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Martin Bowles Der Management-Mythos: Seine Ausprägung und Unzulänglichkeit in gegenwärtigen Organisationen Zusammenfassung: Das Leben in Organisationen und modernen Gesellschaftsstrukturen verlangt nach Ansicht vieler Sozialwissenschaftler und zeitgenössischer Beobachter dem Menschen immer mehr ab und nimmt immer weniger auf menschliche Bedürfnisse Rücksicht. In diesem Aufsatz wird der «Management-Mythos» und einige seiner zentralen Glaubenssätze und Wert- strukturen untersucht, auf denen Management heute basiert. Als Mythos werden in diesem Kontext überdauernde Glaubenssätze und Wertstrukturen verstanden, die Sinn und Bedeutung für menschliches Handeln liefern. Es wird hier argumentiert, daß die Annahme eines bestimmten mythologischen Bezugs- rahmens das Management von Organisationen hinsichtlich bestimmter Ziele und Zwecke dirigiert. Dem Management-Mythos liegen die Dogmen des Sozial- darwinismus sowie der funktionalen Rationalität zugrunde, deren Einfluß auf organisatorische Lebens- welten beschrieben wird. Dabei wird auf einen archetypischen Ansatz unter besonderer Berücksichti- gung des «Helden-Archetypen» zurückgegriffen, um die tieferen Dimensionen zu explorieren, die der Formulie- rung und Ausübung des «Management-Mythos» zugrundeliegen. Es wird die These vertreten, daß der Management-Mythos den Menschen und der Gesell- schaft einen besonderen Preis abverlangt, dem nur durch reflexive Bewußtwerdung beizukommen ist.

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Martin Bowles Der Management-Mythos:Seine Ausprägung und Unzulänglichkeitin gegenwärtigen Organisationen

Zusammenfassung: Das Leben in Organisationen und

modernen Gesellschaftsstrukturen verlangt nach Ansicht

vieler Sozialwissenschaftler und zeitgenössischer

Beobachter dem Menschen immer mehr ab und nimmt

immer weniger auf menschliche Bedürfnisse Rücksicht.

In diesem Aufsatz wird der «Management-Mythos» und

einige seiner zentralen Glaubenssätze und Wert-

strukturen untersucht, auf denen Management heute

basiert. Als Mythos werden in diesem Kontext

überdauernde Glaubenssätze und Wertstrukturen

verstanden, die Sinn und Bedeutung für menschliches

Handeln liefern. Es wird hier argumentiert, daß die

Annahme eines bestimmten mythologischen Bezugs-

rahmens das Management von Organisationen

hinsichtlich bestimmter Ziele und Zwecke dirigiert. Dem

Management-Mythos liegen die Dogmen des Sozial-

darwinismus sowie der funktionalen Rationalität

zugrunde, deren Einfluß auf organisatorische Lebens-

welten beschrieben wird. Dabei wird auf einen

archetypischen Ansatz unter besonderer Berücksichti-

gung des «Helden-Archetypen» zurückgegriffen, um die

tieferen Dimensionen zu explorieren, die der Formulie-

rung und Ausübung des «Management-Mythos»

zugrundeliegen. Es wird die These vertreten, daß der

Management-Mythos den Menschen und der Gesell-

schaft einen besonderen Preis abverlangt, dem nur

durch reflexive Bewußtwerdung beizukommen ist.

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Dieselben Objekte und Methoden, die den zivilisie-rten Menschen seinerzeit aus dem Urwald führten,haben heute eine Eigengesetzlichkeit entwickelt, die den Menschen mit Furcht und Schrecken erfüllt.

Carl Gustav Jung, 1936

Die einzig verbleibende, wahrhaftig allgegenwärtigeund allmächtige Gottheit, der im Denken und Tun auf-richtig Folge geleistet wird, die alle Menschen in ihrentäglichen Ehrerbietungen vereint: DIE ÖKONOMIEDiese Gottheit nähren wir fürwahr mit menschlichemBlut.

James Hilman, 1994

Einleitung

Die Gralslegende des zwölften und dreizehntenJahrhunderts wird häufig als der europäische Mythos schlechthin bezeichnet,wenngleich seine zentralen Motive weltweit immer wieder in Mythen erschei-nen. In Wolfram von Eschenbachs Version wird vom Gralskönig berichtet, derin ein Liebesabenteuer verwickelt zur Burg hinausgeritten war,

»um im Kampf mit einem heidnischen Ritter aus dem heiligen Landdiesen zwar zu töten, sich dabei gleichzeitig jedoch mit seiner Lanzeselbst entmannte. Sein Reich fiel der Verwünschung zur Unfruchtbarkeitanheim, von der es nur durch den Mut eines edlen Jünglings erlöstwerden konnte, der sich nicht durch die kirchlichen und sozialen Dogmenseiner Zeit, sondern nur durch die Stimme seines «loyalen undmitfühlenden Herzens leiten ließ« (Campbell 1970).

Es war Parzivals Schicksal, diese Rolle einzunehmen und die Genesung desKönigs sowie die Regeneration des Landes und des Volkes herbeizuführen.

Die Gralslegende wird hier eingeführt, um die Dilemmata zu symbolisie-ren, denen wir im modernen Zeitalter gegenüberstehen. Der kranke König liegtim Sterben, jammert und klagt, möchte und kann dennoch nicht sterben.Unfruchtbarkeit hat sich ausgebreitet, und das «wüste Land» ist daraus hervor-gegangen. In frühen Gesellschaften wurde der König häufig für das Wohlerge-hen des Landes und des Volkes verantwortlich gemacht und konnte zum Todeverurteilt werden, wenn das Geschick der Gemeinschaft sich zum Schlechtenhin wendete. Wenn wir den König nicht wörtlich, sondern als Symbol kollekti-ven Verstehens, Wertens und Handelns begreifen, dann können wir dieseLegende als Bezugsrahmen verwenden, um die soziale Erkrankung unsererheutigen Gesellschaft zu explorieren. Es wird hier argumentiert, daß dieOrganisationsgesellschaft des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts sich zu

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einer Ödnis, zu einem «wüsten Land» entwickelt hat, dessen Orientierungslosig-keit, Verwahrlosung und Verödung uns unablässig durch tägliche Reportagenund Berichterstattungen über Gewalt, Sucht, familiäre Zerrüttung und narzißt-ische Gier vor Augen geführt werden. Nach Campbell (1970) war die Periodedes zwölften und dreizehnten Jahrhunderts, die Entstehungszeit der Grals-legenden, eine Zeit, in der die Menschen dazu verurteilt waren, Glaubensbe-kenntnisse zu vertreten, die viele nicht teilten und die von einer kirchlichenObrigkeit durchgesetzt wurden, deren falsche Moral den Skandal der Zeitdarstellten. Hat sich die Geschichte dahingehend wiederholt, daß wir nun heuteals Mitglieder einer Organisationsgesellschaft dazu verurteilt sind,Glaubensbekenntnisse und Wertvorstellungen zu vertreten, die von der Mehr-heit der Bevölkerung nicht mehr geteilt werden? Repräsentiert die Habgier vonUnternehmen und bestimmter Individuen für die breite Mehrheit den Skandalder Zeit? Vielen Zeitzeugen erscheint die gegenwärtige Ära trotz ihrer wissen-schaftlich-technologischen Fortschritte maßgeblich durch Angst und mangeln-de soziale Ordnung, durch oberflächliche Rituale und einen Verlust desLebenssinns inmitten einer verzweifelt rasenden und manischen Profit- undWachstumsmaximierung charakterisiert.

In der Gralslegende wurde der König durch ein «amouröses Abenteuer»in der Leistengegend oder zwischen den Schenkeln verletzt, was vielleichtdiejenigen Verletzungen symbolisieren mag, zu denen das ungebremst «Masku-line» führen kann. In unserer gegenwärtigen Zeit führte möglicherweise eineandere Art maskuliner Leidenschaft zur Ausbreitung eines ökonomischen undtechnologischen Imperativs, der humane Bedeutungen und Ziele gerodet undeinem zwanghaften Bedürfnis nach Kontrolle und Gewinnsucht untergepflügthat.

Zeitgenössische Kritiker (Berman, 1978; Lasch, 1978, 1984) sehen dieGesellschaft durch einen Zustand charakterisiert, in dem das moderne Indivi-duum häufig ängstlich, isoliert und narzißtisch erscheint; unter solchen Um-ständen tendiert das Individuum zum sozialen Rückzug, aus dem eine allge-meine Fragmentierung sozialer Bezüge resultiert. Gleichwohl propagiert dieRhetorik der Managementebenen unserer Institutionen und Unternehmen denGlauben und das Vertrauen in «die Menschen» und in «gemeinsam geteilteWertsysteme». Die Frage ob diesen Aussagen nun substantielle Bedeutungzukommt oder ob eine solche Rhetorik lediglich nur als schwach verschleierterAufruf zur Re-Ideologisierung der Arbeit zu verstehen ist, ist von ausschlagge-bender Bedeutung und bedarf einer weiteren Klärung.Einige Zeitzeugen verfolgen Managementinitiativen neueren Datums eher mitVorbehalt und Zynismus. So ist Sievers (1990, S. 127) beispielsweise derAnsicht, daß »die Suche nach Spitzenleistungen inzwischen die Charakteristikavon Soap Operas oder Musicals angenommen hat«. Er weist darauf hin, daßsolche Initiativen weniger als Nachweis für fundamentale Veränderungen inorganisatorischen Wertsystemen gelten können, als vielmehr ein hohes Maß anVerachtung gegenüber Mitarbeitern nahelegen. Und Pym (1990, S. 235)

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schreibt von »dem Kümmern und Teilen, dem Helfenwollen, dem falschenHumanismus, der in Organisationen gegenwärtig hochgehalten wird«. DieseKommentare sprechen derartigen Managementpraktiken jegliche Aufklärung abund sehen diese Initiativen vielmehr im Licht ihrer politischen Zweckdienlich-keit, die humane Interessen lediglich ausbeuten.

Wir könnten uns nun die Frage stellen, ob unser heutiges Managementnicht vielleicht eine neue Art kirchlicher Obrigkeit darstellt, quasi eine neuePriesterkaste, die ihre Anliegen und Interessen zu Lasten individueller wie auchallgemeinerer, gemeinschaftlicher Interessen durchsetzt. Hat sich am Ende dasDasein in Organisationen und in unserer Gesellschaft bereits zu der Ödnis, der«wüsten Landschaft» hin entwickelt, wie sie in der Gralslegende beschriebenwurde? Und wird wohl irgendwann am Horizont jener Parzival erscheinen, derden Weg zu einer neuen Suche anführen wird, um die Regeneration des Landesund des Volkes herbeizuführen? Diese und ähnlichen Fragestellungen mitBezug auf das Management heutiger Organisationen werden auf demHintergrund des hier dargestellten «Management-Mythos» untersucht.

Zum Wesen von Mythen

Der Zweck des Mythos besteht vor allem darin, einebedeutungsvolle Beziehung zur der Umwelt aufzubauen, in der wir leben, umnicht das Leben letztlich nur als Chaos zu erleben. Der Mythos ist menschli-chen Interessen insofern dienlich, als er es uns ermöglicht, in einen tieferenKontakt zu unserer menschlichen Natur und zu unserem Platz im Kosmos zutreten. Campbell (1970) identifiziert vier Formen, in denen der Mythosmenschlichen Bedürfnissen dient: Durch einen Bezug zum Kosmos alsweitläufigerem metaphysischem Rahmen; zur Natur; zu einander und zu unsselbst. Kein Mythos allein kann auf alle vier Bereiche Bezug nehmen, aber allemythischen Strukturen dienen einem oder mehreren dieser Bedürfnisse. Hollis(1995, S. 17) behauptet:

» ...die Funktion von Mythen ... besteht darin, das Individuum und/oderdie Gesellschaft in die Mysterien der Götter, der Welt, der Gemeinschaftund des Selbst einzuführen«.

