden Regeln ineinander umgerechnetwerden konnen

(i) Fur jedes k-Tupel von Vektoren und jede Permutation (σ1, . . . , σk) gilt

1 · (wσ1 ∧ . . . ∧ wσk) = (signσ) · (w1 ∧ . . . ∧ wk)

(ii) fur alle λ, µ ∈ K gilt

λ · (µw1 ∧ w2 ∧ . . . ∧ wk) = 1 · (λµw1) ∧ w2 ∧ . . . ∧ wk

(Statt 1 · (w1 ∧ . . . ∧ wk) schreiben wir auch einfach w1 ∧ . . . ∧ wk)

(iii) (w′1 + w′′

1) ∧ w2 ∧ . . . ∧ wk = w′1 ∧ w2 ∧ . . . ∧ wk + w′′

1 ∧ w2 ∧ . . . ∧ wk .

Bemerke :

Wenn in einem Dachprodukt der Nullvektor vorkommt, dann ist das Dachprodukt dasNullelement von ΛkV . Ebenso leicht beweist man: Wenn in einem Dachprodukt zwei glei-che Vektoren vorkommen, dann ist das Dachprodukt das Nullelement. Wenn sich irgendein wj als Linearkombination der ubrigen Vektoren darstellen laßt, dann ist das Dachpro-dukt das Nullelement.

Wer den Verdacht hegt, dass man moglicherweise jede formale Linearkombination in dasNullelement umrechnen kann, wird durch die folgenden Rechnungen eines Besseren be-lehrt. Wir werden sehen, dass ΛkV ein

(nk

)-dimensionaler Vektorraum ist. Man kann also(

nk

)linear unabhangige Elemente finden und mit diesen kann man dann jedes Element

von ΛkV in eindeutiger Weise linear kombinieren. Bei der Wahl der Basis hat man großeFreiheiten. Die beliebtesten Basen von ΛkV sind die, die von einer Basis von V herruhren.Diese Basen haben enge Beziehungen zum Kalkul der Determinanten.

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Mathematik fur Physiker II 113

Beispiel

V sei der Vektorraum der Verschiebungen des dreidimensionalen Anschauungsraums.e1, e2, e3 sei eine (positiv orientierte) Orthonormalbasis.Jedes Dachprodukt a ∧ b laßt sich auf eindeutige Weise als Linearkombination der spezi-ellen Dachprodukte

e2 ∧ e3, e3 ∧ e1, e1 ∧ e2 darstellen .

Dies sieht man folgendermaßen

a = a1 · e1 + a2 · e2 + a3 · e3

b = b1 · e1 + b1 · e2 + b3 · e3

a ∧ b = (a1 · e1 + a2 · e2 + a3 · e3) ∧ (b1 · e1 + b2 · e2 + b3 · e3)= α · e2 ∧ e3 + βe3 ∧ e1 + γ · e1 ∧ e2 mit

α =

∣∣∣∣a2 b2

a3 b3

∣∣∣∣ ; β =

∣∣∣∣a3 b3

a1 b1

∣∣∣∣ ; γ =

∣∣∣∣a1 b1

a2 b2

∣∣∣∣

Hinweise

1. Wir bemerken, dass (α, β, γ) die Koeffizienten im traditionellen Vektorprodukt a×b

sind. Die Physiker definieren bekanntlich in der Tradition der”Vektoranalysis“:

a× b = α · e1 + β · e2 + γ · e3 .

Man beachte aber, dass die Ersetzung

e2 ∧ e3 ←→ e1 , e3 ∧ e1 ←→ e2 , e1 ∧ e2 ←→ e3

an die euklidische Struktur (und die Orientierung) gebunden ist. In allgemeinendreidimensionalen Vektorraumen gibt es keinen irgendwie naturlichen Isomorphis-mus von V und Λ2V .

2. Auch die Physiker wissen naturlich, dass die Elemente von Λ2V etwas anderes sindals die ublichen Vektoren; wenn sie genau sein wollen, nennen sie die Elemente vonΛ2V

”polare Vektoren“, im Gegensatz zu den

”axialen“ Vektoren v ∈ V .

Bemerke :

1. Eine Besonderheit der n-dimensionalen Vektorraumen Λn−1V besteht darin, dassman jedes Element als Dachprodukt schreiben kann. Zu jedem p ∈ Λn−1V istnamlich die Menge der Vektoren w mit p ∧ w = 0 ein (n − 1)-dimensionaler Vek-torraum. Wenn w1, . . . , wn−1 eine Basis dieses Vektorraums ist, dann existiert einλ ∈ K, so dass

p = λ · (w1 ∧ . . . ∧ wn−1) .

2. Die k-fachen Dachprodukte (k 6= 1 , n− 1) bilden keinen Vektorraum, man brauchtLinearkombinationen von Dachprodukten.Das Beispiel n = 3, k = 2 sollte nicht zu falschen Vorstellungen verfuhren.

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114 Mathematik fur Physiker II

Satz

Sei v1, . . . , vn eine Basis von V .Fur K ⊆ 1, 2, . . . , n mit der Machtigkeit k definieren wir

vK := vn1 ∧ vn2 ∧ . . . ∧ vnk,

wobei 1 ≤ n1 < n2 < . . . < nk ≤ n die Elemente von K sind.Jedes p ∈ ΛkV besitzt dann eine Darstellung

p =∑

aK · vK ,

wobei die Summe uber aller k-Teilmengen K ⊆ 1, 2, . . . , n zu erstrecken ist.

Beweis

1. Es genugt, die Dachprodukte

p = w1 ∧ . . . ∧ wkzu untersuchen. Die wj stellen wir mit Hilfe der gegebenen Basis dar:

wj =∑

i

viaij fur j = 1, . . . , k .

Die Koeffizienten bilden eine n× k-Matrix A.

2. AK sei die k × k-Matrix, die wir aus A gewinnen, indem wir alle diejenigen Zeilenstreichen, die nicht zu K gehoren. Wir notieren

v1 a(1)1 · · · a

(1)k aK = detAK =

...... =

∑σ

(signσ) · an1σ1· an2

σ2· . . . · ank

σk

////// ////// //////...

... wobei die Summe fur alle Permutationen...

... von K zu erstrecken ist.////// ////// //////////// ////// //////

......

vn a(n)1 · · · a

(n)k

= w1 · · · = wk

3. Nach unseren Umrechnungsregeln (i), (ii), (iii) gilt

w1 ∧ . . . ∧ wk =(∑

vi1 · ai11)∧(∑

vi1 · ai22)∧ . . . ∧

(∑vik · aikk

)

=∑

i1,...,ik

ai11 · ai22 . . . · aikk · (vi1 ∧ vi2 ∧ . . . ∧ vik) .

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Mathematik fur Physiker II 115

Die Summanden, in welchen zwei Summationsindizes gleich sind, liefern keinen Bei-trag. Die anderen sortieren wir nach den k-Teilmengen K; und wir bringen dieIndizes in aufsteigenden Reihenfolge.

4. Somit ergit sich

w1 ∧ . . . ∧ wk =∑

aK · vK . q.e.d.

Die Determinanten aK nennt man die k × k-Minoren der Matrix A. Wer den Ver-dacht hegt, dass man moglicherweise manche Summen

∑bK · vK durch geschickte

Anwendung der Rechenregeln in das Nullelement umrechnen kann, wird durch diefolgende Uberlegung eines Besseren belehrt. Wir werden sehen, dass jede formaleSumme

p =∑

aα · (wα1 ∧ . . . ∧ wαk)

genau eine Darstellung

p =∑

aK · vK besitzt.

M.a.W., die vK sind linear unabhangig in ΛkV .

Definition (Alternierende Multilinearformen)

Eine alternierende k-Form (fur den n-dimensionalen K-Vektorraum V ) ist eine K-wertigeFunktion Φ(·) auf dem kartesischen Produkt V × V × . . .× V mit den Eigenschaften

i?) Φ (wσ1 , . . . , wσk) = (signσ) ·Φ (w1, . . . , wk) fur alle k-Tupel w1, . . . , wk und alle Per-

mutationen σ.

ii?) Φ (λw1, w2, . . . , wk) = λ · Φ (w1, w2, . . . , wk) fur alle λ ∈ K.

iii?) Φ (w′1 + w′′

2 , . . . , wk) = Φ (w′1, w2, . . . , wk) + Φ (w′′

1 , w2, . . . , wk) .

Den K-Vektorraum der alternierenden k-Formen bezeichnet man mit ΛkV ?.

Beispiel

`(1)(·), . . . , `(k)(·) seien Linearformen auf V . Wir definieren dazu

Φ (w1, . . . , wk) = det(〈`(i), wj〉

)fur alle w1, . . . , wk .

Φ ist eine alternierende k-Form.

Bemerke

Die alternierenden 1-Formen sind die Linearformen, Λ1V ? = V ?.Die alternierenden n-Formen haben wir bereits fruher untersucht; wir haben sie die Vo-lumenmessungen genannt.Es ist ublich auch ΛV ? zu definieren; man identifiziert die Elemente mit den Skalaren.

Die Notation ΛkV ? bedarf einer Rechtfertigung. Wir haben ΛkW fur jeden Vektorraumdefiniert. Somit ware also ΛkV ? der Vektorraum aller k-Vektoren uber V ?. Das passt gut;denn es gilt der

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116 Mathematik fur Physiker II

Satz 1 ΛkV ? = Λk (V ?) =(ΛkV

)?

1. Jedes Dachprodukt `(1) ∧ . . . ∧ `(k) kann als eine Linearform auf ΛkV verstandenwerden. In der Tat kann jede alternierende k-Form Φ(·) auf V × . . . × V zu einerLinearform auf ΛkV fortgesetzt werden.

2. Jede Linearform λ(·) auf ΛkV ist eine Linearkombination solcher spezieller k-Formen

λ(·) =∑

bβ · `(β1) ∧ . . . ∧ `(βk) .

3. Zwei solche Summen sind (als alternierende k-Formen) genau dann gleich, wennsie sich vermoge der Umrechnungsregeln (i), (ii), (iii) in einem ΛkW (hier Λk (V ?)ineinander umrechnen lassen.

Der Beweis dieser Aussagen wird sich aus den folgenden Konstruktionen sehr leicht erge-ben. Wir werden dabei auch beweisen:

Satz 2 (Duale Basen)

Sei v1, . . . , vn eine Basis von V und`(1), . . . , `(n)

die duale Basis fur V ?.

Dann ist vK : |K| = k eine Basis von ΛkV und die duale Basis fur ΛkV ? ist`(K) : |K| = k

.

(Fur eine k-Teilmenge K von 1, . . . , n bezeichnet λ(K) das Dachprodukt

λ(K) = `n1 ∧ . . . ∧ `nk ,

wobei die ni die aufsteigend geordneten Elemente von K sind.)Wir nahern uns dem Beweis der beiden Satze mit einigen elementaren Feststellungen:

Proposition 1

v1, . . . , vn sei eine Basis von V , M(·) eine Multilinearform auf dem k-fachen cartesischenProdukt V × . . .× V .M(·) ist dann durch seine Werte auf den k-Tupeln (vi1 , vi2 , . . . , vik) eindeutig bestimmt.Wenn M(·) eine alternierende k-Form ist, dann braucht man nur die Werte in den(vn1 , . . . , vnk

) mit n1 < n2 . . . < nk zu kennen, um M(·) zu identifizieren.

Corollar

Der Vektorraum der alternierenden k-Formen hat hochstens die Dimension(nk

).

Proposition 2

Sei Ψ(·) eine Linearform auf ΛkV und Φ(·) die Einschrankung auf die Dachprodukte

Φ (w1, . . . , wk) := Ψ (v1 ∧ . . . ∧ wk) .

