Kritische Analyse von Survival International

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LV Nummer: 240139 VS LV Titel: Who's Land? Der Kampf um indigene Landrechte im südlichen Afrika LV Leiter: Manuela Zips-Mairitsch Semester: WS 2010/2011 Institut für Kultur- und Sozialanthropologie - Universität Wien NGOs und San Kritische Analyse von Survival International im Kontext des Landrechtskonflikts des Central Kala- hari Game Reserve Thomas Lohninger Matrikelnummer: Studienkennzahl: Geburtsdatum: Abgabedatum: 11. Mai 2011 NGOs und San Lohninger Thomas Seite 1 von 19

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In der vorliegenden Arbeit gebe ich einen Überblick über die Geschichte der Nicht-Re- gierungsorganisation (NGO) Survival International mit den ≠ Khomani San am Beispiel des Central Kalahari Game Reserve (CKGR)-Gerichtfalles und der Kampagne von Survival International im Zuge dessen.Die Fragestellung der vorliegenden Arbeit lautet: “Welche Auswirkungen haben die Handlungen der NGO Survival International auf indigene Menschen und ihre Wahrneh- mung am Beispiel der ≠ Khomani San und dem Landrechtsfall des CKGR”.Der Fokus der Arbeit liegt auf dem Arbeiten der NGO und den, sich daraus ergeben- den, Implikationen und theoretischen Überlegungen. Neben Literaturquellen fließt in den Text ebenfalls ein Interview mit Survival International Deutschland ein, welches ich am 3. Jänner 2011 in Berlin für meinen Podcast Talking Anthropology geführt habe.

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LV Nummer: 240139 VS

LV Titel: Who's Land? Der Kampf um indigene Landrechte im südlichen Afrika

LV Leiter: Manuela Zips-Mairitsch

Semester: WS 2010/2011

Institut für Kultur- und Sozialanthropologie - Universität Wien

NGOs und San

Kritische Analyse von Survival International im Kontext des Landrechtskonflikts des Central Kala-

hari Game Reserve

Thomas Lohninger

Matrikelnummer:

Studienkennzahl:

Geburtsdatum:

Abgabedatum: 11. Mai 2011

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung! 3

Hauptteil! 3

Survival International! 3

Begriffserklärungen! 4

Konstruktion von Indigenität ! 6

CKGR Case! 8

Diamonds and genocide! 10

NGO Strategien! 12

Staatliche Souveränität und Hybridisierung! 14

Conclusio! 17

Bibliography! 17

Audio-/Videoquellennachweis! 18

Internetquellen! 18

Rechtstexte! 18

Rechtsfälle! 18

Abbildungsverzeichnis! 19

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Einleitung

In der vorliegenden Arbeit gebe ich einen Überblick über die Geschichte der Nicht-Re-gierungsorganisation (NGO) Survival International mit den ≠ Khomani San am Beispiel des Central Kalahari Game Reserve (CKGR)-Gerichtfalles und der Kampagne von Survival International im Zuge dessen.

Die Fragestellung der vorliegenden Arbeit lautet: “Welche Auswirkungen haben die Handlungen der NGO Survival International auf indigene Menschen und ihre Wahrneh-mung am Beispiel der ≠ Khomani San und dem Landrechtsfall des CKGR”.

Der Fokus der Arbeit liegt auf dem Arbeiten der NGO und den, sich daraus ergeben-den, Implikationen und theoretischen Überlegungen. Neben Literaturquellen fließt in den Text ebenfalls ein Interview mit Survival International Deutschland ein, welches ich am 3. Jänner 2011 in Berlin für meinen Podcast Talking Anthropology geführt habe.

Hauptteil

Survival International

Survival International (SI) ist eine international operierende NGO mit dem erklärten Ziel “Die Bewegung für indigene Völker” zu sein (vgl. URL1). Gegründet wurde die Organi-sation 1969 in Großbritannien, wo auch heute noch die Zentrale als gemeinnützige, Non-Profit-Organisation ansässig ist. SI betreibt noch sechs weitere Büros in den Hauptstädten von Deutschland, Frankreich, Niederlanden, Spanien, in Milano in Italien und in San Fran-cisco in den Vereinigten Staaten. Die Arbeit der Organisation ist großteils kampagnenori-entiert und versucht über Medienarbeit die Öffentlichkeit für ihre Themen zu sensibilisieren und Spenden daraus zu generieren. Mit Ausnahme spezieller projektbezogener Spenden-fonds wird das gespendete Geld an Survival nicht für lokale Projekte zugunsten von indi-genen Gruppen verwendet, worauf in der Homepage auch hingewiesen wird:

“Unsere Ressourcen investieren wir in Bildungs- und Aufklärungsarbeit und Recherche; nur ein minimaler Teil fließt in die Verwaltung unserer Arbeit. Wir behaupten nicht, dass der größte Teil unseres Geldes direkt an indigene Völker geht, das tut er nicht.” (URL1)

Das primäre Ziel von Survival ist es deshalb Öffentlichkeitsarbeit für das Thema “indi-gene Völker” zu betreiben. Wie viele NGOs in diesem Bereich ist ihr Überleben und das Anstellungsverhältnis der Mitarbeiter abhängig vom Bewusstsein und der Spendensituati-on in der Gesellschaft für das Anliegen ihrer Organisation. Obwohl partikulare Kampagnen von SI in Kooperation mit anderen NGOs wie Amnesty International oder Greenpeace stattfinden, ist ihr ausschließlicher Fokus auf indigene Gruppen ein Alleinstellungsmerkmal unter den international agierenden, überregional engagierten NGOs.

Die sieben Büros von Survival International befinden sich alle in Industrienationen mit einem hohen Bruttosozialprodukt und, mit Ausnahme der Vereinigten Staaten, keinen Be-völkerungsgruppen, die unter gängige Definitionen indigener Gruppen fallen würden (vgl. Abb1). Nach meinen eigenen Erfahrungen im deutschen Büro von SI ist der Hauptzweck dieser Niederlassung die Beantwortung von Presseanfragen, die Übersetzung von Materi-

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alien in die jeweilige Landessprache und der Versuch über “Querschnittthemen” mit Kam-pagnen von SI an bestehende mediale Diskurse im jeweiligen Land anzudocken. Bis auf die Homepage des italienischen Ablegers wird auf den Seiten immer auf die steuerliche Absetzbarkeit der Spenden hingewiesen. Auf allen Seiten finden sich Onlineshops mit Merchandise-Artikeln und vielseitigen Spendenmöglichkeiten, darunter Formulare um Mit-glied zu werden, Spenden im Gedenken oder als Geschenk für jemanden zu deklarieren, Unternehmenspartnerschaften, bis zu dem Vorschlag SI Wertpapiere zu überschreiben. (vgl. URL2, URL3, URL4, URL5, URL6, URL7)

