Leitlinien der Internationalen Jugendpolitik und ... · Überwindung des Ost-West Antagonismus, das...

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176 Die Jugendministerkonferenz hat am 17.5./ 18.5.2001 in Weimar unter TOP 6 die Leitli- nien der Internationalen Jugendpolitik und Jugendarbeit von Bund und Ländern einstim- mig beschlossen. Diesen Beschluss dokumen- tieren wir nachstehend im Wortlaut: Beschluss Die Jugendministerinnen und Jugendminis- ter von Bund und Ländern verständigen sich auf neue Leitlinien zur Internationalen Ju- gendpolitik und Jugendarbeit. Sie tragen da- mit aktuellen Entwicklungen Rechnung, in- dem sie junge Menschen gezielt auf neue He- rausforderungen vorbereiten und ihre inter- nationale Kompetenz stärken. Junge Men- schen sind für ein Zusammenwachsen Euro- pas die wichtigsten Gestalter, denn sie bauen ganz wesentlich unsere gemeinsame euro- päische Zukunft. Vor diesem Hintergrund betont die Ju- gendministerkonferenz: Internationale Jugendbegegnung leistet ei- nen wesentlichen Beitrag zur Förderung von Verständnis. Zusammenarbeit und Toleranz, um Fremdenfeindlichkeit und nationalem Egoismus entgegenzuwirken. Insbesondere junge Menschen treten ein für die Sicherung und Ausgestaltung des Friedens und für mehr Freiheit und sozia- le Gerechtigkeit in der Welt. Internationaler Jugendaustausch erwei- tert insbesondere auch das schulischeund berufliche Lernen und hilft eine internatio- nale Kompetenz zu entwickeln. Dokumentation Leitlinien der Internationalen Jugendpolitik und Jugendarbeit von Bund und Ländern In: Internationaler Jugendaustausch- und Besucherdienst der Bundesrepublik Deutschland (IJAB) e.V. (Hrsg.), Forum Jugendarbeit International 2002, Münster 2001, S. 176-194

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Die Jugendministerkonferenz hat am 17.5./18.5.2001 in Weimar unter TOP 6 die Leitli-nien der Internationalen Jugendpolitik undJugendarbeit von Bund und Ländern einstim-mig beschlossen. Diesen Beschluss dokumen-tieren wir nachstehend im Wortlaut:

Beschluss

Die Jugendministerinnen und Jugendminis-ter von Bund und Ländern verständigen sichauf neue Leitlinien zur Internationalen Ju-gendpolitik und Jugendarbeit. Sie tragen da-mit aktuellen Entwicklungen Rechnung, in-dem sie junge Menschen gezielt auf neue He-rausforderungen vorbereiten und ihre inter-nationale Kompetenz stärken. Junge Men-schen sind für ein Zusammenwachsen Euro-pas die wichtigsten Gestalter, denn sie bauenganz wesentlich unsere gemeinsame euro-päische Zukunft.

Vor diesem Hintergrund betont die Ju-gendministerkonferenz:• Internationale Jugendbegegnung leistet ei-

nen wesentlichen Beitrag zur Förderungvon Verständnis. Zusammenarbeit undToleranz, um Fremdenfeindlichkeit undnationalem Egoismus entgegenzuwirken.Insbesondere junge Menschen treten einfür die Sicherung und Ausgestaltung desFriedens und für mehr Freiheit und sozia-le Gerechtigkeit in der Welt.

• Internationaler Jugendaustausch erwei-tert insbesondere auch das schulischeundberufliche Lernen und hilft eine internatio-nale Kompetenz zu entwickeln.

Dokumentation

Leitlinien der InternationalenJugendpolitik und Jugendarbeitvon Bund und Ländern

In: Internationaler Jugendaustausch- und Besucherdienst der Bundesrepublik Deutschland (IJAB) e.V. (Hrsg.), Forum Jugendarbeit International 2002, Münster 2001, S. 176-194

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• Damit wird Kommunikationsfähigkeit gestärkt sowie das Bewusst-sein und die aktive Wahrnehmung einer europäischen Bürgerschaftverinnerlicht.

Die Jugendministerkonferenz erwartet von allen Beteiligten, verstärktbenachteiligte junge Menschen in die Programme einzubinden undinsbesondere auch den ausbildungs- und berufsbezogenen Jugendaus-tausch auszubauen. Insbesondere gilt es auch, junge ausländische Men-schen, Migrantinnen und Migranten, Aussiedlerinnen und Aussiedler indiese Austauschmaßnahmen einzubeziehen, um damit ihren Integra-tionsprozess in Deutschland zu befördern.

Die Jugendministerkonferenz weist auf die Notwendigkeit hin, die iminternationalen Jugendaustausch gewonnenen Erfahrungen und Kennt-nisse in der Schule und der Jugendarbeit stärker zu berücksichtigen.Sie sieht darin die Chance, dass internationales und europäisches Be-wusstsein im Alltag von jungen Menschen geweckt und gefördert wer-den kann. Sie hält dies für einen wichtigen Beitrag für die Integrations-bemühungen in der Gesellschaft und für das friedliche Zusammenlebenvon Menschen aus verschiedenen Kulturen.

Alle Beteiligten in Bund, Ländern und Gemeinden – öffentliche undfreie Träger sind deshalb gefordert, die Förderung der InternationalenJugendarbeit mit allen Kräften zu unterstützen.

Dieser Beschluss und die »Leitlinien der Internationalen Jugendpoli-tik und Jugendarbeit von Bund und Ländern« werden veröffentlicht.

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Leitlinien der Internationalen Jugendpolitik

und Jugendarbeit von Bund und Ländern

1. Präambel

Jugendliche suchen nach Orientierungspunkten, um Perspektiven fürdie Gestaltung ihrer Zukunft zu gewinnen. Zu Beginn des neuen Jahr-tausends fällt ihnen dies besonders schwer, weil sich das unmittelbarewie auch das weitere Umfeld der jungen Menschen in einer Phase zumTeil gravierender Veränderungen befindet. Der gesellschaftliche Trans-formationsprozess hat Auswirkungen im familiären und schulischensowie im Ausbildungs- und Arbeitsbereich. Andererseits wirken die sichverändernden politischen, wirtschaftlichen und technologischen Rah-menbedingungen ihrerseits auf die Gesellschaft und den Einzelnen. DieÜberwindung des Ost-West Antagonismus, das Zusammenwachsen unddie Erweiterung der Europäischen Union, die Globalisierung der Ar-

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QUALITÄTSENTWICKLUNG IN DER INTERNATIONALEN JUGENDARBEIT

beitsmärkte, die rasanten Entwicklungen im Technologie- und Kommu-nikationssektor, die riesigen Kapitalströme, die täglich an den Börsentransferiert werden, dies alles hat jene Koordinaten fundamental ver-ändert, in denen sich Gesellschaften und Individuen einen Orientie-rungs- und Gestaltungsrahmen setzen.

