Kostenentwicklung im Gesundheitswesen: Verursachen ältere … · 2013-08-18 ·...

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Andreas Kruse, Heidelberg (Koordination) Eckhard Knappe, Trier Frank Schulz-Nieswandt, Köln Friedrich-Wilhelm Schwartz, Hannover Joachim Wilbers, Trier Kostenentwicklung im Gesundheitswesen: Verursachen ältere Menschen höhere Gesundheitskosten? EXPERTISE Erstellt im Auftrag der AOK Baden-Württemberg Januar 2003

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Andreas Kruse, Heidelberg (Koordination)Eckhard Knappe, Trier

Frank Schulz-Nieswandt, KölnFriedrich-Wilhelm Schwartz, Hannover

Joachim Wilbers, Trier

Kostenentwicklung imGesundheitswesen:

Verursachen ältere Menschenhöhere Gesundheitskosten?

EXPERTISE

Erstellt im Auftrag derAOK Baden-Württemberg

Januar 2003

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Kostenentwicklung imGesundheitswesen:

Verursachen ältere MenschenhöhereGesundheitskosten?

EXPERTISE

Erstellt im Auftrag derAOK Baden-Württemberg

Januar 2003

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Vorwort

Die Diskussion über die Zukunft der Gesetzlichen Krankenversiche-rung schließt auch die Frage nach dem Zusammenhang zwischenLebensalter und Gesundheitskosten ein. Dabei wird allgemein von derAnnahme ausgegangen, dass ältere Patienten grundsätzlich die „teu-reren“ Patienten seien, sodass auch von daher der demografischeWandel – insbesondere der deutliche Anstieg der Anzahl alter Men-schen – zu erheblichen finanziellen Risiken für die Gesetzliche Kran-kenversicherung führe.

Vorliegendes Gutachten untersucht die Zusammenhänge zwischenLebensalter und Gesundheitskosten im Detail und berücksichtigtdabei die zentralen Einflussfaktoren dieses Zusammenhangs. Dabeibehandelt das Gutachten neben demografischen Entwicklungen auchdie Frage, inwieweit sich der Gesundheitszustand in künftigen Genera-tionen alter Menschen verändern wird und welche potenziellen Folgendiese Entwicklung für die solidarische Krankenversicherung habenwird. Darüber hinaus wendet es sich der Frage zu, inwieweit durch Ver-meidung von Unter- und Überversorgung ein Beitrag zur Steigerungder Effektivität des Gesundheitswesens geleistet werden kann. In die-sem Zusammenhang wird der Frage nach den Präventionspotenzialendes Alters große Bedeutung beigemessen.

Das Gutachten schließt auch die Untersuchung der potenziellenEntwicklungen des Pflegebedarfs sowie in den Beitragssätzen derPflegeversicherung ein, da die Autoren die vermehrte Berücksichti-gung der Pflegekosten bei der Diskussion möglicher Entwicklungendes Versorgungssystems für dringend geboten halten.

Die Analysen in diesem Gutachten erfolgen aus den Perspektivender Gerontologie, der Medizin, der Ökonomie und der Sozialpolitikwis-senschaft. Diese bilden die Grundlage der im Gutachten erarbeiteteninterdisziplinären Sichtweise.Die Verfasser danken der AOK Baden-Württemberg für die Übertra-gung des Arbeitsauftrags sowie für die sehr gute Kooperation in allenPhasen des Projekts.

Heidelberg, im Januar 2003

Für die VerfasserAndreas Kruse

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Inhaltsverzeichnis

I. Gesundheitskosten aus der Perspektive des 11Lebenszyklus und der demografischen Entwicklung

1.1. Demografische Grunddaten 111.2 Zusammenhänge zwischen Lebensalter und 18

Gesundheitsausgaben

II. Eine systematische Analyse der Gesundheitskosten 31im hohen und sehr hohen Lebensalter – gegenwärtiger Stand und Entwicklungsperspektiven

2.1. Überlegungen zur Gestaltung des Gesundheitswesens 312.2. Ausgaben, Einnahmen und Beitragssätze der GKV im 34

demografischen Wandel2.3. Ergebnisse und gesundheitspolitische Relevanz der 43

Beitragssatzprojektionen für GKV2.4. Die Entwicklung der Gesetzlichen Pflegeversicherung – 49

was ist anders?2.5 Integrierte, patientenbezogene Versorgung als 53

Ansatzpunkt einer Strukturreform im Gesundheitswesen

III. Gesellschaftliches und individuelles Altern im Geflecht 56der ausgabenrelevanten Faktoren des Gesundheits-wesens

3.1. Vulnerabilität im sehr hohen Alter und ihre Bedeutung 56für die Gesundheitsausgaben

3.2. Lebenserwartung, Heimrisiko und Ausgaben- 59verschiebungen zwischen Kranken- und Pflegekassen

3.3. Die soziale Akzeptanz der GKV seitens der Versicherten 633.4. DRG-Vergütung des Akutkrankenhauses und 66

Sicherstellung von Versorgungsketten

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IV. Chronische Erkrankungen und Präventionspotenziale 70

4.1. Zur Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit präventiver 70Maßnahmen

4.2. Medizinischer Versorgungsbedarf in unterschiedlichen 71Altersgruppen: Gesundheitsindikatioren, Krankenhaus-fälle, Krankheitsspektrum und Medikation

4.3. Zur weiteren Entwicklung der Lebenserwartung 794.4. Steigende Lebenserwartung und Einfluss auf den 82

medizinischen Versorgungsbedarf4.5. Prognose des Sachverständigenrates zur zukünftigen 84

Entwicklung altersspezifischer Verbrauchsziffern4.6. Gesundheitsausgaben für chronische Krankheit und 85

Reduktionspotenziale durch verhaltensbezogeneRisikomodifikation

4.7. Zahnärztlicher Versorgungsbedarf 1004.8. Drei Szenarien zur Entwicklung des altersspezifischen 103

Zahnbestandes

V. Gegenwärtiger Stand und Entwicklung der 107Pflegeversicherung

5.1. Pflegekosten sind Gesundheitskosten 1075.2. Die aktuelle Situation der Pflegeversicherung 1105.3. Zukunftsentwicklungen der Pflegeversicherung 1155.4. Optionen für die Pflegeversicherung 121

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Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Durchschnittliche fernere Lebenserwartung 12in Deutschland

Tabelle 2: Eckdaten zum Altersaufbau der Bevölkerung 14

Tabelle 3: Anzahl der Personen in verschiedenen Altersgruppen 15(in Millionen)

Tabelle 4: Familienstand von Frauen und Männern 16in verschiedenen Altersgruppen in 1999, Angaben in Prozent

Tabelle 5: Haushaltsgrößen von Männern und Frauen 17in verschiedenen Altersgruppen in Privathaushalten, 1998, Angaben in Prozent

Tabelle 6: Anteil und Anzahl in Gemeinschaftsunterkünften 18lebender älterer Menschen, Modellrechnung

Tabelle 7: Berechnung der Pro-Kopf-Gesamtausgaben 19

Tabelle 8: Gesundheitsausgaben nach Alter und Geschlecht, 22alte Bundesländer

Tabelle 9: Erlebte Personen-Jahre von je 100.000 Personen 27ab dem Alter 67 nach Geburtskohorte und Geschlecht (Bundesrepublik Deutschland)

Tabelle 10: Sterbefälle nach Todesursachen und Alter der 29gestorbenen Männer und Frauen im Vergleich

Tabelle 11: Entwicklung der Hospiz- und Palliativeinrichtungen 30

Tabelle 12: Projektionen der Beitragssätze in der Gesetzlichen 34Krankenversicherung

Tabelle 13: Ausgaben für Gesundheit 1994 und 1995 70

Tabelle 14: Indikatoren gesundheitlicher Beeinträchtigung 72

Tabelle 15: Subjektive Gesundheitsindikatoren 73

Tabelle 16: Krankenhausfälle pro 1000 altersgleiche Einwohner 74(1993), nach Krankheits- und Altersgruppen aufgeschlüsselt

Tabelle 17: Anteil einzelner Krankheitsgruppen (Hauptdiagnosen) 75an den Krankenhausfällen im Jahre 1993, nach Altersgruppenaufgeschlüsselt, in Prozent

Tabelle 18: Anteil der häufigsten stationär behandelten 77Krankheiten im Alter (1993), je Altersgruppe, in Prozent

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Tabelle 19: Diagnoseprävalenzen nach Diagnosesicherheit, 78Schweregrad, Beschwerdegrad, Medikation und Medikationsbedarf (gewichtete Daten; Angaben in Prozent)

Tabelle 20: Zentrale Indikatoren der Multimorbidität und Multi- 79medikation nach Alter und Geschlecht mit Schätzung der Populationsprävalenzen (Angaben in Prozent)

Tabelle 21: Lebenszeitverlängerung durch medizinisch- 81präventive und kurative Maßnahmen

Tabelle 22: Kumulation medizinischer Leistungen vor dem Tode 83

Tabelle 23: Daten des Gesundheitssurveys Ost-West 1990–1992 86zur Prävalenz ischämischer Herzerkrankungen

Tabelle 24: Maximale Reduktion der jährlichen Gesundheits- 87ausgaben für Behandlung und Krankheitsfolgeleistungen bei ischämischen Herzkrankheiten und Herzinfarkt (in Millionen DM)

Tabelle 25: Reduktion der jährlichen Gesundheitsausgaben für 88Behandlung und Krankheitsfolgeleistungen bei ischämischen Herzkrankheiten und Herzinfarkt bei realistisch erreichbarer Elimination der jeweiligen Risikofaktoren (in Millionen DM)

Tabelle 26: Kardiovaskuläre Risikofaktoren nach Alter und 89Geschlecht mit Schätzung der Populationspräferenzen (Angaben in Prozent).

