«Le Pierrot»: Der stille Verzauberer aus Bern · 2011. 9. 25. · hung aus der Autosattlerei...

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Martin Casanova «Le Pierrot»: Der stille Verzauberer aus Bern Hinter der weltberühmten Kunstfigur «Le Pierrot» steht Martin Casa- nova aus Bern. Er ist an einem Freitag den Dreizehnten geboren, doch in seinem Leben habe er immer Glück gehabt. «Der Vorhang ist geschlos- sen, wir können beginnen» . Wir sitzen in der Sattlerei am Zentweg 13, eine wahre Fundgrube. Alte Radios stehen herum, diverse Utensilien die ein Autosattler braucht, eine Schmink- kiste, eine Kaffemaschine, an der Wand hängen viele Photos… die meisten zeigen Pierrot in der Morgensonne und erst dann fällt auf, da gibt es auch noch eine kleine schmucke Bühne. Vielleicht 5 Meter breit, ganz in schwarz. Vis-à-vis in einem Eck diverse Stühle und Sessel, kreuzweise ineinanderge- schachtelt. Bis zu 30 Personen finden hier während einer Aufführung platz. Diesen Schauplatz wird es aber nicht mehr lange geben. Doch das Schauspiel geht weiter. Casanova: «Wenn ich Geld hätte, würde ich diese Bude behalten und machen was ich will. Doch mir ist es auch wichtig noch ein wenig um die Welt zu kommen, darum mache ich hier Platz für einen jüngeren Nachfolger. Doch Pierrot und mein Theater «Morgenstern» wird es weiter geben. Ich gebe zwar das Stationäre auf, doch ich habe eine mobile Bühne und kann deshalb problemlos weitermachen und fast überall auftreten.» Doch wer ist eigentlich dieser Martin Casanova, der den weltberühmten Pierrot mimt? Auf den ersten Blick ein ganz normaler Mann: 70 Jahre alt, schlank, graues Haar… Doch sobald er die Verwandlung zum Pierrot macht, ist er nicht wie- derzuerkennen. Magisch zieht er die Blicke auf sich, sein Erscheinungsbild zu imposant um wegzuschauen. Seit seiner frühen Kindheit habe er immer gerne Leute nachgemacht, nicht um sich über sie lustig zu machen, sondern aus Freude am Nachahmen. So habe er – er kann es nicht beim Erzählen belassen, er muss gleich aufspringen und es uns vorzeigen – als kleiner Bube im Bündnerland ei- nen Bauern imitiert, der mit stark gekrümmten Rücken, gezeichnet vom harten Bauernalltag, umherzog. Postwendend habe er von einem Mann eine Wasche gekriegt – was er sich eigentlich erlaube, sich über diesen Bauern lustig zu ma- chen? Doch auch dieses Ereignis änderte nichts daran, dass Martin Casanova immer den Drang verspürte, sich auf der Bühne zu präsentieren. Durch seine erste Frau kam der gelernte Autosattler zum Stepptanz. Zu Beginn klappte dies ganz gut, doch sobald es zu einer Tempoverschärfung kam, verfehl- te er den Takt. Später suchte er sein Glück im Flamenco, doch auch hier kam es bald zu Taktproblemen. Doch aufgeben und den Traum der Bühne platzen zu lassen, das wäre so ganz und gar nicht Martin Casanova. Eine Geschäftsbezie- hung aus der Autosattlerei ebnete ihm den Weg als Schauspieler in der «Neuen Volksbühne Bern» (NVB ). Dort ist er nun seit rund 38 Jahren aktiv. «Massimo Rocchi entdeckte mein Potential» Wegleitend für seine heutige Karriere waren Privat- und Gruppenkurse in den 80er Jahren. Bei Massimo Rocchi und Kathrin Arn besuchte er einen Kurs «Entdecke den Clown in dir». Der damals noch ziemlich unbekannte Massimo Rocchi erkannte das Potential von Martin Casanova, doch er sah Casanova nicht als tollpatschigen Clown mit roter Nase. Rocchi sah in Casanova einen traurigen, eleganten Clown. Schliesslich war es die Frau von Massimo Roc- chi, die ihm das elegante beibrachte, das Traurige übernimmt die Maske des LEUTE IM NORDQUARTIER … auf der ewigen Suche nach dem Glück. Bilder: Roland Koella Pierrot. Casanova trainierte hart, nahm sich mit einer Kamera selber auf und versuchte sich stets