Kraftwerk 1

35
Nr. 42 19. Oktober 2001 tec21 Kraftwerk 1

Transcript of Kraftwerk 1

Page 1: Kraftwerk 1

Nr. 42 19. Oktober 2001 tec 21

Kraftwerk 1

Page 2: Kraftwerk 1

Trägervereine

ADRESSE DER REDAKTION

tec21Rüdigerstrasse 11, Postfach 1267, 8021 ZürichTelefon 01 288 90 60, Fax 01 288 90 70E-Mail tec21@ tec21.chwww.tec21.ch

REDAKTION

Inge Beckel, Architektur (Leitung)Philippe Cabane, Wettbewerbswesen/StädtebauCarole Enz, Energie/UmweltMargrit Felchlin, PR und MarketingHansjörg Gadient, fachübergreifende Themen (Leitung)Paola Maiocchi, Bildredaktion und LayoutKatharina Möschinger, Abschlussredaktionvakant: Bauingenieurwesen Ruedi Weidmann, BaugeschichteAdrienne Zogg, SekretariatDie Redaktionsmitglieder sind direkt erreich-bar unter: Familienname @ tec21.ch

HERAUSGEBERIN

Verlags-AG der akademischen technischenVereineMainaustrasse 35, 8008 ZürichTelefon 01 380 21 55, Fax 01 388 99 81E-Mail seatu@ access.ch

Rita Schiess, VerlagsleitungHedi Knöpfel, Assistenz

SIA-INFORMATIONEN

Charles von Büren, Peter P. Schmid, SIA-Generalsekretariat

erscheint wöchentlich, 44 Ausgaben pro JahrISSN-Nr. 1424-800X, 127. Jahrgang

Nachdruck von Bild und Text, auch auszugs-weise, nur mit schriftlicher Genehmigung derRedaktion und mit genauer Quellenangabe. Fürunverlangt eingesandte Beiträge haftet dieRedaktion nicht.

BEIRAT

Hans-Georg Bächtold, Liestal, RaumplanungHeinrich Figi, Chur, BauingenieurwesenAlfred Gubler, Schwyz, ArchitekturErwin Hepperle, Bubikon, öff. RechtRoland Hürlimann, Zürich, BaurechtHansjürg Leibundgut, Zürich, HaustechnikDaniel Meyer, Zürich, BauingenieurwesenÁkos Morávanszky, Zürich, ArchitekturtheorieUlrich Pfammatter, Islisberg, TechnikgeschichteUrsula Stücheli, Bern, Architektur

ABONNENTENDIENST

Abonnentendienst tec21 AVD Goldach, 9403 Goldach, Telefon 071 844 91 65, Fax 071 844 95 11E-Mail [email protected]änderungen von SIA-Mitgliedern:

SIA-Generalsekretariat, Postfach, 8039 Zürich,Tel. 01 283 15 15, Fax 01 201 63 35

ABONNEMENTSPREISE

Jahresabonnement Schweiz: Fr. 250.–Jahresabonnement Ausland: Fr. 295.–Einzelnummer (Bezug bei der Redaktion): Fr. 8.70Ermässigte Abonnemente für Mitglieder BSA,Usic, ETH Alumni und Studierende. Weitere aufAnfrage, Telefon 071 844 91 65

DRUCK

AVD Goldach

INSERATE

Künzler-Bachmann Medien AG, Postfach, 9001 St. Gallen Telefon 071 226 92 92, Fax 071 226 92 93E-Mail [email protected]

Auflage: 11 072 (WEMF-beglaubigt)

IM GLEICHEN VERLAG ERSCHEINT

Ingénieurs et architectes suisses IAS

Rue de Bassenges 4, 1024 EcublensTelefon 021 693 20 98, Fax 021 693 20 84E-Mail [email protected]

SCHWEIZERISCHER INGENIEUR-

UND ARCHITEKTENVEREIN

SIA-Generalsekretariat

Selnaustrasse 16, 8039 ZürichTelefon 01 283 15 15, Fax 01 201 63 35E-Mail [email protected]

Normen Telefon 061 467 85 74Normen Fax 061 467 85 76

tec21 ist das offizielle Publikationsorgan des SIA

SCHWEIZERISCHE VEREINIGUNG

BERATENDER INGENIEURE

Geschäftsstelle

Schwarztorstrasse 26, Postfach 6922, 3001 BernTelefon 031 382 23 22, Fax 031 382 26 70E-Mail [email protected]

DAS NETZWERK DER ABSOLVENTINNEN

UND ABSOLVENTEN DER ETH ZÜRICH

Geschäftsstelle

ETH Zentrum, 8092 ZürichTelefon 01 632 51 00, Fax 01 632 13 29E-Mail [email protected]

BUND SCHWEIZER ARCHITEKTEN

Geschäftsstelle

Pfluggässlein 3, 4001 BaselTelefon 061 262 10 10, Fax 061 262 10 09E-Mail bsa @ bluewin.chwww.architekten-bsa.ch

ASSOCIATION AMICALE

DES ANCIENS ÉLÈVES DE L’EPFL

Secrétariat

GC Ecublens, 1015 LausanneTéléphone 021 693 20 93, Fax 021 693 6320E-Mail [email protected]://a3e2pl.epfl.ch

BSA

Page 3: Kraftwerk 1

S TA N D P U N K T

tec 21 42/2001 3

Ruedi Weidmann

Ein Stück Stadt

Auf Wanderungen im Sopraceneri tritt man oft unversehens in einaltes Gehöft. Obwohl es nur aus vier kleinen Bauten besteht, hatdas architektonische Ensemble mit seinen Treppen, einer kleinenBrücke, einem «Sottoportegio» und den Steinterrassen auf mehre-ren Ebenen fast städtische Qualität – ein kleines «urbanes» Bau-wunder. Funktional und sozial aber war es, als es entstand, das Ge-genteil von Stadt, denn es lag drei Wegstunden vom nächstengrösseren Ort entfernt. Heute hat es als Feriensitz einer ZürcherFamilie eine kompensativ-komplementäre Funktion im urbanenLebensstil.Unter heutigen und hiesigen Umständen ein Stück Stadt im umfas-senden Sinn zu bauen, ist eine Aufgabe, die fast so beschwerlich ist,wie das Leben der ausgestorbenen Tessiner Bergbauern. Doch ge-nau dies hat sich die Genossenschaft Kraftwerk 1 zur Aufgabe ge-macht. Und dass sie es auch geschafft hat, ist ebenfalls ein Bau-wunder. Was alles in den vier Häusern an der Hardturmstrasse imZürcher Industriequartier steckt, wird in diesem Heft ausführlichdargestellt, und welchen Aufwand es bedeutet, eine Siedlung zubauen, die mehr will als einfach 300 Menschen mit Wohnungenversorgen, wird ausführlich erzählt. tec21 hat mit den wichtigstender vielen Beteiligten gesprochen, die zusammen arbeiten müssen,wenn 100 Wohnungen, 100 Arbeitsplätze, Tagesstrukturen für Kin-der, ein Restaurant, Gemeinschaftsräume, Ateliers und Werkstattunter vier Dächer gebracht werden sollen, wenn die Wohnungengünstig, die Bewohnerinnen und Bewohner sehr verschieden, dieArbeitsplätze quartierbezogen, der Betrieb ökologisch und das Zu-sammenleben demokratisch organisiert sein sollen – wenn eben einStück Stadt entstehen soll. Vom immensen Aufand erzählen alle,von Mehrkosten und von Überarbeitung, von persönlichenGlücksfällen und konjunkturellen Ausnahmesituationen, die nötigwaren fürs Gelingen. Zählt man aber den effektiven Mehraufwandan Kapital und Arbeitszeit zusammen und vergleicht ihn mit kon-ventionellem Wohnungsbau, ist er erstaunlich klein. Er konnte ge-leistet werden von einer Gruppe von Genossenschafterinnen undGenossenschaftern, die noch nie gebaut hatten, die jedoch etwasbieten konnten, was heute leider selten ist: Eine gesellschaftspoliti-sche Perspektive, eine Idee, die viele zu überzeugen vermochte,und eine starke Moral, dank der sie den Mut nie verloren. Nicht be-ziffern lässt sich der Ertrag. Etliche Leute haben eine günstige Woh-nung gefunden, brauchen kein eigenes Auto mehr, werden ineinem vielfältigen Umfeld aufwachsen oder alt werden, lernen Ver-antwortung übernehmen, zahlen ihre Steuern in der Stadt. SolcheLeute verursachen der Gesellschaft weniger Kosten. Andere kön-nen vom Kraftwerk 1 lernen, wie man Wohnungen auf Industrie-brachen vermieten und wie man ein Quartier entwickeln kann. Kraftwerk 1 ist eine kleine Stadterweiterung, die nicht alle städti-schen Probleme löst, aber für viele einen Lösungsweg vorschlägt.Und dabei ist es kein Experiment einer Gruppe verschrobener Ideo-logen, das nur hier funktionieren könnte, sondern ein Bauprojektmit Lösungen, die durchaus auch unter kommerziellen und prag-matischen Gesichtspunkten interessant sind. Es ist eine Ausnahme,die keine bleiben muss.

TIT

EL

BIL

DA

nd

re

a H

elb

lin

g,

Ein

zu

g i

ns

Kra

ftw

erk

1.

Sta

nd

pu

nk

tbil

d:

pd

/rw

Ruedi Weidmann

Ein besseres Stück Stadt

Andreas Hofer, Vorstandsmitglied, zur Planungsgeschichte

Michèle Büttner

Ein Projekt, das wirklich Kraft hat

Fatima Meili-Martins, Bewohnerin

Grundrisse

Ruedi Weidmann

Die Krise als Chance

Alain Paratte, Projektentwickler Allreal Generalunternehmung AG, zur Zusammenarbeit

Inge Beckel

Ein modularer Baukasten

Christof Glaus, Architekt

Ruedi Weidmann

Soziale Vielfalt als Attraktion

Lukas Meyer, Vorstandsmitglied, zur sozialen Infrastruktur

Felix Schmid

Eine Million für die Ökologie

Andreas Hofer zu Ökologie und Haustechnik

Inge Beckel

Es braucht mehr Solidarität unter

den Genossenschaften

Alfons Sonderegger, Stadt Zürich, zurFinanzierung

7

15

16

22

28

30

36

43

Page 4: Kraftwerk 1

tec 21 42/2001 7

Weidmann: Was waren Ihre Funktionen im Verlauf derPlanung des Kraftwerks 1?Hofer: Ich gehörte zusammen mit P. M. und MartinBlum zur Diskussionsgruppe, die sich 1992 entschloss,ein Buch zu schreiben. Nach dem Echo darauf und derGründung des Vereins war ich an der Organisation derVeranstaltungen beteiligt, mit denen 1994 und 1995 die Idee bekannt gemacht und weiter entwickelt wurde.Ich ging an Ausstellungen und Kongresse, an die«Kraftwerk 1» eingeladen wurde. Dann folgten ersteGespräche mit Grundeigentümern, Banken, Behördenund Projektentwicklern. Für mich als junger Architektwaren das ganz neue Erfahrungen. Seit der Gründungder Genossenschaft 1995 bin ich Vorstandsmitglied. Ichwar eigentlich immer Verhandlungsdelegierter für dieVertragsabschlüsse zur Finanzierung, mit dem General-unternehmer, dem Architekturbüro usw. All das habeich zum ersten Mal gemacht und musste deshalbKnow-how und die richtigen Leute zusammensuchen.Die Arbeit wurde immer detaillierter, immer mehrDinge mussten vernetzt werden: Die Mieterinnen undMieter mussten bereits betreut und die Verwaltung derGenossenschaft musste aufgebaut werden. An diesenAufgaben war ich mitbeteiligt. Ab Baubeginn war ichProjektentwickler oder Bauherrenvertreter, dazu warich in der Ökokommission des Kraftwerks. Bezahltwurde diese Arbeit – praktisch längst eine 100 %-Stelle– erst ab dem Abschluss des ersten Vertrags mit demGeneralunternehmen 1998; das erste Geld kam mit

dem Baukredit 1999. Vorher habe ich – eher schlecht –von meinem kleinen Architekturbüro gelebt. Und jetztversuche ich, einfach Bewohner zu werden. Der Vor-stand, der bis jetzt das Projekt getragen hat, möchtenun möglichst viel den Mieterinnen und Mietern zurSelbstverwaltung übergeben.

Weidmann: Ist Ihre Arbeit für die Genossenschaft ver-gleichbar mit der eines Projektentwicklers im konven-tionellen Wohnungsbau?Hofer: Projektentwickler in Generalunternehmen oderbei institutionellen Anlegern machen dieselben Dinge,nur wissen sie viel genauer, was, wie und für welcheZielgruppe sie bauen wollen. Know-how und Abläufesind dort in spezialisierte Abteilungen und deutlichePhasen unterteilt. Wir fingen mit einer sehr offenenIdee und ohne Erfahrung an. Deshalb mussten wir öftergrundsätzlich nachdenken. Viel stärker als sonst üblich,fand unsere Siedlung ihre Form erst in den Verhand-lungen mit Banken, GU, Behörden usw. Hier musstenwir herausfinden, was möglichwar und was von dem Mögli-chen wir wollten. Gleichzeitigwurden wir alle von Rolle zuRolle gestossen. Der Hauptun-terschied, die Komplexität desVorhabens, kommt nicht etwavon der Mitsprache der Genos-senschafterinnen und Genos-senschafter, sondern von der«rollenden Konkretisierung» derIdee in einem neunjährigen Ver-handlungsprozess. Wie wichtigdies für das Resultat war, wissenwir nicht. Wegen der mangeln-den Erfahrung haben wir sicherzu viel Energie in die Diskussion gewisser Problemegesteckt, andererseits förderte unsere unbelasteteOffenheit sicher die Vielfältigkeit des Projekts.

Weidmann: Was ist für Sie das Spezielle am Kraftwerk 1? Hofer: Krafwerk 1 ist eigentlich die Summe von sehrviel Normalem. Es gibt praktisch nichts, das hier zumersten Mal ausprobiert würde. Wirkliche Experimente,etwa ökologische, konnten wir uns als junge Genossen-schaft gar nicht leisten. Aussergewöhnlich ist nun aber,wie viele zum Teil jahrzehntealte Ideen zusammen ineiner einzigen Siedlung realisiert wurden. Und dieSumme ist nun eben mehr als ihre Einzelteile. Diese

Das Kraftwerk 1 im Zürcher Industriequartier ist

mehr als eine Wohnsiedlung mit hohen Qualitäten –

es ist ein Beispiel dafür, auf welche Art in unserer

Gesellschaft neue Ideen aufgenommen und umge-

setzt werden können. Der Architekt Andreas Hofer

hat als Mitverfasser des Buchs «Kraftwerk 1», als

Genossenschaftsvorstand, Projektentwickler, Bau-

herrenvertreter und nun als Bewohner die Reali-

sierung miterlebt. Die grösste Qualität des Kraft-

werks ist für ihn die funktionale, soziale und ideelle

Vielfalt, die trotz hoher Komplexität der Planung

und trotz allem Pragmatismus auf dem Weg von der

vagen Utopie zum konkreten Bau erhalten werden

konnte.

Ein besseres Stück StadtAndreas Hofer, Projektentwickler und Bauherrenvertreter, zur Planungsgeschichte und zur Bedeutung des Kraftwerks 1

Ruedi Weidmann

Treppen und Winkel – Einblicke ins

vielfältige Innere des Kraftwerks

(Bilder: Andrea Helbling, Arazebra

Zürich)

Page 5: Kraftwerk 1

erlebten, war für mich Ansporn, mich mit Stadtent-wicklung auseinander zu setzen. Aus dieser Auseinan-dersetzung entstand das Buch «Kraftwerk 1». Als danndas Projekt ins Rollen kam, entstand – nicht nur bei mir– ein Gefühl der Unersetzbarkeit: Wenn ich jetzt auf-höre, stirbt das Projekt. Insofern bin ich auch «Opfer»dieses megalomanen Planungsprozesses. Dabei hat mirdas professionelle Selbstverständnis als Architekt – derWille zu realisieren, zu bauen – ein klein weniggeholfen. Die Realisierung des Kraftwerks hat meinen Blick aufdie Stadt verändert: Ich nehme sie als gestaltbarer wahr,weniger aus der Opferperspektive. Wir sind zu Han-delnden geworden in einem der wichtigen Entwick-lungsgebiete Zürichs. Mein Beruf wurde vollständigverändert, ich bin nicht mehr nur der Architekt mitdem Bleistift, mein Bild des Berufs ist breiter geworden.Die Ideale – vielfältige soziale Ansprüche und Techno-logie in einem Stück Stadt zu vereinen – haben sichnicht verändert, aber ich habe gelernt, wie man sie

Fülle von heute eigentlich normalen Ansprüchen zuerfüllen, hat allerdings zu einer Komplexität der Pla-nung geführt, die fast nicht zu bewältigen war. Es istnicht Ideologie, was Projekte wie das Kraftwerk 1 nor-malerweise verhindert, sondern der Aufwand für diehier angestrebte Komplexität. Das Einzigartige amKraftwerk ist, dass hier Leute beschlossen haben, derVielfalt zuliebe – gratis – zusätzliche Arbeit zu leisten. Für mich ist weiter speziell, dass wir mit nichts als einerIdee begonnen haben und jetzt eine sehr grosse Sied-lung hier steht. Wir haben eine historische, städtebauli-che Entwicklung in diesem Stadtteil miterlebt. Als wiranfingen, fühlten wir uns allein. Wir gingen davon aus,dass das Kraftwerk als fast autarke Insel in einer totenIndustriebrache und später in einer öden Monokulturvon Bürobauten überleben müsse. Heute entwickeltsich die Umgebung in einer Art, die uns erlaubt, gewis-se Dienstleistungen aus der Nachbarschaft zu beziehenoder unsere dort anzubieten. Wir waren Teil dieser Ent-wicklung, haben sie mitgeprägt und wollen das auchweiterhin tun.Das Projekt gab mir den Glauben an die Architekturzurück. Die Leute ziehen in ein Beispiel von experi-mentellem Wohnungsbau ein. Es ist also gelungen, fürdie soziale Komplexität, für die Ansprüche der Men-schen eine Form zu finden, die innovativ ist und offen-bar für viele stimmt. Als Architekt macht mich dasnatürlich glücklich.