Tabelle 27: Daten des Gesundheitssurveys Ost-West 1990–1992 90zur Prävalenz von Schlaganfallerkrankungen

Tabelle 28: Maximale Reduktion der jährlichen Gesundheits- 91ausgaben für Behandlung und Krankheitsfolgeleistungen bei Schlaganfall bei vollständiger Elimination der jeweiligen Risiko-faktoren (in Millionen DM)

Tabelle 29: Reduktion der jährlichen Gesundheitsausgaben für 92Behandlung und Krankheitsfolgeleistungen bei Schlaganfall bei realistisch erreichbarer Elimination der jeweiligen Risikofaktoren(in Millionen DM)

Tabelle 30: Osteoporoseprävalenz bei weißen Frauen in den 93Vereinigten Staaten

Tabelle 31: Inzidenz von Hüftfrakturen bei schwedischen Frauen 93

Tabelle 32: Daten des Gesundheitssurveys Ost-West 1990–1992 95zur Lebenszeitprävalenz von Hypertonie.

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Tabelle 33: Daten des Gesundheitssurveys Ost-West 961990–1992 zur Lebenszeitprävalenz von erhöhten Blut-fettwerten und Hypercholesterinämie

Tabelle 34: Daten des Gesundheitssurveys Ost-West 1990–1992 97zur Prävalenz des Rauchens (Selbstangaben „Raucher“)

Tabelle 35: Daten des Gesundheitssurveys Ost-West 1990–1992 99zur Lebenszeitprävalenz des Diabetes

Tabelle 36: Operationalisierung der zahnmedizinischen 104funktionellen Kapazität und Verteilung der BASE-Teilnehmer nach Belastbarkeitsstufen (BS) unter Berücksichtigung von Alter und Geschlecht

Tabelle 37: Zeitraum seit dem letzten Zahnarztbesuch 105(in Monaten) in Abhängigkeit von der zahnmedizinischen funktionellen Kapazität (Belastbarkeitsstufen BS 1–4)

Tabelle 38: Leistungsempfänger der sozialen Pflege- 116versicherung

Tabelle 39: Szenarien zum Verhältnis von professioneller 119und häuslicher Pflege

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Direkte demografische Effekte auf die 23zukünftigen GKV-Behandlungsausgaben insgesamt

Abbildung 2: Direkte demografische Effekte auf die 24zukünftigen GKV-Behandlungsausgaben pro Kopf

Abbildung 3: Restlebenszeiteffekt – angegeben ist der Anteil 25der Gesundheitskosten, die in den letzten vier Lebensjahren in der Gruppe der 65-Jährigen und Älteren entstanden sind

Abbildung 4: Versteilerung der GKV-Ausgabenprofile 28

Abbildung 5: Veranschaulichung der Entwicklung von Beiträgen 36der GKV in den verschiedenen Abschnitten des Lebenslaufs

Abbildung 6: Leistungsausgaben der GKV für Mitglieder in den 37verschiedenen Abschnitten des Lebenslaufs

Abbildung 7: Der faktische Behandlungs- und Ausgabenbedarf 38in den verschiedenen Abschnitten des Lebenslaufs

Abbildung 8: Berechnung der Pro-Kopf-Gesamtausgaben 40

Abbildung 9: Die Ausgabenschere zwischen Rentnern und 42Mitgliedern öffnet sich immer weiter

Abbildung 10: Der Zusammenhang zwischen Alter(n) und Aus- 44gaben – das Erklärungsschema des Wirkungszusammenhangs

Abbildung 11: Eine einfache Formel für Beitragssatzprojektionen 46in der GKV

Abbildung 12: Einnahmen-Ausgaben-Profile der Pflege- 50versicherung

Abbildung 13: Beitragssätze in der gesetzlichen Pflege- 52versicherung 1995–2050 – Bandbreite der vier Szenarien

Abbildung 14: Integrierte Versorgung 54

Abbildung 15: Deregulierung der Versorgungsverträge 55

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Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

I. Gesundheitskosten aus der Perspektive des Lebenszyklus und der demografischen Entwicklung

1.1. Demografische Grunddaten

Der demografische Wandel in Deutschland ist durch zwei Entwicklun-gen entscheidend geprägt: zum einen durch die zunehmende Alterungder Bevölkerung, zum anderen durch die Zuwanderung. ImZusammenhang der Fragestellung dieses Gutachtens ist die erst-genannte Entwicklung die bedeutsamere, wenngleich auch Fragen derZuwanderung relevant für die Kosten der Gesundheitsversorgung älte-rer Menschen sind. Die Alterung der Bevölkerung ist im Wesentlichendurch zwei Ursachen begründet. Zum einen ist die Lebenserwartungständig gestiegen, zum anderen ist die Geburtenzahl bis auf ein Niveaugesunken, welches einem Drittel unter dem Generationenersatz ent-spricht. – An dieser Stelle sollen einige für dieses Gutachten besonderswichtige demografische Daten aufgeführt werden.

Lebenserwartung

Die Lebenserwartung für neugeborene Mädchen und Jungen inDeutschland lag noch in der Zeit von 1871 bis 1881 bei 38 bzw. 36Jahren. Mittlerweile hat sich diese mehr als verdoppelt. Die Sterblich-keit war früher auf alle Lebensalter verteilt mit einer sehr stark ausge-prägten Säuglings- und Kindersterblichkeit, heute treten dagegen diemeisten Todesfälle jenseits des 70. Lebensjahres ein.

Die aktuelle Lebenserwartung von im Jahr 2000 geborenen Kindernbeziffert das Statistische Bundesamt (2001) mit 80,6 Jahren bei Mäd-chen und 74,4 Jahren bei Jungen. Bomsdorf (2001) hält diese auf derBasis von Periodensterbetafeln gewonnenen Werte für systematischunterschätzt. Nach den von ihm zugrunde gelegten Kohortensterbe-tafeln liegt die Lebenserwartung bei Jungen des Geburtsjahrganges2000 zwischen 78,3 und 79,3 Jahren, bei Mädchen zwischen 85,6 und86,7 Jahren.

Bei beiden Berechnungen wird davon ausgegangen, dass sich dieSterblichkeit weiter in das sehr hohe Lebensalter verschiebt. EineKennziffer dafür ist das Medianalter, das jenes Alter bezeichnet, in dem

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eine Hälfte eines Jahrganges verstorben ist. Der Wert für die im Jahr2000 geborenen Kinder beträgt nach Berechnungen des StatistischenBundesamtes 83,4 Jahre für weibliche und 77,3 Jahre für männlicheNeugeborene, nach Bomsdorf (2001) sogar zwischen 87,9 und 88,9Jahren bei den Mädchen und zwischen 80,8 und 81,8 Jahren bei denJungen. (In der Demografie wird der Begriff Medianalter noch in einemzweiten Zusammenhang benutzt: Damit wird das Alter bezeichnet, daseine Bevölkerung in zwei gleich große Gruppen aufteilt. Es liegt inDeutschland zurzeit bei etwas über 40 Jahren. Davon zu unterschei-den ist das Durchschnittsalter, das den Mittelwert des Alters der Bevöl-kerung darstellt. Dieses beträgt in Deutschland zurzeit ca. 41 Jahre.Beide Werte werden in den nächsten Jahren deutlich steigen mit derBesonderheit, dass ab ca. 2005 das Medianalter höher sein wird alsdas Durchschnittsalter.)

Relevant ist jedoch nicht nur die Lebenserwartung bei der Geburt,sondern auch die weitere Lebenserwartung, wenn bereits mehrereJahre oder Jahrzehnte des Lebens vergangen sind. In Tabelle 1 ist diefernere Lebenserwartung für Männer und Frauen im Alter von 60 bzw.im Alter von 80 Jahren angegeben, und zwar jeweils auf der Berech-nungsbasis der Sterbetafeln von 1991/93 bzw. von 1997/99.

Es ist zu erkennen, dass sich die durchschnittliche fernere Lebens-erwartung in einem sehr kurzen Zeitraum deutlich erhöht hat: und zwarim Alter von 60 Jahren um 1,2 Jahre, im Alter von 80 Jahren um 0,7Jahre. Es ist derzeit nicht zu erkennen, dass sich diese Entwicklungabschwächen würde. Damit ist bereits für die nähere Zukunft mit einerweiteren deutlichen Steigerung der ferneren Lebenserwartung zu rech-nen (siehe auch Kruse, 2001; Kruse, Gaber, Heuft, Oster, Re & Schulz-Nieswandt, 2002).