Abb1: Karte von Survival International mit den Ländern, in denen indigene Gruppen leben, mit welchen SI Kampagnen betreibt

In keinem der Länder, in denen SI mit ihren Kampagnen aktiv ist, gibt es Niederlas-sungen oder offizielle Ansprechpersonen. Auf Nachfragen hört man, dass es ein Netzwerk von Informanten gibt, die vor Ort in Kontakt mit indigenen Gruppen stehen und Survival über Geschehnisse informieren. Auch durch weiteres Nachfragen wurde das Bild der loka-len Informanten nicht konkreter, was die Basis der Arbeit von SI und ihr Mandat für dritte zu handeln in Frage stellt. Über die Evaluationen vor Ort, welche potentiell gefährdeten indigenen Gruppen für mögliche Kampagne der Zentrale in London vorgeschlagen wer-den, wird keine Informationen angegeben. Nach Aussage von SI Deutschland sind hier die Kapazitäten der 40 Mitarbeiter und die realistischen Verbesserungsmöglichkeiten einer Kampagne entscheidend. Klar ist, dass auf sehr professionellem Niveau Videos und Bilder mit indigenen Gruppen erstellt werden, welche von SI an vielen Stellen eingesetzt werden um Spenden zu akquirieren. Nach eigenen Aussagen wählt man dieses Mittel der Darstel-lung wegen seiner realitätsnäheren Vermittlung von indigenen Menschen. (vgl. Lohninger 2011)

Begriffserklärungen

Die Definition von Indigenität ist ob der großen Vielfalt der Gruppen, welche im Ge-brauch unter diesem Begriff subsumiert werden, recht problematisch. Trotzdem ist es not-

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wendig, eine gewisse definitorische Abgrenzung zu betreiben oder zumindest offen zu le-gen, mit welchen Konzepten von Indigenität operiert wird und, wie im Falle von Surivival International, auch welche Konzepte aktiv nach Außen getragen werden. Die “Working Group on Indigenous People” verwehrte sich gegen eine statische Definition des Begriffes um die Entwicklung des Konzeptes Indigenität über die Zeit und Praxis nicht einzuschrän-ken (vgl. Zips-Mairitsch 2009:35f).

In meiner Verwendung des Terminus “indigen” oder “indigene Gruppe” beziehe ich mich auf die Definition von UN Berichterstatter José R. Martínez Cobo:

“Indigenous communities and nations are those which, having a historical continuity with pre-invasion and pre-colonial societies that developed on their territories consider themselves distinct from other sectors of the societies now prevailing in those territo-ries, or part of them. They form a present nondominant sectors of society and are de-termined to preserve, develop and transmit to future generations their ancestral territo-ries, and their ethnic identity, as the basis of their continued existence as peoples, in accordance with their own cultural patterns, social institutions and legal systems.” (Cobo 1986: para 379 zitiert nach Zips-Mairitsch 2009)

Gewählt habe ich diese Definition, weil sie mit recht großer Trennschärfe den Großteil der, im Vergleich sehr diversen, indigenen Gruppen erfasst. Länder wie Guatemala mit ei-ner mehrheitlich indigenen Bevölkerung sind in dieser Definition zwar nicht erfasst, kriti-scher ist aber folgender Teil der Definition: “They form a present nondominant sector of society”. Eine Positionierung zur Gesamtgesellschaft als Erkennungsmerkmal für eine so fluide und im Wandel begriffene Menge an Gruppen heranzuziehen, birgt Risiken im histo-rischen Verlauf, gleichzeitig braucht es jedoch einen Hinweis auf die häufige Unterdrü-ckungssituation dieser Gruppen in der Gesellschaft, um eines der zentralen Kriterien aller Gruppen heraus zu streichen. Ich fände auch die Verwendung der linguistischen Kategorie “Khoesan” für alle Völker mit Klicklaut-Sprachen interessant für eine sozialwissenschaftli-che Verwendung.

Die Schwierigkeit einer Definition von indigenen Gruppen ist besonders in Afrika auch auf supranationaler Ebene ein Thema, was aus der “International Work Group for Indige-nous Affairs” hervorgeht:

“Initially, the African Commission tended to reject the issue, as it did not find the term ‘indigenous peoples’ applicable to African conditions. The main argument was that all Africans are indigenous to Africa and that no particular group can claim indigenous status.” (Bojosi und Wachira:390f.)

SI liefert auf seiner Homepage folgende Definition zu “Was meinen wir mit ʻindigenen Völkern?”:

“Völker, die ihre Art zu leben seit vielen Generationen fortgeführt haben, sich dabei größtenteils selbst versorgen können und sich von der dominierenden Hauptgesellschaft ihres Landes unterscheiden. Dazu zählen zum Beispiel Jäger und Sammler, Nomaden und andere, die manchmal auch als „Stammesvölker“ bezeichnet werden.” (URL1)

Aus anthropologischer Perspektive ist herauszustreichen, dass die Verwendung einer Selbst- gegenüber einer Fremdbezeichnung vorzuziehen ist. Jedoch ist gerade in der öf-

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fentlichen Kommunikation zu beobachten, dass breite oder pauschalisierende etische Be-griffe, wie Buschleute, Naturvölker, San, Basarwa oder Hottentotten leichter transportiert werden als emische partikulare Begriffe, wie N/oakwe, Kwe, ≠ Khomani oder G|wi. Die Meisten NGOs im Umfeld der indigenen Völker im Süden Afrikas (Working Group for Indi-genous Minorities of Southern Africa, South African San Institute, Kuru Family of Organisa-tions, Indigenous Peoples of Africa Coordinating Committee und First People of the Kala-hari), verwenden inzwischen den Terminus “San”. (vgl. Zips-Mairitsch 2009:161-167)

Die Begriffswahl von Survival International erscheint danach zu erfolgen möglichst vie-le bekannte Assoziationen bei potentiellen Spendern auszulösen. “Buschleute” ist ein häu-fig gebräuchliches Wort in den Materialien von SI, genauso wie “Indigene” oder “Naturvöl-ker”. Besonders in der Kampagne “Blood Diamonds” findet sich neben den schon genann-ten Begriffen jedoch auch die Bezeichnung “San”.

Konstruktion von Indigenität

Die Frage der Darstellung, Konstruktion und Definition von Indigenität stellt sich für viele handelnde Akteure im Feld der indigenen Rechte. Sie ist verbunden mit der Frage nach der Agency oder dem Mandat, mit welchem die Akteure agieren.