Weidmann: Was war Ihre persönliche Motivation zurMitarbeit?Hofer: Am Anfang war es der Widerspruch, als frischdiplomierter Architekt in einer Stadt zu sein, in der ichkeine berufliche Perspektive hatte – ich habe damalsEinfamilienhäuser auf dem Land gebaut –, und persön-lich betroffen zu sein von Architektur. Es war dieHochzeit der Immobilienspekulation Ende der achtzi-ger Jahre. Ich wohnte in WGs und bin zwanzig Malumgezogen. Der Widerspruch zwischen den klassischmodernen Zielen der Architektur, wie ich sie an derETH gelernt hatte, und dem, was wir in dieser Stadt

8 tec 21 42/2001

Zeittafel zur Geschichte von Kraftwerk 1

1993 Publikation des Buchs Kraftwerk1 (siehe Buchhinweis), Gründung

des Vereins

1994 KraftWerkSommer94 auf dem Schoeller-Areal: Veranstaltungen, Aus-

stellungen, Diskussionen zur Stadtentwicklung und zu Kraftwerk1.

1995 Ausstellung in der Shedhalle Zürich. Öffentliche Weiterarbeit am Pro-

jekt in Form einer Sofa-Universität. Ausstellung: Bewohntes Modell einer

Suite im Massstab 1:1. Diskussionen im In- und Ausland, erste Kontakte mit

Grundeigentümern und Banken, Gründung der Genossenschaft Kraft-

werk1, Organisation der Mitsprache in internen Fachkommissionen

1996–97 Gespräche im «Stadtforum» der Präsidialabteilung der Stadt

Zürich zur Entwicklung im unteren Kreis 5. Abklärung der Möglichkeit zur

Realisierung auf dem Schoeller-Areal, Realisierungsversuch auf dem Stein-

fels-Areal als Teil eines Grossprojekts, Abbruch wegen Finanzierungs- und

Realisierungsschwierigkeiten des damaligen Promotors. Verhandlungen mit

Sulzer Escher-Wyss und Planung auf dem Escher-Wyss-Areal, Abbruch

wegen relativ später Realisierungswahrscheinlichkeit. Erfolgreiche Verhand-

lungen mit Allreal Generalunternehmung AG (damals Oerlikon-Bührle AG)

und Planung auf dem Hardturm-West-Areal mit Stücheli Architekten (Vor-

projekt Bünzli Courvoisier Architekten)

1998 Entscheid der Generalversammlung der Genossenschaft für das

Hardturm-West-Areal, September: Vorvertrag mit Allreal (ehem. Oerlikon-

Bührle AG), Dezember: Einreichung des Baugesuchs

1999 Februar: Totalunternehmervertrag mit Allreal, August: Baubeginn

2001 Fertigstellung, Mai–September: Bezug

Page 6: Kraftwerk 1

tec 21 42/2001 9

umsetzen kann. Dass ich dabei nicht der zeichnendeArchitekt war, war für dieses Projekt sehr gut. Was dasfür meine beruflichen Perspektiven bedeutet, weiss ichnoch nicht.

Weidmann: Was waren die schwierigsten Momente indiesem langen Planungsprozess?Hofer: Für mich war es das Jahr vor dem Baubeginn, vordem Totalunternehmervertrag. Das Schwierigste war,das Geld zusammen zu kriegen, die Verhandlungen mitden Banken.

Weidmann: Was war der Grund für das Zögern der Ban-ken?Hofer: Die vielen Unsicherheiten: ein Baugebiet, indem sich niemand Wohnungen vorstellen konnte, die Unsicherheit über die Entwicklung vom unterenKreis 5, die anhaltende Immobilienkrise und eineGenossenschaft ohne Bauerfahrung mit nicht ganz kla-ren Konzepten und einem sehr grossen Projekt. Wir

mussten beweisen, dass es eine Nachfrage gibt, wirmussten die Wohnungen quasi vermieten, bevor gebautwurde. Und wir mussten beweisen, dass wir unsereAufgaben als Bauherrschaft erfüllen konnten. Mirleuchtet dieses Zögern im Nachhinein ein, es war keineideologische Skepsis.

Weidmann: Die basisdemokratische Mitsprache derGenossenschaftsmitglieder war ein zentrales Anliegenin der Planung. Wie hat die Zusammenarbeit innerhalbder Genossenschaft funktioniert?Hofer: Vielleicht drei Viertel der jetzigen Mieterinnenund Mieter sind weniger als ein Jahr dabei und warendeshalb nicht an Planungsentscheiden beteiligt. Vonden am Planungsprozess Beteiligten ist ein überra-schend grosser Teil selber eingezogen, obwohl das fürviele gar nicht die erste Motivation war. Unsere Diskus-sionen waren immer offen für Leute, die sich aus In-teresse für die Stadtentwicklung einbrachten, ohne fürsich eine Wohnung bauen zu wollen. Das wichtigste

Motiv zum unentgeltlichen Engagementim Kraftwerk war wohl der Mangel anWohnungen: Wenn die Allgemeinheitnicht mehr ausreichend Wohnungen füruns produzieren kann, machen wir es ebenselber. Das zweite Motiv war aber die ex-perimentelle Spielwiese für Fachleute ausArchitektur oder Umweltwissenschaften,die Lerneffekte ausserhalb der Alltagsarbeitermöglichte. Aber auch für die vielen Laienwar der Lerneffekt sicher sehr hoch. Derjahrelange Vorlauf mit Diskussionen, Ver-anstaltungen, Ausstellungen und Kongres-sen war sehr wichtig. Hier boten wir im kleinen Rahmen wohl ähnliche Anreize wie eine soziale Bewegung, und nichtzuletzt die Gelegenheit, an sozialen undkulturellen Veranstaltungen Leute kennenzu lernen.Der anfänglich weit offene Diskussionsrah-men wurde mit der Zeit durch die Zwängeder Realisierung immer enger. DiesesEngerwerden ist auch eine etwas bittereErfahrung. Allerdings kam es nie zu einerSpaltung. Die ganz wenigen, die abgesprun-gen sind, waren Leute, die ein Haus imEigenbau basteln wollten. Hier haben wirgemerkt, dass bei der aktuellen Form derWohnungsproduktion und der Grösse desKraftwerks der Eigenausbau der Wohnun-gen oder der Fassaden keinen Sinn macht. Die offene Diskussionskultur wurde nach1995 im Organigramm der Genossenschaftformalisiert – die soziale Komponente ver-änderte sich damit in Richtung Vereinsle-ben: Neben dem Vorstand gab und gibt es

Kommissionen, die sich ohne Auftrag der Genossen-schaft selbst formieren, sich um ein Thema kümmernund Anträge an den Vorstand stellen können. In denKommissionen sitzen Professionelle und Laien. DiesesModell hat sich sehr bewährt, weil es sicherstellt, dass

Page 7: Kraftwerk 1

10 tec 21 42/2001

die Planung für viele Leute und Anliegen offen bleibt.Der Vorstand gewährleistet dabei das Funktionieren,etwa die Einhaltung von Terminen. Die Kommission Ökologie hat im Bereich Haustechnikvieles erarbeitet, was nun realisiert wurde.Die Kommission Architektur hat vielgezeichnet, was der Konkretisierung un-serer baulichen Vorstellungen half. DieFinanzkommission hat die Leute in denexternen Verhandlungen unterstützt. DieKommission «Kinder» hat sich aufgelöst,als Kindergarten und Hort gesichert waren,und entsteht jetzt wieder als Zusammen-schluss von Eltern im Kraftwerk. DieKommission «Öffentlichkeitsarbeit» wurdeüber eine bezahlte Stelle professionalisiert.Die «Spirit»-Kommission konkretisierte seit1995 die Wünsche an die soziale Infrastruk-tur. Die Kommission «Soziales Wohnen»hat sich aufgeteilt in eine professionelleVermittlung von Wohnungen an sozialeInstitutionen und in eine Gruppe, die sichum das Zusammenwohnen kümmert. DieBetriebekommission suchte geeignete Mie-ter für die Gewerbeflächen und wird nun zur Interessenvertretung der ansässigenBetriebe.

Weidmann: Wer waren die externen Partner,und wie haben Sie die Zusammenarbeit mit ihnenerlebt?Hofer: Externe Partner waren der Schweizerische Ver-band für Wohnungswesen, er hat uns mit Jean-PierreKuster vom Wohnbaubüro in Uster einen wichtigenBerater in finanziellen und genossenschaftsrechtlichenFragen vermittelt. Im Bereich Finanzierung warenGespräche mit dem Finanzdepartement der Stadt

Zürich wichtig, sie führten auch zur Beteiligung derstädtischen Pensionskasse. Das Bundesamt für Woh-nungswesen half mit einer Rückverbürgung von Ban-kengeld. Die Zürcher Kantonalbank übernahm alsfederführende Bank des Konsortiums mit der Migros-bank die erste Hypothek. Die Alternative Bank Schweizübernahm die Hypotheken für das Bürohaus.Der juristische Bereich war nicht so komplex, weil All-real alles, was Bau und Grundstück betraf, selber regel-te. Wir zogen eine Baujuristin bei. In Sachen Architek-tur haben wir mit Stücheli Architekten, mit BünzliCourvoisier Architekten und Allreal zusammen gear-beitet. Dann waren viele einzelne Spezialisten beteiligt.Ein Ökospezialist hat in einer ganz frühen Projektpha-se die ökologischen Möglichkeiten evaluiert.Das Bemerkenswerteste war dabei für mich, dass es inall den schwierigen Situationen mit vielen DutzendBeteiligten nicht einen Moment gab, in dem jemandnicht mehr mitspielen wollte. Es würde ja eigentlichnicht erstaunen, wenn in einem dermassen komplexenProzess die Gesprächskultur einmal nicht mehr funk-tioniert hätte, Hoffnungen enttäuscht oder Ansprüchenicht erfüllt worden wären. Das geschah nie. Bemerkenswert finde ich auch, dass das Kraftwerk kaumauf ideologischen Widerstand traf, sondern vielmehrBegeisterungsfähigkeit sichtbar machte. Das Projektmotivierte viele Leute in unterschiedlichsten Berufenund konventionellen Umfeldern zur Mitarbeit. Die

Suche nach Qualität und Innovation scheint ein Reiz zusein, der Begeisterung und Arbeitsbereitschaft auslöst.

Weidmann: War das Zusammengehen mit Institutio-nen, als deren «Opfer» Sie sich früher fühlten, wie etwaeinem Generalunternehmen, für Sie ein Problem?Hofer: Als Student waren Generalunternehmen fürmich etwas Düsteres, Böses, mit dem man nichts zu tun

Kosten (vorläufiger Stand)

Land 9 248 000.–

Bau 31064 000.–

Finanzierungskosten 2 285 000.–

Projektentwicklung 800 000.–

Nachträge 300 000.–

Ausserhalb TU 100 000.–

Mwst. 200 000.–

Investitionen total 43 997 000.–

Mieteinnahmen 2 678 000.–

Rendite 6.09%

Finanzierung (vorläufiger Stand)

Fremdkapital (81%)

1. Hypotheken ZKB / Migrosbank / ABS 30 724 000.–

2. Pensionskasse der Stadt Zürich 5 000 000.–

Fremdkapital total 35 724 000.–

Eigenkapital (21%)

3. Darlehen aus dem Fonds de Roulement (SVW) 1860 000.–

4. Darlehen Private 2 320 000.–

Anteilscheinkapital GenossenschafterInnen 3 700 000.–

Anteilscheinkapital der Stadt Zürich 223 000.–

Anteilscheinkapital anderer Genossenschaften 110 000.–

Stromsparfond (einmaliger Beitrag) 60 000.–

Eigenkapital total 8 273 000.–

Page 8: Kraftwerk 1

mit und ohne Kinder, WGs, Lesben, Schwule, Leutemit Kinderwunsch, die sich sagen, «wenn Kinder in derStadt, dann hier», wo es Institutionen für sie gibt. DieÄltesten sind gegen siebzig. Sie werden hier in einerUmgebung, in der nachbarschaftliche Hilfe funktionie-ren sollte, länger selbständig bleiben können. Etwas überrascht hat uns die hohe Nachfrage nach klei-nen Wohnungen. Es scheint viele Leute zu geben, diezwar allein wohnen wollen, aber von den sozialen Mög-lichkeiten und Institutionen, die wir bieten, profitierenmöchten. Die meisten Wohnateliers werden deshalbnur zum Wohnen benützt. Für eine nächste Siedlung inder Umgebung – ein Kraftwerk 2 – wäre deshalb einSingle-Hotel mit der Möglichkeit, Haushaltfunktionenin Betriebe oder kollektive Einrichtungen auszulagern,ein sehr interessantes Projekt.

Weidmann: Wie sieht das Verhältnis Wohnen – Arbei-ten aus?Hofer: Der Wohnanteil beträgt 75 %. Etwa 300 Bewoh-nerinnen und Bewohner in 100 Wohnungen stehenrund 100 Arbeitsplätzen gegenüber. Wir hatten einungefähres Wunschprofil, was die Art der Betriebebetraf. Die Genossenschaft führt selber keine Betriebe,versuchte aber, solche zu gewinnen, die als Firma eineöffentliche Schnittstelle zum Quartier bieten können.Dazu haben wir in einzelnen Fällen aktiv nach Betrie-ben gesucht. Bei Läden und beim Restaurant war diesschwierig. Wir haben eine Schneiderin und eine Textil-designerin gefunden, die auch Kleider flicken. DerHauswart, ein ehemaliger Schreiner, öffnet seine Werk-statt für die Leute aus dem Quartier und hilft an denMaschinen. Daneben gibt es Betriebe und Büroge-meinschaften mit weniger Bezug zur Siedlung. Produ-zierendes Gewerbe zu holen scheiterte am Platzbedarf,bzw. am Bodenpreis. Neben den Betrieben entstehennun in den Häusern Privatinitiativen mit Dienstleis-tungscharakter.Ein Problem waren die Reglemente, welche Organsati-on und Finanzierung von Baugenossenschaften regeln.Sie sehen keine Betriebe vor. Eswar eine sehr komplizierte orga-nisatorische Arbeit, mit denbeiden Vertragssystemen fürWohnungen und Betriebe soumzugehen, dass Betriebe mitihrem höheren Bedarf an Start-kapital und grösseren Standort-risiko in die Struktur derGenossenschaft aufgenommenwerden konnten. Ein hoherEigenkapitalanteil, der noch zu den Auslagen für den Innen-ausbau hinzu kommt, ist füreinen Betrieb viel problemati-scher als für Wohnungsmie-terInnen. Hier mussten wir vieles neu erfinden, niemandweiss, wie man Betriebe in eine Baugenossenschaft inte-griert. Im Hinblick auf eine bessere funktionelle Durch-mischung der Stadt besteht hier dringender Bedarf nachKnow-how und neuen Reglementen.

tec 21 42/2001 11

haben wollte. Wir hatten sicher Glück, bei OerlikonBührle (später Allreal) persönlich auf die richtigenLeute zu treffen. Andererseits gelangten wir an Allrealmitten in einer konjunkturbedingten Neuorientierungder grossen Immobilienunternehmen weg vom Ange-bots- hin zum Nachfragemarkt und zur Spezialisierungauf bestimmte Kundensegmente – im Fall von Allrealsind das unter anderem die Baugenossenschaften.Zudem sass Allreal ratlos auf dem Hardturm-West-Areal mit einem fertigen Gestaltungsplan. Sie hattenerfolglos verschiedene Projekte entwickelt und brauch-ten eine neue Idee. Der von uns angestrebte Mix vonWohnen und Arbeiten passte gut in den bestehendenGestaltungsplan.

Weidmann: Was ist bemerkenswert an der Finanzierungdes Krafwerks 1?Hofer: Es handelt sich nicht um subventionierten Woh-nungsbau. Durch die hohen Sicherheiten, die wir erfül-len mussten, ist es eine ausgesprochen breite Finanzie-rung, und für eine Genossenschaftssiedlung haben wireine überdurchschnittliche Beteiligung der Mieterin-nen und Mieter. Das Anteilscheinkapital beträgt etwa8 % der Anlagekosten, ein Mehrfaches des Üblichen.Von der Pensionskasse der Stadt Zürich haben wir einHypothekardarlehen von 5 Mio. Franken zu günstigemZinsfuss erhalten, ein kleineres Darlehen zu etwas güns-tigeren Konditionen vom Fonds de Roulement vomSchweizerischen Verband für Wohnungswesen, und dieAlternative Bank wie die Kantonalbank gewährteneinen Teil ihrer Hypotheken als Öko-Förderkredit. VonPrivaten haben wir Darlehen von 2,3 Mio. erhalten,ohne die es nicht gegangen wäre. Der hohe Eigenkapi-talanteil war unser grösstes Problem. Die finanziellenFörderinstrumente für den genossenschaftlichen Woh-nungsbau, die in reinen Wohnsiedlungen genügen,waren bei uns ein Tropfen auf den heissen Stein.