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Tabelle 1:Durchschnittliche fernere Lebenserwartung in Deutschland

(Quelle: Statistisches Bundesamt, 2001; Deutscher Bundestag, 2002)

Sterbe- Männer im Frauen im Männer im Frauen imtafel Alter 60 Alter 60 Alter 80 Alter 80

1991/93 17,8 22,1 6,2 7,7

1997/99 19,0 23,3 6,9 8,4

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Anzahl und Anteil älterer Menschen

Die absolute Zahl älterer Menschen ist zwar wesentlich von der Sterb-lichkeitsentwicklung beeinflusst, sie hängt jedoch auch von der Beset-zungszahl der Jahrgänge, die in der deutschen Geschichte sehr starkvariierte, sowie von der Zuwanderung und Abwanderung ab, die beider jetzigen älteren Generation eine geringere, in Zukunft aber einegrößere Rolle spielen wird.1 Der Altenquotient ist zudem von der zah-lenmäßigen Größe der anderen Altersgruppen abhängig.

Bei einzelnen Fragestellungen steht die absolute Zahl der älterenMenschen im Zentrum des Interesses, zum Beispiel wenn die Versor-gungsstruktur thematisiert wird. Bei anderen Fragestellungen sind hin-gegen die Verhältniszahlen von größerer Bedeutung, zum Beispiel beider Frage nach den Sozialversicherungen.

Die Daten für die zukünftige Entwicklung werden in Modellrechnun-gen ermittelt. Die Autoren der verschiedenen Studien legen Wert da-rauf, dass diese Modellrechnungen nicht mit Prognosen verwechseltwerden. Die Modelle sind die rechnerischen Ergebnisse der Kombina-tion der aktuellen Situation mit Annahmen über die Zukunft. Ändernsich die Annahmen, so ändern sich auch die Ergebnisse. Keine Studiebehauptet also, dass eine bestimmte Entwicklung eintreten wird, son-dern legt lediglich dar, welche Entwicklungen unter bestimmten defi-nierten Annahmen stattfinden werden. Daher gibt es zahlreicheModellrechnungen mit verschiedenen Varianten. So kombiniert zumBeispiel das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (1999) zweiAnnahmen über die Lebenserwartung mit zwei Annahmen über dieZuwanderung und erhält somit vier Varianten, die sich erheblich von-einander unterscheiden. So ergibt die Variante IA (niedrigere Lebens-erwartung, niedrige Zuwanderung) für das Jahr 2050 eine Bevölke-rungszahl in Deutschland von 60,1 Millionen, während die Variante IIB(hohe Lebenserwartung, hohe Zuwanderung) bei 73,0 Millionen liegt(siehe dazu auch Kruse, 2001). Ob in Deutschland in Zukunft 13 Millio-nen Menschen mehr oder weniger leben, ist von hoher Relevanz für diedann vorherrschenden Lebensverhältnisse sowie die wirtschaftlichen

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Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

1 Normalerweise wird die Altersgrenze, ab der Personen zu den „älteren Menschen“ gerechnet werden, bei 60 oder 65Jahren gesetzt. Dies ist eine Konvention, die nicht rechtlich oder gar wissenschaftlich zu begründen ist. Zwar ist fürdas Ausscheiden aus dem Erwerbsleben das 65. Lebensjahr zumindest für Männer vorgesehen, jedoch ist diese Altersgrenze weitgehend nicht relevant für den tatsächlichen Berufsausstieg. Auch ist weder das 60. nochdas 65. Lebensjahr besonders kennzeichnend für gesundheitliche Einschränkungen, Pflegebedürftigkeit oderSterbehäufigkeit. Insofern sind auch Einteilungen wie die, dass die 20- bis 60-Jährigen den „aktiven“ Bevölke-rungsteil bilden, der für die unter 20-Jährigen und die über 60-Jährigen zu sorgen hätte, in vielerlei Hinsicht falsch,zum Beispiel auch deshalb, weil längst nicht alle 20- bis 60-Jährigen erwerbstätig sind.

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und sozialen Rahmenbedingungen. Im Sinne einer Prognose zubestimmen, wie die Lebensverhältnisse genau aussehen werden, istnicht möglich. Es ist lediglich von der stärkeren Plausibilität der einenoder anderen Annahmen-Kombination auszugehen und so ein wahr-scheinlicheres Szenario zu definieren (siehe dazu auch DeutscherBundestag 1998, S. 123f). In den meisten Veröffentlichungen werdender Argumentation „mittlere“ Varianten zugrunde gelegt; dies gilt auchfür die Neunte Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des Bun-des und der Länder (Bundesministerium des Innern, 2000), auf die hierzurückgegriffen wird. Deren wesentliche Annahmen sind: (a) Steige-rung der Lebenserwartung Neugeborener auf 78,1 Jahre (Jungen)bzw. auf 84,5 Jahre (Mädchen), (b) Geburtenhäufigkeit: 1,39 Geburtenpro Frau, (c) Zuwanderungssaldo ausländischer Staatsangehöriger biszum Jahre 2003 auf 100.00 pro Jahr steigend, bis zum Jahre 2008 auf200.000 pro Jahr steigend, ab dem Jahre 2008 konstant 200.000.Danach ergibt sich für das Jahr 2050 eine Bevölkerungsgröße von 70,4Millionen Menschen. Für den Altersaufbau im Hinblick auf die ältereBevölkerung ergeben sich die in Tabelle 2 aufgeführten Eckdaten:

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

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Jahr Altenquotient Altenquotient Hochbetagten-65/25 60/20 quotient

1991 26,8 35,2 5,11999 28,6 41,3 4,82010 36,1 45,6 6,52020 39,1 52,8 8,72030 50,7 69,6 9,02040 57,8 71,7 11,62050 57,3 74,7 15,6

Tabelle 2:Eckdaten zum Altersaufbau der Bevölkerung

(Quelle: Deutscher Bundestag, 2002, S. 55 und S. 66)

Erläuterungen: Altenquotient 65/25 = Personen im Alter von 65 Jahren und älter,bezogen auf 100 Personen zwischen 25 und unter 65 JahrenAltenquotient 60/20 = Personen im Alter von 60 Jahren und älter,bezogen auf 100 Personen zwischen 20 und unter 60 JahrenHochbetagtenquotient = Personen über 80 Jahren, bezogen auf 100Personen zwischen 20 und unter 80 Jahren

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Aus Tabelle 2 und Tabelle 3 geht hervor, dass die in den neunzigerJahren relativ stabilen demografischen Verhältnisse im ersten Jahr-zehnt des neuen Jahrhunderts erheblich an Dynamik gewinnen wer-den. Während in den Jahren zwischen 1990 und 2000 die Zahl derüber 80-Jährigen auf Grund des Geburtendefizits des Ersten Welt-kriegs zunächst sank und sich dann wieder dem vorherigen Standannäherte und auch das zahlenmäßige Verhältnis der über 80-Jährigenzu den 20- bis 80-Jährigen sich zunächst verringerte, gibt es im 21. Jahrhundert eine ungebrochene Steigerung bei den hochbetagtenMenschen – sowohl hinsichtlich der absoluten Anzahl als auch hin-sichtlich des Zahlenverhältnisses zu den Jüngeren. Wenn man mitBomsdorf (2001) davon ausgeht, dass die Lebenserwartung deutlichersteigt, als dies bisher angenommen wurde, so ergibt sich schon alleindaraus eine noch stärkere Dynamik.

Da das Alter, auch das hohe und sehr hohe Alter, für sich genom-men keine größere gesundheitliche Belastung oder gar dauernde Pfle-gebedürftigkeit bedeutet, lassen sich durch die berichteten Zahlenallein noch keine Versorgungs- und Finanzierungsnotwendigkeiten ab-leiten. Allerdings wäre dies der Fall, wenn sich die Prävalenz bestimmterErkrankungen in bestimmten Lebensaltern in Zukunft nicht ändernwürde. Das Krankheitsgeschehen innerhalb der Bevölkerung bzw. ineinzelnen Altersgruppen ist von verschiedenen, zum Teil durchauspositiven Entwicklungen geprägt, die später erörtert werden sollen.Allerdings ist nicht zu erwarten, dass ein verbesserter Gesundheitszu-stand bzw. ein Hinausschieben von bestimmten häufigen Erkran-kungen in spätere Lebensjahre die quantitativen Entwicklungen bei denhöheren Altersgruppen in einem Maße zu kompensieren vermag, dasseine Erweiterung der Versorgungs- und Pflegekapazitäten unnötig wird.

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Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

Jahr 60 80 90und älter und älter und älter

1971 15,6 1,5 0,12000 18,8 2,9 0,52020 22,9 5,0 0,82050 25,2 7,9 1,5

Tabelle 3:Anzahl der Personen in verschiedenen Altersgruppen (in Millionen)

(Quelle: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,2002, S. 55)

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Familienstand, Familienstrukturen

Der Versorgungsbedarf im Krankheits- und besonders im Pflegefall istnicht nur abhängig von den zugrunde liegenden Erkrankungen, son-dern auch von den unterstützenden Ressourcen. Dies sind räumlicheund technische Hilfen, im Besonderen aber auch Formen der personel-len Unterstützung (siehe dazu auch Finlayson, 2002).

