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LERNENDE FÜR LERNENDE? Wie Lärm unsere Lernfähigkeit beeinträchtigt HÖREN ALLEINE GENÜGT NICHT, UM ZUHÖREN ZU BEWäLTIGEN Interview mit Prof. Dr. Maria Klatte NR. 20 MRZ/2013 Landesschulamt und Lehrkräfteakademie

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hÖREn ALLEInE gEnÜgT nIchT, um zuhÖREnzu BEwäLTIgEnInterview mitProf. Dr. maria klatte

NR. 20 MRZ/2013

Landesschulamt und Lehrkräfteakademie

hessischeskultusministerium

Landesschulamt undLehrkräfteakademie

Kirchgasse 265185 Wiesbaden

www.lsa.hessen.de

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EDITORIAL

DAs unTERschäTzTE RIsIkO

Liebe Leserinnen und Leser,

„Frei von Belästigungen zu leben, ist ein anerkannter sozialer Wert“, so das Umweltbundesamt. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit ist sogar ein Grundrecht, das auf Bildung ein Menschen-recht. Demgegenüber stehen schockierende Zahlen: 45.000 gesunde Lebensjahre von europäischen Kindern gehen jährlich verloren, weil sie kognitive Störungen haben, 903.000 Lebensjahre pro Jahr sind beeinträchtigt durch Schlafstörungen und 61.000 gesunde Lebensjahre gehen EU Bürgern in jedem Jahr durch koronare Herzerkrankungen verloren. Die Ursache: Lärm.

Der menschliche Organismus ist darauf ausgerichtet, Schall zu empfangen, sonst könnte er nur schwer kommunizieren, interagieren, ein soziales Wesen sein. Wir orientieren uns mit seiner Hilfe und werden durch ihn auch gewarnt. Schall in Form von Sprachsignalen ist wesentlicher Bestandteil des Unterrichts-geschehens. Aber Schall bedeutet auch Störgeräusche, Beeinträchtigungen, Lärmbelastung. Und so sind Stress, Lern- und Konzentrationsprobleme, Herz-Kreislauferkrankungen und ganz aktuell erforscht – auch genetische Veränderungen – nur einige Schattenseiten unerwünschter Schallerlebnisse.

Lärm ist nicht nur für die Gesundheit, sondern auch für die Schule und den Lernerfolg der Schülerin-nen und Schüler ein wichtiges Thema. Denn er behindert massiv Kommunikations- und Behaltens-leistungen. Lautes Reden, verzerrte Sprache, Nachhall, Verständnisschwierigkeiten, Abriss von Gedanken ketten, … ein unwillkommenes Kommunikationsinferno.

Die Problematik, die sich jetzt ihren Weg in das Bewusstsein und die Öffentlichkeit bahnt, ist lange Zeit unterschätzt worden. Welche Auswirkungen die Lärmproblematik auf Lernprozesse, das Arbeits klima und Wohlbefinden hat, erfahren Sie im Leitartikel und Interview. Darüber hinaus bieten wir Ihnen ein kleines Methodenrepertoire zur Lernprozessbegleitung, spannende Einblicke in die Kompetenz-orientierung und in formative Diagnosekompetenzen sowie Ausblicke auf das Abitur.

Die Redaktion der BILDung bewegt wünscht Ihnen ruhige, konzentrierte Lern- und Leseumge-bungen. Grüßen Sie Ihr Gehör!

sabine stahlChefredakteurin

2 BILDung bewegt NR. 20 MRZ/2013

TERmInhInwEIsE

Veranstaltungen im April 2013

26. – Jahrestagung der Deutschen gesellschaft27. für soziale Arbeit (DgsA) Wahrnehmen, Analysieren, Intervenieren. Zugän-

ge zu sozialen Wirklichkeiten Ort: FH Frankfurt am Main nähere Informationen: www.fh-frankfurt.de/de/

fachbereiche/fb4/aktuelles_und_termine/veran-staltungen/dgsa2013.html

27. JuBi – Die Jugendbildungsmesse: messe für schüleraustausch, high school, sprachreisen, Praktika, Au-Pair, work & Travel und Freiwilligendienste

Ort: Wilhelmsgymnasium Kassel nähere Informationen:

http://www.weltweiser.de/jugendbildungsmes-sen/kassel-schueleraustausch-hessen.htm

Veranstaltungen im mai 2013

03. – studyworld 201304. 8. Internationale Messe für Studium, Praktikum,

Jobeinstieg und Weiterbildung Ort: Russisches Haus der Wissenschaft und Kultur, Berlin nähere Informationen: www.studyworld2013.com

22. – Aktionstage24. „Biodiversität im Opel-zoo erleben“

Ort: Opel Zoo, Kronberg nähere Informationen: www.uni-frankfurt.de

27. – „Frischen wind in mInT“ –29. Impulse aus Europa für den mathematisch-natur-

wissenschaftlichen unterricht Ort: Herrenkrug Parkhotel, Magdeburg nähere Informationen: www.kmk-pad.org/nc/aktuelles/termine.html

ADREssEn & AnsPREchPARTnER

Landesschulamt und LehrkräfteakademieHauptsitz: Kirchgasse 2, 65185 [email protected] Tel.: +49 (0) 611 368 2657

Präsident des LsAJörg Meyer-ScholtenTel. + 49 (0) 611 368 2657

Abteilung zZentrale Dienste und ServiceleistungenJoachim Schmidt Tel. +49 (0) 611 368 2659

Abteilung ISchulaufsicht und SchulberatungDr. Marion Steudel Tel. +49 (0) 611 368 2204

Abteilung IIAkademie für Lehrerbildung und PersonalentwicklungFrank SauerlandTel. +49 (0) 69 38989 300

Abteilung IIIQualitätsentwicklung und EvaluationBernd SchreierTel. +49 (0) 611 5827 400

Die Tagungseinrichtungen Rhein-main-gebietErwin-Stein-HausStuttgarter Straße 18 – 2460329 FrankfurtTel. + 49 (0) 69 38989 330

nordhessen/Reinhardswaldschule Rothwestener Straße 2 – 1434233 FuldatalTel. + 49 (0) 561 8101 0

mittelhessen/weilburgFrankfurter Straße 20 – 2235781 WeilburgTel. + 49 (0) 6471 3281 00

ImPREssum

herausgeber: Landesschulamt und Lehrkräfteakademie

gesamtverantwortung: Sabine Stahl

Redaktion: Sandra Buschmüller, Sabine Stahl

Lektorat: Ingrid Walther, KonTeXt Textgestaltung und Lektorat

Layout und gestaltung: www.sixfeetone.de, Frankfurt/Main

Druck und Verarbeitung: Druckerei Hesse, Fuldabrück

mediadaten und Anzeigenannahme: Kerstin Rheingans

Erscheinungsweise: vierteljährlich

Auflage: 6000

Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe: 15. April 2013

Landesschulamt und Lehrkräfteakademiestuttgarter straße 18 – 2460329 Frankfurt

[email protected]

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EDIToRIAL

Das unterschätzte Risiko ........................................................ 2

LEITARTIKEL

LernENDE für Lernende?........................................................ 4Wie Lärm unsere Lernfähigkeit beeinträchtigt

NAChGEFRAGT

hören alleine genügt nicht,um zuhören zu bewältigen ...................................................10interview mit Prof. Dr. Maria klatte

BILDUNG IM BLICK

Ein Methodenrepertoirezur Lernprozessbegleitung ..................................................15

Was ist guter Unterricht? ......................................................18

Kein Abitur „light“ .................................................................21

Lernaufgaben im Politikunterricht ......................................24

ERFoRSChT UND ENTWICKELT

Förderung der formativen Diagnose-kompetenz von Lehramtsstudierenden .............................26

PINBoARD ............................................................ 29

ADRESSEN & ANSPREChPARTNER .................... 31IMPRESSUM

INhALT

Landesschulamt und Lehrkräfteakademie

26 FÖRDERUNG DERFoRMATIVENDIAGNoSEKoMPETENZVoN LEhRAMTS-STUDIERENDEN

10 hÖREN ALLEINEGENüGT NIChT,UM ZUhÖRENZU BEWäLTIGENInterview mitProf. Dr. Maria Klatte

4 LERNENDE FüR LERNENDE?Wie Lärm unsere Lernfähigkeitbeeinträchtigt

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LEITARTIKEL

LERNENDE FüRLERNENDE?WIE LäRM UNSERE LERNFähIGKEITBEEINTRäChTIGT

4 BILDUNG BEWEGT NR. 20 MRZ/2013

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LEITARTIKEL

haline ist 7 Jahre alt. Sie ist eine kleine Grundschülerin. Lern­technisch befi ndet sich die

Zweitklässlerin in einer hoch sensib­len Phase des Schriftspracherwerbs, den Fachexperten den Aufbau der phono logischen Bewusstheit nennen. Er ist wichtige Voraussetzung dafür, die Schriftsprache zu erwerben. Damit Haline gut lernen kann, sollte sie aus­geschlafen und nicht gestresst sein. Und sie muss – viel banaler – erst ein­mal akustisch hören können, was ihre Grundschullehrerin spricht.

Schulisches Lernen basiert in we­sentlichen Teilen auf der mündlichen kommunikation. rein statistisch ge­sehen verbringen Schulkinder rund drei Viertel ihrer Schulstunden mit Zu­hören. Haline schaut noch einmal auf Frau Müller. Aber die Worte der Lehr­kraft verschwinden in einem Worttep­pich. Haline fühlt sich nicht angespro­chen und nicht mitgenommen. Der Lärm stört sie. Sie schaltet ab. Nicht so ihre Mitschülerinnen und Mitschü­ler. Die haben inzwischen auf anderes umgeschaltet. Sie sind unkonzentriert und beschäftigen sich mit allerlei un­terrichtsfremden Dingen. Unterdes­sen steigt der Lärmpegel sekündlich und erreicht in dieser Schulstunde schließlich einen Spitzenpegel von rund 80 dB  (A). im Büro oder an in­dustriellen Arbeitsplätzen müssten die Schulkinder und Frau Müller laut Arbeitsschutzgesetz jetzt bald Gehör­schutz tragen.

Sinkende Lernleistung undverringerte LebenserwartungLehrerin Müller stört der Lärm. Ständig muss sie alles wiederholen. Sie merkt, dass sie wegen der Störgeräusche zunehmend einfache Satzkonstruktio­

nen, eingeschränktes Vokabular und eine eintönigere Sprache verwendet. Sie weiß, dass damit wichtige Elemen­te für den Spracherwerbsprozess der Schülerinnen und Schüler verloren gehen. Besonderheiten wie beispiels­weise die Betonung oder der Sprach­rhythmus (SPrENG 1998). Der Lärm stört das Nachdenken und Zuhören. Er schränkt die konzentrationsfähigkeit ein und beeinträchtigt wesentliche Lernprozesse der kinder. Verlärmung gilt daher als eine Ursache für Sprach­ und allgemeine Entwicklungsstörun­gen von klein­ und Schulkindern. Die

erschreckenden Ergebnisse einer von der EU koordinierten internationalen Studie zeigen zudem auf, dass Lärm auch erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Er verursacht Be­lästigungen, führt zu Schlafunterbre­chungen und ist Ursache zahlreicher Erkrankungen wie Herzinfarkte, Lern­störungen und Tinnitus (WHO 2011).

Die steigende Lärmbelastung im häuslichen Bereich, in der Schule und an anderen Orten wird immer mehr zu einem Hemmfaktor für das Lernen und Durchführen komplexer Leistungen. Lernbeeinträchtigungen und negati­ve Wirkungen auf geistige Tätigkeiten lassen sich dabei schon bei geringen Lärmpegeln feststellen. So merkten sich Grundschülerinnen und Grund­schüler im Vergleich zu einer ruhigen

Lernumgebung rund 30 % weniger, wenn sie unregelmäßigen Hintergrund­geräuschen ausgesetzt waren. Unter schlechter Akustik und Lärm leiden die kommunikation, die konzentration und letztlich die Lernerfolge. Dabei sind gerade „Vorschul­ und Schulkinder (…) auf optimale Hörbedingungen ange­wiesen, um sprachliche informationen verstehen und mental verarbeiten zu können“ (EBErLE 2007, S. 5).

Je jünger die kinder sind, desto mehr schränken Hintergrund­ und Stör­geräusche deren Verstehensleistungen ein. Grundschul­ oder Vorschulkinder

sind daher am stärksten betroffen. Sie lassen sich durch laute, unbekannte oder unerwartet eintretende Geräu­sche sehr leicht von ihrer aktuellen Tä­tigkeit ablenken. ihre Aufmerksamkeit verringert sich, mancher Denkvorgang wird unterbrochen, ganze Gedanken­ketten reißen ab (kLATTE/LAcHMANN 2009). Die Folge: Lernleistungen sin­ken. könnten wir bei internationalen Vergleichsstudien mal eben an die in­ternationale Spitze anknüpfen, indem wir einfach für ruhige Lern­ und Le­bensumwelten sorgten?

Studien der Psychologin klatte zei­gen, dass sich Sprachverständnisleis­tungen unter guten akustischen Bedin­gungen deutlich verbessern können. Je nach Untersuchungsdesign stellte die Forscherin bei Grundschul kindern der ersten und dritten klasse satte 10–25 % Verbesserung in der Sprach­verständnisleistung fest, wenn die kinder in akustisch günstigen räu­men unterrichtet wurden (kLATTE et al 2010).

Haline sitzt mit weit geöffneten Augen in ihrem Klassenzimmer und blickt auf die Lippen ihrer Lehrerin. Sie dreht den Kopf nach rechts, fokussiert ihr klei-nes Ohr in die Richtung, aus der die Stimme klingt. Haline sieht, wie sich dieLippen der Lehrerin bewegen. Haline ist nicht taub. Sie ist kerngesund, aber sieerfasst mitunter nur Wortfetzen. Hintergrundgeräusche und Nachhall im Klassen-raum haben sich zu einer Geräuschwolke verdichtet, in der Halines Ohren nachOrientierung suchen. Haline möchte verstehen, was ihre Lehrerin – Frau Müller –sagt, aber es geht fast nicht. Haline sitzt in der Mitte des Raumes.

Schulisches Lernen basiert in wesentlichen Teilen auf der mündlichen Kommunikation. Rein statistisch gesehen ver-bringen Schulkinder rund drei Viertel ihrer Schulstundenmit Zuhören.

Je jünger die Kinder sind, desto mehr schränken Hinter-grund- und Störgeräusche deren Verstehensleistungen ein.

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LEITARTIKEL

Lärm ist jedoch alles andere als eine günstige Bedingung. Er ist ein Stressfaktor, der lernpsychologische und physiologische Auswirkungen hat und darüber hinaus die Emotionalität und das Sozialverhalten beeinflusst. Seine Wirkungen reichen zeitlich über die eigentliche Expositions phase – also jene Zeit, die eine Person dem Schallereignis direkt ausgesetzt ist – hinaus. Das Hessische Landesamt für Umwelt und Geologie führte schon 2007 in einer Druckschrift zum The­ma Lärmminderung in Schulen aus: „Andauernder Stress kann langfristig zu Gesundheitsschäden führen (…). Das gilt insbesondere für Menschen, die sowohl am Arbeitsplatz als auch zu Hause dem Lärm ausgesetzt sind“ (kLATTE/ScHick 2007, S. 15). ins­be sondere dann, wenn dieser als unausweichlich oder unkontrollierbar erfahren wird, verstärkt sich sein krank­mach endes Moment.

Grundschullehrerin Müller wohnt im gleichen Stadtviertel, in dem auch ihre Schule liegt. Zu dem Geräuschpe­gel des normalen Schulalltags, den sie in ihren 29 Unterrichtsstunden jede Woche erlebt, kommt der verkehrs­bedingte Lärm hinzu. Die Lehrerin ist müde. ihr fehlen Erholungszeiten in der Stille – am Tag und in der Nacht. Sie lebt in einer sie permanent umge­benden Geräuschwelt.

„Lärmbelastung ist nicht nur ein ärgerliches  Umweltproblem, sondern eine echte Bedrohung für die öffent­liche Gesundheit“, sagt Zsuzsanna Jakab von der WHO. Die Leiterin der Europa­Abteilung kann die Sorgen von Lehrerin Müller mit harten Fak­ten unterlegen. Lärmbedingt gehen jährlich 45.000 gesunde Lebensjahre von europäischen kindern verloren, weil sie kognitive Störungen haben. 903.000 Lebensjahre pro Jahr sind durch Schlafstörungen beeinträch­tigt und 61.000 gesunde Lebensjahre gehen den Bürgerinnen und Bürgern der EU im Durchschnitt pro Jahr ver­loren, weil sie durch den Verkehrslärm an Herzerkrankungen wie Herzinfarkt, Angina pectoris, Herzinsuffizienz oder Herzrhythmusstörungen leiden.

Was schallt denn da?Schall durchdringt den Alltag. Er ist allgegenwärtig. in seiner positiven Wirkung ist er Medium und Voraus­setzung für wesentliche Teile unserer kommunikation und damit entschei­dendes Mittel zur Entfaltung der Per­sönlichkeit und Auseinandersetzung mit unserer Umwelt. Schall hilft bei

der Orientierung, und er kann le­bensrettendes Warnsignal sein. Der Erlanger Professor für Physiologie und Biokybernetik, Manfred Spreng, hält das Hören und Sprechen für die mit Abstand dynamischste und kom­plexeste Leistung der menschlichen informationsverarbeitung überhaupt. Der Erlanger ist überzeugt, dass die­se Leistungen die der visuellen Wahr­nehmung deutlich übertreffen. Das Gehör sei eben empfindlicher und schneller. Es kann Schwankungen in der Frequenz und Amplitude nicht nur bei Silben oder Worten erkennen. Es kann sogar Zeitstrukturen auflösen und verarbeiten, die akustisch deut­

lich kürzer und so klein sind, dass man sie im Sprachfluss kaum wahrnimmt. Genau diese Fähigkeit erlaubt es dem Menschen überhaupt erst, Geräusche als Sprache zu identifizieren. Eine fas­zinierende Leistung.

Zugleich können Schallereignisse aber auch Belastung bedeuten. Aus Schall wird Lärm, wenn er bewusst oder unbewusst stört. in vielen Schu­len dröhnt es in den Fluren, Turnhallen, klassenräumen, sogar in Mensen oder cafeterien. im Unterricht wurden da­bei Schallpegel gemessen, bei denen konzentriertes Arbeiten, Lernen und störungsfreie kommunikation nicht mehr möglich sind. Je nach Lernpha­se und Unterrichtssituation lagen sie zwischen 60 und 77 dB (A). Solche Ge­räuschpegel werden von vielen Lehr­kräften als Lärmstress empfunden, was den Weg zum Burnout, zu psychoso­matischen Beschwerden bis hin zum Herzinfarkt ebnet. Wie marternd die „Hörumwelt Schule“ sein kann, zeigen Befragungen von Lehrkräften, wonach sich mehr als 80 % aller interviewten durch Lärm in der Schule belästigt und belastet fühlen ( kLATTE/ScHick 2007). Lehrkräfte oder Erzieh erinnen und Erzieher gewöhnen sich auch nicht an ihn. im Gegenteil: Mit fortschreiten­dem Dienstalter wird er als noch be­lastender empfunden ( kLATTE/LAcH­MANN 2009).

Dies spiegelt sich auch im kranken­stand wider. Und es hat ungünstige Folgen für das Arbeitsklima und so­

ziale Miteinander, da lernhinderliche Atmosphären entstehen können, die durch „Unlust und Anspannung“ ge­kennzeichnet sind (EBErLE 2007, S. 5). Nach Selbsteinschätzung der Lehr­kräfte wirkt sich die Lärmbelastung auf ihre Geduld im Umgang mit kindern aus. Und nicht wenige Lehrerinnen und Lehrer sehen eine Ursache für Un­ruhe und hohe Geräuschpegel in ihrer eigenen Durchsetzungsfähigkeit , so leidet auch noch das Selbstwirksam­keitsbild der Pädagoginnen und Päd­agogen.