Weidmann: Was bedeutet der hohe Eigenkapitalanteilfür die soziale Zusammensetzung der Mieterschaft?Hofer: Wir wollten keine homogene Mittelstandssied-lung. Unsere Referenz war der Kreis 5 um die Lang-strasse herum. Natürlich konnten wir nicht einen Aus-länderanteil von 50 % erreichen. Einige Bevölke-rungsgruppen sind klar untervertreten, aber für eineNeubausiedlung ist die soziale Zusammensetzung ausserordentlich vielfältig. Weil wir das trotz hohemEintrittspreis erreichen wollten, war die Wohnungs-vermietung sehr aufwändig. Es brauchte viele Erklärun-gen für die Interessierten über die Bedeutung undSicherheit von Investitionen in die eigene Wohnung. Um ganz jungen und wirklich armen Leuten den Ein-zug zu ermöglichen, verbilligen wir einzelne Wohnun-gen über Ausgleichsfonds. Einige Wohnungen habenwir an den Verein Domizil vermietet, der sie an kinder-reiche Ausländerfamilien weiter vermietet, und einesder kleinen Wohnhäuser haben wir an die Stiftung zurErhaltung preisgünstiger Wohn- und Gewerberäumeverkauft. Es gibt Junge und Alte, in Zusammenarbeitmit der Stiftung Altried sind zwei Behinderten-Wohn-gruppen entstanden, es gibt Paare und Alleinstehende

Page 9: Kraftwerk 1

12 tec 21 42/2001

Weidmann: Was vom ursprünglichen Entwurf im Buchvon 1993 ist auf der Strecke geblieben?Hofer: Da bin ich vielleicht ein bisschen voreingenom-men, aber mir fällt keine Idee ein, die wir nicht reali-siert haben. Ich sehe es vielmehr so: Die Ideen warendamals sehr unkonkret und sind jetzt konkretisiert wor-den. Wir haben in einem Lernprozess gemerkt, was esungefähr bedeutet, ein Restaurant zu führen, und such-ten nun nach einer guten Form für ein Restaurant imProjekt. Es sieht nun natürlich anders aus, als in denKöpfen von 1993, aber ich empfinde das nicht als einZurückbuchstabieren. Weitere Beispiele: Anfänglichgab es die Idee des Joint-Ventures mit Bauernhöfen zurDirektversorgung mit Lebensmitteln. Unterdessen hatsich aber in der Nachbarschaft der grösste Biogemü-sehändler der Stadt angesiedelt, wir müssen das nichtmehr selber machen. Dann war ursprünglich von 700Bewohnerinnen und Bewohnern die Rede. Diese Grös-se sollte das Überleben gewisser Dienstleistungen wieLäden garantieren. Nun ist das Krafwerk 1 nur halb sogross, aber es wurde nicht in einer Dienstleistungsödnisrealisiert. In nächster Umgebung gibt es die 300 neuenWohnungen in der Siedlung Limmat West, die 100 Ber-noulli-Häuser, die «à Porta-Stiftung» nebenan, und wirwerden uns sehr für weiteren Wohnungsbau auf denTrainingsplätzen des Hardturm-Stadions einsetzen.Das sollte reichen für einen Quartierladen. Die Umge-bung hat sich mit entwickelt, wir sind nicht so allein,wie wir gedacht haben.

Weidmann: Ein zentrales Motiv des Projekts war, demmonofunktionalen Auffüllen der Industriebrachen mitDienstleistungen etwas entgegenzusetzen, die Stadt aufnachhaltigere Art weiter zu bauen. Kann das Kraftwerknun diese Aufgabe erfüllen?Hofer: Im Kraftwerk 1 steckt mehr als genug. Die jetzi-ge Grösse und funktionale Vielfalt des Kraftwerks istwahrscheinlich das Maximum an Komplexität, das manhier und heute planerisch bewältigen kann. Die grösse-re Komplexität eines noch grösseren Projekts hättewahrscheinlich zu einer Vernachlässigung der funktio-nalen Vielfalt geführt.Bezogen auf den unteren Kreis 5 halte ich dasKraftwerk 1 für ein Modell in einem ganz bestimmten

Sinn: Für andere Wohnbauträger in schwierigen städti-schen Situationen wäre ein wichtiger Aspekt, dass mansolche Projekte stabilisieren und sichern kann, wennman an den Wohnungsbau soziale und Nahversor-gungsfunktionen anlagert: Was könnte den Leuten aufund neben meinem Areal fehlen? Wie man das heraus-findet und abdeckt, ist lernbar, aber es bedeutet vielArbeit. Trotz sehr viel Gratisarbeit war der Anteil derProjektentwicklung am Gesamtbudget höher als üblich.Im Gemeinnützigen Wohnungsbau setzt man nach denBestimmungen des Bundesamts für Wohnungswesenein Managementhonorar auf Grund der Anlagekostenein, von der ersten Planung bis zum Bezug. Beim Kraft-werk wären das rund 600 000 Franken. Real waren esnun 800 000 Franken, also gar nicht sehr viel mehr.Dieser Mehraufwand lohnt sich, denn Lebensqualitätund damit Vermietbarkeit steigen. Wir haben in diesem Bereich wahrscheinlich sogar zuviel getan. Schon weniger würde reichen, um an einerschwierigen Lage etwas zu machen, das besser funktio-niert als eine reine Wohnsiedlung. Krafwerk 1 ist ebenein Erstling, in den wir alle unsere Ideen hinein gepackthaben. Als Pionierpflanze an dieser Lage mussten wirstädtische Komplexität herstellen. Die Fortsetzungwäre durchaus einfacher denkbar. Wenn es hier so wei-ter geht, entsteht die lebensfähige städtische Mischungaus der Vielfalt unterschiedlicher Projekte, die als ein-zelne nicht mehr die ganze Komplexität der Stadtabbilden müssen. Dazwischen darf es auch Bürogebäu-de haben. Es braucht keine Kopie von Krafwerk 1. SeinPioniercharakter liegt weniger in seinem spezifischenProfil als darin, zu zeigen, dass und wie gut man hierleben kann. Ein Problem allerdings kann das Kraftwerk nicht lösen:Einzelsiedlungen können im besten Fall ein Quartier-zentrum im Kleinen sein. Aber ein eigentliches Quar-tierzentrum, das es irgendwann einmal brauchen wird,kann so nicht entstehen. Post, Apotheke und Grossver-teiler kommen erst, wenn genug Leute hier wohnen.Nur wird es bis dann keinen Platz mehr dafür haben.Das ist ein eigentliches Versagen der Stadtplanung: Inder Entwicklung eines so grossen Gebietes wie des unte-ren Kreises 5 sollte man Orte schaffen können, die alsZentrum eine wichtige Rolle für die Quartierentwick-lung spielen. Unsere kleinen Läden können eingehenwie die vielen Lädeli in den Siedlungen aus den 1920er-oder 1940er-Jahren. Die Lebensqualität eines Quartierslängerfristig sichern können nur Zentren in der Grössen-ordnung des Hirschen Schwamendingen. Den Aufbausolcher Zentren können sich einzelne Investoren nichtleisten. Das hat sich für den Kreis 5, so viel ich weiss,noch niemand überlegt.

Weidmann: Wohnungsbau und Quartierzentrum: Wäredas auch die Richtung, in welche die Planung auf dembenachbarten Gelände des Hardturmstadions gehenmüsste, nun da das ehrgeizige Projekt eines Grossstadi-ons gescheitert zu sein scheint?Hofer: Dies sollte man jetzt entscheiden, wenn manschon so grosse Areale zusammenhängend beplant.Dieser Entscheid steht wirklich aus, man merkt das

Page 10: Kraftwerk 1

tec 21 42/2001 13

überall. Es weiss beispielsweise niemand, wo hier derrichtige Ort für einen Laden ist, und so mieten sich halttransitverkehrsorientierte Einbauküchenverkäufer insErdgeschoss der Wohnsiedlung Limmat-West ein, stattquartierorientierte Dienstleister.

Weidmann: Wie war das Echo auf das Krafwerk 1?Hofer: Das Medienecho ist sehr gross. Alle berichtenpositiv darüber, Kritik gibt es keine. Bis jetzt gibt es sehrviele «Ah» und «Oh», aber relativ wenig ernsthafte Aus-einandersetzung damit, ob und wie das Kraftwerk funk-tioniert, was daran wirklich anders ist.

Weidmann: Spüren Sie Interesse bei Wohnbauinvesto-ren und bei anderen Genossenschaften?Hofer: Das spüren wir sehr stark. Sehr viele Leute ausdem Genossenschaftswesen und auch von Ämtern kom-men an die vielen Führungen. Wir werden auch selberkommunizieren müssen, inwiefern andere Genossen-schaften von unseren Erfahrungen profitieren könnten.Bei den Immobilienfirmen ist es etwas durchzogen. IhrInteresse für solche Projekte ist konjunkturabhängig.Wenn die Konjunktur stimmt, so wie jetzt, kann manmit weniger Aufwand mehr Geld verdienen.

Weidmann: Und die Zürcher Stadtplanung? Nimmtman da Krafwerk 1 als mögliches Modell zur Weiterent-wicklung der Umgebung wahr?Hofer: Bis jetzt habe ich nichts gemerkt. Ich glaube,man ist dort immer noch im völlig falschen Mustergefangen, dass ein grosses Ding wie das Stadion irgendeine abstrakte Entsprechung in einer grossen Geldma-schine daneben braucht. Verbunden mit einer sehrhohen erlaubten Ausnützung des Areals, führt das zudiesen etwas ratlosen Riesenvolumen, die die Architek-ten auf der Wiese herumschieben. Aus ihnen soll Geldheraus kommen, aber niemand weiss, was eigentlichdrin sein soll. Wenn dann Ideen auftauchen, sind esimmer überregionale Geschichten wie Casino, Multi-plexkino, Einkaufszentrum, die nichts mit dem Quar-tier zu tun haben. Das finden wir eigentlich dumm. Meine persönliche Lehre aus dem Krafwerkprojekt ist,dass multifunktionale Grossprojekte wie das Stadionoder Eurogate wohl ökonomisch so riskant sind wegenihrer Tendenz zur Komplexitätssteigerung währenddem Planungsprozess: Um günstig zu einer Fussgän-gerüberführung zu kommen, lagert man immer mehrFunktionen an, bis man ein Riesending beisammenhat, das eigentlich niemand mehr will. Und die Fuss-gängerüberführung scheitert dann, weil irgendwo ganzhinten ein Hotel nicht funktioniert. Die Lehre darauswäre, an sich schon komplexe Projekte wie ein Stadion

von Verstrickungen mit weiteren komplexen Funktio-nen zu befreien und isoliert zu entwickeln. Denn dasScheitern solcher überdichten Kernfusionsexperimentekommt wohl, wenn man alle Folgekosten bedenkt, alleteurer zu stehen als eine einmalige direkte Finanzierungeines Stadions angemessener Grösse, für die man danndafür rund herum eine vernünftige Stadt erhielte.

Weidmann: Was wäre eine vorläufige Bilanz des Kraft-werks? Und wie sähe eine Prognose aus?Hofer: Bis jetzt ist die Stimmung sehr gut. Was wir über-haupt nicht wissen ist, welche Konflikte wir mit dersozialen Vielfalt eingebaut haben. Eine grosse Krisekann ich mir aber nicht vorstellen. Da hilft die grosseVielfalt: Wenn eine der Ideen nicht funktioniert,bedroht das nicht das Projekt als Ganzes.Als Genossenschaft stellt sich uns die Frage, ob wir wei-ter bauen sollen oder nicht. Eine Genossenschaft mithundert Wohnungen macht verwaltungstechnisch kei-nen Sinn. Die Alternative zum Weiterbauen wäre wohleine Fusion mit einer grösseren Genossenschaft. Ichwürde aber gern weiter bauen. Für mich ginge es dannum eine Normalisierung des Modells Kraftwerk. Denndas Krafwerk 1 mit so viel persönlichem Engagementüber eine so lange Zeit und mit seiner dadurch erreich-ten Komplexität ist vermutlich schon singulär.

Weidmann: Kraftwerk 2 bauen?Hofer: Sinn machen würde es. Es wäre schade, unserhier gewonnenes Know-how nicht weiter anzuwenden.Es geht aber nicht darum, das Kraftwerk 1 zu multipli-zieren. Wir haben nur bewiesen, dass man hier wohnenkann, dass man hier eine vernünftige Stadt weiterbauenkann, und meinen, dass das eigentlich auch ein Weg fürdie noch freien Flächen sein könnte. Im Krafwerk 1sind so viele Funktionen und Dienstleistungen, dassman noch mehr Wohnungen und Funktionen darananlagern könnte. Eine durchmischte Entwicklung mithohem Wohnanteil, mit quartierorientierten Funktio-nen neben den überregionalen, ist in unseren Augenökonomisch, ökologisch und für die städtische Lebens-qualität die naheliegende Entwicklung.

Kraftwerk 1 – das Buch

Martin Blum, Andreas Hofer, P. M.: KraftWerk 1, Projekt für das Sulzer-

Escher-Wyss-Areal. Paranoia City Verlag, Zürich 1993. , 92 S., ill., Fr. 20.–,

ISBN 3-907522-14-1.

Kontakt

Bau- und Wohngenossenschaft; Kraftwerk 1, Geschäftsstelle, Hardturm-

strasse 269, 8005 Zürich; www.kraftwerk1.ch. Alle Wohnungen sind ver-

mietet, auf die meisten Fragen gibt das Internet Antwort.

Page 11: Kraftwerk 1

tec 21 42/2001 15

Büttner: Seit anfangs Juli wohnen Sie mit Ihrer Familieim Kraftwerk 1. Was ist für Sie das Spezielle am Kraft-werk?Meili: Das Besondere am Kraftwerk ist seine Grösse, dieeine neue Art des Zusammenwohnens ermöglicht. Mankann sich hier sozial beteiligen, mit anderen Leutenverschiedene Sachen machen, aber man kann sich auchzurückziehen. Zudem bietet einem das Kraftwerk vieleDienstleistungen — etwa einen Hort, einen Coiffeurund ein Restaurant. Die sind sehr wichtig!

Daneben kommen auch von den Bewohnern vieleIdeen zusammen. Das ergibt ein vielfältiges Angebot,das jeder nutzen kann. Es gibt zum Beispiel eine Bar,den Kochclub, der zur Zeit am Entstehen ist, oder dasKino auf dem Dach, das wir planen.

Büttner: Was war Ihre Motivation, hier einzuziehen?Stand für Sie der idealistische Aspekt im Vordergrund?Meili: Wir wohnten vorher in den Bernoulli-Häuserngegenüber, wo es mir eigentlich sehr gut gefiel. Dorthaben wir viel zusammen mit den Nachbarn unter-nommen — etwa im Garten «z’mörgelet». Schon dorthabe ich mich stark engagiert. Ich bin also sicher nichtaus rein sozialen Gründen hierher gezogen. Da mein Mann von Anfang an am Kraftwerk mitgear-beitet hat, haben wir uns für den Umzug entschieden.Der Wechsel von den Bernoulli-Häusern ins Kraftwerk

Fatima Meili-Martins wohnt seit anfangs Juli

mit ihrer Familie im Kraftwerk 1. Sie hat eine

14-jährige Tochter und einen 12-jährigen Sohn.

Was war ihre Motivation, ins Kraftwerk zu ziehen,

und was erwartet sie vom Zusammenleben dort?

Ein Projekt, das wirklich Kraft hat

Michèle Büttner

Fatima Meili-Martins, eine Bewohnerin, äussert sich zum Leben im Kraftwerk 1

Wohnen im Industriegebiet: Blick vom Haus A auf eines

der drei kleineren Gebäude (Bild: rw, Red.)

Page 12: Kraftwerk 1

16 tec 21 42/2001

Grundrisse und Schnitte Haus A,

Kraftwerk 1, M 1:400

(Stücheli Architekten)

Page 13: Kraftwerk 1

tec 21 42/2001 17

Page 14: Kraftwerk 1

18 tec 21 42/2001

hat für mich auch etwas mit Geschichte zu tun. DasKraftwerk wurde in unseren Bernoulli-Häusern gegrün-det, dort sass man zusammen und diskutierte. Dannkonnten wir zusehen, wie das Kraftwerk entstand. Dasist etwas, das einen berührt. Und es ist ein Projekt, daswirklich Kraft hat. Ich finde das wunderbar. Zudem istes ein solch grosses Projekt, das ist verrückt.

Büttner: Dann bedeutete also der Umzug ins Kraftwerkfür Sie keine grosse Änderung des Lebensstils?Meili: Es ist sicher nicht das Gleiche, denn es ist ja einanderer Kontext hier. Was sich wirklich verändert hat,sind die Wohnverhältnisse: Vorher hatten wir einenGarten, jetzt leben wir im sechsten Stock und habendafür Aussicht auf die Berge.

Büttner: Hatten Sie vor dem Einzug grosse Erwartungenan das Kraftwerk?Meili: Nein. Ich kannte all diese Ideen, die hier im Rah-men des Kraftwerks entstanden sind und auch verwirk-licht werden sollten. Ich habe mir dabei nur gedacht,wenn die alle verwirklicht werden: Toll! Wenn nicht, istdas auch nicht so schlimm. Aber grosse Erwartungenhatte ich nie.

Büttner: Was war Ihr schönstes Erlebnis im Zusammen-hang mit dem Kraftwerk?Meili: Als wir sicher waren, dass das Kraftwerk zustandekommt, machten wir auf dem jetzigen Areal ein grosses

Fest. Das war ein bisschen wie ein Ritual, um das Kraft-werk einzuweihen. Das war wunderschön. Es war wirk-lich der Anfang eines grossen Werks.Und ich habe das Kraftwerk von Anfang an begleitet.Jeder Moment ist in meinem Kopf wie ein Film. Das istfantastisch. Ich kenne den Werdegang, ich weiss noch,wie es vorher hier ausgesehen hat, jetzt steht diesesgrosse Haus hier.

Büttner: Die Planung des Kraftwerks geschah vonAnfang an unter Mitwirkung aller Beteiligten. Wiehaben Sie das erlebt?Meili: Mein Mann war im Vorstand dabei. Es kamenviele Ideen, zu denen man sich äussern konnte. DasGefäss dazu war vorhanden. Gewisse Teilprojektewurden in Gruppen, in denen man sich engagierenkonnte, diskutiert, ausgearbei-tet und organisiert. In so einerGruppe waren jeweils 8 bis 10Leute. Vom Vorstand warimmer jemand dabei, entschie-den wurde demokratisch. Ichzum Beispiel war bei der Grup-pe «Gästezimmer» und «Zim-mer im Keller für Jugendliche»dabei. Realisiert wurde bishererst das Gästezimmer. Oder beider Pantoffelbar diskutieren wirgerade darüber, ob wir denNamen beibehalten wollen.Die Leute können ganz eigen-ständig Ideen einbringen undmitbestimmen. Es wird sehroffen gehandhabt.Klar, es gibt einige Sachen, die wir nicht auswählenkonnten, zum Beispiel die Farbe der Küche und derenKomponenten. Es ist eben schwierig, die Ansprüche

Bunte Flecken in der Industrielandschaft

(Bilder: Andrea Helbling, Arazebra)

Page 15: Kraftwerk 1

tec 21 42/2001 19

aller Beteiligten zu beachten. Zum Beispiel die Höheder Fenster gefällt mir nicht. Jeder will was anderes, undman kann es nie allen recht machen.