Dann ist Ψ(·) durch Φ(·) eindeutig bestimmt.

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Mathematik fur Physiker II 117

Proposition 3

Zu jeder alternierenden k-Form Φ(·) gibt es genau eine Fortsetzung zu einer Linearformauf ΛkV .

Beweis :

Die Zuweisung∑

aαwα1 ∧ . . . ∧ wαn7−→

∑aα · Φ (wα1 , . . . , wαk

)

ist vertraglich mit den Rechenregeln (i), (ii), (iii) in ΛkV . q.e.d.

Die im Beispiel konstruierten alternierenden k-Formen bezeichnen wir vorubergehendmit

Φ(λ(1), . . . , λ(k)

).

Bemerke :

(i) Wenn wir zwei der λ(i) vertauschen, dann entsteht die k-Form −Φ(·).

(ii) Wenn wir ein λ(i) mit dem Skalar c multiplizieren, dann entsteht die k-Form c ·Φ(·).

(iii) Wenn wir λ(1) als Summe schreiben λ(1) = λ(i)| + λ

(i)‖ , dann ist Φ(·) die Summe

Φ(λ(1), λ(2), . . . , λ(k); ·

)= Φ

(1)| , λ(2), . . . , λ(k); ·

)+ Φ

(1)‖ , λ(2), . . . , λ(k); ·

)

Daraus ergibt sich die

Proposition 4

Eine Linearkombination der speziellen k-Formen Φ(λ(1), λ(2), . . . , λ(k)

)hangt nur von dem

entsprechenden Element in ΛkV ? ab∑

bβ · Φ(λβ1, . . . , λβk; ·

)= 〈∑

bβ · λβ1 ∧ . . . ∧ λβk , · 〉 .

Jedes Element von Λk(V ?) liefert eine alternierende k-Form und damit eine Linearformauf ΛkV . Dabei gilt fur die Dachprodukte:

〈λ(1) ∧ . . . ∧ λ(k);w1 . . . ∧ wk〉 = det(〈λ(i), wj〉

).

Der Satz von den dualen Basen liegt nun auf der Hand. Wenn v1, . . . , vn und`(1), . . . , `(n)

zueinander duale Basen sind, dann gilt fur jedes Paar von k-Tupeln

(i1, . . . , ik) (j1, . . . , jk) :

〈λi1 ∧ . . . ∧ λ(ik), wj1 ∧ . . . ∧ wjk〉 =

=

= 0 , wenn die beiden k-Tupel nicht dieselbe Teilmenge K aufzahlen

= sign

(i1 . . . ikj1 . . . jk

), sonst

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118 Mathematik fur Physiker II

Konstruktion der Graßmann-Algebra

Wir haben somit Paare zueinander dualer Vektorraume konstruiert :ΛkV und ΛkV ? fur k = 0, 1, . . . , n sind zueinander dual.Man betrachtet dazu die direkten Summen

ΛV ⊕ Λ1V ⊕ . . .⊕ ΛnV und ΛV ? ⊕ Λ1V ? ⊕ . . .⊕ ΛnV ? .

Dies sind zueinander duale 2n-dimensionale Vektorraume(2n = 1 + n +

(n2

)+ . . .+

(nn+1

)+ 1).

(Was direkte Summen von Vektorraumen sind, haben wir im Anhang zur 52. Vorlesungerlautert.)Die Elemente von ΛkV heißen die homogenen Elemente vom Grad k. Fruher war es ublich,die Elemente von ΛkV Großen k-ter Stufe zu nennen.

Satz (Existenz des Dachprodukts)

Sei p ∈ ΛkV und q ∈ Λ`V

p =∑aαvα1 ∧ . . . ∧ wαk

q =∑bβwβ1 ∧ . . . ∧ wβ`

.Es existiert dann ein wohlbestimmtes Element

p ∧ q ∈ Λk+`V .

Anders gesagt: ∑

α,β

aαbβ · wα1 ∧ . . . ∧ wαk∧ wβ1 ∧ . . . ∧ wβρ

ist unabhangig von der Darstellung der Faktoren p und q.

Beweis :

Bei jeder der Rechenregeln (i), (ii), (iii), auf den ersten oder auf den zweiten Faktor ange-wandt, bleibt das bilinear ausmultiplizierte Produkt als Element in Λk+`V unverandert.q.e.d.

Satz

Fur das Dachprodukt auf der graduierten Algebra

ΛV := ΛV ⊕ Λ1V ⊕ . . .⊕ ΛnV

gilt

(i) (p ∧ q) ∧ r = p ∧ (q ∧ r) (Assoziativitat)(ii) (p1 + p2) ∧ q = p1 ∧ q + p2 ∧ q

p ∧ (q1 + q2) = p ∧ q1 + p ∧ q2 (Distributivitat)(iii) p ∈ ΛkV , q ∈ Λ`V =⇒ q ∧ p = (−1)k·` · p ∧ q

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Mathematik fur Physiker II 119

54. Vorlesung : Minoren, Cofaktoren, Cramer’sche Regel

Wir wollen die Konstruktion der k-Vektoren auf einige klassische Themen der Determi-nantenlehre anwenden.

I. Die Minoren einer Matrix

Wenn man aus einer m×n-Matrix A einige Spalten und einige Zeilen streicht, sodass nurnoch die Zeilen zu den Indizes ∈ K und die Spalten zu den Indizes ∈ H ubrig bleiben(|H| = k = |K|

), so erhalt man eine k × k-Teilmatrix, die wir mit AK

H bezeichnen.(Mit dem oberen Index werden bei uns die Zeilen indiziert, der untere Index verweist aufSpalten.)

detAKH heißt der Minor zu K ×H .

Hier ubernehmen wir die Anordnung der Zeilen und Spalten von der ursprunglichen An-ordnung in der Matrix A.

1 ≤ m1 < m2 < . . .mk ≤ m mit m1, . . . , mk = K1 ≤ n1 < n2 . . . < nk ≤ n mit n1, . . . , nk = H .

m

...

K

...1

1 . . . H . . . n

Satz (Spezielle Basiswechsel in ΛkV )

Seien v1, . . . , vn und w1, . . . , wn Basen von V(w1, . . . , wn) = (v1, . . . , vn) · A , wj =

∑vi · aij ;

(v1, . . . , vn) = (w1, . . . , wn) ·B , vi =∑wj · bji .

Fur k-Teilmengen K und H ⊆ 1, 2, . . . , n definieren wirvK = vm1 ∧ . . . ∧ vmk

mit 1 ≤ m1 < . . . < mk ≤ m = n

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120 Mathematik fur Physiker II

wH = wn1 ∧ . . . ∧ vnkmit 1 ≤ n1 < . . . < nk ≤ n.

Sowohl die vK : |K| = k als auch die wH : |H| = k sind eine Basis von ΛkV .Die Eintrage in der Matrix des Basiswechsels sind die Minoren. Es gilt

wH =∑K

vK · det(AKH)

vK =∑H

wH · det(BHK

).

Beweis

Sei n1 < n2 < . . . < nk mit n1, . . . , nk = H. Dann gilt

wH =(∑

vi1 · ai1n1

)∧ . . . ∧

(∑vik · aiknk

)

=∑i1...ik

ai1n1. . . aiknk

· vi1 ∧ . . . ∧ vik .

Wir sammeln nach den (i1, . . . , ik) mit i1, . . . , ik = K und stellen die Faktoren in auf-steigende Reihenfolge. signσ sei das Vorzeichen dieser Permutation.

wn1 ∧ . . . ∧ wnk=∑

K

vK ·∑

signσ · ai1n1· . . . · aiknk

=∑

vK · det(AKH)

q.e.d.

II. Cofaktoren und der Laplace’sche Entwicklungssatz

Definition

A =(aij)

sei eine n× n-Matrix.Man streiche die h-te Spalte und die k-te Zeile. Man gewinnt den Cofaktor Ch

k zu akh (inder Matrix A) aus der Determinante dieser Matrix

Chk := (−1)h+k · detAKH .

Der Name wird erklarlich, wenn man bedenkt, dass in der expliziten Formel

detA =∑

(signσ)ai11 · . . . · ainn

Terme auftreten, die akh als Faktor enthalten. Der Cofactor hangt nur von der MatrixAKH ab, und es zeigt sich, dass er bis auf das Vorzeichen (−1)h+k die Determinante dieserMatrix ist.

Theorem

Die Matrix der Cofactoren von A ist bis auf den Faktor detA die Inverse A−1.

k

Chk · akj =

detA falls h = j

0 falls h 6= j

Den Beweis fuhren wir mit Hilfe der Cramer’schen Regel im nachsten Abschnitt. DieFormel im Falle h = j heißt der Lapace’sche Entwicklungssatz fur die j-te Spalte.

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Mathematik fur Physiker II 121

Spezialfalle Wir zeigen das Prinzip des Entwicklungssatzes fur eine 3×3-Matrix, derenDeterminante wir nach der ersten Spalte entwickeln (h = j = 1)

det

a1 b1 c1

a2 b2 c2

a3 b3 c3

= a1 · det

(b2 c2

b3 c3

)− a2 · det

(b1 c1

b3 c3

)+ a3 · det

(b1 c1

b2 c2

).

Fur eine 2 × 2-Matrix sind die Cofaktoren sehr einfach zu berechnen. Man findet daherauch die Inverse sehr leicht

(a bc d

)−1

=1

ad− bc ·(

d −b−c a

).

Eine wichtige Konsequenz des Theorems ist der

Satz

Sei A eine invertierbare n × n-Matrix mit ganzzahligen Eintragen. Wenn detA = +1,dann hat auch die Inverse ganzzahlige Eintrage.

Beweis : Die Eintrage der inversen Matrix sind gerade die Cofaktoren.

III. Die Cramer’sche Regel

Satz : Sei A eine (n× n)-Matrix vom vollen Rang n.Jeden vorgegebenen Spaltenvektor kann man auf genau eine Weise als Linearkombinationder Spalten a1, . . . , an der Matrix A schreiben

a1 · x1 + . . .+ an · xn = b .

Es gilt

xj =1

detA· detBj fur j = 1, . . . , n ,

wo Bj aus A dadurch entsteht, dass man die j-te Spalte durch b ersetzt.

Beweis :

Wir betrachten das Dachprodukt von∑

ajxj = b mit

a1 ∧ . . . ∧ /aj ∧ . . . an = aK , K = 1, 2, . . . /j, . . . , n .

Auf der linken Seite liefert nur der j-te Summand eine Beitrag, namlich

xj · (−1)j−1 · detA · e1 ∧ . . . ∧ en .

Die rechte Seite ist (−1)j−1 · detBj · e1 ∧ . . . ∧ en. q.e.d.(Hier bezeichnen die ei die Einheitsspalten, also aj =

∑eia

ij.)

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122 Mathematik fur Physiker II

Besonders interessant sind die rechten Seiten ei; die Losungen xji sind dann namlich dieEintrage von A−1

ai · x1i + . . .+ an · xni = ei

j

ahj · xji =

1 falls h = i0 falls h 6= i

Auf der anderen Seite ist detEji der Minor zur Position (i, j).

So liefert die Cramer’sche Regel die Koeffizienten

xji =1

detA· Cj

i .

Damit ist das Theorem bewiesen, aus welchem wir den Laplace’schen Entwicklungssatzhergeleitet haben.

IV. Basiswechsel bei polaren und axialen Vektoren

v1, v2, v3 und w1, w2, w3 seien Basen im dreidimensionalen euklidischen Anschauungs-raum mit v1 ∧ v2 ∧ v3 = w1 ∧ w2 ∧ w3

(w1, w2, w3) = (v1, v2, v3) · A(v1, v2, v3) = (w1, w2, w3) ·B .