zu verbessern. Es folgten erste Auftritte an Hochzei- ten und Geburtstagen, Casanova war bescheiden und trat jeweils für eine Flasche Wein auf. Den Durchbruch schaffte er in Ve- nedig, als er am Carneval als Pierrot posierte und sich plötzlich diverse Photographen um ihn scharten. Alle wollten diesen Pierrot vor der Linse haben, eine unglaubliche Erfahrung, die Pierrot berühmt machte. Es folgten Auftritte bei der Eröffnung von «Live on Ice», wo er auch mit Denise Biellmann auftrat. Dort wurde er endgültig entdeckt. Jemand kam auf ihn zu und meinte, willst du für uns auftreten, wir zahlen dir 1200 Franken. Casanova überlegte und fragte, wie oft er denn dafür auftreten müsse. Der Förderer lachte und meinte, ja, einfach einen kurzen Auf- tritt. Von diesem Zeitpunkt an war Casanova klar, dass er für seine Auftritte etwas «heuschen» muss, wie er es heute elegant ausdrückt. Denn wenn du nichts verlangst, dann haben sie das Gefühl, du seist nichts wert. «Diese Frau hatte seit 35 Jahren kein Wort gesprochen. Doch mit Pierrot tat sie es nach 20 Minuten.» Danach folgten viele, ja, sehr sehr viele Auftritte. Beispielsweise engagierte ihn Loeb jeweils am Mutter- und Valentinstag um Rosen zu verteilen, die Rose, welche bei Pierrot ein zentrales Element ist. Doch Casanova ist weit über die Landesgrenze bekannt, in Frankreich ist er sogar noch bekannter als hier, überall hatte er seine Auftritte, auch im weltberühmten Casino Monte Carlo. Doch noch schöner als diese grossen Erfolge sind für Casanova die Auftritte bei Behinderten. Sie spüren dich förmlich und ich habe einige wunderschöne Erlebnisse gehabt. «Nach einem meiner Auftritte sass ich dort und begann mich abzuschminken, als eine Frau zu mir kam und mir etwas erzählte. Danach kamen die Betreuer der Dame zu mir und fragten, was die Frau wollte. Ich schilderte ihnen was sie mir erzählte und realisierte erst danach wie unglaublich das Ganze war. Diese Frau hatte seit 35 Jahren kein Wort gesprochen. Doch mit Pierrot tat sie es nach 20 Minuten.» Martin Casanova ist aber nicht «nur» Pierrot. Sein neustes Projekt ist das Soloprogramm «…und am Abend Morgenstern» – ein darstellerischer Vortrag von Morgensterngedichten. Auf die Frage weshalb er Morgensterngedichte vortrage kommt eine erstaunlich banale Antwort. «Bei Morgenstern muss ich keine Tantieme bezahlen». Erst dann erklärt er, dass sich diese Gedichte auch sehr gut eignen, da viele Tiere im Gedicht vorkommen, diese mime er sehr gerne. Die Antriebsfeder für sämtliche Projekte ist Martin Casanovas Motivation, auf der Bühne stehen zu können. Es sei wunderschön, wenn man Leute fes- seln könne und ihnen eine Freude bereite. Wichtig sei ihm auch, dass er das Publikum einbauen könne, weshalb er grössere Bühnen meide. Doch Casanova wäre nicht Casanova, würde er uns zum Schluss nicht noch überraschen. «Ich halte auch wissenschaftliche Vorträge über Spinnen. Das sind faszinierende Tiere und wenn ich an Schulen Vorträge halte, dann wollen die Kinder anschliessend in den Wald gehen und Spinnen suchen. Text: Patrick Lämmle [i] www.le-pierrot.ch Szenenfotos aus «Das Huhn» und «Fisches Nachtgesang.» Erleben Sie einen poetischen Augenblick mit Pierrot! Auskünfte über Engagement erteilt: Martin Casanova Zentweg 13 CH-3006 Bern Telefon 031 931 58 58 Mobile 079 678 86 86 [email protected] Anzeiger für das Nordquartier Nr. 12/2010 Sonderdruck

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Martin Casanova

«Le Pierrot»: Der stille Verzauberer aus BernHinter der weltberühmten Kunstfigur «Le Pierrot» steht Martin Casa-nova aus Bern. Er ist an einem Freitag den Dreizehnten geboren, doch in seinem Leben habe er immer Glück gehabt. «Der Vorhang ist geschlos-sen, wir können beginnen» .