Erwähnenswert ist an dieser Stelle auch ein Passus von der Homepage von SI zu der Frage “Was denken wir über indigene Völker?”:

“Sie wissen, was für sie selbst am besten ist und Sie haben das Recht, sich dafür zu ent-scheiden anders zu leben. Indigene Völker sind nicht rückständig, primitiv oder aus der Steinzeit. Sie haben ein unschätzbares und einzigartiges Wissen über ihre Umwelt, be-sonders über Pflanzen und Tiere. [...] Ihr Überleben ist im Interesse der ganzen Menschheit. Ihre Vielfalt zeigt uns wie alternative Lebensweisen erfolgreich sein kön-nen. Sie zeigen uns, was wirklich Bestandteil des menschlichen Lebens ist – und was nur soziale Konditionierung ist. Ihr Verschwinden ist nicht unvermeidlich.” (URL1)

SI fordert hier die Anerkennung der kulturellen Einzigartigkeit jedes Volkes und den Erhalt ihrer ökologisch verträglichen Subsistenzstrategien, sowie ihr Recht selbstbestimmt in einer oftmals traditionellen Art und Weise auf ihrem Land zu leben.

Bemerkenswert ist aus der ersten Zeile herauszulesen, dass indigene zwar das Recht haben sollen eine andere Lebensweise zu führen, aber im Umkehrschluss nicht dazu an-gehalten wären sich einer Gesamtbevölkerung anzugleichen oder zum Beispiel moderne Techniken zu ihrem Nutzen zu adaptieren. In meinem Interview mit Linda Poppe von Sur-vival International Deutschland wurde mir zu diesen Kritikpunkt entgegnet, dass es aus Sicht von SI in der Entscheidung der indigenen Bevölkerung liege, ob sie diese Techniken verwende oder nicht (vgl. Lohninger 2011). Dem steht allerdings entgegen, dass auf kei-nem einzigen der Bilder oder Videos auf einer der Homepages von SI indigene Menschen mit Mobiltelefon, Taschenlampe oder irgendeiner Form von moderner Technologie darge-stellt werden. Hier drängt sich das Konzept der “edlen Wilden” auf von Jean-Jacques Rousseau. Die indigene Bevölkerung wird als etwas pures, gutes, naturverbundenes dar-gestellt gegenüber einer schlechten, sündenbehafteten, umweltzerstörenden Zivilisation.

“Die Verherrlichung der Andersartigen in Form sogenannter ‘Naturvölker’ ist meiner Ansicht nach als ‘geistiger Kolonialismus’ zu bezeichnen, da sie zu einer Verzerrung des

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Bildes von den Angehörigen fremder Kulturen führt, die somit wiederum ihrer Mensch-lichkeit beraubt und daher geistig kolonisiert werden” (Bargatzky 1986 zitiert nach Zips-Mairitsch 2009:161)

Abb2: Bild aus SI Jahresbericht 2010

Der von SI gebrauchte Terminus “Naturvölker” schlägt in dieselbe Kerbe und ist im anthropologischen Diskurs ebenso ungebräuchlich geworden durch seine Konstruktion von indigenen Menschen näher an der Natur und dadurch, gemäß evolutionistischer Denkmustern, weniger kultiviert. Für das mobilisieren von Spenden und Aktivisten ist diese Dichotomisierung allerdings bestimmt hilfreich und ähnelt der Argumentation von Natur-schützern und konservierenden Ansätzen gegenüber Umweltzerstörung.

“It is evident, however, that the 'traditionalist' versus 'western bushman' dichotomy is itself at the heart of donor and NGO development agendas.” (Robins 2003: 833)

In der letzten Passage von Survivals Zitat findet sich ein weiteres zentrales Element der Konstruktion von indigenen Gruppen durch SI: ihre Bedrohtheit. In vielen Materialien von SI findet sich das Bild der indigenen Bevölkerung an der Kippe zur Ausrottung durch den Einfluss der Nationalstaaten, innerhalb deren Grenzen sich ihr angestammtes Sied-lungsgebiet befindet, und internationaler Konzerne mit Bestrebungen zur Nutzung eben jener Gebiete.

“In the Americas and Australia, for example, years of activism have produced savvy and increasingly cosmopolitan indigenous actors and actions. As a consequence of their relatively late arrival in the activist world, the Bushmen, far more than any other re-gional minority group in Botswana, are represented by others who not only speak in their place but who speak for as opposed to with them” (Solway 2009: 334)

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Laut dem ersten Satz der obigen Aussage von SI wissen indigene Gruppen selbst, was für sie am Besten ist. Obwohl SI an vielen Stellen behauptet Kontakte mit lokalen Gruppen zu halten und ihre weltweiten Medienaktionen danach zu koordinieren, ist gerade beim Fall der CKGR offensichtlich geworden, wie intransparent und losgelöst die PR-Ma-schinerie der SI Büros von den Vorkommnissen vor Ort sind. Das Mandat im Interesse der indigenen Bevölkerung zu handeln, auf das sich SI beruft, gibt sich SI scheinbar selbst.

CKGR Case

Der Fall um das Central Kalahari Game Reserve ist wichtig für das Verständnis von indigenen Landrechten und der komplexen Interaktion zwischen Regierung, supranationa-len Vereinigungen, indigenen Gruppen, Wissenschaftlern und regionalen und internationa-len NGOs. Schon als frühe Bantu Gruppen auf das Gebiet des heutigen Botswana kamen, trafen sie auf Jäger- und Sammlergemeinschaften der San (vgl Zips-Mairitsch 2008: 305). In der Kolonialzeit wurde die indigene Bevölkerung von der britischen Führung als Teil des Wildlebens eingestuft und konnte deshalb großteils ungestört weiter bestehen. Ein briti-scher Verwaltungsbeamter vom Rang eines Kadetten wurde mit einer “völkerkundlichen Studie zur Wirtschaftsweise und Gesellschaftsweise der San” für die “Kalahari Policies” der Regierung betraut. Der District Comissioner Georg Silberbauer kam zu dem Schluss, das es sinnvoll wäre, ein Schutzgebiet für die lokale, indigene Bevölkerung zu schaffen, auf dem sie sich selbständig erhalten könnte, was 1961 dazu führte, dass das Central Ka-lahari Game Reserve errichtet wurde. (vgl. ibid. 2009: 305-308)

“No person other than a Bushman indigenous to the Central Kgalagadi Game Reserve shall enter the said Reserve without having first optained a permit in writing from the district Commissioner, Ghanzi” (§2 (1) CKGR (Control of Entry) Regulation, Govern-ment Notice No 38. of 1963 vom 3. Mai 1963 zit. nach Zips-Mairitsch 2009: 309)

Zum damaligen Zeitpunkt war der Erhalt der San Lebensweise und ihrer Ausdrucks-formen scheinbar noch höher angesehen als der Naturschutz. Die Intention von Silber-bauer zum damaligen Zeitpunkt war zwar entgegen der generellen Politik der Modernisie-rung und Eingliederung von autochthonen Gruppen in den “modernen” botswanischen Staat, er wollte den Gruppen allerdings zusätzlich eine Wahlfreiheit lassen neben der Ein-gliederung auch ihren bisherigen Lebensstil beizubehalten. Diese Position ähnelt sehr der proklamierten Einstellung von Survival International Deutschland aus meinem Interview mit ihnen (vgl. Lohninger 2011). Dafür erntete er aber auch Kritik, dass die Maßnahme nur darauf abziele einen “menschlichen Zoo” für die Forschungsinteressen von Anthropologen zu erstellen (vgl. Zips-Mairitsch 2008: 310).

