Lesen und Rechtschreiben erlernen trotz Schwierigkeiten Alexander Geist, OStR Staatlicher...
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Lesen und Rechtschreiben erlernen trotz Schwierigkeiten
Alexander Geist, OStRStaatlicher Schulpsychologe
Supervisor (BDP), Moderator (ALP)München / Erding
Lesen und Rechtschreiben erlernen trotz Schwierigkeiten
(1)Rechtschreiben: Anforderungen an effektive Therapiemethoden
(2)Lesen: differenzierte Diagnostik als Basis effektiver Therapien
(3)LRS und Konzentration
(1) Rechtschreibschwäche: Anforderungen an effektive Therapiemethoden
Erfolgreiche Rechtschreibtrainings orientieren sich methodisch-didaktisch an• lern- und gedächtnispsychologischen
Erkenntnissen (inkl. Ergebnissen der Hirnforschung)
• Erkenntnissen der Therapieforschung im Bereich Legasthenie
Rechtschreibschwäche: Anforderungen an effektive Therapiemethoden
• Vermeiden der Ähnlichkeitshemmung• Einschleifen • weitgehender Verzicht auf spielerische
Elemente bzw. klare Trennung von Spiel und Arbeit
• Motivation durch sukzessiven Erfolg: kleinschrittiges Vorgehen, vom Einfachen zum Schwierigen, Trainieren entlang der Null-Fehler-Linie
Rechtschreibschwäche: Anforderungen an effektive Therapiemethoden
• adaptives Vorgehen / Individualisierung • Verzicht auf geballte Behandlung von
besonderen Ausnahmefällen: Konzentration auf den Regelfall (nur in bestimmten Bereichen Konzentration auf den Ausnahmefall)
• Vermittlung von Strategien • silbischer vs. regel- und morphemorientierter
Ansatz • Problematik des computergestützten Trainings
Beispiele für Rechtschreibtrainings
• Reuther-Liehr, C.: Lautgetreue Lese-Rechtschreibförderung
• Schulte-Körner, G. / Mathwig, F.: Das Marburger Rechtschreibtraining
• Geist, A.: Erdinger Rechtschreibtraining
ERT
„Erdinger Rechtschreibtraining“ (ERT)als Beispiel eines Eltern-Kind-Trainings für die
Sekundarstufe
ERT: Grundsätze
Vermeiden der Ähnlichkeitshemmung Einschleifen nur spielerische Elemente, die strukturell zum
Lerngegenstand passen Motivation durch sukzessiven Erfolg: kleinschrittiges
Vorgehen, vom Einfachen zum Schwierigen, Trainieren entlang der Null-Fehler-Linie
adaptives Vorgehen / Individualisierung: Gliederung nach Basisteilen und Zusatzübungen, Zwischentests Vermeidung von Über- bzw. Unterforderung
ERT: Grundsätze
Verzicht auf geballte Behandlung von besonderen Ausnahmefällen: Konzentration auf den Regelfall (nur in bestimmten Bereichen Konzentration auf den Ausnahmefall), innerhalb eines Teilkapitels keine Vermischung (zur Vermeidung der Ähnlichkeits-hemmung)
regel- und morphemorientierter Ansatz Vermittlung von Strategien handschriftliches Training, bewusst kein
Computereinsatz
ERT: Trainingsrahmen
• vier- bis fünfmal wöchentlich jeweils 15-20 Minuten
• auch in den Ferien • Geduld, Durchhaltevermögen, freundliche Zuwendung • Unterstützung durch Belohnungssystem • strukturierter Aufbau einer Übungseinheit • regelmäßige Stärken- und Fehleranalyse nach Herausgabe
einer Klassen- oder Übungsarbeit
ERT: Trainingskapitel
• Vorkurs (kostenlose Einstiegstrainingseinheit)• „k oder ck, z oder tz“• Schärfung• Dehnung • s – Schreibung ( s, ss oder ß; st ) • das oder dass • Auslautendes d oder t, b oder p, g oder k • ent- oder end- (Vorsilbe) • f oder v • e oder ä, eu oder äu • Groß- und Kleinschreibung (Grundlagen)
ERT: Einsatzbereich / Vorteile
• Entlastung des Schulpsychologen bzw. der Schule• relativ preisgünstig• nimmt Eltern und Kinder in die Verantwortung und Pflicht • Einsatz bei rechtschreibschwachen Kindern und
„Grauzonen-Kindern“ • Trainingsmöglichkeit für legasthenische Kinder, die vom
Jugendamt keine Förderung bekommen bzw. deren Förderung abgelaufen ist, die aber noch Trainingsbedarf haben
• Einsatz auch im Rahmen von Kursen möglich • erfahrungsgemäß kein grundsätzlich relevanter Faktor:
Höhe des Bildungsabschlusses der Eltern
ERT: Grenzen des Einsatzes
• erhebliche Störung der Eltern-Kind-Interaktion• massive sekundäre Neurotisierung beim Kind• sehr geringe kognitive Kompetenz der Eltern bzw. legasthenischer
Trainer• Dominanz von Fehlern auf Stufen des Schriftspracherwerbs
unterhalb der orthographischen Stufe bzw. extrem hohes Ausmaß der Rechtschreibprobleme
• Berufstätigkeit beider Elternteile bzw. eines allein erziehenden Elternteils auch am Nachmittag / Abend
• Bei Existenz zusätzlicher bzw. basaler Probleme (z.B. Sprechstörungen, motorische Störungen) ist natürlich eine ergänzende Maßnahme (Logotherapie, Ergotherapie o.Ä.) nötig.