Wir sitzen in der Sattlerei am Zentweg 13, eine wahre Fundgrube. Alte Radios stehen herum, diverse Utensilien die ein Autosattler braucht, eine Schmink-kiste, eine Kaffemaschine, an der Wand hängen viele Photos… die meisten zeigen Pierrot in der Morgensonne und erst dann fällt auf, da gibt es auch noch eine kleine schmucke Bühne. Vielleicht 5 Meter breit, ganz in schwarz. Vis-à-vis in einem Eck diverse Stühle und Sessel, kreuzweise ineinanderge-schachtelt. Bis zu 30 Personen finden hier während einer Aufführung platz. Diesen Schauplatz wird es aber nicht mehr lange geben. Doch das Schauspiel geht weiter. Casanova: «Wenn ich Geld hätte, würde ich diese Bude behalten und machen was ich will. Doch mir ist es auch wichtig noch ein wenig um die Welt zu kommen, darum mache ich hier Platz für einen jüngeren Nachfolger. Doch Pierrot und mein Theater «Morgenstern» wird es weiter geben. Ich gebe zwar das Stationäre auf, doch ich habe eine mobile Bühne und kann deshalb problemlos weitermachen und fast überall auftreten.»

Doch wer ist eigentlich dieser Martin Casanova, der den weltberühmten Pierrot mimt?Auf den ersten Blick ein ganz normaler Mann: 70 Jahre alt, schlank, graues Haar… Doch sobald er die Verwandlung zum Pierrot macht, ist er nicht wie-derzuerkennen. Magisch zieht er die Blicke auf sich, sein Erscheinungsbild zu imposant um wegzuschauen. Seit seiner frühen Kindheit habe er immer gerne Leute nachgemacht, nicht um sich über sie lustig zu machen, sondern aus Freude am Nachahmen. So habe er – er kann es nicht beim Erzählen belassen, er muss gleich aufspringen und es uns vorzeigen – als kleiner Bube im Bündnerland ei-nen Bauern imitiert, der mit stark gekrümmten Rücken, gezeichnet vom harten Bauernalltag, umherzog. Postwendend habe er von einem Mann eine Wasche gekriegt – was er sich eigentlich erlaube, sich über diesen Bauern lustig zu ma-chen? Doch auch dieses Ereignis änderte nichts daran, dass Martin Casanova immer den Drang verspürte, sich auf der Bühne zu präsentieren. Durch seine erste Frau kam der gelernte Autosattler zum Stepptanz. Zu Beginn klappte dies ganz gut, doch sobald es zu einer Tempoverschärfung kam, verfehl-te er den Takt. Später suchte er sein Glück im Flamenco, doch auch hier kam es bald zu Taktproblemen. Doch aufgeben und den Traum der Bühne platzen zu lassen, das wäre so ganz und gar nicht Martin Casanova. Eine Geschäftsbezie-hung aus der Autosattlerei ebnete ihm den Weg als Schauspieler in der «Neuen Volksbühne Bern» (NVB ). Dort ist er nun seit rund 38 Jahren aktiv.

«Massimo Rocchi entdeckte mein Potential»Wegleitend für seine heutige Karriere waren Privat- und Gruppenkurse in den 80er Jahren. Bei Massimo Rocchi und Kathrin Arn besuchte er einen Kurs «Entdecke den Clown in dir». Der damals noch ziemlich unbekannte Massimo Rocchi erkannte das Potential von Martin Casanova, doch er sah Casanova nicht als tollpatschigen Clown mit roter Nase. Rocchi sah in Casanova einen traurigen, eleganten Clown. Schliesslich war es die Frau von Massimo Roc-chi, die ihm das elegante beibrachte, das Traurige übernimmt die Maske des