Die Internationale Jugendarbeit will vor dem Hintergrund dieserEntwicklungen jungen Menschen helfen, durch Erfahrungen mitGleichaltrigen in anderen Ländern und mit ausländischen Gästen zu-hause die eigene Situation und den eigenen Standort besser zu erken-nen. Begegnung und Zusammenarbeit über Grenzen hinweg sollenMöglichkeiten und Chancen zur Mitgestaltung an den genannten Ent-wicklungen aufzeigen bzw. verbessern. Neben den persönlichkeitsbil-denden Aspekten gewinnt die Erlangung internationaler Kompetenz fürden einzelnen Jugendlichen an Bedeutung. Fit werden für Europa so-wie Toleranz und Verständnis gegenüber Fremden sind Kriterien derQualifizierung für grenzüberschreitende Zusammenarbeit ebenso wiefür die Begegnung mit Menschen aus anderen Ländern und Kulturen»vor der Haustür«.

Die Internationale Jugendarbeit ist Teil der nationalen Jugendpoli-tik. Sie ist ein komplexes Übungsfeld für junge Menschen, in dem sie –wie im Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) postuliert – zur gesell-schaftlichen Mitverantwortung und zu sozialem Engagement angeregtund hingeführt werden. Die Vielfalt von Trägern der Jugendhilfe mitihren unterschiedlichen Wertorientierungen, Arbeitsinhalten, -formenund -methoden kommt hier in ihrer gesamten Bandbreite zum Tragen.Die Internationale Jugendarbeit ist gleichzeitig in der auswärtigen Kul-turpolitik verankert und in diese eingebettet. Aus diesen beiden »Quel-len« bestimmt sich die Internationale Jugendarbeit, wobei die fachli-chen Akzente überwiegend jugendpolitischer Natur sind, wohingegendie regionalen Schwerpunktsetzungen außen- und kulturpolitisch mit-bestimmt sind.

Für die Internationale Jugendarbeit gibt es eine Gesamtverantwor-tung von Bund, Ländern und Kommunen. Jede dieser Ebenen fördertauf ihre Weise Programme des Jugendaustausches und der jugendpo-litischen Zusammenarbeit. Die Pluralität in der Förderung legt eineAbstimmung bei der Schwerpunktsetzung nahe, auch um Kontinuitätin den Partnerbeziehungen zu unterstützen und möglichst nachhaltigeWirkungen mit den Programmen zu erzielen. Allerdings bleibt es jederEbene unbenommen, autonom und in eigener Verantwortung jeweilseigene Akzente zu setzen.

Internationale Jugendarbeit ist seit Einführung des Bundesjugend-plans im Jahre 1950 ein fester Bestandteil auch dieses Förderinstru-mentes. Während die allgemeinen Ziele des interkulturellen Lernens

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nach wie vor Bestand haben, erfolgten Veränderungen und Modifizie-rungen in der inhaltlichen und regionalen Ausrichtung der Program-me. Die historischen und regionalen Schwerpunkte der jugendpoliti-schen Zusammenarbeit mit den westeuropäischen Nachbarländern,allen voran Frankreich sowie mit Israel und den USA sind kontinuier-lich erweitert worden. Junge Menschen sollen sich mit Europa identifi-zieren und im Prozess des Zusammenwachsens die sich daraus erge-benden Chancen erkennen und wahrnehmen.

Auch sollen internationale Begegnungen und der grenzüberschrei-tende Austausch dazu beitragen, Vorurteile zu überwinden und die In-terdependenzen in einer immer stärker zusammenwachsenden Welthin zu einem »global village« nachzuvollziehen. Nach den revolutionä-ren Veränderungen in den mittel-, ost- und südosteuropäischen Län-dern einschließlich der Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunionwird besondere Aufmerksamkeit auf die fachlich ausgerichtete Koope-ration und den Erfahrungsaustausch mit diesen gelegt. Diese Staatensind sehr an Kenntnissen über das demokratisch-plurale und födera-listisch strukturierte System der Jugendhilfe in Deutschland interes-siert. Hieraus, sowie mit der EU-Erweiterung erwächst für Deutsch-land, auch auf Grund seiner geografischen Lage, eine besondere Ver-antwortung.

Hinsichtlich der Weiterentwicklung der Jugendhilfe in Deutschlandmüssen wir uns stärker Erfahrungen aus anderen Ländern zu Nutzemachen. Gesellschaften in anderen Ländern, die vor ähnlichen Proble-men und Herausforderungen bezüglich der Jugend stehen, ihre Lö-sungsansätze aber vor einem ganz anderen historischen und kulturel-len Hintergrund formulieren, sind für uns von großem Interesse. Auchinsofern gewinnen die jugendpolitischen Beziehungen mit anderen Län-dern und Regionen an Bedeutung.

Information und Beratung, insbesondere durch die Nutzung moder-ner Medien, tragen mehr und mehr zur Qualifizierung von Jugendbe-gegnungen und des fachlichen Austausches bei. Kommunikation viaInternet bietet vielfältige Möglichkeiten zur Verbesserung der Vor- undNachbereitung von Austauschprogrammen. Die Vielfältigkeit der Artenund Methoden Internationaler Jugendarbeit, aber auch die Vielzahlunterschiedlicher Fördersysteme einschließlich der Programme derEU-Kommission und des Europarates, stellen wachsende Anforderun-gen an die meist ehrenamtlichen Begleiter/innen und Teamer/innen,denen durch entsprechende Trainings- und Qualifizierungsmaßnah-men begegnet werden muss. Qualifizierte Jugendbegegnungen tragenzur persönlichen Bereicherung der Teilnehmer/innen bei und bieten dieGewähr für den Aufbau stabiler, grenzüberschreitender Partnerschaf-ten.

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QUALITÄTSENTWICKLUNG IN DER INTERNATIONALEN JUGENDARBEIT

2. Zielorientierung

2.1 Zielgruppenspezifische Inhalte entwickeln

Internationale Jugendbegegnung ist inhaltlichen Zielen verpflichtet undunterscheidet sich damit von einer touristisch ausgerichteten Aktivität.Diese Ziele lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:• Förderung von Verständnis, Zusammenarbeit (verstehen und wahr-

nehmen anderen Denkens, Fühlens und Handelns) und Toleranz, umFremdenfeindlichkeit und nationalem Egoismus entgegenzuwirken.Dies schließt die Mitverantwortung junger Menschen für die Siche-rung und Ausgestaltung des Friedens und für mehr Freiheit und so-ziale Gerechtigkeit in der Welt ein.

• Förderung des Erwerbs interkultureller Kompetenz und Kommuni-kationsfähigkeit.

• Förderung des Bewusstseins und der aktiven Wahrnehmung einereuropäischen Bürgerschaft, die sich als Teilaspekt und nicht als Ge-gensatz zum »Eine Welt Gedanken« versteht.