Althergebrachte Mythen, wie beispielsweise das Christentum, schwinden, waszu einer nun weitgehend säkularisierten Gesellschaft geführt hat. Als Folgehiervon, so argumentiert Hollis (1995, S. 25), sehen wir nun

»die verschiedensten Pathologien einer Gesellschaft, die ihre mythologi-sche Verbundenheit verloren hat, sowie die individuellen Neurosen ihrerMitglieder, die nach Ideologien erzogen wurden, die mit den Bedürfnis-sen ihres Wesens oder ihrer Psyche nicht mehr übereinstimmen«.

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Dies soll nicht als Argument für eine Rückkehr zu traditionellen Mythengelten. Mythen haben zumeist ihre eigenen Epochen und Lokalitäten undverlieren ihre Ausdruckskraft, sobald die durch sie widergegebenen Bilder demakkumulierten Wissen und den Vorstellungen der jeweiligen Ära nicht zuentsprechen vermögen. In solchen Zeiten können Individuen und Kulturen akuteexistentielle Ängste erleben; eine Angst vor Freiheit entsteht, und einige werdenin ihrer Suche nach Sicherheit und Beistand versuchen, zu den alten Mythenund Bildern zurückzukehren. In solchen mythischen Übergangsperi-oden entstehen nach Hollis (1995) neue Einstellungen, Trends, Modeerschei-nungen und Maskeraden, die dazu dienen, solcherlei Ängste zeitweilig abzu-wehren. Gleichwohl sind wir alle der Empfindung gewahr, daß die Zeit «ir-gendwie aus den Fugen geraten» ist. Die mythische Krise des modernen Zeital-ters ist nicht nur «außen», sondern auch «innen», im Herzen und in der Seeleeines jeden Individuums verortet. T. S. Elliots Waste Land und Hollow Mensind Bilder, die diese mythische Krise der Moderne beschreiben. Hollis (1995,S. 51) schreibt: »Diejenigen Kräfte, die einstmals in Mythen gehalten undgebunden waren, haben sich nun zur Pathologie der Moderne verwandelt.« Diessoll nicht bedeuten, daß wir heute gänzlich ohne Mythen leben. Dieser Artikelwill vielmehr aufzeigen, daß wir derzeit mit einem neuen Mythos, demManagement-Mythos, leben; es bleibt jedoch fraglich, inwieweit dieser Mythosden gesellschaftlichen und individuellen Interessen tatsächlich dient. DiesemMythos wohnt kein numinoser Charakter inne, d. h. er vermag nicht das tiefereWesen unserer Natur anzusprechen und ein weitläufigeres Schema der Dinge zuerfassen; er ist in diesem Sinne sogar antimythisch. Gleichwohl kann derManagement-Mythos als Versuch verstanden werden, die Lücke zu füllenzwischen dem Niedergang des traditionell Mythischen, der durch Nietzsches«Gott ist tot» zum Ausdruck gebracht wird, und einer neuen mythischen Bewe-gung. Heidegger (1949) charakterisiert die Zeit, in der wir leben, als einePeriode »zwischen den Göttern, die verschwunden und denen, die noch nichtsind.«

Organisation und Mythos

Schwartz (1986) argumentiert, daß das Produzierenvon Mythen den wesentlichen Kern des Organisierens überhaupt ausmache. Erweist insbesondere darauf hin, daß Organisationen anscheinend zu dem Zwek-ke bestehen, solche Mythen zu produzieren, in deren Bezügen selbstreflexivesHandeln für diejenigen, die diesen Mythos akzeptieren, überhaupt erst möglichwird. Um es anders auszudrücken: Diejenigen Mitglieder einer Organisation,die den Mythos akzeptieren, teilen einen Sinnzusammenhang, der ihremorganisatorischen Handeln erst Bedeutung und Wert verleiht. Die überwiegen-de Mehrzahl derjenigen, die diesen Mythos per se anfangs nicht akzeptieren,wird sich ihm anpassen, und sei es zunächst nur aufgrund von Eigennutz und

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Selbsterhaltung. Aus der symbolischen Perspektive von Schwartz (1986)besteht die wesentliche Aktion einer Organisation darin, Symbole und Mythenzu schaffen, die das Handeln der Organisation legitimieren. Eine Organisationgeneriert also Wissen, um für die Mitarbeiter Bedeutungszusammenhänge zuschaffen und dadurch ihre Anpassungsbereitschaft zu erhöhen. In dieserHinsicht stellt nach Schwartz (1986) die Hervorbringung von Mythen denentscheidenden Prozeß des Organisierens dar, so daß das, was Organisationenals «Nutzen» betrachten, nicht in erster Linie Wissen, sondern vielmehr derMythos ist. Hieraus folgt, daß eine De-Mythologisierung einer Organisationdarin besteht, die Organisation und ihre Mitglieder mit denjenigen Mythen zukonfrontieren, die für sie bis dahin unhinterfragt die «grundlegenden Tatsachendes Lebens» repräsentiert haben. Schwartz (1986) bemerkt daher, daß Organi-sationen eine solche De-Mythologisierung vermutlich weniger als nützlich,sondern vielmehr als subversiv einschätzen werden.

Smircich und Morgan (1982) sind wie Schwartz (1986) der Ansicht, daßdie primäre Aufgabe des Managements heutzutage darin besteht, «Sinnzusam-menhänge zu schaffen». Das Maß an Aufmerksamkeit, das das Management derUnternehmenskultur beimißt, sowie die Bedeutung, die Symbolen und Bildernzugeschrieben wird, können als Beleg für diese Behauptung herangezogenwerden.

Ingersoll und Adams (1986) haben bereits auf den «Management-Mythos» hingewiesen. Sie verstehen Mythos als »jedes Gefüge gemeinsamgeteilter Glaubenssätze«, erwähnen jedoch auch die weitläufigere Funktion vonMythen, wie sie oben ausgeführt wurde. Unter der Bezeichnung «ManagerialMeta Myth» beschreiben Ingersoll und Adams (1986), wie eine Makrokulturden Kontext setzt für die Beeinflussung und Ausbildung jener Glaubenssätze,die von Organisationen widergespiegelt werden. Der «Managerial Meta Myth»propagiert ihrer Meinung nach eine rational technologische Einstellung zurArbeit und zum Umgang miteinander. In ihrem Verständnis transzendiert dieserMeta-Mythos zwar die Idiosynkrasien einzelner Organisationen; er prägt jedochzugleich die Symbolsysteme aller Organisationen. So gesehen werden Organi-sationen in dem Maße, in dem sie zunehmend von der Nützlichkeit diesesMeta-Mythos Gebrauch machen, sich in diesem Prozeß immer mehr anglei-chen.

Angesichts der Tatsache, daß in der Auffassung der Moderne der Mythosvielfach im Gegensatz zum Faktischen verstanden wird, mutet die Behauptung,Organisationen seien in ein Mythenfeld eingebettet, einem herkömmlichnormativen Verständnis gegenüber zunächst ketzerisch an. Jedoch werdenOrganisationen in der Art wie sie bemüht sind, einem internen und externenPublikum Sinnzusammenhänge zu vermitteln, offenkundig als Agenten desMythos sichtbar. Es ist darüber hinaus deutlich geworden, daß organisatori-sche Mythen - in Bezug auf größere Themen wie z. B. Unsterblichkeit - eineRolle spielen können, die ansonsten eher traditionellen Mythen zukommt.Becker (1973) zeigte auf, daß die treibende Kraft hinter diesem Bestreben nach

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Unsterblichkeit so stark sein kann, daß wir ganze Kultursysteme wie z.B. eineOrganisation konstruieren, nur um einer bestimmten Interpretation der Er-lösungsidee symbolischen Ausdruck zu verleihen, durch die eine jeweilige Äracharakterisiert wird. Der von einer Organisation propagierte Mythos kann so alsdas Bemühen verstanden werden, Symbolsysteme dergestalt zu arrangieren, daßUnsterblichkeit erreicht wird. Morgan (1986, S. 213) bemerkt, daß »wirOrganisationen sowie den Großteil des Verhaltens in Organisationen als Stre-ben nach Unsterblichkeit interpretieren können«. Eine der Hauptattraktionenund gleichzeitig größten Bedrohungen, die von Organisationen ausgehenkönnen, ist die Möglichkeit, an etwas teilzuhaben, das größer ist als man selbst, um so, gemeinsam mit anderen an einer Identität zu partizipieren -eine Möglichkeit, die beängstigende Konsequenzen hervorbringen kann, sobalddas individuelle Verantwortungsbewußtsein innerhalb einer solchen kollektivenIdentität untergeht.

Der Management-Mythos

Durch den Begriff «Management-Mythos» wirdprimär der Tatsache Rechnung getragen, daß wir in einer Organisations-gesellschaft leben (Presthus, 1978), in der Management und organisatorischeStrukturen zunehmend unsere soziale Existenz dominieren. Dieses Dasein wirddurch diverse Glaubenssysteme, Gefühlszustände und Bedeutungen konstitu-iert, unter denen Ökonomismus («Wirtschaftsgläubigkeit»), Managerialismus(«Primat der Unternehmensführung»), Säkularismus und Rationalismus einevorrangige Bedeutung zukommt. In dem Maße, in dem traditionelle Mythen anBedeutung verlieren, übernehmen Organisationen zunehmend die Funktion derVermittlung von Glaubenssystemen, Wertstrukturen und Sinnzusammenhän-gen. Man kann daher behaupten, daß Organisationen in dieser Hinsicht zuneh-mend die Rolle von Kirchen einnehmen (Bowles 1989). Das Vorherrschen derOrganisationsgesellschaft sowie die Macht des Managements, der Regierungund anderer Institutionen, die Struktur dieser Gesellschaft zu beherrschen,liefern hinreichend Anlaß zu der Annahme, daß das gegenwärtige mythologi-sche Referenzsystem überwiegend durch den Management-Mythos bestimmtwird.

Der Management-Mythos bezieht sich auf diejenigen zentralen Glau-bens-, Wert- und Sinnsysteme, die der Ausübung von Management in heutigenOrganisationen zugrunde liegen: Zusammengefaßt repräsentiert er die Ethikmoderner Organisationen. Obwohl die Art und Ausübung von Managementihrer Form nach für die jeweiligen Organisationen und Kulturen variieren wird(Hampden-Turner & Trompenaars 1993), wird angenommen, daß sich einbestimmtes Gefüge von Vorstellungen und Ansichten entwickelt hat, das dasManagement von Organisationen in mehr genereller Hinsicht charakterisiert;dies gilt insbesondere für Nordamerika und Großbritannien. Der Management-

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Mythos wird durch die Vermittlung einzelner Manager verkörpert und prakti-ziert, den sie durch die Sozialisation der verschiedensten Managementinstitute,durch die Rollenmodelle anderer Manager sowie durch das kulturelle Symbol-system der Geschäftswelt internalisiert haben. Scott & Hart (1979) sprechen voneinem »nationalen Management System« in Amerika, das auf einem Ge-fügegemeinsamer Wert- und Verhaltensstrukturen basiert. Ingersoll & Adams(1986) zeigen, daß der erfolgreiche Manager typischerweise eine Anzahlbestimmter Eigenschaften - eine hohe Selbstmotivation und Wettbewerbs-orientierung sowie eine Gründermentalität - aufweist

Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, daß der Management-Mythosim zunehmenden Maße die folgenden Merkmale umfaßt: Zunächst einenGlauben an Wettbewerb, sowohl im internen wie im externen Management vonOrganisationen, des Weiteren einen ökonomischen Imperativ, der markt-wirtschaftlichem Wachstum und Profitorientierung den Vorrang gibt vorÜberlegungen in Bezug auf Gemeinschaft, Individuen und Ökologie; schließlicheine Aufrechterhaltung der »funktionalen Rationalität«, durch die organi-satorische Aktivitäten und Arbeitsprozesse mit dem Ziel rationalisiert und inihre Bestandteile zergliedert werden, eine möglichst umfassende Kontrolle übersie zu erlangen. Diese Merkmale haben sich im Laufe des zwanzigsten Jahr-hunderts ausgebildet und verleihen dem Management heutiger Organisationennun seine ganz spezielle Struktur und Prägung.