Es wundert daher nicht, dass die Lärmproblematik bislang vorwiegend unter dem Aspekt der Lehrergesund­

heit und Arbeitsbelastung betrachtet wurde. Aber auch Schülerinnen und Schüler sind gestresst und werden in ihrem Wohlbefinden eingeschränkt. Sie fühlen sich wegen des Lärms im Schulraum häufig zu Unrecht getadelt. ihnen wird mangelndes Bemühen um ruhe vorgeworfen, dabei kann in akustisch schlechten räumen auch bei leisem Verhalten der kinder nicht wirk­lich ruhe eintreten. Hohe Geräusch­pegel behindern ihre kommunikation, beeinträchtigen ihre Lernfähigkeit und stören die Aufmerksamkeit. Denkpro­zesse werden unfreiwillig unterbro­chen, die Behaltensleistung vermin­dert sich. Die physiologischen und psychischen Folgen von Lärm treffen kinder sogar noch stärker als Erwach­sene und sie äußern sich in messbaren körperlichen reaktionen.1

Lombard und der RaumEine Ursache für hohe Geräuschpegel in Schulen liegt in der schlechten Akus­tik vieler klassenzimmer. Größe und Schnitt, akustische Eigenschaften der Flächen, die den raum begrenzen, ja sogar Möbel und Einrichtungsgegen­stände nehmen hierauf Einfluss. Mes­sungen des Hessischen Landesamtes für Umwelt und Geologie zeigten, dass der richtwert für Nachhallzeiten in vielen Schulräumen und kinderta­gesstätten weit überschritten wurde. Auch Untersuchungsergebnisse der Unfallkasse Hessen in Unterrichtsräu­men, Fluren, Turnhallen verschiedener

Hohe Geräuschpegel behindern ihre Kommunikation, be- einträchtigen ihre Lernfähigkeit und stören die Aufmerk- samkeit. Denkprozesse werden unfreiwillig unterbrochen, die Behaltensleistung vermindert sich.

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LEITARTIKEL

Schulen und Schulformen in Südhes­sen legten offen, dass zumindest noch im Jahr 2007 bei jedem dritten klas­senraum die akustischen Verhältnisse unzureichend waren (kLATTE/ScHick 2007, S. 16; ScHMiTZ 2007, S. 42).

Erstaunlicherweise trägt neben den räumlichen Voraussetzungen aber auch die veränderte Unterrichtskultur zum Anstieg des Geräusch pegels bei. Denn Formen der Gruppen­ und Frei­arbeitsphasen, in denen sich Schüle­rinnen und Schüler Arbeitsmaterialien holen, miteinander in kleingruppen ar­beiten und diskutieren, werden inzwi­schen häufiger eingesetzt. Bei diesen Arbeitsformen entsteht automa tisch mehr Lärm als beim konzentrierten Le­sen.

in einer klasse herrschen fast im­mer Geräusche – Stühle werden ge­rückt, Seiten raschelnd umgeblättert, es wird gesprochen, mit den Füßen gescharrt, einfach nur geatmet oder geseufzt. Selbst während bilateraler Gespräche zwischen Lehrkraft und Schulkind herrscht selten komplette Stille in der klasse. Speziell in räu­men mit schlechter Akustik werden die Gespräche der Nachbarn von den Schülern als Störgeräusch empfunden. Sie sprechen dann ihrerseits lauter, bis sie das Gefühl haben, sich selbst wie­der gut zu hören. Dies wiederum ani­miert die Nachbarn, noch lauter zu re­den. Der Beginn einer Lärmspirale, die darin gipfelt, dass jedes kind das an­dere übertönen will. Dieser sogenann­te Lombard­Effekt führt dazu, dass sich der Geräuschpegel im klassenzimmer immer weiter nach oben schraubt, ein typisches Phänomen, wenn Gruppen in räumen mit großem Nachhalleffekt zusammentreffen. Wer je in der Sixtini­schen kapelle war, kann bei den gro­

ßen Besuchergruppen beobachten, wie die Stille zunächst einem leisen Flüstern Einzelner weicht, dem sich weitere anschließen, bis es schließlich in eine normale Gesprächslautstärke Vieler mündet, die immer weiter bis zum Lärm anschwillt.

Hier kann eine bessere raumakus­tik, in der die tatsächliche Schallab­sorption ausreichend hoch ist, abhel­

fen. Sie wirkt sich gleich in mehreren Dimensionen positiv auf den Schallpe­gel aus, denn die geringere Lautstärke führt bei den kindern insgesamt zu einem leiseren Verhalten.

Wenn Lernumwelten Lärmumwelten sindLehrkräfte wünschen sich, nachhaltig, nicht aber nachhallend zu arbeiten. Wenn das Echo von Stimmen und anderen Geräuschen im klassenraum lange nachwandert, potenziert sich der Lärm, wodurch sich die Verständi­gung rapide verschlechtert. Eine wich­tige kenngröße, an der die akustische Qualität von räumen gemessen wird, ist die sogenannte Nachhallzeit. Sie gibt an, wie viele Sekunden ein Schall­ereignis nachklingt. Wenn der Pfiff einer Trillerpfeife in einer Turnhalle noch nachhallt, obgleich der Sportleh­rer die Pfeife schon wieder aus dem Mund genommen hat, ist dies unzu­reichend. Bereits bei Nachhallzeiten von über einer Sekunde entstehen Schwierigkeiten in der sprachlichen Verständigung. Nachfolgende Silben werden überdeckt, das Sprachsignal wird verzerrt und die Sprachverständ­lichkeit verschlechtert sich. Das Um­weltbundesamt empfiehlt daher je nach raumcharakteristik Nachhallzei­ten von 0,5 bis 0,8 Sekunden.

Eine zweite kenngröße ist der Schall pegel. Arbeitsschutzmedi ziner haben sich mit gutem Grund für gerin­ge Schallpegel ausgesprochen, wenn geistig anspruchsvolle oder kreative Tätigkeiten geleistet werden müssen. Bereits vor 17 Jahren empfahlen sie 35–45 dB (A). Solche Werte werden im Unterricht höchstens während Still­arbeitsphasen erreicht. in anderen Arbeitsphasen kommt es zu Schall­

pegeln, die im Sport oder Musikunter­richt schon mal 85 dB (A) mit Spitzen bis zu 110 dB (A) erreichen können.

Neben richtwerten zu Nachhall­zeit und Schallpegeln gibt es noch einen dritten relevanten Begriff, den sogenannten Signal­rausch­Abstand. Er beschreibt den Schallpegelunter­schied zwischen einem Nutz­ und einem Störsignal. Der Abstand soll

mindestens 15 dB  (A) betragen. Wie können wir uns dies konkret vorstel­len? Wenn eine Lehrkraft im Unter­richt mit normal lauter Stimme etwas erklärt, dann liegt ihr Sprachpegel durchschnittlich bei 50 dB (A). Störge­räusche wie Verkehrslärm oder Hin­tergrundpegel wie Schülerschwätzen sollten dann nicht lauter als 35 dB (A) sein. Dann wäre der minimal gefor­derte Signal­rausch­Abstand von 15 dB  (A) eingehalten, die Verständlich­keit der Sprache gesichert.

Wie helfen diese Erkenntnisse den Lehrkräften? Sie können gezielt da­rauf hinwirken, in wichtigen Lern­ und konzentrationsphasen zumindest jene Lärmquellen, die sie beeinflussen können, zu minimieren. Sie können sich überlegen, in welchen Phasen sie eher lärmintensivere Gruppenarbeit einsetzen und in welchen besser nicht. Sie können dem instinktiven Verhal­ten, schlechterer Sprachverständlich­keit zu begegnen, in­dem sie einfach lauter sprechen, aktiv ent­gegenwirken. Denn wenn eine Lehrkraft einfach lauter spricht, um ihre Verständlich­keit zu verbessern, wer­den zwar die Anteile des nutzenden Schalls größer, aber es wird eben auch der Nachhall stärker, „so dass schließlich die Gesamt situation lauter, aber eben nicht besser wird“ (ScHMiTZ 2007, S. 33). Zudem leiden bei lauter Sprech­weise auf Dauer die Stimmbänder.

Lehrkräfte können auch aufklären, welchen Einfluss Lärm auf die Befind­lichkeit, das Leistungsvermögen und Lernklima hat. kinder und Eltern soll­ten sensibilisiert werden, wo immer möglich, für eine ruhige Arbeits­ und Lernatmosphäre zu sorgen. im Grun­de geht es darum, „einen achtsamen und verantwortungsbewussten Um­gang mit dem eigenen Gehör und dem anderer zu vermitteln“ (EBErLE 2007, S. 5).

Be, he, de oder was?Sprechen, Lesen oder eine Fremd­sprache erlernen stellen hoch­komplexe Leis tungen dar. Wenn Hinter grund ge räusche oder Nach hall zu ­ sammen wirken, können Worte aller­dings nur schwer erkannt werden. Was tun kinder, um sich zu helfen? Sie han­deln wie Haline, indem sie zunächst versuchen, Hintergrundgeräusche ak­tiv auszublenden und fehlende infor­mationen zu ergänzen.

Schall ist allgegenwärtig. In seiner positiven Wirkung ist er Medium und Voraussetzung für wesentliche Teile unserer Kom-munikation und damit entscheidendes Mittel zur Entfaltung der Persönlichkeit und Auseinandersetzung mit unserer Umwelt.

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Um Silben wie be von he oder de unterscheiden zu können, muss Ha­line ungemein schnell ablaufende Frequen zänderungen im Sprachsignal erkennen und auswerten. Nur dann kann sie Silben auseinander halten.

Die kleinste linguistische Einheit, die zur Unterscheidung zweier ge­sprochener Silben notwendig ist, wird ein Phonem genannt. Phoneme set­zen sich aus einer konsonant­Vokal­ bzw. Vokal­konsonant­Folge zusam­men. Schnelle Sprecher können bei maximaler Sprechgeschwindigkeit bis zu 15 solcher Phoneme pro Sekunde erzeugen. innerhalb von nur einer Se­kunde muss also eine immense Men­ge und Abfolge von Vokalen und kon­sonanten identifiziert und eingeordnet werden. Eine irrwitzige Leistung.

Sprache kann nur dann verstan­den werden, wenn ein Zuhörer über referenzmuster verfügt, mit deren Hilfe er den Sprachfluss gliedern und in Segmente zerlegen kann. Was also geschieht in Halines Ohr und Gehirn, wenn sie die Silbe be identifiziert? Zunächst erkennt und dekodiert ihr Gehör den Geräuschblock des konsonan ten innerhalb von nur 20 bis 400 Millisekunden. Der Buchstabe b unserer Beispielsilbe erzeugt ein so­genanntes Plosivgeräusch, ähnlich wie der Buchstabe p. Jeder konsonant bil­det unterschiedliche Geräuschblöcke. Es folgt ein geräuschloses intervall von 30–80 Millisekunden Dauer, das Halines Gehör relativ genau ausmes­sen muss. Den anschließenden Vo­kallaut e muss sie dann in rund 300 Millisekunden auf seine Frequenz hin analysieren. Und schon hat Haline die Silbes be gehört. Je nach kombi­nation eines konsonanten mit einem Vokal und je nach Stellung innerhalb der Silbe liegen physikalisch andere Schallgemische vor. Dies stellt sehr hohe Anforderungen an das auditive Wahrnehmungssystem.

Grundschülerin Haline muss nicht nur schnell erkennen, um welche kon­sonant­Vokal­Folge es sich handelt, sie muss auch auf solche Merkmale achten, die in ihrer Muttersprache re­levant sind und sich bei der Analyse auf genau diese konzentrieren. Man spricht von der „kategorialen Wahr­nehmung von Sprachlauten“ (SPrENG 1998).

Die Zweitklässlerin muss audi­tiv und kognitiv in extrem kurzer Zeit enorme Datenmengen reduzieren. ihr Gehör arbeitet bei der Spracher­kennung als hochparalleles System. Bereits zu Beginn eines Wortes eröff­

net sich eine große Anzahl möglicher Bedeutungskandidaten, die alle mit einer ähnlichen akustischen Folge anfangen. Je länger das akustische Signal dauert, desto mehr Variablen fallen heraus, bis schließlich ein kandi­dat, also ein Wort, übrigbleibt. in einer

störungsfreien Umgebung erkennen wir Worte daher häufig bereits, bevor das Wort tatsächlich beendet ist. Um­gekehrt liegt es auf der Hand, dass Störgeräusche diesen Verarbeitungs­prozess beeinträchtigen. Die reduk­tionsmechanismen bleiben quasi in ihrer ersten Stufe hängen, die schnelle Auswahl entfällt. Es folgt ein zeitlich und für die konzentration aufwändi­ges Memorieren nach dem Wortende.

Phonetische kategorien werden bereits im Säuglingsalter erworben, und zwar einfach, indem ein kind die Muttersprache hört. Das Fine­Tuning dieser Fähigkeit reicht allerdings bis weit in die Schulzeit hinein. Und weil dieser Prozess erst spät abgeschlos­sen ist, fällt es Grundschulkindern wie Haline im Vergleich zu älteren kindern schwerer, ähnlich klingende Laute zu unterscheiden und zu erkennen. Wenn Laute lärmbedingt dann auch noch unvoll ständig, verzerrt oder überlagert wahrgenommen werden, ist eine Erkennung für junge Zuhörer fast unmöglich. Wer die Silben schon nicht richtig versteht, hat mit der Wor­terkennung naturgemäß auch größere Probleme. Und da kinder Wortreprä­sen tationen im Langzeitgedächtnis anders ab speichern als Erwachsene und ihr kurzzeitgedächtnis noch nicht ausgereift ist, führen bereits kleine Lü­cken beim in put dazu, dass ein Wort nicht mehr erkannt werden kann. „kin­der können ähnlich klingende Wörter, auch auf Grund ihres noch nicht voll ausge prägten akustischen Gedächt­nisses bereits bei solchen Sprach­pegeln nicht mehr unterscheiden, die beim Erwachsenen keine Minderung der Sprachverständlichkeit bewirken“ (UBA 1985, S. 97).

Speicher überlastet – das LernENDE für LernendeSchule und Unterricht stellen tagtäg­lich viel höhere Anforderungen, als

nur Silben zu erkennen. Schülerinnen und Schüler müssen komplexe infor­mationen korrekt wahrnehmen, ab­speichern und in Beziehung zu bereits vorhandenem Wissen setzen. Eine unglaubliche Anstrengung und Belas­tung für das Arbeitsgedächtnis. Wenn

Haline nun nicht nur ständig hinhor­chen, sondern auch noch mit großer Anstrengung Hintergrundgeräusche ausblenden muss, ermüdet sie schnel­ler. Selbst wenn es ihr gerade noch gelingt, einzelne Silben und Worte fehlerfrei zu verstehen, schafft sie es nicht mehr, die gehörte information auch zu behalten, geschweige denn sie zu verarbeiten. Speicher überlas­tet, Schriftspracherwerb adé.

Stellen wir uns vor, Haline soll ei­nen längeren, komplex gebauten Satz behalten. Dann muss sie den Anfang des Satzes im kurzzeitgedächtnis ver­fügbar halten, um ihm mit dem Satz­ende in Beziehung setzen zu können. Wem dies zunächst banal vorkommt, der möge sich beispielsweise mit Texten aus der Soziologie auseinan­dersetzen, in denen ein einziger Satz gerne einmal eine ganze Seite füllen kann. Jeder wird Halines Schwierig­keiten sofort verstehen. Dieses Ver­fügbarhalten von inhalten im kurzzeit­gedächtnis setzt Aufmerksamkeit und geringe Ablenkbarkeit voraus. Genau diese Fähigkeit wird jedoch durch Lärm massiv beeinträchtigt.

Eine reduzierte Leistungsfähigkeit des kurzzeitgedächtnisses wirkt sich in allen Fächern aus. Beispiel Mathema­tik: Wenn Haline eine kopfrechenauf­gabe lösen will, muss sie Operatoren und auch Teilergebnisse im kurzzeit­gedächtnis vorhalten, um diese für weitere rechenoperationen nutzen zu können. Es gilt: Je mehr informati­onen im Gedächtnis behalten werden müssen, je höher die Anforderungen an kontinuierliche konzentration und Aufmerksamkeit, je mehr geistige Operationen wie Schlussfolgern, re­chenoperationen durchführen vollzo­gen werden müssen, desto größer ist der Grad der komplexität (vgl. SUST 1996, S. 4). Umso stärker ist dann auch das Störpotenzial von Lärm und die damit verknüpfte Wahrscheinlich­

LEITARTIKEL

Sprache kann nur dann verstanden werden, wenn ein Zuhörer über Referenzmuster verfügt, mit deren Hilfe er den Sprach-fluss gliedern und in Segmente zerlegen kann.

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keit, Stressreaktionen hervorzurufen. Schlechtere Behaltensleistungen sind kein Problem des Spracherwerbs allei­ne. Nur sind die Auswirkungen beim Spracherwerb so gravierend, weil Sprache Grundvoraussetzung für alle anderen Fächer ist.

Ausreichend Schlaf: bester Partner für Lernerfolg und GesundheitFür den Lernerfolg und die Gesund­heit hat auch der ungestörte Schlaf be­sondere Bedeutung. Unser Gehör ist ein hochsensibles Sinnesinstrument, besonders in der Nacht. Ungewohnte, plötzliche Geräusche besitzen großen informationsgehalt und führen ähn­lich wie Geräusche mit hoher subjek­tiver Bedeutung bereits bei niedrigen Schallpegeln zum Aufwachen, selbst in Tiefschlafphasen.

Auch wenn es zu keinem subjektiv wahrgenommenen Aufwachen kommt, beeinträchtigen schon geringe Schall pegel die Schlaftiefe. Was die Evolution einst als sinnvolles Warn­system etabliert hat, verkehrt sich in der modernen geräuschintensiven Gegenwart leicht in einen Nachteil. Die Ausschüttung von cortisol oder Adrenalin kann Leben retten, wenn eine Fluchtreaktion gefragt ist. Mehr­fach im Schlaf, in der Nacht ausge­schüttet, ist sie jedoch kontraproduktiv und gefährlich. „im Schlaf zeigen (…) auch diejenigen Personen vegetative Veränderungen (Herzfrequenz, Blut­druck) als reaktion auf einzelne Schal­lereignisse, die am nächsten Morgen sagen, der Lärm hätte sie nicht gestört – und das auch, wenn sie schon viele Jahre in einer lauten Umgebung woh­nen“ (BABiScH 2011, S. 29).

Der Zusammenhang zwischen Schlafmangel und gesundheitlichen Problemen beschäftigt die Wissen­schaft schon geraume Zeit. Viele Forscher sehen in andauerndem Schlafmangel eine Ursache für Lern­schwierigkeiten, Übergewicht oder Herz­kreislauf­Erkrankungen. in den vergangenen Wochen hat die The­matik noch eine neue Dramatik erhal­ten. Britische Forscher haben nämlich festgestellt, dass bereits eine Woche Schlafmangel ausreicht, um die Akti­vität hunderter Gene zu beeinflussen. in der Fachzeitschrift PNAS berichte­ten sie, dass sieben Nächte mit ma­ximal sechs Stunden Schlaf direkte Auswirkungen auf die Aktivität von 711 Genen, also rund 3,1 Prozent der menschlichen Erbsubstanz, hatten. Be­troffen „waren Erbgutsequenzen, die für Entzündungen, immun­ und Stress­

reaktionen im körper verantwortlich sind“ (dpa). Zudem wurden Gene beeinflusst, die im Normalfall einem Tag­Nacht­rhythmus unterliegen und zum Beispiel den Stoffwechsel steu­ern. im Vergleich zu achteinhalb Stun­den Schlaf führten also maximal sechs Stunden Schlaf pro Nacht bereits zu den beobachteten genetischen Ver­änderungen sowie zur Verringerung der Aufmerksamkeit und Leistungsfä­higkeit.