Büttner: Wie gross war der zeitliche Aufwand der Betei-ligten für die Mitsprache in der Planung?Meili: Anfangs sehr intensiv. Mein Mann war sehr vieldabei, mehrere Male im Monat. Als ich eine Zweitaus-bildung anfing, musste er sein Engagement reduzieren.

Büttner: Das Spezielle am Kraftwerk ist vor allem dasZusammenleben. Dazu gibt es eine Charta, die denMinimalkonsens des Zusammenlebens festlegt. In-zwischen sind die meisten Wohnungen belegt. Wie siehtdas Zusammenleben nun konkret aus? Wer bestimmtzum Beispiel, wieviele Grills auf der Dachterrasse stehen?Meili: Die Terrasse ist öffentlich und für alle zugäng-lich. Organisiert und gestaltet wird die Terrasse von derGruppe, die für die Terrasse zuständig ist. Der üblicheAblauf sieht in etwa so aus: Wenn jemand eine Idee hat,macht er einen Anschlag am schwarzen Brett. Die Inte-ressierten melden sich. Es bildet sich eine Gruppe, diedas zu Organisierende an die Hand nimmt. Dann wirddaran gearbeitet. Auf diese Weise kann viel erreichtwerden.

Büttner: In der Charta steht, dass die Pflichten beimEinzug festgelegt werden. Wie sehen diese Pflichtenaus? Müssen alle zwei Stunden pro Woche im haus-internen Restaurant abwaschen?Meili: Nein. Niemand ist verpflichtet, mitzuarbeiten.Man kann, wenn man will. Wir planen zum Beispieleinen Kochclub. Der Kochclub organisiert wöchentlichein gemeinsames Nachtessen für rund 40 Leute. EineGruppe kocht für alle, die sich einschreiben. MitKochen wechseln wir ab, sodass man etwa alle zweiMonate an der Reihe ist. Der Tisch ist offen für alleBewohnerinnen und Bewohner. Man muss wahrschein-lich einen Unkostenbeitrag verlangen. Aber solcheDinge sind erst am Entstehen,das ist noch nicht genau fest-gelegt.

Büttner: Die Initiatoren desKraftwerks wünschen sich, dassauch «neue Formen des Zu-sammenlebens» entstehen. Istdavon schon etwas zu spüren?Meili: Dafür ist es noch viel zufrüh. Da müsste man in einemJahr wiederkommen. MeineHoffnung ist, dass ich nochviele neue Leute kennen lerne.

Büttner: Sie haben erlebt, wieaus der Idee ein Haus für rund300 Bewohner entstand. Nunwohnen Sie selbst hier. Was istIhre Bilanz?Meili: Ich bin noch zu weniglang hier, um wirklich was aus-

sagen zu können. Aber grundsätzlich bin ich sehrzufrieden, sehr. Mir gefällt es hier. Nur mit der Küche,da bin ich noch nicht zufrieden. Wir wollen die neuenMöbel noch umspritzen lassen. Ausserdem hat es vielzu wenig Abstellflächen. Aber der Rest gefällt mir sehrgut. Wir haben eine sehr helle Wohnung mit viel Licht,wir haben einen Balkon, können auf die Dachterrasse,und anderes mehr. Gerade die Terrasse ist wirklichsuper: beim Nachtessen — mit Sonnenuntergang — ler-nen wir immer wieder neue Leute kennen.

Büttner: Was haben Sie für Erwartungen an dieZukunft? Was wünschen Sie sich vom Kraftwerk?Meili: Ich wünsche mir, dass es nicht zu viele Regelngeben wird, und dass wir hier den Plausch haben beimZusammenwohnen.

Page 16: Kraftwerk 1

22 tec 21 42/2001

se Bürogebäude konnten nicht mehr abgesetzt werden.Marti geriet in Schwierigkeiten, das Areal kam mit einerkräftigen Abschreibung in eine Auffanggesellschaft. Wir suchten dann nach einem anderen Verwertungs-konzept und vergaben einen Studienauftrag, der vonStücheli Architekten gewonnen wurde. Zusammen mitder Stadt arbeiteten sie 1994 einen privaten Gestal-tungsplan aus, um die Nutzung ändern zu können undeinen Wohnanteil zu erhalten. Auf 100 % Dienstleis-tungen konnte nun dank der Abschreibung verzichtetwerden. Die heutige Form mit grossem Haupt- und dreikleineren Nebengebäuden wurde damals festgelegt, diedrei Nebengebäude waren dabei alle als Bürohäusergedacht. Fürs Hauptgebäude waren Kleinwohnungenvorgesehen, denn wir hatten einen Betrieb in der Nach-barschaft als Interessenten, der Unterkünfte für seine

Mitten in der Immobilienkrise der frühen neunziger Jahre

fiel dem Generalunternehmen Allreal ein Baugelände

in den Schoss, das niemand wollte, weil es schon zu viele

Büros gab und Wohnungsbau im Industrie- und Dienst-

leistungsgebiet allen unvorstellbar erschien – allen aus-

ser «Kraftwerk 1». So kam es zur ungewöhnlichen Zusam-

menarbeit von Generalunternehmung und progressiver

Genossenschaft: für die einen Auftragspotenzial, für die

anderen die gesuchte Lücke im System – und für Zürich

ein Glücksfall in der Stadtentwicklung? Alain Paratte

begleitete ab 1997 als Projektleiter das Kraftwerk bis zur

Baubewilligung. Was kann ein Generalunternehmen vom

Kraftwerk-Experiment lernen?

Die Krise als Chance: Eine unerwartete Allianz für ein aussergewöhnliches ProjektAlain Paratte, Projektentwickler der Allreal Generalunternehmung AG, zur Geschichte des Hardturm-West-Areals und zur Zusammenarbeit mit «Kraftwerk 1»

Ruedi Weidmann

Weidmann: Können Sie dieGeschichte des Hardturm-West-Areals schildern?Paratte: Ursprünglich standendort Gewerbe- sowie Lagerbau-ten des Konsumvereins Zürich,die nach der Übernahme durchCoop nicht mehr benötigt wur-den. Ende der achtziger Jahre wollten Marti Immobi-lien ein Bürogebäude bauen. Sie hatten auch schoneine Baubewilligung, wir waren als GU dabei undStücheli Architekten hätten das Projekt gemacht. Dannkam anfangs neunziger Jahre die Immobilienkrise, gros-

Page 17: Kraftwerk 1

jektleiter für den TU, Schnittstelle zur Bauherrin wardie dreiköpfige Baukommission der Genossenschaft.Die Arbeit des Genossenschaftsvorstands und der vie-len Arbeitsgruppen von «Kraftwerk 1», ihre Entschei-dungsfindungen in internen Vernehmlassungen, all dasfloss nur über die Baukommission in die Planung ein. Anders als sonst war die Zusammenarbeit. Das Speziel-le am Kraftwerk war für mich die extrem kompetenteund sehr engagierte Bauherrschaft. Sie nahm sich Zeit,hatte jahrelang an möglichen Lösungen herumstudiertund verfügte über riesiges Know-how. Die Baukommis-sionsmitglieder waren alle Architekten. Unsere Archi-

tekten und alle Nebenplaner sassen mit ihnen zusam-men und machten in einem Team von 10 bis 15 Leutendie Projektentwicklung. Wir hatten ein fixes Kosten-dach von höchstens 50 Millionen, einen festen Land-preis und einen Haufen Wünsche. Daraus haben wir –gleichberechtigt – entwickelt, was heute steht. Wirkonnten dabei je nach Thema die wichtigen Leute ver-knüpfen: Über Architektur und Raumbildung disku-tierten die Architekten und die Baukommission direkt,technische Belange wurden zwischen Architekt, Fach-ingenieur und den Ökospezialisten von «Kraftwerk 1»verhandelt. In diesen Gesprächen musste ich nur zu-hören und moderieren und allenfalls zusätzliche Fach-leute engagieren. Wie das funktionierte, sachlich, aufeiner fachlichen Diskussionensebene, war hervorra-gend. Durch die Kompetenz dieser Bauherrschaft, ihre hoheIdentifikation mit dem Projekt und ihre hohen An-sprüche – auch in den Bereichen Ökologie und Bau-biologie – war die Planung intensiver, tiefer und präzi-ser als sonst. Man konnte offen unter Fachleutendiskutieren, erwägen, verwerfen. Dadurch waren dieSynergien gross, und man hat etwas weiter studiert,etwas länger gesucht als sonst. Daraus entstanden auchdie vielen kleinen Nebenschauplätze wie etwa die Zu-sammenarbeit mit der Eawag bei den Versuchs-WCs. Und anders als sonst ist schliesslich, dass die versam-melte Presse bei uns anklopft und sich für einmal fürdie Leistungen eines GU interessiert. Anfänglich für dieungewöhnliche Zusammenarbeit von früheren «Fein-den», von ehemaligen Wohnungsnot-Demonstrantenund Hausbesetzern mit der ehemaligen Immobilien-tochter des Bührle-Konzerns. Seit nun das Kraftwerksteht, interessiert vor allem die Architektur, das Zusam-menleben in diesen ungewöhnlichen 13-Zimmer-Woh-nungen. Die Resonanz ist also gross und positiv. Undwir sind auch stolz auf unseren Beitrag zu diesem Bau.

Angestellten erstellen wollte. Doch dieser Investor tratdann zurück. 1997 entwarfen wir eine Lösung mit 21/2-, 3 1/2- und41/2-Zimmer-Standardwohungen, um nachzuweisen,dass dort ein rentables Wohnprojekt möglich war.Doch wir waren sehr unsicher, ob an einem solchenStandort eine Standardlösung für «Standardnutzer»Sinn machte. Wir sprachen Genossenschaften an. Die-se fanden die Lage zwar noch interessant, aber an unse-rem Projekt keinen Gefallen. Meine Abteilung erhielt darauf Ende 1997 die Aufgabe,herauszufinden, wie Wohnungen an dieser Lage ausse-hen müssten, damit sie mehr wären als nur Notwoh-nungen, die bloss mangels Alternative gemietet wür-den. Wir fingen innerhalb des festgelegten Gestal-tungsplans ganz von vorn an zu überlegen, wie einGebäude mit 20 m Bautiefe fürs Wohnen genutzt wer-den könnte. Stücheli Architekten zogen nun BünzliCourvoisier Architekten bei und entwarfen mit ihnendie an Le Corbusier und Adolf Loos angelehnte Lö-sung. Mit diesem Projekt fanden wir eine Stiftung undzwei Genossenschaften als Interessenten. Mit der Stif-tung und mit dem Kraftwerk 1 wurde parallel je ein Pro-jekt weiter entwickelt, da «Kraftwerk 1» auch nochandere Optionen verfolgte.

Weidmann: Was gab schliesslich den Ausschlag für dasKraftwerk 1?Paratte: Das Problem dieses Areals war seine periphereLage. Abgesehen von der «à Porta-Stiftung» und denBernoullihäusern wird es eine Wohninsel bleiben. Wirbrauchten eine Mieterschaft, die mit diesem Ort etwasanfangen konnte. «Kraftwerk 1» war da geradezu ideal,weil sie genau das suchten, Pionier sein und neuesWohnen und Leben in die Brache bringen wollten. Esspielte auch eine Rolle, dass «Kraftwerk 1» Wohnen undArbeiten kombinieren wollte. Im Gestaltungsplan warein Dienstleistungsanteil ausgewiesen, und so konntenwir das ganze Projekt mit einer Bauherrschaft realisie-ren. Zudem passten die Vorstellungen von «Kraftwerk 1»

zur architektoni-schen Lösung, diedie Architektensuchten, sie ver-stärkten diese noch.

Weidmann: Waswar für Sie ausser-gewöhnlich an die-sem Projekt?Paratte: Ich möchtedie Frage umdre-hen: Was war nichtungewöhnlich? DasArbeitsverhältniswar ganz traditio-nell, wie bei jedemanderen TU-Bau.Wir hatten einenTotalunternehmer-vertrag, ich war Pro-

tec 21 42/2001 23

Neun Stöcke hoch und 20 m tief – das zentrale Haus A

sprengt die heute im Wohnungsbau üblichen Masse

(Bilder: Andrea Helbling, Arazebra)

Page 18: Kraftwerk 1

24 tec 21 42/2001

Weidmann: Was ist aus Ihrer Sicht speziell am Bau selber? Paratte: Die innere Struktur im Haus A, die Wohnungs-grundrisse als Beitrag zur Diskussion, wie man heutigeWohn- und Lebensbedürfnisse in Wohnungsgrundrisseumsetzen kann. Dann die weniger sichtbaren ökologi-schen Massnahmen: Die Gesamtökobilanz hat dieMaterialwahl beeinflusst, zur Solaranlage, zur Bedarfs-lüftung oder auch zum Carsharing geführt. Das sindMassnahmen, die heute selbstverständlicher sind, abervor vier Jahren vielerorts erklärungsbedürftig warenund den Beizug von Spezialisten erforderten und die inihrer Gesamtheit schon sehr interessant sind. Und wirhaben noch nie erlebt, dass eine Bauherrschaft bereitwar, die Mehrkosten für den zusätzlich notwendigenPlanungsaufwand für die ökologischen Massnahmenauf sich zu nehmen.

Weidmann: Andreas Hofer von der Baukommissionspricht von einer Komplexität des Projekts an derGrenze des Bewältigbaren. Ist das nur die Wahrneh-mung einer Genossenschaft, die zum ersten Mal baut?Paratte: Nein, das ist eindeutig richtig. Wir mussten viel mehr Planungsleistungen erbringen als bei üb-lichen Wohnbauprojekten. Manchmal waren die vieleneinzelnen Ansprüche schwierig zu koordinieren, nochdazu unter dieser Preismaxime. Wegen der absehbarenKomplexität hat man aber viele Probleme früh durchSpezialisten abklären und festlegen lassen. Dadurchmusste in der Ausführung weniger improvisiert undnachgebessert werden. Und vorher denken ist immerbilliger als nachher korrigieren. Bei neuen Ideen hat aber das Kraftwerk die grosseArbeit – Diskussion, Evaluation, Tests, Folgenabschät-zung – selber geleistet. Die Vorschläge kamen als bereitsbereinigtes Mandat zu uns. Trotzdem war der Bau fürunsere Ausführungsabteilung überdurchschnittlichanspruchsvoll, und auch für die Handwerker. 100 Woh-nungen und keine wie die andere – da kann man nichtdie Arbeit einmal erklären und sagen: «Jetzt machst dudas hundertmal so.»

Weidmann: Würden Sie sich als Generalunternehmentrotzdem wieder auf ein ähnliches Projekt einlassen? Paratte: Ja, sicher. Ich sehe nichts, was dagegen spräche.Wir bauen mit allen möglichen Bauherrschaften. Be-rührungsängste gibt es überhaupt keine. Es geht nurdarum, ob beide Seiten einen Vorteil von der Zusam-menarbeit haben. «Kraftwerk 1» hat gezeigt, dass eineGenossenschaft, die noch nie gebaut hat, ihre sehr pro-gressiven Ideen mit einer Totalunternehmung bauenkann, mit Preisgarantie und weiteren Hilfen, die wirdurch unsere Grösse bietenkonnten. Der Nutzen wargegenseitig, wir profitierten vonihren Vorleistungen und konn-ten so relativ zügig bauen.

Weidmann: Die Arealentwick-lung ist ein Kerngeschäft derAllreal. Haben Sie aus dem

Kraftwerk-Projekt etwas gelernt, das Sie nun weiteranwenden können?Paratte: Man lernt – hoffentlich – bei jedem Projektetwas dazu. Das Kraftwerk-Projekt kann man so sichernicht wiederholen, da das Spezielle, wie gesagt, dasgrosse Know-how und Engagement dieser Genossen-schaft war. Daraus ergab sich ein sehr intensiver undspannender Prozess mit einem interessanten, einmali-gen Produkt. Es ist aber klar, dass es bei anderen Pro-jekten diese Intensität gar nicht braucht, einfach weildie Anforderungen nicht so komplex sind. Und wenneine Bauherrschaft dieses Engagement nicht mitbringtoder sucht, dann kann ich das auch nicht provozieren.Insofern ist die Erfahrung nicht übertragbar. Ich kannbeispielsweise nicht sagen: Wir haben hier bewiesen,dass sich all diese ökologischen Massnahmen locker imWohnungsbau unterbringen lassen. Wir haben andern-orts auch schon Minergiehäuser gebaut. Solche Dingehängen von der jeweiligen Bauherrschaft ab. Wesentlich ist aber folgendes: Dieses Projekt beweist,dass es ein spezielles Bevölkerungssegment von Leutengibt, die für sich ein Haus bauen nach den spezifischenBedürfnissen, die sie für sich formuliert haben. Es warmöglich, mit einem Manifest und mit der Arbeit aneiner Utopie ein paar hundert Leute zusammen zubringen. Ein Teil davon war sehr engagiert, aber auchdie Basis war sehr breit. Es brauchte zwar zehn Jahre,das ist vielleicht eine lange Zeit, und vielleicht sieht esnicht so aus, wie es sich einige vorgestellt hatten, aberjetzt, wo es dasteht, findet es die ganze Welt spannend,weil es so avantgardistisch sei. Es handelt sich zwar umeine etwas spezielle Gruppe, aber für mich ist das derBeweis, dass es möglich ist. Möglich vom Preis her,möglich von der Bauproduktion her, möglich mit denPlanern und mit dem GU – also mit den gleichen Ak-teuren, die sonst auch bauen. Aber der Unterschiedzwischen den üblichen 31/2- und 41/2-Zimmer-Woh-nungen «Eltern + 2 Kinder» und dem Kraftwerk istkrass. Die Gesellschaft braucht die ganze Breite von der41/2-Zimmer-Familienwohnung bis zum Kraftwerk,aber dazwischen geschieht räumlich-architektonisch,abgesehen vom Hochpreissegment, nicht viel. Für die70 % der Mieter, in der Stadt Zürich sind es 85 %, gibtes nur Standardproduktionen, auch die Genossenschaf-ten bauen tendenziell eher konservativ. Und jetzt kom-men diese Wohnungsdemonstranten und Utopien-schreiber und stellen so ein Manifest hin. Und es isterst noch günstiger als Vieles, was andere anbieten. Dasist für mich der eigentliche Beitrag dieses Projekts.