Angesichts der monopolisierenden Einflußnahme auf Ziele, Einstellun-gen und das Bewußtsein des (ausgehenden) zwanzigsten Jahrhunderts kannbehauptet werden, daß der Management-Mythos sich zu einem religiösenFundamentalismus gesteigert hat; er ist insofern fundamentalistisch, als daß dieAnwendung dieses Mythos dazu dient, das reichhaltige Geflecht menschlicherPotentiale auf blasse, ausdruckslose Kategorien menschlicher Verhaltens-strukturen zu reduzieren, innerhalb derer die Vitalität und das Wesen mensch-licher Erfahrung unwiederbringlich verloren gehen. In dieser neuen Religionsind die Götter keineswegs entschwunden, sondern haben eine neue Gestaltangenommen; im hier beschriebenen Bezugsrahmen heißen sie unter anderem«Wirtschaftsgläubigkeit» (Ökonomismus) und «Primat der Unternehmens-führung» (Managerialismus). Jung hat bereits 1918 festgestellt, daß »unsereängstlichen Götter nur ihren Namen gewechselt haben; sie reimen sich nun auf-ismus« (Jung 1969, S. 326). Hilman (1994) bemerkt, daß der neue Gott, derheute angebetet und verehrt wird, der Gott der Ökonomie ist. Ehrerbietung wirddiesem Gott weltweit in Unternehmenskathedralen entgegengebracht, wobeiBestrebungen der Gotik reproduziert werden, sich der Göttlichkeit im Himmelanzunähern. Die höchsten Gebäude einer Ära stellen häufig die Natur der ange-beteten Gottheit dar; in diesem Sinne repräsentiert die Bauweise von Kirchenund Regierungspalästen bis hin zu den heutigen Geschäftsgebäuden diekontinuierliche Veränderung im Wesen des «Göttlichen» über die letzten Jahr-hunderte hinweg.

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Der Management-Mythos wird hier in Bezug auf zwei seiner wesentlich-sten Dogmen beschrieben, nämlich den des Sozialdarwinismus und den derfunktionalen Rationalität. Es bleibt jedoch anzumerken, daß diese beidenDogmen hier zwar bei der Beschreibung des Management-Mythos einenzentralen Stellenwert einnehmen, jedoch nicht übersehen werden darf, daß überden hier gewählten Blickwinkel hinaus auch noch andere Möglichkeitenbestehen, einen solchen Mythos zu verstehen. Um den Einfluß dieser beidenDogmen auf heutige Organisationen zu untersuchen, wird eine Analyse inBezug auf den Helden-Archetyp sowie den Archetyp des gelobten Landesvorgenommen. Archetypen sind Tiefenstrukturen der Psyche, auf denen alltäg-liche Erfahrungen basieren (Jung 1966, S. 69). Tief in die Psyche eingeprägt,sind sie verantwortlich für die typischen Modi der Kognition, Emotion, desErlebens und Reagierens, die uns als menschliche Wesen auszeichnen. Sieerlauben eine Konstruktion der Welt mit einem bestimmten Sinn und potenti-ellen Aktionen. Das Bewußtsein basiert also auf einer weitaus breiteren unbe-wußten Basis, die auch die sogenannte «archetypische Matrix» umfaßt, d. h. dieSumme aller Archetypen. Archetypen haben in gewisser Hinsicht Ähnlichkeitmit Platons «Ewigen Ideen». Es hat sich inzwischen ein Verständnis dafürentwickelt, daß es eine Oberflächenstruktur und eine Tiefenstruktur unsererExistenz gibt; diese Komplexität wird z. B. in der Physik mit den Konzeptenimpliziter und expliziter Realitätsstrukturen aufgegriffen (Bohm 1980). Sokönnen Oberflächenstrukturen alltäglicher sozialer Erfahrungen nur durch einenBezug zu Tiefenstrukturen erfaßt werden. Eine detailliertere Darstellung derRolle von Archetypen im organisatorischen Funktionsablauf gibt Bowles(1993b). Der Management-Mythos wird hier unter Anwendung eines archetypi-schen Ansatzes erfaßt und evaluiert, der durch Erkenntnisse der Tiefenpsycho-logie und insbesondere durch die Arbeiten von Jung (1966, S. 66) begründetwird.

Der Mythos des Sozialdarwinismus

Konkurrenz hat sich zu einem der maßgeblichenKennzeichen organisatorischer Lebenswelten des zwanzigsten Jahrhundertsentwickelt. Seitdem die Grenzen des Kapitalismus global expandiert sind, wirddie Erfahrung einer vornehmlich durch Konkurrenz geprägten Welt immerstärker. Angesichts einer zunehmend wettbewerbsorientierten Umwelt unter-nehmen Organisationen immer stärkere Anstrengungen, einen «Wettbewerbs-vorteil» zu erlangen, um der Konkurrenz «immer eine Nasenlänge voraus zusein». Das Ringen um Leistung, Marktanteile und -durchdringung, um Renditedes investierten Kapitals und Profit sind zentrale Indikatoren, anhand dererOrganisationen und ihr Management ihre Wettbewerbsposition bewerten. Estritt nunmehr nicht nur in kommerziellen Organisationen, sondern zunehmendauch im öffentlichen Sektor eine wettbewerbsorientierte Ethik hervor, die

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organisatorischen Interaktionen ihr Diktat auferlegt. Konkurrenz wird nichtnur zwischen, sondern auch innerhalb von Organisationen deutlich. Die Aus-wirkungen zunehmender Arbeitslosigkeit, von Rationalisierungen, leistungsbe-zogener Vergütungssystemen, von sowohl beschleunigten wie andererseitsstagnierenden Karriereverläufen, zeitlich befristeten Arbeitsverträgen undTeilzeitarbeit sowie von Konzepten flexibler Beschäftigungsverhältnisse habenallesamt dazu beigetragen, die Mitarbeit in Organisationen zu einer vornehmlichdurch Ungewißheit und Ambiguität geprägten Erfahrung werden zu lassen undlösen in der Folge gesteigerte Rivalitäten unter den Mitarbeitern aus (Carter,1985; Scase & Goffee, 1989). In dieser Hinsicht sind soziale Lebenskontextedes zwanzigsten Jahrhunderts immer konkurrenzorientierter gewor-den, genährtvon einem Glaubenssystem, das vom Wettbewerb als wesentli-chem Kern desMenschen ausgeht. Dieser Glaube wurde in jüngster Vergan-genheit von denIdeologen der Marktwirtschaft näher dargestellt (Rothband 1977; Hayek 1980). Mit dem Niedergang kommunistischer Systeme in derSowjetunion und dem Ostblock wird das, was als «das Ende der Geschichte»(Fukuyama, 1993) bezeichnet wurde, in Zusammenhang gebracht mit derUnausweichlichkeit des wettbewerbsorientierten Kapitalismus als der einen«Letzten Wahrheit».

Die Vorstellung von Konkurrenz und Rivalität wird von unterschiedlich-sten philosophischen Ansätzen der letzten Jahrhunderte aufgegriffen. Philoso-phen wie Schopenhauer (Taylor 1962) und Hobbes (Brown 1965) beschreibenMacht und Konkurrenzorientierungen als der menschlichen Natur inhärent.Hobbes sah z. B. das Leben als «Wettkampf» an, dessen Ziel es ist, durch denAkt der «Selbstbehauptung» als «Sieger» hervorzugehen; eine Sichtweise, diedurch sein Diktum » ...Zuallererst suche ich nach dieser allgemeinen menschli-chen Neigung, diesem rastlosen und unaufhörlichen Begehren nach der Macht,welche sich nur im Tode erschöpft« zum Ausdruck gebracht wird. Die Schriftenspäterer politischer Ökonomen, wie z. B. Smith, Bentham, Ricardo und Mill(Billig 1982) propagieren - im Rahmen der Individualitätsideologie - einVerständnis sozialer Interaktionen, das an einer Eigennutzenmaximierungausgerichtet ist. Beeinflußt von Darwins Evolutionsprinzip und seinem Prinzipder natürlichen Auslese verbreitete sich im späten neunzehnten Jahrhundert dieDoktrin des Sozialdarwinismus, wobei hier Darwins Theorie generalisiertwurde, um ein breiteres Verständnis für individuelle und soziale Lebens-zusammenhänge zu entwickeln. Zusammen mit den Schriften von ThomasMalthus über Bevölkerung lieferten diese Evolutionstheorien - insbesondere füreinen Herbert Spencer - die Basis, um die sozialdarwinistische Sichtweiseweiter auszubauen (Hofstadter 1969). Nach Spencer sind soziale Prozesseevolutionär und einem permanenten Wandel unterzogen. Das «Überleben derTüchtigsten» stellt für Spencer eine biologische Notwendigkeit dar, nach derder Erhalt der begünstigten Art gleichzeitig durch die Eliminierung der weni-ger begünstigten Art erreicht wird. Die Schwachen und Fragilen, die Ineffizi-enten und Minderbemittelten würden nach den Gesetzen der Natur und Evolu-

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tion ausgemerzt. Minderbemittelte seien per definitionem untauglich undsollten daher besser beseitigt werden; Spencer bemerkte, daß »alle Bemühun-gen der Natur darauf abzielen, sich dieser zu entledigen und die Welt vonihnen zu befreien, um so Platz für das Höherwertige zu schaffen« (Hofstadter1969, S. 41).

Obwohl nach Spencer der Zweck sozialer Organismen sich von demanimalischer Organismen unterscheidet, konstatiert er keinerlei Unterschiedhinsichtlich der Gesetzmäßigkeit ihrer Organisation. Der Existenzkampf unterprimitiven Organismen wird also gleichermaßen innerhalb der Gesellschaftfortgesetzt. Dieser Daseinskampf stellt für Spencer den Kern jeglicher sozialerEvolution und jeglichen Fortschritts dar. Durch den Prozeß der natürlichenAuslese würde sich - so wurde angenommen - ein komplett neuer Charakterentwickeln. In der Folge stieß das sozialdarwinistische Dogma bei erfolgrei-chen Geschäftsleuten des neunzehnten Jahrhunderts auf außerordentlicheAkzeptanz, insbesondere aufgrund der biologisch fundierten Legitimation desWettbewerbsprinzips, welches sie politisch und ökonomisch repräsentierten.Hofstadter (1969, S. 57) schreibt hierzu »...die wettbewerbsorientierte Ordnungfand so eine kosmische Begründung. Konkurrenz wurde verherrlicht« Andereneinflußreichen Autoren der damaligen Zeit, wie zum Beispiel William GrahamSummer, kam eine wesentliche Rolle bei der Popularisierung des sozial-darwinistischen Dogmas zu. Ein weiterer Befürworter dieses Konkurrenz-prinzips im Sinne eines «Kampfs aller gegen alle» war Haeckel (1876). Das«Überleben der Tüchtigsten» und der «Kampf aller gegen alle» entwickeltensich zunehmend zu den bestimmenden Merkmalen, die die heutigeOrganisationsgesellschaft charakterisieren. Um in dem von Organisationenselbst initiierten ökonomischen Wettbewerb bestehen zu können, hat sich das«Strategische Management» als Schlüsselkonzept hervorgetan, um Überlebenzu planen und ökonomische Leistungsfähigkeit zu gewährleisten. Das Wort«Strategie» kommt aus dem Griechischem und bedeutet soviel wie «eine Armeeanführen». Die Verwendung militärischer Metaphern weist auf diekriegsähnliche Qualität gegenwärtiger organisatorischer Interaktionen hin: InMärkte eindringen, Mitbewerber ausschalten und Unternehmen übernehmen.Nicht nur Unternehmen, sondern zunehmend auch Nationen konkurriereninzwischen um Investitionen, um so anderen Nationen gegenüber im Vorteil zusein.