In der weiteren Geschichte des Reservats kam es dann immer öfter zu Kritik aufgrund die weiter sinkenden Tierbestände. Als einer der Gründe dafür wurde von Regierungs- und Tierrechts-organisationen auch die Jagd der indigenen Gruppen zu ihrer Nahrungsbe-schaffung genannt. Die Jagdlizenzen wurden auf schriftlichen Antrag in englischer Spra-che für ein Jahr vergeben und waren auf bestimmte Tierarten und Abschussquoten be-grenzt. Diese Administration überforderte die meisten analphabetischen San ohne Eng-lischkenntnisse und auch die Quoten für den Tierfang waren realitätsfremd für eine Grup-

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pe, deren Überleben vom Jagdglück in einem zunehmend dünner besiedelten Areal ab-hängt. Die Entscheidung für viele Indigene an dieser Stelle war es entweder zu verhun-gern oder illegal zu jagen und kriminalisiert zu werden. (vgl. Solway 2009: 322 und Zips-Mairitsch 2009: 314)

1986 kündigte die botswanische Regierung zum ersten Mal an auf die Absiedelung der Bevölkerung aus dem CKGR abzuzielen. Damals hieß es jedoch noch, dass es keine Zwangsumsiedlungen geben wird, sondern nur, dass man es der Bevölkerung nahelege das Gebiet zu verlassen und Kompensationen anbietet. In 1997 wurden dann mehrere hundert Menschen aus dem Gebiet mit ihren Habseligkeiten ausgesiedelt und 2002 kam es zu einer weiteren Aussiedlungswelle. (vgl. Hitchcock 2006: 13)

“There was much discussion among San and Bakgalagadi about what to do about the issue of relocation out of the game reserve [...] Various non-government organizations, including Survival International, made plaintive pleas to the government of Botswana to reverse their decision. Local non-government organizations, [...] sought to negotiate with the government, hoping that the Botswana authorities would allow people to stay in the reserve. However, in February, 2002, the government went ahead with its in-tended relocation of additional people from the reserve.” (ibid. 2006: 13f)

Während dieser Aussiedelungen und auch schon bei Zwischenfällen im Kontext der illegalisierten Jagdgewohnheiten der San gab es immer wieder Berichte von Repressalien von Seiten der Staatsbehörden. Die politische Kursändernung der botswanischen Regie-rung passierte in einem langem Prozess und ist keineswegs linear zu verstehen. An dieser Stelle versuche ich nur eine grobe Skizze der Geschehnisse zu geben. Die Regierung sprach sich wiederholt für den Verbleib der San auf ihrem Gebiet aus und auch dafür ihre Grundversorgung aufrecht zu erhalten. Leider folgten diesen Worten wiederholt entgegen-gesetzte Taten der Repression und teilweisen Aussiedelung. Durch die Schrittweise Ge-wöhnung von San an Leistungen des Staates, wurde der Boden für die letztlich entschei-dende Argumentation geebnet, nämlich, dass die San von einer nomadischen zu einer sesshaften Lebensweise gewechselt sind. Dadurch wäre ihre “Entwicklung” in Gang ge-setzt, die außerhalb des CKGR besser fortschreiten kann und auch innerhalb der CKGR nicht mehr Nachhaltig mit und von den Wildtieren sein würde.

Die Aussiedelungen passierten auch nicht auf rein erzwungenen Maßnahmen, son-dern wurden auch mittels Anreizen an die verbliebenen San auf dem Gebiet bewerkstelligt, falls sie sich denn auf ihr neues Siedlungsgebiet begeben. Gleichzeitig wurde aber auch die Wasserversorgung im CKGR für die San gekappt, was ein lebensbedrohendes Druck-mittel darstellte. (vgl. Zips-Mairitsch 2009: 314-346)

Sehr bald nach der Aussiedelung wurde von 243 ehemaligen Bewohner des CKGR ein Rechtsmittel vergleichbar mit einer Einstweiligen Verfügung auf den Weg gebracht um die Wasserversorgung des Gebietes wiederherzustellen. Diese unmittelbare Maßnahme zum Erhalt der Lebensgrundlage für die San innerhalb des CKGR beschäftigte die Mühlen der Justiz über vier Jahre, bis zu welchem Zeitpunkt die Klage schon zu einer Grundsatz-frage über die Rückkehr und den Verbleib im CKGR ausgeweitet wurde und vom botswa-nischen Höchstgericht 2006 zu Gunsten der klagenden San entschieden wurde. (vgl. ibid: 341-366)

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Diamonds and genocide

Während dem gesamten Prozess der Aussiedelung kam es immer wieder zu Verhand-lungen mit verschiedenen Fürsprechern für den Verbleib der San im CKGR und Arbeits-gruppen zur Ausarbeitung von Lösungsstrategien. Hier spielten nationale und internationa-le Akteure und vor allem NGOs eine zentrale Rolle. Dabei ist die Rolle von Survival Inter-national besonders hervor zu streichen, weil sie einerseits mit ihrer medialen Kampagne den meisten öffentlichen Druck gegen die botswanische Regierung aufbauen konnten, an-dererseits auch im Diskussionsprozess nicht in einer konstruktiven Vermittlerrolle wahrge-nommen wurden, sondern eher als außenstehender, laut schreiender, Akteur, welcher die Lage der San kurz vor der Aussiedelung 2002 sogar noch verschlimmerte.

“Die Kampagne ‘Bushmen aren’t forever’, in Anlehnung an den Slogan ‘Diamonds are forever’ der Diamentenindustrie, reihte Botswana in die Kategorie der Konflikt- oder Blutdiamenten produzierenden Staaten ein und traf das Land an seiner empfindlichsten wirtschaftlichen Stelle. (...) Auf Jahre hinaus sollte die Regierung alle Pro-Stimmen für alternative Optionen der CKGR governance mit dem Generalverdacht einer Zugehörig-keit zu oder zumindest Beeinflussung durch Survival International von sich weisen. (...) Daher lieferte ein auf schwachen Beinen stehender und mit höchst undiplomatischen Mitteln sowie in ihrem Timing überaus unglücklich positionierter Aktionismus den viel-leicht willkommenen Vorwand, jede Unterstützung für die San als Variation der neoko-lonialen Einmischung von Survival International zu verwerfen.” (Zips-Mairitsch 2009: 329f.)