Wenn Schlafmangel entsteht, weil Störgeräusche den Schlafrhythmus ungewollt durcheinanderschütteln, die Tiefschlafzeit zwangsweise verkürzen, bewusste oder unbewusste Auf wach­reaktionen hervorrufen, wirkt dies auch am Tage nach: in Form von Müdig keit, Lern­ und konzentrationspro blemen, in der Beein trächtigung der Arbeitseffek­tivität, des subjektiven Befindens und sozialen Verhaltens. Dies sollte Anlass sein nachzudenken.

Der Wunsch, allen Schülerinnen und Schülern einen möglichst großen individuellen Lernerfolg zu ermög­lichen, und die damit verbundene Diskussion um die Bildungs­ und Un­terrichtsqualität, darf angesichts zahl­reicher empirischer Daten um eine weitere komponente ergänzt werden: die Betrachtung der akustischen Lern­ und Lebensumwelten der Schülerin­nen und Schüler.

SABINE STAhL

LEITARTIKEL

Literatur

BABiScH, W.: Quantifizierung des Einflusses von Lärm auf Lebensqualität und Gesundheit, Sonderdruck aus: UMiD: Umwelt und Mensch – informationsdienst, 01/2011, S. 28 – 36, Um­weltbundesamt Berlin

BUNDESMiNiSTEriUM FÜr UMWELT, NATUr­ ScHUTZ UND rEAkTOrSicHErHEiT: Lärm­wirkung, Stand: April 2008

EBErLE, W.: Lärmminderung in Schulen, in: Umwelt und Geologie, Lärmschutz in Hessen Heft 4, Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie, 2. Aufl. Wiesbaden 2007, S. 5

kLATTE, M.: Wirkungen von Lärm und Nach­hall auf das vorschulische Lernen: Erkenntnis­se aus der Psychoakustik, Universität Olden­burg, institut für Psychologie ; Manuskript (o.J.)

kLATTE, M.; HELLBrÜck, J; SEiDEL, J; LEiST­NEr, P.: Effects of classroom acoustics on performance and well­being in elementary school children: A field study. Environment & Behavior 42 (5) S. 659 – 692, 2010

kLATTE, M., LAcHMANN, T.: Viel Lärm ums Lernen: Akustische Bedingungen in klassen­räumen und ihre Bedeutung für den Unter­richt; erschienene in: Arnold, r., Schüßler, i., & Müller, H.J. (Hg) (2009). Grenzgänge(r) der Pädagogik. Festschrift für Joachim Münch. Battmannsweiler: schneider Verlag Hohen­gehren. S.141–156.

kLATTE, M.; ScHick, A.: Lärmminderung in Schulen, in: Umwelt und Geologie, Lärm­schutz in Hessen Heft 4, Hessisches Landes­amt für Umwelt und Geologie, 2. Aufl. Wies­baden 2007

rEGiErUNGSPräSiDiUM DArMSTADT: Ent­wurf Lärmaktionsplan, 3.9.2012

rOckEL, A.: Lärmforscher der Uni Bremen fordern: bessere raumakustik in Schulen, 15.04.2005, 15:16, Fachbereich Human­ und Gesundheitswissenschaften, institut für inter­disziplinäre Schulforschung (iSF) (Pressestelle Uni Bremen)

ScHMiTZ: Lärmminderung in Schulen, in: Umwelt und Geologie, Lärmschutz in Hessen Heft 4, Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie, 2. Aufl. Wiesbaden 2007, S. 42

ScHULTE VON DrAcH, M.  c.: Wie laut ist welcher Lärm? 17.05.2010, 21:44, www.sued­deutsche.de

SPrENG, Dr. M.: Physiologische Grundlagen der kindlichen Hörentwicklung und Hörerzie­hung, institut für Physiologie i, Arbeitsgruppe Biokybernetik, Universität Erlangen, www.schulinfos.de/.../Horen_beim_kind_Spreng_Universitat_Erlang. (1998)

SPrENG, Dr. M.: Lärm und seine Auswir­kungen auf die Wahrnehmung und Sprach­entwicklung, www.audiva.de/fileadmin/downloads/.../k8_spreng_laerm_ata3.pdf, (Erscheinungsjahr unbekannt)

SUST, cH. A.: Auswirkungen von Geräuschen mittlerer intensität auf Büro­ und Verwaltungs­aufgaben, Arbeitswissenschaftliche Erkennt­nisse Nr. 101, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund 1996

UMWELTBUNDESAMT (1985): Die Beein­trächtigung der kommunikation durch Lärm, interdisziplinärer Arbeitskreis für Lärmwir­kungsfragen beim Umweltbundesamt, Berlin; erschienen in: Zeitschrift für Lärmbekämp­fung 32, S. 95–99, Springer­Verlag

WELTGESUNDHEiTSOrGANiSATiON: WHO­Studie: Lärm zweitgrößtes Gesundheitsrisiko (2011)

WELTGESUNDHEiTSOrGANiSATiON: WHO präsentiert neue Erkenntnisse zu Gesund­heitsfolgen von Verkehrslärm. Weltgesund­heitsorganisation, regionalbüro für Europa, 30.03.2011, Bonn und kopenhagen

WELTGESUNDHEiTSOrGANiSATiON: WHO­Bericht für Europa: Lärm raubt jährlich eine Million Lebensjahre, in: N. Weber, Spiegel Online, 31.03.2011

Erläuterungen 1 Nach Angaben des Umweltbundesamtes

können bereits geringe Lärmpegel ab 25 dB zu konzentrations­ oder Schlafstörungen hervorrufen. Dauerbelastungen können zu einem erhöhten Gesundheitsrisiko führen. Nachgewiesen wurden änderungen in Stoff­wechsel und Hormonhaushalt, änderung der Gehirnstromaktivität, aber auch schlech­ter Schlaf und Stresssymptome wie Hormon­ausschüttung.

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NAChGEFRAGT

Die Fähigkeit zur zwischenmensch-lichen Kommunikation ist eine der komplexesten und dynamischsten Leistungen menschlicher Informati-onsverarbeitung. Wie funktioniert das Zusammenspiel von Sprechen, hör-verstehen und komplexen Denk- und Lernleistungen?

Klatte: Das Hörverstehen – oder bes­ser – das Zuhörenkönnen ist eine ganz wesentliche Voraussetzung, damit inhalte überhaupt gelernt werden können. Denn die Menge der Wis­sensinhalte, die über mündliche kom­munikation vermittelt wird, ist sehr groß. Zuhören beschreibt eine sehr spezielle Art der informationsverar­beitung, die weit über das Hören hin­ausreicht. Hören alleine genügt nicht, um Zuhören zu bewältigen. Denn ein­gehende informationen müssen erst einmal decodiert und der sprachliche input muss analysiert werden – phono­logisch, semantisch und syntaktisch. Auf Basis dieser Analyse wird eine mentale repräsentation oder ein Situ­ationsmodell der Bedeutung konstru­iert. Das Modell wird dann fortlaufend auf der Grundlage der neu eingehen­den informationen aktualisiert.

Ein Zuhörer greift dabei immer auf bereits vorhandenes Wissen im Langzeitgedächtnis, das sogenannte

Vorwissen, zurück und bindet es mit ein. Denn Hörverstehen ist eng mit Schlussfolgern verbunden. Vieles, was explizit gar nicht mitgesagt wird, muss vom Zuhörer ergänzt oder erschlossen

werden. Wenn jemand zum Beispiel hört: „Herr Müller fährt in die Stadt zur Bank“, dann schlussfolgert die Person, dass Herr Müller Geldgeschäfte zu erledigen hat, und nicht, dass er eine Parkbank aufsucht.

Die kognitiven Anforderungen sind beim Zu hören ähnlich hoch wie beim Lesen. Allerdings besitzt das Le­sen eines Textes gewisse Vor teile, weil der Leser sein Tempo selbst bestim­men, Abschnitte wiederholen oder eine Pause machen kann, um zu reflek­tieren oder unbekannte Wörter nach­zuschlagen. Beim Zuhören geht das alles nicht, weil sich der Zuhörer dem Tempo des Sprechers anpassen muss.

Er hat in der regel keine Möglich keit, das zu beeinflussen. Ent weder er kann mithalten oder eben nicht. Zuhören ist eine sehr hohe kognitive Anforde­rung.

Welchen Einfluss haben äußere Rah-menbedingungen auf diesen diffizi-len Prozess und wie sehen optimale akustische Bedingungen in Lernum-welten aus?

Klatte: Wenn die Aufnahme münd­licher information bereits dadurch erschwert wird, dass Störgeräusche vorhanden sind, wird der komplette Prozess des Zuhörens unnötig schwer. Ein Zuhörer muss deutlich mehr men­tale kapazität aufwenden, ja sogar verschwenden, damit er die informati­on überhaupt erst einmal decodieren kann. Er wird gezwungen, mehr Hörar­beit zu leisten. Diese Mehrarbeit geht

HöREN ALLEINE GENüGT NIcHT, UM ZUHöREN ZU BEWäLTIGENinterview mit Prof. Dr. Maria klatte

apl. Prof. Dr. Maria Klatte ist seit 2008 am Lehrstuhl Kognitions- und Entwicklungspsychologie der TU Kaisers-lautern tätig. Ihre Schwerpunkte in der Lehre liegen in der

Ausbildung von Lehramtsstudierenden in den Bereichen Entwicklungs- und Pädagogische Psychologie und in der

Betreuung des weiterbildenden Fernstudiengangs „Psychologie kindlicher Lern- und Entwicklungsauffällig-

keiten“. In der Forschung befasst sie sich mit kognitiver Entwicklung und Lernstörungen bei Kindern und den

Wirkungen von Lärm auf geistige Leistungen.

Wenn die Aufnahme mündlicher Information bereits da-durch erschwert wird, dass Störgeräusche vorhanden sind, wird der komplette Prozess des Zuhörens unnötig schwer. Ein Zuhörer muss deutlich mehr mentale Kapazität auf-wenden, ja sogar verschwenden, damit er die Information überhaupt erst einmal decodieren kann.

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NAChGEFRAGT

dabei auf kosten der zentralen Verar­beitungsprozesse.

Man kann das experimentell sehr deutlich zeigen. Versuchspersonen werden Zuhöraufgaben gestellt, bei denen sie umfassende informationen verarbeiten müssen. Sie sollen lan­ge, komplexe Sätze verstehen oder mehrteilige mündliche Anweisungen ausführen. Dabei wird die Quali tät der Hörbedingungen variiert, indem zum Beispiel leise Störgeräusche einge­spielt werden. Oder es werden in­formationen in einem halligen raum gegeben, so dass die Sprache an klar­heit verliert. Obwohl die Probanden das Gesprochene noch verstehen, also wahrnehmen können, schneiden sie bei den kognitiven Anforderungen schlechter ab. Sie können das Ge­sagte zwar noch hören, aber es nicht mehr so gut verarbeiten, weil für den Hörvorgang selbst zu viel kapazität aufgewendet werden muss.

in einer Studie mit Grundschulkin­dern konnten wir zeigen, dass diese Effekte massiv sind. Obwohl kinder in der akustischen Situation eines halli­gen raums mit leisen Störgeräuschen Wörter noch gut verstehen konnten, waren sie nicht mehr in der Lage, komplexe Anweisungen auszuführen. Es zeigten sich sehr starke Störeffekte.Wenn eine Lehrkraft bei ihren Schüle­rinnen und Schülern im Unter richt also nachfragt, ob diese sie verstehen kön­nen, und die kinder antworten, dass sie sie verstehen, dann reicht das nicht aus. Denn Schülerinnen und Schüler bemerken die Beeinträchtigung durch schlechte akustische Bedingungen selbst oft nicht!

Wir haben sie nach ihrer Selbstein­schätzung befragt, ob sie sich durch Störgeräusche beim Bearbeiten einer Aufgabe zum Wortverstehen beein­trächtigt gefühlt hätten. Die Antworten lauteten: „Nö, hat mich nicht gestört.“ Oder: „Hat mich ein bisschen gestört.“ Bei der Betrachtung der tatsächlich er­brachten Leistungen der Schülerinnen

und Schüler erschrickt man, wie stark sie tatsächlich gestört wurden, obwohl es ihnen selbst nicht in dieser Form bewusst war.

Ist es nicht denkbar, dass Vokale oder Konsonanten lärmbedingt nicht nur schlecht gehört, sondern ähnlich lau-tende Wörter wie See, Fee und Zeh erst gar nicht verstanden werden? Und welche Folgen hat dies?

Klatte: in einer Studie haben wir die akustischen Bedingungen in verschie­denen Grundschulklassenräumen in einem Seminarraum simuliert und da­bei geprüft, wie sich die Halligkeit des raumes je nach Position des Sitzplat­zes im klassenraum auswirkt.

Die Ergebnisse zeigen, dass gera­de jüngere kinder, die in einem hal­lenden raum in den letzten reihen sitzen, massive Probleme haben, über­haupt noch etwas zu verstehen. Die Wirkung raumakustischer Bedingun­

gen hängt auch vom Alter ab. Bei jün­geren kindern ist die Wirkung stärker als bei älteren oder bei Erwachsenen. Sie können Störgeräusche insgesamt besser kompensieren als kinder.

Zum anderen ist es bedeutsam, an welcher Stelle sich die Lernenden befinden – ob sie vorne, in der Mit­te oder ganz hinten im raum sitzen. Der Einfluss des Sitzplatzes ist dabei in akustisch schlechten räumen grö­ßer, während er in gut gebauten räu­men nicht ganz so bedeutend ist. in einem raumakustisch gut gebauten

raum können kinder an jedem Sitz­platz das Ge sprochene noch ganz gut verstehen. Aber in einem akustisch schlecht gebauten raum macht es ei­nen erheb lichen Unterschied, wo der Zuhörer sitzt.

Deswegen rate ich Lehrkräften in Fortbildungen immer, dass sie sehr genau darauf achten sollen, wo sie ihre Schülerinnen und Schüler plat­zieren. Lernschwächere kinder sollen vorne sitzen.

Aber das ist doch nur eine Umvertei-lung des Problems. Gute oder durch-schnittliche Schülerinnen und Schüler werden doch benachteiligt, indem sie in die hinteren Sitzreihen verbannt werden?

Klatte: Ja, natürlich. Aber aus Studien ist bekannt, dass lernschwache Schü­lerinnen und Schüler in schwierigen Hörsituationen noch größere Prob­leme beim Zuhören und Sprachver­

stehen haben. Sie werden besonders stark durch ungünstige Hörbedingun­gen beeinträchtigt, auch wenn ihr pe­ripheres Hörvermögen völlig normal ist. Und diese Problematik gilt auch für kinder mit Lernschwächen, mit spe­zifischen Entwicklungsstörungen wie Lese­rechtschreib­Störung, Sprach­entwicklungsstörung oder einer Auf­merksamkeitsstörung. Und natürlich sind auch kinder, die nicht in ihrer Muttersprache unterrichtet werden, erheblich betroffen.

Wenn inmitten von Störgeräuschen Sprache verstanden wer-den soll, muss der Zuhörer zwischen dem relevanten Signal – also dem Sprachsignal – und dem nicht relevanten Signal, wie Störgeräusche oder Lärmhintergrund, trennen können. Eine Geräuschquelle muss also bewusst beachtet, eine andere ignoriert und ausblendet werden.

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NAChGEFRAGT

Warum können Erwachsene mit Stör- geräuschen besser umgehen als Kin-der?

Klatte: Das hat verschiedene Gründe, die mit der Entwicklung zusammen­hängen. Zum einen sind Erwachsene routinierte Sprachversteher. Sie ha­ben mehr Zeit zum Üben gehabt und ihr Wissen über Sprache, über deren Lautstruktur und die Grammatik ist sehr robust. Dieses Wissen nutzen sie, um Lücken im sprachlichen input zu ergänzen. in einer akustisch ungünsti­gen Situation kommt der sprachliche input nur lückenhaft an. Die kunst des geübten Zuhörers besteht darin, sol­che Lücken zu ergänzen, damit er in­haltlich folgen kann. Dieses Auffüllen der nicht übertragenen information gelingt Erwachsenen quasi automa­tisch. Sie ergänzen einfach auf Grund ihres sprachlichen Wissens.

kindern fällt es schwer, ein Wort zu rekonstruieren, wenn darin eine Lü­cke enthalten ist. Neben dem Wissen über Sprache trägt auch die Entwick­lung der Aufmerksamkeit mit dazu bei. Wenn inmitten von Störgeräuschen Sprache verstanden werden soll, muss der Zuhörer zwischen dem relevan­ten Signal – also dem Sprachsignal – und dem nicht relevanten Signal, wie Störge räusche oder Lärmhintergrund, trennen können. Eine Geräusch quelle muss also bewusst beachtet, eine an­dere ignoriert und ausgeblendet wer­den.

Wir nennen diese Form der Auf­merksamkeitssteuerung selektive Auf­merksamkeit. Sie stellt eine bedeuten­de geistige Fähigkeit dar, die sich noch bis ins späte Jugendalter hinein wei­terentwickelt. Deshalb können kinder im klein kind­, Vorschul­ und Grund­schulalter ihre Aufmerksam keit noch nicht so kontrolliert steuern, um ein relevantes Signal zu beachten und ein unwichtiges auszublenden. Man kann auch sagen, sie sind leichter ablenk­bar.

Auch wenn Erwachsene versiertere Zuhörer und Sprachversteher sind, treffen Störgeräusche und Lärmbe-lastungen Klein und Groß doch glei-chermaßen. Welche physiologischen, lernpsychologischen und medizini-schen Folgen entstehen durch hohe Lärmbelastung?

Klatte: Lärm ist ein ganz wesentlicher Belastungsfaktor für Lehrkräfte und Erzieherinnen und Erzieher. in diesen Berufsgruppen ist insbesondere der innenlärm in räumen, der durch die

Aktivitäten der kinder entsteht, einer der wesentlichen Belastungsfaktoren. Auch wenn es schwerfällt, direkte kau­sale Beziehungen wie beispielsweise zwischen der Frühpensionierung von Lehrkräften und der Lärmbelastung nachzuweisen, gehen wir davon aus, dass der Lärm hierzu einen großen Beitrag leistet.

Wenn es laut wird, zeigt der kör­per physiologische Stressreaktionen. Forscher aus Bremen, die sich intensiv mit der Lehrergesundheit und dem Einfluss von Lärm beschäftigt haben, konnten bei Lehrkräften lärmbedingt direkte physiologische konsequenzen beobachten. Die Herzfrequenz korre­liert hoch mit dem Lärmpegel im klas­senraum.

Eine andere Frage betrifft chroni­sche Lärmwirkungen. Wenn eine Per­son über lange Zeit einer hohen Lärm­belastung, sei es durch Verkehrslärm oder Fluglärm, ausgesetzt ist, hat sie ein höheres krankheitsrisiko, wie Bluthoch druck, kreislauferkrank ungen, erhöhter Medikamentenverbrauch. Er­wachsenenstudien geben uns deutli­che Hinweise, dass Lärm hier eine rolle spielt.

Werden verschiedene Lärmwirkun-gen differenziert?

Klatte: Bei Lärmwirkungen unterschei­den wir verschiedene Ausprägungen, aurale und extraaurale. Aurale Wir­kungen sind Beeinträchtigungen des Hörvermögens als Folge anhaltender starker Lärmbelastung, die über Jahre hinweg das Ohr direkt trifft. Eine Fol­ge starker Lärmbelastung kann Lärm­schwerhörigkeit sein. Mit extraauralen Wirkungen des Lärms werden alle Auswirkungen beschrieben, die nicht

das Ohr und das Hörvermögen selbst betreffen. Lärm interferiert dabei mit geplanten Aktivitäten und stört diese. Aktivitäten, wie sich beispielsweise un­gestört bei offenem Fenster unterhal­ten zu können oder in der Schule zu unterrichten.