Das sozialdarwinistische Dogma und die von ihm ausgehende konkur-renzorientierte Ethik sind maßgeblich durch das Machtprinzip gekennzeichnet.Die Unschärfe und Komplexität des Machtbegriffs leistete unterschiedlichstenAusführungen Vorschub, unter anderem den Arbeiten von Nietzsche (1977), dieeinen erheblichen Einfluß auf Freud und Jung ausübten, sowie auf Adler (vgl.Adler 1917, S. 24), der die erste psychologische Interpretation für Macht imZusammenhang mit dem individuellen Bestreben nach Überlegenheit lieferte;unter den zeitgenössischen soziologischen Arbeiten sei auf Clegg (1989)verwiesen. Adler war, wie die meisten seiner Generation, von Nietzsche und

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seiner These vom «Willen zur Macht» stark beeinflußt. Für Nietzsche war derWille zur Macht ein fundamentaler menschlicher Trieb, der sich hinter denunterschiedlichsten Verhüllungen wie z. B. der Askese oder freiwilligerUnterwerfung verbergen und sich daher zunächst unkenntlich manifestierenkann. Den Leitgedanken Nietzsches folgend war Adlers (1924) eigeneAuffassung von Macht angelehnt an die Annahme einer inhärenten Dispositionmenschlicher Minderwertigkeit, die durch biologische Konstitution und durchSozialisationsmuster bedingt ist. Eine so erlebte Minderwertigkeit kann beiIndividuen zu «kompensatorischen» Reaktionen führen, d. h. das Individuumversucht durch Selbstbehauptung, durch das sogenannte «Prinzip derÜberwindung», Überlegenheit durch persönliche Macht zu erreichen. Dies kannjedoch zu einer «neurotischen Lebensweise» führen, einem «fiktiven Leben», indem tiefsitzende Gefühle der Minderwertigkeit im Kontrast zurkompensatorisch exaltierten Persönlichkeit stehen. Gefährlich wird es dann,wenn diese Fiktion sich der Realität gegenüberstellen muß. Nach Adler kanneine solche Neurose erst dann bewältigt werden, wenn das Individuum dieFähigkeit erreicht, sowohl Minderwertigkeitsgefühle als auch Überlegenheit zutranszendieren, um schließlich gemeinschaftliche oder soziale Gefühleentwickeln zu können. Ein solches «Sozialgefühl» kann allerdings nicht alleinaufgrund einer bewußten Entscheidung erreicht werden, durch ein«intellektuelles Wollen» wie Adler sagt, sondern nur durch «Erfahrung». NachAdler (1924) fördert allerdings die zunehmende Konkurrenzorientierung imsozialen Lebensumfeld einen «Individualismus», der unbestreitbar imGegensatz zur Entwicklung jeglicher «sozialen Gefühle» steht. In seinenspäteren Schriften führt Adler (1932, S. 38) jedoch aus, daß ein «Streben nachÜberlegenheit» nicht ausschließlich nur als kompensatorische Reaktionverstanden werden kann, sondern gleichfalls auch als kreativer Ausdruck geltenkönne, der einem «sozialen Gefühl» Vorschub leisten kann. Ein solch kreativerAusdruck kann allerdings nur dann realisiert werden, wenn engstirnigeEigeninteressen transzendiert werden. Gesellschaft wird letztlich durch dieSumme individueller Handlungen konstituiert, und das Ausmaß, in demIndividuen sowohl «Minderwertigkeit» als auch ihre kompensatorischenReaktionen darauf als allgemeinen Bestandteil ihrer sozialen Erfahrung erleben,kann zumindest teilweise als Erklärung für konkurrente Interaktionenherangezogen werden. Es wird aufgezeigt, wie die Gesellschaft selbst sowie dieArt und Weise, in der Macht und Konkurrenz auf kollektiver Ebene ausgespieltwerden, wiederum individuelle Ausdrucksweisen und Reaktionenkonditionieren. Adler macht, wie bereits oben ausgeführt, deutlich, wie dassoziale Lebensumfeld durch Begünstigung eines kompetitiven Individualismus(Streben nach Überlegenheit) Minderwertigkeitsgefühle und nachfolgendeVersuche ihrer «Überwindung» auslöst, die sowohl einem Narzißmus Vorschubleisten als auch gleichzeitig die Entwicklung sozialer Gefühle verhindern.

Macht ist, wie jeder menschliche Ausdruck, in der menschlichen Psychearchetypisch verankert. Der Archetyp der Macht wird weltweit in Mythen

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dargestellt und in der griechischen Mythologie zum Beispiel durch das Bild vonZeus repräsentiert. Bowles (1993b) führt aus, wie Zeus, wenn es um Willens-und Machtausübung geht, als der herrschende Archetyp unsererzeitgenössischen Kultur und unserer Organisationen aufgefaßt werden kann.Zeus war der mächtigste Gott des Olymps und zeichnete sich insbesonderedurch seine Fähigkeit aus, Strategien zu entwerfen und Allianzen zu bilden, umseine Machtbasis zu konsolidieren. Sein prägnantestes Merkmal war seinBestreben, anderen seinen Willen aufzuerlegen; Macht und Herrschaft warensein erklärtes Ziel, Blitz und Donner die Mittel, mit denen er diese Zieleverfolgte. In seinem Machtstreben nahm Zeus keinerlei Rücksicht auf andere,die für ihn durchweg leicht entbehrlich waren. In einer solchen Manifestationspiegelt der Zeus-Archetyp viele Eigenschaften und Anschauungen desSozialdarwinismus wider: Selbstbehauptung, Willen, Macht, Herrschaft und dasAusschalten von Konkurrenten. Während jedoch der Zeus-Archetyp potentiellsowohl positive wie negative Merkmale in sich trägt, wird eine nur durchWillens- und Machtausübung monopolisierte Gesellschaft oder Ökonomieaufgrund dieser Einseitigkeit nur noch regressive individuelle und sozialeErfahrungen hervorbringen können.

Obgleich wettbewerbs- oder machtorientierte Interaktionenvorherrschende Merkmale einer Organisationsgesellschaft sind, existiertdennoch Kooperation oder, um es mit Adlers Worten auszudrücken, «sozialesGefühl» in einem gewissen, wenn auch in geringem Maße. Das archetypischePotential, das in Relation zum «sozialen Gefühl» oder zu Kooperation existiert,kann mit dem griechischen Wort «Eros» umschrieben werden und bezieht sichauf das Engagement, Beziehungen und Verbindungen herzustellen. SozialeInteraktionen, die durch «Eros» gekennzeichnet sind, unterscheiden sichfundamental von denjenigen, die durch Macht charakterisiert sind: Eros wirdmit Liebe, Zusammenarbeit, Symmetrie und reziproken Beziehungen assoziiert;Macht wird hingegen typischerweise assoziiert mit Unterwerfung, Eliminierungund Unterordnung. Jung (1966) merkt jedoch an, daß Eros als Machttriebwirken kann, wenn er unterdrückt und ins Unbewußte verdrängt wird.

Macht und Eros repräsentieren zweierlei Bezugsrahmen, innerhalb derersoziale Interaktionen praktiziert werden, seien sie nun ehelicher, familiärer,organisatorischer oder gesellschaftlicher Natur. Je mehr ein Bezugsrahmendominiert, desto stärker wird der andere unterdrückt: Diese beidenarchetypischen Ausdrucksweisen menschlichen Verhaltens stehen daher imunmittelbaren Spannungsverhältnis zueinander. Jung (1966, S. 78) schreibt:»Wo Liebe (Eros) regiert, ist kein Wille zur Macht, und dort wo der Wille zurMacht überwiegt, fehlt die Liebe«. Soziale Interaktionen, die durch dasMachtprinzip dominiert sind, lassen sich typischerweise durch Hierarchie,Vorschriften, Strafen und Angst charakterisieren. In solchen Interaktionen wirdhäufig jegliche Form von Mitgefühl, Empathie oder Rücksichtnahmezunehmend ausgeklammert, solche Qualitäten also, die eher mit Eros assoziiertwerden. Je stärker soziale Interaktionen durch konkurrenzorientierte Kräfte

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charakterisiert sind, desto umfassender wirkt sich dieses Machtprinzip als einesich selbst erfüllende Prophezeiung aus.

Wenngleich einige Analysen soziale Interaktionen in Organisationen alsim Grunde kooperativ darstellen (Simon 1958), kommt es der Wahrheit näher,solche Beziehungen eher als «instrumentell interaktiv» zu bezeichnen. Zwarmögen einige Individuen von ihrer grundlegenden Disposition her potentiell alskooperativ charakterisiert werden, doch können solche individuellenEigenschaften unter dem Einfluß der Organisationsethik (Konkurrenz undMacht) leicht eingeschränkt werden. Dort, wo das Verhalten zunehmendinstrumentell interaktiv wird, beginnen Menschen einander eher als «Dinge» zubehandeln; soziale Interaktionen können dort eher im »Ich/Es«-Modus als aufeiner »Ich/Du«-Ebene charakterisiert werden (Buber 1958).In seinem Versuch, eine radikale Alternative zur Individualismusideologie derklassischen Ökonomie zu entwickeln, kam Marx zu einem auf Kooperation undZusammenarbeit basierenden Menschenbild (Billig 1982). Jedoch ist eineTheorie sozialer Interaktionen, die ausschließlich Kooperation propagiert, einemutopischen Ideal gleichzusetzen, welches über kurz oder lang zum Scheiternverurteilt ist, wie soziale Experimente in verschiedenen Gesellschaften gezeigthaben. Die Ursache hierfür kann darin gesehen werden, daß solche sozialenArrangements in der Regel dazu tendieren, das Machtprinzip entwederabzuwehren oder völlig zu verdrängen, so daß es schließlich mit umso stärkererKraft wieder hervortreten kann. Orwells (1945) »Animal Farm« porträtiert einensolchen sozialen Zustand gleichermaßen wie die Erfahrungen desSowjetkommunismus. Es bedarf hier vielmehr einer Synthese, die demSpannungsverhältnis zwischen Konkurrenz und Kooperation eine kreativ-zweckmäßige Form des sozialen Verhaltens bahnt; eine Form derWettbewerbsorientierung also, die dem weitläufigeren sozialen Interesse dient,welches mehr auf das Gemeinschaftliche als auf das enge, elitäreEinzelinteresse abstellt. Eine solche Form der Wettbewerbsorientierung würdez. B. stärker auf das Wohlergehen einzelner Individuen in Bezug aufBeschäftigungschancen und regionale Unterschiede, mit dem Blick auf dieExistenzfähigkeit regionaler wirtschaftlicher Zusammenhänge Rücksichtnehmen. Mit Adlers (1938) Worten ausgedrückt würde diese Form weitausstärker einen «kreativen» Ausdruck von Macht einbeziehen, der mehr dem«sozialen Gefühl» verpflichtet ist als nur der bloßen Ausmerzung menschlicherFehler und Schwächen zu dienen. Insbesondere würde eine solcheWettbewerbsorientierung sich der Frage stellen, für wen sie effizient ist.Effizienz hat im Bezugsrahmen des «Management-Mythos» eine überausrestriktive Bedeutung und bedarf durchaus einer moralischen Direktive. Andieser historischen Wegscheide angelangt, mutet es schwer an, sichvorzustellen, wie eine solche Synthese zwischen Macht und Eros (Konkurrenzund Kooperation) in der Praxis wohl aussehen könnte. Fest steht zumindest, daßein organisatorisches oder unternehmerisches System, welches allein aufkonkurrente Machtbeziehungen fokussiert ist, grundlegend einseitig und daher

