Lenin überkommunistische Moral -...

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Lenin über kommunistische Moral Lenin gehörte zu der Generation, die unter dem Einfluß Pissarews, Schtschedrins, Nekrassows, Dobroljubows, Tschernyschewskis und der revolutionär-demokratischen Poesie der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts aufgewachsen war. Die Dichter der "Iskra"294 hatten die Überbleibsel der alten, fronherrschaftlichen Sitten scho- nungslos verlacht, hatten Laster, Katzbuckelei, Speichelleckerei, Doppelzüngigkeit, Spießbürgerlichkeit und Bürokratismus gegei- ßelt. Die Schriftsteller der sechziger Jahre hatten gelehrt, wachen Auges das Leben zu beobachten und die Überbleibsel der alten, der fronwirtschaftIichen Lebensweise auszufegen. Lenin haßte von Kindheit an Spießbürgertum, Klatscherei, banalen Zeitvertreib, ein Familienleben "ohne gesellschaftliche Interessen", die Herabwürdi- gung der Frau zu einem Gegenstand des Ergötzens, der Zerstreu- ung oder' zur gefügigen Sklavin. Er verachtete ein von Unaufrichtig- keit, von Konjunkturrittertum durchtränktes Leben. Besondere Vor- liebe hatte Iljitsch für Tschernyschewskis Roman "Was tun?", für die scharfe Satire Schtschedrins, für die Dichter der "Iskra"; viele ihrer Gedichte kannte er auswendig; Nekrassow schätzte er sehr. Wladimir. Iljitsch mußte lange jahre in der Emigration - in Deutschland, in der Schweiz,in England und in Frankreich - leben. Er besuchte Arbeiterversammlungen, vertiefte sich aufmerksam in das Leben und Treiben der Arbeiter, beobachtete ihr häusliches Leben, ihre Erholung im Cafe und auf Spaziergängen. Er hatte Gelegenheit zu beobachten, wie groß der Einfluß des bürgerlichen Milieus, der ganzen bürgerlichen Lebensweise auf die Familie, auf

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Lenin über kommunistische Moral

Lenin gehörte zu der Generation, die unter dem Einfluß Pissarews,Schtschedrins, Nekrassows, Dobroljubows, Tschernyschewskis undder revolutionär-demokratischen Poesie der sechziger Jahre des19. Jahrhunderts aufgewachsen war. Die Dichter der "Iskra"294hatten die Überbleibsel der alten, fronherrschaftlichen Sitten scho-nungslos verlacht, hatten Laster, Katzbuckelei, Speichelleckerei,Doppelzüngigkeit, Spießbürgerlichkeit und Bürokratismus gegei-ßelt. Die Schriftsteller der sechziger Jahre hatten gelehrt, wachenAuges das Leben zu beobachten und die Überbleibsel der alten, derfronwirtschaftIichen Lebensweise auszufegen. Lenin haßte vonKindheit an Spießbürgertum, Klatscherei, banalen Zeitvertreib, einFamilienleben "ohne gesellschaftliche Interessen", die Herabwürdi-gung der Frau zu einem Gegenstand des Ergötzens, der Zerstreu-ung oder' zur gefügigen Sklavin. Er verachtete ein von Unaufrichtig-keit, von Konjunkturrittertum durchtränktes Leben. Besondere Vor-liebe hatte Iljitsch für Tschernyschewskis Roman "Was tun?", fürdie scharfe Satire Schtschedrins, für die Dichter der "Iskra"; vieleihrer Gedichte kannte er auswendig; Nekrassow schätzte er sehr.