Wir haben also detA = 1.

1. Fur die Koordinaten

x1

x2

x3

bzgl. der vj und

y1

y2

y3

bzgl. der wi

haben wir dannv =

∑xj · vj =

∑yiwi .

Das ergibt fur die Koeffizienten den Zusammenhang

v = (v1, v2, v3)

x1

x2

x3

= (w1, w2, w3)B

x1

x2

x3

= (w1, w2, w3)

y1

y2

y3

Bx = y , und x = Ay .

2. Die polaren Vektoren, das sind die Elemente von Λ2V konnen wir mit den Basen

(V1, V2, V3) = (v2 ∧ v3, v1 ∧ v3, v1 ∧ v2) oder(W1,W2,W3) = (w2 ∧ w3, w1 ∧ w3, w1 ∧ w2) ausdrucken .

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Mathematik fur Physiker II 123

Nach dem Satz vom Basiswechsel in ΛkV haben wir

Wh = wH =∑

K

vK · det(AKH)

=∑

k

Vk · (−1)h+k · Chk .

Hier haben wir, wegen B = A−1 und detA = 1,

Chk = bhk .

Die Formel wird ubersichtlicher, wenn wir die Basen (W1,−W2,W3) und (V1,−V2, V3)wahlen. Im Falle der Gleichorientierung detA = 1 haben wir:

(W1,−W2,W3) = (V1,−V2, V3) ·B .

Stellen wir den polaren Vektor p in diesen Koordinatensystemen dar

α1 · (v2 ∧ v3) + α2 · (v3 ∧ v1) + α3 · (v1 ∧ v2) =

p =β1 · (w2 ∧ w3) + β2 · (w3 ∧ w1) + β3 · (w1 ∧ w2) .

p = (V1,−V2, V3)

α1

α2

α3

= (W1,−W2,W3)

β1

β2

β3

=

= (V1,−V2, V3)B

β1

β2

β3

α = Bβ also β = Aα

Beachte : Die Physiker interessieren sich fur diese Umrechnung nur in dem Fall, wo diev und die w gleich orientierte Orthonormalbasen sind. Das ist der Fall A · AT = I. DieseVoraussetzung hat ihren guten Sinn, wenn man Wert legt auf die

”Identifizierung“

v1 ↔ v2 ∧ v3, v2 ↔ v3 ∧ v1, v3 ↔ v1 ∧ v2

w1 ↔ w2 ∧ w3, w2 ↔ w3 ∧ w1, w3 ↔ w1 ∧ w2 .

Unsere Umrechnung brauchte keine euklidische Struktur.

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124 Mathematik fur Physiker II

55. Vorlesung : Nullraume, Kern und Bild einer linearen Abbil-

dung

V und V ? seien zueinander duale n-dimensionale K-Vektorraume. 〈·, ·〉 bezeichne dienaturliche Paarung.

Definition

a) Der Nullraum zu einer Menge E von Vektoren ist

NE :=` : ` ∈ V ?, 〈`, v〉 = 0 fur alle v ∈ E

⊆ V ? .

b) Der Nullraum zur Menge F ⊆ V ? ist

NF :=v : v ∈ V, 〈`, v〉 = 0 fur alle ` ∈ F

⊆ V .

Dieser Nullraum heißt auch die Losungsmenge des homogenen Gleichungssystems

〈`, v〉 = 0 fur alle ` ∈ V .

Wir schreiben auch E† statt NE und F † statt NF (Gelesen :”E Dolch“,

”E Dagger“).

Ohne viel nachzudenken, kann man schon einmal bemerken:

1. Nullraume sind stets Teilvektorraume von V oder von V ?.

2. E ⊆ E††; denn v ∈ E ⇒ ∀ ` ∈ E† 〈`, v〉 = 0⇒ v ∈ E††.Ebenso sieht man F ⊆ F ††.

3. Je großer F ist, desto kleiner ist der Nullraum F †.

4. Wenn F1 und F2 denselben Teilvektorraum aufspannen, dann gilt F †1 = F †

2 .

5. F ††† = F †; denn einerseits F †† ⊇ F , also F ††† ⊆ F †, und andererseits(F †)†† ⊇ F †.

Satz (Satz vom Rang)

Wenn F einen r-dimensionalen Teilraum aufspannt, dann hat F † die Dimension n − r.Der von F aufgespannte Teilraum ist F ††.

Beweis

1. In F gibt es ein linear unabhangiges r-Tupel `(1), . . . , `(r). Dieses konnen wir zu einerBasis von V ? erganzen: `(1), . . . , `(r), `(r+1), . . . , `(n). Sei nun v1, . . . , vr, vr+1, . . . , vndie duale Basis.vr+1, . . . , vn ist dann eine Basis der Nullraums F †; denn genau dann gilt

`(i)(∑

αkvk

)= 0 fur i = 1, . . . , r

wenn αk = 0 fur k = 1, . . . , r .

2. Eine Linearform `(·) verschwindet genau dann auf dem”Losungsraum“ F † des Glei-

chungssystems zu F , wenn `(·) in der linearen Hulle von F liegt.

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Mathematik fur Physiker II 125

Hinweis : Diese Einsicht haben wir bei der Herleitung der Lagrange-Multiplikatorenbenutzt. Wenn eine Linearform auf dem Tangentialraum TP der UntermannigfaltigkeitP : g(P ) = g(P )

verschwindet, dann ist sie eine Linearkombination der Gradienten

dg(i) im Punkt P .

Definition

V1 und V2 seien n-dimensionale Vektorraume.Eine Bilinearform

b(·, ·) : V1 × V2 → K

heißt nichtausgeartet, wenn fur kein v1 6= 0 die Linearform b (v1, ·) die Nullform ist,und auch fur kein v2 6= 0 b (·, v2) identisch 0 ist. (Die naturliche Paarung ist eine solchenichtausgeartete Bilinearform auf V ? × V ).

Konstruktion

Sei b(·, ·) nicht ausgeartet. Wir definieren fur E ⊆ V2 den Nullraum bzgl. b(·, ·)

Eb : =v1 : b (v1, v2) = 0 fur alle v2 ∈ E

⊆ E1

und ebenso zu F ⊆ V1 den Nullraum

F b : =v2 : b (v1, v2) = 0 fur alle v1 ∈ F

⊆ E2 .

Fur diese Konstruktion sieht man wie oben

(i) E1 ⊆ E2 ⇒ Eb1 ⊇ Eb

2

(ii) Ebbb = Eb

(iii) Ebb = span E

(iv) dimE = r ⇒ dimEb = n− r

Beispiel

b(·, ·) sei das Skalarprodukt 〈·|·〉 in einem n-dimensionalen euklidischen Raum (V, ‖ · ‖).In diesem Fall nennt man den Nullraum zu E ⊆ V ublicherweise das orthogonale Kom-plement zu E (oder zur linearen Hulle von E). Man notiert E⊥ (sprich:

”E senkrecht“)

E⊥ =v : 〈v|w〉 = 0 fur alle w ∈ E

Hinweis :

Sei (V, ‖·‖) ein unendlichdimensionaler Hilbertraum. Auch hier definiert man E⊥ fur jedeMenge von Vektoren. Hier ist E⊥ ein abgeschlossener Teilraum von V und E⊥⊥ ist dieabgeschlossene lineare Hulle von E.

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126 Mathematik fur Physiker II

Satz (”Duale Abbildung“)

Im endlich-dimensionalen Fall existiert zu jeder linearen Abbildung

ϕ : V → U

genau eine lineare Abbildungϕ? : V ? ← U? .

sodass gilt∀ v ∈ V , k ∈ U? 〈k, ϕ(v)〉 = 〈ϕ?(k), v〉 .

Beweis :

Fur jedes k ∈ U? ist 〈k, ϕ(·)〉 eine Linearform auf V . Nennen wir sie ϕ?(k).ϕ? ist eine lineare Abildung. Es gilt ϕ?? = ϕ.

Hintereinanderschalten linearer Abbildungen fuhrt zum Hintereinanderschalten derdualen Abbildungen. Man muss aber naturlich die Reihenfolge beachten.

V1ϕ−→ V2

ψ−→ V3

.

.................................

...............................

..................

............

.............................

..............................

...............................

.................................χ

V ?1

ϕ?

←− V ?2

ψ?

←− V ?3

.

.............................

............................

...........................

.................

........

........................

.........................

..........................

..........................

...........................I

χ?

χ(·) = ψ(ϕ(·)

)⇒ χ?(·) = ϕ?

(ψ?(·)

).

Beispiel

V sei der Raum der J-Spalten (dimV = |J | = n)U sei der Raum der I-Spalten (dimU = |I| = m)Jede I × J-Matrix A liefert eine lineare Abbildung

ϕ : V → U v 7→ Av

U? ist der Raum der I-Zeilen ξ = (ξi)iV ? ist der Raum der J-Zeilen η = (ηj)j

ϕ? : V ? ← U? ξ 7→ ξA = η .

Aus der Matrizenrechnung wissen wir namlich

〈ξ, Av〉 = ξ · A · v = 〈ξA, v〉 fur alle v ∈ V, ξ ∈ U ? .

Das Hintereinanderschalten solcher Abbildungen wird durch das Matrizenprodukt be-werkstelligt.

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Mathematik fur Physiker II 127

Definition (Kern und Bild)

Sei ϕ : V → U eine lineare Abbildung. Wir definierena) ker ϕ :=

v : ϕ(v) = 0

⊆ V (

”Kern von ϕ“)

b) im ϕ :=u : u = ϕ(v) fur ein v ∈ V

⊆ U (

”Bildraum“)

(Der Vektorraum U heißt der”Zielraum“ fur ϕ.)

Rang (ϕ) = dim(im ϕ).

Ebenso definiert man

kerϕ? ⊆ U? , im ϕ? ⊆ V ? , Rang (ϕ?) = dim(im ϕ?) .

Satz : (Satz vom Rang einer Abbildung)a) Rang (ϕ) = Rang (ϕ?)b) ker ϕ ist der Nullraum von im ϕ? und ker (ϕ?) = (im ϕ)†.

Beweis

1. Sei dimV = n, dimU = m und dim(kerϕ) = n− r.vr−1, . . . , vn sei eine Basis von kerϕ. Wir erganzen dieses linear unabhangiges (n−r)-Tupel zu einer Basis von V : v1, . . . , vr, welche durch ϕ in die 0 abgebildet wird.Also

v = α1 · v1 + . . .+ αr · vr , ϕ(v) = 0 ⇒ α1 = . . . = αr = 0d.h. α1 · ϕ (v1) , . . . , α

r · ϕ (vr) = 0 ⇒ α1 = . . . = αr = 0 .

Die Bilder ϕ (v1) , . . . , ϕ (vr) sind also linear unabhangig und liefern somit eine Basisvon im ϕ. dim(im ϕ) = r.

2. Es gilt

ker(ϕ?) =k : k ∈ U? , ϕ?(k) = 0

=k : 〈ϕ?(k), v〉 = 0 fur alle v ∈ V

=k : 〈k, ϕ(v)〉 = 0 fur alle v ∈ V

=k : 〈k, ·〉 verschwindet auf im ϕ

= (im ϕ)† .

Nach dem Satz vom Rang haben wir dim(kerϕ?) = m− r.

3. Mit dem Schluß von oben erhalten wir dim(im ϕ?) = r.

Beispiel (Zeilenrang = Spaltenrang)

Die I×J-Matrix A bildet die J-Spalten in I-Spalten ab. Die Spalten der Matrix spannendas Bild auf. Die Dimension des von den Spalten aufgespannten Vektorraums heißt derSpaltenrang der Matrix A. Die duale Abbildung bildet die I-Spalten in J-Zeilen ab.Die Zeilen von A spannen das Bild auf. Die Dimension des von den Zeilen aufgespanntenVektorraums heißt der Zeilenrang der Matrix A. Da ϕ und ϕ? denselben Rang haben,gilt fur jede Matrix: Zeilenrang = Spaltenrang.