• Erweiterung des schulisch und beruflich orientierten Lernens zurEntwicklung internationaler Kompetenz.

• Förderung der internationalen Begegnung als Praxisfeld für jugend-spezifische Freizeitgestaltung und Jugendkultur.

Internationale Jugendbegegnung ist damit eingebettet in die Strukturenund Zielbestimmungen internationaler Jugendpolitik im Sinne einerQuerschnittspolitik. Sie muss sich sowohl den Herausforderungen einereuropäischen Integration als auch der ökonomischen und gesellschaft-lichen Globalisierung stellen.

In dieser Perspektive, in der grenzüberschreitende sowie internatio-nale Lernprozesse und Erfahrungen eine zunehmende Bedeutung ge-winnen, muss jugendpolitisches Handeln diesen Gegebenheiteninsgesamt stärker Rechnung tragen.

Eng verknüpft mit der inhaltlichen Zielsetzung Internationaler Ju-gendarbeit ist auch die Frage nach der Orientierung auf spezifische

Zielgruppen. Jugendpolitik muss programmatisch und förderpolitischdarauf hinwirken, dass traditionell schwach vertretene Zielgruppenstärkeren Zugang zu den Programmen internationaler Jugendbegeg-nung finden. Die Tendenzen ökonomischer Globalisierung erforderngerade im Bereich des ausbildungs- oder berufsbezogenen Austausches

neue inhaltliche Konzepte und institutionelle Kooperationen. Es wirddies auf europäischer Ebene ein wesentliches Entwicklungsfeld für In-ternationale Jugendarbeit. Das für den Zeitraum 2000 bis 2006 be-schlossene »Aktionsprogramm Jugend« der EU trägt dieser Grundori-entierung Rechnung, indem eine stärkere Verzahnung jugend- und bil-

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dungspolitischer Anstrengungen einerseits, sowie eine Orientierung auf»benachteiligte« Zielgruppen andererseits erfolgt. Für die jugendpoli-tische Diskussion in Deutschland liegen zum Thema einer arbeitswelt-

bezogenen Programmgestaltung für den internationalen Austausch vorallem Erfahrungen aus deutsch-französischen Projekten vor. Beispiel-haft erwähnt seien hier die dreimonatigen Maßnahmen im deutsch-französischen Grenzraum (Rheinland-Pfalz/Saarland/Lothringen), die»Europatauglichkeit« durch die Vermittlung von Sprachkompetenz,Betriebspraktika und soziale, bzw. kulturelle Rahmenprogramme ver-mitteln.

In Berücksichtigung der multikulturellen Realität in Deutschland istes auch zunehmend Aufgabe Internationaler Jugendarbeit, in Deutsch-land lebende Jugendliche, die – ungeachtet ihrer staatsbürgerlichenZugehörigkeit – auf Grund ihrer Biografie einen anderen nationalenund kulturellen Hintergrund haben, in die Programme einzubeziehen.Interkulturelle Jugendarbeit mit dem Anspruch, eine Brücke zwischenden Kulturen zu bauen, scheitert hier oft an den ökonomischen, sozia-len und religiösen Realitäten. Dies gilt insbesondere für die Einbezie-hung von Mädchen und jungen Frauen in die Angebote der Jugendar-beit. Deshalb müssen in Kooperation mit den kulturellen Institutionenund Organisationen der in Deutschland lebenden Ausländerinnen und

Ausländer neue Wege der Jugendarbeit erprobt werden. RechtlicheHindernisse für die Mobilität insbesondere ausländischer Jugendlichermüssen beseitigt werden.

Eine ähnliche Herausforderung unter anderen »nationalen« Ge-sichtspunkten stellt die Einbeziehung von jungen Aussiedlerinnen und

Aussiedlern in die Programme Internationaler Jugendarbeit dar. »Eu-ropatauglichkeit«, sprachliche und soziale Kompetenz sind für die aufdem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt benachteiligten Personengruppenwichtige Lernfelder, um ihre Chancen auf gesellschaftliche Integrationzu wahren. Die Träger der Jugendarbeit sind deshalb dazu aufgefor-dert, in Kooperation mit Institutionen aus Wirtschaft und Arbeitsver-waltung neue Wege außerschulischer Jugendbildungsarbeit zu entwi-ckeln.

2.2 Methodenpluralität und Vielfalt der Formen:

Qualität Internationaler Jugendarbeit

Internationale Begegnungen zeichnen sich durch eine Pluralität der Pro-grammformen aus. Sie werden von Trägern der freien und der öffentli-chen Jugendhilfe konzipiert und durchgeführt, die sich unterschiedli-chen Traditionen und pädagogischen Ansätzen verpflichtet fühlen.Auch die Partnerorganisationen aus anderen Staaten arbeiten vorjeweils spezifischen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturel-

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len Hintergründen. Um den Anspruch des »interkulturellen Lernens«auf Grundlage der formulierten inhaltlichen Zielvorstellungen zu ver-wirklichen, bedarf es daher der Realisierung allgemeiner Mindeststan-dards im methodischen und pädagogischen Bereich. Diese lassen sichfolgendermaßen zusammenfassen:• Im Vorfeld einer internationalen Begegnung ist es notwendig, grund-

legende Informationen einzuholen: Die Ausgangssituation der jewei-ligen Partner ist im Kontext der politischen, wirtschaftlichen und so-zialen Realitäten des jeweiligen Landes möglichst transparent zumachen. Auf dieser Grundlage sind die spezifischen Interessen ab-zuklären. Anzustreben ist dabei ein Verhältnis der Gegenseitigkeitund Partnerschaft.

• Voraussetzung für die Bestimmung und Sicherung der »Qualität« ei-ner internationalen Begegnung ist die Zielbeschreibung in der Kon-zeptionsphase, sowie das pädagogische Konzept, die mit den Part-nern abzustimmen sind. Qualitative Kriterien für einen interkulturel-len Begegnungsprozess sind gemeinsam und erfahrungsbezogen zuentwickeln. Zur nachhaltigen Qualitätssicherung und Entwicklungsollen auch modellhaft neue Wege erprobt werden.

• Die Methodenwahl wird in erster Linie durch das Thema der Begeg-nung, sowie Alter, Geschlecht, Nationalität, kulturelle Zugehörigkeitund Vorerfahrung der Teilnehmenden bestimmt. Wesentlich isthierbei die Berücksichtigung praktischer Partizipationsmöglichkei-ten, um zusätzliche Erfahrungsfelder zu erschließen.

• An Bedeutung in der Internationalen Jugendarbeit gewinnen zuneh-mend multilaterale Kooperationen. Diese Entwicklung ist unter demGesichtspunkt von Globalisierung und Europäisierung zu begrüßen.Die Projekte stellen im Vergleich zur bilateralen Begegnung jedocheinen erhöhten Anspruch an Moderation und Organisation, demdurch eine entsprechende Aus- und Weiterbildung der ehren- undhauptamtlichen Fachkräfte zu entsprechen ist.