Die Argumentation von SI war die Aussiedelung der San mit Diamantenvorkommen innerhalb des CKGR zu begründen. Die Kampagne – später auch “diamonds and genoci-de” genannt – wurde mit massiven öffentlichen Mitteln geführt und konnte aufgrund ihrer Stilisierung der San als den “Ursprung der Menschheit”, deren Absiedelung es um jeden Preis zu verhindern gilt, im breiten öffentlichen Diskurs Fuß fassen. Survival schaffte es damit als Headline in die BBC und andere große Nachrichtenagenturen zu kommen (vgl. ibid: 334) und zog auch im späteren Verlauf Nutzen durch den Film “Blood Diamond” mit Leonardo DiCaprio (2006) und einer Aktion, bei der Filmschauspieler und Musiker zur Un-terzeichnung einer Unterstützungserklärung gegen die angeblich krisenbehafteten Dia-manten aus Botswana bewegen wurden.

“Survival emphasized that the CKGR lies between two of the world’s largest diamond mines, which have helped to make Botswana one of Africa’s fastest-growing and wealthiest nations. Survival’s allegations, and its call for a boycott of De Beers dia-monds, however, were based on dubious evidence. The group has been viewed by many Batswana as a ‘misguided troublemaker’ ...” (Taylor 2007: 4)

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Abb2: Bild von Survival Internationals Aktion zur Eröffnung des New Yorker De Beer Flagshipstores

De Beers1 ist der Joint Venture Partner von Botswana in der Förderung seiner Dia-mantenvorkommen, welche 80% der Exporteinnahmen des Landes in 2002 ausmachten und von denen Botswana sich 50% der Einnahmen von De Beer sicherte (vgl ibid: 329 und Solway 2009: 336). Die Bandbreite der aktivistischen Maßnahmen war vielfältig, es wurden der botswanische Präsident von SI mit Kamera abgefangen, zum Boykott von De Beer aufgerufen, Protestbriefe geschrieben und Videos produziert. Bei der Eröffnung eines De Beers-Geschäftes in New York kam es ebenfalls zu einer Protestkundgebung, über welche Reuters Folgendes schrieb:

“ The first American De Beers LV store opened on showy Fifth Avenue, New York, on Wednesday night, against a red carpet backdrop and heckling protesters. [...] Members of advocacy group Survival International, who insist the evictions of the Gana and Gwi Bushmen by the Botswana government are linked to diamond mining, shouted "shame on you" and "cultural genocide" across a noisy Fifth Avenue.” (URL8)

Die Kampagne von SI führte zu einem massiven internationalem Imageverlust von Botwsana und hatte, wie schon oben erwähnt, eher mehr negative Einflüsse auf die Aus-siedelung der San. Es kam in der Folge zu Ausweisungen internationaler Mitarbeiter, Zen-sur und sogar angeblicher Folter, wie Jacqueline Solway hier beschreibt:

“SI and its collaborators have backed Botswana into a corner that has led the country to display some of the most illiberal and authoritarian behavior in its history. This in-cludes harassment and alleged torture of Bushmen in the CKGR; unprecedented restric-

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1 internationales Unternehmen in der Diamantenbranche

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tions and censorship on the local media; the deportation of a foreign scholar accused of colluding with SI; visa restrictions on several foreigners, including prominent journal-ists (BBC) and some UN staff; [...] So, in one sense, the campaign to depict Botswana as just another ‘African dictatorship’ may be working in so far as Botswana has become more dictatorial in response to it.” (Solway 2009: 338)

NGO Strategien

Die Entgegnung von Survival auf die Kritik an ihrem Auftreten im Falle des CKGR zeigt sich gut an meinem Interview mit SI Deutschland:

“Ich glaube, einer der wichtigsten Kritikpunkte ist, dass wir sehr konfrontativ sind in diesem Fall, das heißt, dass wir ziemlich kompromisslos erscheinen, indem wir sagen, dass das so sein muss und dass diese Rechte akzeptiert werden müssen und nicht an-ders. Und dass von der Regierung oft gesagt wird “wir wollen ja verhandeln, aber das Survival sich da so ein bisschen in die Tür drängt ohne wirklich vermitteln zu wollen.” (...) für wen wir sprechen, erst mal dass wir mit der Gruppe mit der wir arbeiten, tat-sächlich wiederholt immer immer wieder es versucht haben, und das klingt immer so ein bisschen komisch, wirklich mit hunderten Leuten gesprochen haben um zu fragen, sogar ob es denn gut ist, ob wir ihren Rückhalt haben, dass wir tatsächlich diese Kampagne führen und das betraf vor allem eine Gruppe, die tatsächlich auch zurückkehren wollte auf ihr Land, von dem sie vorher vertrieben wurden. Dass wir da schon sagen können, dass wir auch schon tun, was den Rückhalt dort findet. Und es gibt Kritik von unter-schiedlichen Gruppen immer wieder daran, dass wir unsere eigene Kampagne machen würden, aber mit den Leuten, mit denen wir tatsächlich arbeiten und deren Fall wir be-treuen, die haben uns immer wieder versichert, dass das richtig ist" (Lohninger 2011: 0:40:00)

Die Rückversicherung mit den Gruppen, in deren Namen SI Öffentlichkeit generiert und Spenden einsammelt, ist deshalb problematisch, weil es keinerlei Offenlegung der lo-kalen Kontakte von SI gibt. An anderer Stelle wurde mir versichert, dass SI die Kontakte zu “ihren” Gruppen nur nach Rückfrage mit der Gruppe offenlege, was mit dem negativen Einfluss von Kontakten und Touristen begründet wird und auch aus der oft gewählten Be-zeichnung “unkontaktierte Gruppen” hervorgeht. Dem zu Folge wäre es auch für potentiel-le Spender nicht möglich, die Arbeit von SI anhand von Fakten, detaillierten Berichten oder externen Evaluationen nachzuprüfen. Diese Transparenz und Nachvollziehbarkeit ist in einigen NGOs problematisch, es gibt aber auch Bestrebungen innerhalb der NGO-Szene Standards für Transparenz und Nachvollziehbarkeit zu etablieren. Diese erfolgen aber na-türlich nur durch freiwillige Selbstverpflichtung und werden teilweise von Organisationen wie Transparency International forciert.