Besondere Bedeutung kommt dabei den nahen Familienangehöri-gen zu, die den größten Teil dieser Unterstützung übernehmen (Schnee-kloth & Müller, 2000). Die Familienstrukturen sind in einem Wandelbegriffen, der noch lange nicht abgeschlossen sein wird. Er führt – be-trachtet man ihn über mehrere Generationen – (a) durch geringere Hei-ratsneigung, (b) durch höhere Scheidungszahlen, (c) durch weniger Wie-derverheiratungen, (d) durch eine höhere Anzahl nicht ehelicher Lebens-gemeinschaften und (e) durch eine geringere Anzahl von Kindern zu klei-neren und komplexeren Familienkonstellationen (vgl. Wilbers, 1994).

Da der größte Teil der Hilfe durch Ehepartner geleistet wird (Blinkert& Klie, 1999), kommt dem Familienstand für die familiäre Unterstüt-zung besondere Bedeutung zu. Es zeigt sich, dass die familiäre Situa-tion von Männern und Frauen im Alter äußerst verschieden ist: Wäh-rend selbst die über 80-jährigen Männer überwiegend mit der Ehepart-nerin zusammen leben, ist diese Lebensform nur bei einer Minderheitder Frauen anzutreffen – dies zeigen die in Tabelle 4 berichteten Daten.

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

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Familienstand Frauen Männer Frauen Männer Frauen Männer70–74 70–74 75–79 75–79 80+ 80+

Ledig 7,3 3,0 8,0 2,5 6,4 2,7

Verwitwet 40,1 11,3 56,9 17,9 78,4 34,8

Geschieden 4,8 2,6 4,7 2,1 2,1 1,7

Verheiratet, 1,2 1,4 1,1 1,3 1,1 1,7getrennt lebend

Gesamt:Allein stehend 53,4 18,4 70,6 23,9 89,5 41,1

Gesamt:Verheiratet, zu- 46,6 81,6 29,4 76,1 10,5 58,9sammen lebend

Tabelle 4: Familienstand von Frauen und Männern in verschiedenenAltersgruppen in 1999, Angaben in Prozent (Quelle: Bundesministe-

rium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2002, S. 124,sowie Berechnungen der Autoren)

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Aus dieser Verteilung von Familienstandstrukturen ergibt sich fastzwangsläufig die in Tabelle 5 aufgeführte Verteilung der Haushaltsgrö-ßen, die einen mit dem Alter steigenden Anteil der allein Lebenden auf-weist. Auch aus diesen Daten lassen sich für die Hilfestrukturen keineunmittelbaren Erkenntnisse ableiten. Zwar ist die Wahrscheinlichkeithoch, dass im Bedarfsfall vom Ehepartner oder einer anderen Person,die im gemeinsamen Haushalt wohnt, Unterstützung gewährt wird.Jedoch bedeutet allein stehend zu sein oder in einem Ein-Personen-Haushalt zu wohnen noch nicht, dass keine Personen im privatenUmfeld zur Verfügung stehen, die verlässlich Hilfe leisten, weil zumBeispiel in vielen Fällen Kinder zwar nicht im selben Haushalt, aberdoch in unmittelbarer Nähe wohnen.

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Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

Größe des Frauen Männer Frauen Männer Frauen Männerdes Haushalts 70–74 70–74 75–79 75–79 80+ 80+1 Person 45,1 13,9 60,7 18,6 71,5 32,7

2 Personen 48,4 75,8 33,0 73,9 17,6 59,4

3 und mehr 6,5 10,2 6,3 7,5 10,9 7,9Personen

Tabelle 5:Haushaltsgrößen von Männern und Frauen in verschiedenen Altersgruppen in Privathaushalten, 1998, Angaben in Prozent(Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Bundesministerium

für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2001, S. 213, nach Daten des Statistischen Bundesamtes, Mikrozensus)

Aussagen zu Familien- und Haushaltsstrukturen der Zukunft sindäußerst schwer zu treffen, da sehr viele Annahmen über das künftigeHeirats-, Scheidungs-, Wiederverheiratungs- und Geburtsgeschehengetroffen werden müssen sowie über die Wohn- und wirtschaftlicheSituation. Vieles hängt auch von der jeweils aktuellen Rechtslage ab,über deren Veränderungen es kaum oder gar nicht möglich ist, Annah-men zu treffen. Eine im Dritten Altenbericht veröffentlichte Modellrech-nung bis zum Jahr 2040 des Bundesinstituts für Bevölkerungsfor-schung geht davon aus, dass der Anteil der in Heimen Lebenden sowieder Ledigen und Geschiedenen steigen wird, während der Anteil derVerwitweten besonders in der Altersgruppe der über 80-Jährigenzurückgeht. Da aber die Gesamtzahl der Personen insgesamt starksteigt, ist selbst bei sinkenden Anteilen von einer steigenden Anzahl

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auszugehen. Wegen der großen Zahl von Annahmen, die in dieseModellrechnung eingegangen sind, ist sie eher als Trendaussage zuwerten. Dennoch seien hier die Zahlen für die in Gemeinschaftsunter-künften (Altenheime, Pflegeheime, Altenstifte) lebenden älteren Men-schen genannt, die einen Trend zu einem stark steigenden Versor-gungsbedarf im stationären Bereich aufzeigen, auch wenn die Datennur eingeschränkt interpretierbar sind (siehe Tabelle 6).

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

18

Jahr 65- bis 65- bis 80-jährige 80-jährige79-jährige 79-jährige und ältere und ältere

Männer Frauen Männer Frauen2000, Anteil 1,2 1,4 5,3 13,2

2020, Anteil 2,6 1,5 5,4 12,0

2040, Anteil 5,6 2,6 7,4 13,8

2000, Anzahl 56.000 90.000 42.000 280.000 468.000

2020, Anzahl 149.000 103.000 112.000 426.000 790.000

2040, Anzahl 369.000 197.000 199.000 616.000 1.381.000

Tabelle 6:Anteil und Anzahl in Gemeinschaftsunterkünften lebender

älterer Menschen, Modellrechnung(Quelle: Eigene Zusammenstellung und Berechnung nach Bundes-

ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2001, S. 219f)

1.2. Zusammenhänge zwischen Lebensalter undGesundheitsausgaben

Die Analyse altersgruppenspezifischer Verbrauchsziffern spricht füreinen ausgeprägten Alterseffekt: In höheren Altersgruppen fallen deut-lich höhere Pro-Kopf-Ausgaben an als in jüngeren Altersgruppen. Diemeisten der je Beitragszahler benötigten Gesundheitsausgaben ent-stehen in den beiden letzten Lebensjahren.

In Tabelle 7 sind die Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben für Überle-bende und Sterbende in der Altersgruppe der 60- bis 100-Jährigeneinander gegenübergestellt. Zum einen sprechen die in dieser Tabelleaufgeführten Daten für einen anhaltenden Anstieg der Gesundheits-ausgaben über den Zeitraum des hohen Alters („drittes Lebensalter“, 60–85 Jahre) wie auch des sehr hohen Alters („viertes Lebensalter“,

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* Durchschnittliche Pro-Kopf-Ausgaben im Jahr in DM.** Die Sterbewahrscheinlichkeiten von Männern und Frauen wurden aus Gründen der Übersichtlichkeit gemittelt.

85–100 Jahre) – wobei vom 60. bis zum 90. Lebensjahr eher von einemgraduellen (kontinuierlichen), vom 90. bis 100. Lebensjahr eher voneinem sprunghaften (diskontinuierlichen) Anstieg der Gesundheitsaus-gaben auszugehen ist.