ERT: Evaluation
Datenbasis: 4 Kohorten (Trainingsjahrgänge) Design:• Experimentalgruppe: TrainingsteilnehmerInnen • Kontrollgruppen:
– rechtschreibschwache Kinder ohne Training – Rest des Jahrgangs (Kinder ohne erhebliche
Rechtschreibprobleme)
Tests: • RST 4+ (in den Kohorten 1-3)• WRT 4/5 bzw. WRT 6+ (in den Kohorten 3 und 4)
Evaluation des ERTKinder mit Rechtschreibleistungen
im Normalbereich(N=489)
ERT – Trainingsteilnehmer (Experimentalgruppe)
(N=53)
Rechtschreibschwache Kinder ohne Training(N=47)
Anf. 5. Kl. Ende 6. Kl. Diff. Anf. 5. Kl. Ende 6. Kl. Diff. Anf. 5. Kl. Ende 6. Kl. Diff.
27,74 13,01 14,74 50,85 23,19 27,66 49,81 28,94 20,87
Ergebnisse im RST (Kohorten 1-3)
Evaluation des ERT
Evaluation des ERTKinder mit Rechtschreibleistungen
im Normalbereich*(N=214)
ERT – Trainingsteilnehmer (Kohorten 1-3: 1999-2002)
(N=31)
Rechtschreibschwache Kinder ohne Training*
(N=18)
Anf. 5. Kl. Ende 6. Kl. Diff. Anf. 5. Kl. Ende 6. Kl. Diff. Anf. 5. Kl. Ende 6. Kl. Diff.
48,25 51,19 2,94 35,9 43,13 7,23 35,67 35,67 0
(Kohorte 2003/2004)(N=14)
Anf. 5. Kl. Ende 6. Kl. Diff.
33,14 44,78 11,64
ERT – Trainingsteilnehmer(Kohorten 1-4 = GESAMT)
(N=45)
Anf. 5. Kl. Ende 6. Kl. Diff.
35,04 43,64 8,60
Ergebnisse im WRT (Kohorten 3-4)
* Vergleichszahlen wurden nur in der Kohorte 3 erhoben.
Evaluation des ERT
(2) Lesen: differenzierte Diagnostik als Basis effektiver Therapien
• Grundtypen von Leseschwächen• Komplexität der beim Lesen beteiligten
Teilleistungen aus neurologischer Sicht – Vielzahl möglicher Lesestörungsursachen
• Das computergestützte celeco-Training des Münchener Neurologen R. Werth
Grundtypen von Leseschwächen
Problem der Datengrundlage: lautes vs. leises, sinnerfassendes Lesen
Formen: Störung in Bezug auf• Leserichtigkeit• Leseverständnis• Lesetempo
Komplexität der Leseleistung
• Fähigkeit zur genauen Fixierung des Wortes (etwas links von der Wortmitte)
• Fähigkeit zur Festlegung der Fixationsdauer• Fähigkeit zu angemessen großem Blicksprung• Fähigkeit zur Löschung des visuellen Eindrucks vor
Fixierung des nächsten Wortes• Fähigkeit zum Abgleich der visuell kodierten Reize mit
Lautfolgen• Fähigkeit zur Verknüpfung der gesehenen
Buchstabenfolgen mit im Gedächtnis gespeicherten Bedeutungen
… dementsprechend Vielzahl möglicher Ursachen von Lesestörungen
• zu lange Fixationszeit, zu kurze Blicksprünge• zu kurze Fixationszeit, zu große Blicksprünge
(wg. falscher Lesestrategie oder hyperaktiv bedingt)
• erhöhte visuelle Ablenkbarkeit durch rechts vom gelesenen Wort stehenden Text
• Bild soeben gesehener Buchstaben wird nicht hinreichend gelöscht
… dementsprechend Vielzahl möglicher Ursachen von Lesestörungen
• Sehen des Wortes während der Weiter-verarbeitung stört diese
• eingeschränktes Textverständnis infolge sinnentstellenden Lesens oder Absorption der Aufmerksamkeit durch den Lesevorgang
• gestörte Fähigkeit, visuelle Reize mit Bedeutungen zu verknüpfen (bei gegebenem Hörverständnis)
• zu kurzfristige Speicherung des Gelesenen, um Verknüpfung mit Bedeutung herzustellen
Celeco-Lesetraining von R. Werth
• basierend auf differenzierter neurologischer Analyse des Lesevorgangs und der Lesestörungen
• computergestützt• häusliches Training (kleine Einheiten über
längeren Zeitraum), von Laien bedienbar• umfangreiche Wortlisten und Texte (von Gero
Tacke); Möglichkeit zum Import von Wortlisten / Vokabeln / Texten
• keine multimedialen Effekte und Animationen
Diagnosephase
• Fixierung: Wie lange müssen die Wortsegmente dargeboten werden, damit diese vom Kind sicher erkannt werden?