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128 Mathematik fur Physiker II

Satz

ϕ : V → U sei eine lineare Abibldung. Die Gleichung ϕ(v) = u hat genau dann eineLosung, wenn u ∈ im ϕ. In diesem Fall gewinnt man alle Losungen dadurch, dass man zueiner speziellen Losung alle Losungen der homogenen Gleichung (d.h. die Elemente derKerne dazu addiert. Wenn ϕ den Rang r hat, dann hat das Bild imϕ die Dimension rund der Kern kerϕ die Dimension n− r.

Sprechweisen

a) Eine lineare Abbildungϕ : V → U

heißt auch ein Vektorraum-Homomorphismus.

b) Wenn U = V , dann spricht man von einem Endomorphismus.

c) Eine injektive (surjektive) lineare Abbildung nannte man fruher auch gerne einenMonomorphismus (bzw Epimorphismus).

d) Wenn eine lineare Abbildung eines endlich-dimensionalen Vektorraums injektiv undsurjektiv (also bijektiv) ist, dann ist die Umkehrabbildung ebenfalls eine lineareAbbildung. Man spricht in diesem Fall von einem Vektorraumisomorphismus.

Beispiel

Wenn man in einem endlichdimensionalen Vektorraum V eine Basis vj : j ∈ J aus-zeichnet, dann liefert das einen Isomorphismus

ϕ : V → KJ (Spaltenraum)

Die Eintrage von ϕ(v) sind die Koeffizienten xj in der eindeutigen Darstellung v =∑vj ·

xj. Man kann auch sagen : xj ist der Wert `(j)(v) der j-ten Linearform in der dualen Basis.ϕ nennt man eine Koordinatisierung von V .

Hinweise

1. Die Begriffe Homomorphismus und Isomorphismus sind fur unendlichdimensionaleVektorraume komplizierter. (Wir denken an R- und C-Vektorraume.) In der Theorieder normierten Vektorraume interessiert man sich zunachst einmal fur stetige lineareAbbildungen. (Die Theorie der unbeschrankten linearen Operatoren ist kompliziert.)

2. Fur ein stetiges ϕ ist kerϕ ein abgeschlossener Teilraum, das Bild im ϕ ist abernicht notwendigerweise abgeschlossen.

3. Wenn die stetige lineare Abbildung ϕ : (V, ‖ · ‖)→ (U, ‖ · ‖) injektiv und surjektivist, dann besitzt sie zwar eine Umkehrabbildung; diese lineare Abbildung ϕ−1 istaber nicht notwendigerweise stetig. In solchen Situationen mochte man das WortIsomorphismus nicht gebrauchen. Man definiert wie unten angegeben.

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Mathematik fur Physiker II 129

Beispiel

Sei Vo der C-Vektorraum der trigonometrischen Polynome ohne konstanten Term

f(t) =∑

n6=0

cneint (endliche Summe)

Die Stammfunktionsbildung ist ein stetiger Endomorphismus

Vo 3 f 7→ ϕ(f) =∑

n6=0

cn ·1

ineint ∈ Vo .

ϕ(·) ist injektiv und surjektiv.Die Umkehrabbildung (das ist die

”Ableitung“) ist aber nicht stetig auf V (wenn wir die

ubliche 2-Norm auf V zugrundelegen).

Definition

a) Eine stetige lineare Abildung

ϕ : (V, ‖ · ‖)→ (U, ‖ · ‖)

heißt ein Isomorphismus, wenn es eine stetige lineare Abbildung ψ gibt, sodass

ϕ ψ(·) = idU und ψ ϕ(·) = idV .

b) Man sagt von topologischen Vektorraumen, dass sie isomorph sind, wenn es einenIsomorphismus gibt.

Beispiel

V sei der Raum der trigonometrischen Polynome mit der Norm

‖f‖ =

(1

∫ ∣∣f(t)∣∣2dt

)1/2

.

U sei der Raum der finiten Folgen

c = (. . . , c−1, c0, c1, c2, . . .)

mit der Norm

‖c‖ =(∑

|cn|2)1/2 .

Diese topologischen Vektorraume sind isomorph. Hier gibt es sogar isometrische Abbil-dungen

ϕ : (V, ‖ · ‖)→ (U, ‖ · ‖)‖ϕ(f)‖ = ‖f‖ fur alle f ∈ V .

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130 Mathematik fur Physiker II

Die ublichste Isometrie ist uns bereits aus dem ersten Semester bekannt. Zu f ∈ V gewinntman die Eintrage ck als die Fourierkoeffizienten;

ck =1

∫e−iktf(t)dt .

Die Umkehrabbildung ψ(·) ist die Uberlagerung der reinen Sinusschwingungen

f = ψ(c) =∑

ckeikt .

(Summenbildung im Sinne der L2-Konvergenz.)

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Mathematik fur Physiker II 131

56. Vorlesung : Tableaus, Basisaustausch, lineare Gleichungssy-

steme

Das praktische Losen von linearen Gleichungssystemen ist eine hochentwickelte Kunst derNumerik. Aus der Sicht der Numerik gibt es kein Verfahren, das sich fur alle Zwecke eig-net. Wenn wir im Folgenden ein Losungsverfahren diskutieren, dann steht der theoretischeGesichtspunkt im Vordergrund. Wir behandeln nicht das sog. Gauß’sche Verfahren; wirbevorzugen vielmehr die Methode der Tableaus. Sie ist ubersichtlicher und wird spaterbei der linearen Optimierung benotigt.Wir beginnen mit dem Basisaustauschsatz. Aus einem n-Tupel von Vektoren soll eineBasis des aufgespannten Vektorraum ausgewahlt werden.ui ∈ I sei eine Basis eine m-dimensionalen Vektorraums U . Es wird sich zeigen, dassmanche Aufzahlungen u1, . . . , um ein ubersichtlicheres Bild ergeben als andere. Wir be-halten uns daher vor, im Verlauf der Rechnungen Umnummerierungen vorzunehmen.wj : j ∈ J sei ein n-Tupel von Vektoren, gegeben in der Basisdarstellung mit den ui.

wj =∑

i

ui · aij fur j = 1, . . . , n .

Auch hier behalten wir uns eine Umnummerierung gegenuber der anfanglichen Aufzahlungvor. Zunachst nehmen wir nur an: a1

1 = : α 6= 0.Wir konnen die linearen Beziehungen zwischen den Vektoren ui und wj auf verschiedeneWeisen ausdrucken.

(T0) : w1 = u1 · α +m∑2

ui · ai1 fur j = 1

wj = u1 · a1j +

m∑2

ui · aij fur j = 2, . . . , n .

Ubersichtlicher ist das Tableau

u1 α a12 . . . . . . a1

n

u2 a21 a2

2 . . . . . . a2n

......

......

um am1 am2 . . . . . . amn

= w1 = w2 = wn

Wir losen nach u1 auf und erhalten

(T1) : u1 = w1 · α−1 −m∑2

ui · ai1 · α−1 fur j = 1

uj = w1 · α−1 · a1j +

m∑2

ui ·(aij − ai1 · α−1 · a1

j

)fur j = 2, . . . , n .

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132 Mathematik fur Physiker II

Ubersichtlicher ist das Tableau

w1 α−1 α−1a12 . . . α−1a1

n

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

u2 −a21 · α−1 ...

......

...... aij − ai1α−1a1

j

um −am1 · α−1 ...

= u1 = w2 = wn

Die Transformation (T0)→ (T1) nennt man die Pivottransformation zur Position (1, 1).

Bemerke : Wenn man auf (T1) die Pivottransformation zur Position (1, 1) anwendet,erhalt man (T0).

Vollstandiger Austausch

Wenn (T1) in der Position (2, 2) einen Eintrag 6= 0 hat, dann fuhren wir die Pivottrans-formation zu dieser Position durch; wir

”tauschen“ u2 gegen w2 in der Randbeschriftung.

Wenn die ui und die wj in geeigneter Reihenfolge aufgelistet sind, dann konnen wir solange mit dem Austausch fortfahren, bis die Restmatrix rechts unten die Nullmatrix ist.Wenn die ursprungliche Matrix A den Rang = r hat, dann haben wir nach r Schritten

(Tr) w1

B|| B

|‖

wr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .ur+1

B‖| 0

um= u1 = ur = wr+1 = wn

B|| ist eine r×r-Matrix; B

|‖ (gelesen: B oben Strich, unten Doppelstrich) ist eine r×(n−r)-

Matrix; B‖| hat das Format (m− r)× r.

Wir notieren w| = (w1, . . . , wr) , w‖ = (wr+1, . . . , wm),u| = (u1, . . . , ur) , u‖ = (ur+1, . . . , um) und haben

a) w‖ = w| ·B|‖ + 0

b) u| = w| ·B|| + u‖ ·B‖

I .

Das Tableau (Tr) sagt uns insbesondere

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Mathematik fur Physiker II 133

a) w1, . . . , wr, ur+1, . . . , um ist Basis von U .

b) w1, . . . , wr ist Basis von spanwj : j ∈ J.

Wir wollen jetzt studieren, wie die Matrix B aus der Matrix A im Tableau (To) entsteht.Dazu denken wir uns auch A unterteilt.

(To) u1

A|| A

|‖

ur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .u‖

A‖| A

‖‖

= w1 = wr = w‖

Satz : (Matrizen fur den Austausch)

a) Die r × r-Matrizen A|| und B

|| sind zueinander invers

b) B‖| = −A‖

| · (A||)−1 ; A

‖| = −B‖

| · (B||)

−1

c) B|‖ = (A

||)−1 · A‖

| ; A|‖ = (B

||)

−1 ·B|‖

d) 0 = B‖‖ = A

‖‖ − A

‖| · (A

||)−1 · A|

‖.

Die Formeln sind dieselben wie die beim Ubergang von (To) nach (T1); man muss hier nurauf die Reihenfolge der Faktoren in den Matrizenprodukten aufpassen.

Beweis

Wir schreiben die Beziehungen zwischen den Tupeln u|, u‖ und w|, w‖ in Matrizenschreib-

weise. Wir mussen nicht annehmen, dass B‖‖ die Nullmatrix ist, dass wir also einen

vollstandigen Austausch vorliegen haben. In jedem Fall gilt

(u|, u‖)

A|| A

|‖

A‖| A‖

= (w|, w‖)

(w|, u‖)

B|| B

|‖

B‖| B‖

= (u|, w‖)

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134 Mathematik fur Physiker II

Aus der ersten Gleichung erhalten wir

(w|, u‖) = (u|, u‖) = (u|, u‖)

A|| 0

A‖| I

aus der zweiten

(u|, w‖) = (u|, u‖)

A|| 0

A‖I I

B|| B

|‖

B‖| B

‖‖

= (u|, u‖)

A||B

|| A

||B

|‖

A‖|B

|| +B

‖| A

‖|B

|‖ +B

‖‖

Jeder Vektor laßt sich auf genau eine Weise als Linearkombination der ui darstellen; dahergilt

A

||B

|| A|B

|‖

A‖|B

|| +B

‖| A

‖|B

|‖ +B

‖‖

=

I A|‖

0 A‖‖

Das ergibt

a) A||B

|| = I b) A

‖|B

|| +B

‖| = 0

c) A||B

|‖ = A

|‖ c) B

‖‖ = A

‖‖ − A

‖| ·B

|‖ q.e.d.