19

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

Gesundheits- Gesundheits- Sterbe- Überlebens- Gesamt-ausgaben ausgaben wahrschein- wahrschein- ausgaben*

Altersgruppe für für lichkeit in lichkeit in = A3/100*Überlebende* Sterbende* Prozent** Prozent A2+A4/100*A1

(A1) (A2) (A3) (A4)

60 bis unter 65 3620,05 88 552,67 1,54 98,46 4928,01

65 bis unter 70 3777,67 76 105,54 2,31 97,69 5448,44

70 bis unter 75 4017,74 58 606,24 3,98 86,02 6190,36

75 bis unter 80 4331,45 45 062,95 6,71 93,29 7064,53

80 bis unter 85 4669,31 35 242,50 10,66 89,34 7928,42

85 bis unter 90 5007,00 27 552,57 16,00 84,00 8614,29

90 bis unter 95 5639,18 20 098,00 22,88 77,12 8947,36

95 bis unter 100 7749,33 11 217,27 31,47 68,53 8840,69

Tabelle 7:Berechnung der Pro-Kopf-Gesamtausgaben

(Berechnungen der Autoren; Datenbasis: Breyer, 1999)

Zum anderen machen die Daten deutlich, dass die Ausgaben fürSterbende über den Ausgaben für Überlebende liegen, wobei dieseDifferenz im dritten Lebensalter besonders stark ausgeprägt ist und imvierten Lebensalter eher zurückgeht. Zudem nehmen die Sterbekostenmit wachsendem Lebensalter ab; im vierten Lebensalter sind dieseerkennbar niedriger als im dritten Lebensalter. Schließlich zeigt sich,dass die Pro-Kopf-Gesamtausgaben von der Altersgruppe der 60- bis65-Jährigen bis zur Altersgruppe der 90- bis 95-Jährigen kontinuierlichansteigen und in der höchsten Altersgruppe (95- bis 100-Jährige)leicht abnehmen, wobei die Zunahme der Gesamtausgaben auchdadurch bedingt ist, dass die Sterbewahrscheinlichkeit mit wachsen-dem Alter deutlich steigt. Auf der Grundlage der in Tabelle 7 aufgeführ-ten Daten lässt sich die Feststellung treffen, dass

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a. die Gesundheitsausgaben für Überlebende über den Zeitraumdes hohen und sehr hohen Lebensalters steigen, dass b. die Gesund-heitsausgaben für Sterbende über den Zeitraum des hohen und sehrhohen Lebensalters abnehmen, dass c. die Gesamtausgaben über denZeitraum vom 60. bis zum 95. Lebensjahr steigen und im Zeitraum vom95. bis zum 100. Lebensjahr leicht abnehmen.

Allerdings darf bei der Interpretation der aufgeführten Daten nichtübersehen werden, dass es sich um Ergebnisse von Querschnitts-analysen handelt, die sowohl Altersunterschiede als auch Kohorten-unterschiede abbilden: Die Angehörigen älterer Kohorten weisen imDurchschnitt eine schlechtere Gesundheit auf als die Angehörigenjüngerer Kohorten, sodass die Annahme aufgestellt werden kann, dassdie Kohorten älterer Menschen in Zukunft einen besseren Gesund-heitszustand aufweisen werden als die entsprechenden Alterskohortenin der Gegenwart.

Dinkel (1999) hat auf der Basis von Mikrozensusdaten des Zeit-raums 1978 bis 1995 die Entwicklung des subjektiven Gesundheits-zustandes im Alter und den Zuwachs der durchschnittlichen Lebens-erwartung in Gesundheit in der Abfolge der Geburtsjahrgänge 1907,1913 und 1919 untersucht und kommt zu dem Schluss, dass sowohlfür das dritte als auch für das vierte Lebensalter im Durchschnitt eineVerbesserung des Gesundheitszustandes angenommen werden kann.Dinkel kommt auf der Grundlage seiner Befunde zu folgender Bewer-tung: „Man kann zumindest für die jüngere Vergangenheit in derBundesrepublik die weit verbreitete pessimistische These nicht längeraufrechterhalten, wir würden zwar immer älter, aber auch gleichzeitigimmer kränker“ (1999, S. 79). Die Sachverständigenkommission desDritten Berichts zur Lage der älteren Generation in der BundesrepublikDeutschland stellt ebenfalls fest: „Die Kommission wendet sichbewusst gegen immer noch vorherrschende Auffassungen einer dra-matischen Ausweitung der Gebrechlichkeit mit zunehmender Lang-lebigkeit der Bevölkerung. Es spricht vieles dafür, dass die – unter Hin-weis auf die demografische Alterung unserer Gesellschaft – vor-gebrachten Befürchtungen eines massiven Anstiegs der Gesundheits-ausgaben auf zu pessimistischen Annahmen über die voraussichtlicheEntwicklung des Gesundheitszustands der Alten der Zukunft beruhen“(Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2000,S. 48).

Die im hohen und sehr hohen Alter notwendigen Behandlungs- undKrankheitsfolgeausgaben gehen zum Großteil auf chronische Erkran-

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

20

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kungen zurück, deren Auftreten sich durch gezielte Maßnahmen derRisikomodifikation zum Teil verhindern, zum Teil hinauszögern lässt(vgl. Kruse, 2002; Kruse, Gaber, Heuft, Oster, Re & Schulz-Nieswandt,2002; Walter, 2001; Walter & Schwartz, 2001). Unter der Voraus-setzung, dass der mögliche Zugewinn an Lebenserwartung begrenztist, lässt sich folgern, dass durch Stärkung der Prävention die Aus-gabenentwicklung positiv beeinflusst und damit ein wichtiger Beitragzur Erhaltung der Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems geleistetwerden kann. Fortschritte der kurativen Medizin allein werden dagegenaller Wahrscheinlichkeit nach keine Einsparungen zur Folge haben.Insbesondere im Bereich der Zahnmedizin wird deutlich, dassGesundheitsgewinne auch ihren Preis haben.

Allerdings darf nicht übersehen werden, dass auch in der Geriatrieeine deutliche Zunahme der Behandlungskosten auf Grund zuneh-mender Potenziale in Diagnostik, Therapie und Rehabilitation zu kon-statieren ist, die auch Auswirkungen auf die Gesundheitsausgabenhat.

Wenn die Frage nach den Auswirkungen des demografischen Wan-dels auf die Entwicklung der Gesundheitsausgaben gestellt wird, istzwischen Kalender- und Restlebenszeiteffekten zu differenzieren (Lau-terbach & Stock, 2001; Ulrich, 1998, 2001). Kalendereffekte beziehensich auf Unterschiede in der Morbidität zwischen Altersgruppen, Rest-lebenszeiteffekte dagegen auf Unterschiede zwischen den in einemdefinierten Zeitraum Versterbenden und Nicht-Versterbenden. DieErwartung einer Kostenexplosion als Folge der demografischen Ent-wicklung geht darauf zurück, dass bei der Prognose zukünftiger Ver-brauchsziffern im Gesundheitssystem Kalendereffekte extrapoliert undRestlebenszeiteffekte in ihrer Bedeutung unterschätzt werden. InTabelle 8 sind die im Jahre 1995 in den alten Bundesländern pro Kopfangefallenen Behandlungsausgaben nach Alter und Geschlecht auf-geschlüsselt.

Aus dieser Tabelle geht hervor, dass die im Durchschnitt pro Kopfanfallenden Behandlungsausgaben mit dem Alter zunehmen. In dieserTabelle wird der gesamte Lebenszyklus abgebildet und nicht nur dashohe und sehr hohe Lebensalter; die bereits getroffene Aussage überden Zusammenhang zwischen Lebensalter und Höhe der Behand-lungskosten wird bestätigt. Die jährlichen Behandlungsausgaben für80-jährige und ältere Menschen sind fast sechsmal so hoch wie jenefür 0- bis 14-Jährige, etwa 50 Prozent höher als jene für 65- bis 69-Jährige und etwa 25 Prozent höher als jene für 70- bis 74-Jährige.

21

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

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Des Weiteren wird deutlich, dass die durchschnittlichen Behandlungs-kosten unter den Frauen bis zur Altersgruppe der 50- bis 54-Jährigenhöher, mit weiter zunehmendem Alter dagegen geringer sind als jeneunter den Männern.

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

22

Auf der Grundlage der dargestellten Altersabhängigkeit der Nach-frage nach medizinischen Leistungen lassen sich direkte demografi-sche Effekte auf die zukünftigen GKV-Behandlungsausgaben berech-nen (Erbsland, 1995; Erbsland & Wille, 1995; Ulrich, 2001).

Abbildung 1 zeigt die Entwicklung der GKV-Behandlungsausgabenbis zum Jahre 2040, wie diese auf der Basis von Daten der 8. koordi-nierten Bevölkerungsvorausberechnung erwartet werden kann. Derdemografische Wandel wirkt sich hierbei in zweifacher Weise auf dieEntwicklung der Gesamtausgaben aus: Einerseits hat die steigendeAnzahl älterer Menschen einen Anstieg der Behandlungsausgaben zurFolge, andererseits führt der Rückgang der Gesamtbevölkerung zur

Tabelle 8:Gesundheitsausgaben nach Alter und Geschlecht, alte Bundesländer

(Quelle: Ulrich, 1998)

Alter in Jahren Behandlungsausgaben in DM pro Kopfvon bis Männer Frauen Insgesamt

0 14 1.228,01 1.079,56 1.156,15

15 19 1.176,54 1.466,44 1.316,20

20 24 1.278,04 1.758,12 1.507,04

25 29 1.484,90 2.294,09 1.870,53

30 34 1.579,07 2.235,03 1.891,67

35 39 1.939,09 2.325,05 2.123,83

40 44 2.069,45 2.358,68 2.210,47

45 49 2.577,08 2.831,62 2.701,30

50 54 2.947,90 3.096,05 3.020,95

55 59 3.487,85 3.340,69 3.414,32

60 64 4.031,67 3.683,28 3.853,29

65 69 4.866,83 4.400,97 4.611,95

70 74 5.590,51 5.170,68 5.322,64

75 79 6.392,94 6.118,90 6.208,24

80 und mehr 6.893,70 6.721,43 6.767,60

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Verminderung der Behandlungsausgaben. Ausgehend von Variante 1(niedriger Zuwanderungssaldo) steigen die Gesamtausgaben bis zumJahre 2016 an und sinken danach bis zum Jahr 2040 wieder ab.