• Im Gesamtrahmen Internationaler Jugendarbeit spielt darüber hin-aus grenzüberschreitende Kooperation eine wichtige Rolle im Abbauder »Grenzen in den Köpfen«. Kein anderes Land Europas hat so vie-le Nachbarstaaten (neun) wie Deutschland. Junge Menschen bei-derseits dieser ökonomisch und politisch immer bedeutungsloserwerdenden Grenzen brauchen Lern- und Erfahrungsmöglichkeitenim berufsbezogenen, kulturellen und sprachlichen Bereich (z.B. Be-triebspraktika mit Sprachkursen und Begegnungsprogramm).

• Am Interesse junger Menschen anknüpfend sind neue Wege der Zu-

sammenarbeit zwischen freizeitorientierten, schulischen und berufs-bezogenen Maßnahmen zu gehen. Dies betrifft sowohl die Auswahlder Kooperationspartner (z.B. im berufsbezogenen Austausch Ko-

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operation mit Betrieben), als auch die Formen und Inhalte. Hier sindals neue Ansätze insbesondere zu nennen: »Long-stay-Aufenthalte«,generationsübergreifendes Arbeiten, Einbeziehung jugendkulturellerKommunikationsformen und methodischer Möglichkeiten des Inter-nets.

• Internationale Partnerschaften auf Landes- oder kommunaler Ebe-ne bieten die Möglichkeit, »ressortübergreifend« Projekte der Zu-sammenarbeit mit nachhaltiger Wirkung zu entwickeln. Freizeit-maßnahmen mit sprachlichem Schwerpunkt, Austauschmaßnahmenmit Hospitationen für Fachkräfte, Praktika für Studierende oder Aus-zubildende sind Beispiele.

• Für die Beurteilung der Qualität Internationaler Jugendarbeit spie-len Nachhaltigkeit und die systematische Verknüpfung nationalerund internationaler Programmatik eines Projektträgers eine wichti-ge Rolle. Nachhaltigkeit muss mehr sein als ein »Folgeprojekt« undbedarf noch einer qualitativen Beschreibung.

2.3 Träger und Fachkräfte stärken

• Voraussetzung für das Gelingen eines interkulturellen Lernprozessesist eine adäquate Aus- und Fortbildung der ehren- und hauptamtlichengagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. in Bezug auf eineMaßnahme sind dabei die jeweiligen sozialen, sowie alters- und ge-schlechtsspezifischen Aspekte zu berücksichtigen. Eine besondereMethoden- und Moderationskompetenz ist zur Durchführung multi-lateraler Projekte erforderlich. In der Ausbildung sozialpädagogi-scher Fachkräfte muss insgesamt stärker als bisher der Aspekt derinternationalen Kompetenz verankert werden. Dazu gehört die Ent-wicklung entsprechender projektorientierter Studieninhalte. Bei-spielhaft dafür stehen die European Community Education Studiesan der Fachhochschule Koblenz für Sozialpädagogik. Einen Diskus-sionspunkt stellt auch die Anforderung dar, für die Anstellung Haupt-beruflicher in der Jugendarbeit Auslandserfahrung zur Bedingungzu machen.

• Die Jugendverbände als wichtigste Träger internationaler Jugendbe-gegnung müssen ihr Profil weiterentwickeln und fachlich qualifizier-ter Ansprechpartner für spezifische Zielgruppen junger Menschensein. Aufgabe des öffentlichen Trägers auf Bundes-, Landes- undkommunaler Ebene ist es, diese plurale Struktur gerade auch imHinblick auf interkulturelle Lernprozesse zu unterstützen und Ko-operationen mit anderen Institutionen anzuregen.

• In der Kooperation mit »neuen Trägern« internationaler Jugendbe-gegnung (Schulen, Betriebe, Kammern, etc.) sind neue Finanzie-rungs- und Vernetzungskompetenzen gefragt. Das erfordert auf Sei-

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ten der Jugendarbeit erhöhte Flexibilität, aber nicht die Aufgabe ju-gendhilfe-politischer Grundprinzipien. Die öffentlichen Träger sollendie freien Träger in diesem Prozess unterstützen.

3. Exkurs: Elektronische Medien

Die Entwicklung der neuen Informations- und Kommunikationstechno-logien führt zu einer grundlegenden Veränderung der globalen Kom-munikation und Interaktion. Das Zusammenwachsen der Technologi-en aus der Daten- und Telekommunikation sowie Computer- und Mul-timediatechnik verbindet viele Lebens- und Arbeitssphären auf neueWeise. Die technischen Möglichkeiten zeigen in immer kürzeren Inno-vationszyklen ihre Auswirkungen in vielen gesellschaftlichen Berei-chen. Die Fortentwicklung der Internationalen Jugendarbeit kann die-se Veränderungen nicht unbeachtet lassen.

Die Entwicklung der Telekommunikation führt zu einem massivenmedienpädagogischen Handlungsbedarf auch auf dem Gebiet der Inter-nationalen Jugendarbeit. Dies führt über den bewahrenden Charakterdes rechtlichen Jugendschutzes weit hinaus. Medienkompetenz als einewichtige Fähigkeit der Menschen in der Informationsgesellschaft, zuder es keine Alternative gibt, ist frühzeitig bei der jungen Generationüber die Staats- und Kulturgrenzen hinweg zu entwickeln. Junge Men-schen stehen diesen neuen technischen Möglichkeiten aufgeschlossengegenüber und haben oftmals eine hohe Bereitschaft zur Nutzung die-ser Informations- und Kommunikationsquellen, wenn ihnen der Zugangermöglicht wird.

Internationale Jugendarbeit muss sich diese Entwicklungen im Rah-men ihrer Aufgabenstellung zu Nutze machen. Die elektronischen Me-dien ermöglichen bereits jetzt:• über die vorhandenen Systeme eine schnellere und direktere Kon-

taktaufnahme sowie den Gedanken- und Erfahrungsaustausch zwi-schen Begegnungspartnern,

• die Nutzung länder- bzw. regionalspezifischer Informations- undAuskunftssysteme,

• die Erprobung innovativer Kommunikationsmodelle über elektroni-schen Informationsaustausch.

Die Ausschöpfung dieser Möglichkeiten – auch durch Jugendgruppenselbst, bzw. den ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern –steht jedoch erst am Anfang. Festzustellen ist zunächst vielfach ein Ori-entierungsbedürfnis, dem finanzielle und organisatorische Schwierig-keiten beim Zugang zu den Systemen entgegenstehen. Die elektroni-

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schen Medien eröffnen neue Wege in eine faszinierende und grenzen-lose Weit der Information und Kommunikation. Sie ersetzen jedochnicht:• die unmittelbare Begegnung und gegenseitige (sinnliche) Wahrneh-

mung junger Menschen aus jeweils unterschiedlichen kulturellenTraditionen,

• das Erlebnis persönlicher Kontakte in einer spezifischen Umwelt,• das Verstehen und die Entwicklung sozialer Beziehungen und deren

Bedeutung für Toleranz und die friedliche Lösung sozialer Konflikte,• die Auseinandersetzung mit der Natur und der Rolle des Menschen

im Kontext der Bewahrung der Umwelt.