Immer, wenn man ein Tupel von Basisvektoren ui durch ein Tupel der wj austauscht,gelten die Matrizengleichungen a) b) c) d). Die skalare Form haben wir beim Ubergangvon (To) zu (T1) bereits kennengelernt. Im allgemeinen Fall gelten dieselben Formeln; manmuss nur etwas besser aufpassen, weil das Matrizenprodukt nicht kommutativ ist.

Gleichungssysteme durch Zeilentableaus

Ein inhomogenes Gleichungssystem wird traditionellerweise folgendermaßen geschrieben:

a11 · x1 + a1

2 · x2 + . . . +a1n · xn = b1

. . . . . .

am1 · x1 + am2 · x2 + . . . +amn · xn = bm .

Die n× n-Matrix A und die m-Spalte b ist vorgegeben. Gesucht ist eine moglichst uber-sichtliche Beschreibung der Losungsmenge

x : Ax = b .

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Mathematik fur Physiker II 135

Erwunscht ist auch (bei festem A) ein Uberblick uber die Menge der b, fur welche eineLosung existiert.

Wir wollen die Problemstellung in die Sprache der Vektorraume ubersetzen:V sei ein n-dimensionaler K-Vektorraum mit einer ausgezeichneten Basis ej : j ∈ J.`(1)(·), . . . , `(m)(·) seien Linearformen.

`(i) (∑

ej · xj) =∑aij · xj fur i = 1, . . . , m.

Gesucht ist eine ubersichtliche Beschreibung der Losungsmengenx : `(i)(x) = −yi

und

eine Charakterisierung der m-Tupel yi fur welche eine Losung existiert.Wir beschreiben die Gegebenheiten durch ein Zeilentableau

x1 . . . xn

(To)a1

1 . . . a1n = −y1

......

...am1 . . . amn = −ym

(Die Ersetzung bi ↔ −yi wird sich als bequem erweisen.)

Wir wollen das Tableau umformen. Zunachst nehmen wir an : a11 = α 6= 0. Dann konnen

wir namlich die erste Zeile nach x1

”auflosen“.

α · x1 +n∑

2

a1jx

j = −y1 ⇔ 1

αy1 +

∑ 1

αa1j · xj = −x1 .

Die weiteren −yi stellen wir mit y1, x2, . . . , xn dar.

−ai1 ·1

αy1 +

m∑

2

(aij − ai1 ·

1

α· a1

j

)xj = −yi fur i = 2, . . . , m .

Dies ist das Zeilentableau

y1 x2 . . . . . . . . . xn

1αa1

21αa1n = −x1

(T1) −a21 · 1

α. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . = −y2

...

... aij − ai1 ·1

α· a1

j

−am1 · 1α

... = −ym

Das Koeffizientenschema ist uns schon von der Pivottransformation des Spaltentableausbekannt. Wie dort wollen wir die Zeilen und Spalten schrittweise so umnummerieren, dasswir xi gegen yi austauschen konnen, i = 1, . . . , r.

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136 Mathematik fur Physiker II

Das vollstandig ausgetauschte Zeilentableau lautet :

y1 yr xr+1 xn

(To) = −x1

B||

... B|‖

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .= −xr= −yr+1

B‖|

... 0 = −ym

In Matrizenform

a) B|| · y| +B

|‖ · x‖ = −x|

b) B‖| · y| = −y‖ .

Interpretation

Die Gleichung b) liefert eine notwendige und hinreichende Bedingung fur die Losbarkeitdes Gleichungssystems.Alle Bedingungen an die Losungsmenge x : Ax = −y stecken in den ersten r Gleichun-gen.xr+1, . . . , xn konnen beliebig vorgegeben werden; wenn x1, . . . , xr dazu durch die Glei-chung a) bestimmt werden, dann haben wir eine Losung. Fur jedes zulassige y ist also dieLosungsmenge eine (n− r)-dimensionale lineare Mannigfaltigkeit.

Hinweis (auf den Satz von der implizit gegebenen Funktion)

Zu den Zeilentableaus gibt es ein nichtlineares Analogon:G(1)(·), . . . , G(m)(·) seien glatte Funktionen. Wir interessieren uns fur die Menge der Losun-gen des Gleichungssystems

G(1)(x1, . . . , xn) = −y1

. . . . . .

G(m)(x1, . . . , xn) = −ym

in einer Umgebung von einer speziellen Losung (x, y).Man kann zeigen: Wenn die Jacobi-Matrix vollen Rang m hat, wenn also die Gradientender G(i)(·) linear unabhangig sind, dann ist die Losungsmenge

M =x : G(x) = −y

∩ U

fur eine genugend kleine Umgebung U eine (n−m)-dimensionale Mannigfaltigkeit. Diesekann man (nach Umnummerierung der x(j) durch x(r+1), . . . , x(n) parametrisieren.

(x(r+1), . . . , x(n)

)

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Mathematik fur Physiker II 137

sind als lokales Koordinatensystem auf der Losungsmenge zu betrachten. Alle glattenFunktionen f auf M konnen mit diesen x(j) ausgedruckt werden.

f(P ) = F(x(r+1)(P ), . . . , x(n)(P )

)fur P ∈M .

Insbesondere sind die ubrigen x(i) auf der Losungsmenge M als Funktionen von x(r+1), . . . , x(n)

auszudrucken.

x(i)(P ) = H (i)(x(r+1)(P ), . . . , x(n)(P )

)fur i = 1, . . . , r

mit gewissen glatten Funktionen H (i)(·).Die Jacobi-Matrix (

∂H (i)

∂x(j)

)i=1,...,m

j=r+1,...,n

ergibt sich durch die Kettenregel.Die Kettenregel liefert

∂x‖G(H(x‖), x

)= 0⇔ G| ·H ′(x‖) +G‖(x

‖) = 0

−H |(x‖) = (G|)−1 ·G‖(x

‖) .

Die Jacobi-Matrix H ′(·) entspricht der m× (m− r)-Matrix B|‖ in Formel b):

Ax = 0⇔ (A′|, A

′‖)

(x|

x‖

)= 0⇔ A′

|x| + A′

‖x‖ = 0

−x| = (A′|)−1 ·A′

‖x‖ .

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138 Mathematik fur Physiker II

57. Vorlesung : Duale Tableaus, Bilinearformen, Tensoren

(Dieser Abschnitt kann zunachst ubersprungen werden)

Es ist naturlich kein Zufall, dass die Koeffizientenmatrizen in den Zeilen- und Spaltenta-bleaus auf dieselbe Weise transformiert werden. Zeilentableau und Spaltentableau konnenals zueinander dual interpretiert werden. Dabei gibt es aber mehrere Moglichkeiten. Wirdiskutieren zuerst den Basiswechsel (fur quadratische Tableaus vom vollen Rang) unddann die Tableaus zu einer linearen Abbildung. Schließlich interpretieren wir lineare Ab-bildungen als Bilinearformen (und umgekehrt).

Basiswechsel und Koordinatenwechsel

V sei ein n-dimensionaler K-Vektorraum, vj : j ∈ J sei eine Basis,`(j) : j ∈ J

sei

die duale Basis.Jedes v ∈ V besitzt eine eindeutige Darstellung

v =∑

vj · xj , wobei xj = `(j)(v) .

Wir bezeichnen die Funktionen `(j)(·) auf dem affinen Raum V auch mit x(j)(·) und wirnennen sie die Koordinatenfunktionen (zur gegebenen Basis).ui : i ∈ I sei eine weitere Basis,

k(i) : i ∈ I

sei die duale Basis; statt k(i) schreiben

wir auch y(i)(·).

Satz

Wenn die I × J-Matrix A den Basiswechsel beschreibt

(u1, . . . , un)A = (v1, . . . , vn)∑

i

uiaij = vj fur j ∈ J ,

dann beschreibt die J × I-Matrix B = A−1 den Koordinatenwechsel

A−1

y(1)

...

y(n)

=

x(1)

...

x(n)

∑i

bji · y(i)(·) = x(j)(·) .

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Mathematik fur Physiker II 139

Beweis

Sei B die zu A inverse Matrix. Die Darstellung eines Vektors ist in jedem Koordinaten-system eindeutig bestimmt.

∑vj · xj = v =

∑ui · yi

v =∑

j

(∑

i

uiaij

)xj =

i

ui

(∑

j

aij · xj)

=∑

ui · yi

yi =∑

j

aij · xj fur alle i⇔ xj =∑

bjiyi fur alle j .

Bemerke die Tableaus

x(1) . . . x(n) y(1) . . . (y(n))

u1 a11 a1

n = y(1) v1 b11 b1n = −x(1)

......

......

un an1 ann = y(n) vn bn1 bnn = −x(n)

= v1 . . . = vn = u1 . . . = un

Sie gehen durch vollstandigen Austausch auseinander hervor.

Matrizen und Tableaus zur Darstellung linearer Abbildungen

ϕ : V → U sei eine lineare Abbildung.vj : j ∈ J sei eine Basis von V ;

x(j) : j ∈ J

sei die duale Basis.

ui : i ∈ I sei eine Basis von U ;y(i) : i ∈ I

sei die duale Basis.

Die Bilder der Basisvektoren wj = ϕ(vj) besitzen eine eindeutige Darstellung als Linear-kombination der ui.

ϕ(vj) =∑

i

ui · aij fur j ∈ J .

Die duale Abbildungϕ? : V ? ← U?

ordnet jedem y(i) eine Linearkombination der x(j) zu

ϕ?(y(i))

=∑i

aij · x(j) fur i ∈ I

aij = 〈ϕ?(y(i)), vj〉 = 〈y(i), ϕ (vj)〉 .

In Matrizenschreibweise

(ϕ (v1) , . . . , ϕ (vn)

)= (u1, . . . , un)A(

ϕ?(y(1)), . . . , ϕ?

(y(n)))T

= A ·(x(1), . . . , x(n)

)T.

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140 Mathematik fur Physiker II

In Tableau-Schreibweise

x(1) x(n)

u1 a11 a1

n = ϕ?(y(1))

...

um am1 amn = ϕ?(y(m)

)

= ϕ(v1) = ϕ(vn)

(ϕ(v1), . . . , ϕ(vn))

x(1)

...

x(n)

= (u1, . . . , um)A

x(1)

...

x(n)

= (u1, . . . , um)

ϕ?(y(1))

...

ϕ?(y(m)

)

.

Lineare Abbildungen als Bilinearformen

Seien U und V K-Vektorraume, U? und V ? die Dualraume.Eine Bilinearform b(·, ·) auf U ? × V kann man als lineare Abbildung interpretieren

ϕ : V → U ! b(·, ·) : U? × V → K .

b(·, v) ist namlich eine Linearform auf U ?, d.h. ein Element von U (U ?? = U). Fur k ∈ U?

ist b(k, ·) eine Linearform auf V , und zwar = ϕ?(k)

b(k, v) = 〈k, ϕ(v)〉 = 〈ϕ?(k), v〉 .

Sei ui : i ∈ I eine Basis von U ;k(i) : i ∈ I

sei die duale Basis.

Sei vj : j ∈ J eine Basis von V ;`(j) : j ∈ J

sei die duale Basis.

Zu u ∈ U, `(·) ∈ V ? gewinnt man eine Bilinearform

(u⊗ `)(·, ·) auf U? × V vermoge der Festsetzung

(u⊗ `)(k, v) = 〈k, u〉 · 〈`, v〉 fur k ∈ U?, v ∈ V .

Speziell erhalten wir fur jedes (i, j) ∈ I × J eine Bilinearform ui ⊗ `(j).

Satz : Diese speziellen Bilinearformen bilden eine Basis des K-Vektorraums aller Bili-nearformen auf U ? × V .