Weidmann: Und was heisst das nun für Allreal?Paratte: Ein Generalunternehmen ist eine Taglöhnerei.

Man bekommt Pläne und eineBaubeschreibung, und wer dieAusführung am günstigstenofferiert, darf bauen. Investo-

Page 19: Kraftwerk 1

tec 21 42/2001 25

ren wollen etwas bauen, das sicher weggeht, und miteiner 41/2-Zimmer-Wohnung zu einem moderaten Preiskann man in Zürich nie falsch liegen. Der Immobilien-fonds einer Pensionskasse wird kaum versuchen, Ate-liers oder WG-Wohnungen zu vermieten, obwohl ichüberzeugt bin, dass der Markt dafür mindestens so gutwäre. Aber solange man in Zürich sowieso jede Woh-nung vermieten kann, muss man sich auch nichtfurchtbar viel Mühe geben, etwas Neues zu erfinden.

Nur wo wir Projektentwicklersind, kann die Kraftwerk-Erfah-rung etwas bedeuten. Um aberderart spezielle Wohnungen wieim Kraftwerk zu bauen, mussman die künftigen Mieterschon mitbringen. Das kannmit einer Genossenschaft funk-tionieren, einem Verein, einerInteressengemeinschaft, undbei Projekten für spezifische,formulierte Bedürfnisse, wieeinem Atelier- oder Musiker-haus. Sehen Sie, wenn ich fürtraditionelle Investoren ein Arealentwickeln soll, mit ihnen einenStadtrundgang mache undihnen die etwas speziellerenProjekte im Kreis 5 oder inZürich-Nord zeige, finden siedas zwar interessant und sehenein, dass man für die gewandel-ten Bedürfnisse neue Formenfinden muss. Aber wenn ichihnen dann einen solchen Pro-jektvorschlag schicke, fragensie, ob wir nicht etwas Gewöhn-licheres hätten. Es ist die Angstvor dem Investitionsrisiko.

Weidmann: Sie sagten amAnfang, das Kraftwerk werdeeine Wohninsel bleiben. Nunist es aber nicht nur ein Wohn-projekt. Wie beurteilen Sie dieBedeutung des Kraftwerks fürdie künftige Stadtentwicklung?Paratte: Die Mischung von75 % Wohnen und 25 % quar-tierbezogenen Dienstleistungenund die städtebauliche Orien-tierung der Siedlung gegen aus-sen halte ich für sehr gesund.Mit Insel meinte ich, dass bis jetzt in dieser Gegend nichtgenug Leute wohnen, damitsich wirklich ein Wohnquartiermit grösseren Versorgungsfunk-tionen in Fussgängerdistanz eta-blieren könnte. Gegen Westenkann sich das noch markantändern mit der weiteren Pla-

nung des Hardturmstadions. Gegen das Stadtzentrumhin wird aber die Büro-Monokultur aus den achtzigerJahren noch lange stehen bleiben. Dort kann sich keinQuartierlädeli mehr einnisten. Eine wirklich innerstäd-tisch-urbane Gegend wird im unteren Kreis 5 nie ent-stehen.Ob man die Kraftwerk-Mischung anderswo brauchenkann? Es kommt eben drauf an, ob man genug Be-ziehungspotenzial hat, damit eine Erdgeschossnutzung

Urbanität und Dichte – die Zwischenräume im Kraftwerk 1

gemahnen teilweise an Altstadtgassen (Bilder: rw, Red.)

Page 20: Kraftwerk 1

26 tec 21 42/2001

funktionieren kann. Diese sind ja auch in den alten dich-ten Teilen der Kreise 3 bis 5 problematisch. Die Kunden-zahlen sinken laufend. Die kleinteiligen dispersenDienstleistungen konzentrieren sich immer mehr anwenigen zentralen Einkaufsorten in jedem Quartier.Und künstlich Läden hinstellen bringt nichts.

Weidmann: Das heisst, Sie können das Kraftwerk nichtals Rezept für weitere Arealentwicklungen verwenden?Paratte: Doch, doch. Wir sprachen bis jetzt nur überdie radikalsten Wohnungsgrundrisse und über die Lä-den. Andere mit dem Wohnen kombinierte Funktio-nen wie Restaurant, Bar, Dienstleistungen, Büroge-meinschaften, Kindergarten oder die Wohnateliers sinddurchaus tauglich als Rezept. Diese urbane Qualitätfunktionierte schon in der Blockrandbebauung derGründerjahre und wurde hier nur transportiert und ineine neue Form gebracht. Die Charta von Athen von 1933 ist im Denken derPlaner definitiv überwunden, man kann die Funktio-nen wieder mischen. Es gibt allerdings noch immerHindernisse: Die Mischung von Wohnen und Arbeitenhängt von der Bauzone ab und damit vom Bodenpreis.In einer reinen Dienstleistungszone macht es ökono-misch keinen Sinn, freiwillig Wohnungen zu bauen.Das Kraftwerk war auf dem Hardturm-West-Areal nurmöglich dank der Abschreibung auf dem Arealwert inder Krise. Ein anderes Hindernis ist das reine Invest-ment: Wer in Bürohäuser investieren möchte, will nichtauch noch die aufwändige Verwaltung von Wohnungenauf sich nehmen. Umgekehrt lohnt sich Investment inWohnungsbau wegen des Verwaltungsaufwands erst abeiner gewissen Grösse. Ein weiteres Hindernis ist, dass BaugenossenschaftenGewerberaum nicht finanzieren können, weil sie dafürkeine Bürgschaften erhalten. Dieses Problem konntedas Kraftwerk auch nicht lösen, das Gewerbehauskonnten sie nur bauen, weil wir ihnen das Eigenkapitalvorgeschossen haben. Büros zu bauen ist nach derGenossenschaftsidee verwerflich. So wie die reinen Bü-ro-Investoren sich nicht ums Wohnen kümmern, sounflexibel sind die Wohnbaugenossenschaften, die inihrem grünen Gartenstadtidyll sitzen und sich weigern,zu verdichten und gegen die Strasse einen Bürobau alsLärmriegel zu bauen. Hier sitzt die Charta von Athennoch in den Köpfen. Beim Kraftwerk ist das Problemdeutlich aufgetaucht: Die heutigen Förderinstrumenteund Reglemente des genossenschaftlichen Wohnungs-baus verhindern die an sich propagierte funktionaleDurchmischung der Stadt. Es scheint mir klar, dassman dieses Thema bei den zuständigen Stellen auf-nehmen muss.

Kennwerte

1988 Baubewilligung für ein Büro- und Gewerbegebäude

1994 Studienauftrag für eine Überbauung mit Wohn- und

Dienstleistungsangebot

1995 Bewilligung des Gestaltungsplans

1998 Start des Projekts «Kraftwerk1» innerhalb der Vorga-

ben des bewilligten Gestaltungsplans

12.1998 Baueingabe von «Kraftwerk1»

04.1999 Baubewilligung und Kauf des Grundstücks

05.1999 Baubeginn

Frühj.2001 Bezug der Gebäude

Arealfläche 6700 m2

Ausnützungsziffer 2,4

Wohnfläche BGF 13185 m2

Arbeitsfläche BGF 3615 m2

Total 16 700 m2

Wohnungsspiegel Wohnungstyp Anzahl

Gemeinschaftsraum 1

Ateliers (mit Whg.) 2

Atelierwohnungen 6

2-Zi-Whg. 1

21/2-Zi-Whg. 8

3-Zi-Whg. 2

31/2-Zi-Whg. 18

4-Zi-Whg. 16

41/2-Zi-Whg. 10

5-Zi-Whg. 1

51/2-Zi-Whg. 16

6-Zi-Whg. 1

6-Zi-Behindertenwhg. 2

61/2-Zi-Whg. 5

61/2-Zi-Maisonette-Whg. 3

71/2-Zi-Whg. 1

81/2-Zi-Whg. 1

9-Zi-Whg. 1

12-Zi-Whg. 2

13-Zi-Whg. 1

AM BAU BETEILIGTE

BAUTRÄGER

Bau- und Wohngenossenschaft «Kraftwerk1», Zürich. Baukommis-

sion: Andreas Hofer, Dominique Marchand, Andreas Wirz. Stiftung

PWG, Zürich. Baubegleiter: Emil Seliner

TOTALUNTERNEHMER

Allreal Generalunternehmung AG, Zürich. Sandro Costantino,

Peter Neubauer, Peter Spillmann

ARCHITEKTEN

Stücheli Architekten, Zürich. Christof Glaus, Marc Derron, Gabriela

Suter. Vorprojekt in Zusammenarbeit mit Bünzli und Courvoisier

Architekten, Zürich. Samuel Bünzli, Simon Courvoisier

ÖKOLOGIEBERATUNG

Peter Hanimann, Zweisimmen

BAUINGENIEURE

Basler und Hofmann Ingenieure und Planer AG, Zürich.

Pius Kappeler, Beat Trommer

GEOLOGIE

Dr. Jäckli AG, Zürich. Bernhard Gruber

ELEKTROINGENIEURE

Hefti, Hess, Martignoni Elektro Engineering AG, Zürich. Bhend

Elektroplan, Suhr. Urs Bhend, René Hasler

HAUSTECHNIK

Hürlimann Engineering AG, Bubikon; Christian Hauser, Dominik

Hürlimann, Massimo Mancinone

BAUPHYSIK, AKUSTIK

Ernst Meier, Dällikon

LANDSCHAFTSARCHITEKTEN

Ryffel und Ryffel, Uster. Thomas Ryffel

Page 21: Kraftwerk 1

28 tec 21 42/2001

Beckel: Was zeichnet «Kraftwerk 1» für Ihr Büro spezi-ell aus? Worin unterscheidet sich dieses Projekt vomcourant normal?Glaus: Es hat als normales Projekt angefangen mit demvon der Allreal ausgeschriebenen Studienauftrag 1994,den wir mit einem Entwurf gewonnen haben, der anjener städtebaulich schwierigen Bruchstelle zwischenIndustrie- und Dienstleistungsarealen einerseits undden Wohnsiedlungen der «à Porta-Stiftung» und denBernoullihäusern anderseits ein gutes Gleichgewichtgefunden hat. Als dann 1997 die junge Genossenschaft«Kraftwerk 1» dazu kam, haben wir uns schon überlegt,wie jene Utopie des gemeinsamen Wohnens und Arbei-tens auf dem aus dem Studienauftrag hervorgegange-nen, inzwischen rechtsgültigen Gestaltungsplan ver-wirklicht werden kann. Und wir haben schnell gesehen,

dass innerhalb des Volumens des grossen Baukubus inder Arealmitte eine hohe Flexibilität gegeben ist. Sogesehen ist es ein Projekt, das uns selbst intensiv über

Inge Beckel

Ein modularerBaukastenChristof Glaus, dipl. Arch. ETH, Architektund Partner bei Stücheli Architekten, Zürich

Städtebaulich war das Projekt auf dem Areal

im äusseren Kreis 5 bereits definiert, als die

junge Genossenschaft als Nutzerin dazu stiess.

Umso wichtiger war es, dass die Wünsche und

Vorstellungen der Kraftwerk-Leute im Innern

berücksichtigt und innerhalb eines modularen

Baukasten-Systems – trotz einer statisch relativ

rigiden Schottenstruktur – optimal umgesetzt

werden konnten.

Page 22: Kraftwerk 1

tec 21 42/2001 29

«moderner» hielten. Doch aufunserer Strassenseite, auf die-sem ehemaligen Gewerbeareal,meinten wir, Klinker sei dasangemessenere Material. Auchmusste die Oberfläche mono-lithisch, also homogen sein, sodass wir all jene Bewegungen inder Fassade, jene Irritationen,die aus den unterschiedlichstenWünschen der Genossenschaf-ter resultieren, auffangen konn-ten. Zudem haben wir über die Loggien nachgedacht unduns gefragt, ob es nicht solchexpressive Balkone, wie wir sie von jungen holländischenBüros kennen, vertragen würde,haben uns dann aber für dieeingezogene Form entschieden.Im Gespräch mit Samuel Bünz-li und Simon Courvoisier, diewir als Architekten beigezogenhaben, war rasch klar, dass es

für diesen alten Industriestandort keine luftig-leichteArchitektur sein kann, dass man vielmehr die Mate-rialität jener Zeit neu interpretieren sollte; die Verfrem-dung liegt letztlich in den im Verhältnis grossen Fenstern.

Beckel: Apropos Zusammenarbeit, wie lief diese unterallen Beteiligten?Glaus: Untypisch waren sicherlich die intensiven Dis-kussionen. Nur schon dadurch, dass die Bauträger –«Kraftwerk 1» – zu einem wesentlichen Teil Architektensind, hat man wie unter Kollegen verhandelt, unter-schiedliche Auffassungen mussten ausdiskutiert wer-den. Hätte man beispielsweise eine Bank als Gegen-über gehabt, hätte man wohl versucht, diese zuüberzeugen – hier ging es um ein Ausdiskutieren unterKollegen, bis zum Konsens. Manchmal war es für unsschon schwierig. Da hatten wir etwa mit den Leutenvom Kraftwerk etwas besprochen und zu einer Lösunggefunden, und dann sprachen wir mit Allreal – diebekanntlich das Projekt schlüsselfertig mit Preis- undTermingarantie verkauft hatten – und diese sagten: sogehts nicht, diese Lösung sprengt schlicht den Kosten-rahmen. Und dann gings wieder von vorne los. VomProzess her lag unsere Rolle zwischen Allreal und Kraft-werk, was nicht immer einfach war. Doch generell wares eine gute, lehrreiche Zusammenarbeit.

Beckel: Nun zum Projekt selbst, zur Verteilung derVolumen, Baukuben und deren statischen Schotten-struktur.Glaus: Eine Kernidee der Architektur sind die zweiunterschiedlichen Erschliessungssysteme, einerseits dievertikalen Treppenhäuser und anderseits die horizonta-len inneren Strassen, die rues interieures, also einmalder «Loos-Typ» mit den Split-Levels, dann der «Le-Cor-busier-Typ» mit den inneren Strassen. Und nun fingen

heute gültige Wohnformen nachdenken liess undwovon wir viel gelernt haben – und uns nun freuen,dass das Realisierte in der Öffentlichkeit auf entspre-chendes Interesse stösst. Als Architekten haben wir ver-sucht, die theoretischen Konzepte und Überlegungenvon Andreas Hofer und Andreas Wirz von «Kraft-werk 1», die ja sehr stark mitgearbeitet haben, in archi-tektonische Formen umzusetzen.

Beckel: Können Sie diese Erkenntnisse für andere lau-fende Projekte brauchen oder handelt es sich beim«Kraftwerk 1» um spezifische Wohnvorstellungen?Glaus: Primär waren sie spezifisch für «Kraftwerk 1».Doch da auch wir uns gezielt mit der Frage auseinander-gesetzt haben, was heute Qualitäten und Potenziale etwaeiner rue interieure sein können, werden wir versuchen,dieses erweiterte Wissen zu nutzen. Es hat sich überdiesgezeigt, wieviel Freiraum das statisch stark definierteSystem mit diesen Schotten für Varianten ermöglicht.

Beckel: Und das äussere Erscheinungsbild? Wie starkhat Kraftwerk hier Wünsche oder eigene Vorstellungeneingebracht?Glaus: Das Erscheinungsbild als Ganzes ist ja eherruhig, traditionell, weist aber verschiedene Irritationenauf, wie etwa die überhohen Fenster. Wir führten langeDiskussionen und haben anfänglich oft Limmat-Westangeschaut, das wir mit den liegenden Fensterbändernund den Wellblechverkleidungen in gewissem Sinne für

Die Eroberung einer ungewohnten Wohnumgebung

(Bilder: rw, Red.)

Page 23: Kraftwerk 1

Weidmann: Wer kümmerte sich bei der Planung des«Kraftwerks 1» um soziale Fragen?Meyer: Im Grunde alle. Von Anfang an bestand dieAbsicht, im Kraftwerk soziale Vielfalt zu erreichen.Eine wichtige Frage war: Wie ermöglichen wir Personenden Einstieg ins Projekt, die anders sind als wir, alsonicht zwischen 30 und 40, gut ausgebildet, Schweizerusw.? Strategische Entscheide fällte der Vorstand. Aberverschiedene BenutzerInnen-Kommissionen machtenes sich zur Aufgabe, genauere Vorstellungen vom Lebenin der Siedlung zu formulieren, daraus konkrete Wün-sche abzuleiten und diese Wünsche durch den Pla-nungsprozess mit seinen «Sachzwängen» und finanziel-len Engpässen zu retten. Das sind die Kommissionen«Charta» und «Spirit», und Kinder-, Betriebe-, Altipla-no- (Dachterrasse) und Gästezimmerkommission be-handeln natürlich auch soziale Aspekte.

Soziale Vielfaltals Attraktion

Ruedi Weidmann

Lukas Meyer, Genossenschaftsvorstand und Mitglied der Kommission «Spirit», zur sozialen Infrastruktur im Kraftwerk 1

Was das Soziale angeht, unterscheidet sich

das Kraftwerk 1 über die Genossenschafts-

idee hinaus in zwei Punkten von anderen Wohn-

bauprojekten: Es gibt mehr soziale Infra-

struktur als üblich und es gelang, Leute in die

Siedlung zu holen, die sich eine Kraftwerk-

wohnung aus eigener Kraft nicht leisten könn-

ten. Lukas Meyer beschäftigt sich im Vorstand

und als Mitglied der Kommission «Spirit» mit

den sozialen Anliegen im Kraftwerk 1.

30 tec 21 42/2001

die Additionen und die Kombinationen der Wohn-module sowohl auf einer Ebene als auch über die Stock-werke an – sowie der Erschliessungssysteme. All diesführte zu den rund 20 verschiedenen Wohnungstypen(im Hauptvolumen), die heute realisiert sind – undimmer innerhalb des Kostenrahmens!