23

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

Abbildung 1:Direkte demografische Effekte auf die zukünftigen

GKV-Behandlungsausgaben insgesamt(Quelle: Zusammengestellt aus Erbsland 1995, S. 31 f.)

Folgt man dieser Variante, dann liegen die Gesamtausgaben imJahre 2040 lediglich etwa 3 Prozent höher als im Jahre 1995. Legt manVariante 3 (hoher Zuwanderungssaldo) zu Grunde, dann steigen dieGesamtausgaben bis zum Jahre 2025 an (auf etwa 115 Prozent desStandes von 1995) und nehmen dann ab 2030 wieder langsam ab (biszum Jahre 2040 auf etwa 113 Prozent des Standes von 1995).

Abbildung 2 zeigt die Entwicklung der Behandlungsausgaben proKopf in der GKV. Gleichgültig, ob man Variante 1 oder Variante 3 zuGrunde legt, ergibt sich ein linearer Anstieg der Behandlungsausgabenpro Kopf. Folgt man Variante 3, dann ergibt sich im Vergleich zu 1995ein Anstieg um etwa 20 Prozent, folgt man Variante 1, so ist ein Anstiegum etwa 22,5 Prozent zu erwarten.

Wac

hstu

msr

aten

zur

Bas

is 1

995 120

115

110

105

100

951995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040

Variante 3Variante 1

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Gegen die bislang dargestellten Prognosen lässt sich einwenden,dass die Extrapolation von Kalendereffekten die Tatsache vernachläs-sigt, dass altersspezifische Unterschiede in den Verbrauchsziffernnicht allein auf das Lebensalter, sondern auch auf Unterschiede imVerhältnis zwischen den in näherer Zukunft Versterbenden und Nicht-Versterbenden zurückgehen. Aus Abbildung 3 wird deutlich, dass dieBehandlungsausgaben mit zunehmender Nähe zum Tod deutlichansteigen (Zweifel, Felder & Meier, 1996).

Realistische Prognosen der Entwicklung von Verbrauchsziffern imGesundheitssystem setzen somit eine Berücksichtigung von Kalender-und Restlebenszeiteffekten voraus (vgl. hierzu auch Sachverständi-genrat, 1996). Nach Lauterbach und Stock (2001) übersehen Progno-sen, die aus der demografischen Entwicklung von „enormen Kosten-

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

24

Abbildung 2:Direkte demografische Effekte auf die zukünftigen

GKV-Behandlungsausgaben pro Kopf(Quelle: Zusammengestellt aus Erbsland 1995, S. 31 f.)

Wac

hstu

msr

aten

zur

Bas

is 1

995

125

120

115

110

105

100

1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040

Variante 3Variante 1

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steigerungen“ in der GKV ausgehen, zudem, dass ein steigendesDurchschnittsalter der Bevölkerung eine Verbesserung des durch-schnittlichen Gesundheitszustandes nicht ausschließt: „So ist derheute 65-Jährige durchschnittlich wesentlich gesünder als noch vor 10Jahren“ (Lauterbach & Stock, 2001, S. 7). In der gerontologischen For-schung konnte gezeigt werden, dass die heute 70-Jährigen im Durch-schnitt fünf Jahre gesünder sind als die 70-Jährigen vor drei Jahrzehn-ten (Baltes, 1999; Kruse, 2002). Ähnlich argumentiert Wiesner (2001):„Der Alterungsprozess unserer Bevölkerung wird nicht zu einem pro-portionalen Anstieg der Krankheits- und Behinderungslast für dasgesundheitliche Versorgungssystem führen, er wird vor allem zu einemGewinn an aktiven und produktiven Lebensjahren beitragen ... Typi-sche so genannte Alterskrankheiten stellen sich immer mehr als nicht

25

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

Abbildung 3:Restlebenszeiteffekt – angegeben ist der Anteil der Gesundheits-

kosten, die in den letzten vier Lebensjahren in der Gruppeder 65-Jährigen und Älteren entstanden sind

(Quelle: Zusammengestellt aus Zweifel, Felder und Meier 1996, S. 34.)

Ges

und

heit

saus

gab

en (i

n %

)

70 %

60 %

50 %

40 %

30 %

20 %

10 %

0 %4 3 2 1

■ Individuen im Alter 65+ 1983–1992, Schweizer Teilstichprobe 1■ Individuen im Alter 65+ 1993–1994, Schweizer Teilstichprobe 2■ Medicare 1988, USA

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unvermeidbar heraus. Neueste Forschungsergebnisse schätzen, dass70 Prozent der mit dem Alter verbundenen Vorgänge beeinflussbarsind“ (Wiesner, 2001, S. 61).

Bei der Prognose zukünftiger Gesundheitsausgaben bleibt häufigunberücksichtigt, dass der Bedarf an medizinischer Versorgung imAlter nicht nur von biologischen und psychischen Bedingungen, son-dern auch von den materiellen und sozialen Umwelt- und Lebens-bedingungen im Lebensverlauf, einschließlich der Qualität der medizi-nischen und rehabilitativen Versorgung abhängt (Wiesner, 2001).Zukünftige Generationen älterer Menschen werden über eine imDurchschnitt längere und bessere Schul- und Ausbildung verfügen(Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2001;Kruse & Schmitt, 2001). Unter den in der Bundesrepublik bestehendenRahmenbedingungen kann deshalb davon ausgegangen werden, dasssich der Trend zu einer Erhöhung der aktiven Lebenserwartung auchzukünftig fortsetzen wird (Kruse, 2002; Kruse et al., 2002).

Die in Tabelle 9 wiedergegebenen Daten des SozioökonomischenPanels stützen die These, dass die steigende Lebenserwartung vorallem mit einem Gewinn an aktiven Jahren einhergeht. Mit dem Begriff„aktive Jahre“ wird dabei die aktive Lebensführung beschrieben, wiesich diese in der selbstständigen Ausführung der Aktivitäten des täg-lichen Lebens und der selbstverantwortlichen Gestaltung des Alltagswiderspiegelt (vgl. World Health Organization, 2002). Die 1917 gebore-nen Männer hatten im Alter von 67–70 Jahren im Durchschnitt 26,9Prozent ihrer Lebensjahre in Inaktivität verbracht, die 1917 geborenenFrauen 27,6 Prozent ihrer Lebensjahre. Für die zehn Jahre spätergeborenen Männer lag der Anteil der inaktiven Lebensjahre im Altervon 67–70 Jahren im Durchschnitt mit 19,4 Prozent deutlich geringer;Gleiches gilt für die 1927 geborenen Frauen, die im Alter von 67–70Jahren 23,2 Prozent ihres Lebens in Inaktivität verbracht hatten.

Nach Breyer (1999) überschätzt eine allein auf veränderten Alters-strukturen gründende Hochrechnung von Ausgabenprofilen die Tat-sache, dass eine bedeutsame Wechselwirkung zwischen Altersstruk-tur und medizinischem Fortschritt besteht. Ein fortschrittsbedingterAnstieg der Lebenserwartung impliziert ein Absinken der Sterbeziffern,was bedeutet, dass sich vergleichsweise weniger Menschen in derausgabenintensivsten Lebensphase befinden. Eine Erhöhung derLebenserwartung um 1,5 Lebensjahre hätte demnach eine Überschät-zung der Ausgaben um 3,3 Prozent zur Folge (siehe auch Ulrich, 2001).Eine entgegengesetzte These hat Zweifel (1990) mit dem sog. „Sisy-

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

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Frauen

Männer

Kohorte 1917 1922 1927

phus-Syndrom“ formuliert. Diesem zufolge führt der medizinischeFortschritt über eine gesteigerte Lebenserwartung und eine zuneh-mende Anzahl älterer Menschen dazu, dass diese vermehrtRessourcen beanspruchen und ihre Ansprüche besser durchsetzenkönnen. Auch Krämer (1996) geht in seiner These der „konkurrierendenRisiken“ davon aus, dass der medizinische Fortschritt zu steigendenGesundheitsausgaben für ältere Menschen führt. Folgt man dieserThese, dann hat der medizinische Fortschritt zur Folge, dass die„Überlebensschwelle“ nach unten gesenkt wird. Eine Lebensverlänge-rung impliziert demnach eine Verlängerung der Krankengeschichteund damit auch fortgesetzte Krankheitskosten.

Als ein Beleg für die Thesen von Zweifel (1990) und Krämer (1996)lässt sich die in Abbildung 4 dargestellte Versteilerung der GKV-Aus-gabenprofile anführen (siehe auch Deutscher Bundestag, 1998;Knappe & Optendrenk, 1999; Ulrich, 2001). Das Ausmaß der Unter-schiede zwischen jüngeren und älteren Altersgruppen hat sich zwi-schen 1974 und 1992 erheblich vergrößert.