Sofern der Einsatz elektronischer Medien der internationalen Verstän-digung auf der Grundlage international anerkannter Wertmaßstäbe(z.B. in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte) dient, unterBerücksichtigung des Abbaus geschlechtsspezifischer oder sozialer Be-nachteiligungen gestaltet werden kann und den Bestimmungen des Ju-gendmedienschutzes entspricht, sollte er im Zusammenhang mit derWeiterentwicklung Internationaler Jugendarbeit in die Förderung ein-bezogen werden.

4. Regionale Schwerpunkte

Internationale Jugendarbeit hat nicht nur den Sinn, individuelle Lern-erfahrungen und individuell verwertbare internationale Kompetenzenzu vermitteln. Sie hat auch eine weiterreichende jugendpolitische Di-mension, indem sie fachlichen Austausch und transnationale Zusam-menarbeit ermöglicht und damit zur Fortentwicklung der Jugendarbeitund Jugendhilfe in den beteiligten Ländern beiträgt. Und nicht zuletztist Internationale Jugendarbeit stets eingebunden in den Zusammen-hang auswärtiger Beziehungen und der damit verfolgten gesamtpoliti-schen Zielsetzungen.

Auf Grund der besonderen Lage der Bundesrepublik Deutschlandwar es von Anfang an das gemeinsame Bestreben von Bund, Ländernund Kommunen wie auch vieler freier Träger, nach den tiefen Erschüt-terungen, die der Krieg verursacht hatte, möglichst vielfältige Jugend-beziehungen zuerst mit den europäischen Nachbarn, dann aber auchmit vielen anderen Staaten aufzubauen. Der Versöhnung und Verstän-digung den Weg zu bereiten, Vertrauen zu schaffen und freundschaftli-che Beziehungen anzubahnen, war das vorrangige Ziel. Unterdessen istdieser Aspekt angesichts der veränderten politischen Rahmenbedin-gungen in den Hintergrund getreten. Die fortschreitende europäische

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Integration, die rasch sich entwickelnde Kooperation mit den StaatenMittel-, Ost- und Südosteuropas und die zunehmende weltweite Ver-flechtung erfordern eine Neubestimmung der Schwerpunkte Internati-onaler Jugendarbeit sowohl in Hinsicht auf Ziele und Inhalte wie auchim Blick auf die verschiedenen Partnerregionen.

4.1 Europäische Gemeinschaft

Im Rahmen der EU sind der Internationalen Jugendarbeit fast unbe-merkt neue und anspruchsvolle Aufgaben zugewachsen. Sie kann undsoll• europäisches Bewusstsein schaffen,• dazu beitragen, die Idee der Unionsbürgerschaft, rechtlich verankert

in den Verträgen und zwingende Voraussetzung für den dauerhaf-ten Bestand der politischen Union, mit Leben zu erfüllen,

• junge Menschen ermutigen, sich aktiv am Aufbau eines Europas derBürger zu beteiligen und selbst eine europäische Identität zu entwi-ckeln,

• sie befähigen, ihre Rechte und Chancen im größeren europäischenLebens- und Wirtschaftsraum wahrzunehmen,

• auf fachlicher Ebene den Informations- und Erfahrungsaustauschund die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in jugend-,sozial- und bildungspolitischen Angelegenheiten fördern.

Daraus folgt, dass Jugendaustausch und -begegnung innerhalb der EUnicht reduziert, sondern eher intensiviert und verbreitert werden müs-sen. Denn das Europa der Bürger geht alle an und setzt bei vielen eineVeränderung von Denk- und Verhaltensweisen voraus. Der Jugendaus-tausch bleibt daher auch unter den europäischen Nachbarn unverän-dert wichtig.

Bilaterale Vereinbarungen, bilaterale Fachausschüsse und Fachge-spräche haben – neben den vergleichsweise begrenzten europäischenFörderprogrammen – weiterhin eine hohe Bedeutung. Sie ermöglicheneinerseits eine gezielte Förderung qualifizierter Maßnahmen und rich-tungweisender neuer Entwicklungen und sichern andererseits den Rah-men für eine kontinuierliche jugendpolitische Zusammenarbeit. Fach-ausschusssitzungen sollten von Routineangelegenheiten weitgehendentlastet und verstärkt auf den fachlichen und jugendpolitischen Dialoghin ausgerichtet werden. Zur Erweiterung und Vertiefung bieten sichSeminare und Fachkonferenzen mit größerem Teilnehmerkreis an.

Durch Abschluss regionaler Partnerschaften und Vereinbarungensollten auch die Länder die Möglichkeit nutzen, im Netzwerk europäi-scher Beziehungen eine selbstständige Rolle zu übernehmen und eige-ne Akzente zu setzen (Bsp. Ostseekooperation).

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Auch so weit keine Regierungsvereinbarungen bestehen, könnenund sollen qualifizierte Maßnahmen des Jugendaustauschs und der ju-gendpolitischen Zusammenarbeit mit allen Mitgliedstaaten der EU ver-wirklicht und gefördert werden.

Die erweiterte Aufgabenstellung innerhalb der Europäischen Unionmuss notwendigerweise auch mit einer Weiterentwicklung der Ange-botsformen Internationaler Jugendarbeit und dem Bemühen um eineErweiterung des Teilnehmerkreises einhergehen. Insbesondere trans-nationale Freiwilligendienste, Auslandspraktika im Rahmen der beruf-lichen Ausbildung, Hospitationen für Fachkräfte der Jugendhilfe undandere Projekte der Zusammenarbeit gewinnen zunehmend an Bedeu-tung und sollten in Zukunft vermehrt angeboten werden.

Das von der EU geförderte Aktionsprogramm JUGEND ist ergän-zend zu der von Bund, Ländern und Kommunen geleisteten Förderungder Internationalen Jugendarbeit hinzugetreten, kann diese jedochschon wegen seines begrenzten finanziellen Umfangs nicht ersetzen.Der Europäische Freiwilligendienst ist ein eigenständiges und klar ab-gegrenztes europäisches Programm. Weniger klar geregelt ist hinge-gen die Abgrenzung zwischen der europäischen Förderung des Ju-gend- und Fachkräfteaustauschs (»Jugend für Europa«) und den ent-sprechenden innerstaatlichen Programmen. Mittelfristig kann die vonder EU-Kommission beabsichtigte Konzentration auf tri- und multila-terale Maßnahmen und solche mit besonderer europäischer Qualitätzu einer deutlicheren Abgrenzung und transparenteren Handhabungder EU-Förderung beitragen. Unabhängig davon bleibt die Notwendig-keit, die Förderung aus EU-Mitteln und aus nationalen Programmenauch verfahrensmäßig besser zu harmonisieren und miteinander zuverknüpfen.