Die Lärmbelastung wirkt sich da­bei unter anderem auf die geistige Leistungsfähigkeit aus. Ein Beispiel: in einem akustisch schlecht geplan­ten Großraumbüro sind Beschäftigte kontinuierlich gezwungen, die Ge­spräche der kollegen mitanzuhören. Sie haben keine Möglichkeit, sich ab­zuschotten. Das geht auf kosten der Leistungsfähigkeit. Zahlreiche Untersu­chungen darüber zeigen, wie negativ sich Lärm auf die Bearbeitung kognitiv anspruchsvoller Aufgaben auswirkt. Bestimmte Hintergrundgeräusche kön­nen dabei schon erhebliche Störwirk­ung entfalten, selbst wenn sie nur Zimmerlautstärke von 55 dB aufwei­sen. Die Ursache liegt darin, dass die­se Geräusche stark mit bestimmten kognitiven Prozessen interferieren. Eine Person nimmt oft gar nicht be­wusst wahr, wie sehr ihre Leistungsfä­higkeit durch den Lärm gestört wird.

Wenn es laut wird, zeigt der Körper physiologische Stressreaktionen.

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NAChGEFRAGT

insbesondere das kurzzeitgedächt­nis ist sehr lärmanfällig. Es wird durch sprachliche oder sprachähnliche Hin­tergrundgeräusche massiv gestört, Behaltensprozesse lassen nach.

Woran liegt das?

Klatte: Dazu gibt es verschiedene Theorien. Eine besagt, dass sprachli­che oder sprachähnliche Geräusche direkt und automatisch – ohne dass wir etwas dagegen tun können – in unser sprachliches kurzzeitgedächtnis eindringen und sich mit den Behal­tensprozessen überlagern, diese Pro­zesse also beeinträchtigen. Andere, gleich laute oder sogar lautere Geräu­sche, wie ruhige instrumentalmusik, stören dagegen nicht. Der eigentliche Haupteinflussfaktor bei Lärmstörun­gen in Bezug auf geistige Leistungen ist also das charakteristikum und die Qualität der Geräusche selbst.

Bei der Betrachtung von Lärmwir­kungen müssen verschiedene Ebenen auseinandergehalten werden. Lärm kann nicht nur das kurzzeitgedächtnis stören, sondern auch die Aufmerk­

samkeit ablenken. Es gibt dabei Ge­räusche, auf die ein Mensch unwill­kürlich reagiert, weil sie besonders prägnant oder bedeutsam sind. Wenn jemand meinen Namen ruft, dann spreche ich darauf direkt an. Das kann ich nicht verhindern. Auch gefährlich wirkenden, lauten oder ungewöhn­lichen Geräuschen wenden wir uns automatisch zu. Evolutionär handelt es sich um Schutzreaktionen. Stellen Sie sich vor, Sie gehen im Wald spazie­ren und in ihrer Nähe knackt es. Dann sind Sie sofort voll konzentriert und

aufmerksam auf dieses Geräusch, weil es möglicherweise eine Gefahr für Sie bedeuten könnte.

Wiederum andere Geräusche, wie das gleichmäßige rauschen von re­gen, werden schnell nicht mehr wahr­genommen. An kontinuierliche Ge­räusche kann ein Mensch habituieren. in der Folge tritt das Schallereignis in den Hintergrund der Wahrnehmung. Menschen lernen relativ schnell, dass gleichmäßige, vorhersehbare Laute keine Bedeutung für sie haben. Auf ein plötzlich eintretendes Geräusch hingegen, das sie nicht einordnen können, reagieren sie automatisch und unwillkürlich. Dabei wird die Auf­merksamkeit von der aktuellen Tätig­keit abgezogen.

Was geschieht dabei physiologisch im Körper?

Klatte: Physiologisch handelt es sich um eine Stressreaktion. Der körper schaltet auf kampf oder Flucht. Solche physiologischen Veränderungen sind nachweisbar.

haben Sie schon einmal Studien durch-geführt, in denen Sie das Abschnei-den der Schülerinnen und Schüler bei Vergleichsstudien wie PISA oder IGLU in Korrelation zu den akustischen Rahmen bedingung en von Schule und Lernumfeld gesetzt haben?

Klatte: Die in PiSA oder iGLU gemes­senen Schulleistungen werden von vielen Faktoren beeinflusst, insbeson­dere von Vorwissen, Begabung und Motivation der kinder, der Qualität des Unterrichts und dem familiären

Umfeld. Die Akustik in klassenräumen spielt im Vergleich hierzu sicherlich eine untergeordnete rolle. Wir haben aber einmal eine Studie durchgeführt, in der Zweitklässler miteinander ver­glichen wurden, die in akustisch un­terschiedlich guten klassenräumen unterrichtet wurden. in der Studie gab es klassenräume, die der geltenden DiN­Norm entsprachen, also raum­akustisch günstig waren, und in denen es kurze Nachhallzeiten und kaum Lärm von außen gab. Auf der ande­ren Seite gab es raumakustisch sehr schlechte räume, die lange Nach­hallzeiten aufwiesen. Diese räume klingen sehr unangenehm und hallig, weswegen die Sprache schlechter zu verstehen ist. Dazu muss ich erläutern, dass durch den Nachhall nicht nur die Sprachverständlichkeit im raum, sondern auch der innenlärmpegel ansteigt, da jedes Geräusch, das im raum entsteht, länger im raum nach­klingt. Dadurch kommt es zu einem Anstieg des Geräuschpegels. in klas­senräumen herrscht grundsätzlich ein gewisser Hintergrundgeräuschpegel. Außerdem reden alle Personen im raum lauter, weil jeder versucht, den Lärmpegel zu übertönen, um für die anderen verständlich zu sein.

Die kinder aus diesen unterschied­lich guten klassenräumen wurden im rahmen der Studie über die Lärmbe­lastung im Unterricht befragt. Die Fra­gen zielten in die richtung, ob es wäh­rend der Stillarbeit wirklich still sei, ob Mitschüler häufig sehr laut seien oder die Lehrkraft die Jugendlichen oft er­mahnt, leiser zu sein. Parallel haben wir Eltern befragt, ob sich ihr kind zuhause über den Lärm in der Schu­le beschwert. kinder klagen darüber eher bei den Eltern als bei Lehrkräften. Es wurde sehr deutlich, dass die kin­der aus akustisch ungünstigen räu­men tatsächlich stärker unter dem Lärm leiden. Sie beurteilen das Wohl­befinden in der Schule schlechter und bewerten beispielsweise auch das

Zahlreiche Untersuchungen darüber zeigen, wie negativ sich Lärm auf die Bearbeitung kognitiv anspruchsvoller Aufgaben auswirkt.

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soziale Miteinander mit klassenkame­raden weniger positiv als kinder aus akustisch günstigen klassen. Wir hat­ten vorher methodisch ausgeschlos­sen, dass die Unterschiede zwischen den Antworten etwas mit der sozialen Zusammensetzung der klassen, dem Migrationshintergrund, Sprachkennt­nissen oder dem Sozialstatus der Fa­milien zu tun haben könnten. Das deu­tet darauf hin, dass die Antworten mit der ständig einwirkenden Belastung durch den Lärm zusammenhängen.

… und Studien im Zusammenhang mit der Messung von Schülerleistun-gen …

Klatte: in London wurde eine Studie durchgeführt, in der die Verkehrslärm­belastung der kinder an den Schul­standorten in Beziehung zu deren Lernergebnissen gesetzt wurde. Es zeigten sich signifikante Zusammen­hänge, dass kinder, die stärker lärm­belastet sind, in den Schulleistungs­tests nicht ganz so gut abschneiden. Uns sind verschiedene Studien be­kannt, die zwar nicht direkt die Akustik der Schulen und die bauliche Gestal­tung in den Blick genommen haben, sondern die Gesamtbelastung durch Verkehrslärm, der auf kinder einwirkt. Die rANcH­Studie – sie ist die mit Abstand methodisch beste und um­fassendste Studie zur Wirkung von Fluglärm auf kinder – hat gezeigt, dass die Leseleistungen der Schülerinnen und Schüler umso schlechter waren, je mehr Fluglärm es in der Lern­ und Wohnumwelt der kinder gab.

Was können Lehrkräfte und Lernen-de tun, um den Lärmpegel zu verrin-gern? Wie können sie sich schützen?

Klatte: in einem akustisch miserabel gebauten klassenraum gibt es außer der fachgerechten installation einer Akustikdecke kaum Möglichkeiten, dies auszugleichen. Ein wenig Milder­

ung kann mit Hilfe kleiner Maßnah­men erreicht werden, in dem zum Bei­spiel möglichst viel Dämmmaterial in den klassenraum gebracht wird: eine couch, Schränke mit Türen, regale mit Büchern, große möglichst dicke korkpinnwände helfen bei der Schall­absorption. Auch die klassenführung hat Einfluss. Studien von Tiesler und kollegen zeigen, dass ein konse­quentes Sozialtraining von der ersten klasse an – kommunikationsregeln, die von Beginn an eingeübt werden, und die konsequente Umsetzung die­ser regeln durch alle Lehrkräfte – bei den kindern ein Grundverständnis des sozialen Mit einanders erwirkt, was den Lärmpegel im Unterricht deutlich redu ziert.

Auch sollten Lehrkräfte in spe­zifischen Lernsituationen, in denen bestimmte kognitive Leistungen er­bracht werden sollen, die durch Lärm in besonderem Maße gestört werden, auf stille Umgebungsbedingungen und entsprechende Lernatmosphäre achten. Wir wissen, dass kurzzeitge­dächtnisprozesse durch sprachliche Hintergrundgeräusche massiv beein­trächtigt werden. Wenn ein kind, dem das Lesen­ und Schreibenlernen schwerfällt, lautierendes Lesen prak­tiziert, bedeutet dies eine extreme Belastung des kurzzeitgedächtnisses. Jeder Buchstabe muss in einen Laut umgewandelt, der nächste dazuge­fügt und im kurzzeitgedächtnis behal­ten werden, um die Laute letztlich zu einem vollständigen Wort zusammen­zuziehen. in solchen Phasen ist es sehr

ungünstig, wenn sich parallel dazu Tischnachbarn unterhalten.

Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass viele gute Materialien für kindergärten und Grundschulen zum Thema Lärm und Hören existie­ren. Und auch Unterrichtsprojekte können kinder für das Thema sensibi­lisieren. Wenn eine Lehrkraft Schüle­rinnen und Schüler dafür begeistern kann, wie faszinierend und sensibel das Gehör ist und wie Hören funktio­niert, dann betreibt sie im besten Sin­ne Prävention durch Faszination.

Hörspaziergänge sind ein gutes praktisches Beispiel, sie beeindrucken kinder und Jugendliche. Gehen Sie einmal mit verbundenen Augen durch ihre Schule und erfassen zum Beispiel

die Akustik der Turnhalle. Der Hörein­druck ist komplett anders, als wenn er mit dem visuellen Eindruck verbun­den ist. Erst dann merken viele, wie laut und bedrohlich Lärm sein kann.

Das Interview für „BILDUNG BEWEGT“ führten

SABINE STAhL und SANDRA BUSChMüLLER

(Foto: zur Verfügung gestellt von Maria klatte)

NAChGEFRAGT

Gehen Sie einmal mit verbundenen Augen durch Ihre Schu-le und erfassen zum Beispiel die Akustik der Turnhalle. Der Höreindruck ist komplett anders, als wenn er mit dem visuellen Eindruck verbunden ist. Erst dann merken viele, wie laut und bedrohlich Lärm sein kann.

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üBERSIChT üBERDIAGNoSEMÖGLIChKEITEN

EIN METhoDEN-REPERToIRE ZURLERNPRoZESS-BEGLEITUNG

Erweiterte Formen der Leistungsbe-urteilung im Kontext veränderten („neuen“?) Lernens.Erweiterte Formen der Diagnose und Beurteilung „fremdsprachlicher Handlungsfähigkeit“ sind unerlässlich geworden, seit das Lernen im Fach Englisch auf veränderten Wegen ge­schieht. Aus den teachees vergange­ner Tage, den Objekten des Be­Leh­rens, wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten zunehmend selbstständi­ge learners, die das verfügbare Lern­material sowie Lernhilfen des Lehrers verarbeiten und so ihr Wissen individu­ell „konstruieren“. ihre kompetenzent­wicklung kennzeichnet sie als Subjekte des Handelns. ihr Lernprozess vollzieht sich als komplexes Geschehen im Wechselspiel von persönlich­affek­tiver, sozial­kommunikativer, kognitiv­strate gischer und inhaltlich­fachlicher Dimen sion des Lernens.

Gleichzeitig gewann die rolle der Lehrperson eine veränderte Qualität. Diese ist nicht mehr sage on the stage (= „der weise Mensch auf der Bühne“), sondern eher the guide on the side(= „Orientierung Bietender an der Sei­

te des Lernenden“). Er unterstützt den Lernenden als Lerncoach, learning fa-cilitator oder learning activator (= „die Person, die Lernfortschritte erleichtert bzw. anstößt“). Dies schließt nicht aus, dass die Lehrperson an geeigneten Stellen des Unterrichts („teachable mo-ments“) Phasen mit direkter instruktion gestaltet oder als Expertin ihres Faches das gewünschte Lernverhalten der Schülerinnen und Schüler beispielhaft modelliert (Apprenticeship Learning).

Mit der wachsenden Einsicht in die komplexität des Lehr­ und Lerngesche­hens im Englischunterricht wuchsen auch die Ansprüche an die diagnos­tischen Qualitäten der Lehrkräfte. To understand in only one way is not to understand („Auf eine einzige Weise zu verstehen bedeutet nicht zu verste­hen.“), so ist es auf der Homepage ei­nes amerikanischen instituts zu lesen, das instrumente des Beurteilens und Bewertens im Unterricht entwickelt. Was bedeutet dieser Slogan für die Be­mühungen der Unterrichtenden, sich einen Einblick in den Lernstand ihrer Schüler im Fach Englisch zu verschaf­fen?

Von der Notwendigkeit einesdifferenzierten Blicks auf Schüler-leistungenJeder Praktiker weiß, dass es keinen königsweg gibt, der als Grundlage für das Feststellen, Beurteilen oder Bewerten jeglicher Art von Schüler­leistung im Englischunterricht dienen könnte. „Es wäre falsch, anzunehmen, dass ein bestimmter Ansatz (etwa eine zentrale Prüfung) in ihrem didakti­schen Wert notwendigerweise einem anderen Ansatz (etwa der Beurteilung durch Lehrende) überlegen ist“, so formulieren es die Verfasser des Ge­meinsamen Europäischen referenz­rahmens für Sprachen.

Dies gilt im Detail auch für einzel­ne Verfahren der Leistungserfassung, seien es herkömmliche oder innova­tive instrumente. So eignen sich kate­gorien für die Auswertung eines Mul­tiple­choice­Tests zum Leseverstehen nicht dazu, um etwa Sprachbewusst­heit oder interkulturelle kompetenz zu erfassen. Die Methode des Markierens sprachlicher regelverstöße mit dem rotstift ist denkbar ungeeignet, um lernförderliche impulse für den Verfas­

Internationale Schulleistungsstudien der vergangenen Jahre haben die Verbesserung der diagnos-tischen Kompetenz der Lehrkräfte als ein Entwicklungsfeld ausgewiesen. Im Folgenden wird ein Me-thodenrepertoire für den Englischunterricht vorgestellt, das Lehrkräften vielfältige Einblicke in indivi-duelle Lernprozesse mit dem Ziel des Beurteilens und Förderns erlaubt. Zugleich wird der Stellenwert dieses Repertoires zwischen Kompetenzorientierung und Leistungsbewertung beleuchtet.

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ser eines Lernerportfolios oder eines Lernjournals setzen zu können.

Gefragt ist daher eine ganze Palette von instrumenten, die erst in ihrem Zusammenspiel ein abgerundetes Bild des Lernenden im Fach Englisch ent­stehen lassen.

Im Spannungsfeld von Kompetenzentwicklung und LeistungsbewertungDiagnose und Beurteilung von Schü­lerleistungen stellen Englischkollegen vor eine anspruchsvolle Aufgabe. Es gilt, sich im Spannungsfeld teilweise widerstreitender Prinzipien zu bewe­gen.

Leitend ist zum einen der Grund­satz der individuellen Förderung jedes Schülers mit dem Ziel einer möglichst umfassenden kompetenz­entwicklung. Lernstandserhebungen geschehen unter dieser Prämisse mit diagnostischer Zielstellung. Sie wei­sen Bereiche aus, in denen Schüler weiterer Unterstützung bedürfen. Die zugeordneten formativen (förderori­entierten) Verfahren folgen den dia­gnostischen Prinzipien des Beobach­tens, Befragens, Untersuchens. Sie richten sich positiv auf die Stärken, nicht auf die Defizite des Lernen­den. Sie vollziehen sich fortlaufend, „unterwegs“ im Lernprozess, sind offen für reflexion und dienen der Optimierung von Lern­ und Lehrpro­zessen. Differenzierte rückmeldung der Unterrichtenden macht Schülern Mut zum weiteren Beschreiten des einmal eingeschlagenen Lernweges bzw. zu notwendigen kurskorrektu­ren. Schüler orientierte Leistungsbeur­teilung dient zugleich dazu, den Schü­ler zu fordern. Sie trägt dazu bei, dass er sein Potenzial weiter entfaltet und nach der Lehre des russischen Lern­psychologen Vygotsky die nächste Stu­fe seiner Lernentwicklung (zone of pro-ximal development) erreicht. Zugleich werden Schüler systematisch befähigt, ihr Lernen zunehmend selbstständig zu reflektieren.

Die gebräuchliche englische Be­zeichnung für formative Verfahren lau­tet Assessment (von ad + sedere, zur Seite sitzen, assistieren), häufig auch

Assessment for learning. Die idee der Lernprozessbegleitung wird so leicht nachvollziehbar.

Alle neuen Lehrpläne sind auf die vorab beschriebene Entwicklung von Lernerkompetenz ausgerichtet. Sie stellen kontrolle und Bewertung in

den kontext des kompetenzmodells. Sie signalisieren, dass ein mehrdimen­sionaler Lernprozess mehrdimensio­nale Formen von kontrolle und Bewer­tung erfordert.

Neben vielfältigen Bemühungen um eine neue Lern­ und Evaluations­kultur vollzieht sich Leistungsbewer­tung im Englischunterricht weiterhin im rahmen tradierter schulischer No­tengebung. Diese zieht am Ende einer Lerneinheit, eines Unterrichtsjahres etc. die Summe des Gelernten (sum­mative Verfahren), nimmt vorrangig Lernergebnisse statt Lernprozesse in den Blick. Leistungsmessung in Tests und klassenarbeiten bewegt sich in der regel innerhalb einer Ziffernfolge. Dies entspricht der Grundbedeutung des englischen Begriffs evaluation als normbezogene Festlegung des Wer­tes (engl.: value) einer Leistung. Sum­mative Verfahren begründen schuli­sche Selektionsprozesse und dienen der Zertifizierung von Leistungen auf Schulzeugnissen. Sie besitzen daher ihren Stellenwert als Vergleichs­ und kontrollinstrumente im rahmen schu­lischer Qualitätssicherung.

Der kompromiss zwischen forma­tiven und summativen Verfahren wird in einem Blick auf Schülerleistungen gesehen, der die Einschätzung der in­dividuellen Lernleistung nach genera­lisierten Leistungsnormen akzeptiert, zugleich aber der Entfaltung der in­dividualität rechnung trägt. Leistung

im Englischunterricht ist prozess­ und produktorientiert, sie entsteht beim individuellen und sozialen Lernen, setzt ermutigendes und anstrengen­des Lernen voraus. Die Diagnose und Beurteilung dieser Leistung muss da­her ebenso differenziert ausfallen.