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als unbalancierte Lebens- und Ausdrucksform zu beurteilen ist. Eine Synthesevon Macht und Eros würde den Ausdruck jener perversen, heute nur allzuevidenten Merkmale von Macht einschränken: Man würde vielmehr auf einekonstruktive Ausübung von Macht vertrauen, die den Eros achtet und schätzt,als auf destruktive Ausdrucksweisen. Wie einleitend im Zusammenhang des«Glaubensfeldzuges der Unternehmenskultur» beschrieben, habenManagementinitiativen in Organisationen in neuerer Zeit für sich den Ansprucherhoben, eine neue Form sozialer Ethik und sozialer Interaktionenhervorgebracht zu haben. Die Anzeichen hierfür sind jedoch bis dato mehr alsdürftig und weisen vor dem Hintergrund der hier angestellten Überlegungenkeineswegs auf eine solche Entwicklung hin.

Es gibt Anzeichen dafür, daß das Spannungsverhältnis zwischen Machtund Eros bzw. zwischen Konkurrenz und Kooperation sich über verschiedeneGesellschaftsstrukturen hinweg in unterschiedlichen Ausprägungenmanifestieren kann. Es wird häufig die Behauptung aufgestellt, daß der Westeneher durch Macht, der Osten hingegen stärker durch Eros gekennzeichnet sei,doch obwohl einer solchen Anschauung ein gewisser Wahrheitsgehalt nichtabgesprochen werden kann, liegt dieser Aussage doch eine zu sehrvereinfachende Betrachtungsweise zugrunde. Selbst zwischen europäischenLändern stellen sich organisatorische Interaktionen als überaus verschiedenartigdar (Hampden-Turner & Trompenaars 1993). Nichtsdestoweniger ist imWesten, insbesondere im Hinblick auf Nordamerika und Großbritannien, dasSpannungsverhältnis zwischen Macht und Eros als besonders problematisch zubezeichnen. Trists (1983) «Organizational-Ecology»-Modell liefert eines derwenigen theoretischen Ansätze, um ein kooperatives Model organisatorischerInteraktionen zu entwickeln. Nach diesem Modell würden Organisationenstärker durch Zusammenarbeit geprägte, gemeinsam geteilte Werte und Normenhervorbringen, um gemeinsamen Herausforderungen mit neuartigenLösungsansätzen zu begegnen.

In heutigen sozialen und organisatorischen Kontexten manifestiert sichjedoch ein Sozialdarwinismus nur allzu deutlich, der sich in nichts von derRuchlosigkeit und Abgeschmacktheit früherer Vertreter unterscheidet. Er hateinen «Kampf aller gegen alle» entfacht, in dem jegliches Gefühl von Erosweithin abhanden gekommen ist. Es ist diese Sprache des Sozialdarwinismus,die es uns erlaubt, aus heutigen sozialen Interaktionsmustern resultierendeGefühle und Erfahrungen weitaus angemessener zu erfassen, als dies durch dieeher sterilen Begriffe des wirtschaftswissenschaftlichen Sprachgebrauchsmöglich ist (Rothband 1977; Hayek 1980). In der heutigen Form desSozialdarwinismus erleben wir nun zwar nicht die von Spencer prognostiziertephysische Eliminierung der Schwachen und Minderbemittelten, jedoch zeugendie - im Rahmen der durch den Sozialstaat gewährleisteten minimalenAbsicherung - auftretenden pathologischen Ausprägungen von Sucht undKrankheit durchaus von einer, von vielen als psychisch erlebten Eliminierung.Ein Management-Mythos, der diese konkurrenzorientierte Ethik zwischen

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Menschen, Organisationen und Gesellschaften propagiert und überhöht, stehteiner humanen Entwicklung grundlegend entgegen. Und wenn man einmalanerkennt, daß diese Probleme prinzipiell globaler Natur sind, werden allesäuberlich getrennt gehaltenen Einzellösungen in ihrer Trivialität undIneffizienz nur allzu sichtbar. Es wird erforderlich, daß wir beginnen, die dermenschlichen Natur innewohnenden Wirkungskräfte (Archetypen) als solche zuerkennen und zunehmend ein komplexeres Verständnis menschlicherInteraktionen zu entwickeln. Es wird höchste Zeit, daß wir uns von denoberflächlichen Analysen sozialer Interaktionen, wie sie von denSozialwissenschaften des zwanzigsten Jahrhunderts selbst propagiert wurden,verabschieden.

Der Mythos der Rationalität

Technische Rationalität bzw. «funktionaleRationalität» (Mannheim 1940), «instrumentelle Vernunft» (Horkheimer 1947)oder «zweckrationales Handeln» (Habermas 1970), sind zu einem wesentlichenKennzeichen der Organisationsgesellschaft des zwanzigsten Jahrhundertsavanciert. Jeder dieser Begriffe beschreibt eine eingeschränkte, ausschließlich inden Dienst instrumenteller Verwertbarkeit gestellte Anwendung menschlicherVernunft. Die Kernidee in der Anwendung technischer Rationalität bestehtdarin, daß sämtliche Prozesse, seien sie physischer oder sozialer Art,rationalisiert werden können und sollten, d. h. sie werden in ihre Bestandteilezergliedert, um so eine möglichst optimale Kontrolle zu erlangen. TechnischeRationalität wird von Organisationen in ihrem Bemühen um Regulation undeffiziente Produktivität angestrebt. All das, was kontrollierbar und regulierbarist, kann so als rational bestimmbar gelten.

Eine technische Rationalität, die allein auf dieUmsetzung gegebener Zweck-Mittel-Relationen fokussiert, unterscheidet sichgrundsätzlich von jeder umfassenderen Konzeption von Rationalität oderVernunft. Horkheimer (1947) führt z. B. an, daß Rationalität auch ganz anders,nämlich als Beurteilungskriterium für die Sinnhaftigkeit menschlicher Idealeund Vorhaben definiert werden könne. In einer durch technische Rationalitätdominierten Gesellschaft existiert jedoch ein solches Kriterium nicht. Denhardt(1981, S. 23) behauptet:

» ...wenn man daher (in der Sprache des rationalen Modells) einebestimmte Organisation als rational bezeichnet, sagt man damit nichtsüber ihre politische oder moralische Zweckmäßigkeit aus, sondern bringtlediglich zum Ausdruck, daß ihre Funktionsweise einerEffizienzmaximierung dienlich ist«.

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Unter der Dominanz technischer Rationalität verdienen jedoch nur diejenigenProbleme Beachtung, die einer technischen Lösung zugänglich sind. Als Folgedavon verlieren die Menschen zunehmend ihre Menschlichkeit, subjektiveErfahrungen werden vernachlässigt und das Individuum wird alsmanipulierbare, kodifizierbare und katalogisierbare Ressource betrachtet. Diemenschliche Dimension kommt darin unwiederbringlich abhanden, dieMenschen nehmen immer häufiger den Status instrumenteller Arbeitsmittel ein.

Die Doktrin der Rationalität hat ihre Wurzeln bei Aristoteles und in derTradition der von ihm begründeten Schule. Später, im Zeitalter der Aufklärungdes siebzehnten Jahrhunderts, führten Philosophen die Rationalität gegenkirchliche Dogmen ins Feld; es ging ihnen darum, die Vernunft als leitendesPrinzip rationaler Gesellschaftsbetrachtung zu etablieren. Daß hierbei lediglichein Dogma durch ein anderes ersetzt wurde, scheint den Philosophen derAufklärung seinerzeit entgangen zu sein. Bis ins zwanzigste Jahrhundert hattesich schließlich das Augenmerk darauf konzentriert, eine durchgängigrationalisierte, mathematische Repräsentation der Realität und menschlicherErfahrungen zu erlangen (Whitehead & Russell 1910; Wittgenstein 1922).Ingersoll & Adams (1986) bemerken, daß, obwohl die Philosophie sich seitherin andere Richtungen bewegt und die Rationalität als leeres Ideal erkannt hat,der größte Teil unseres Managements einem Streben nach diesen leeren Idealenverhaftet bleibt.

Der Mythos der technischen Rationalität wurde der organisatorischenWelt in erster Linie durch Frederick Taylors (1911) Schriften zum «ScientificManagement» vorgestellt. Die rationale Kontrolle von Organisationen solltebald eine weitere Verbreitung durch die von Fayol (1949) entwickeltenAdministrationsprinzipien erfahren, die gemeinhin als universell anwendbargalten. Später beschrieb Weber (1947) die «Rationalisierung der Gesellschaft»,in der institutionelle Zielsetzungen vornehmlich durch Bürokratisierung soeffizient wie möglich umgesetzt werden, um ein Maximum an Rationalität zuerreichen. Diese Bedeutung, die gemeinhin eher den Mitteln als den Zielenbeigemessen wurde, konstituiert nach Webers Ansicht einen «eisernen Käfig»für die Menschheit, eine Entwicklung, die ihn zu entsprechender Besorgnisveranlaßte. Später beeinflußten die Arbeiten von Simon (1958) Manager inihren Bemühungen, eine rationale Organisation des unternehmerischen undsozialen Lebens herbeizuführen. Abgesehen von diesem Bemühen, rationaleOrganisationsstrukturen zu entwickeln, wurde technische Rationalität in allenOrganisations- und Managementbereichen unter dem Etikett «strategischesManagement» weiter vorangetrieben. Mintzberg (1994) zeigt z. B. auf, wiesowohl die Literatur als auch die Anwendungspraxis des strategischen Planens,das eine Kernaktivität des Strategischen Managements darstellt, vom rationalenModell durchdrungen ist. Diese Literatur betont die Notwendigkeit, eineobjektive, faktische, logische und systematische Planung zu erstellen, dieinsbesondere auf die Entwicklung von Methoden zur Zielerreichungausgerichtet ist. Mintzberg unterstreicht ausdrücklich, wie dieser Typus der

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Rationalität seine Wurzeln in der Analyse, nicht jedoch in der Synthese findet.Nach seinen Ausführungen ist der rationale Ansatz im modernen Zeitalter nichtnur zu einer möglichen, sondern inzwischen zur einzig denkbaren Methode derunternehmerischen Zukunftsplanung avanciert.