Beckel: Noch einige Gedanken zur Materialisierung.Glaus: Ursprünglich waren alle Volumen als Klinker-bauten gedacht, doch als Gegenleistung zu andernExtras oder Mehrkosten wurden einige zu verputztenHäusern. Doch zum Glück, so meine Meinung heute.Das Ensemble wirkt lebendiger, als wenn die Siedlungdurchgehend in den bräunlich-dunkelroten Farben des Klinkers wäre – die verschiedenen, unterschiedlichhellen Farben werten auf und zeichnen sie zusätzlich

aus. Im Innern gab es grund-sätzlich einen Standard, neu-trale Wohnräume mit Farb-akzenten in den Küchen undBädern, wobei die Mieter undMieterinnen innerhalb einergewissen Farbpalette auswählenkonnten.Beckel: Zum Schluss noch kurzdie drei wichtigsten Punkte, die für Sie das Kraftwerk 1 aus-zeichnen?Glaus: Einmal sicherlich dieinnere räumliche Vielfalt, diedas Hauptvolumen prägt, –dass das Ganze innerhalb des

existierenden Gestaltungsplans und innerhalb der rela-tiv rigiden Schottenstruktur der Statik überhaupt mög-lich war. Weiter, dass die «Utopie» von «Kraftwerk 1» ineine Architektur umgesetzt werden konnte, die sowohlunsere Sprache ist als auch die der Kraftwerk-Leute,dass sich also beide Seiten mit dem jetzt Gebautenidentifizieren und einverstanden erklären können. Undletztlich, dass das Experiment «Kraftwerk 1» nicht eineschöne Idee auf dem Papier blieb, sondern real gebautwerden konnte.

Page 24: Kraftwerk 1

Die Charta-Kommission hat schon früh eine Chartaformuliert, welche die trockenen, rechtlich vorgegebe-nen Genossenschaftsstatuten auf ideeller Ebene ergän-zen sollte. Die Charta sollte umreissen, was am Kraft-werk auf der sozialen Ebene speziell ist, und sie ist nunverbindlicher Teil des Mietvertrags und wird von denMieterinnen und Mietern unterzeichnet. In ihr ist eingewisses finanzielles und zeitliches Engagement be-schrieben, oder sagen wir, skizziert, das von den Mit-gliedern erwartet wird.Die wohl zentrale Diskussion in dieser Kommissionwar, ob man gewisse Handlungsweisen verbieten oderob man die Leute verführen sollte. Will man beispiels-weise festlegen, dass Kraftwerkbewohnerinnen und -be-wohner kein Auto besitzen dürfen, oder will man einAngebot schaffen, das so attraktiv ist, dass erwünschteHandlungsweisen freiwillig gewählt werden? Wir haben

tec 21 42/2001 31

uns auf die zweite Variante geeinigt. Nun haben wir einenKollektivvertrag mit Mobility, der für die Genossen-schaftsmitglieder einen wesentlich vergünstigten Zugangzu den Carsharing-Autos im eigenen Keller ermöglicht. In der Charta ist auch verankert, dass die Genossenschaftvon den Mieterinnen und Mietern zusätzlich zur Mieteeinen monatlichen Betrag erhebt, den Spirit-Beitrag. Dieser ist abhängig vom – selbstdeklarierten – Einkom-men und schwankt zwischen 15 und 55 Franken im Monatpro verdienende Person. Mit diesem Geld, rund65 000–70 000 Franken im Jahr, werden drei Dinge finan-ziert: Mit 50 % die Verbilligung der Mieten für sozialBenachteiligte, mit 25 % zusätzliche ökologische Mass-nahmen, etwa die Einrichtung eines Komposts oder eineInfoveranstaltung über Stromsparlampen, und schliesslichmit 25 % der Aufbau von Infrastrukturen für die All-gemeinheit, etwa die Verzinsung von Kapital zum Kaufvon Möbeln für Gemeinschaftsräume oder eine Defizit-garantie für das Gästezimmer.

Weidmann: Wie ist in der Charta das zeitliche Engage-ment umschrieben, das von den Leuten erwartet wird?Meyer: Es ist eine relativ offene Formulierung. Es wird ein-fach so umgesetzt, dass wer sich selbst beteiligen will, ineine Kommission gehen oder eine gründen muss. Werzufrieden ist mit dem Gebotenen, wird selbstverständlichnicht zu Fronarbeit gezwungen, «Trittbrettfahren» darfauch sein.

Einziehen und Kennenlernen – Kraftwerk 1 in den Umzugstagen (Bilder: Andrea Helbling, Arazebra)

Page 25: Kraftwerk 1

32 tec 21 42/2001

Weidmann: Was ist die Rolle der Spirit-Kommission?Meyer: Als wir uns 1997/98 entschieden, zu bauen,wurde es nötig, aus den Vorstellungen vom sozialenLeben im Kraftwerk konkrete Vorschläge für Massnah-men und Infrastruktur zu machen. Darum kümmertesich die Kommission «Spirit». In einem Brainstormingunter Genossenschaftsmitgliedern entstand eine langeWunschliste vom Fotolabor über eine Bibliothek biszur Sauna, von Freiräumen für die Kinder bis zu kin-derfreien Räumen. Die Kommission «Spirit» achtetedarauf, dass diese Wünsche im Planungsprozess nichtuntergingen. Dazu haben wir die Wünsche in unbe-dingt Nötiges und allenfalls Wünschbares unterteilt. Die als wichtig eingestuften Anliegen, bauliche und or-ganisatorische, konnten wir alle realisieren. Bei anderenWünschen wurde entschieden, dass sie nicht zu denzentralen Aufgaben der Genossenschaft gehören müs-sen und der Privatinitiative überlassen werden können.So etwa bei der Sauna, für die ein Raum freigehaltenwurde, in dem nun interessierte Mieterinnen und Mie-ter eine Sauna einrichten können, wenn sie die nötigenInvestitionen tätigen und das Projekt selbsttragend or-ganisieren. Dasselbe gälte für ein Fotolabor.

Weidmann: Wie wichtig war das Engagement der Spirit-Kommission für die soziale Zusammensetzung derMieterschaft?Meyer: Zentral. Im Ausgleich mit denen von uns, diedafür sorgten, dass das Projekt finanzierbar blieb undtatsächlich gebaut wurde, brauchte es auch Leute, diedas Ideelle hochhielten. Es ist jedoch nicht so, dass einesoziale Fraktion einer pragmatischen gegenüber gestan-den hätte. Für die soziale Zusammensetzung warenletztlich alle Verantwortlichen besorgt. Denn sozialeVielfalt ist auch bei nüchternstem Pragmatismus einMuss! Ein Ghetto mit einem schmalen Ausschnitt derGesellschaft wäre weit entfernt von dem, was wir alleunter einem lebendigen Alltag verstehen. Die sozialeMischung ist ein Anreiz für potenzielle Mieterinnenund Mieter, in ein lebendiges Stück Stadt zu ziehen.Für das Zustandekommen des Projekts war es immenswichtig, dass es verschiedenste Personen anziehenkonnte.

Weidmann: Soziale Vielfalt als Attraktivität?Meyer: Auf jeden Fall!

Page 26: Kraftwerk 1

tec 21 42/2001 33

Weidmann: Was sind die wichtigsten sozialen Institu-tionen und wie funktionieren sie?Meyer: Die Stiftung Altried führt Wohngruppen fürgeistig und körperlich Behinderte. Zwei Wohnungenwurden an sie vergeben und nach ihren Wünschen aus-gebaut. Dort leben jetzt zwei Vierergruppen. Mit demVerein Domizil, der Wohnungen an grosse, vorwiegendausländische Familien vermittelt, die aus finanziellenoder auch kulturellen Gründen keine Wohnung findenwürden, haben wir eine Vereinbarung getroffen. Do-mizil garantiert uns für vier Wohnungen den Mietzins,wir kommen ihm beim Kapitalanteil entgegen. Eineweitere Massnahme war, bestimmte Wohnungen nichtsofort zu vermieten, sondern länger frei zu halten.Sonst wären alle Wohnungen ein Jahr vor Bauende ver-mietet gewesen, und ein Jahr ist ein Planungshorizont,der viele, beispielsweise ganz junge Leute, ausschliesst.Wichtig sind die Sozialfonds. Eine neue Genossen-schaftsüberbauung, so günstig sie im Vergleich mitanderen ist, stellt zwei für manche Leute hohe Hürden:den hohen Eigenkapitalanteil von rund 15 000 Frankenfür 35 m2 und die, verglichen mit Altbauten, doch rechthohe Miete. Deshalb haben wir einen Kapitalfondsund einen Mietzinsfonds eingerichtet. Bei beiden prüft

eine externe Solidaritätskommission aus drei PersonenAnträge auf Unterstützung. Der Kapitalfonds wird ausden Kapitalanteilen der anderen Mieterinnen und Mie-ter gespiesen und ist mit 500 000 Franken bestückt.Dank ihm können bis zu 80 % des Eigenkapitals erlas-sen werden. Der Mietzinsfonds wird aus den Spirit-beiträgen geäufnet und enthält zurzeit etwa 30 000Franken. Damit kann bei höchstens 10 % der Wohnun-gen die Miete um bis zu 20 % verbilligt werden. EtlicheLeute konnten sich den Einzug dank diesen beidenFonds leisten.

Weidmann: Kann man die gesamten Aufwendungen zuGunsten der sozialen Vielfalt in Franken beziffern?Meyer: Nein. Für einzelne Massnahmen wie den Aus-bau der Wohnungen für die Behinderten-Wohngrup-pen kann man natürlich den Planungsmehraufwand beziffern, aber für alle Massnahmen zusammen underst recht für die viele Gratisarbeit nicht. Kurzfristig ist das selbstverständlich ein grosser «Verlust»-Posten.Auch im Kraftwerk kostet Arbeitszeit Geld. Aber diese Investitionen waren zwingender Bestandteil desErfolgsrezepts.

Weidmann: Was waren die unabdingbaren Wünscheauf der ursprünglichen Spirit-Liste?Meyer: Auf der baulichen Seite das Gästezimmer, diePantoffelbar, der Gemeinschaftsraum auf dem Dachund der Waschsalon. Auf der organisatorischen Ebeneder Kochclub und die Degustationen, und natürlichvor allem die Querfinanzierungsmöglichkeiten bei denMieten.

Weidmann: Was ist denn so sozial an Ihrer Wasch-küche?Meyer: Der Waschsalon an seiner schönen Lage imHaus gleich beim Haupteingang und neben der Bar sollgarantieren, dass das Waschen als traditionell unterbe-wertete «Hausfrauenarbeit» aufgewertet wird, dass mannicht, allein in den Keller verdammt, wäscht, sonderndas Waschen zur Gelegenheit wird, sich zu treffen.

Weidmann: Dass so viel Engagement nötig war, umsoziale Vielfalt zu erreichen, leuchtet ein. Aber brau-chen Veranstaltungen wie Degustationen oder einKochclub wirklich Anschubhilfe durch die Genossen-schaft? Machen Sie nicht fast zuviel?Meyer: Darüber diskutieren wir gerade mehr oder min-der heftig im Vorstand. Ich bin eindeutig der Ansicht,dass es auch hier ein Engagement braucht. Ein Raum istnicht fertig, wenn die Wände stehen. Der Vorstand wirdaber nicht am Ende selber im Restaurant servieren. Esgeht nur darum, dass in einer Übergangsphase – dieletzten MieterInnen sind erst vor wenigen Wochen ein-gezogen – Ideen wach gehalten werden und für Projek-te der NutzerInnen logistische Hilfe geboten wird. DerKochclub etwa ist keine Veranstaltung des Vorstands,sondern die Initiative eines Bewohners.

Weidmann: Und wozu organisiert eine Baugenossen-schaft einen Kochclub?(Bild: Andrea Helbling, Arazebra)

Page 27: Kraftwerk 1

34 tec 21 42/2001

Meyer: Im Kochclub kochen vier Leute rotierend ein-mal pro Woche für 36 andere, man muss also einmalkochen und wird neunmal eingeladen. Es ist nicht nurein sozialer Event, sondern auch eine – angenehme –Art der Haushaltrationalisierung. Für eine Kantine istdas Kraftwerk zu klein. Die Nahrung – Einkaufen,Kochen, Essen – war im Kraftwerk von Anfang an einwichtiges Thema. Ein Wunsch war, im Bereich Lebens-mittel Stadt und Land besser zu verbinden. Dies wirdnun ein Stück weit in der Form der Degustationenumgesetzt: Lebensmittelproduzenten werden regelmäs-sig eingeladen, im Kraftwerk ihre Produkte vorzustellenund zu verkaufen.Ich glaube nicht, dass wir zu viel tun. Aber wir müssennun darauf achten, so viel wie möglich an die Neu-zugezogenen zu übergeben, und das klappt auch. Eskommen neue Leute in die Kommissionen. Wichtig istder Wissenstransfer, die Neuen wollen wissen, was wirschon überlegt haben, wollen die Rahmenbedingungenkennen lernen. Da braucht es uns noch, aber sicherkein Jahr mehr.

Weidmann: Wie weit kann eine Sozialkommission, inwelcher genau die Leute, die man zusätzlich erreichenmöchte, nicht selbst vertreten sind, den Bedürfnissendieser Menschen überhaupt gerecht werden? Meyer: Ich sehe die Gefahr, die Sie ansprechen, sie be-steht durchaus. Die Ausgangslage war hier jedoch rela-tiv einfach: Wenn wir nichts für die soziale Vielfalt ge-tan hätten, wäre die Situation jetzt schlechter als sie ist.Das heisst nun nicht, dass wir sämtlichen Bedürfnissengerecht werden konnten. Es gibt ein Beispiel dafür:

Eine Familie, der eine Wohnung angeboten wurde, hatsich wieder zurückgezogen, weil sich unsere offenenWohnungsgrundrisse nicht eignen für die Unterteilungin einen Männer- und einen Frauenbereich und so denkulturellen Bedürfnissen gewisser Leute nicht gerechtwerden können. Daran hatten wir natürlich keine Se-kunde gedacht.

Weidmann: Sehen Sie Punkte, an denen soziale Kon-flikte auftauchen können?Meyer: Ich rechne fest damit, dass Konflikte entstehen,es wäre sonst das erste Projekt ohne Probleme. Es istnoch sehr früh, um abzuschätzen, wo sie auftauchenwerden. Gut vorstellen kann ich mir, dass Problemehalt doch aus den kulturellen Unterschieden entstehenwerden. Ein Projekt wie das Kraftwerk hat einen hohenBedarf an gegenseitiger Information. Ich bin mir nichtsicher, ob die schriftliche Kommunikation innerhalbder Häuser über Anschlagbretter und Flugblätter nichtan den Sprachbarrieren scheitert. Bis jetzt sind wir mitwichtigen Informationen von Tür zu Tür gegangen,aber das ist ein immenser Aufwand. Wie lang hält mandas durch? Wie lang wird es gelingen, das Konzept desZusammenwohnens, der kollektiven Entscheidungsfin-dung zu vermitteln und am Leben zu erhalten? Ob es zu Nutzungskonflikten in den gemeinsamenRäumen kommen wird oder zu Lärmklagen, werdenwir sehen. Ein Konfliktfeld könnte die Offenheit derSiedlung sein. Als die Leute einzogen und sich nochnicht kannten, war die soziale Kontrolle noch sehr ge-ring. Und einmal haben dann zwei Junkies im Gemein-schaftsraum übernachtet. Die angefragten Institutionen

(Bild: Andrea Helbling, Arazebra)

Page 28: Kraftwerk 1

tec 21 42/2001 35

im Drogenbereich haben uns unisono geraten, ja nichtnett sein zu wollen, und Junkies kompromisslos vonder Siedlung fern zu halten.

Weidmann: Holt man sich, wenn man sich ein Stücklebendige Stadt baut, auch alle städtischen Problemeins Haus? Andere sozial orientierte Kollektivprojektewie etwa das AJZ richteten einen Fixerraum ein . . .Meyer: Das wird es nicht geben. Es geht hier um einerealistische Einschätzung dessen, was das Kraftwerk 1ist und was es leisten kann. Das Kraftwerk 1 ist weitge-hend ein Wohnprojekt und als solches kann und musses das Drogenproblem nicht lösen, es wäre überfordertund würde sich als Projekt gefährden. Aber ich würdediejenigen Qualitäten und Lösungen, die es in anderenBereichen bietet, nicht sichern wollen, indem sie ineine Burg eingebaut und Konflikte baulich ausgeschlos-sen werden, sondern indem Konflikte gelebt und aus-getragen werden.

Weidmann: Das Kraftwerk brauche Sie bald nicht mehr,sagten Sie. Werden Sie dann einfach als Bewohnergeniessen wollen, was Sie geschaffen haben? Meyer: Auch, aber nicht nur. Wir sollten es nicht ein-fach beim Kraftwerk 1 bewenden lassen. Ob die Genos-senschaft selber die Gelegenheit erhält, ein zweitesKraftwerk zu bauen, ist für mich offen. Aber ganz wich-tig finde ich, dass das Kraftwerk sich einmischt, sich ei-nerseits in der Diskussion um den unteren Kreis 5 starkmacht für eine bessere Entwicklung, als die gegenwärtigverfolgte, und andererseits versucht, das Modell Kraft-werk zu exportieren. Wir wollen bekannt machen, dasses interessant ist und funktioniert. Dass all die Dingewie der Minergiestandard, der Wohnungsmix von 2- bis 13-Zimmer-Wohnungen, der Solidaritätsbeitrag derMieterinnen und Mieter für soziale Massnahmen mög-lich sind bei Mieten 20 % unter dem Schnitt. Unserdiesbezügliches Know-how wollen wir weitergeben undgleichzeitig deutlich machen, dass es kein ideologischesProjekt ist, das nur in einem bestimmten «Biotop»funktionieren würde. (Dazu ist unsere Mieterschaft zubreit.) Bis jetzt waren wir sehr absorbiert, auf die Fertig-stellung von Kraftwerk 1 fokussiert, aber das wird nichtso bleiben!