4.2 Frankreich, Polen, Tschechische Republik

Die Beziehungen zu den unmittelbaren Nachbarstaaten Frankreich,Polen und Tschechien sind in besonderem Maße geprägt durch denWillen, historische Feindbilder und die noch tief sitzenden Erfahrungenaus der Zeit des letzten Krieges und der deutschen Besatzung zu über-winden und die Fundamente für dauerhafte Freundschaft und guteNachbarschaft zu legen. Die Erkenntnis, dass dieser Bewusstseinswan-del vor allem von der Jugend getragen werden muss, hat Ausdruck ge-funden in der Gründung des Deutsch-Französischen und des Deutsch-Polnischen Jugendwerks. Auf Grund ihrer gesicherten institutionellenForm und einer vergleichsweise guten Finanzausstattung haben beideJugendwerke maßgeblich dazu beigetragen, ein dichtes Netz an Aus-tausch- und Partnerschaftsbeziehungen verschiedenster Art aufzubau-en und mit Leben zu erfüllen. Ähnliche Erwartungen begleiten auch das

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Wirken der 1997 parallel in Pilsen und Regensburg gegründeten Koor-dinierungsstellen für den deutsch-tschechischen Jugendaustausch.

Die Jugendbeziehungen zu Frankreich, Polen und Tschechien behal-ten auch in Zukunft eine hohe Priorität, die es rechtfertigt, an den be-währten institutionellen Formen festzuhalten. Trotz des hohen Maßesan Verständigung, das insbesondere im deutsch-französischen Verhält-nis erreicht worden ist, wäre es leichtfertig, in dem Bemühen um wei-tere Fortschritte nachzulassen. Freundschaft und gute Nachbarschaftbedürfen dauernder Pflege und steter Erneuerung, und auch imdeutsch-französischen Verhältnis sind die Möglichkeiten der Einbezie-hung breiter Bevölkerungsschichten noch längst nicht ausgeschöpft.Sprachliche Barrieren und andere Verständigungsprobleme sindimmer noch wirksam.

Das gilt noch viel mehr in den deutsch-polnischen und den deutsch-tschechischen Beziehungen. Hier müssen noch erhebliche Anstrengun-gen unternommen werden, um allein schon den Umfang des Jugend-austauschs zu verstärken und das Netzwerk an Partnerschaftsbezie-hungen weiter auszubauen.

Eine wichtige Rolle kommt den Jugendwerken und den Koordinie-rungsstellen auch bei der Entwicklung neuer Formen der Internationa-len Jugendarbeit zu. Gerade in den engeren nachbarschaftlichen Bezie-hungen bieten sich vielfältige Formen der Zusammenarbeit an, z.B. ge-meinsame Projekte im grenznahen Raum, Sprachkurse, Gastschul-verhältnisse, freiwillige soziale Dienste, Hospitationen.

4.3 Mittel-, Ost- und Südosteuropa

Die Staaten Mittel-, Ost- und Südosteuropas erwarten gerade von derBundesrepublik Deutschland wirksame Hilfe bei der Umgestaltung ih-rer politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systeme. Siesuchen einerseits Beratung beim Aufbau demokratischer Jugendstruk-turen und bei der Konzipierung einer zeitgemäßen Jugendhilfepolitik,sie möchten andererseits auch Jugendbegegnungen und Fachkräfte-austausch mit westlichen Ländern in Gang bringen.

Mit zahlreichen MOE-Staaten (Ungarn, Slowakei, Russland, Ukraine,Belarus, Estland, Lettland, Litauen sowie Kasachstan in Zentralasien)sind in den letzten Jahren Regierungsabkommen oder Ressort-Verein-barungen über die jugendpolitische Zusammenarbeit abgeschlossenworden.

Dabei liegt der Schwerpunkt auf Fachprogrammen, denen es z.B. uminhaltliche und strukturelle Fragen der Jugendhilfe und um die Rollevon Jugendverbänden in der demokratischen Gesellschaft geht, sowieauf Maßnahmen zur Qualifizierung von Mitarbeitern und zur An-bahnung von partnerschaftlichen Beziehungen. Für den oft gewünsch-

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ten Breitenaustausch fehlen hingegen noch weithin die notwendigenVoraussetzungen. Wirtschaftliche Probleme in den betreffenden Län-dern, die strukturelle Schwäche der Jugendorganisationen und häufigwechselnde Bezugspersonen, nicht selten auch mangelndes Interessebei deutschen Jugendlichen erschweren das Zustandekommen von Ju-gendaustauschmaßnahmen.

Trotz der bestehenden Schwierigkeiten ist es ein Gebot der politi-schen Vernunft, die jugendpolitische Zusammenarbeit mit den MOE-Staaten nachdrücklich weiter voranzutreiben. Der schwierige Weg desgesellschaftlichen Neuaufbaus erfordert und verdient nachdrücklicheUnterstützung. Sie muss über die Vermittlung von fachlichem knowhow hinaus auch auf mitmenschliche Solidarität und ein sich erweitern-des Netz an persönlichen Beziehungen und institutionellen Kooperatio-nen gegründet sein.

Ein Schwerpunkt sollte vor allem auf den Ausbau der Beziehungenzur Russischen Föderation gelegt werden. Nicht nur auf Grund seinerGröße und seines politischen Gewichts ist Russland der wichtigste Part-ner in Osteuropa. Die Leiden des Krieges und die Feindbilder einer lan-gen Nachkriegsgeschichte haben tiefe Gräben hinterlassen, die erst all-mählich überwunden werden können. Dazu ist eine Intensivierung undVerbreiterung der jugendpolitischen Zusammenarbeit dringend wün-schenswert. Auch neuartige Formen transnationaler Projekte (Work-camps, Freiwilligendienste u.ä.) sollten verstärkt genutzt, nach Mög-lichkeit sollten auch aus Russland stammende junge Aussiedler in Pro-jekte einbezogen werden.

Ein besonderes Augenmerk wird ferner in den nächsten Jahren aufdie Entwicklung der Beziehungen zu den Staaten Südosteuropas,insbesondere den Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawien zu rich-ten sein. Schon auf Grund historischer Verbindungen und der Tatsache,dass zahlreiche Bürger dieser Staaten in Deutschland Aufnahme gefun-den haben, liegt es nahe, von hier aus den gesellschaftlichen Wieder-aufbau in diesen Ländern nach Kräften zu unterstützen, um vor allemder Jugend neue Perspektiven zu geben.