Generell ergibt sich eher der Eindruck, dass man auf Kritik nur sehr oberflächlich und auch oftmals mit Gegenkritik reagiert, wie es an einer Stellungnahme von Stephen Corry, dem Direktor von Survival International, auf einen kritischen Artikel ersichtlich wird:

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“Effectively challenging vested interests, however, is met with well-funded hostility. The allegations made here that Survival made things worse originate with Ditshwanelo, an organization that has represented Botswana at the UN. The author cites Suzman and Solway with approval. However, Suzman does not believe indigenous rights have a place in Africa, an idea also embraced by his former employer, De Beers. Solway does not believe the Gana and Gwi have a right to live in the reserve. The organization Kuru is cited, but not the fact that its principal funder is De Beers and its patron is minister of mines.” (Corry o.A. zit. nach Taylor 2007: 5)

Der Vorwurf an die hier zitierte Anthropologin Jacqueline Solway, nicht daran zu glau-ben, dass Gana und Gwi einen Platz im Reservat haben, wird aus der Lektüre ihrer Texte nicht ersichtlich, wohingegen eine spezifische Position im Bezug auf die Aktivitäten von Nicht-Regierungsorganisationen sich sehr wohl erschließt:

“These [problems associated with the rise of NGO activity] include cultural insensitiv-ity; agendas set by Western government and/or corporate interests, and funding with concomitant lack of accountability to local authorities/concerns; contribution to dimin-ished state capacity as a result of providing infrastructure and usurping sovereignty; and the problem of self-perpetuation in which NGOs’ activities and priorities become increasingly dictated by the need to secure funding.” (Solway 2009: 326)

Unabhängig von der Frage nach der Transparenz und dem Mandat von NGOs stellt sich die prinzipielle Frage, welche Strategien sinnvoll sind für eine NGO mit dem Ziel sich für die Rechte indigener Menschen einzusetzen. Der Hauptfokus von Survival liegt in der Schaffung von Öffentlichkeit für Themen, die ohne ihr Zutun bei weitem nicht diese Auf-merksamkeit bekommen würden. Nun ist die Frage zu stellen, welche, wie viel und aus welchen Kreisen kommende Aufmerksamkeit hilfreich oder störend ist. Im Falle der CKGR könnte man von einer (westlichen) Weltöffentlichkeit sprechen. Die starke Polarisierung der SI Kampagne zwischen den guten, schützenswerten, unschuldigen und edlen San und dem bösartigen, gewaltsamen und geldgierigem Staat Botswana bzw. De Beers half dem Transport der Botschaft durch die Aufmerksamkeitsökonomie. Komplexere Sachverhalte mit historischer Tiefe und - vor allem - (post)kolonialen Bedeutungsebenen, würden eher zur Reflektion anregen und verlieren so an “news value”. Diese Orientierung an der Auf-merksamkeitsökonomie ist SI aufgrund ihrer Fokussierung auf die Generierung von Öffent-lichkeit allerdings auch nur bedingt vor zu werfen. Die Existenz einer unabhängigen, inter-nationalen Lobby für das Thema indigene Rechte ist bestimmt begrüßenswert, wenn auch im Falle von SI nicht immer im Sinne der Sache.

“Minority groups, most recently through Reteng2, have successfully utilized state in-struments, especially the courts, to challenge the government over the official exclu-sions that still exist in Botswana and that ascribe the minorities’ secondary place in the polity. “ (Solway 2009: 333)

Laut Solway gibt es eine Tendenz, zumindest in Afrika, nicht mehr den Weg über die Zivilgesellschaft bzw. Weltöffentlichkeit zu gehen, sondern über juristische Mittel zu ver-

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2 grassroots multi-cultural coalition of Botswana NGOs representing ʻminorityʼ groups

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suchen die Situation der indigenen Bevölkerung zu verbessern. Diese anfängliche Ten-denz ist zu begrüßen, erfordert aber vielleicht auch neue Herangehensweisen für die NGOs auf diesem Gebiet. Die vorherrschende Einstellung bei SI scheint in dieser Frage noch eine pragmatischere zu sein:

“Was manchmal das Problem ist - oder was wir häufig sehen ist: dass es ja tatsächlich dann diese Rechte gibt und da kann auch ein Gericht schon entschieden haben, zehn mal, dass es auch wirklich so sein sollte, aber es passiert halt faktisch nichts. Deshalb ist dann dieser öffentliche Druck immer das, womit wir versuchen zu arbeiten. Aber es passiert natürlich auch, dass wir in einem Gerichtsverfahren uns beteiligen, (...) aber es ist halt etwas, wo man wirklich auch hoffen muss, dass diese Entscheidung wirklich ei-nen Unterschied macht und was halt manchmal passiert oder häufig passiert ist: dass Entscheidungen getroffen werden, sie aber an dem praktischen Verhalten nichts ändern, (...) deshalb versuchen wir, sie dann da zu greifen, wo es wirklich weh tut, und zwar nicht, dass ein Gerichtsakt [aussagt]: "es tut mir leid". Sondern indem zum Beispiel ein ausländischer Investor sagt: "okay hier investier ich mein Geld nicht rein, das ist mir irgendwie gerade nicht so, so sicher was hier noch passiert und da ist zu viel öffentliche Aufmerksamkeit drauf.” (Lohninger 2011: 0:31:50, eigene geklammerte Hinzufügun-gen)

Die Mitfinanzierung des Gerichtsprozesses von SI war bestimmt ein positives Zutun zur Erreichung des Urteils des High Courts in Botswana (vgl. Zips-Mairitsch 2009: 342). Jedoch ist das Beeinflussen einer komplexen Konfliktsituation von Außen, als internationa-le Organisation mit 40 Mitarbeitern3 an sich schon nicht leicht, was durch die Gleichzeitig-keit von Ungleichzeitigkeiten bei Fragen von indigenen Gruppen oder Entwicklungspro-grammen nicht besser wird.

Vielleicht ist ein Konzept ähnlich dem Klagsverband4 in Österreich auf internationaler Ebene zur Finanzierung von Gerichtsprozessen über die Land- und Menschenrechte für indigene Gruppen ein zukunftsträchtiges Projekt.

“Der Klagsverband zur Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfern ist eine NGO, die Opfer von Diskriminierung unterstützt, zu ihrem Recht zu kommen. Neben verschiedenen Service-Angeboten zu den Themen Anti-Diskriminierung und Gleichstel-lung bedeutet das auch die Vertretung von Einzelpersonen vor Gericht.” (Klagsverband 2010: URL9)

Staatliche Souveränität und Hybridisierung

In vielen Fragen der Anerkennung der Rechte indigener Gruppen spielt die staatliche Souveränität und der gesamtstaatliche Zusammenhang eine Rolle. Eine Gruppe fordert Rechte für sich als Gesamtheit, die es in dieser Form für die Mehrzahl der Bevölkerung nicht gibt und wodurch der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt wird. In vielen Fällen ist

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3 stand 2011 aus Interview SI Deutschland (vgl. Lohninger 2011: 0:03:20)

4 siehe URL9

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die Ausgangssituation indigener Gruppen im Vergleich zur Mehrheitsbevölkerung natürlich nicht privilegiert, sondern eher prekär. Trotzdem löste das enorme internationale Medienin-teresse an den San im Rest von Botswana Unverständnis aus.