Wladimir. Iljitsch mußte lange jahre in der Emigration - inDeutschland, in der Schweiz, in England und in Frankreich - leben.Er besuchte Arbeiterversammlungen, vertiefte sich aufmerksam indas Leben und Treiben der Arbeiter, beobachtete ihr häuslichesLeben, ihre Erholung im Cafe und auf Spaziergängen. Er hatteGelegenheit zu beobachten, wie groß der Einfluß des bürgerlichenMilieus, der ganzen bürgerlichen Lebensweise auf die Familie, auf

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die Häuslichkeit der Arbeiter ist. Dieser Einfluß zeigte sich in tau-send Kleinigkeiten. Als wir in Frankreich lebten, fiel uns besondersder Gegensatz zwischen der allgemeinen revolutionären Stimmungder Arbeiter und der banalen kleinbürgerlichen Häuslichkeit auf.

Wir lebten im Ausland ärmlich, größtenteils mieteten wir billigeZimmer in Wohnungen, in denen neben uns alle möglichen Leutewohnten, wir verpflegten uns bei verschiedenen Wirtsleuten oder inbilligen Gaststätten. In Paris besuchte Iljitsch sehr gern Cafes, indenen Sänger ihre Lieder über demokratische Alltagsthemen san-gen und damit die bürgerliche Demokratie und die tagtäglichenSeiten des Lebens sehr scharf kritisierten ...

Wladimir Iljitsch verband die Fragen der Moral stets eng mitden Fragen der Weltanschauung. In der Gesellschaft der Sklaven-halter hatte man von den Sklaven Gefügigkeit und Demut verlangt.Belehrungen darüber, wie sich Sklaven aufzuführen haben, gab dieReligion. Die Religion schrieb eine ganze Anzahl von Verhaltens-regeln vor. Diesen Kodex der religiösen Moral gab man als dieGebote Gottes aus, die der Herrgott selbst dem Volke vorschrieb.Solche "Gebote" des Verhaltens blieben auch unter dem Kapi-talismus erhalten und werden von den Kapitalisten propagiert,weil es für sie vorteilhaft ist, wenn sich die Werktätigen wie Skla-ven benehmen. Nur wurde der Moralkodex, wurden die Regelndes Verhaltens entsprechend den Bedingungen der kapitalistischenAusbeutung ergänzt.

In jeder Epoche der Klassengesellschaft gibt es für jede Klasseeine besondere Moral, ein besonderes Verzeichnis von Verhaltens-regeln, das von den herrschenden Klassen zusammengestellt wird.Die einen Verhaltensregeln gelten für Personen, die der Klasse derAusbeuter angehören, die anderen für Personen, die zur Klasse derAusgebeuteten gehören. Diese Regeln werden in den Schulen bür-gerlicher Länder in besonderen Stunden gelehrt.

Die idealistische Psychologie hat eine Reihe von Theorien ent-wickelt, die von angeblich angeborenen "Eigenschaften der Seele'"von "angeborener Sittlichkeit" sprechen. Diese idealistischen Theo-rien verknüpfen sich sehr leicht mit den religiösen und bürgerlichen

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Moralkodexen, mit landläufigen, von früher her überkommenenLebensgewohnheiten.

Auf dem ur. Kongreß des Kommunistischen JugendverbandesRußlands sprach Wladimir Iljitsch am 2. Oktober 1920 von derkommunistischen Moral und erklärte an einfachen, konkreten Bei-spielen, worin das Wesen der kommunistischen Moral besteht. Diefronherrliche und bürgerliche Sittlichkeit, sagte er, sei ein einzigerBetrug, ein Schwindel und eine Verkleisterung der Hirne der Arbei-ter und Bauern im Interesse der Gutsbesitzer und Kapitalisten, diekommunistische Sittlichkeit aber ergebe sich aus den Interessen desproletarischen Klassenkampfes. Er sprach davon, daß die kommu-nistische Sittlichkeit darauf abziei~r;:omüsse, die mensChliChe Gesell-schaft höher zu heben, sie von der Ausbeutung der Arbe1t zu be-freien. Der kommunistisChen S1ttliChkeit hege der Kampf tur dIeFestigung und Vollendung des Kommunismus zugrunde. Leninzeigte an konkreten Beispielen, wie wichtig der einheitliche Zusam-Plenschluß ist, die Fähigkeit. sidt zu beherrschen, fleißig, ohne dieHände in den Schoß zu legen, an dem zu arbeiten, was zur Festi-ßung der neuen Gesellschaftsordnung notwendig ist. Er zeigte, welCh, g'ri:me6e'Wü"ßte"DiSZIpuriman oraumt und WeIChStarke SolidaritätI geübt werden muß, wenn die gestellten Aufgaben bewältigt werdenIsollen. Iljitsch sagte der Jugend, daß es notwendig ist, die ganzeeigene Arbeitskraft, ja alle eigenen Kräfte überhaupt für das ge-meinsame Werk einzusetzen.