Die Differenz der für 70- bis 79-Jährige einerseits und für 80-Jäh-rige und Ältere andererseits anfallenden GKV-Ausgaben hat sich indie-sem Zeitraum nahezu verdoppelt und wird im Jahre 2040 – je nachPrognose-Variante – das Drei- bis Vierfache des Jahres 1992 betragen.Diese Prognosen setzen allerdings voraus, dass der Zusammenhangzwischen den Gesundheitsausgaben, dem Einkommen, der Alters-

27

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

Alter Gelebte Inaktive Prozent Gelebte Inaktive Prozent Gelebte Inaktive ProzentJahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre

67–70 376.581 101.457 26,9 377.409 86.963 23,0 378.376 73.566 19,471–75 393.252 106.327 27,0 396.259 91.436 23,1 – – –76–80 288.178 77.441 26,9 – – – – – –

67–70 384.345 106.271 27,6 386.544 98.151 25,4 388.421 90.210 23,271–75 428.925 131.192 30,6 437.681 126.284 28,8 – – –76–80 357.045 124.639 34,9 – – – – – –

Tabelle 9:Erlebte Personen-Jahre von je 100.000 Personen ab dem Alter 67

nach Geburtskohorte und Geschlecht (Bundesrepublik Deutschland) (Quelle: Unger, 2002)

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struktur, der Sterberate und dem medizinischen Fortschritt über sehrlange Zeiträume stabil bleibt (Ulrich, 2001).

80 Prozent der Kosten in der GKV werden von einem vergleichs-weise kleinen Teil der Versicherten (20 Prozent) verursacht (Lauterbach& Stock, 2001). Die Ursachen dieser Schiefverteilung sind bisher nichthinreichend durch ansprechende Versorgungsforschung erklärt. NachBerechnungen von Lauterbach et al. (2001) leiden 25 Prozent der GKV-Versicherten unter einer der folgenden Erkrankungen: Koronare Herz-erkrankung, Herzinsuffizienz, Hypertonie, Asthma, Apoplex, Diabetesmellitus und Brustkrebs. Die für diese 25 Prozent der Versichertenanfallenden Ausgaben betragen das Zwei- bis Vierfache der Ausgabenfür Versicherte ohne diese Erkrankungen.

In diesem Zusammenhang sind Daten zu den Sterbefällen undTodesursachen in den verschiedenen Lebensaltern von Bedeutung.

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

28

Abbildung 4:Versteilerung der GKV-Ausgabenprofile

(Quelle: Zusammengestellt aus Deutscher Bundestag 1998, S. 432)

24000

22000

20000

18000

16000

14000

12000

10000

8000

6000

4000

2000

0

Pro

-Ko

pf-

Aus

gab

en in

DM

1992 2040 obere Variante1974 2040 untere Variante

0–19 20–59 60–69 70–79 80 u. m.

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Tabelle 10 gibt Daten der amtlichen Todesursachenstatistik wieder,die – differenziert nach Altersgruppen – die häufigsten Todesursachenaufführt. Bei der Interpretation der Daten ist allerdings zu berücksichti-gen, dass die Todesursachenstatistik nur ungenau und daher mit Vor-sicht zu interpretieren ist.

Dabei wird deutlich, dass speziell die Krankheiten des Herz-Kreis-lauf-Systems in der Gruppe der 75-Jährigen und Älteren als Todesur-sache an Gewicht gewinnen. Ein deutlicher Anstieg der Todesursachenin der Gruppe der 75-jährigen und älteren Frauen ist für die bösartigenNeubildungen, die Krankheiten der Atmungsorgane sowie den Diabe-tes mellitus zu konstatieren, in der Gruppe der 75-jährigen und älterenMänner für die Krankheiten der Atmungsorgane. Auch diese Daten las-sen die Folgerung zu, dass die – den Aussagen von Lauterbach et al.(2001) zufolge – besonders kostenintensiven Erkrankungen im sehrhohen Alter zunehmend an Bedeutung gewinnen, ein Befund, der auchdurch Daten der Berliner Altersstudie, auf die in Kapitel III eingegangenwerden soll, gestützt wird (vgl. Steinhagen-Thiessen & Borchelt, 1996;siehe auch Kruse, 2002; Kruse et al., 2002).

29

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

Tabelle 10: Sterbefälle nach Todesursachen und Alter der gestorbenen Männer

und Frauen im Vergleich (Quelle: Statistisches Jahrbuch 1998)

Todesursache

Gestorbene im Alter von ... bis unter ... Jahre

25–45 45–65 65–75 75 +Männer Männer Männer MännerFrauen Frauen Frauen Frauen

Krankheiten des Herz- 3.396 31.679 45.139 95.224Kreislauf-Systems 1.411 10.873 32.311 205.454

Bösartige 3.094 33.951 34.290 36.784Neubildungen 3.559 22.591 26.605 51.246

Krankheiten der 445 4.012 7.772 16.358Atmungsorgane 225 1.535 3.836 19.476

Selbstmord und 3.008 2.954 965 1.176Selbstbeschädigung 789 1.108 640 790

Diabetes mellitus 219 1.914 2.470 3.963109 1.019 3.089 11.133

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Für die nächsten 30 Jahre ist von einer Zunahme schwerkrankerund sterbender Patienten, insbesondere von Patienten mit Karzinom-erkrankungen, auszugehen. Da gleichzeitig der Anteil allein lebenderälterer Menschen ansteigt, werden schwere Krankheit und Sterben miteinem höheren Bedarf an medizinischen, pflegerischen, psychosozia-len und seelsorgerischen Diensten verbunden sein (Vollmann, 2001). InTabelle 11 ist die Entwicklung der Hospiz- und Palliativeinrichtungen inDeutschland dargestellt.

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

30

Einrichtung 1996 1998 2000Stationäre Hospize 29 50 75Ambulante Hospize 264 507 700Palliativstationen 24 37 48

Tabelle 11:Entwicklung der Hospiz- und Palliativeinrichtungen

(Deutsche Hospiz Stiftung, 2000)

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II. Eine systematische Analyse der Gesundheitskosten im hohen und sehr hohen Lebensalter – gegenwärtiger Stand und Entwicklungsperspektiven

2.1. Überlegungen zur Gestaltung des Gesundheits-wesens

Die Ressourcen einer Volkswirtschaft (letztlich Arbeit, Kapital und ver-fügbares Wissen) reichen niemals aus, um allen Bedarf der Bevölke-rung an Gütern und Dienstleistungen vollständig zu decken (Problemder Knappheit). Immer muss die Gesellschaft auf einen Teil derwünschbaren Bedarfsdeckung verzichten. Daher ist selbst in „reichen“Gesellschaften der erreichbare Optimalzustand immer durch einenMangel an Leistungen gekennzeichnet. Auch jeder Ressourceneinsatzfür die Gesundheitsleistungen steht in direkter Konkurrenz zur Verwen-dung der Ressourcen in anderen wichtigen Aufgabenbereichen (vonder Bildung bis hin zur Versorgung mit Lebensmitteln). Diese Erfahrungmacht jeder Einzelne in seiner Privatsphäre als Haushalt – wo das ver-fügbare Einkommen selten zur Erfüllung aller Wünsche reicht –, aberauch in seiner Erwerbssphäre, wo die Ausstattung seiner Firma, seinerAbteilung oder seines Arbeitsplatzes mit Mitarbeitern, technischemGerät und Finanzmitteln ebenfalls einzelne Wünsche offen lässt. DieseErfahrung macht aber auch die gesamte Gesellschaft und damit die Politik, die speziell im Gesundheitssektor – vor allem seit Mitte der70-er Jahre – verstärkt mit dem Problem Ressourcenknappheit kon-frontiert ist. Das hierfür geprägte Schlagwort „Ausgaben- oder Kosten-Explosion“ ist allerdings irreführend.

Die Wirtschaftswissenschaft analysiert die tatsächlichen Prozesseund Verfahren des Ressourceneinsatzes zwischen den großen Auf-gabenfeldern (Gesundheit vs. Bildung etc.) wie zwischen detailliertenEinzelaufgaben. Normativ bewertet sie diese Verfahren, indem dieRealität einem (gedachten) Zustand optimaler Ressourcenverwendunggegenübergestellt wird, woraus sich Kritik an den herrschenden Ver-hältnissen und Vorschläge zur Verbesserung der jeweiligen Situationableiten. Dieser gedachte Optimalzustand des Ressourceneinsatzeskann mit den Begriffen „präferenzgerechte Versorgung“ bei gleichzeitig„kostenminimaler Leistungserstellung“ umschrieben werden. JedeRealität ist daher in einem gewissen Umfang suboptimal.

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Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

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Im Unterschied zu anderen Wirtschaftsbereichen weist der Ge-sundheitsbereich einige „natürliche“ Besonderheiten auf, die eineroptimalen Gestaltung des Gesundheitswesens grundsätzlich ent-gegenstehen: Gesundheitsbedarf ist situationsgebunden (Krankheit),daher risikobehaftet vs. Gesundheitsbedarf ist häufig extrem dringlichund mit hohen Ausgaben verbunden, die das laufende Einkommen desEinzelhaushalts weit überfordern können.