Page 29: Kraftwerk 1

36 tec 21 42/2001

Schmid: Das Kraftwerk 1 ist ein alternatives Lebensmo-dell. Manifestieren sich die «anderen» Ideen auch ineiner «anderen» Bauweise?Hofer: Das Kraftwerk 1 steht für die Vielfältigkeit der mo-dernen Gesellschaft. Diese widerspiegelt sich nicht nur imSozialen, sondern auch in der Architektur und der Bau-weise. In diesem Sinn lassen sich unsere Vorstellungen des Bauens nicht an einer bestimmten Technik, einerEnergiekennzahl oder einem Baustoff festmachen. Sowenig wir nur 10-Zimmer-Wohnungen für Wohngemein-schaften gebaut haben, so wenig suchten wir nach der«wahren» Bauweise oder «richtigen» Gebäudetechnik. Esging darum, der Zielsetzung Nachhaltigkeit mit einemmöglichst breiten Mix von Massnahmen gerecht zu wer-den. Die Frage lautete: Wie lässt sich beim Bauen ein sorg-samer Umgang mit den natürlichen Ressourcen mit öko-nomisch vernünftigem Aufwand und ohne allzu grossestechnisches Risiko erreichen?

Schmid: Welches sind die wichtigsten Elemente im Mixvon Massnahmen?Hofer: Im Energiebereich fragten wir uns: Wo bringt dereingesetzte Franken die grösste Reduktion beim Ver-brauch nicht-erneuerbarer Energie. Nach diesem Krite-rium entstand eine Rangliste: An der Spitze stand die

Eine Million für die Ökologie

Felix Schmid

Andreas Hofer über Ökologie und Haustechnik im Kraftwerk 1

Die Genossenschaft «Kraftwerk 1» verwendete

2 % der Bausumme zur Förderung einer nachhalti-

gen Bauweise. 1 % der Mieteinnahmen wird lau-

fend in die Ökologie des Betriebs der Siedlung

fliessen, denn die eigene Gesamtökobilanz zeigt,

dass im persönlichen Verhalten deutlich mehr

Sparpotenzial liegt als in der Umwelttechnologie.

Andreas Hofer äussert sich zu den einzelnen

technischen Massnahmen und zur Kommunikation

in Sachen Umwelt im Kraftwerk.

Page 30: Kraftwerk 1

tec 21 42/2001 37

verbesserte Wärmedämmung, an zweiter Stelle diemechanische Ersatzluftanlage (sie wurde allerdings nurin einem der vier Gebäude realisiert). Dann folgte einStrauss von Massnahmen, die nichts oder nur wenigkosteten – beispielsweise die Wahl von Baustoffen mitwenig Grauer Energie. Und schlussendlich konnten wirdank Leasing eine Solarstromanlage realisieren. Basisfür die Entscheidungen bildeten einerseits Varianten-studien zu Beginn des Projekts, andererseits fand wäh-rend der ganzen Planungs- und Bauphase eine perma-nente Optimierung durch die Fachingenieure statt. DieVerbrauchsziele wurden im TU-Vertrag festgeschrieben.

Schmid: «Ingenieure haben optimiert», das tönt rechttechnokratisch. Gemessen an den sozialen Ansprüchendes Projekts würde man erwarten, dass auch die Bewoh-nerinnen und Bewohner in die Entscheidungen umBauweise und Haustechnik einbezogen waren. Hofer: Gleich zu Beginn des Projekts bildeten wir eine«Kommission Ökologie» aus Fachleuten und interes-sierten Laien. Dieses Team diskutiertehauptsächlich Grundsatzfragen. Es nahmWertungen zwischen technischen undsozialen Massnahmen vor. Die konkretenBauentscheide, wie etwa die Frage Warm-wasserzirkulation oder elektrisches Heiz-band in der Warmwasserverteilung, wurdenhingegen innerhalb der Baukommissionentschieden. Für technische ökologischeMassnahmen stand dabei ein Budget von2 % der Bausumme zur Verfügung. Darüberhinaus beschloss man, 1 % der Mieteinnah-

men für ökologische Massnahmen in der Betriebsphasezu verwenden.

Schmid: 2 % der Bausumme – das entspricht 1 MillionFranken. Um wieviel besser konnte man innerhalbdieses Rahmens die Gebäudehülle wärmedämmen?Hofer: Sämtliche vier Gebäude wurden in den Fassadenmit 16 cm Wärmedämmung versehen; üblich sind heute 12 cm. Im Dach und gegen das Erdreich sind dieVerbesserungen ähnlich. Im Weiteren wurde das Öko-Budget für die Installation der Ersatzluftanlage verwen-det. Allein diese beiden Massnahmen zusammen redu-zieren den Energieverbrauch um rund 50 %. Die wesentliche Energieeinsparung beim Wohnenkommt aber nicht von 4 cm mehr oder weniger Wär-medämmung, sondern durch die Siedlungsform, tech-nisch ausgedrückt durch eine niedrige Gebäudehüllen-ziffer. Dank der dichten Bauweise erreichen wir imKraftwerk bereits mit konventionellen baulichen Mass-nahmen einen sehr tiefen Energiestandard.

Schmid: Führt die verdichtete Bauweise auch zu Syner-gieeffekten im Bereich Haustechnik? Hofer: Die gemeinsame Waschküche im Geschosswoh-nungsbau ist dafür das Standardbeispiel. Wir hoffen,dass der Waschsalon dank seiner Lage für die Bewohnerso attraktiv ist, dass sie auf eine eigene Waschmaschineverzichten. Er liegt ebenerdig neben einer Bar und ei-nem Schneideratelier, welches auch Flickarbeiten erle-digt. Von der kollektiven Nutzung weiterer Infrastruk-turanlagen – Tiefkühlanlage oder Badezimmer – sindwir abgekommen, weil wir ganz bewusst nicht zu starkin die individuellen Lebensbereiche eingreifen wollten.

Schmid: Weshalb wurde die Bedarfslüftung nur ineinem der vier Gebäude ausgeführt?Hofer: 2 % der Bausumme reichen nicht weit. Um ineinem Gebäude den Minergie-Standard umzusetzen,sind nach Angaben des Vereins Minergie bis 10 % höhe-re Investitionen nötig. Soviel Geld hatten wir einfachnicht. Wir haben den Minergie-Standard daher nur imgrössten der vier Gebäude umgesetzt. Aufgrund seinerBautiefe von rund 20 m wäre es nicht möglich gewesen,die zentralen Bereiche natürlich zu belüften. Eine me-chanische Lüftung war in diesem Haus aus Komfort-gründen zwingend. Man muss aber auch sehen: Für

Solarkraftwerk

Die Genossenschaft «Kraftwerk 1» produziert eigenen Strom.

Auf drei der vier Gebäude sind Solarmodule installiert. Die

Anlagen mit einer Leistung von 9 kW, 15,5 kW und 16,5 kW

arbeiten unabhängig voneinander und speisen separat in die

jeweiligen Hauptverteilungen der Gebäude ein. Neuartig ist

die Kombination von Fotovoltaik und Gründach. Ein vom Bun-

desamt für Energie unterstütztes Projekt soll die gegenseiti-

gen Auswirkungen von Stromproduktion, Beschattung, Reten-

tion, Flora und Fauna erfassen und dokumentieren. Das Sys-

tem mit dem Namen «Solgreen» wurde von den Firmen Eneco-

lo, Solstis und Ernst Schweizer Metallbau AG in Zusammenar-

beit mit der EPF in Lausanne entwickelt. Speziell ist auch die

Finanzierung über ein Leasing. Als Investor, Erbauer und Be-

treiber fungiert die Firma Edison Power AG. Sie stellte die An-

lage gegen eine Leasinggebühr betriebsbereit zur Verfügung.

Die Genossenschaft nutzt den erzeugten Strom für den Allge-

meinverbrauch der Siedlung und kann so den Bezug vom öf-

fentlichen Netz reduzieren. Nach 10 Jahren geht die Anlage in

ihr Eigentum über. Die Rechtsform Leasing anstelle des im

Bereich Wärmeversorgung üblichen Anlagencontractings er-

gab sich aufgrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen bei

der Stromversorgung. Solange der Strommarkt nicht liberali-

siert ist, darf ein privater Produzent seinen Strom nicht direkt

einem Endkunden verkaufen. www.solarstrom.ch

Die geleaste Solaranlage ist nur eine der ökologischen

Massnahmen im Kraftwerk 1 (Bild: rw, Red.)

Page 31: Kraftwerk 1

38 tec 21 42/2001

eine Genossenschaft, die zum ersten Mal baut, war dasProjekt sehr anspruchsvoll. Wir standen unter einemenormen Druck, das Budget einzuhalten. Dies führteunweigerlich zu Abstrichen.

Schmid: Wieso wurden die Abstriche nicht bei derFotovoltaikanlage gemacht, die in der Kosten-Nutzen-Rangliste am Schluss stand? Wollte man als «Kraftwerk»einfach um jeden Preis einen Teil der Energie selberproduzieren?Hofer: Mit einer autonomen Energieversorgung hat derBegriff «Kraftwerk 1» nichts zu tun. Der Name «Kraft-werk» hat einen historischen Grund. Als Grundstückfür die Realisierung war ursprünglich ein Teil des Sulzer-Escher-Wyss-Areals vorgesehen. Dort wurden einst diegrössten Kraftwerke der Welt gebaut. Wir übernahmenden Begriff, weil wir in den Industriebrachen der Stadtneue kräftige Werke erstellen wollten – weniger in tech-nischer als in gesellschaftlicher Hinsicht. Die Fotovol-taikanlage konnten wir nur dank einem Leasing reali-sieren. Das Investitionsbudget wurde dadurch nichttangiert. Die Solarstromanlage hatte somit auch keineAbstriche bei anderen Massnahmen zur Folge.

Schmid: Trotzdem: Solarstrom ist teuer; dagegen hilftauch Leasing nicht. Wie verträgt sich die skizzierte Ideeder Vielfältigkeit damit, dass alle Genossenschafter andiesem Leasing teilhaben müssen? Hofer: Wir zwingen niemanden mitzumachen; auf-grund des Mietrechts wäre dies gar nicht möglich. Esentspricht aber einem Beschluss der Genossenschaft,dass ein Teil des Verbrauchs von Allgemeinstrom mitSolarstrom gedeckt wird. Dieser Entscheid stand in derKompetenz des Vorstands. Indem wir den Allgemein-stromverbrauch mit verschiedenen Effizienzmassnah-men, beispielsweise Wärmepumpen-Tumbler, auf einMinimum reduzierten, kommt der Einsatz von Solar-strom die Bewohner in der Endabrechnung nicht we-sentlich teurer zu stehen.

Schmid: Bekanntlich wird mit Allgemeinstrom wenighaushälterisch umgegangen, weil der Verbrauch nichtindividuell verrechnet wird. Ist es sinnvoll, den teuer-sten Strom gerade dort zu verwenden, wo am wenigstengespart wird?Hofer: Da wir beim der Bau der Fotovoltaikanlage vonSubventionen aus dem Stromsparfonds der StadtZürich profitierten, bezahlen wir für den Solarstromdeutlich weniger als die Gestehungskosten. Der Preisliegt ungefähr doppelt so hoch wie für herkömmlichenStrom. Um der Verschwendung von Allgemeinstromvorzubeugen, haben wir nicht nur technische Massnah-men getroffen. Wir klären die Bewohner auf, wie sierationell mit Ressourcen umgehen können.

Schmid: Gab es Wünsche der Bewohner, auf die Siewegen des knappen Budgets verzichten mussten?Hofer: Der Wunsch wäre natürlich gewesen, ein Null-energiehaus ohne aktives Heizsystem zu bauen. Soweitsind wir nicht, obwohl die Idee heute technisch lang-sam in greifbare Nähe rückt. Wir mussten selbstver-

ständlich auf viele technische Massnahmen verzichten.Häufig scheiterten die Ideen allerdings nicht am Geld,sondern an der Eigendynamik des Planungsprozesses:Es gab Massnahmen, die nicht einmal Mehrkosten ver-ursacht hätten, deren Durchsetzung im Bauablauf überden Generalunternehmer, den Planer und den Aus-führenden aber so kompliziert gewesen wäre, dass sieden Prozess beeinträchtigt hätte. Für mich liegt darineine der wichtigsten Folgerungen aus dem Projekt:Ökologie beim Bauen scheitert nicht daran, dass dieTechniken fehlten oder die Massnahmen zu teuerwären, sondern weil die ohnehin schon anspruchsvolleBauaufgabe durch ökologische Forderungen einfach zukomplex wird. Schlussendlich geht es bei der Ökologieam Bau um tausend Detailfragen, für deren Lösungschlicht die Zeit fehlt, insbesondere wenn man denTotalunternehmervertrag sehr früh abschliessen muss,wenn noch zu viel unklar ist. Man kann auf der StufeVorprojekt einfach nicht schon jede Türdichtung defi-nieren. Dies stände im Widerspruch zum ökonomi-schen Ablauf der Bauproduktion.Mit neuen Formen der Projektorganisation – beispiels-weise mit einem Totalunternehmer – lässt sich dieKomplexität der Bauaufgabe zwar generell besser meis-tern. Aber auch den TU fehlt das Know-how in Bau-ökologie heute noch weitgehend. Bis Ökologie nebenKosteneffizienz und Terminsicherheit zu einem zentra-len Element der TU-Leistung werden, wird es nochJahre dauern.

Schmid: Muss man alles neu erfinden, um Ökologieam Bau integral und bis ins Detail umsetzen zukönnen? Gibt es keine bewährten Instrumente, auf dieman sich abstützen kann?Hofer: Es gibt diese Werkzeuge, beispielsweise das so-genannte Eco-devis. Ich war ursprünglich skeptisch,weil ich das Gefühl hatte, solche Empfehlungen undNormen führten zu einem gedankenlosen Nachbeten.Die Erfahrung mit dem Kraftwerk brachte mich aberzur Überzeugung, dass es ohne Hilfsmittel gar nichtgeht, wenn man in so grossen Dimensionen baut. Manwird durch Grossprojekte unweigerlich etwas nor-mengläubiger, während die ideologische Haltung, etwasbesser machen zu wollen, in den Hintergrund tritt – zuRecht, wenn man sieht, was kantonale Wärmedämm-vorschriften oder neue Standards wie Minergie in denletzten Jahren zur Senkung des Energieverbrauchsbeitrugen. Bei der Wahl der Baumaterialien setzten wirdie Negativliste des kantonalen Hochbaudepartementsein. Und wir verwendeten das Instrument der Öko-bilanz für die Optimierung der Grauen Energie.

Schmid: Sie haben schon in der Vorstudienphase eineGesamtökobilanz erstellt. Dies ist noch nicht sehr ver-breitet. Welche Fragen kann man mit einer Ökobilanzbeantworten?Hofer: Wir liessen die Ökobilanz nicht über das Gebäu-de erstellen, sondern über eine fiktive Bewohnerin. DieAbsicht bestand darin, den Menschen, die hier leben,aufzuzeigen, welchen Anteil das eigene Verhalten amRessourcenverbrauch einnimmt und welchen Anteil

Page 32: Kraftwerk 1

40 tec 21 42/2001

Im Rahmen des Eröffnungsfestes werden in einer Wohnung Stromsparlampen ausgestellt. Dann öffnenwir zusammen mit dem Hauswart eine Werkstatt, wosich Mieter und Mieterinnen Werkzeuge teilen undausleihen können und Rat vom Fachmann erhalten.Wir hoffen, die Leute auf diesem Weg motivieren zukönnen, einen Teil des Unterhalts selber auszuführen.

Schmid: Was unternehmen Sie, um Strom- und Was-serverbrauch in den Haushalten zu senken?Hofer: Wir haben alle Wohnungen mit Geräten derEnergieeffizienzklasse A ausgerüstet. Im Handbuch fürdie Bewohner ist eine ganze Liste mit Massnahmenzum Stromsparen aufgeführt. Am Beispiel des zen-tralen Waschsalons wird sich zeigen, inwiefern die Rat-schläge ernst genommen werden. Wir haben dort vor-sorglich eine Messung eingerichtet: Sollte sich zeigen,dass über die Masse Strom verbraucht wird, werden wirdie verbrauchsabhängige Verrechnung einführen. Der sorgsame Umgang mit dem Trinkwasser ist uns einwichtiges Anliegen. Mit dem Einbau von Wasserspar-toiletten und effizienten Dusch- und Waschtischarma-turen haben wir technische Voraussetzungen für einensparsamen Umgang mit dem Trinkwasser geschaffen.

Schmid: Die Vision, die dem Kraftwerk 1 zugrundeliegt, propagierte die möglichst autarke Lebensgemein-schaft, das kleine geschlossene Netz, das als Kreislauf-wirtschaft funktioniert. Ist davon beim Umgang mitdem Abwasser etwas übrig geblieben? Hofer: Autarkie bedeutet für mich das Schliessen vonKreisläufen möglichst nahe der Quelle. Es geht dabeinicht um eine Ideologie, sondern schlicht um den haus-hälterischen Umgang mit Ressourcen. Das Wasserkon-zept von Kraftwerk 1 ist allerdings ein Beispiel dafür,dass sich die Idee der Kreislaufwirtschaft in kleinenNetzen häufig gar nicht mehr einfach lösen lässt. Unse-re Siedlung befindet sich 200 m von einer städtischenWasserfassung entfernt und 500 m von der ARA Werd-hölzli. Dies führt dazu, dass wir mit der Versickerungdie grössten Probleme haben, weil die Grosstechnolo-gien nicht gefährdet werden dürfen. Dazu stellt uns derhohe Grundwasserspiegel vor hydraulische Probleme.Unter diesen Voraussetzungen ist es zweifelhaft, ob ei-ne Pflanzenkläranlage Sinn machen würde. ÄhnlicheFragen stellen sich beim Kompost. Da wir auf unseremAreal praktisch keine Grünflächen haben, wissen wirgar nicht, wohin mit dem Material. Ich folgere daraus,dass bei einer städtischen Gebäudedichte eine Kreis-laufwirtschaft wegen der fehlenden Fläche gar nichtmöglich ist.