Einsatzmöglichkeiten des förder-diagnostischen RepertoiresDas in der Folge in seinen einzelnen Bausteinen vorgestellte Verfahrensre­pertoire verbindet „weiche“, d. h. nicht quantifizierbare Verfahren, mit soge­nannten „harten“ instrumenten der Leistungsmessung. Es bezieht Verfah­ren der Fremdbeurteilung ebenso ein wie Verfahren der Selbsteinschätzung oder der Beurteilung durch Lernpart­ner.

• Zu den sogenannten „weichen“ instrumenten zählen der Fragebo­gen, das interview, der pädagogi­sche Briefdialog.

• Zu den sogenannten „harten“ instrumenten der Leistungsmes­sung rechnen Vergleichsarbeiten und standardisierte Tests.

kombiniert werden bewährte Ver­fahren der Leistungsfeststellung wie klassenarbeiten mit innovativen dia­gnostischen Ansätzen wie dem Lerner portfolio und der Arbeit mit den kompetenzrastern des Gemeinsa­men Europäischen referenzrahmens für Sprachen. Lernstandserhebungen durch den einzelnen Fachlehrer wer­den ergänzt durch „Blicke von außen“ in den klassenraum, etwa durch die Videographie des Englischunterrichts, wie sie im rahmen der Schulleis­tungsstudie DESi (Deutsch­Englisch Schüler leistungen international) prak­tiziert wurde.

Verbunden werden diese instru­mente durch eine einheitliche Ziel­stellung: sie dienen im förderdia­gnostischen Sinn der Gewinnung möglichst differenzierter Daten zur bestmöglichen Förderung jedes ein­zelnen Lerners im Fach Englisch. ihr Einsatz ist abhängig vom jeweiligen

Leitend ist zum einen der Grundsatz der individuellen Förde-rung jedes Schülers mit dem Ziel einer möglichst umfassen-den Kompetenzentwicklung. Lernstandserhebungen gesche-hen unter dieser Prämisse mit diagnostischer Zielstellung.

Kombiniert werden bewährte Verfahren der Leistungsfest-stellung wie Klassenarbeiten mit innovativen diagnostischen Ansätzen wie dem Lernerportfolio und der Arbeit mit den Kompetenzrastern des Gemeinsamen Europäischen Refe-renzrahmens für Sprachen.

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unterrichtlichen Ziel und kontext. Bei der Vorstellung jedes einzelnen Bau­steins werden deshalb Möglichkeiten und Grenzen seiner Verwendung be­leuchtet.

überblick über Diagnose- möglichkeiten zum Austauschin der FachkonferenzWie können kolleginnen und kolle­gen die in der Folge vorgestellten Ver­fahren für ihre eigene Praxis nutzen?keine Englischlehrerin, kein Englisch­lehrer wird das gesamte repertoire in jeder seiner Lerngruppen einsetzen können. Dieses ist vielmehr gedacht als Anregung zur Erprobung, Anwen­dung und konstruktion neuer Formen pädagogischer Leistungsbeurteilung.

DoRoThEE GAILE

Literatur

cOLLiNS, A., BrOWN, J. S., & NEWMAN, S. E. (1987). cOGNiTiVE APPrENTicESHiP: Teaching the craft of reading, writing and mathematics (Technical report No. 403). BBN Laboratories, cambridge, MA. centre for the Study of reading, University of illinois.

Deutsch Englisch Schülerleistungen internati­onal, www.dipf.de/desi

Gemeinsamer Europäischer referenzrahmen für Sprachen, insbesondere kap. 9 Beurtei­len und Bewerten unter http://www.goethe.de/z/50/commeuro/901.htm

TiMM, J.­P. (HG.): Englisch lernen und lehren. Didaktik des Englischunterrichts. Berlin: cor­nelsen, 1998

VyGOTSky, L. S.: Sprechen und Denken. Psychologische Untersuchungen, hrsg. und aus dem russischen übersetzt von Joachim Lompscher und Georg rückriem. Weinheim/ Basel: Beltz Verlag, 2002

WESkAMP, r: 2001: Anglistik/Amerikanistik: Fachdidaktik. Grundlagen und konzepte. Ber­lin: cornelsen.

Leicht überarbeitete Fassung; Der Text ist er­schienen im raabe Verlag Stuttgart, Berlin in der Publikation für Schulleitungen: Fordern und fördern in der Sekundarstufe i, Herbert Boßhammer, Anette Schülermann (Hrsg.)

BILDUNG IM BLICK

Pädagogischer Briefdialog

Kompetenzraster

Lautes Denken beim Lernen

Interview

Fragebogen zum Lernverhalten

Beurteilung durch Lernpartner

Vergleichs- arbeiten

Videographie des Unterrichts

Standardisierte Tests

Portfolio

Strukturierte Beobachtung

Lerntagebuch

Klassen- und Kursarbeiten

Ein abgerundetes Bild der Schülerin/des Schülers im Lernprozess durch vielfältige (förder-)diagnostische Instrumente:

i. Werfen Sie zunächst einen Blick auf die vielfältigen instrumente der Lernprozessbegleitung!

ii. Tauschen Sie sich mit ihrer kollegin/ihrem kollegen zu folgenden Fragen aus:

1. Welchem der genannten instrumente begegnen Sie in ihrem pädagogischen Alltag am häufigsten?

2. Welches der genannten instrumente möchten Sie am ehesten (weiter)erproben?

3. Worin sehen Sie die chancen und die Grenzen für den unterrichtlichen Einsatz des von ihnen ausgewählten instruments der Beurteilung und Bewertung?

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Kompetenzorientierung alleine, so der Erziehungswissenschaftler Hilbert Meyer, macht noch keinen guten Unterricht. Die für kompetenzorientierten Unterricht zentrale Idee des „backward plan-ning“, des Denkens und Planens von den angestrebten Lernergebnissen her, sagt viel darüber aus, was am Schluss herauskommen soll. Sie liefert jedoch nur wenige Anhaltspunkte dafür, wie der Unterricht selbst gestaltet werden kann. Deshalb gilt beim kompetenzorientierten Unterricht ebenso wie im herkömmlichen Unterricht, dass er „gut, aber auch weniger gut“ ausfallen kann.

WAS IST GUTERUNTERRIChT? Kompetenzorientierung aufdem Prüfstand

Welche Gelingensbeding ung­en braucht es, damit kompe­tenzorientierter Unter richt

den Ansprüchen an guten Unterricht genügt? Und inwieweit macht kompe­tenzorientierung den Unterricht bes­ser und trägt dazu bei, das Lernen der Schülerinnen und Schüler zu ver­bessern? Diesen drängenden Fragen ging der renommierte Erziehungs­wissenschaftler in seinen Ausführun­gen im rahmen eines landesweiten Fachtages nach. Meyer zeigte dabei pragmatische Wege auf, wie Lehrerin­nen und Lehrer mit kompetenzorien­tierung im Unterrichtsalltag verfahren könnten.

Kompetenzorientierten Unterricht in Einklang mit bewährten Unterrichts-skripten bringenFür Hilbert Meyer ist kompetenzori­entierung alleine noch kein Garant für guten Unterricht. Auch als didak­tisches konzept habe der kompetenz­

orientierte Unterricht wenig innovati­ves zu bieten. Seine kernideen seien weder neu noch sonderlich originell. Viele Grundideen, zum Beispiel „Ler­nende dort abzuholen, wo sie sich gerade befi nden“, oder dass sie „für die Bewältigung zukünftiger privater und berufl icher Anforderungen tüch­tig gemacht werden sollen“, hätten als Leitideen des lernzielorientierten Un­terrichts die 70er Jahre geprägt. Auch seien sie als pädagogische Grund­vorstellungen bereits in vergangenen Jahrhunderten häufi g proklamiert wor­den. Schon comenius habe sie gepre­digt.

Dennoch sei im Unterschied zu anderen bewährten didaktischen kon­zepten die Bildungsidee des kompe­tenzorientierten Unterrichts an spruchs­voller und konsequenter. Das konzept des selbstregulierten Lernens und Ar­beitens, die idee der inneren Differen­zierung und individuellen Förderung, die konsequente Zusammenführung

von Wissen und können und deren systematische Förderung seien Aus­druck dieser anspruchsvollen idee. Eine wesentliche rolle spielt dabei auch eine reihe von instrumenten, die zur implementierung der kompetenz­orientierung im Schulalltag entwickelt und vor allem im rahmen des Vorbe­reitungsdienstes erprobt wurden:• die Entwicklung einer Feedback­

kultur,• Portfolio­Arbeit,• das wechselseitige Lehren und

Lernen usw.

Was ist dann noch neu an der Kom-petenzorientierung?Wirklich neu an der kompetenzori­entierung ist die idee, den Lernstandder Schülerinnen und Schüler in empi­risch abgesicherten kompetenz stufen­Modellen zu erfassen (vgl. PiSA). Auch die fl ächendeckenden, alle Bundes­länder einschließenden kompetenz­orientierten Leistungs­ bzw. Lern­

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Wirklich neu an der Kompetenzorientierung ist die Idee, den Lernstand der Schülerinnen und Schüler in empirisch abge-sicherten Kompetenzstufen-Modellen zu erfassen (vgl. pisa). Auch die flächendeckenden, alle Bundesländer einschließen-den kompetenzorientierten Leistungs- bzw. Lernstandsüber-prüfungen markieren eine neue Qualität.

standsüberprüfungen markieren eine neue Qualität. Hier sieht Meyer die großen Vorteile des kompetenzorien­tierten Unterrichts: „Wer beim Unter­richten in kompetenzstufungen denkt und danach handelt, wird nicht starr, sondern flexibel. Er beziehungsweise

sie kann schneller und sicherer um­steuern, wenn er bzw. sie erkennt, dass einzelne Schülerinnen und Schüler das bei der Planung zugrunde gelegte kompetenzniveau noch nicht erreicht oder schon überschritten haben.“ Um Schülerinnen und Schülern erfolgrei­ches Lernen im Sinne der kompeten­zorientierung zu ermöglichen, sei es aber erforderlich, weitere kriterien gu­ten Unterrichts wie die „Beachtung ei­nes lernförderlichen klimas“ oder das „classroom Management“ zu berück­sichtigen und Lerngerüste („scaffolds“) aufzubauen, die den Schülerinnen und Schülern helfen, selbstreguliert zu lernen. Darüber hinaus ist es nach Einschätzung des Erziehungswissen­schaftlers notwendig, eine Helferkultur aufzubauen, die Metakognition zu stär­ken, eine Fehler­ und Feedback­kultur sowie „formative Assessments“ zu eta­blieren.

Hilbert Meyer verurteilt auch nicht den Frontalunterricht, der in der Ver­gangenheit in der Bildungsdiskussion zuweilen in die kritik geraten war. Er nennt ihn „direkte instruktion“ und hält ihn für unverzichtbar. Zugleich appel­liert er aber auch an die Teilnehmerin­nen und Teilnehmer, den Anteil des Frontalunterrichts von 75 % auf ein Drit­tel schrumpfen zu lassen – zugunsten kooperativer und individualisierender Unterrichtsphasen mit selbstständiger Arbeit der Lernenden.

Praktikable KompetenzstufenmodelleDamit Lehrerinnen und Lehrer über­haupt Bildungsstandards für ihren Un­terricht nutzen können, benötigen sie praktikable kompetenzstufenmodelle mit Aufgabenstellungen, die dazu pas­sen. Und hier lautet Meyers ganz klare Forderung, das Erfahrungswissen der Lehrerinnen und Lehrer ernst zu neh­

men. „Die reform wird in den klassen­zimmern auf Lehrerebene gemacht!“ Das heißt: Top­down und Bottom­up können und müssen sich ergänzen. Die Bildungsforschung lässt die kollegien hier allerdings alleine, beklagt Mey­er. Bisher existieren wenige konkrete

kompetenzstufenmodelle, mit denen im alltäglichen Unterricht gearbeitet werden kann.

Meyer plädiert dafür, nicht auf den Tag zu warten, an dem die kom­petenzforschung endlich so weit sein wird, empirisch abgesicherte Modelle zu liefern. Er empfiehlt vielmehr, eine

pragmatische Entwicklungsstrategie von unten zu starten. Denn das Den­ken in kompetenzstufungen sei im Unterrichts alltag nichts Ungewöhnli­ches. Vielmehr sei es gar nicht zu ver­meiden, tagtäglich die unterschiedli­chen Leistungen der Schülerinnen und Schüler zur kenntnis zu nehmen und sie zu bewerten.

„Es gibt keine berufserfahrene Lehrerin, die nicht mindestens fünf oder sechs Dutzend persönliche Stu­fungsmodelle in ihr unterrichtsprakti­sches Denken und Handeln integriert hat.“ Meyer will diese pragmatischen Modelle durch eine gemeinsame Aufarbeitung explizit machen. Hier­zu hat er ein allgemeines Struktur­modell für kompetenzstufungen ent­wickelt, das sich an Stufungskriterien orientiert, die im Schulalltag relativ fest verankert sind: die wachsende Selbstregulation der Lernenden (vgl. Abb. 1). Das vorgestellte Modell kann und soll die empirisch fundierten Stufungsmodelle, wie sie in PiSA ent wickelt wurden, allerdings nicht

BILDUNG IM BLICK

Abb. 1: Allgemeines Strukturmodell (Meyer, 24.12.12)

Stufe Kompetenzdimensionen Kriterium

0 (noch) keine kompetenz nachweisbar

1 unreflektiertes Nachvollziehen

REFLExIoNS- KoMPETENZ:

hANDLUNGS- KoMPETENZ:

2 handeln nach Vorgabe

3 handeln nach Einsicht

4 selbstständige Prozesssteuerung

naiv­ganzheitlichesNachahmen oder spielerisches

Nacherfinden einer Handlungsfigur

didaktische reflexion des

Methoden­ einsatzes

selbstregulierte Moderation des Methoden­ einsatzes

Verstehen der Anweisungen

und regeln

zielbezogene Reflexion

des eigenen Handels

schrittweise Ausführung

von Anweisungen

eigenständiges und zieladäquates

handeln

ALLGEMEINES STRUKTURMoDELL

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ersetzen. Die Funktion solcher Stu­fungs modelle besteht darin, Schwie­rig keits grade der Stundenplanung einzuschätzen und Lernziele realis­tisch zu planen.

Kompetenzstufen entwickelnMeyer meint es mit der gemeinsamen Aufarbeitung ernst. Dies zeigt sich im Verlauf der Tagung. Er aktiviert die Teilnehmerinnen und Teilnehmer! Alle führen in Gruppen ein Experi­ment mit einem Zollstock und einem küchenmesser durch. Mit diesen bei­den Gegenständen sollen die Grup­penmitglieder versuchen, ein stabiles Gleichgewicht herzustellen: Beide Gegenstände zusammen sollen eine beliebige Unterlage nur an einem Punkt berühren. im Zentrum dieser Aufgabe steht zum einen natürlich, das Experiment gemeinsam mit ande­ren durchzuführen und die Aufgabe zu lösen, aber auch, die zum Einsatz kommenden kompetenzen der Grup­penmitglieder zu beobachten. Eine wirkliche Herausforderung und für viele ein plastischer Beleg dafür, wie viel „träges Wissen“ im eigenen Phy­sikunterricht angesammelt worden ist. Teilnehmeraktivierung auch in der sich anschließenden Tandemphase: Dort entwickelten die rund 300 an­gereisten Pädagoginnen und Päda­gogen dann für das Experiment, das sie selbst durchgeführt haben, einen kompetenzstufen­bezogenen Arbeits­auftrag für eine 9. klasse mit vier un­terschiedlichen kompetenzstufen. Ein erster Zugang zu kompetenzstufun­gen und eine wichtige Erfahrung für die eigene Praxis!

Am Nachmittag boten zahlrei­che Workshops die Möglichkeit, das Meyer’sche Strukturmodell noch ein­mal handelnd auf die Probe zu stellen und eigene Lernerfahrungen mit kom­petenzstufungen zu sammeln. Ausge­wählte Standards zur Lesekompetenz

aus dem hessischen kerncurriculum sollten vierfach gestuft werden. Die Lesekompetenz ist eine basale über­fachliche kompetenz, die alle Fächer betrifft. insofern stellte der Arbeits­auftrag, Stufungen für unterschiedli­che klassen nach dem kriterium der wachsenden Selbstregulation für den eigenen Unterricht oder das Schulcur­

riculum vorzunehmen, für die Teilneh­menden eine echte Herausforderung dar. „Es war sehr gut, dass das Lesen (in allen Fächern) thematisiert wurde – dieses Gebiet ist Entwicklungsland und sollte viel häufiger bearbeitet werden.“1

im rahmen des Schlussplenums gab Meyer den Teilnehmerinnen und Teilnehmern noch mit auf den Weg, dass es nichts bringe, die Grundfor­men des Unterrichts gegeneinander auszuspielen – „Mischwald ist besser als Monokultur!“ – und plädierte für Arbeitsbündnisse in kollegien und in klassen. Denn eines sei ihm klar: „Das kriegt man allein nicht hin!“ Hier ist Teamarbeit im kollegium gefordert. „Unterricht ist eine kostbare Zeit für Schüler wie für Lehrer. Er ist nicht nur zum Lernen da. Er sollte auch ein Ort sein, an dem man Solidaritätserfah­rungen machen und lustvoll leben kann. Deshalb sollten wir auf Teufel komm raus versuchen, im Unterricht Freiräume für irrungen und Wirrun­

gen, für Durchstarten und Pausieren, für glückliche Momente und gemein­sames Träumen zu schaffen.“

Die Evaluation der Veranstaltung zeigte hochzufriedene Teilnehmer, die es wertschätzten, dass ihnen das Fortbildungsformat neben anspruchs­vollen inputs auch Phasen des han­delnden Ausprobierens offeriert hat.

88,1 % der Teilnehmerinnen und Teil ­ nehmer konnten nach eigenem Be ­ kunden neues Wissen erwerben und auf die eigene Berufspraxis beziehen. Das hessische Fortbildungsprojekt „kompetenzorientiert unterrichten – Bildungsstandards nutzen“ hat mit diesem Fortbildungsangebot ein The­ma bearbeitet, das hessischen Lehre­rinnen und Lehrern offensichtlich unter den Nägeln brannte.

DR. GABRIELE SChREDER

Landesschulamt und Lehrkräfteakademie

Fortbildung für Lehrkräfte

Literatur

MEyEr, HiLBErT: Landesweiter Fachtag „kompetenzorientiert unterrichten – Bildungs­standards nutzen: Was ist guter Unterricht? kompetenzorientierung auf dem Prüfstand“. Vortragsskript, Weilburg, 24.11.2012

Erläuterungen 1 Teilnehmerstimme aus der Evaluation

BILDUNG IM BLICK

„Unterricht ist eine kostbare Zeit für Schüler wie für Lehrer. Er ist nicht nur zum Lernen da. Er sollte auch ein Ort sein, an dem man Solidaritätserfahrungen machen und lustvoll leben kann. Deshalb sollten wir auf Teufel komm raus versuchen, im Unterricht Freiräume für Irrungen und Wirrungen, für Durch-starten und Pausieren, für glückliche Momente und gemein-sames Träumen zu schaffen.“

Über 300 Pädagoginnen und Päda­gogen waren angereist, um auf dem landesweiten Fachtag „kompeten­zorientiert unterrichten – Bildungs­standards nutzen: Was ist guter Un­terricht? kompetenzorientierung auf dem Prüfstand“ Meyers Standpunkte zum kompetenzorientierten Unterricht kennenzulernen und Anregungen für den eigenen Unterricht zu erhalten. Die kooperationsveranstaltung der ehemaligen institutionen Amt für Leh­rerbildung und Staatliches Schulamt, die seit Januar 2013 im Landesschul­

amt zusammengeführt sind, kann als Beleg für die gute Zusammenarbeit im rahmen des Projektes gewertet werden. Volker imschweiler aus dem Staatlichen Schulamt Weilburg sprach von einer rekordbeteiligung. Helga kennerknecht (ehemaliges AfL) hob den Stellenwert der Thematik für die aktuelle Unterrichtsentwicklung hervor. Hilbert Meyer sei jemand, „der in Theo­rie und Praxis des Lehrens und Lernens markante Meilensteine bei der Unter­richtsentwicklung gesetzt habe, die für uns alle Orientierungsqualität haben“.