Lenins Leben selbst zeigt, wie das getan werden muß. Anderskonnte Lenin nicht leben, anders konnte er die Sache nicht ansehen.Er war kein Asket. Gern lief er Schlittschuh, fuhr Rad, kletterte aufdie Berge, ging auf die Jagd, er liebte die Musik, liebte das Lebenin all seiner mannigfaltigen Schönheit, liebte die Gefährten, liebtedie Menschen. Alle kennen seine' Schlichtheit, sein fröhliches, an-steckendes Lachen. Aber alles war bei ihm einer einzigen Sacheuntergeordnet - dem Kampf um ein für alle lichterfülltes, inhalts-reiches und frohes Leben in Wohlstand und Kultur. Am meistenerfreuten ihn Erfolge in diesem Kampf. Das Persönliche verschmolzbei ihm ganz von selbst mit seiner gesellschaftlichen Tätigkeit.

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In der Emigration, in Ländern mit kapitalistischer Gesellschafts-ordnung, in denen jedoch die sozialdemokratische·Bewegung mehroder weniger legalisiert war (in Frankreich und in England, imDeutschland der Vorkriegszeit), konnte man nicht selten beob-achten, wie ein großer sozialdemokratischer Führer leidenschaft-

, liehe, höchst radikale Reden hielt, während er im häuslichen Leben,in den alltäglichen Dingen ein richtiger Spießbürger war, "un bour-geois malgre lui", wie die Franzosen sich ausdrücken, das heißt"ein Bourgeois wider Willen". Die kapitalistische Gesellschafts-ordnung, die ganze Umwelt beeinflussen seine Denkweise so, daßer den Widerspruch nicht einmal bemerkt. Die Ehefrau ist ihm nichtFreundin und Gefährtin, sondern Hausfrau, Dienerin oder einSpielzeug, ein Gegenstand der Zerstreuung, der Befriedigung ge-schlechtlicherBedürfnisse; die Kinder sind sein Eigentum, mi, ihnenkann er tun, was er will: er kann sie schlagen, sie verwöhnen, sie zuübermäßiger Arbeit zwingen oder sie zu Bummelanten heranziehen.John Reed hat eine prächtige Erzählung unter dem Titel "Tochterder Revolution" geschrieben, in der erzählt wird, wie ein jungesMädchen, deren Vater Arbeiter und Kommunarde, deren BruderSozialist war, in der Banalität eines durch und durch kleinbürger-lichen Familienlebens förmlich erstickt und nicht weiß, wie sie einenAusweg finden soll und schließlich zur Prostituierten wird.

Iljitsch zeigte in seiner Rede auf dem IH. Komsomolkongreßeinen Ausweg aus der Einflußsphäre der Spießbürgerlichkeit, desKleinbürgertums. Er lehrte die junge Generation kämpfen, er lehrtesie für die Interessen der Gesamtheit leben. Mit allem Nachdruckstellte Lenin die Frage gesellschaftlicher Arbeit der Frau - derArbeiterin und der Bäuerin -, ihrer Teilnahme an der Verwaltungdes Landes. Er regte an, die Kinder zur gesellschaftlichen Arbeit

'heranzuziehen, zu einer Arbeit, die sich nicht allein innerhalb der

lMauernder Schule abspielt, sondern den Erwachsenen - den Arbei-tern und Bauern - hilft.