• Erkennen auf einen Blick: Wie viele Buchstaben eines Wortes können gleichzeitig erkannt werden? Ist die Erkennensleistung für flüssiges Lesen ausreichend?
• Abrufzeit: Wird das Gesehene zeitnah oder verzögert abgerufen und ausgesprochen?
• Erkennen nach Blicksprung: Können die zuvor untersuchten Einzelleistungen (Fixieren, ganzheitliches Erkennen und zeitnaher Abruf des Gesehenen) auch nach einem Blicksprung erfolgen?
Trainingsbeispiel 1
Ausdehnung der Breite von erkennbaren Wortsegmenten:• Darbietung des Wortsegments einer Länge,
die gerade nicht mehr sicher erkannt wird, für eine bestimmte Zeit
• Kleinschrittige Ausweitung der Wortsegmentbreite
Prinzip „Hochsprungtraining“
Trainingsbeispiel 2
Training gegen Ablenkbarkeit:• Text rechts vom zu lesenden Wortsegment
wird ausgeblendet• Zu lesender Text wird nur um Wortsegment
verlängert, das gerade gelesen werden soll• Später: Text rechts vom zu lesenden
Wortsegment wird schwach eingeblendet, im Laufe der Zeit immer deutlicher
Trainingsbeispiel 2
Trainingsbeispiel 2
Bedenkenswerte Ansichten Werths
„Alleiniges Lesenüben, ohne Berücksichtigung der Ursachen der Lesestörung, kann sich sogar nachteilig auf die weitere Entwicklung der Leseleistung auswirken. Es besteht nämlich die Gefahr, dass unerkannte falsche Lesestrategien, wie z.B. der Versuch, zu große Wortsegmente zu erkennen, zu frühes Abbrechen der Fixationsphasen und die Ausführung zu großer Blicksprünge durch bloßes Lesenüben weiter eingeübt werden und sich dadurch verfestigen.“
Bedenkenswerte Ansichten Werths
„Auf diese Weise kann man Kindern eine Lesestörung regelrecht antrainieren, wenn man sie zu schnellem Lesen antreibt. Es ist dringend davon abzuraten, von den Kindern zu fordern, möglichst schnell zu lesen. (…) die Lesegeschwindigkeit ist nur mit größter Vorsicht zu erhöhen.“
(3) LRS und Konzentration
Zusammenhänge in beiden Richtungen möglich:
• LRS Konzentrationsprobleme
• Konzentrationsprobleme LRS (v.a. Leseschwäche)
LRS Konzentrationsprobleme
• richtiges Lesen / Schreiben verlangt Betroffenen überdimensionales Maß an Konzentration ab Zusammenbruch der Konzentration Verstärkung der LRS-Symptomatik
• therapeutische Konsequenz: Steigerung der Lese- und Rechtschreibfähigkeiten Beseitigung der Konzentrationsprobleme
Konzentrationsprobleme LRS
• primäre Konzentrationsschwäche bewirkt Schwierigkeiten im Lesen und Rechtschreiben
• therapeutische Konsequenz: Steigerung der Konzentrationsfähigkeiten Reduzierung der Lese- und Rechtschreibprobleme
Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom - ADS
Symptombereiche:• Störung der Aufmerksamkeit• Impulsivität• Hyperaktivität
Nicht in allen Bereichen müssen Auffälligkeiten vorliegen!