Schmid: Eine Wärmerückgewinnung aus dem Abwasserhätte kaum Platz erfordert.Hofer: Wir haben diese Massnahme evaluiert und fest-gestellt, dass sie im Vergleich zur Energieeinsparungdurch Spararmaturen weniger bringt. Eine Abwasser-WRG hätte genau wie Sonnenkollektoren die Fernwär-meversorgung aus der Kehrichtverbrennungsanlagekonkurrenziert.

das Gebäude. Das Resultat war eindeutig: Der mass-gebende Faktor liegt bei der Eigenverantwortung. DerUmgang mit der eigenen Mobilität etwa fällt viel stär-ker ins Gewicht als die Wahl der Fassadenkonstruktion.Solche Erkenntnisse haben uns sehr viel geholfen,wenn es darum ging, Massnahmen wie die Carsharing-Standplätze zu legitimieren.

Schmid: Wie reagieren die Bewohner auf die «Umwelt-kommunikation»?Hofer: Die Erfahrung ist noch zu klein, um abschlies-send urteilen zu können. Wir merken deutlich einerecht grosse Sensibilisierung für ökologische Fragen.Viele Leute ziehen wohl nicht zuletzt wegen unseremökologischen Engagement hierher. Die vielen Reaktio-nen zeigen, dass sich die Leute ernst genommen füh-len. Wenn wir den Leuten Informationen und Grundla-gen liefern, können sie besser mitbestimmen. Bei vielen Entscheiden haben wir uns auf Bewohner-Reaktionen aus ähnlichen Projekten gestützt, so bei derLüftungsanlage, die in Umfragen eine erstaunlich hoheAkzeptanz erzielt und als Komfortverbesserung erlebtwird. Aber Kommunikationsmanagement in SachenNachhaltigkeit ist natürlich eine Gratwanderung. So-bald es zu belehrend wird, entsteht Ablehnung.

Schmid: Wie informiert man, ohne zu belehren?Hofer: Wir haben die Absicht, Umweltthemen kon-tinuierlich zu thematisieren und mit den Bewohnerin-nen zu diskutieren. Die Verantwortung dafür liegt beider Ökologie-Kommission. Sie hat mit dem Vorstandzusammen einen Ordner erarbeitet, den jedes Genos-senschaftsmitglied beim Einzug erhält. Darin werdendie Anlagen erklärt und Tipps für den Umgang mit Res-sourcen im Alltag gegeben. Darüber hinaus setzen wirauf ein Controlling. Wir haben im Kraftwerk einigesinvestiert, um die Verbräuche genau zu erfassen.

No-Mix-Toilette

Im Rahmen eines Forschungsprojekts der EAWAG wurden im

Kraftwerk 1 vier Wohnungen mit so genannten No-Mix-Toilet-

ten ausgerüstet. Die WCs ermöglichen die getrennte Ablei-

tung von Urin, Fäkalien und Spülwasser. Sie könnten in Zu-

kunft das Rückgrat einer besseren Strategie der Abwasser-

reinigung bilden. Die Idee ist im Prinzip einfach und aus dem

Alltag bekannt: Das Trennen von Abfall erleichtert Entsorgung

und Aufbereitung der Materialien und erlaubt, Problemstoffe

gezielt von der Umwelt fernzuhalten. Urin enthält hohe Konzen-

trationen von Phosphor, Stickstoff, Hormonen und anderen

Stoffen, die die Gewässer belasten. Statt diese Stoffe in der

ARA mit einem enormen Aufwand aus dem Abwasser heraus-

zufiltern, möchte man den Urin schon an der Quelle separie-

ren. Toiletten, die dies ermöglichen, sind in Deutschland und

Schweden bereits auf dem Markt. Einzige Bedingung für das

Funktionieren ist, dass die Herren beim Pinkeln Platz nehmen.

Genau darauf fokussiert das Interesse der Forscher beim Ver-

such im Kraftwerk 1. Man möchte herausfinden, wie die neue

Toilette genutzt und akzeptiert wird. Das Projekt «Novaquatis»

umfasst daneben Fragestellungen technischer und wirtschaft-

licher Art. Kanalisation und Abwasserreinigung gehören zu

den teuersten Infrastrukturaufgaben. Effiziente Lösungen sind

daher von grossem Interesse. www.novaquatis.eawag.ch

Page 33: Kraftwerk 1

42 tec 21 42/2001

Schmid: Wieso habt ihr auf Regenwassernutzung ver-zichtet?Hofer: Auch wegen Platzmangel. Im Erdreich fehlte derRaum für die Speicher und in den Steigzonen für wei-tere Leitungen. Es ist unglaublich, wieviel Platz die Ver-teilung aller Gewerke in einem achtstöckigen Hausbraucht. Wir haben ausgerechnet, dass wir kapitalisiertungefähr 1 Mio. Franken verlieren, weil wir dicker däm-men und Platz für die Lüftungskanäle brauchen. Wenndie Aussenwände bei der Berechnung der Grundstücks-ausnützung mitzählen, geht die dickere Dämmung aufKosten der Nettowohnfläche. Die Stadt Zürich hat die-sen Unsinn erkannt und die Bauordnung geändert. DieBerechnung der Bruttogeschossfläche wird jetzt durchZusatzdämmung nicht mehr tangiert. Das Kraftwerkwurde allerdings nach einem Gestaltungsplan von 1995unter der alten Regel gebaut.

Schmid: Wir haben bisher von technischen Lösungenund sozialen Aspekten gesprochen. War Baubiologieauch ein Thema?Hofer: Wir haben uns da an das «Vernünftige» gehalten.Das will heissen, nur Dinge berücksichtigt, bei deneneinigermassen gesicherte wissenschaftliche Grundlagenvorliegen. Beispiel Elektrosmog: Wir haben alle Lei-tungen, Schwach- und Starkstrom, in einer Mittelzonedes Gebäudes zusammengenommen und von dort aussternförmig verteilt. Das heisst, dass die Schlafzimmernur an den innenliegenden Wänden eine Steckdose haben, nicht aber im Fensterbereich.

Schmid: Der Gebäudeunterhalt ist ein wichtiger Faktoreiner nachhaltigen Gebäudebewirtschaftung. In wel-cher Art ist das Thema in den Bauprozess eingeflossen? Hofer: Wir unterscheiden in einen Bereich «Werterhal-tung» und einen Bereich «Pflege / Reinigung». Wir ha-ben uns beim Hauptgebäude für eine teure Klinkerfas-sade entschieden, um in den nächsten 50 Jahren sichernichts machen zu müssen. Beim Unterhalt haben wiruns entschieden, einen eigenen Hauswart anzustellen,damit wir Fragen wie die Wahl der Reinigungsmitteldiskutieren können.

Schmid: Gewisse Leute behaupten, unsere Wohnbau-ten müssten, um zukunftstauglich zu sein, mit elektro-nischen Kommunikationssystemen ausgerüstet wer-den. Kommunikation hat im Kraftwerk 1 grosseBedeutung. Sie haben sich daher sicher entsprechendeGedanken gemacht. Hofer: Wir haben tatsächlich über «Electronic home»und BUS-Systeme gesprochen. Aus zwei Gründen schienes uns aber nicht ratsam, auf diesen Zug aufzuspringen:Wir sahen im Verhältnis zu den Kosten zu wenig Nut-zen für die Bewohner und wir erachteten die Systemezum Zeitpunkt der Planung als wenig ausgereift. Es istheute nicht möglich, auf dem Anspruch der elektroni-schen Vernetzung eine neue Architektur zu begründen.Wir haben eine einzige minimale Massnahme für künf-tige Bedürfnisse dieser Art getroffen: das Einlegen vonLeerrohren in sämtlichen Räumen.

Schmid: Dafür haben Sie einen Weg für einen kosten-günstigen Zugang zu Telekommunikationsdiensten undKabelfernsehen gefunden. Hofer: Es ist uns gelungen, einen einzigen Anbieter fürFernsehen, Radio, Telefon und Internet zu finden unddamit die so genannte letzte Meile zu umgehen. Allevier Medien werden über eine Glasfaserleitung ins Ge-bäude gebracht. Dies führt zu günstigeren Preisen undzu hoher Sicherheit und Leistungsfähigkeit der Über-tragung.

Schmid: In Mieterumfragen zeigt sich, dass das ThemaSicherheit hohe Priorität hat – gerade im städtischenUmfeld. Was bieten Sie den Bewohnern in dieser Hin-sicht?Hofer: Wir glauben, dass sich Sicherheit nur bedingtmit technischen Massnahmen erreichen lässt, insbeson-dere in einer so offenen Siedlung, wie wir sie gebaut ha-ben. Viel wichtiger für das Gefühl der Sicherheit sindder intensive soziale Kontakt und der Zusammenhalt,die das Kraftwerk 1 auszeichnen.

Schmid: Die «NZZ» schrieb von einem «ökologischvorbildlichen Projekt», die «WoZ» machte sich eherlustig. Wer hat recht? Hofer: Beide. Ich glaube wir haben in Sachen Nachhal-tigkeit einiges erreicht. Wir versuchten die Aufgabe sozu lösen, wie es uns in der jetzigen Welt möglich er-schien. Dabei haben wir selbstverständlich Kompro-misse gemacht. In diesem Sinn ist Kraftwerk 1 auch einreformistisches Projekt, wie es die «WoZ» anprangert.Das gilt nicht zuletzt für die Bauweise.

Page 34: Kraftwerk 1

Beckel: Wo könnten die Gründe liegen? Ist es jenerProzess der «Pragmatisierung», den Ideen in der Reali-sierung durchlaufen?Sonderegger: Ein Stück weit sicher. Je genauer maneine Sache anschaut und vor allem auch rechnet, destoeher kommt man zu realistischen Vorgaben. Ich denke,hätten die Initianten etwa das Areal geschenkt be-kommen – sicherlich eine aussergewöhnliche Aus-gangslage – dann hätten wohl mehr Varianten getestetwerden können. Nun aber entsteht das Ganze doch zumehr oder weniger marktüblichen Bedingungen. Unddamit sind allzu grosse Experimente ausgeschlossen,wie beispielsweise der Vorsatz,in einem gewissen Rahmen«autark» zu sein und die eigeneLebensmittelversorgung durchEigenproduktion zu unterstüt-zen – dies ist auf einem derartgedrängten Grundstück schlichtnicht möglich. Immerhin gab esin Zürich vor dem ZweitenWeltkrieg einige grössere Ge-nossenschaften, die auf eigenenGrundstücken anbauten – ihreVersorgung also unterstützen,jedoch nicht gänzlich deckenkonnten.

Beckel: Ist die Vorstellung desAutark-Seins in einer städti-schen Umgebung überhauptdenkbar?Sonderegger: Im städtischenUmfeld sicherlich nein. Hiermuss im optimalen Fall voneiner Aufteilung zwischen Ei-gen- und Fremdproduktion aus-gegangen werden.

tec 21 42/2001 43

Beckel: Welches sind Ihrer Meinung nach die wesentli-chen Charakteristika, die das Experiment «Kraftwerk 1»heute auszeichnen? Oder handelt es sich letztlich umeine «normale» Genossenschaft?Sonderegger: Nun, so wie ich die Entwicklung desGenossenschafts- und Bauprojekts vom Kraftwerk –persönlich und aus den Zeitungen – miterlebt habe, hates 2001 schon nicht mehr jenen fast revolutionärenCharakter, der es ursprünglich geprägt hatte. Anfäng-lich war es ein sehr umfassendes, Wohnen und Arbeitenintegrierendes Projekt mit eigener Produktion und Ver-bindungen zu Biobauern. Hier ist einiges weggefallen,natürlich auch unter dem Druck der Realität. Vielleichthätte mehr des einst Geplanten umgesetzt werden kön-nen, wäre es, wie urspünglich vorgesehen, auf demEscher-Wyss- oder Steinfels-Areal realisiert worden.Jetzt liegt es in einer Industrie- und Dienstleitungsum-gebung, weist eine hohe Dichte auf und ist baulich fastetwas eingepfercht. Für mich ist es noch immer einwichtiges Experiment, aber es hat nicht mehr die Viel-falt der ersten Tage.

Inge Beckel

Es braucht mehr Solidarität unterden GenossenschaftenAlfons Sonderegger, Dr. oec. publ., Departementssekretär im Finanzdepartement der Stadt Zürich,Präsident Familienheim-Genossenschaft Zürich FGZ (Milizvorstand)

Zentral für junge Genossenschaften ist sicherlich

die Frage, wie sie zu Geld kommen, da sie in

der Regel Forderungen nach Bürgschaften oder

Bonitäten nicht erfüllen können. Alfons Sonder-

egger war in einem für die neu gegründete

Genossenschaft «Kraftwerk 1» entscheidenden –

finanziellen – Moment in deren Entstehungs-

geschichte aktiv. Einige Gedanken zu Gefahren

und Chancen von Genossenschaften heute.

Bessere Chance für die Jungen . . .

Page 35: Kraftwerk 1

Beckel: Zurück zum Kraftwerk 1. Was hat Ihrer Mei-nung nach gut funktioniert, wo liegen die Defizite?Sonderegger: Die Mischung von Arbeits- und Wohn-möglichkeiten auf dem Areal empfinde ich als sehrpositiv. Schöner wäre es noch gewesen, wenn dieselbenLeute, die dort wohnen, auch dort arbeiteten. Dies istallerdings nicht gelungen, «Pro Mente Sana» etwa isteine Fremdmieterin. Auch das Bemühen, verschiedeneGenerationen zusammenzubringen oder behinderten-gerechtes Wohnen anzubieten, ist gut gelungen. Dassan dem Ort mit wenig Grün und hoher Dichte über-haupt Familien wohnen werden, ist bemerkenswert.Dann ist natürlich das Bemühen um kostengünstigeAngebote sehr positiv, obwohl man mit den Anteil-scheinen den Leuten wieder viel aufhalste. Die ökologi-schen Ansprüche – wie etwa die elektrosmogfreienZonen – finde ich bemerkenswert und gewagt; hier wirdsich zeigen, wie die Mieter reagieren. Auch die gemein-same Dachterrasse ist schön – dies sind klare Zeichen,dass man sich als eine Gemeinschaft versteht.

Beckel: Wo liegen die Parallelen und wo die Unter-schiede etwa zur Familienheim-Genossenschaft Zürich(FGZ), die Sie ja gut kennen?Sonderegger: Parallelen liegen im Bemühen, alsGemeinschaft zu leben. Auch bei uns am Friesenbergmehren sich die gemeinschaftlichen Lebenszeichen wieStrassen- und Quartierfeste wieder, Zeichen zunehmen-den Gemeinschaftsgefühls der Anwohner und Anwoh-nerinnen. Grössere Wohnungen demgegenüber plantund realisiert die FGZ erst in jüngster Zeit. Ein zentralerUnterschied liegt sicherlich in der sehr unterschiedli-chen Lage der zwei Genossenschaften: der Friesenberg,ein ursprünglich wenig begehrtes Gebiet, bietet heuteviele attraktive Grünräume, was immer wieder zu Dis-kussionen führt, ob so viel Grün stadtverträglich sei.Ein weiterer Unterschied liegt in der Höhe der Anteil-scheine, die die Genossenschafter erwerben müssen,unsere Anteilsummen sind deutlich geringer. Hier liegtwohl auch eine gewisse Tragik von jungen Genossen-schaften: Als die heute grossen vor rund 75 Jahrenstarteten, war die Höhe der Beiträge und der Anfangs-mieten im Verhältnis vergleichbar, doch inzwischensind die Bedingungen für Neueinsteiger im Querver-gleich bei der FGZ natürlich wesentlich einfacher zuerfüllen als bei der Wogeno oder dem Kraftwerk. Wahr-scheinlich braucht es in Zukunft eine grössere Solida-rität unter den einzelnen Genossenschaften, etwa in derArt, dass die Etablierten zu Starthelfern für Junge undNeue werden könnten.

Beckel: Das Finanzdepartement der Stadt Zürich, beidem Sie arbeiten, war in einem entscheidenden Mo-ment der Entstehungsgeschichte von Kraftwerk 1 aktiv,als es um die Finanzierung ging. Könnten Sie dies kurzdarstellen?Sonderegger: Für junge Genossenschaften ist es, wiegesagt, sehr schwierig, zu Geld zu kommen. Auch beim Kraftwerk gab es ein klassisches «Schwarz-Peter»-Spiel zwischen den unterschiedlichen möglichen Geld-gebern, weil jeder voraussetzt, dass das Finanzierungs-

44 tec 21 42/2001

konzept bereits steht, und er seine Zusicherung erstgeben will, wenn auch die andern ja gesagt haben. Sohätte das Kraftwerk 1 gemäss den Banken Bürgschaftenvorweisen sollen, und die Pensionskasse der StadtZürich verlangt aufgrund von erlittenen Verlusten (Beispiel Liberale Baugenossenschaft Zürich) neu eineBonitätsprüfung, also eine Risikobewertung wie sieauch die Banken durchführen. Eine junge Genos-senschaft aber, dienoch gar nichtgeschäften konnte,kann logischerwei-se nicht auf Bonitätgeprüft werden undfällt damit durch.Nach dem zähenund für die Kraft-werk-Initianten auf-reibenden Hin-und-Her haben meinDepartementssekre-tären-Kollege undich gefunden, esbrauche so etwaswie einen politi-schen Katalysator.Offenbar lässt sichnur etwas in Bewe-gung bringen, wennder Stadtrat für dasRisiko der Pensions-kasse gerade steht.Und so kam es zueiner Einfrage desFinanzvorstandesbeim Gesamtstadt-rat, der aufgrundder Unterlagen überdas Kraftwerk-Pro-jekt bereit war, diepolitische Verant-wortung für einHypothekardarle-hen von fünf Millionen bei der Pensionskasse zu über-nehmen. Damit war der Weg für die Pensionskasse frei,und dank ihrem Ja stiegen auch die andern Kreditgeberein. Be-merkenswert am ganzen Vorgang ist, dass dieBanken, die ja gerne von Wettbewerb und Risikobereit-schaft reden, hier einfach auf die Risikogarantie deröffentlichen Hand warteten.

. . . dank mehr Solidarität der Eta-

blierten? An- und Einsichten im Kraft-

werk 1 (Bilder: rw, Red.)