Auf dem Gebiet der Emanzipation der Frau haben wir großeErfolge zu verzeichnen; eine besonders große Rolle spielte hierbeidie Kollektivierung der Landwirtschaft.

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Der Kommunistische Jugendverband, der die Kinder von 12 Jah-ren an zu Pionierabteilungen zusammenfaßt, bringt den KindernVerhaltensregeln bei, die der kommunistischen Moral entspringen.Der Komsomol lehrt die Kinder, den Erwachsenen bei ihrer gesell-schaftlichenArbeit zu helfen, gegen alle Ungehörigkeiten, von denenes ringsumher noch viele gibt, zu kämpfen, sich gegen Trunkenheitund Schimpfszenen zu wenden, er lehrt die Pioniere, dafür zu sor-gen, daß die Mädchen nicht beleidigt werden. Knaben setzen sichzu Hause dafür ein, daß auch die Mädchen in die Schule geschicktwerden, daß sie nicht für übermäßige Hausarbeit in Anspruch ge-nommen werden, sie helfen selbst den Müttern. Pioniere lehren ihreMütter und die Hausgehilfinnen lesen und schreiben, wenn sie esnoch nicht können, sie lassen es nicht zu, daß Kleinkinder geschla-gen werden. Der Komsomol lehrt die Pioniere, Vertreter der Ge-sellschaft zu sein, die Überbleibsel der alten Anschauungen im All-tagsleben zu bekämpfen, er erläutert die Schädlichkeit des religiösenGlaubens, er lehrt, wie man seine eigenen Ansichten zu verfechtenhat.

Die Pioniere haben sich rasch Ansehen errungen. In der letztenZeit aber ist die Pionierarbeit zurückgegangen. Man muß siewiederheben, muß die künftigen Kornsornolmitglieder, die die jetzigen ab-lösen sollen, in der rechten Weise erziehen.

In letzter Zeit haben einige Funktionäre und Aktivisten des Korn-.somol ihre politische Schärfe verloren. Sie überlassen sich bürger-. lichen Einflüssen im häuslichen Leben, sie vergessen, wie ein Kom-munist zu sein hat und wofür er kämpfen muß. Natürlich sind dasEinzelfälle. Aber jeder Komsomolze und jede Komsomolzin müs-sen mehr als bisher auf sich achten, unablässig müssen sie nicht inWorten, sondern durch Taten von sich selbst mehr verlangen; manmuß konsequent Leninist sein sowohl im gesellschaftlichen als auchim persönlichen Leben, man muß es verstehen, die persönlichenInteressen der gemeinsamen Sache unterzuordnen, man darf nicht

1vergessen, daß sich die häuslichen Lebensgewohnheiten nicht vom\gesellschaftlichen Leben, von der Politik trennen lassen.

Für die Komsomolzen an den Schulen und Hochschulen gilt das

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in noch höherem Maße. Sie müssen besonders dafür sorgen, daß siesich nicht vom lebendigen Leben, vom sozialistischen Aufbau, vonden Massen loslösen, daß kein Karrierismus aufkommt, daß nichtbürgerlicher Individualismus ins Kraut schießt.

Lenin setzte stets große Hoffnungen auf den Komsomol, er hofftevon Herzen, daß die Komsomolzen zu richtigen Kommunisten her-anwachsen werden, die mitten im Leben stehen und es im Geistedes Sozialismus umzugestalten wissen.

Man darf davon überzeugt sein, daß der Komsomol die Hoff-nungen, die auf ihn gesetzt werden, rechtfertigen wird.

Zuerst veröffentlicht am 2. Oktober 1937in der "Komsomolskaja Prawda" Nr. 227.