ADS - SymptombereicheStörung der Aufmerksamkeit • Missachten von Einzelheiten / „Flüchtigkeitsfehler“• Schwierigkeit, Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten (in normalen
Situationen)• scheint häufig nicht zuzuhören• unvollständige Erledigung von Aufgaben / häufiger Wechsel von
Aktivitäten• Schwierigkeiten, Aufgaben / Aktivitäten zu organisieren• Aversion gegen Aufgaben, die länger andauernde, geistige Anstrengung
erfordern und keinen besonderen Reiz bieten• verliert häufig Gegenstände• leichte Ablenkbarkeit durch äußere Reize• Vergesslichkeit bei Alltagstätigkeiten
ADS - Symptombereiche
Hyperaktivität • Zappeligkeit, unruhiges Herumrutschen• steht in unpassenden Situationen auf, läuft herum …• Schwierigkeit, sich ruhig mit etwas zu beschäftigen• auf Achse sein, innere Getriebenheit• z.T. Unbekümmertheit in gefährlichen Situationen• schwierige Abgrenzung von körperlichen
Nervositätssymptomen
ADS - Symptombereiche
Impulsivität
• platzt mit Antworten heraus• Ungeduld, Schwierigkeit zu warten, bis er/sie an der
Reihe ist• unterbricht und stört andere häufig• übermäßiger Redefluss • starke und plötzliche Stimmungsschwankungen
ADS - Symptombereiche
Zum Teil auftretende sekundäre Störungen:
• Störungen des Sozialverhaltens (Außenseitertum, Aggressivität usw.)
• motorische Ungeschicklichkeit• graphomotorische Probleme• sekundäre Neurotisierung
ADS - Symptombereiche
grundlegende Kriterien:
• Verhalten nicht mit dem Entwicklungsstand und Intelligenzniveau vereinbar
• situationsübergreifend (nicht nur in der Schule)• lang andauernd (mindestens sechs Monate;
mindestens einige Symptome auch vor dem 7. Lebensjahr)
• klinisch bedeutsame Beeinträchtigungen
ADS - Symptombereiche
Haupttypen von ADS• einfache Aufmerksamkeitsstörung (inkl.
„Träumer“)• Aufmerksamkeitsstörung mit Hyperaktivität /
Impulsivität
Komorbidität mit• Ängsten, Zwängen• Legasthenie• Dyskalkulie
ADS-Diagnostik
Es gibt nicht den ADS-Test (so wenig wie den LRS-Test)! ADS-Diagnostik • umfassende medizinische und psychologische
Diagnostik• Ausschlussdiagnostik
ADS-Diagnostikmedizinische Seite• z.B. Ausschluss von neurologischen Ursachen, Allergien,
versteckter Epilepsie; umfassende Erfassung des internistischen Status
psychologische Seite• Leistungsdiagnostik (Intelligenz, Konzentration, v.a.
Leistungsverlauf über längere Zeit)• Persönlichkeitsdiagnostik• Sammlung von umfassenden aktuellen Beobachtungsdaten
der Eltern und Lehrer• Auswertung früherer Daten (z.B. Zeugnisse)
ADS-Diagnostik
Probleme• Komplexität• „Henne-Ei-Problem“
ADS – multimodaler Behandlungsweg
• Aufklärung / Information von Eltern, Lehrkräften und Kind Veränderung von Sichtweisen und damit der Beziehung zum betroffenen Kind bzw. des Selbstbildes
• Elterntraining: Wahrnehmung der positiven Seiten des Kindes, angemessenes kommunikatives Verhalten, Token-System, Lob für kleine Fortschritte, Alltags-Rituale usw.
• schulische Stützmaßnahmen: Sitzplatz, Vereinbarungen über hilfreiche Maßnahmen
• verhaltenstherapeutische Maßnahmen: Selbstinstruktion, Rituale, angepasste Gestaltung von Arbeitsläufen, Berücksichtigung individueller Stützfaktoren usw.
ADS – multimodaler Behandlungsweg
• Schaffung von Bewegungsmöglichkeiten, Sport • kontrollierter Medienkonsum• Ausbau von Aktivitäten, die mit Erfolg verbunden sind• bei Störungen im Sozialbereich: Verhaltenstherapie zum
Aufbau prosozialen bzw. kontaktfördernden Verhaltens• Medikation
ADS und LRS
Fazit:Bei markanten Problemen und/oder
geringem Trainings- und Therapieerfolg ein Kind sicherheitshalber auf ADS untersuchen
lassen!