“The Bushmen have long functioned as a convenient vehicle for expressing a range of concerns over Africans’ treatment of other Africans. This points to the paradox that whi-le, in Botswana, Bushmen may be the most ‘invisible’ of minorities, to the wider world they are the most visible people in the nation.” (Solway 2009: 337)

Eine simple Konstruktion von indigenen Gruppen als losgelöst vom Rest des staatli-chen oder globalen Gefüges liefert keine stabile, auf Konsens basierende, Lösungsansät-ze für die Probleme dieser Gruppen in ihrem Staat. Die oft genutzte Terminologie von SI der “unkontaktierten Gruppen” verschleiert ihre Staatsbürgerschaft in Botswana, für die sie sich zwar nicht aktiv entschieden haben, was allerdings auch kein legitimes Argument für den Rest der Bevölkerung ist. Zu warnen ist vor gefährlichen Konstruktionen von indige-nen Gruppen als komplett losgelöst von globalen Prozessen und gesellschaftlichem Dis-kurs (über sie) oder Konstruktionen ihrer naturverbunden Opferrolle, hoffnungslos ausge-liefert einem repressiven, feindlichen Weltsystem. Eine Einmischung von Außen oder zu pauschalisierende Berichterstattungen über ein Thema werden leicht als (neo-)koloniale Einmischung verstanden und zerstören, nicht nur im CKGR-Gerichtsfall, die Basis für kon-struktiven Diskurs und verhindern die Möglichkeit für hilfreiche internationale Einflüsse.

Die ökonomische Ebene dieser Debatte zeigt sich an den Geldflüssen zu indigenen Gruppen durch Spenden und Tourismus. Dieser Einfluss trägt einerseits zum (zumindest performativen) Erhalt der Brauchtümer und gewisser Handlungsweisen indigener Kulturen bei, wirft jedoch inhärent die Frage der Authentizität und Repräsentation dieser Kulturen auf. Der viel zitierte ʻcultural survivalʼ kann nicht in einer Festschreibung von stilisierenden Idealbildern von Kulturen liegen. Tourismusbroschüren und organisierte Reisetouren mit inszenierten Wanderungen durch den Busch sind alleinig keine stabile “Überlebensstrate-gie” dieser Kulturen und dienen mehr den vorgefertigten Imaginationen der Touristen (vgl. Appadurai 2008: 114-135).

“This ambiguity, I suggest, lies at the heart of NGOs' dual mandate: to promote the 'cul-tural survival' of indigenous peoples and to socialize them into becoming virtuous mod-ern citizens within a global civil society.” (Robins 2003:841f)

Sprachen sind oft ein gut quantifizierbares Hilfsmittel um die Diversität menschlicher Lebensweisen, und daher auch in einem gewissen Maße ihrer Kultur, fassen zu können. Die Mehrzahl der Sprachen dieses Planeten werden von indigenen Menschen gesprochen und sind bedroht (vgl. ORF 10. Mai 2011 2:10). Dieses Rennen um das “Survival” der Viel-falt auf unserem Planeten ist ein immer prominenter werdendes Thema und verdient Auf-merksamkeit und verhaltensändernden Diskurs um den Reichtum unserer Welt zu erhal-ten. Auf der biologischen Ebene wird diese Diskussion aktuell sehr stark geführt, wenn es darum geht für den Erhalt von Flora und Fauna einzutreten. Die Ausdifferenzierung unse-res Planeten allerdings in einem sozialdarwinistischen Sinne auf den Erhalt von menschli-cher Diversität zu übertragen greift zu kurz. Kultur existiert in keiner Reinform, sondern ist das Produkt einer Mischung von bereits gemischten Ausgangselementen. Auch wenn eine primordialistische Konstruktion von Kultur (vgl. Robins 2003:849) sich im Falle der San

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durch ihre Stilisierung als “die ersten, urtümlichen Menschen” anbietet, ist auch ihre Kultur schon das Ergebnis multipler Einflussnahmen und erleidete keinen Sündenfall durch den Bau eines den Brunnens auf ihrem Gebiet von Georg Silberbauer.

“Erwähnenswert wäre in diesen Zusammenhang auch, dass die Feldstudie Silberbauers nicht ohne Einfluss auf die Lebensweise der San in der Zentralkalahari blieb. Als er für seinen eigenen Gebrauch einen Brunnen baute, beeinträchtigte diese Invention die bis-herige Mobilität [...] Das ganzjährige Vorhandensein von Wasser war für viele San so attraktiv, dass sie von ihren sonst in der Trockenzeit besiedelten Lagern nach !Xade im Zentralwesten des CKGR zogen.” (Zips-Mairitsch 2009: 311)

“these peoples need to engage with modern means of production but that this does not mean that they are simply swallowed up by the homogenizing forces of modernity and globalization. Instead, many of these groups adapt and recast their dependencies on modern means of production in order to reconstitute and reproduce their own cultural ideas and practice” (Robins 2003: 843)

Die Idee der Urtümlichkeit und Unkontaktiertheit der indigenen Bevölkerung hält einer Überprüfung auf die multiplen Beeinflussungsfaktoren nicht statt. Es liegt in der Natur des Menschen von Anderen zu lernen und offen gegenüber nützlichen Innovationen zu sein. Deshalb ist es so wichtig in der Konzeption von Strategien und Projekten mitzubedenken, dass es nicht um ein Festschreiben des Zustandes oder der Ziele einer Bevölkerung geht, sondern darum, die komplexen Realitäten und die Vernetztheit der ökonomischen, ökolo-gischen und kulturellen Lebensrealitäten genau so anzuerkennen, wie die Rechte von In-dividuen und Gruppen auf Selbstbestimmtheit. Egal wie oft und gewissenhaft der Versuch unternommen wird eine Rückversicherung mit den Interessen der indigenen Gruppen und anderer involvierter Parteien zu unternehmen, es wird immer eine Gradwanderung sein zwischen den positiven Absichten der handelnden Akteure und paternalistischen Denk-konzepten.

“As Marshall Sahlins notes, the survival of indigenous peoples, such as hunter-gatherers is often not a result of their isolation: rather, their subsistence is dependent on modern means of production, transportation and communication- rifles, snow machines, motorized vessels and, at least in North America, CB radios and all terrain vehicles which they buy using money they have acquired from a variety of sources, including public transfer payments, resource loyalties, wage labour and commercial fishing. (...)