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… auf der ewigen Suche nach dem Glück. Bilder: Roland Koella

Pierrot. Casanova trainierte hart, nahm sich mit einer Kamera selber auf und versuchte sich stets zu verbessern. Es folgten erste Auftritte an Hochzei-ten und Geburtstagen, Casanova war bescheiden und trat jeweils für eine Flasche Wein auf. Den Durchbruch schaffte er in Ve-nedig, als er am Carneval als Pierrot posierte und sich plötzlich diverse Photographen um ihn scharten. Alle wollten diesen Pierrot vor der Linse haben, eine unglaubliche Erfahrung,

die Pierrot berühmt machte. Es folgten Auftritte bei der Eröffnung von «Live on Ice», wo er auch mit Denise Biellmann auftrat. Dort wurde er endgültig entdeckt. Jemand kam auf ihn zu und meinte, willst du für uns auftreten, wir zahlen dir 1200 Franken. Casanova überlegte und fragte, wie oft er denn dafür auftreten müsse. Der Förderer lachte und meinte, ja, einfach einen kurzen Auf-tritt. Von diesem Zeitpunkt an war Casanova klar, dass er für seine Auftritte etwas «heuschen» muss, wie er es heute elegant ausdrückt. Denn wenn du nichts verlangst, dann haben sie das Gefühl, du seist nichts wert.

«Diese Frau hatte seit 35 Jahren kein Wort gesprochen. Doch mit Pierrot tat sie es nach 20 Minuten.»Danach folgten viele, ja, sehr sehr viele Auftritte. Beispielsweise engagierte ihn Loeb jeweils am Mutter- und Valentinstag um Rosen zu verteilen, die Rose, welche bei Pierrot ein zentrales Element ist. Doch Casanova ist weit über die Landesgrenze bekannt, in Frankreich ist er sogar noch bekannter als hier, überall hatte er seine Auftritte, auch im weltberühmten Casino Monte Carlo. Doch noch schöner als diese grossen Erfolge sind für Casanova die Auftritte bei Behinderten. Sie spüren dich förmlich und ich habe einige wunderschöne Erlebnisse gehabt. «Nach einem meiner Auftritte sass ich dort und begann mich abzuschminken, als eine Frau zu mir kam und mir etwas erzählte. Danach kamen die Betreuer der Dame zu mir und fragten, was die Frau wollte. Ich schilderte ihnen was sie mir erzählte und realisierte erst danach wie unglaublich das Ganze war. Diese Frau hatte seit 35 Jahren kein Wort gesprochen. Doch mit Pierrot tat sie es nach 20 Minuten.»

Martin Casanova ist aber nicht «nur» Pierrot.Sein neustes Projekt ist das Soloprogramm «…und am Abend Morgenstern» – ein darstellerischer Vortrag von Morgensterngedichten. Auf die Frage weshalb er Morgensterngedichte vortrage kommt eine erstaunlich banale Antwort. «Bei Morgenstern muss ich keine Tantieme bezahlen». Erst dann erklärt er, dass sich diese Gedichte auch sehr gut eignen, da viele Tiere im Gedicht vorkommen, diese mime er sehr gerne.Die Antriebsfeder für sämtliche Projekte ist Martin Casanovas Motivation, auf der Bühne stehen zu können. Es sei wunderschön, wenn man Leute fes-seln könne und ihnen eine Freude bereite. Wichtig sei ihm auch, dass er das Publikum einbauen könne, weshalb er grössere Bühnen meide.Doch Casanova wäre nicht Casanova, würde er uns zum Schluss nicht noch überraschen. «Ich halte auch wissenschaftliche Vorträge über Spinnen. Das sind faszinierende Tiere und wenn ich an Schulen Vorträge halte, dann wollen die Kinder anschliessend in den Wald gehen und Spinnen suchen.

Text: Patrick Lämmle[i] www.le-pierrot.chSzenenfotos aus «Das Huhn» und «Fisches Nachtgesang.»

Erleben Sie einen poetischen Augenblick mit Pierrot! Auskünfte über Engagement erteilt:Martin CasanovaZentweg 13CH-3006 BernTelefon 031 931 58 58Mobile 079 678 86 [email protected]

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