Im Versuch, sämtliche organisatorischen Phänomene auf Zahlen zureduzieren, ist die rationale Methode auf Daten, Modelle und Analysenangewiesen. Phänomene, die sich nicht derart auf Zahlen reduzieren lassen, sindnach diesem Modell nicht handhabbar und demnach der Beachtung nichtwürdig. Die menschliche und soziale Realität in Organisationen, die sich nichtderart auf Zahlenwerte herunterbrechen läßt, bleibt dementsprechendunberücksichtigt. Eine auf dem rationalen Modell basierendeManagementanalyse trivialisiert und simplifiziert demzufolge in ihrem Strebennach optimaler Kontrolle solche organisatorischen Phänomene. Diese Form derUnternehmensplanung versäumt es weitgehend, der individuellen, sozialen undpolitischen Komplexität in Organisationen gerecht zu werden, und es ist daherkaum erstaunlich, daß Nachweise für den Erfolg strategischer Planung überausspärlich sind (Mintzberg 1994). So hat Hofstede (1980, S. 160) angemerkt, daßein solches Planungssystem »zwar nicht wirklich funktioniert, jedoch Managerimmerhin ruhiger schlafen läßt«. In diesem Zusammenhang mag es soerscheinen, daß der symbolische Wert strategischer Planung jeglichensubstantiellen Wert übertrifft. Statt tatsächlich rationale Vorgehensweisenanzubieten, wirkt strategische Planung vielmehr als abergläubisches Handeln.Gimpl & Dakin (1984) führen aus, wie Ambiguität und die darausresultierenden Bemühungen, Unsicherheiten zu vermeiden, zur Anwendungabergläubischer Handlungen führen können. Die Menschheit hat seit jeher inihrem Streben, die Unsicherheiten und Unwegsamkeiten des Lebens zuverringern, abergläubische Rituale verwendet, und die Art und Weise, in derunternehmerische Planung versucht, Meßgrößen für die Zukunft zu bestimmen,scheint sich von der Gewohnheit der Labradorindianer nur wenig zuunterscheiden, die Zukunftsratschläge von ihren Göttern dadurch erflehen, daßsie Knochen ins Feuer werfen (Gimpl & Dakin 1984). UnternehmerischePlanung in unserem modernen Zeitalter mutet geradezu wie eine Reproduktionsolcher abergläubischen Praktiken an.

E. R. Dodds (1951) beschreibt, wie im 3. Jahrhundert v. Chr. dergriechische Rationalismus mit bedeutsamen intellektuellen Entdeckungen in denabstrakten Wissenschaften, in der Mathematik und der Astronomie auf derSchwelle zum letzten Triumph stand. Es ist jedoch interessant zu bemerken, wiesich zum Ende des 3. Jhs. v. Chr. in Athen eine Gegenbewegung zum rationalenLebensverständnis entwickelte, eine Form des Anti-Rationalismus, der sich vonunten her entwickelte und über kurz oder lang die vorherrschende klassischerationale Betrachtungsweise unterminierte. Dodds (1951) macht deutlich, wie inder damaligen Auffassung sich z. B. die Astrologie wieder stärker etablierte undsich gegen rationale Kräfte behauptete. Die Menschen beschäftigten sichzunehmend mit Techniken der individuellen Erlösung, mit Orakeln, Träumen,

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Ritualen und religiösen Schriften aus dem Osten. Der griechische Rationalismushat anscheinend gerade durch diese Verdrängung von nicht-rationalenElementen zu seinem eigenen Untergang beigetragen, oder, um es andersauszudrücken, der Rationalismus eignete sich nicht als lebender Mythos. Obnun zum Guten oder zum Schlechten, die der Astrologie zukommendeBeachtung erfuhr interessanterweise eine Wiederbelebung. Und tatsächlichscheint auch in unserer jüngsten Vergangenheit sogar die amerikanischeRegierungspolitik durch die Präsidentengattin und ihren astrologischen Beraterbeeinflußt zu sein! Darüber hinaus zeigen Zeitungsartikel und Fernsehberichteüber Finanzdienstleister und Wertpapierhändler, die sich astrologisch beratenlassen, daß dieser Einfluß nicht allein auf die amerikanische Regierungbeschränkt ist.

Anpassungen an die Anforderungen des Lebens werden, wie klinischeBeispiele eindrücklich dokumentieren, in erster Linie durch emotionale Weiseund weniger durch abstrakte Intellektualisierung bewerkstelligt. Dasanwachsende Interesse für Themen wie die alternative Medizin, Chaostheorieoder das Unbewußte legt nahe, daß in der Postmoderne eine nicht unerheblicheZahl von Menschen nach alternativen Erklärungsmodellen sucht, die über dievorherrschende Ideologie des Rationalismus hinausgehen. Die Debatten überRationalität und Wissenschaft sind in jüngster Zeit stärker ins Licht derÖffentlichkeit gerückt und werden durch eine Vielzahl von Publikationenwidergespiegelt, unter anderem durch Appleyard (1994), Midgely (1995) undAllaby (1995).

Letztlich wirkt sich diese technische Rationalität, die sowohl unsereSelbstwahrnehmung als auch unser Verständnis von Organisationen undGesellschaft nachhaltig dominiert, in einer zunehmend abstrakten Intellektua-lisierung aus, die das, was das Leben im «Wesentlichen und Eigentlichen»ausmacht, unterminiert und aushöhlt. Technische Rationalität hat mit diesem«Eigentlichen» nichts zu tun, bildet gerade den Gegenpol zu Gefühlen, Wertenund Emotionen, also zu dem, was Jung als den «eigentlichen Kern desmenschlichen Wesens» bezeichnet. Da mag es kaum verwundern, daß die inheutigen Organisationen gemachten Erfahrungen von vielen als eintönig,trocken und fad erlebt werden. Das Diktat der technischen Rationalität hat zueinem Verlust des Wesentlichen geführt und leistet den weiter obenausgeführten instrumentellen Beziehungen Vorschub, fördert also verdinglichteInteraktionen und nicht zwischenmenschliche Begegnungen.

Funktionale Rationalität kann in ihrem archetypischen Ausdruck imZusammenhang mit dem griechischen Wort «Logos» verstanden werden,welches analytische, intellektuelle und objektive Interessen impliziert. Logoskann archetypisch als ein «maskuliner» Ausdruck verstanden werden, derInteressen und Wertstrukturen einer patriarchalen Weltkultur repräsentiert(Bowles 1993a). Zwischen Logos und Eros besteht ebenfalls eine fundamentaleSpannung, die mit dem bereits beschriebenen gegensätzlichen Verhältnis vonMacht und Eros vergleichbar ist. Die Vorherrschaft von «Logos» über «Eros»,

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wie wir sie im gegenwärtigen Management und in heutigen Organisationenvorfinden, verfolgt «objektive» und nüchterne Interessen auf Kosten einerAuseinandersetzung mit wesentlichen Fragen der menschlichen Erfahrung.Technische Rationalität zielt insbesondere auf Perfektion ab, und diese fast als«Sucht nach Perfektion» zu bezeichnende Grundhaltung ist verantwortlich fürviele somatische und psychische Erkrankungen unserer Zeit. Gefühle (Hillman1971), die das menschliche Urteilsvermögen von einer zugrunde liegendenWertstruktur her entwickeln, werden von der technischen Rationalitäterfolgreich negiert. Wie Hillman (1971, S. 86) schreibt, »Gefühle beziehen sichauf die Vernunft des Herzens, die die Vernunft des Verstands nichtnachvollziehen kann«. Um es in Hamlets (Shakespeare 1987) Wortenauszudrücken, sind wir in einer Situation angelangt, die gekennzeichnet istdurch »Ein Sehen ohne zu fühlen und ein Fühlen ohne zu sehen«.

Nachdem hier die Dogmen des Sozialdarwinismus und der funktionalenRationalität einer näheren Betrachtung unterzogen wurden, soll nun eineAnalyse des Heldenarchetyps ein weiteres Verständnis dafür liefern, wie der«Management-Mythos» sich in Organisationen manifestiert.

Der Heldenmythos

Der Heldenmythos (Campell 1951) ist ein Leitmotivin allen Kulturen und ist - wie einleitend beschrieben - beispielsweise in derFigur des Parzivals in der Gralslegende symbolisiert. Der Held oder die Heldinhat meist etwas getan oder gefunden, was über das normale Maß menschlicherErfahrungen hinausgeht; er oder sie hat das eigene Leben etwas Größeremgewidmet. In Legenden erscheinen gewöhnlich zwei unterschiedlicheHeldentypen: Der eine vollbringt die physische Tat, zeigt sich mutig im Kampfoder rettet Leben. Der andere ist ein spiritueller Held, dem es gelingt, einübernatürliches Maß spirituellen Daseins zu erfahren und mit einer Botschaftfür die Menschheit zurückzukehren. Heldenbilder sind beispielsweise in denCharakteren von Odysseus, Jason, Herkules, Christus und Krischna dargestellt.Als Merkmal der archetypischen Matrix, die allen Individuen innewohnt, dientder Heldenmythos jedem Individuum als Potential, sich selbst in heroischenTaten zu engagieren. Unser Leben lang sind wir in irgendeiner Form durch denHeldenarchetyp beeinflußt. Geburt, Tod und all die Abenteuer dazwischenerfordern den Geist eines Helden. Als Mitglieder einer Organisation kann unserEinsatz heroische Konfrontationen erforderlich machen, und mag es auch nurdarum gehen, diese unvermeidlichen Konfrontationen lebend zu überstehen.Dem Heldenmythos kommt für die Analyse von Management eine ganzbesondere Bedeutung zu, da angenommen werden kann, daß ein Großteil desVerhaltens von Managern durch den Heldenmythos bestimmt wird. Das Strebendanach, Strategien zu entwickeln und Unternehmensziele zu erreichen, kann mitdem Streben des Helden auf der Suche nach dem unternehmerischen Gral

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verglichen werden, der in ökonomischer Stabilität, Rationalisierung, Wachstumund Profit zum Ausdruck kommt. Einzelne Manager oder Führungsgruppenkönnen, im Bestreben darum, ein Unternehmen auf die Bahn wirtschaftlicherStabilität zu lenken, (heroische) Verantwortung auf sich nehmen. In derheutigen Unternehmenswelt gibt es etliche Figuren, die zumindest in derallgemeinen Vorstellung sich dergestalt als Helden identifizieren lassen, so zumBeispiel Richard Branson (Virgin), Lee Iaccocca (Chrysler) und Anita Roddick(Body Shop).

Die Manifestation des Heldenarchetyps, wie er für heutigeOrganisationen kennzeichnend ist, kann je nach archetypischer Konstellationnegative oder positive Konsequenzen haben. Archetypen haben nach Jung(1966) bipolaren Charakter, und so kann der Heldenarchetyp einen positivenwie auch einen negativen Pol widerspiegeln. In seiner positiven Manifestationwird der Held etwa neues Terrain entdecken, neue Erkenntnisse liefern oderinnovative Möglichkeiten eröffnen, die dem Gemeinwohl und der Welt imallgemeinen dienlich sind. Parzival kann als ein solcher Held angesehen werden.In kommerziellen Organisationen kann ein Manager als derartige Heldenfigurbeispielsweise die Triebkraft für entscheidende Neuorientierung und fürVeränderungen darstellen. Richard Branson wird häufig - ob nun zu Recht odernicht - als ein solcher Held dargestellt. Es sollte auch angemerkt werden, daßein derartiger Held auch an anderen Stellen einer Organisation auftreten kann,beispielsweise als Wortführer einer Opposition gegen herrschendeManagementpraktiken. Der negative Ausdruck des Heldenarchetypsmanifestiert sich, wenn der Held aus egoistischen Motiven heraus handelt oderwenn lediglich einige wenige, eingeschränkte Interessen oder Ziele verfolgtwerden, die dem Allgemeinwohl widersprechen. Wenn andere einen Heldenidealisieren und ihre eigenen Heldenarchetypen auf diesen Führer projizieren,wird dieser nur umso mächtiger erscheinen, und die Tatsache, daß ihre eigenenInteressen nunmehr nicht nur nicht vertreten, sondern sogar unterlaufen werden,kann dabei nur allzu leicht übersehen werden. In der Vergangenheit haben z. B.«Helden»-Figuren wie Hitler oder Stalin mit ihrem manischen Machtstrebenihre Versprechen nach nationaler Befreiung und Erlösung nur allzu einprägsamad absurdum geführt. Harold Geneen von ITT (Sampson 1978) ist einUnternehmensführer, dessen manisches Machtstreben in der Beseitigung einerdemokratisch gewählten Regierung und der anschließenden Ermordung deschilenischen Präsidenten Salvador Allende schwerwiegendste Konsequenzenhatte. Die Angestellten und Mitarbeiter bei ITT haben Geneens Regime, trotzseines despotischen Verhaltens und des durch ihn ausgelösten Terrors,scheinbar akzeptiert, und einige sogar mit Enthusiasmus. Konformität mitsolchen Figuren kann folgenschwere Konsequenzen haben, wenn das eigeneBewußtsein in dem Bedürfnis aufgegeben wird, ein anderer möge dieVerantwortung für das eigenen Leben und die eigenen Handlungenübernehmen.