Die Intensivierung der jugendpolitischen Zusammenarbeit mit denMOE-Staaten hängt wesentlich davon ab, ob es gelingt, sie auf breitereGrundlagen zu stellen. Insbesondere die Länder sind gefordert, durchregionale Vereinbarungen und Partnerschaften einen verlässlichenRahmen für die Verstetigung, Verbreiterung und Vertiefung von Aus-tauschbeziehungen zu schaffen. Das gilt entsprechend auch für dieKommunen und für die freien Träger. Die weithin gelungene Verflech-tung mit Partnern in West-, Süd- und Nordeuropa sollte Anstoß sein ingleicher Weise auch die Verbindungen zu den Menschen in Ost- undSüdosteuropa enger zu knüpfen.

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QUALITÄTSENTWICKLUNG IN DER INTERNATIONALEN JUGENDARBEIT

4.4 Israel, Palästinensische Gebiete

Der deutsch-israelische Jugendaustausch steht unausweichlich im Zei-chen des Genozids, den Deutsche an Juden verübt haben. Er steht aberauch für den Willen, die Last der Geschichte anzunehmen, die Verant-wortung dafür zu bekennen und trotzdem die Chancen einer Verstän-digung zu suchen. Auch mit Blick auf die weiteren kultur- und religi-onsgeschichtlichen Zusammenhänge und auf Friedensbemühungen imNahen Osten bietet der Jugendaustausch mit Israel jungen Menschenein Lern- und Erfahrungsfeld von tiefer Eindringlichkeit. Ihm ist daherweiterhin eine hohe Priorität zuzumessen.

Verstärkt sollten Bemühungen unternommen werden, den Umfangder deutsch-israelischen Begegnungen auszuweiten, weitere Trägerund Mitarbeiter dafür zu gewinnen und neue Zielgruppen einzubezie-hen. Dies ist insbesondere eine Aufgabe des Koordinierungsbüros fürden deutsch-israelischen Jugendaustausch. Empfehlenswert sind da-rüber hinaus trilaterale Begegnungen, die zusammen mit Partnern ausanderen europäischen Staaten wie Frankreich oder Polen durchgeführtwerden.

Ungeachtet aktueller Entwicklungen sollten weiterhin Anstrengun-gen unternommen werden, auch mit den palästinensischen Autonomie-gebieten und den dort Verantwortlichen Kontakte zu knüpfen und Be-ziehungen anzubahnen. Von palästinensischer Seite besteht großes In-teresse an jeglicher Art von Hilfen zum Aufbau der Jugendarbeit. DurchAustausch, Informationsbesuche und Hospitationen von Fachkräftenkann diesem Anliegen wirksam Rechnung getragen werden.

4.5 Türkei, Arabische Staaten

Auf Grund des Entwicklungsstandes der Türkei, ihrer Nähe zu Europaund der großen Zahl der in Deutschland lebenden türkischen Jugendli-chen spricht vieles für eine Intensivierung des deutsch-türkischen Ju-gendaustauschs. Die 1994 abgeschlossene Ressortvereinbarung und dieEinrichtung eines bilateralen Fachausschusses haben dafür günstigeRahmenbedingungen geschaffen. Die sich bietenden Möglichkeiten soll-ten verstärkt aufgegriffen werden. Sie stellen eine sinnvolle Ergänzungund Bereicherung der interkulturellen Jugendarbeit in, Deutschlanddar.

Die in den Sechzigerjahren begonnene jugendpolitische Zusammen-arbeit mit mehreren arabischen Staaten Nordafrikas ist über einen sehrbegrenzten Umfang nicht hinausgekommen und hat sich in den letztenJahren eher noch vermindert. Eine Änderung dieser Entwicklung istvorerst nicht abzusehen.

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LEITLINIEN DER INTERNATIONALEN JUGENDPOLITIK UND JUGENDARBEIT

4.6 Außereuropäische Industrieländer

In der globalen Perspektive gewinnt das gegenseitige Kennenlernen,der Austausch von Sichtweisen und Erfahrungen zwischen den hochentwickelten Industrieländern naturgemäß an Bedeutung.

Vor allem die USA sind zu einem beliebten Ziel von Studienaufent-halten und Ferienreisen geworden. Trotz mancher Bemühungen ist je-doch ein Jugendaustausch auf Gegenseitigkeit mit USA bislang nur sel-ten zu Stande gekommen. Das liegt zum einen an den auf amerikani-scher Seite kaum vorhandenen strukturellen Voraussetzungen und feh-lender staatlicher Unterstützung, zum anderen aber wohl auch daran,dass sich ein schlichter Austausch von Jugendgruppen auf so großeEntfernung nur schwer realisieren und begründen lässt. Das Gewichtsollte daher stärker auf Studienprogramme für Fachkräfte und andereeher längerfristige Aufenthalte z.B. im Rahmen von Projekten sozialerArbeit gelegt werden.

Die jugendpolitische Zusammenarbeit mit Japan beschränkt sich aufwenige, auf Bundesebene vereinbarte Programme, die gründlich vor-bereitet und intensiv gestaltet werden und den Teilnehmern eindrucks-volle Erlebnisse vermitteln. Angesichts der hohen Kosten sind einerAusweitung Grenzen gesetzt. Daher werden sich die Programmange-bote auch in Zukunft überwiegend nur an Fachkräfte und Multiplikato-ren richten.

4.7 Entwicklungsländer

Gemessen an den großen Problemen der Länder der Dritten Welt kön-nen idealistische Initiativen von Jugendverbänden und Jugendgruppenwenig bewirken. Ein Jugendaustausch in herkömmlichen Formen lässtsich praktisch nicht verwirklichen. Die Vermittlung. fachlicher Erkennt-nisse und Hilfen zum Strukturaufbau sind nur dort sinnvoll, wo bereitsAnsätze von Jugendhilfe und Jugendpolitik vorhanden sind.

Unter diesen Umständen und wegen der hohen Kosten muss sich diejugendpolitische Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern notwendi-gerweise auf einige wenige Maßnahmen beschränken, deren Wirksam-keit besonders sorgfältig zu prüfen ist. Dabei kann es nicht auf das Er-kenntnisinteresse deutscher Jugendlicher ankommen, sondern mussder Nutzen für die Menschen in den betreffenden Ländern das entschei-dende Kriterium sein.

In Betracht kommen insbesondere:• Workcamps und ähnliche Projekte in Ländern der Dritten Welt, mit

denen konkrete Hilfen zur Verbesserung der Lebensbedingungen fürdie dortige Bevölkerung geleistet werden,

• Maßnahmen in Verbindung mit Projekten der entwicklungspoliti-schen Zusammenarbeit, die sich an Jugendliche richten;

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QUALITÄTSENTWICKLUNG IN DER INTERNATIONALEN JUGENDARBEIT

• Patenschaften für einzelne Einrichtungen und Dienste der Jugend-hilfe in den betreffenden Ländern sowie Unterstützung zu ihrer Ver-netzung;

• fachliche Beratung für Behörden und Nichtregierungsorganisatio-nen.

5. Förderungsaufgaben

5.1 Abstimmung

Zur Qualitätssicherung in der Internationalen Jugendarbeit ist ein kon-tinuierlicher Abstimmungsprozess über Ziele, Schwerpunkte, Kriteriender Förderprogramme und zu Fragen der Abgrenzung hinsichtlich derProgramme der Europäischen Union erforderlich.