Beweis : b(·, ·) =∑i,j

aij · ui ⊗ `(j)(·, ·) entspricht der linearen Abbildung

ϕ : V → U mit

ϕ(vj) =∑

i

ui · aij fur j ∈ J .

Das Koeffizientenschema(aij)i,j

ist also die I × J-Matrix, welche ϕ(·) in den gewahlten

Koordinatensystemen ausdruckt.

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Mathematik fur Physiker II 141

Bemerke

1. Die Bilinearform ui ⊗ `(j) entspricht der I × J-Matrix, die in der Position (i, j) denEintrag 1 hat und sonst lauter Nullen.

2. Die Bilinearformen u⊗ `(·, ·) auf U ?× V entsprechen den linearen Abbildungenvom Rang 1. In der Koeffizientenmatrix sind alle Spalten zueinander proportional(und ebenso naturlich alle Zeilen).

aij = αi · βj, wenn u =∑

ui · αi , ` =∑

βj · `(j) .

Satz : Wenn eine Abbildung ϕ : V → U den Rang r hat, dann kann die dazugehorigeBilinearform b(·, ·) als Linearkombination von r Tensorprodukten dargestellt werden.

Beweis :

1. Sei u1, . . . , um eine Basis von U , sodass

u1, . . . , ur eine Basis von im ϕ ist.

Wahle v1, . . . , vr so, dass ϕ(vj) = uj fur j ≤ r, und setze dieses r-Tupel zu einerBasis vj : j ∈ J fort.

2.k(i) : i ∈ I

sei die duale Basis von ui : i ∈ I.

`(j) : j ∈ J

sei die duale Basis von vj : j ∈ J.Es gilt 〈k(i), ϕ(vj)〉 = 1 falls i = j ≤ rund andernfalls = 0.

3. Betrachte die Bilinearform

b(·, ·) = u1 ⊗ `(1) + . . .+ ur ⊗ `(r)

in den Paarenk(i), vj

. Fur alle n gilt

un ⊗ `(n)k(i), vj

= 〈k(i), un〉 · 〈`(n), vj〉 .

Dies ist nur dann 6= 0 (und dann = 1), wenn i = j = n. Somit entspricht b(·, ·) dergegebenen Abbildung ϕ : V → U .

Satz :

V1 und V2 seien K-Vektorraume.

b(·, ·) : V1 × V2 → K

sei eine Bilinearform. Dann gilt

dim

b(·, v2) : v2 ∈ V2

= dim

b(v1, ·) : v1 ∈ V1

.

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142 Mathematik fur Physiker II

Beweis :

1. Wir konnen b(·, ·) mit einer linearen Abbildung

ϕ : V1 → V ?2

identifizierenv1 7−→ ϕ(v1) ∈ V ?

2 〈ϕ(v1), ·〉 = b(v1, ·) .Fur die duale Abbildung

ϕ? : V2 → V ?1

haben wir

〈ϕ?(v2), ·〉 = b(·, v2) ; denn

〈ϕ(v1), v2〉 = b(v1, v2) = 〈ϕ?(v2), v1〉 fur alle v1 ∈ V1, v2 ∈ V2 .

2. b(·, v2) : v2 ∈ V2 ist ein Teilvektorraum von V ?1 , und zwar = im ϕ?. Ebenso

b(v1, ·) : v1 ∈ V

= im ϕ ⊆ V ?

2 .

Da ϕ und ϕ? denselben Rang haben, haben die beiden Vektorraume dieselbe Di-mension.

Definition

Der Rang der Bilinearform b(·, ·) ist die Dimension vonb(v1, ·) : v1 ∈ V1

.

Tensorprodukt

U und V seien K-Vektorraume, dim U = m, dim V = n. U ? bzw. V ? seien die Dualraume.Wir definieren die zueinander dualen Vektorraume U⊗V und U?⊗V ? (von der Dimensionm · n) :

1. U? ⊗ V ? ist der Vektorraum aller Bilinearformen auf U × V . Er besteht aus denLinearkombinationen von Bilinearformen der Form k ⊗ ` mit k ∈ U ?, ` ∈ V ?

(k ⊗ `)(u, v) = 〈k, u〉 · 〈`, v〉 fur alle u, v ∈ U × V .

2. U ⊗ V besteht aus den Bilinearformen auf U ? × V ?

∑aα · uα ⊗ vα mit uα ∈ U, vα ∈ V .

3. Die naturliche Paarung ist

⟨∑bβ · kβ ⊗ `β ,

∑aα · uα ⊗ vα

⟩=∑

α,β

bβ · aα · 〈kβ, uα〉 · 〈`β · vα〉 .

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Mathematik fur Physiker II 143

Bemerke

Sei ui : i ∈ I eine Basis von U , vj : j ∈ J eine Basis von V .Sei k(i) : i ∈ I bzw. `(j) : j ∈ J die duale Basis.Dann bilden die ui⊗vj eine Basis von U⊗V ; die duale Basis (fur den Vektorraum U ?⊗V ?)sind die k(i) ⊗ `(j).

〈k(m) ⊗ `(n) , ui ⊗ vj〉 =

1 falls m = i, n = j

0 sonst

U ⊗ V (und naturlich auch der Dualraum U ? ⊗ V ?) ist ein Vektorraum der DimensiondimU · dimV .

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144 Mathematik fur Physiker II

58. Vorlesung : Lineare Optimierung, perfekter Austausch

Die Kraft der Tableaus zeigt sich eindrucklich in der linearen Optimierung. Dort will mankeinen vollstandigen Austausch, sondern einen informativen partiellen Austausch, einen

”perfekten“ Austausch.

Maximierungsproblem

Ein Produzent kann die Produkte (j) herstellen (j = 1, . . . , n). Er muss jedoch auf dieBeschranktheit der Ressourcen (i) achten (i = 1, . . . , m). Er sucht nach einem

”Produk-

tionsplan“, welcher den Erlos maximiert.

Minimierungsproblem

Ein Einkaufer kann Grundstoffe (i) einkaufen (i = 1, . . . , m). Er muss aber bei der Zu-sammenstellung seines

”Einkaufsplans“ darauf achten, dass die Wirkstoffe (j) ausreichend

vertreten sind. (j = 1, . . . , n). Er sucht nach einem”Einkaufsplan“, welcher minimalen

Preis hat.

Konvention

Die Daten werden in beiden Fallen in einem Tableau versammelt. Beim Maximierungs-problem wird das Koeffizientenschema als Zeilentableau gelesen, beim Minimierungspro-blem wird es als Spaltentableau gelesen. Wir betrachten die beiden Probleme zur gleichen(m+ 1)× (n+ 1)-Matrix simultan.

x1 x2 xn −1

ξ1... b1 = −y1

...(aij) ...

...

ξm... bm = −ym

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

−1 c1 c2 . . . . . . . . . cn... d = M

= n1 = n2 = nn = m

Das Zeilentableau wird gelesen:Ein n-Tupel x ≥ 0 ist zulassig (

”feasible“), wenn

Ax ≤ b , d.h. wenn y := −(Ax− b) ≥ 0 .

Der Erlos beim Produktionsplan (x, y) ist cx−d = M . Dieser Erlos M ist zu maximieren.

Sprechweise (”Schlupfvariable“)

Wenn (x, y) ≥ 0 ein zulassiger Produktionsplan ist, dann heißt der Eintrag yi der i-te

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Mathematik fur Physiker II 145

Schlupf (”slack“). yi gibt an, wieviel von der i-ten Ressource unausgenutzt bleibt. Es

wird sich zeigen, dass zu einem optimalen Produktionsplan ein s-Tupel von Ressourcengehort, die voll ausgeschopft werden und ein (n − s)-Tupel von Produkten, die nichtproduziert werden.

Das Spaltentableau wird gelesen:Ein m-Tupel ξ ≥ 0 ist zulassig (

”feasible“), wenn

ξA ≥ c , d.h. wenn η := ξA− c ≥ 0 .

Der Preis des Einkaufsplans (ξ, η) ist ξb− d = m. Dieser Preis ist zu minimieren.

Sprechweise

Wenn (ξ, η) ein zulassiger Einkaufsplan ist, dann heißt der Eintrag ηj der j-te Schlupf.ηj gibt offenbar an, wie weit der Einkaufsplan beim Wirkstoff uber das Soll hinaus geht.Es wird sich zeigen, dass zu jedem optimalen Einkaufsplan ein s-Tupel von Wirkstoffengehort, bei welchen das Soll nicht uberschritten wird und ein (m− s)-Tupel von Grund-stoffen, die nicht eingekauft werden.

Ein trivialer Fall

Nehmen wir an: bi ≥ 0 fur alle i, cj ≤ 0 fur alle j. In diesem Fall ist x = 0 ein optimalerProduktionsplan und ξ = 0 ein optimaler Einkaufsplan.

Beweis :

Die”Nullplane“ sind jedenfalls zulassig. Nehmen wir an, der Produzent weicht ein wenig

vom Nullplan ab; der Erlos sinkt, weil alle cj ≤ 0. Nehmen wir an, der Einkaufer weichtvom Nullplan ab (ohne die Zulassigkeit einzubußen); der Preis steigt, weil alle bi ≥ 0.

Losbarkeit

Wenn die Koeffizeintenmatrix irgendwie vorgegeben wird, dann ist uberhaupt nicht klar,ob zulassige Produktionsplane (bzw. zulassige Einkaufsplane) existieren. Die Mengen

K := x : x ≥ 0 , Ax ≤ b = x : (x, y) ≥ 0 ⊆ Rn+ , bzw.

L := ξ : ξ ≥ 0 , ξA ≥ c = ξ : (ξ, η) ≥ 0 ⊆ Rm+

konnen leer sein.Wenn K 6= ∅, dann kann die Zielfunktion cx− d auf K nach oben unbeschrankt sein.Die Funktionen

M(c, d) := supcx− d : x ∈ K und

m(b, d) := infξb− d : ξ ∈ Lkonnen also die Werte ±∞ annehmen.(Das Supremum der leeren Zahlenmenge ist −∞, das Infimum der leeren Zahlenmenge

ist +∞ (Konvention))

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146 Mathematik fur Physiker II

Satz

(x, y,M) mit (x, y) ≥ 0 lose das Zeilentableau,(ξ, η,m) mit (ξ, η) ≥ 0 lose das Spaltentableau.Es gilt dann

M ≤M(c, d) ≤ m(b, d) ≤ m .

Beweis

1. Sei (x, y,M) eine Losung des Zeilentableaus, die nicht zulassig sein muss. Und sei(ξ, η,M) eine Losung des Spaltentableaus, die nicht zulassig sein muss. Dann gilt

∑ξi · yi +

∑ηj · xj = m−M .

Es gilt namlich∑

ηjxj =

∑(∑ξia

ij − cj

)xj = ξAx− cx

−∑

ξiyi =

∑ξi

(∑aijx

j − bi)

= ξAx− ξb .

Die Differenz ergibt

ηx+ ξy = −cx + ξb = −(M + d)− (m+ d) = m−M .

2. Wenn (x, y,M) und (ξ, η,m) zulassige Losungen sind, dann gilt

m−M = ξy + ηx ≥ 0 q.e.d.

Corollar

Seien (x, y,M) und (ξ, η,m) zulassige Lasungen, wie im Satz. Wenn m = M , dann giltx ist ein optimaler Produktionsplan undξ ist ein optimaler Einkaufsplan.

Bemerke

Wenn M(c, d) = +∞, dann L = ∅,wenn m(c, d) = −∞, dann K = ∅.

Zahlenbeispiel

x1 x2 x3 −1

ξ1 4 2 2... 12 = −y1

ξ2 1 0 1... 2 = −y2

ξ3 0 1 3... 4 = −y3

. . . . . . . . . . . . . .... . . .