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Zuweilen genießen Unternehmensführer ihr Heldenansehen auch nur biszu dem Zeitpunkt, an dem ernstliche Schwierigkeiten am Horizont auftauchen.Alan Bond, ein australischer Unternehmer in den achtziger Jahren, war weltweitein erfolgreicher Geschäftsmann und der erste, der im Segeln den «AmericaCup» für Australien errang. Dessen ungeachtet fiel er und das von ihmerrichtete Imperium in kürzester Zeit dem Untergang anheim. Plötzlichexistierte der Held nicht mehr, und seine menschlichen Züge wurden imanschließenden Gerichtsprozeß nur allzu deutlich ans Tageslicht gebracht. Nichtselten bringt sich ein Held durch Selbstüberhöhung (Hybris) selbst zu Fall, alsodadurch, daß er in Begeisterung über seine vormals vollbrachten Großtatenjegliche Fähigkeit zur Bescheidenheit und Reflexion verliert. DiverseVorkommnisse der letzten Jahre, sowohl in der Politik als auch in derWirtschaft, haben eine Mehrzahl solcher «Helden» vorgeführt, die aus denverschiedensten Gründen dem Untergang oder Ruin anheimfielen, z. B. TinyRowland, Robert Maxwell, Maurice Saatchi, Margaret Thatcher, Nick Leesonund Gerald Rattner. Die alten Griechen glaubten, daß die Götter früher oderspäter auf menschliche Erfolge aufmerksam würden, um dann neiderfüllt undmißgünstig zu reagieren. Wenn ein menschlicher Held zu lange zu erfolgreichwar, verbündeten sich die Götter gegen ihn, um sicherzustellen, daß dieserMensch auf den Boden seiner menschlichen Dimension zurückgebracht würde.Die Moral dabei dürfte sein, daß Individuen weder eine zu hohe noch eine zuniedrige Meinung von sich selbst haben sollten: Jede Übersteigerung dereigenen Identität führt zu einer psychischen Überhöhung, die dann den bösenWillen der Götter (Archetypen) auf sich zieht. Ist der Held dazu in der Lage,sein menschliches Maß zu wahren und der Versuchung der Selbstüberhöhungzu entgehen, dann kann er potentiell eine positive Rolle einnehmen. Eineunverkennbare Gefahr besteht jedoch darin, daß das Verhalten von Individuenoder Gruppen, die sich mit einem Heldenarchetypen identifizieren, weitgehendunbewußt geleitet und daher kaum der bewußten Reflexion zugänglich ist. Einsolches Verhalten ist in sich potentiell psychotisch und kann, wie die Zeitzwischen 1939 und 1945 uns einprägsam vor Augen geführt hat, dieverheerendsten Konsequenzen nach sich ziehen.

Der hier hergestellte Bezug zum Heldenarchetyp kann ein Verständnisdafür liefern, wie sich Sozialdarwinismus und funktionale Rationalität inunseren Organisationen und in unserer Gesellschaft manifestieren. Dassozialdarwinistische «Überleben der Tüchtigsten» definiert offenkundig eineUnausweichlichkeit «heroischer» Konfrontationen sowohl für Einzelpersonenals auch für Organisationen. Diejenigen, die - aus welchen Gründen auch immer- bei einem solchen Wettbewerb gar nicht erst antreten oder dabei nichtbestehen können, kommen unweigerlich zu Fall, um sich schließlich in unterenGesellschaftsschichten wiederzufinden; sie werden letztlich zum Prügelknabenfür jene, denen es eher gelingt, von der Austragung solcher Konfrontationen zuprofitieren. Es stellt sich hier die Frage nach der wahren Natur dieses durch denSozialdarwinismus geprägten Heldentums. Denn in erster Linie führt diese

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Form des Sozialdarwinismus bei vielen zu einem eigensüchtigen Heroismus, beidem der eigene Vorteil auf Kosten anderer angestrebt wird, und so gesehen mußer im Grunde als anti-heroisch verstanden werden. In seiner extremenAusprägung erweist sich dieser sozialdarwinistische Heroismus als ein «Kampfaller gegen alle», in dem Massenegoismus überwiegt; Konzepte wie «Fressenoder gefressen werden» oder «Jeder ist sich selbst der Nächste» werden zu denbestimmenden Charakteristika gesellschaftlichen Daseins. Ein solcherHeroismus wird von denjenigen, die ihn zu demonstrieren vermögen, häufigübersteigert, da er eine überhöhte Selbsteinschätzung sowohl fordert als auchfördert. Eine solche Hybris kann jedoch, wie bereits ausgeführt wurde, überkurz oder lang zum Niedergang oder Ruin führen.

Wettbewerbsorientierte Beziehungen zwischen Organisationen, die aufeinem solchen sozialdarwinistischen Dogma basieren, können dieserKonstellation des Heldenarchetypen entsprechen und sich beispielsweise insolchen Begriffen wie «den Konkurrenten ausschalten»,«Ressourcendisposition» und «Strategieplanung» manifestieren. Ein nichtunerheblicher Anteil von Managementaktivitäten wird von einem derartigenmehr oder weniger verdeckt wirksamen Heldenarchetyp beeinflußt, die damiteinhergehende heroische Form ist jedoch überwiegend selbstbezogen und läßtdas Wohlergehen von Organisationsmitgliedern wie allgemeinegesellschaftliche Belange weitgehend unberücksichtigt.

Dieses Heldentum folgt dem Diktum, daß »der einzige Geschäftszweckdarin besteht, im Rahmen der gesellschaftlichen Gesetzgebung soviel Geld wiemöglich zu erwirtschaften«. Diese Gesetzgebung ist oftmals überraschendineffektiv, wenn es darum geht, die Belange einer Bevölkerungsmehrheit zuvertreten, hingegen scheint sie Unternehmen in ihrem Bestreben, soviel Gewinnwie möglich einzufahren, nur wenige Hindernisse in den Weg zu legen. EinHeroismus hingegen, der sich gemeinschaftlichen Belangen in Organisationenund Gesellschaft widmet, wird nur selten sichtbar. Viel eher hören wir von«Rationalisierungen», «Verschlankungen» und ähnlichen Euphemismen, die inWirklichkeit bedeuten, daß Arbeitsplätze und Sozialleistungen gekürzt werden,um die (heroische) Rendite der Anteilseigner zu maximieren. WennUnternehmensstrategien und -ziele allein darauf ausgerichtet sind, denWohlstand für nur einige wenige zu steigern, wird nur ein geringer oder gar keinRest von Eros vorhanden sein. Solcherlei heroische Taten spiegelnausschließlich einen negativen Pol des Archetypen wider, sie weisen keinerleiZüge vom Format eines Helden auf, der Liberalisierungen und Verbesserungenmenschlicher Lebensumstände den Weg bahnt. Letzten Endes sind wahrhaftheroische Handlungen jedoch vom Eros bestimmt und nicht durchSelbstüberhöhung oder selbstgerechte Machtausübung, die nur wenigen dienen.

Im Hinblick auf die Art und Weise, wie der Heldenarchetyp dem Antrieb,eine rationale soziale Tat zu vollbringen, Kräfte verleiht, ihn strukturiert und ihnverstärkt, kann er gleichermaßen auf dem Hintergrund des funktionalenRationalismus interpretiert werden. Wenn die Praktiken dieser funktionalen

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Rationalität allerdings menschlichen Interessen zuwiderlaufen, wenn sie dieVitalität und das Wesenhafte der menschlichen Natur negieren, werden siewiederum allein einen negativen Ausdruck des Archetypus fördern. Wenn sieeinen «eisernen Käfig» konstruieren, wenn Arbeitsprozesse nachmechanistischen Kriterien ausgerichtet und alle organisatorischen Phänomeneauf Datenwerte reduziert werden, dann dient die funktionale Rationalität nichtder heroischen Handlung, sondern ihrem Gegenteil.

Im Bemühen um heroische Leistungen sind die Praktiken desSozialdarwinismus und der funktionalen Rationalität in heutigen Organisationendurch Übersteigerungen und manische Ausdrucksformen gekennzeichnet, dieihre eigenen charakteristischen Steigerungsformen aufweisen. Um solcheHandlungsformen nicht ausschließlich dem negativen Pol des Heldenarchetypenzuzuschreiben, ist es möglicherweise sinnvoller, diese Handlungsformen mit derGestalt des «Tricksters», des Schwindlers, darzustellen. Im Trickstermanifestiert sich eine Ausprägung der Heldengestalt auf einer erstenEntwicklungsstufe, die noch weitgehend unbewußt ist (Henderson 1964). Seinekörperlichen Begierden und sein Instinkt dominieren zunächst sein Verhalten,und er kennt keine Ziele, die über seine unmittelbare Bedürfnisbefriedigunghinausreichen. Er kann grausam, zynisch und gefühllos sein. Die Gestalt desTricksters wird weltweit in verschiedenen Mythen wiedergegeben. Wie seinName schon andeutet, spielt er mit den Menschen, er «trickst» sie aus. Mankann nun behaupten, daß seine charakteristischen Merkmale einigen typischenEigenschaften des Managements heutiger Organisationen entsprechen, nämlichder fehlenden Sensibilität und der mangelnden Rücksichtnahme auf dieInteressen anderer. Dem Trickster ist allerdings eine Weiterentwicklung durchBewußtwerdung und Reflexion möglich; nur so kann er zur wahren heroischenHandlungsfähigkeit heranreifen.

Ein besonderes Merkmal des Heldenmythos besteht darin, daß der Heldschließlich das «gelobte Land» findet. Das Bild des gelobten Landes wird inMythen alternativ auch als «das goldene Zeitalter», «der Gral», «Atlantis»,«Eldorado» oder als «der unerreichbare Schatz» dargestellt. Im Folgenden wirdnun analysiert, in welcher Weise der Management-Mythos sich des Bildes desgelobten Landes bedient.