INFoKASTEN

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WEDER EINhEITSABITUR NoCh „ABITUR LIGhT“Bildungsstandards für die oberstufeNeue KMK-Vorgaben gelten für vier Fächer ab 2017 Abiturstandards, die für die Fächer Mathematik, Deutsch, Englisch und Französisch ab 2017 vonBremen bis Bayern gelten – darauf hat sich die Kultusministerkonferenz auf ihrer Sitzung im Oktober 2012 verständigt. Am Berliner Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) wurden die Vor-gaben gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der Länder, mit abiturerfahrenen Lehrkräften sowie Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktikern entwickelt. Damit liegen nun von der Grundschule bis zum Abitur bundesweit geltende Bildungsstandards für die zentralen Fächer vor.

W issenschaftlich überprüfteAufgaben für alle LänderSchülerinnen und Schüler,

die unter diesen Vorzeichen ihr Abitur absolvieren werden, besuchen zur­zeit noch die 8. klasse. im Schuljahr 2014/15 beginnt für sie die Oberstu­fe, in der bereits die neuen „Standards für die Allgemeine Hochschulreife“ (AHr) gelten. Angekündigt ist ein Auf­gabenpool beim iQB in Berlin mit wis­senschaftlich überprüften und gleich schwierigen Abituraufgaben, der ab 2016/17 für alle Länder zur Verfügung stehen soll. Auch Standards für die Naturwissenschaften Biologie, Physik und chemie sind in Vorbereitung. Die implementierung in hessische Abitur­standards wurde begonnen.

Die neuen Standards rücken Deutsch, Englisch und Französisch als

BILDUNG IM BLICK

fortgeführte Fremdsprachen sowie Mathematik ins Zentrum. in diesen Fächern der gymnasialen Oberstufe sollen Abiturientinnen und Abituri­enten kompetenzen entwickeln, die sie befähigen, im rahmen eines Stu­diums oder einer Berufsausbildung erfolgreich weiterzulernen und am gesellschaftlichen und kulturellen Le­ben teilzuhaben. Dabei stützen sich die AHr­Standards auf die „Verein­barung zur Gestaltung der gymnasi­alen Oberstufe in der Sekundarstufe ii“. in diesem Schlüsseltext der kMk zur Gymnasialen Oberstufe werden Schwerpunkte und Grundsätze des Oberstufenunterrichts so beschrie­ben: • „Der Unterricht in der gymnasialen

Oberstufe vermittelt eine vertiefte Allgemeinbildung, allgemeine Stu­dierfähigkeit sowie wissenschafts­propädeutische Bildung. Von be­sonderer Bedeutung sind dabei vertiefte kenntnisse, Fähig keiten und Fertigkeiten in den basalen Fä­chern Deutsch, Fremdsprache und Mathematik. […]

• Der Unterricht in der gymnasialen Oberstufe ist fachbezogen, fach­übergreifend und fächerverbindend angelegt. Er führt exemplarisch in wissenschaftliche Fragestellungen,

kategorien und Methoden ein und vermittelt eine Erziehung, die zur Persönlichkeitsentwicklung und­stärk ung, zur Gestaltung deseigenen Lebens in sozialer Verant­wortung sowie zur Mitwirkung in der demokratischen Gesellschaft befähigt

• im Unterricht in der gymnasialen Oberstufe geht es darüber hinaus um die Beherrschung eines fachli­chen Grundlagenwissens als Vor­aussetzung für das Erschließen von Zusammenhängen zwischen Wis­sensbereichen, von Arbeitsweisen zur systematischen Beschaffung, Strukturierung und Nutzung von informationen und Materialien, um Lernstrategien, die Selbständig­keit und Eigenverantwortlichkeit sowie Team­ und kommunikations­fähigkeit zu unterstützen.“ (kMk 2012)

Wie bei den Bildungsstandards für den Primarbereich und die Sekundar­stufe i handelt es sich bei den Ober­stufenstandards um abschlussbezo­gene regelstandards, die allerdings zwischen einem grundlegenden und einem erhöhten Niveau unterschei­den, also zwischen Grund­ und Leis­tungskursen. Die AHr­Bildungsstan­dards legen für beide Niveaustufen fest, welche kompetenzen Schülerin­nen und Schüler, die einen entspre­chenden kurs absolvieren, „in der re­gel“ erwerben sollen. Sie gelten auch für berufl iche Gymnasien.

Wie sind die neuen Bildungsstan-dards gestrickt?in ihrer äußeren Struktur sind die Do­kumente ähnlich aufgebaut wie die für die Jahrgangsstufen 4, 9 und 10. Sie präsentieren die Standards in fünf Schritten:

MAThE

DEUTSCh

ENGLISCh

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BILDUNG IM BLICK

1. Eine Fachpräambel beschreibt die allgemeinen Ziele des jeweiligen Faches und legt dar, welche allge­meinen kompetenzen Schülerin­nen und Schüler im jeweiligen Fach entwickeln sollen (z. B. sprachliche Handlungskompetenz, interkultu­relle kompetenz, mathematische Modellierungsfähigkeit).

2. Den kern des Dokumentes bil­det die Darstellung der Bildungs­standards, die zunächst allgemein eingeführt werden. Es wird be­schrieben, welche Aspekte des Wissens und könnens der jeweilige kompetenz bereich umfasst und wie diese miteinander zusammenhän­gen. Anschließend folgt die Aufl is­tung der Bildungsstandards. Diese sind in Form von Anforderungen formuliert, die Schülerinnen und Schüler am Ende der gymnasialen Oberstufe bewältigen können sol­len („könnensbeschreibungen“). in der regel werden die Standards für

das grundlegende und das erhöh­te Niveau unterschieden, also für Grund­ und Leistungskurse.

3. Vorgaben für die Gestaltung der Abiturprüfung schließen sich an. Ausgehend von den Einheitlichen Prüfungsanforderungen im Abitur (EPA), die mit den AHr­Standards weiterentwickelt werden, legen sie Aufgabenformate fest, die in der Abiturprüfung eingesetzt werden können, geben richtlinien für die Bewertung der Schülerleistungen vor und beschreiben rahmenbedin­gungen, etwa zum zeitlichen Um­fang der Prüfungen.

4. Zur illustration der Vorgaben für die Abiturprüfung enthält das Doku­ment exemplarische Abituraufga­ben für schriftliche und mündliche Prüfungen.

5. Exemplarische Lernaufgaben illus­trieren ausgewählte Bildungsstan­dards. Sie zeigen, welche Aufga­benstellungen dazu geeignet sein

können, die jeweiligen kompeten­zen bei Schülerinnen und Schülern im Unterricht zu entwickeln. Die Lernaufgaben sollen aktive Lern­prozesse anstoßen und diese durch eine Folge von gestuften Aufgaben­stellungen steuern.

Vorsichtige NeuerungenViele Vorgaben für schriftliche und mündliche Prüfungen sind abiturer­probten Lehrkräften keineswegs un­bekannt. Dazu gehört die Mehrzahl der Aufgabenformate, die Orientie­rung an drei Anforderungsbereichen, das Format des Erwartungshorizonts mit seiner Beschreibung einer 5­ und 11­Punkte­Schwelle oder die Norm, dass eine Aufgabe halbjahresüber­greifend anzulegen ist.

Weitgehend neu dagegen ist der von Lehrkräften erwartete Perspekti­venwechsel. Gefordert ist – wie in der Sekundarstufe i – die Orientierung an einem kumulativen kompetenzauf­bau, wie er in den vor einigen Jahren überarbeiteten EPA nur angebahnt wurde. Die kompetenzen sind nun viel differenzierter dargestellt und durch konkrete „könnensbeschrei­bungen“ ergänzt. Die aufs Abitur bezogene Defi nition von Standards wird künftig auch die Erwartungen an die Ab solventen des hessischen Lan­desabiturs ergänzen.

konnten sich die Experten aus den 16 Bundesländern bei den EPA auf einen Textumfang zwischen 60 und 70 Seiten für jedes Fach einigen, so wurde dieser rahmen im Falle der AHr­Standards deutlich überschritten. Einschließlich Beispielaufgaben um­fassen die Dokumente für Mathematik 95, für Deutsch 264 und für Englisch /Französisch 387 Seiten.

Der Grund für die Expansion der Texte mag auch an einigen vorsich­tig neu eingeführten fachbezogenen Akzentuierungen liegen. Für Deutsch soll die propädeutische Funktion des Unterrichts durch ein neues und an­spruchsvolles Aufgabenformat ge­stärkt werden: das „materialgestütz­te Schreiben“, bei dem es um das

Allgemeine Studierfähigkeit

Wissenschaftspropädeutik Vertiefte Allgemeinbildung

BEISPIEL AUS DEN AhR-STANDARDS FüR DEUTSCh

2.4.3Sich mit Texten unterschiedlicher medialer Form und TheaterinszenierungenauseinandersetzenDie Schülerinnen und Schüler analysieren die spezifi sche Gestaltung von Textenunterschiedlicher medialer Form, erläutern ihre Wirkung und beurteilen die äs­thetische Qualität. Sie setzen sich fachgerecht mit exemplarischen Theaterinsze­nierungen, Hörtexten und Filmen auseinander.

Grundlegendes NiveauDie Schülerinnen und Schüler können• Theaterinszenierungen und Litera-

turverfi lmungen als Textinterpretati­onen erfassen und beurteilen

• Theaterinszenierungen, Hörtexte und Filme sachgerecht analysieren

• eigene Hörtexte, Filme oder andere audiovisuelle Präsentationsformen erstellen bzw. Textvorlagen sze­nisch umsetzen

• sich bei der Rezeption oder Pro-duktion von Hörtexten und Filmen und bei der rezeption von Thea­terinszenierungen mit den eigenen Welt­ und Wertvorstellungen, auch in einer interkulturellen Perspektive, auseinandersetzen

Erhöhtes NiveauDie Schülerinnen und Schüler können darüber hinaus• die ästhetische Qualität von Thea-

terinszenierungen, Hörtexten oder Filmen beurteilen, auch vor dem Hintergrund ihrer kulturellen und historischen Dimension

• sich mit Filmkritik und Aspekten der Filmtheorie auseinandersetzen

(KMK, Bildungsstandards im Fach Deutsch für die Allgemeine hochschulreife, S. 24)

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BILDUNG IM BLICK

Verfassen informierender und ar­gumentierender Texte auf der Basis umfangreichen Textmaterials geht. in der Mathematik wird der Stellenwert von Stochastik angehoben und die rolle von „digitalen Mathematikwerk­zeugen“ explizit geschärft. Die Fremd­sprachen­Standards intensivieren die mündlichen kompetenzen.

Auf dem Weg zum bundesweiten Abitur? Noch im März 2011 sprachen sich in einer repräsentativen Umfrage des instituts für Demoskopie Allensbach 78 % der Bundesbürger sowie 72 % der Lehrerinnen und Lehrer für die Einführung bundesweit einheitlicher Abschlussprüfungen wie etwa eines bundesweiten Zentralabiturs aus (VODAFONE­STiFTUNG DEUTScH­LAND GmbH 2011).

Die AHr­Standards gehen ganz offensichtlich nicht diesen Weg. Sie wollen den Bildungsföderalismus weitgehend erhalten, aber vergleich­barer machen und die Anforderun­gen im Abitur annähern. Dadurch sollen die Zulassung an Hochschu­len, die derzeit die Vergleichbarkeit aller Abiturnoten unterstellt, ge­rechter und das zerfaserte deutsche Schulsystem durchlässiger werden.

Wichtige Expertisen von Ten­orth (2001, 2004) zum „kerncurricu­lum Oberstufe“ haben die Grund­lagen dafür bereitet. Auch die revisionen der Oberstufenvereinba­rung der kMk von 1988, 1997, 2006 und 2012 (vgl. kMk 2012) führten zu einer weiteren Vereinheitlichung der Prüfungs anforderungen, indem die verpflichtenden Unterrichts­ und Prüfungsanteile in den kern­fächern Deutsch, Mathematik und fortgeführte Fremdsprache ausge­weitet und die vorhandenen (Ab­)Wahlmöglichkeiten eingeschränkt wurden. Spätestens mit dem Abitur­jahrgang 2013 müssen nunmehr alle Abiturientinnen und Abiturienten in Deutschland verpflichtend in zweien dieser drei kernfächer eine Prüfung ablegen. Mit den Bildungsstandards wird nun versucht, die Anforderun­gen an den Oberstufenunterricht auf gemeinsame Gütemaßstäbe zu ver­pflichten und die schriftlichen Abitur­prüfungen durch einen – wenn auch optionalen – nationalen Aufgaben­pool zu stützen.

Ohne seine inhalte zu kennen, ist das polemische Schlagwort von ei­nem „Zentralabitur ultralight“ (SPiE­GEL ONLiNE 18.10.2012) abwegig.

Perspektiven für die Lehrerfort-bildungin den veränderten Standards liegen große chancen für eine Unterrichts­entwicklung, die die Lehrkräfte zu zentralen Akteuren macht. Sie werden konzeption und inhalte ihres bishe­rigen Oberstufenunterrichts in den kommenden Jahren auf neue Weise betrachten und dabei überprüfen: Wo kommt Neues auf uns zu? Was haben wir bereits? Gibt es Verbesserungs­möglichkeiten? Bevor Unterrichtser­gebnisse am Ende im Abitur über­prüft werden, unterliegt der auf die fachlichen inhalte und kompetenzen gerichtete Perspektivenwechsel der Gestaltung der Lehrkräfte. Dadurch entscheidet sich, ob die neuen AHr­Standards lediglich unverbindliche curriculare Vorgabe bleiben oder im Unterricht wirksam werden.

Fortbildung in der Sekundarstu­fe ii ist nicht voraussetzungslos. Die AHr­Standards schließen nämlich in vielerlei Hinsicht an Entwicklungen der Sekundarstufe i an, durch die eine Fokussierung auf kompetenzen oder auch auf die Entwicklung sinnvoller Lernaufgaben eingeleitet wurde. im­merhin hatte die letzte Generation der hessischen Lehrpläne bereits kompe­tenzen für die gymnasiale Oberstufe benannt.

Die Architektur eines Fortbildungs­angebots zur implementierung der neuen Standards in der gymnasialen Oberstufe setzt hier an und sollte sich auf die seit Jahren gewonnenen Er­fahrungen und die Expertise aus dem Unterstützungsprogramm der Sekun­darstufe i „kompetenzorientiert unter­richten – Bildungsstandards nutzen“ stützen. Da bisher bereits zahlreiche Schulen mit gymnasialer Oberstufe an diesem Fortbildungsprogramm teil­nehmen, lassen sich hilfreiche Syner­gieeffekte erwarten.

Die Fortbildungsangebote des um die Oberstufe erweiterten Unterstüt­zungsprogramms können Fachschaf­ten über mehrere Monate eine kombi­nation von theoretischer Grundlegung und handlungsorientierten Phasen bieten. Erfahrene Fortbildnerinnen und Fortbildner kommen in die Gym­nasien und geben Fachschaften kom­petente impulse zur kooperativen Un­terrichtsentwicklung. Sie helfen dabei, die neuen Standards für den Oberstu­fenunterricht zu verstehen und für das schuleigene curriculum zu nutzen.

Mögliche Schwerpunktthemen sind veränderte Aufgaben­ und Prüfungs formate sowie Wege zum

selbständigen Lernen im jeweiligen Fach. Die Arbeit einer Fachschaft wird mit der an anderen Schulen vernetzt und dadurch bereichert. Eher als auf dem Wege einer kurzfristig ange­legten Schulungsstrategie können auf diese Weise nachhaltige Wirkun­gen entstehen. Erste Pilotprojekte in einzelnen Schulamtsbezirken wären sinnvoll, weil sich die Erfahrungen aus der Sek­i­Fortbildung nicht bruchlos übertragen lassen. Sie können be­reits im Schuljahr 2013/14 beginnen. Bereits im laufenden Unterstützungs­programm gibt es, dem Bedarf der Fachschaften folgend, eine Perspek­tivenerweiterung zur gymnasialen Oberstufe. Schließlich sind kollegin­nen und kollegen der Gymnasien in der regel in der Sekundarstufe i und der Sekundarstufe ii tätig und bringen immer wieder ihre aktuellen Fragen, z. B. zur Aufgabenkultur, in die Fortbil­dungen ein.

ThoMAS VoN MAChUI

Literatur

Die Bildungsstandards, einschließlich der darin enthaltenen illustrierenden Lern­ und Prüfungsaufgaben, können auf der internet­seite der kultusministerkonferenz abgerufen werden. UrL: http://www.kmk.org/bildung­schule/qualitaetssicherung­in­schulen/bil­dungsstandards/dokumente.html

kULTUSMiNiSTErkONFErENZ (kMk): Ver­einbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe ii (Beschluss der kultusministerkonferenz vom 07.07.1972 i. d. F. vom 09.02.2012)

kULTUSMiNiSTErkONFErENZ (kMk): Ver­einbarung über die Abiturprüfung der gym­nasialen Oberstufe in der Sekundarstufe ii (Beschluss der kultusministerkonferenz vom 13.12.1973 i. d. F. vom 24.10.2008)

SONNBErGEr, H.: Bildungsstandards für die Oberstufe: Länder peilen Zentralabitur ultra­light an, Spiegel Online 18.10.2012

TENOrTH, H.­E. (HrSG.): kerncurriculum Oberstufe: Mathematik, Deutsch, Englisch. Expertisen im Auftrag der kultusministerkon­ferenz. Beltz, Weinheim 2001

TENOrTH, H.­E. (HrSG.): kerncurriculum Oberstufe ii: Biologie, chemie, Physik, Ge­schichte, Politik. Expertisen im Auftrag der kultusministerkonferenz. Beltz, Weinheim 2004

VODAFONE­STiFTUNG DEUTScHLAND GMBH: Allensbach­Studie zur Schul­ und Bil­dungspolitik in Deutschland. Pressemitteilung vom 19.04.2011. UrL: http://www.vodafone­stiftung.de/presseinfomodul/detail/118.html

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Unter der Lernaufgabe einer Unterrichtssequenz bzw. ­ein­heit wird hier die Aufgabe ver­

standen, die aus einer Leitfrage bzw. dem Leitthema sowie dem Set der aufeinander abgestimmten Teilaufga­ben besteht. Fachorientierte Lernauf­gaben im Fach Politik und Wirtschaft sollen folgenden Ansprüchen ent­sprechen: Sie bilden die Basis für die Lernstands­ und Lernprozessdiagnose und ermöglichen durch ihre Offenheit selbstgesteuerte Lernprozesse. Dies gelingt nur, wenn Transparenz für die Lernenden geschaffen wird, die Prob­

lemstellung für die Schülerinnen und Schüler passend, d. h. anschlussfähig ist, die individuellen Lerner bzw. Ler­nerinnen durch Differenzierung in ih­rem Lernprozess unterstützt werden.