To break out of the ethnic mould of apartheid history, South African NGOs, and the San themselves, may have to walk a fine line between negotiating the primordialist desires and fantasies of funders, and the need to gain access to development resources to em-power poverty stricken San communities. They will also need to negotiate the ambigu-ous and contradictory dual mandate of donors that seek to promote San 'cultural sur-vival' while simultaneously inculcating the values and virtues of 'civil society' and lib-eral individualism, development and democracy. This could be a hard road to walk.” (Robins 2003: 843;852)

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Conclusio

Ich hoffe in meiner Arbeit gezeigt zu haben wie und mit welchen Konstruktionen von Indigenität die NGO Survival International im Falle der San operiert. Die Ausführungen wa-ren durch die Grenzen dieser Arbeit und das Fehlen weiterer derart gut aufgearbeiteter Kampagnen von Survival begrenzt. Zeigen aber hoffentlich doch im Sinne des Buchtitels von Thomas Hylland Erikson “Small Places, Iarge Issues” (2001) ein großes Bild anhand eines kleinen Ausschnittes unserer komplexen, globalisierten Welt.

Abschließen möchte ich mit einem Zitat aus dem Urteil des CKGR-Gerichtfalles. Es zeigt, in einer hoffnungsvollen Art und Weise, einen Weg in die Zukunft für das Zusam-menleben der San in Botswana und vielleicht aller indigenen Gruppen:

“It is a people saying in essence, our way of life may be different but it is worthy of re-spect. We may be changing and getting closer to your way of life, but give us a chance to decide what we want to carry with us into the future” (High Court 2006:275 zit. nach Zips-Mairitsch 2009: 366)

Bibliography

Appadurai, Arjun. 2008. Modernity at large : cultural dimensions of globalization. 8. Au-flage. University of Minnesota Press. Minneapolis.

Bargatzky, Thomas. 1986. Einführung in die Kultur-Ökologie. Umwelt, Kultur und Ge-sellschaft. Dietrich Reimer Verlag. Berlin.

Bojosi, Kealeboga N / Wachira, George Mukundi. 2006. Protecting indigenous peoples in Africa: An analysis of the approach of the African Commission on Human and Peoplesʼ Rights, in: African Human Rights Law Journal. (ed. Viljoen, Frans / Heyns, Christof). 2006. 6(2): 382-406.

Cobo, José R.Martínez. 1986. Study of the Problem of Discrimination against Indigenous Populations, in: Conclusions, Proposals and Recommendations. Vol. 5, (E/CN.4/Sub.2/1986/7/Add.4).

Eriksen, Thomas Hylland. 2001. Small Places, Large Issues: An Introduction to Social and Cultural Anthropology. 2. Auflage. Pluto Press. London.

High Court. 2006. siehe unter Rechtsfälle: Roy Sesana, Keiwa Setlhobogwa and Others v. The Attorney General.

Hitchcock, Robert K. (Herausg.) / Ikeya, Kazunobu / Biesele, Megan / Lee, Richard B. 2006. Introduction: Updating the San, Image and Reality of an African People in the Twenty First Century, in: Senri Ethnological Studies 2006. 70: 1-42.

Robins, Steven. 2001. NGOs, ʻBushmenʼ and Double Vision: The ≠Khomani San Land Claim and the Cultural Politics of ʻCommunityʼ and ʻDevelopmentʼ in the Kalahari, in: Journal of Southern African Studies. Dezember 2001. 27(4): 833-853.

Solway, Jacqueline. 2009. Human Rights and NGO 'Wrongs': Conflict Diamonds, Culture Wars and the 'Bushman Question', in: Africa: The Journal of the International Afri-can Institute. Edinburgh University Press. 2009. 79 (3): 321-346.

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Taylor, Julie J. 2007. Celebrating San victory too soon?: Reflections on the outcome of the Central Kalahari Game Reserve case, in: Anthropology Today. Wiley Blackwell. Oktober 2007. 23(5): 3-5.

Zips-Mairitsch, Manuela. 2009. Verlorenes Land: Indigene (Land) Rechte der San in Bot-swana. Dietrich Reimer Verlag. Berlin.

Audio-/Videoquellennachweis

Lohninger, Thomas / Poppe, Linda. 2011. TA22 - Survival International in Talking An-thropology. http://www.talkinganthropology.com/2011/01/17/ta22-survival-international/ (12. Mai 2011 13:56)

Petautschnig, Florian. 2011. Ö1 Wissen Aktuell vom 10. Mai 2011 ab 0:02:10. Österrei-chischer Rundfunk. http://oe1.orf.at/programm/274255 (12. Mai 2011 14:30)

DiCaprio, Leonardo / Hounsou, Djimon / Connelly, Jennifer / Zwick, Edward (Regie). 2006. Blood Diamond. Spielfilm. Warner Bros. USA. 8. Dezember 2006.

Internetquellen

URL1: http://www.survivalinternational.de/ueberuns (8. Mai 2011, 21:47)URL2: https://www.survivalinternational.org/donate (12. Mai 20011, 14:35)URL3: http://www.survivalinternational.de/spenden (12. Mai 20011, 16:35) URL4: http://survival.it/donazioni/perlaaziende (12. Mai 20011, 16:36)URL5: http://www.survival.es/socios (12. Mai 20011, 16:36)URL6: http://www.survivalfrance.org/don (12. Mai 20011, 16:37)URL7: http://www.survivalinternational.nl/doneer (12. Mai 20011, 16:39)URL8:

http://www.namibian.com.na/index.php?id=28&tx_ttnews%5Btt_news%5D=16210&no_cache=1 (8. Mai 20011, 23:35)

URL9: http://www.klagsverband.at/ueber-uns (13. Mai 20011, 19:35)

Rechtstexte

Central Kalahari Game Reserve (Control of Entry) Regulation, Government Printer 1966 Constitution of Botswana, Government Printer Gaborone. Notice

Rechtsfälle

Roy Sesana, Keiwa Setlhobogwa and Others v. The Attorney General. MISCA No. 52 of 2002 (High Court). Botswana.

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Abbildungsverzeichnis

Abb1: Maziotis. 2009. Survival-countries. http://en.wikipedia.org/wiki/File:Survival-countries.PNG

Abb2: M. Cowan/Survival. 2010. Survival is calling for a boycott of Botswana diamonds until the Bushmen are allowed water. http://www.survivalinternational.org/news/6649

Abb3: Survival International. 2010. Annual Report 2010. Seite 4. http://assets.survivalinternational.org/documents/319/annual_report_2010.pdf

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