Das gelobte Land

Ein vom Sozialdarwinismus gezeichnetes Bild des«gelobten Landes» stellt eine Gesellschaft dar, die von den «Stärksten», den«Gewinnern» und von «Unternehmernaturen» bevölkert ist, deren Fähigkeitenzu Gewinnerzielung den sozialen Prozeß vorantreiben. Voraussichtlich würdeeine solche homogene Gruppe jedoch den Wettbewerb untereinanderunaufhörlich weiter austragen, was letztlich wohl zu unausweichlichen undpermanenten Auseinandersetzungen führen würde. Der in Konkurrenz um

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wirtschaftliche Gewinne beschrittene Pfad führt weg von jeglicher Konzeptiondes «gelobten Landes» und hin zum «Wüsten Land», in eine Ödnis. Sardello(1992, S. 87) beschreibt den der wirtschaftlichen Gewinnerzielung zugrundeliegenden Mechanismus: »Ökonomismus ist bestialische Triebhaftigkeit, nichtSeele; sie wird auf einer Ebene ausgeführt, auf der Geldmittel von der Weltabgespalten und ohne weiteren Bezug zur Realität manipuliert werden können.Die Gewinnsucht wird zum individuellen, organisatorischen undgesellschaftlichen Eigennutz; sich selbst überlassen wird sie sich selbstzerstören«. Die Freudsche Hypothese, daß Geld weniger mit Gold als mitExkrementen assoziiert ist, wird durch bildhafte Redewendungen wie «einHaufen Kohle» oder «Knete machen» unterstützt. Im Volksmund ist die Redevom «Dukatenscheißer» oder daß einer «auf seinem Geld sitzt», «stinkreich» istoder mal «flüssig» und mal «weniger liquide» ist. Die ausdrückliche Betonung,daß «Geld nicht stinkt», läßt doch eher das Gegenteil vermuten und auch derAusdruck «Geldwäsche» deutet an, daß Geldangelegenheiten insgesamt ein eher«schmutziger» Aspekt anhaftet. Letztlich geht es eher darum, Geld anzuhäufenund die Geldgier zu befriedigen, als Geldmittel einem sozialen Zweckzuzuführen. Es scheint geradezu so, als würde diese Geldgier ein Vakuumfüllen, das durch ein Dahinschwinden höherer menschlicher Werte und Zieleentstanden ist, und in diesem Sinne dient eine konkurrenzorientierte Anhäufungvon Reichtum lediglich als Sinnersatz.

Eine Vorstellung des «gelobten Landes» zeichnet vor dem Hintergrundder funktionalen Rationalität eine Welt, in der alle Phänomene vollständigverstanden und umfassend kontrolliert werden können. Dieses Ziel wird inOrganisationen in letzter Zeit durch die Implementierung von«Qualitätsprogrammen» angestrebt: Regeln und Verfahrensweisen,Bemühungen um symbolische Mitarbeiterführung sowie statistischeÜberwachungen zeugen von einer Re-Bürokratisierung und von zunehmendenKontrollen in Organisationen, denen allen das Bestreben um prognostizierbareResultate zugrunde liegt. Derartige Initiativen kommen mit hochgestochenenAnglizismen daher, einer Sprache, die zudem durch ihre eigene Hybrischarakterisiert ist, wie es z. B. in «World Class Production», «Expert Systems»oder «Total Quality Management» deutlich wird. Diese Sprache scheint einigesmit dem Göttlichen gemein zu haben, und in der Tat hat die«Qualitätsbewegung» ihre eigenen Propheten und Gurus: So konkurrierenDemings (1987) vierzehn Qualitätsprinzipien und seine «sieben tödlichenKrankheiten», Feigenbaums (1983) zehn Qualitätsvergleichskriterien oderCrosbys (1984) vierzehn Qualitätsstufen allesamt mit den zehn Geboten, dieMoses von Gott auf dem Berg Sinai entgegennahm. Im heutigen sakralenUnternehmenssprachcode erscheint die «Sünde» als Abweichung vonQualitätskriterien (Rippon, 1993) und die «organisatorische Beichte», auchMitarbeiter-Beurteilungsgespräch genannt, dient dazu, solche Abweichungenrechtzeitig zu erkennen und Besserung zu ermöglichen. Rippon (1993, S. 29)bemerkt hierzu: » ... jedoch werden solche erhabenen psychischen Momente der

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Wahrheit, wie in der Kirche beim heiligen Abendmahl oder bei der Beichte,wenn der Priester die Absolution erteilt, im Qualitätsprozess bedauerlicherweisevernachlässigt«. Im Rahmen der Qualitätsbewegung scheinen dem «gelobtenLand» nahezu zwanghafte Aspekte anzuhaften. Nichtsdestotrotz transportiertdie Sprache des Qualitätsmanagements zweifellos Sinnbilder des gelobtenLandes und zeugt von der archetypischen Vorstellung, die dem Management-Mythos zugrunde liegt.

Die dem Management-Mythos innewohnende Vorstellung eines gelobtenLandes wird nun von westlichen Missionaren, in den überwiegenden FällenBeratern und Professoren, in die Ostblockländer getragen. Kostera (1993)beschreibt, mit welchem Elan westliche Managementberater Werte und Modelledes strategischen Managements in diesen Ländern eingeführt haben. DieseLänder scheinen, nachdem sie die sowjetische Version des gelobten Landeserlebt haben, in ihrem Enthusiasmus für den Management-Mythos nunbesonders empfänglich.

Die Vorstellung eines gelobten Landes und die aus ihr erwachsendenheroischen Handlungen könnten durchaus konstruktiven gesellschaftlichenZielen und Zwecken zugute kommen. Gleichwohl sind die mit demManagement-Mythos einhergehenden Vorstellungen eines gelobten Landeswegen ihrer Einseitigkeit als unausgeglichen zu beurteilen. DerartigeManifestationen bringen zum Ausdruck, was an anderer Stelle bereits als«organisatorischer Schatten» (Denhardt 1981; Bowles 1991) bezeichnet wurde.Würde eine Gesellschaft nach ihren Helden bewertet, könnte man derOrganisationsgesellschaft schlechterdings nur einen desolaten Zustandattestieren.

Schlußbemerkungen

Die Rolle von Mythen in Organisationen wurde hierin den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellt, um aufzuzeigen, wie wir alsmenschliche Wesen Sinn- und Bedeutungszusammenhänge sowohl suchen alsauch selbst kreieren. Es sind solche Sinn- und Bedeutungszusammenhänge die,wie unausgeformt sie auch sein mögen, unsere Handlungen bestimmen. Der hierbeschriebene Management-Mythos scheint nicht dazu geeignet zu sein,sinnvolle Bedeutungszusammenhänge zu liefern und ist menschlichenInteressen häufig gegenläufig. In einer von Konkurrenz dominierten Weltverlieren die Menschen häufig jegliches Gemeinschaftsgefühl und Erfahrungenwerden zunehmend privatisiert. Die Menschen werden als Objekte oderverwertbare Ressourcen betrachtet und verkümmern dabei, verlieren zusehendssowohl Gelegenheiten wie auch den Glauben, einen eigenen Heroismus lebenzu können. Im Versuch, den sozialen Prozeß zu rationalisieren, wurde eineWüste menschlicher Erfahrungen geschaffen; die Auswirkungen zeigen sich ineiner anwachsenden individuellen und sozialen Pathologie. Anfang dieses

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Jahrhunderts hat Oswald Spengler (1923) im seinem Ansatz, den Niedergangdes Westens zu beschreiben, die Entwicklung von acht Hochkulturen(Griechenland, Rom, Babylon etc.) verglichen und er stellte fest, wie in diesenKulturen jeweils immer ein bestimmtes Stadium erreicht wurde, in dem«kritisch-intellektuelle Bereiche» über «lyrisch-instinktive Bereiche» dieVorherrschaft gewannen. Erstere können in Relation zur rational funktionalenVernunft (linke Hirnhälfte) und letztere in Relation zu Vorstellungskraft,Intuition und poetischen Fähigkeiten (rechte Hirnhälfte) gesehen werden. NachSpengler gibt es zu dem Zeitpunkt, an dem die kritisch-intellektuellen Bereichedie Vorherrschaft übernehmen, eine kurze Periode der Aufklärung undKreativität, die sich jedoch immer wieder erschöpft, um letztlich in Sterilitätund individuelle und soziale Pathologie umzuschlagen.

Um dieser Pathologie zu begegnen, bedarf es eines neuen Mythos, derdem komplexeren Ausdruck menschlicher Verhältnisse gerecht wird, einesMythos, der insbesondere auch Eros beinhaltet und den exzessiven Auswüchsenvon Konkurrenzorientierung und funktionaler Rationalität abschwächendentgegentreten kann. Ein solcher Mythos kann nicht einfach frei erfundenwerden; er wird sich nur über zunehmende individuelle und gesellschaftlicheBewußtwerdung im Laufe der Zeit herausbilden können. Als Ausgangspunktkönnten wir uns dessen bedienen, was Lopez-Pedraza (1990, S. 82) als «einBewußtsein des Versagens» bezeichnet: »..was uns möglicherweise vorerneutem Versagen bewahren kann ist das Bewußtsein um vorausgegangenesVersagen: Ein Versagen, das zur Reflexion führt«. Reflexion wird in ersterLinie durch Leidensdruck ausgelöst, daher die gängige Behauptung, daßschmerzhafte Erfahrungen den schnellsten Weg zur Weisheit weisen. Es drängtsich indes die Frage auf, welches Ausmaß an Leiden es in unserer Gesellschaftnoch bedarf, bis ihre Mitglieder in größerer Anzahl zu reflektieren beginnen.Selbstbesinnung wird zur dringlichsten Notwendigkeit unserer Zeit; wir könnennicht schlicht abwarten, bis eine Anwort sich von selbst präsentiert, ohne daßwir jeweils auch individuelle Verantwortung für ihre Formulierungübernehmen. Nach dem ersten Weltkrieg schrieb Jung: »IndividuelleSelbstbesinnung, die Rückkehr des Individuums zum Grund der menschlichenNatur, zu seinem innersten Wesen mit seiner individuellen und sozialenBestimmung - hierin liegt die Heilung für die Blindheit, die gegenwärtigvorherrscht«. (Jung 1966, S. 5). Wie die Geschichte des zwanzigstenJahrhunderts in tragischer Weise dokumentiert, wurde dieser Botschaftoffensichtlich kein Gehör geschenkt.

In der Gralslegende oblag es Parzival, durch «die Stimme seines loyalenund mitfühlenden Herzens», also primär durch Eigenschaften von Eros, dieheroische Tat zu vollbringen und den König und das Land vom Unheil zubefreien. Erst nach Jahren der Prüfungen und der durch sie erlangten Weisheitwar es ihm möglich, diese Herausforderung zu meistern. Die Gestalt desParzival reflektiert das archetypische Sinnbild jenes heroischen Potentials, daseinem jeden von uns innewohnt: Das Potential, diese Weisheit zu erlangen. In

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realer menschlicher Erfahrung wird der Gral oder das gelobte Land wohl allerVoraussicht nach nie tatsächlich gefunden werden, aber er dient zumindest alsSymbol für menschliche Entwicklung und positive Wandlung.

Aus dem Englischen von Nicola Wreford-Howard.

Dieser Beitrag erschien zuerst in Human Relations 50 (1997), S. 779-803.Die englischen Zitate des Textes wurden von der Übersetzerin ins Deutscheübertragen.

Summary

The myth of management: Direction and failure in

contemporary organisations

Life in organizations and society appears to many social

commentators as increasingly more demanding and

insensitive to the needs of people. In this paper, the »Myth

of Management« is explored to investigate some of the key

beliefs and images through which contemporary

management is practiced. Myth, in this context, is

understood as consisting of beliefs and values which

serves to provide meaning for human action. The adoption

of a particular mythic frame is argued to direct the

management of organizations to particular ends and

purposes. Central to a »Myth of Management« are the

doctrines of Social Darwinism and Functional Rationality,

and these are briefly evaluated in their impact on

organizational life. An archetypal approach, with particular

reference to the archetype of the »hero«, is employed to

explore the depth dimensions which underpin the

formulation and exercise of the »Myth of Management«.

The conclusion reached is that the myth of management

exacts a critical cost on people and society which can only

be addressed through a reflective consciousness.

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Anschrift des Verfassers:Martin Bowles, PhD., Department of Business,University of Central England Business School,Perr Barr, Birmingham B42 2SU, United Kingdom.