Das vorgestellte instrument soll „‚do talk­instrument“ genannt werden. „Do talk!“ – dieser imperativ, miteinan­der zu sprechen, ist eine zentrale Vor­aussetzung für das Lernen im Fach Po­litik und Wirtschaft und steht deshalb als Leitmotiv im Zentrum der refl exi­on. Die Aufforderung „do talk“ ergibt sich aus den Anfangsbuchstaben der Gütemerkmale (Abbildung Seite 25).

kompetenzorientierte Lernaufga­ben nach dem „do talk“­Prinzip:• sind orientiert am Lernprozess der

Lernenden. Sie berücksichtigen die Entwicklungsprozesse der Lernen­den bezogen auf den fachlichen und überfachlichen kompetenz­erwerb sowie das Annähern an Stand ards und Niveaustufen. Dia­gnose und Feedback werden zu zentralen Elementen der Lernaufga­be. in strumente wie Portfolio, Lern­journal oder Selbst­ und Fremd­diagnose dienen zur Orientierung und Beratung über den erworbenen

LERNAUFGABEN IMKoMPETENZoRIENTIERTEN PoLITIKUNTERRIChTVorschlag eines Instruments zur Refl exion von Lernaufgaben

BILDUNG IM BLICK

Mit den Bildungsstandards und Kerncurricula für die Sekundarstufe I wird in den letzten Jahren einveränderter Anspruch an die Qualität von Lernaufgaben formuliert. Für die Lehrerfortbildung bedeutet das, Lehrkräfte bei ihrem Austausch über die Unterrichtsentwicklung im Fach zu unterstützen. Eine wich-tige Rolle spielen dabei Instrumente, die zur Refl exion über Unterricht beitragen. Im Folgenden soll ein Instrument zur überprüfung von Lernaufgaben für den Unterricht im Fach Politik und Wirtschaft vorge-stellt werden.

DoTALK!

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BILDUNG IM BLICK

Lernstand und den Lernprozess und bilden die Grundlage zur Befähi­gung einer Selbststeuerung weiterer Lern prozesse. Somit bilden Lernauf­gaben die Grundlage pädagogi­scher und didaktischer Diagnostik.

• stellen eine komplexe, problemhal­tige Anforderungssituation dar und sind geeignet, einen gesellschaft­lich bedeutsamen inhalt in exempla­rischer Weise zu erschließen. Damit entsprechen sie den fachdidakti­schen Prinzipien der kontroversität, der Problemorientierung und des exemplarischen Lernens. Sie sind kognitiv aktivierend, fordern zum eigenständigen problemlösenden Denken, zum Transfer des Gelern­ten und zum Probehandeln heraus. Abwechslungsreiche Lernaufgaben bzw. Aufgabentypen bei den Tei­laufgaben sowie Wahlmöglichkei­ten ermöglichen dem Lernenden verschiedene Herangehensweisen und Lösungswege. Die intendierte Mitgestaltungsmöglichkeit bei der Lernaufgabe sowie den Teilaufga­ben erfordern eine inhaltliche und prozessorientierte Offenheit.

• machen Ziele, fachliches Erkennt­nisinteresse, kompetenzpotenziale der Aufgabenbewältigung und Vor­

gehensweise transparent. Sie sind klar strukturiert, eindeutig formuliert und beinhalten vielfältige, ange­messen gestaltete Materialien. Dies unterstützt die Lernenden bei ihrer selbstgesteuerten Auseinanderset­zung mit dem Lerngegenstand. Vo­raussetzung dafür ist das Verstehen und Akzeptieren der Sinnhaftigkeit des Tuns, und dies erfordert insbe­sondere Transparenz.

• orientieren sich an für die Lernen­den bedeutsamen inhalten und Si­tuationen. Dabei knüpfen sie an der Lebenswelt, den Erfahrungen, dem Vorwissen und den Vorkonzepten

der Schüler und Schülerinnen an und fordern diese zur exemplarischen Bewältigung authentischer Anfor­derungssituationen auf. Wahlmög­lichkeiten bei Teil aufgaben erlauben individuelle Schwerpunktsetzungen

GüTEMERKMAL KURZBESChREIBUNG DES GüTEMERKMALS

D diagnostischLernaufgaben sind an Bildungsstandards und dem intendierten kompetenzerwerb orientiert und bilden die Basis zur Selbst­ und Fremddiagnose.

o offen

Lernaufgaben beziehen sich auf gesellschaftlich be­deutsame inhalte und sind offen für unterschiedliche Perspektiven und selbstständige Lösungswege. Sie korrespondieren mit den fachdidaktischen Prinzipien kontroversität, Problemorientierung, exemplarisches Lernen.

T transparentLernaufgaben sind klar formuliert und strukturiert. Sie schaffen Transparenz über das gesamte Lernan­gebot und die Schritte der Erarbeitung.

A anschlussfähig

Lernaufgaben sind für die Lernenden bedeutsam und knüpfen an deren Vorwissen, Erfahrungen und interessen an. Sie korrespondieren mit dem fachdi­daktischen Prinzip der Schülerorientierung.

L lernerorientiert

Lernaufgaben fördern das individuelle selbstge­steuerte Lernen durch variable Zugänge, abgestufte Lernhilfen und meta­reflexive Angebote. Sie sind für alle Lerner zu bewältigen und ermöglichen Selbst­wirksamkeitserfahrungen.

K kooperativLernaufgaben fordern zur kommunikation und zum kooperativen problemlösenden Lernen auf.

und schaffen Voraussetzungen, den individuellen Wissens­ und Erfah­rungsstand weiterzuentwickeln. Dies korrespon diert mit dem fachdidak­tischen Prinzip der Schülerorientie­rung und der Forderung nach Pas­sung oder Anschlussfähigkeit.

• fördern das individuelle selbstge­steuerte Lernen. Sie lassen variable Zugänge und Lernwege sowie eine Bearbeitung auf unterschiedlichen kognitiven Niveaus zu. Die Lernauf­gabe berücksichtigt unterschiedliche Lerntempi und wird ergänzt durch differenzierende Hilfen und Hinwei­se. Sie nutzt Helfersysteme, wie z. B.

durch wechselseitiges Lernen und Beraten, ist von allen Lernenden zu bewältigen und trägt dazu bei, ihnen kompetenz und kompetenzzuwachs erfahrbar werden zu lassen. Mit me­ta­reflexiven Lernsituationen fördert die Lernaufgabe gleichzeitig die Anwendung und Weiterentwicklung bereits verfügbarer Lernstrategien sowie den Erwerb neuer Strategien. Eine gute Lernaufgabe ist Angebot zur Förderung und Entwicklung in­dividuellen Lernens. Somit ist ein zentrales Merkmal der Lernaufgabe deren Lernerorientierung.

• erfordern in kooperativen Lernsitu­ationen eine Auseinandersetzung mit der Anforderungssituation. Sie bieten den Lernenden die Möglich­keit, in kooperativen Lernformen die unterschiedlichen konzepte, ideen, Lern­ und Lösungswege kennenzu­lernen, diese mit den eigenen zu vergleichen und so voneinander und miteinander zu lernen. koope­rative Lernprozesse fördern den Er­ werb sozialer kompetenzen wie sozi­ale Wahrnehmungsfähigkeit, rück­sichtnahme, angemessenen Um­ gang mit konflikten. Eine zentrale Anforderung an die Lernaufgabe ist somit ihre Aufforderung zur kom­munikation und kooperation.

KLAUS TRAUTWEIN

Von 2008 bis 2013 Leiter des Projekts „kompe­tenzorientiert unterrichten im gesellschaftswis­senschaftlichen Aufgabenfeld“; Fachdidaktiker für Politische Bildung an der Universität Marburg

„Do talk!“ – dieser Imperativ, miteinander zu sprechen, ist eine zentrale Voraussetzung für das Lernen im Fach Politik und Wirtschaft und steht deshalb als Leitmotiv im Zentrum der Reflexion.

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FÖRDERUNG DER FoRMATIVENDIAGNoSEKoMPETENZ VoNLEhRAMTSSTUDIERENDENWarum formative Diagnosekompetenz? In der aktuellen Diskussion um die Reform des Schulsystems bzw. der Lehrerbildung wird immer wieder eine Verbesserung der diagnostischen Kompetenz von Lehrkräften gefordert, sowohl von staatlicher Seite (vgl. Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bun-desrepublik Deutschland 2004) als auch aus wissenschaftlicher Perspektive (u.  a. HELMKE/HOsENFELD/sCHRaDER 2004).

Allerdings gibt es unterschied­liche Ansätze der konzeptuali­sierung von Diagnose kompe­

tenz und höchst unterschiedliche Forschungs ansätze im Bereich der schulischen Leistungsdiagnostik. Wäh­rend lange Zeit die Güte der Notenge­bung erforscht wurde (iNGENkAMP 1995; ArTELT/GräSEL 2009), fokus­siert die Diskussion nun verstärkt auf die formative Diagnosekompetenz, d.  h. die kompetenz von Lehrkräften, die Lernstände der Schüler bereits vor oder während des Lehr­Lern­Prozesses einzuschätzen (LEUDErS 2004; SJUTS 2007; SMiT 2009; MAiEr 2010). Hier­für werden verschiedene Gründe an­geführt:• Formative Diagnosekompetenz ist

eine Grundvoraussetzung zur re­alisierung eines kompetenzorien­tierten Unterrichts. Nur Lehrkräfte, die fortwährend die kompetenz­entwicklung ihrer Schüler einschät­zen können, können auch einen an den Schülerlern voraussetzungen orien tierten Unterricht planen.

• Formative Diagnosekompetenz ist die Grundvoraussetzung für einen produktiven Umgang mit Hetero­genität. Wenn Lehrkräfte bereits vor oder während des Unterrichtens für die oft enormen Leistungsunter­schiede sensibilisiert werden, kön­nen sie rechtzeitig Differenzierungs­maßnahmen anbieten.

• Es gibt einen breiten internationa­len und auf zahlreichen empirischen Studien basierenden konsens, dass Methoden des „formative classroom assessment“ eine effektive und vor allem pragmatische intervention zur Steigerung der Leistungen und der Motivation von Schülerinnen und

Schülern sind (BLAck/WiLiAM 1998; HATTiE/TiMPErLEy 2007; HATTiE 2009). Vor allem die mittlerweile in Deutschland zunehmend rezipierte Synthese von Metaanalysen des aus­tralischen Bildungsforschers John Hattie macht deutlich, dass informati­ve rückmeldungen und häufi ge Tests zu höheren Lernsteigerungen führen können als Unterrichtsmethoden, die bisher in der Lehrerausbildung stark thematisiert wurden (z. B. offener Unterricht, kooperatives Lernen, jahrgangsübergreifendes Lernen).

• Formative Diagnosekompetenz ist letztendlich ein weiterer Schritt zur Professionalisierung des Lehrerbe­rufs. Gerade bei der Einführung von Bildungsstandards und darauf be­zogenen Leistungsmessungen (vgl.kLiEME/AVENAriUS/BLUM et al. 2003) wurde auf ein Defi zit im Be­reich der Diagnosekompetenz auf­merksam gemacht und die Einfüh­rung von Leistungsstandards und externen Leistungsmessmethoden als wesentlicher Beitrag zur Professi­onalisierung dargestellt. Gleich zeitig gibt es wenig Unterstützung für Lehrkräfte, Diagnosen selbst durch­zuführen und Diagnoseergebnisse systematisch für die Anpassung des eigenen Unterrichts zu nutzen. Auch liegen keine empirischen Studien vor, die solche Lernangebote in der Lehreraus­ und ­fortbildung beglei­ten.

Formative Diagnosekompetenz im LehramtsstudiumDie verschiedenen Praktika während des Lehramtsstudiums bieten einen Anlass, beim kompetenzaufbau im Feld der formativen Leistungsdiagnostik

neue Wege der Begleitung angehen­der Lehrpersonen zu beschreiten und diese Erprobung wiederum gezielt wis­senschaftlich zu begleiten. Als Vorbild können Ansätze zur Förderung der Di­agnosekompetenz im Medizinstudium herangezogen werden (STArk/kOPP/FiScHEr 2009). Allerdings muss genau defi niert werden, was unter formativer Diagnosekompetenz von Lehrkräften zu verstehen ist.

Diagnostische kompetenz wird immer wieder als eine wichtige kom­petenzfacette beschrieben, die zu den in der Literatur beschriebenen Wissensdimensionen von Lehrerin­nen und Lehrern quersteht. Je nach kompetenzmodellierung wird sie ein­mal eher dem fachdidaktischen Leh­rerwissen zugeordnet (pedagogical content knowledge) oder als allge­meine, fachübergreifende kompetenz (generic competence) beschrieben. Die Wissensbasis der diagnostischen kompetenz ist komplex und wird von den einschlägigen Autoren unter­schiedlich defi niert (HELMkE/HOSEN­FELD/ScHrADEr 2004; BAUMErT/kUNTEr 2006; ArTELT/GräSEL 2009). Wesent liche Wissensfacetten von Dia­gnosekompetenz sind beispielsweise: fachdidaktisches Wissen (pedagogi-cal content knowledge), Wissen über einzelne Schülerinnen und Schüler (knowledge of learners), Wissen über Diagnoseverfahren, Wissen über die interpretation von Diagnoseergebnis­sen und konsequenzen für die weitere Schülerförderung.

Ebenso ist ungeklärt, wie breit der Anwendungsbereich diagnostischer kompetenzen sein soll. Schrader (2009) fordert beispielsweise, dass die bisher stark auf diagnostische

ERFoRSChT UND ENTWICKELT

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Auch Baumert und Kunter (2006) machen darauf aufmerksam, dass bei der bisherigen Diskussion über diagnostische Kom-petenz ein Aspekt übersehen wurde: die Fähigkeit, formale Leistungsmessungen für die Optimierung des Lehr-Lern-Pro-zesses zu nutzen, vor allem durch den Einsatz von Lernaufga-ben mit diagnostischem Potenzial.

Urteils genauigkeit im rahmen sum­mativer Leistungsmessung beschränk­te Forschung erweitert werden sollte. ins Blickfeld rücken sollte beispiels­weise die Erforschung diagnostischer Methodenkompetenzen (kenntnisse über diagnostische Methoden und in­terpretationsmöglichkeiten etc. oder das Verständnis von und der Umgang mit zentralen, standardisierten Tests [large scale assessments], Vergleichs­arbeiten). Auch Baumert und kunter (2006) machen darauf aufmerksam, dass bei der bisherigen Diskussion über diagnostische kompetenz ein As­pekt übersehen wurde: die Fähigkeit, formale Leistungsmessungen für die Optimierung des Lehr­Lern­Prozesses zu nutzen, vor allem durch den Einsatz von Lernaufgaben mit diagnostischem Potenzial. Genau hier müsste auch die Förderung der diagnostischen kom­petenz im Lehramtsstudium ansetzen.

Neue Praktikumsformen eröffnen zudem neue Möglichkeiten zur Erpro­bung formativer Leistungsdiagnostik im Lehramtsstudium. in vielen Bun­desländern wird auf Semesterpraktika umgestellt. Damit können Lehramtsstu­

dierende einzelne Schülerinnen und Schüler gezielt über einen längeren Zeitraum beobachten und begleiten. Gerade dieser auf den langfristen Lern­zuwachs ausgerichtete Blick entspricht dem, was man unter kompetenzori­entierung auch im Lehramtsstudium verstärkt betonen möchte. Um eine langfristige Entwicklung einzelner Fä­higkeiten oder kompetenzen auch di­agnostizieren, dokumentieren und für die Förderung nutzen zu können, müs­sen den Studierenden jedoch geeig­nete instrumente und Settings zur Ver­fügung stehen. Besonders ertragreich für diesen Zweck ist die Beschäftigung mit instrumenten und Verfahren der Lernverlaufsdiagnostik (z.  B. kLAUEr 2006; WALTHEr 2009).

Leitend für unsere Projekte ist die Studie von Strathmann und klauer (2010). Die Autoren greifen auf die in den USA entwickelte idee des curri­culumbasierten Testens zurück, um

Fragen zu Lernverläufen über einen längeren Zeitraum beantworten zu können. Eine Lernverlaufsdiagnostik ist nur möglich, wenn man Tests, die ein konstrukt erfassen, immer wieder einsetzen kann. Mit der herkömmli­chen Schulleistungsdiagnostik, aber auch mit zentralen Tests ist dies bisher nicht möglich. Aus diesem Grund ent­wickelten Strathmann und klauer eine formative Lernverlaufsdiagnostik für Grundrechenfertigkeiten (mündliche Subtraktion, Addition, schriftliche Sub­traktion, Addition, Multiplikation, Divisi­on, rechnen mit Größen). in mehreren Grundschulklassen wurden diese Tests im zweiwöchigen rhythmus einge­setzt. Lehrkräfte konnten die Lernver­laufskurven für jedes kind analysieren. Obwohl ein überwiegender Teil der Schülerinnen und Schüler linear anstei­gende Lernverläufe aufwies, gab es ei­nen überraschend hohen Anteil mit nur sehr geringen Zuwächsen bzw. einer Stagnation. Wenn Lehrkräfte und auch Lehramtsstudierende Beobachtungen dieser Art machen können – so unsere Annahme –, dürfte der Schritt zum ad­aptiven Unterricht nicht mehr weit sein.

Forschungsprojektseminar zur Förde-rung der formativen Diagnosekompe-tenz von LehramtsstudierendenVorgehensweise:Für Lehrkräfte wurde das Forschungs­projektseminar als Lehrerfortbildung angeboten; für Studierende ist es ein Seminar zur Vorbereitung ihres Schul­praktikums.

in kleingruppen arbeiteten immer eine Lehrkraft und zwei bis drei Stu­dierende an der Entwicklung eines for­mativen Diagnoseinstruments für ein bestimmtes Wissensgebiet bzw. eine konkrete Fertigkeit/kompetenz:• Anwendung verschiedener Vergan­

genheitsformen im Englischen (real­schule, 6. klasse)

• Lösen linearer Gleichungen (real­schule, 8. klasse)

• Addition und Subtraktion vonBrüchen (Gymnasium, 6. klasse)

• Mündlich präsentieren können(realschule, 10. klasse, Sozialkunde)

Die gewählten Wissensgebiete bzw. Fertigkeiten können für das jeweilige Fach als grundlegend bezeichnet wer­den, d.  h., viele weitere Fertigkeiten bauen darauf auf. Ebenso spielen die­se kompetenzen über mehrere Jahr­gangsstufen eine rolle. Wenn Schüle­rinnen und Schüler Probleme bei der Anwendung von Grundrechenarten mit Brüchen haben, wird sich dies auf weitere Themen auswirken. Genau hier setzt die idee der formativen Leistungs­diagnostik an: grundlegende Fertigkei­ten bzw. grundlegendes Wissen regel­mäßig prüfen und auf Defi zite gezielt und nachhaltig mit Fördermöglichkei­ten reagieren.

Nach der Festlegung der kompe­tenz bzw. des zu diagnostizierenden Wissensbereichs sollten die Studie­renden zusammen mit den Lehrkräften Möglichkeiten der formativen Diagno­se erörtern, ein instrument entwickeln, erproben und daran anschließende Fördermöglichkeiten zur Verfügung stellen. Folgender Arbeitskatalog war abzuarbeiten:

1. Beschreibung des Lernziels bzw. der zu testenden kompetenz: z.  B. „Schüler können eine inhaltsangabe verfassen“ (unter rückgriff auf die Bil­dungsstandards und die Lehrpläne); Angabe von klassenstufe, Fach, rah­menbedingungen

2. Beschreibung der Bewertungskri­terien bzw. der Niveaustufen: z.  B. „Sachliche Sprache, Basissatz, knap­pe Einleitung etc.“ oder verschiede­ne Schwierigkeitsstufen bei Bruchre­chenaufgaben

3. Wie wurden die Paralleltests ent­wickelt? Beispielsweise durch Aus­tausch der Zahlen bei rechenauf­gaben, Austausch der Beispiele, Umstellung der Distraktoren bei conceptests etc.

4. Dokumentation der Durchführung und Auswertung der Paralleltests (wie lange, wie geht man bei der Auswertung vor, Probleme bei der Durchführung und Auswertung)

5. Dokumentation der Ergebnisse in tabellarischer Form (am besten in Excel, weil sich damit auch Schaubil­der herstellen lassen), aufgegliedert nach:

• Schüler (Name anonymisieren)• Messzeitpunkt (mit Datum)• Teilkompetenz, Teilkriterium etc.