−1 3 2 2, 5... 0 = M

= η1 = η2 = η3 = m

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Mathematik fur Physiker II 147

Bemerke :

1. Fur den Produzenten ist der Nullplan zulassig. Der Erlos ist 0; er hofft auf hoherenErlos.

2. Fur den Einkaufer ist klar, dass er die Forderungen erfullen kann, wenn er genugendgroße Mengen ξi von den Grundstoffen einkauft. Er muss aber nachdenken, wenn ereinen kleinen Preis erreichen will.Jedenfalls haben wir m(b, d) ≥ 0 nach dem Satz.

Wir wollen das Tableau (T0) durch Pivottransformationen so umformen, dass wir Genau-eres uber M(c, d) und m(c, d) ablesen konnen.Die Pivottransformation zur Position (3, 2) liefert

x1 y3 x3 −1

ξ1 4 −2 −4... 4 = −y1

(T1) ξ2 1 0 1... 2 = −y2

η2 0 1 3... 4 = −x2

. . . . . . . . . . . . . . . .... . . .

−1 3 −2 −3, 5... −8 = M

= η1 = ξ3 = η3 = m

3. Fur den Produzenten ist x1 = 0, y3 = 0, x3 = 0 zulassig.

(x ; y) = (0, 4, 0 ; 4, 2, 0) .

Der Erlos ist M = 8.

4. Der Einkaufer hat die untere Abschatzung 8 fur seinen optimalen Einkaufsplan. Esist aber fraglich, ob er so billig wird einkaufen konnen.

Die Pivottransformation zur Position (1, 1) liefert

y1 y3 x3 −1

η1... 1 = −x1

(T2) ξ2... 1 = −y2

η2... 4 = −x2

. . . . . . . . . . . . . . . . . .... . . .

−1 −34

−12

−12

... −11 = M

= ξ1 = ξ3 = η3 = m

5. Man erhalt einen zulassigen Einkaufsplan, wenn man η1 = 0, ξ2 = 0, η2 = 0 wahlt.Dies bedeutet

(ξ ; η) =

(3

4, 0,

1

2; 0, 0,

1

2

), m = 11 .

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148 Mathematik fur Physiker II

6. Das Tableau hat die Form, die wir oben den trivialen Fall genannt haben. DerEinkaufsplan in 5) ist optimal. Der optimale Produktionsplan ist durch

y1 = 0 , y3 = 0 , x3 = 0 gegeben.

(x ; y) = (1, 4, 0 ; 0, 1, 0) , M = 11 .

Die beiden linearen Optimierungsprobleme haben simultan ihre Losung gefunden. Durchgeschickt gewahlte Pivottransformation haben wir das unubersichtliche Problem auf dentrivialen Fall zuruckgefuhrt. Dies nennen wir einen perfekten Austausch.

Frage : Unter welchen Umstanden sollte es gelingen, das Tableau so umzuformen, dassdie Eintrage rechts ≥ 0 und die Eintrage unten ≤ 0 sind?

Hinweis : Bei einem Tableau (”in allgemeiner Lage“) kann man auf

(nk

)·(mk

)Weisen

ein k-Tupel von Randvariablen gegen ein k-Tupel von Randvariablen austauschen. k =1, 2, . . ., minm,n. Wer nur einfach probiert, der hat viel zu tun. Der beruhmte Simplex-Algorithmus versucht mit passenden Pivot-Wahlverfahren moglichst schnell zum perfektumgeformten Tableau zu gelangen. Das klappt manchmal sehr gut; es gibt Faustregelnfur viele Spezialfalle. Es hat sich aber gezeigt, dass der Rechenaufwand in vielen Fallenhoch ist. Die Fachleute suchen daher heute lieber nach suboptimalen zulassigen Planen,die man schnell errechnen kann. Sie verzichten auf den optimalen Plan, der nur mit hohemRechenaufwand gefunden werden kann.Ubrigens : Die Komplexitatstheoretiker konnen beweisen, dass das allgemein gestellteProblem der linearen Optimierung in einem technisch prazisen Sinn schwierig ist. Eshat also keinen Sinn, nach allgemeingultigen schlauen Pivot-Wahlverfahren Ausschau zuhalten.

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Mathematik fur Physiker II 149

59. Vorlesung : Geometrisches zur linearen Optimierung

Definition (Extremalpunkte)

Ein Punkt P einer konvexen Menge K heißt ein Extremalpunkt von K, wenn man ihnnur auf triviale Weise als konvexe Kombination weiterer Punkte von K darstellen kann.

∀P,Q ∈ K ∀λ ∈ (0, 1) (1− λ)P + λQ = P ⇒ P = Q = P .

Bemerke : Nicht alle abgeschlossenen konvexen Mengen in einem n-dimensionalen af-finen Raum besitzen Extremalpunkte. Man denke an Halbraume (fur n = 2) oder auchan Zylinder (fur n ≥ 3). Man beweist aber leicht das

Lemma

Sei K eine nichtleere abgeschlossene Teilmenge eines n-dimensionalen affinen Raums.Wenn K keine Geraden enthalt, dann besitzt K mindestens einen Extremalpunkt. Jedenach oben beschrankte konvexe Funktion k(·) nimmt ihr Maximum in einem Extremal-punkt an.

Bemerkung:

Jede kompakte konvexe Teilmenge eines endlichdimensionalen affinen Raums ist die kon-vexe Hulle ihrer Extremalpunkte (ohne Beweis!)

Sei V der Vektorraum aller n-Spalten x. In unserem Maximierungsproblem sind diezulassigen

”Produktionsplane“ die Punkte x im Durchschnitt K von m+ n Halbraumen.

x : x(j) ≥ 0 fur j=1, . . . , n ; y(i) := −

∑aijx

(j) + b(i) ≥ 0 fur i=1, . . . , m

Maximierung

Nehmen wir an, dass K nicht leer ist und cx − d auf K nach oben beschrankt. DasMaximum M(c, d) wird mindestens in einem Extremalpunkt x angenommen. Jeder Ex-tremalpunkt von K ist der Schnittpunkt von mindestens n unter den Hyperebenen.

x : x(j) = 0

und

x : y(i) = 0

Durch Umnummerieren der Zeilen und Spalten unseres Tableaus konnen wir erreichen,dass die fruhen y(i) und die spaten x(j) in diesem Extremalpunkt verschwinden; kurzgeschrieben

y| = 0 , x‖ = 0 .

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150 Mathematik fur Physiker II

Wir betrachten das transformierte Tableau, wo am oberen Rand die yi, i ≤ k und die xj,j > k stehen.

y| x‖ −1...

...

η|...

... = −x|...

...

. . . . . .... . . . . . .

... b...

...

ξ‖...

... = −y‖...

...

. . . . . .... . . . . . .

... . . .−1 c

... d = M

ξ| η′‖ = m

Nehmen wir zur Erleichterung an, dass die ubrigen x(j) und die ubrigen y(i) in diesemPunkt echt positiv sind

y‖ > 0 , x| > 0 .

(”Allgemeine Lage“ unserer begrenzenden Hyperebenen)

Die Eintrage von b sind echt positiv; sie sind die Eintrage von x| und y‖. Die fur denmaximalen Ertrag zu produzierenden Mengen sind

(x| , x‖) = (b| , 0) .

Der maximale Gewinn ist der Wert der Zielfunktion in diesem Punkt, M = −d.

Minimierung

Aus der Annahme, dass die Zielfunktion des Maximierungsproblems im Punkt x maximalist, folgt nun, dass die Eintrage von c nicht positiv sind. Ware namlich ein ck > 0, dannkonnte man durch Vergroßern der entsprechenden Variablen am oberen Rand einen echtgroßeren M -Wert erreichen ohne die Zulassigkeit zu gefahrden.Aus c ≤ 0 folgt dann aber, dass (y|, ξ‖) = (0, 0) einen zulassigen Einkaufsplan liefert. Er

hat den Preis m = −d. Die einzukaufenden Mengen sind (ξ|, ξ‖) = (c|, 0).

Satz

Wenn M(c, d) < ∞ und das Maximum in einem Extremalpunkt x angenommen wird,durch welchen genau n Hyperebenen gehen, dann liefert dieses x ein perfekt ausgetauschtesTableau.

Den allgemeinen Fall wollen wir hier nicht diskutieren. Wir wollen die Sachlage lieberaus der Sicht der Legendre-Dualitat erortern.

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Mathematik fur Physiker II 151

Duale Kegel

Eine Teilmenge K eines reellen Vektorraums V heißt bekanntlich ein konvexer Kegel,wenn gilt

w1, . . . , wN ∈ K , λk ≥ 0 fur alle k ⇒∑

λkwk ∈ K .

Ein konvexer Kegel ist also eine konvexe Menge mit der zusatzlichen Eigenschaft

w ∈ K ⇒ λw ∈ K fur alle λ ≥ 0 .

Zu jeder Menge E ⊆ V existiert ein kleinster sie umfassender konvexer Kegel; er bestehtaus den Vektoren

w =∑

λkwk mit λk ≥ 0 , wk ∈ E .

Seine abgeschlossenen Hulle ist der kleinste E umfassende abgeschlossene konvexe Kegel.Wir bezeichnen ihn mit Ea.

Definition

Sei E ⊆ V undE? =

`(·) : 〈`, v〉 ≤ 0 fur alle v ∈ E

⊆ V ? .

Dann heißt E? der duale Kegel.

Bemerke :

Zu jedem E ⊆ V ist E? ein abgeschlossener Kegel in V ?. Je großer E ist, desto kleiner istE?; Ea hat aber denselben dualen Kegel wie E. Man nennt daher E? den zu Ea dualenKegel.

Theorem

Fur jedes E ⊆ V giltE?? = Ea .

Dies ist ein Spezialfall der Legendre-Dualitat. Man betrachte auf V die Funktion

k(v) =

0 falls v ∈ Ea

+∞ sonst

Es handelt sich um eine unterhalbstetige konvexe Funktion. Die Legendre-Transformiertek?(·) kann nur die Werte 0 und +∞ annehmen.

ϑ : k?(ϑ) = 0

=ϑ : supϑv : v ∈ Ea <∞

=

= ϑ : ϑv ≤ 0 fur alle v ∈ Ea = E? .

E? ist die Endlichkeitsmenge von k?; E?? ist die Endlichkeitsmenge von k??. Nach demSatz von Legendre-Dualitat gilt

k??(·) = k(·) also E?? = Ea .

Der Satz von Farkas (1902) behandelt einen speziellen Fall: F ist hier eine endliche Mengeim Dualraum V ?. F a ist also die Gesamtheit aller positiven Linearkombinationen derElemente von F .

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152 Mathematik fur Physiker II

Satz (Farkas)

Ein konvexer Kegel K ⊆ V sei durch endlich viele lineare Ungleichungen gegeben

K :=v : `(k)(v) ≤ 0 fur k = 1, . . . , p

⊆ V .

Die ubrigen `(·) mit `(v) ≤ 0 fur alle v ∈ K sind dann gerade die positiven Linearkombi-nationen der `(k)(·). In Formeln

`(·) ≤ 0 auf K ⇔ ∃ λ1, . . . , λp ≥ 0 : `(·) =∑

λk · `(k)(·) .

Beweis :

Sei F der von `(1), . . . , `(p) erzeugte Kegel in V ?.

F =` : `(·) =

∑λk`

(k)(·) mit λk ≥ 0.

F ist abgeschlossen.Der duale Kegel ist

F ? = v : 〈`, v〉 ≤ 0 fur alle ` ∈ F =v : 〈`(k), v〉 ≤ 0 fur k = 1, . . . , p

= K .