Anzustreben ist ein übersichtliches, klar strukturiertes und sich ge-genseitig ergänzendes Fördersystem, das• klar erkennen lässt, welche Maßnahmen von wem gefördert werden,• Mehrfachförderungen und mehrfache Antragstellungen – im Ver-

hältnis zwischen Bundes-, Landes- und europäischer Förderung –möglichst vermeidet,

• den Antragstellern verlässliche und möglichst einfache Verfahrens-wege anbietet.

5.2 Schwerpunkte und neue Ansätze der Förderung

Wesentliche Ziele des Aktionsprogramms JUGEND der EuropäischenUnion sind die Unterstützung und Entwicklung von multilateralen Pro-jekten und Netzwerken, sowie die verstärkte Einbeziehung von benach-teiligten Jugendlichen in alle Aktivitäten. Es ist das vorrangige Instru-ment der EU zur Förderung der Zusammenarbeit im Jugendbereichund hat eine Laufzeit von sieben Jahren (2000–2006). In der Umset-zung des Programmes wird die Europäische Kommission von National-agenturen in derzeit 30 europäischen Ländern unterstützt.

Auf allen Ebenen muss an der Förderung von Jugendbegegnungen,in die verstärkt junge Menschen in beruflicher Ausbildung und sozialbenachteiligte Jugendliche einbezogen werden, festgehalten werden.Die Förderung muss sich auch auf in Deutschland lebende Jugendlichenicht-deutscher Staatsbürgerschaft beziehen. Trilaterale und multila-terale Jugendbegegnungen sollen vorrangig aus Mitteln des Aktionspro-gramms JUGEND der EU gefördert werden.

Der Austausch von Fachkräften und gemeinsame Fachveranstaltun-gen sollen einerseits dazu dienen, Jugendbegegnungen vorzubereitenund die Beteiligten an Aufgaben der Internationalen Jugendarbeit he-ran zu führen, andererseits aber auch einen fachlichen Austausch über

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LEITLINIEN DER INTERNATIONALEN JUGENDPOLITIK UND JUGENDARBEIT

Fragen der Jugendhilfe und Jugendpolitik ermöglichen und dadurchzur Weiterentwicklung der Jugendhilfe beitragen.

Ein besonderes Augenmerk muss auf die Qualität der Maßnahmengelegt werden, die sich vor allem daran bemisst, inwieweit dadurch in-ternationale und interkulturelle Kompetenzen gestärkt und weiter ge-hende bildungswirksame Ziele erreicht werden.

Neben den klassischen Formen des internationalen Jugendaustau-sches in Gruppen gewinnen stärker auf Einzelpersonen zugeschnitteneAuslandsaufenthalte von längerer Dauer, in denen sich persönlichesErleben und praktische Arbeit zu intensiven Lernerfahrungen verbin-den, zunehmend an Bedeutung. Beispiele dafür sind Freiwilligendiens-te, internationale Gemeinschaftsdienste, Praktika im Rahmen berufli-cher Ausbildung sowie Hospitationen von Fachkräften der Jugendhilfe.Die bisher von verschiedenen Ansätzen heraus entwickelten Förderin-strumente für solche Maßnahmen sollten weiter ausgebaut und harmo-nisiert werden. Notwendig ist zugleich ein Abbau der ausländer- undarbeitsrechtlichen Hindernisse, die solchen Maßnahmen entgegenste-hen.

5.3 Förderung

5.3.4 Das Aktionsprogramm Jugend der EU unterstützt Aktivitätenin fünf Bereichen:

5.3.4.1 Aktion 1 Jugendbegegnungen: Bi-, tri- und multilaterale Ju-gendbegegnungen in Gruppen

5.3.4.2 Aktion 2 Europäischer Freiwilligendienst: Individuelle undmultilaterale Freiwilligendienste von drei Wochen bis zu einemJahr

5.3.4.3 Aktion 3 Initiativen Jugendlicher: Jugendinitiativen und Futu-re-Capital-Projekte

5.3.4.4 Aktion 4 Gemeinsame Aktionen: Projekte und Aktivitäten inVerbindung mit den EU-Programmen zur allgemeinen und be-ruflichen Bildung (Sokrates und Leonardo)

5.3.4.5 Aktion 5 Unterstützende Maßnahmen: Projekte für Jugendbe-treuer und -betreuerinnen und Fachkräfte der InternationalenJugendarbeit

5.3.5 Der Bund fördert insbesondere:5.3.5.1 bilaterale Fachaustauschprogramme und Maßnahmen, die der

Qualifizierung und Fortentwicklung der Internationalen Ju-gendarbeit dienen und mit anderen Feldern der Jugendhilfeverbunden sind, die im Rahmen von gemischten Fachgremienoder von Regierungsabsprachen zwischen der Bundesregie-rung und ihren Partnern vereinbart werden,

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QUALITÄTSENTWICKLUNG IN DER INTERNATIONALEN JUGENDARBEIT

5.3.5.2 bilaterale, trilaterale und multilaterale Jugendbegegnungs-maßnahmen, die im Rahmen von gemischten Fachgremienoder von Regierungsabsprachen zwischen der Bundesregie-rung und ihren Partnern vereinbart werden,

5.3.5.3 im Zentralstellenverfahren durch Globalzuweisungen die Maß-nahmen der bundeszentralen Träger und Verbände ein-schließlich ihrer Mitgliederorganisationen und Untergliede-rungen,

5.3.5.4 sonstige Maßnahmen und Projekte bundeszentraler, regiona-ler und lokaler Träger, an denen ein besonderes Bundesinte-resse besteht.

5.3.3 Die Länder fördern insbesondere:5.3.4.1 bilaterale, trilaterale und multilaterale Jugendbegegnungs-

maßnahmen landeszentraler oder überörtlich wirkender Trä-ger, die nicht bundeszentralen Trägern angehören und Maß-nahmen im Rahmen besonderer Vereinbarungen auf Landes-oder Regionalebene,

5.3.4.2 Fachaustausch und Maßnahmen, die der Qualifizierung undFortentwicklung der Internationalen Jugendarbeit dienen (z.B.initiierende, multiplizierende und modellhafte Maßnahmen,Erfahrungsaustausche, Fortbildung von Mitarbeiter/innen) imRahmen der vom jeweiligen Land gesetzten Schwerpunkte,

5.3.4.3 sonstige Maßnahmen und Projekte nach Maßgabe der jeweili-gen Förderprogramme der Länder.

5.3.4 Der örtliche Träger der Jugendhilfe fördert insbesondere:5.3.4.1 Maßnahmen im Rahmen der von ihnen vereinbarten Kommu-

nalpartnerschaften und sonstige Maßnahmen örtlicher Träger5.3.4.2 eigene Maßnahmen.