6. kurze Beschreibung des Unterrichts bzw. von Fördermaßnahmen vor und während der formativen Leistungsdi­agnostik, z. B.: Wie oft und in welchen Fächern mussten die Schülerinnen

ERFoRSChT UND ENTWICKELT

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ERFoRSChT UND ENTWICKELT

und Schüler bereits inhaltsangaben verfassen? Wurde im Zeitraum der Durchführung der formativen Leis­tungsdiagnostik mit den Schülern geübt?

7. Erste ideen zur interpretation der Ergebnisse: Auf welchem Anfangs­niveau befinden sich die getesteten Schülerinnen und Schüler? kann man Entwicklungen erkennen, evtl. in einzelnen Bereichen? Sind die Tests augenscheinlich valide, d. h., stimmen sie mit anderen Beobach­tungen bzw. Leistungsmessungen überein?

8. Erste ideen zu konsequenzen und Schlussfolgerungen: Welche Übun­gen, Fördermaßnahmen sollten wei­tergeführt werden? Müsste man die kompetenz breiter oder enger fas­sen? Wie müsste man die Testfragen überarbeiten?

Um das formative Diagnoseinstru­ment im Unterricht der teilnehmen­den Lehrkräfte zu erproben, wurde ein Zeitfenster von vier Wochen im Semester zur Verfügung gestellt. Die Studierenden organisierten zusammen mit ihrer jeweiligen Lehrkraft Termine für die Durchführung der formativen Leistungs messungen. Die Ergebnis­se des Feldversuchs wurden in den abschließenden Sitzungen an der Universität präsentiert und diskutiert. Folgendes konnten wir alle aus diesem Forschungsprojektseminar lernen:• Die Entwicklung eines formativen

Diagnoseinstruments für eine be­stimmte kompetenz ist keine triviale Angelegenheit und erfordert vor al­lem ein hohes Maß an Fachkenntnis. keine der Gruppen konnte auf be­reits publizierte oder standardisierte Diagnoseverfahren zurückgreifen. Jeder Gruppe gelang es aber unter Mithilfe der Lehrkräfte, ein übersicht­liches und praktikabel einsetzbares Testverfahren zu entwickeln.

• Alle Gruppen hatten nach Abschluss des Feldversuchs ideen und Hinwei­se, wie das formative Diagnoseins­trument weiter verbessert werden könnte: präzisere Definition des zu messenden konstrukts, bessere Pas­sung zwischen Testitem und zu prü­fender kompetenz, störende Einflüs­se reduzieren (z. B. Abhängigkeit der Testaufgaben von der Vergangen­heitsform der Englischvokabeln).

• Drei­ oder viermal in Folge einen nicht benoteten kurztest zu ein und derselben Thematik zu schreiben war für die meisten Schülerinnen und Schüler ungewöhnlich. Die Durch­

führung der formativen Leistungs­dia gnosen bereitete jedoch keine nennenswerten Schwierigkeiten. Hilf reich war, dass die Studierenden die Durchführung, Auswertung und Er gebnis rückmeldung übernahmen, sodass die Lehrkräfte nicht zusätzlich belastet wurden.

• Sowohl von den Lehrkräften als auch von den Studierenden wurde über­wiegend positiv bemerkt, dass die formativen Lernverlaufsdiagnosen zu einem differenzierten Bild über die Leistungen einzelner Schülerin­nen und Schüler beitragen können. Obwohl sich die Lehrkräfte in ihren bisherigen Beobachtungen bestätigt sahen, bewerteten sie die formativen Lernverlaufstests als eine zusätzliche diagnostische information.

• Bei den rückmeldungen zeigte sich die Problematik, dass überwiegend leistungsschwächere (und damit in der regel weniger motivierte) Schü­lerinnen und Schüler kein großes interesse an einer kontinuierlichen Steigerung ihrer Leistungen aufwie­sen. Sie waren etwa zufrieden, wenn sie die Hälfte der maximalen Punkt­zahl erreicht hatten, und sahen es nicht ein, die von den Studierenden zur Verfügung gestellten Förderma­terialien zu nutzen.

• Bei anderen Schülerinnen und Schülern konnten die Studierenden einen deutlichen Leistungszuwachs feststellen und diesen zum Teil auch auf Angebote im Unterricht zurück­führen.

• Die Lehrkräfte gaben trotz positi­ver Bewertung der Lernverlaufsdia­gnosen überwiegend zu bedenken, dass es aufgrund der Strukturierung ihres Unterrichts kaum praktikabel sei, diese Tests alleine durchzufüh­ren und auszuwerten. Ebenso halten sie es aufgrund der hohen Stofffülle und des engen Stundenkorsetts für kaum möglich, auf die formativen Lernverlaufs diagnosen mit differen­zierten Förderangeboten zu reagie­ren. Auch wenn dies aus ihrer Sicht durchaus pädagogisch wünschens­wert wäre.

• Eine Lehrkraft aus der Gruppe zwei­felte den Sinn dieser sehr technisch anmutenden Art formativer Lern­verlaufsdiagnosen insgesamt an. Allein durch ihre langjährige Er­fahrung und durch ihre Beobach­tungsgabe kann sie während des Unterrichtens die diagnostischen in­formationen sammeln, um auf Schü­lerfehler und Leistungsschwächen gezielt eingehen zu können.

Laufende Projekte und FazitDie gesammelten Erfahrungen nutzten wir, um weitere Projekte zur Förderung der formativen Diagnosekompetenz von Lehramtsstudierenden zu optimie­ren:• Formativ diagnostizieren und diffe­

renziert fördern als Aufgabenstel­lung im Schulpraktikum an der FAU Erlangen­Nürnberg

• Forschungs­ und Entwicklungspro­jekte zu bestimmten Fachkompe­tenzen: z. B. inhalte zusammenfassen können; Begriff der Anpassung am Beispiel von Vögeln; Potenzrechnen etc.

• Nutzung moderner informations­ und kommunikationstechnolo gien für die formative Leistungsdia gnos­tik: moodle, Tablet­Pcs

PRoF. DR. UWE MAIER PH Schwäbisch Gmünd

Die Literaturangaben finden Sie unter:www.lehrerbildung.lsa.hessen.de

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PINBoARD

SELBSTSTäNDIGE SChULE – fünfte Fachtagung

„hessische Schulen auf dem Weg zur Selbstständigkeit“. Unter diesem Leitthema fand am 29. November 2012 in Frankfurt am Main die fünfte gemeinsame Fachtagung des ehema-ligen Amtes für Lehrerbildung (AfL) und des ehemaligen Instituts für Qua-litätsentwicklung (IQ) in Kooperation mit der IhK Arbeitsgemeinschaft hes-sen statt.

im Blick standen die bisherigen Er­fahrungen der Schulen mit dem kon­zept der Selbstständigkeit, sowie die Frage, welche Voraussetzungen gebraucht werden, um die Eigenver­antwortlichkeit weiter zu fördern. Ein weiteres Ziel der Tagung war auch, Gelingensbe dingungen für eine er­folgreiche Schulpraxis zu hinterfragen und mögliche Handlungsperspektiven für ein wirksameres Lehren und Ler­nen aufzuzeigen. Zum Einstieg in die Tagung hielt Prof. Jürgen Oelkers von der Universität Zürich ein impulsrefe­rat zum konzept der Selbstständigen Schule, den chancen und Erwartung aus wissenschaftlicher Sicht und zum aktuellen Stand der Umsetzung. im anschließenden Podiumsgespräch zo­gen Schulpraktiker, Projektverantwort­liche sowie Eltern­ und Schülervertre­ter eine erste Bilanz des bisherigen

Prozesses. Am Nachmittag wurden die bisher gewonnenen Erkenntnis­se in sechs Workshops vertieft, die jeweils aus Sicht einer schulischen Handlungsgruppe über chancen und Erfahrungen mit der Selbständigen Schule diskutierten. Zielsetzung der Workshops war nicht nur die Benen­nung von Vorteilen und das Berichten von positiven Erfahrungen, es sollten auch offen Probleme in der Praxis an­

gesprochen werden. Die Ergebnisse der Workshops wurden in einem Bil­dungspolitischen Gespräch, an dem auch kultusministerin Beer teilnahm, präsentiert. Leitfragen waren: „Wo ste­hen wir?“, „Was war erfolgreich?“, Wo ist Handlungsbedarf?“ und „Was sollte Politik ändern oder verbessern?“.

SANDRA BUSChMüLLER

Im Bildungspolitischen Gespräch v. l. n. r. Peter hanack (FR), Nicola Beer (hessische Kultusminis-terin), hanna Kind (IhK), Bernd Schreier (ehem. IQ), Frank Sauerland (ehem. AfL), Reinhard Rzytki (Elly-heuss-Schule) (Foto: Andreas Funabashi)

kann ein Mathematikbuch gleicherma­ßen Jungen und Mädchen den Spaß an der Mathematik näherbringen? Das geht! Bewiesen haben das die Autoren christoph Maitzen (links) und Barbara krauth (Mitte). ihrem Schul­buch „Das Mathematikbuch 7“ wurde von der MUED e.V. der Titel Mädchen­freundliches Mathematikbuch verlie­hen. Ebenfalls bei der Preisverleihung anwesend Martin krämer (rechts) vom klett­Verlag.

Mädchenfreundlichstes Mathebuch

(Foto: Christa Schmidt)

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PINBoARD

Nein, es war nicht die oscar-Verlei-hung. Aber es war nicht minder span-nend und unterhaltsam, was die Bil-dungs-Show beim Diktatwettbewerb „Frankfurt schreibt“ am 27. Februar in Frankfurt zu bieten hatte. Denn die deutsche Rechtschreibung hat es in sich. heißt es nun Trimm-dich-Pfad oder Trimmdich pfad? oder muss es Auseinandergehen oder auseinander gehen lauten? Mit ihrem Diktatwett-bewerb „Frankfurt schreibt“ stellte die Stiftung Polytech nische Gesell-schaft unter Beweis, dass Recht-schreibung nicht nur mühsam und verzwickt, sondern auch amüsant und kurzweilig sein kann. 15 Frankfurter oberstufen hatten sich seit Dezem-ber 2012 auf das Ereignis vorbereitet und Diktat-Teams aus Eltern, Lehrkräf-ten und Schülerinnen und Schülern zusammen gestellt.

in der Frankfurter Musterschule ermit­telten sie im großen Finale inmitten orthografischer und anderer Stolper­fallen ihre Meister in den drei katego­rien Schülerinnen und Schüler, Lehr­kräfte und Eltern. 314 Wörter, davon 120 schwierige Wörter – dies war die Herausforderung. Das in Zusammen­arbeit mit der Duden­redaktion aus­getüftelte halbstündige Diktat wartete mit zahlreichen Herausforderungen

auf: ob „kanaille“ oder „Schlafittchen“, „EDV­bezogene Algorithmen“, die „zu guter Letzt allen zugute“ kommen, und das alles aus dem „eff eff“. Die durchschnittliche Fehlerquote – 49,9 bei den Schülerinnen und Schülern; 25,2 bei den Lehrkräften und 24,6 bei den Eltern – zeugt von den hohen An­forderungen des Textes.

Durch den lehrreichen Abend führte constanze Angermann (hr), die auch in strengem Habitus das Diktat vortrug. Als Vorsitzender der Jury war mit dem Leiter der Dudenredaktion, Dr. Werner Scholze­Stubenrecht, ein

prominenter Vertreter in rechtschreib­fragen gewonnen worden, an dem in Sachen deutscher Sprache kein Weg vorbeiführt.

Das Frankfurt­Finale ist noch nicht das Ende in Sachen Diktat: im April treffen im landesweiten Wettstreit die Frankfurter Sieger auf Herausforderer aus ganz Hessen.

SABINE STAhL

AND ThE WINNER IS…15 Frankfurter oberstufen treten beim Diktatwettbewerb an

So ganz aus dem „eff eff“ geht es dann doch nicht (Foto: Sabine Stahl)

„Liebe zum Reichtum unserer Sprache und ein Faible für den Denksport – all das vereint unser Wett-bewerb, mit dem wir besonders jüngere Menschen für Sprachkultur begeistern wollen“, resümiert Dr. Roland Kaehlbrandt, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Polytechnische Gesellschaft (Foto: Sabine Stahl)

Schülerinnen und Schüler1. Platz: Tilman Jacob, Musterschule, 19 Fehler     2. Platz: Eva klein, Musterschule, 21 Fehler     3. Platz: Jonathan Weber, Freie christliche Schule, 24 Fehler

Lehrkräfte1. Platz: Anneke Thaler, Max­Beckmann­Schule, 10 Fehler2. Platz: Brigitte Bergmann, Ziehenschule, 13 Fehler 3. Platz: Stefanie Forscher, Goethe­Gymnasium, 16 Fehler

und Angelika Wagner, Freiherr­vom­Stein­Gymnasium, 16 FehlerEltern1. Platz: Antje Freyberg, Europäische Schule, 9 Fehler2. Platz: Barbara Erbe, Heinrich­von­Gagern­Gymnasium, 10 Fehler  3. Platz: Maria­christina Nimmerfroh,

Heinrich­von­Gagern­Gymnasium, 12 Fehler

DIE SIEGER:

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EDITORIAL

DAs unTERschäTzTE RIsIkO

Liebe Leserinnen und Leser,

„Frei von Belästigungen zu leben, ist ein anerkannter sozialer Wert“, so das Umweltbundesamt. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit ist sogar ein Grundrecht, das auf Bildung ein Menschen-recht. Demgegenüber stehen schockierende Zahlen: 45.000 gesunde Lebensjahre von europäischen Kindern gehen jährlich verloren, weil sie kognitive Störungen haben, 903.000 Lebensjahre pro Jahr sind beeinträchtigt durch Schlafstörungen und 61.000 gesunde Lebensjahre gehen EU Bürgern in jedem Jahr durch koronare Herzerkrankungen verloren. Die Ursache: Lärm.

Der menschliche Organismus ist darauf ausgerichtet, Schall zu empfangen, sonst könnte er nur schwer kommunizieren, interagieren, ein soziales Wesen sein. Wir orientieren uns mit seiner Hilfe und werden durch ihn auch gewarnt. Schall in Form von Sprachsignalen ist wesentlicher Bestandteil des Unterrichts-geschehens. Aber Schall bedeutet auch Störgeräusche, Beeinträchtigungen, Lärmbelastung. Und so sind Stress, Lern- und Konzentrationsprobleme, Herz-Kreislauferkrankungen und ganz aktuell erforscht – auch genetische Veränderungen – nur einige Schattenseiten unerwünschter Schallerlebnisse.

Lärm ist nicht nur für die Gesundheit, sondern auch für die Schule und den Lernerfolg der Schülerin-nen und Schüler ein wichtiges Thema. Denn er behindert massiv Kommunikations- und Behaltens-leistungen. Lautes Reden, verzerrte Sprache, Nachhall, Verständnisschwierigkeiten, Abriss von Gedanken ketten, … ein unwillkommenes Kommunikationsinferno.

Die Problematik, die sich jetzt ihren Weg in das Bewusstsein und die Öffentlichkeit bahnt, ist lange Zeit unterschätzt worden. Welche Auswirkungen die Lärmproblematik auf Lernprozesse, das Arbeits klima und Wohlbefinden hat, erfahren Sie im Leitartikel und Interview. Darüber hinaus bieten wir Ihnen ein kleines Methodenrepertoire zur Lernprozessbegleitung, spannende Einblicke in die Kompetenz-orientierung und in formative Diagnosekompetenzen sowie Ausblicke auf das Abitur.

Die Redaktion der BILDung bewegt wünscht Ihnen ruhige, konzentrierte Lern- und Leseumge-bungen. Grüßen Sie Ihr Gehör!

sabine stahlChefredakteurin

3 BILDung bewegt NR. 20 MRZ/2013

TERmInhInwEIsE

Veranstaltungen im April 2013

26. – Jahrestagung der Deutschen gesellschaft27. für soziale Arbeit (DgsA) Wahrnehmen, Analysieren, Intervenieren. Zugän-

ge zu sozialen Wirklichkeiten Ort: FH Frankfurt am Main nähere Informationen: www.fh-frankfurt.de/de/

fachbereiche/fb4/aktuelles_und_termine/veran-staltungen/dgsa2013.html

27. JuBi – Die Jugendbildungsmesse: messe für schüleraustausch, high school, sprachreisen, Praktika, Au-Pair, work & Travel und Freiwilligendienste

Ort: Wilhelmsgymnasium Kassel nähere Informationen:

http://www.weltweiser.de/jugendbildungsmes-sen/kassel-schueleraustausch-hessen.htm

Veranstaltungen im mai 2013

03. – studyworld 201304. 8. Internationale Messe für Studium, Praktikum,

Jobeinstieg und Weiterbildung Ort: Russisches Haus der Wissenschaft und Kultur, Berlin nähere Informationen: www.studyworld2013.com

22. – Aktionstage24. „Biodiversität im Opel-zoo erleben“

Ort: Opel Zoo, Kronberg nähere Informationen: www.uni-frankfurt.de

27. – „Frischen wind in mInT“ –29. Impulse aus Europa für den mathematisch-natur-

wissenschaftlichen unterricht Ort: Herrenkrug Parkhotel, Magdeburg nähere Informationen: www.kmk-pad.org/nc/aktuelles/termine.html

ADREssEn & AnsPREchPARTnER

Landesschulamt und LehrkräfteakademieHauptsitz: Kirchgasse 2, 65185 [email protected] Tel.: +49 (0) 611 368 2657

Präsident des LsAJörg Meyer-ScholtenTel. + 49 (0) 611 368 2657

Abteilung zZentrale Dienste und ServiceleistungenJoachim Schmidt Tel. +49 (0) 611 368 2659

Abteilung ISchulaufsicht und SchulberatungDr. Marion Steudel Tel. +49 (0) 611 368 2204

Abteilung IIAkademie für Lehrerbildung und PersonalentwicklungFrank SauerlandTel. +49 (0) 69 38989 300

Abteilung IIIQualitätsentwicklung und EvaluationBernd SchreierTel. +49 (0) 611 5827 400

Die Tagungseinrichtungen Rhein-main-gebietErwin-Stein-HausStuttgarter Straße 18 – 2460329 FrankfurtTel. + 49 (0) 69 38989 330

nordhessen/Reinhardswaldschule Rothwestener Straße 2 – 1434233 FuldatalTel. + 49 (0) 561 8101 0

mittelhessen/weilburgFrankfurter Straße 20 – 2235781 WeilburgTel. + 49 (0) 6471 3281 00

ImPREssum

herausgeber: Landesschulamt und Lehrkräfteakademie

gesamtverantwortung: Sabine Stahl

Redaktion: Sandra Buschmüller, Sabine Stahl

Lektorat: Ingrid Walther, KonTeXt Textgestaltung und Lektorat

Layout und gestaltung: www.sixfeetone.de, Frankfurt/Main

Druck und Verarbeitung: Druckerei Hesse, Fuldabrück

mediadaten und Anzeigenannahme: Kerstin Rheingans

Erscheinungsweise: vierteljährlich

Auflage: 6000

Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe: 15. April 2013

Landesschulamt und Lehrkräfteakademiestuttgarter straße 18 – 2460329 Frankfurt

[email protected]

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LERneNDe FÜR LERnEnDE?wie Lärm unsere Lernfähigkeitbeeinträchtigt

hÖREn ALLEInE gEnÜgT nIchT, um zuhÖREnzu BEwäLTIgEnInterview mitProf. Dr. maria klatte

NR. 20 MRZ/2013

Landesschulamt und Lehrkräfteakademie

hessischeskultusministerium

Landesschulamt undLehrkräfteakademie

Kirchgasse 265185 Wiesbaden

www.lsa.hessen.de

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