Da F abgeschlossen ist, haben wir F ?? = F , also

` ∈ F ?? ⇔ 〈`, ·〉 ≤ 0 auf K ⇔⇔ ` ∈ F ⇔ ∃ λ1, . . . , λp ≥ 0 : 0 =

∑λk`

(k) .

Hinweis : Der Satz von Farkas ist das konvexe Gegenstuck zu einem Satz der linea-ren Algebra, dem wir schon ofters begegnet sind (z.B. bei der Methode der Lagrange-Multiplikatoren). Dies ist der

Satz

Ein Teilvektorraum L ⊆ V sei durch p lineare Gleichungen gegeben.

L :=v : `(k)(v) = 0 fur k = 1, . . . , p

⊆ V .

Die ubrigen Linearformen `(·), die auf L verschwinden, sind dann gerade die Linearkom-binationen der `(k)(·).Der Satz von Farkas wird wirksam, wenn man Extrema mit Nebenbedingungen sucht, diedurch endlich viele glatte Ungleichungen gegeben sind.

Dualitat in der linearen Optimierung

Gegeben ist eine m×n-Matrix A, eine m-Spalte b und eine n-Zeile c. Dazu definieren wir

Kb : = x : x ≥ 0 , Ax ≤ b und(M)

M? = sup cy : x ∈ KbLc = ξ, ξ ≥ 0 , ξA ≥ c(m)

m? = infξb : ξ ∈ Lc .

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Mathematik fur Physiker II 153

Theorem

Fur beliebige A, b, c gilt :

supcx : x ∈ Kb = M? = m? = infξb : ξ ∈ Lc .

Vorbemerkungen

1. Wir bestatigen nochmals x ∈ Kb , ξ ∈ Lc ⇒ cx ≤ ξb .Wir haben namlich 0 ≥ ξ(Ax− b) = (ξA− c)x+ cx− ξb.Wir mussen also zeigen, dass es keine Lucke zwischen dem Supremum und demInfimum gibt.

2. M? = ∞ impliziert Lc = ∅ ; denn fur jedes ξ ∈ Lc mussten wir haben ξb ≥ M?

(Widerspruch). Auch in diesem Falle gilt also m? = M?.

3. Wenn M? = −∞, dann ist Kb leer. Wir mussen zeigen, dass in diesem Fall ξb aufLc nach unten unbeschrankt ist. Dies werden wir spater erledigen.

4. Sei M > M?, und daher cx < M auf Kb. Wir zeigen, dass es ein ξ ∈ Lc gibt mitξb ≤ M . Der Schlussel zum Beweis ist der Satz von Farkas. Allerdings mussen wirerst von den konvexen Mengen Kb ⊆ Rn zu konvexen Kegeln Kb ⊆ Rn+1 ubergehen.

Beweis des Theorems

1. Der Raum der affinen Funktionen

a(x) = α1 · x1 + . . .+ αn · xn − β auf dem Rn

ist ein (n+1)-dimensionaler Vektorraum V ?. Wir reprasentieren die Elemente durch(n+ 1)-Zeilen

a(·)↔ (−β, α1, α2, . . . , αn) .

Die Elemente des Dualraums V reprasentieren wir durch (n+1)-Zeilen v = (x0, x1, . . . , xn)T

〈a, v〉 = −βx0 + α1x1 + . . .+ αnx

n .

2. Im Vektorraum V betrachten wir den Kegel

Kb =x : xj ≥ 0 fur j = 1, . . . , n, bix0 +

∑aijx

j ≤ 0 fur i = 1, . . . , m.

Der Kegel ist durch (m+ n + 1) lineare Ungleichungen beschrieben.Wir haben also m + n+ 1 Linearformen `(k)(·) mit `(k)(·) ≤ 0 auf Kb.Nach dem Satz von Farkas sind die ubrigen Linearformen `(·) mit `(·) ≤ 0 auf Kb

die positiven Linearkombinationen.

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154 Mathematik fur Physiker II

3. Wir haben nun eine Linearform `(·) mit `(·) ≤ 0 auf Kb, namlich die Linearform

c1 · x1 + . . .+ cn · xn − M · x0 .

Es existieren also η0, η1, . . . , ηn, ξ1, . . . , ξm ≥ 0, sodass

− Mx0 + c1x1 + . . .+ cnx

n =

=η0(−x0) + η1(−x1) + . . .+ ηn(−xn) +∑

i

ξi(−bi · x0 +∑

j

aijxj)

=

(η0 +

i

ξibi

)(−x0) +

n∑

j=1

(−ηj +

∑ξia

ij

)xj .

Wegen der linearen Unabhangigkeit der xj gilt also

∑ξib

i = M − η0∑

ξiaij − cj = ηj fur j = 1, . . . , m .

(ξ, η) ist also ein zulassiger Einkaufsplan mit dem Preis M − η0.Dies beweist ξb ≤ M .

4. Im Falle M? > −∞ funktioniert das Argument auch fur M = M?. Es existiert einEinkaufsplan mit minimalem Preis M ?. Im Falle M? = −∞ finden wir zulassigeEinkaufsplane mit beliebig kleinem Preis. Auch in diesem Falle gilt also M ? = m?.Das Theorem ist bewiesen.

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Index

Aquivalenzrelation, 74, 75, 82

abrunden, 22, 35absolutstetig, 46, 55, 58

- partiell, 64Abstand von einer Menge, 21affine(r)

Abbildung, 98Funktion, 68, 98Teilraum, 97

allgemeine Lage, 148, 150asymptotische Laplacetransformation, 6aufspannendes System, 107Austausch, 131, 144Austauschlemma, 108

Baire-Funktionen, 30Basis, 107Basiswechsel, 119, 122, 138Bild, 127bilinear, 110, 125, 138, 140Borel-Cantelli, Lemma von, 39Borel-Menge, 31

Cantor-Funktion, 27, 56Cauchy-Verteilung, 41charakteristische Funktion, 42charakteristisches Polynom, 89, 102Cofaktoren, 119–121Cotangentialraum, 85, 110Covarianzmatrix, 72Covektor, 98, 110Cramer’sche Regel, 121

Dachprodukt, 100, 104, 105, 112, 113, 116–118, 121

Determinante, 100, 101Diffeomorphie, 82direkte Summe, 111, 118Dirichlet-Integral, 63Dispersionsrelation, 12doppeltperiodisch, 81Dreiecksungleichung, 62

duale(r)Abbildung, 99, 126, 127Basis, 109, 116Kegel, 151Norm, 62Tableaus, 138

Dualitat, 97, 152Dualraum, 99, 109Durchlaufungsrichtung, 75, 76

Eigenvektoren, 89Eigenwert einer Matrix, 102Elementarintegral, 25Ellipse, 76, 77Endomorphismus, 128, 129Entropie, 90Entwicklungssatz von Laplace, 120, 122Epimorphismus, 128Erwartungswert, 26, 28, 41, 45, 46, 72Extremalpunkte, 149

Fatou, Lemma von, 37Flachenstuck, 76Fundamentalsatz der Differential- und

Integralrechnung, 57

Gamma-Funktion, 48, 73Gibbs-Verteilung, 90glatt, 80–82Gleichheit fast uberall, 32Gleichungssystem, 128, 131, 134Großen hoherer Stufe, 100, 118Graßmann-Algebra, 99, 118Gradient, 84, 110Gruppengeschwindigkeit, 12

Holder-Ungleichung, 90Hulle

lineare, 98, 107Hesse-Matrix, 6, 8, 64, 67, 69, 88holomorph, 53Homomorphismus, 98, 128

implizit, 69, 88

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156 INDEX

implizit gegebene Funktion, 88inneres Produkt, 87inneres Produkt, Skalarprodukt, 110, 111,

125integrabel, 32Integral, 16Integral, unbestimmtes, 45Isomorphismus, 128, 129

Jacobi-Matrix, 51, 83, 136

k-Form, 103, 112, 115, 117k-Vektor, 112, 119Kern, 127Kettenregel, 52Koeffizientenkorper, 97Komplement

orthogonales, 125konjugiertes Paar, 70konvex, 68, 71, 149Koordinatensystem, 78, 80, 81Koordinatenwechsel, 83, 138koordinatisiert, 78, 80Kugelkoordinaten, 78kumulantenerzeugende Funktion, 71Kurvenstuck, 74

Lagrange-Multiplikatoren, 88, 125, 152Landau Symbole, 2Laplace-Gleichung, 63Laplace-Transformierte, 71Legendre-Dualitat , 150Legendre-konjugiert, 70Legendre-Transformation, 90Legendre-Transformierte, 68, 70Lemniskate, 77Limes superior, 18lineare Abbildung, 98, 139lineare Hulle, 88Linearform, 98, 103, 109Linearkombination, 81, 91, 104, 107

formale, 106, 112Lipschitz-stetig, 21, 62

Massenverteilung, 24, 26Maximierungsproblem, 144

meßbar, 30Membran, 63Methode der stationaren Phase, 8Methode von Laplace, 5, 6Minimierungsproblem, 144Minoren, 115, 119, 120monotone Stetigkeit, 16, 25Multiindex, 66Multilinearform, 103, 115, 116

Neil’sche Parabel, 75nichtausgeartet, 125Norm, 52, 59, 62, 63, 129Normalverteilung, 9, 41Nullfunktion, Nullmenge, 31Nullraum, 124, 125

oberhalbstetig, 56Optimierung

lineare, 131, 144, 148, 149, 152orthogonales Komplement, 125

Paarung, naturliche, 87, 109, 124, 142Parametrisierung, 75, 77, 78Permutation, 101Pivottransformation, 108, 132, 135, 147polare Vektoren, 99, 113, 122Polarkoordinaten, 77, 82, 86positiv orientiert, 113Pullback, 81, 98

Quicksort, 2

Radon-Nikodym-Ableitung, 45Rang, 124, 127, 132, 136, 138, 141, 142Raumelemente, 104Richtung, 75

Satz von- Beppo Levi, 16, 33, 37- Farkas, 152- Fubini, 44, 60- Radon-Nikodym, 44, 46, 55- Rolle, 58- der dominierten Konvergenz, 38- der implizit gegebenen Funktion, 69,

88, 136

@ Prof. Dr. H. Dinges, Mathematik fur Physiker II (SS 2002), 28. Juli 2003

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INDEX 157

Schlupfvariable, 144semidefinit, 72, 88σ-Algebra, 30Signum, 101Skalarenkorper, 107Sobolev-Raum, 58Spaltenumformungen, 104Stutzhyperebene, 68stationar, 88, 89Stieltjes-Integral, 27Stirling’sche Formel, 4Subtangente, 68Summe

direkte, 111, 118Supremum, 17

Tableau, 96, 131, 134Tangentialkegel, 68Tangentialraum, 85, 97, 110, 125Tangentialvektor, 83Taylor-Formel, 59Teilvektorraum, 98, 107Tensorprodukt, 111, 138, 141, 142Torus, 78, 81totalstetig, 46, 55Trager, 80trigonometrisches Polynom, 129

Umkehrabbildung, 69, 76Umparametrisierung, 74unabhangig, linear, 107Unscharferelation, 13unterhalbstetig, 56, 68, 71Urbild-Abbildung, 20

Vektoranalysis, 99, 113Vektorprodukt, 113Vektorverband (Stone’scher), 25Verbandskegel, 29Verteilungsfunktion, 27, 40Volumenmessung, 106, 115

Wahrscheinlichkeitsmaß, 35, 40, 44Winkelform, 87

Zeilenoperation, 102

Zerlegung der Eins, 80Zufallsgroße, 40zulassig, 144, 148zusammenhangend, 82Zwangskrafte, 92

@ Prof. Dr. H. Dinges, Mathematik fur Physiker II (SS 2002), 28. Juli 2003