Aus beiden Tatbeständen ergibt sich eine notwendige Verkoppe-lung zweier „Wirtschafts“-Bereiche, der Krankenversicherung (über diejeder verfügen sollte) und der Gesundheitsleistungen im engerenSinne. Diese notwendige Verbindung behindert eine optimale Verwen-dung von Ressourcen grundsätzlich, selbst im Rahmen eines best-möglichen Gesundheitssystems.

Zudem muss in Bezug auf Gesundheitsleistungen die Zielsetzung„optimaler Ressourceneinsatz“ grundsätzlich relativiert werden, weildie Verfügbarkeit eines „Krankenversicherungsschutzes für jeder-mann“ voraussetzt, dass jeder diesen Krankenversicherungsschutzauch finanzieren kann. Die dadurch notwendige Umverteilung (vonoben nach unten) steht in direktem Konflikt zum Optimierungsziel. DieArt der konkreten Organisation des deutschen Gesundheitswesensdeutet allerdings darauf hin, dass man von einer Minimierung diesesZielkonfliktes weit entfernt ist. Beide Ziele, „optimaler Ressourcenein-satz“ und „Finanzierung nach ökonomischer Leistungsfähigkeit“, wer-den unnötig weit verfehlt.

Als Folge der Organisation des deutschen Gesundheitssystemskommt es zudem zu zwei typischen, folgenschweren Irrtümern. Durchdie Versicherungsdeckung des Gesundheitsbedarfs spüren die Patien-ten die Knappheitsprobleme nicht direkt beim Bezug der Gesundheits-leistungen (was letztlich der Sinn jeder Krankenversicherung ist). Daherist das, was sie als eine optimale Versorgung ansehen, verglichen miteinem Nutzen-Kosten-Optimum zu umfangreich. Zu viele Leistungen,deren Nutzen die entstehenden Kosten nicht rechtfertigt, werden ver-langt und auch erbracht. Die individuelle Rationalität steht im Konfliktmit der gesellschaftlichen Rationalität. Das zeigt sich zum Beispieldarin, dass dieselben Personen, die eine Kraftfahrzeug-Vollkasko-versicherung mit hoher Selbstbeteiligung abschließen, sich gegen die Einführung von Selbstbeteiligungen in der Gesetzlichen Kranken-versicherung wehren. Das tendenziell überhöhte Leistungsniveau führtzu entsprechend überhöhten finanziellen Belastungen der Versicherten(durchschnittlich 14 Prozent Beitragssatz in der GKV im Jahre 2002).

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

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Die hohe Beitragsbelastung ist letztlich der „Preis“ dafür, dass die Ver-sicherten in der Situation als Patient nicht mit der Knappheitsproble-matik konfrontiert werden sollen.

Betrachtet man diese Organisation der Gesetzlichen Krankenver-sicherung als politisch und gesellschaftlich erwünscht, muss man prin-zipiell auch das damit verbundene Ausgabenvolumen akzeptieren.Aber selbst wenn die Bevölkerung das Verhältnis von Leistungsniveauund Finanzbelastung als gesundheitspolitisch optimal akzeptierenwürde, erzwingt die Art der GKV-Finanzierung aus nicht gesundheits-politischen Gründen eine Ausgabendämpfungs- und Beitragssatz-Sta-bilisierungspolitik. Da die GKV-Beiträge nicht nur das verfügbare Ein-kommen der Versicherten schmälern, sondern als Arbeitgeberbeiträgemit für überhöhte Arbeitskosten und damit für Arbeitslosigkeit „verant-wortlich“ sind, muss aus arbeitsmarktpolitischen Gründen die Aus-gabenentwicklung gebremst werden, selbst dann, wenn die Ausgabenaus gesundheitspolitischen Gründen steigen sollten. Das derzeitigeFinanzierungssystem erzeugt einen künstlichen, gesundheitspolitischnicht begründeten Sparzwang. Je nach Perspektive befindet sich derdurchschnittliche Versicherte in einer vielschichtigen „Rationalitäten-falle“. Als Patient verlangt er zu viel, als Versicherter muss er über dieBeiträge eine entsprechend zu hohe Belastung tragen. Da er jedochnur seinen Arbeitnehmeranteil wahrnimmt, erkennt er nur einen Teilseiner tatsächlichen Belastung, entsprechend zufrieden äußert er sich über die Gesundheitsversorgung insgesamt. Trotz grundsätzlich(immer noch) hoher Zufriedenheit der Bevölkerung mit Nutzen undKosten der Gesundheitsversorgung, steht die Politik unter dem Zwangzur Ausgabendämpfung, um ihrer arbeitsmarktpolitischen Verantwor-tung gerecht zu werden. Dieser künstliche Sparzwang wird weiter(durch demografischen Wandel und medizinischen Fortschritt) zuneh-men, wenn das Gesundheitssystem – und hier vor allem das Finanzie-rungssystem – nicht grundlegend reformiert wird.

Unter diesen Grundvoraussetzungen Kriterien für eine optimaleGestaltung des Gesundheitswesens zu formulieren, ist schon theore-tisch schwierig. Die praktische Gesundheitspolitik nimmt daher dieseGrundproblematik gar nicht erst zur Kenntnis, sondern versucht nachganz anderen Kriterien zu gestalten – zu nennen sind zum Beispiel derKonsens der Interessengruppen oder die Beitragssatzstabilität wegenArbeitslosigkeit und Überlastung der Arbeitnehmer. Da die oben skiz-zierte Grundproblematik übersehen wird, muss die Ausgabensummebei zunehmendem Bedarf an Gesundheitsleistung notwendigerweise

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Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

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überproportional wachsen. Da die Finanzierungsmöglichkeiten aber annatürliche Grenzen (der durchschnittliche Arbeitnehmer hat heute vonjedem verdienten Euro noch 39 Cent zur freien Verfügung) wie auch ankünstliche Grenzen (steigende Arbeitgeberbeiträge verstärken dieArbeitslosigkeit) stoßen, zieht die Gesundheitspolitik die „Ausgaben-notbremse“. Zu einer Diskussion über eine ordnungspolitische Neu-gestaltung des Gesundheitswesens ist die offizielle Politik derzeit nochnicht bereit. Mittelfristig lässt sich allerdings eine ordnungspolitischeReform des Gesamtsystems nicht umgehen.

2.2. Ausgaben, Einnahmen und Beitragssätze der GKV imdemografischen Wandel

In dieser Situation können Modellrechnungen, die die langfristigenAuswirkungen des demografischen Wandels und des medizinischenFortschritts auf Ausgaben, Einnahmen und Beitragssätze vor allem derGesetzlichen Krankenversicherung unter Status-quo-Bedingungen(Aufrechterhaltung der Ausgabendämpfungspolitik bei unverändertemGesundheitssystem) in die Zukunft projizieren, die offizielle Gesund-heitspolitik nur erschrecken. – In Tabelle 12 sind die Ergebnisse ausneun Projektionen aufgeführt.

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

34

Quelle Beitragssatzhöhe im JahreBirg 1999 i.V. mit Birg et al. 1998 ~22% (2035)

Dudey 1993 26% (2030)Knappe 1995 25% (2030)

Oberdieck 1998 25% (2030)DIW 2001 34% (2040)

Buttler/Fickel/Lautenschlager 1999 >30% (2040)Breyer/Ulrich 2000 23% (2040)

Hof 2001 21–26% (2050)Pfaff 2001 21,33% (2050)

Tabelle 12:Projektionen der Beitragssätze in der Gesetzlichen

Krankenversicherung (Quelle: Deutscher Bundestag 2001, S. 413 ff.)

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Diese machen deutlich, dass eine Stabilisierung der Beitragssätze(Prognos 1995, 1998: „Unter 16 Prozent“) mit den Mitteln der her-kömmlichen Politik nur erreicht werden kann, wenn umfassende Ratio-nierungen und Finanzengpässe hingenommen werden, wenn also mitanderen Worten der finanzielle Spielraum für weiteren medizinischenFortschritt auf null begrenzt wird (vgl. Hof 2001, S. 162). Daher ist dieFrage, ob tatsächlich der medizinische Fortschritt und der demografi-sche Wandel zu derartigen Ausgaben-, Einnahmen- und Beitragssatz-konsequenzen führen wird, von zentraler Bedeutung. Nähert man sichvor dem oben skizzierten Hintergrund dieser Frage, dann fällt auf, dassdie Themenstellung dieser Expertise eine Reihe zentraler Problem-ursachen implizit berührt, die ebenfalls ausführlich erörtert werdenmüssen.

Die Themenstellung zielt vor allem auf die Ausgabenseite, obwohlder demografische Wandel etwa ein Drittel des in den Projektionenermittelten Beitragssatzanstiegs über die Einnahmenseite verursacht.Die Koppelung der Beiträge an die Beschäftigungs-, Lohn- und Ren-tenentwicklung lässt im demografischen Wandel die Einnahmebasiserodieren. Um das finanzielle Gleichgewicht zu erhalten, müssen alleindeshalb die Beitragssätze erhöht werden.

Die Themenstellung erfasst mit „hohem Lebensalter“ einen Teil derUrsachen des demografischen Wandels. Genauso bedeutend für dieBeitragssatzentwicklung der GKV (weit weniger relevant für die Bei-tragsentwicklung der PKV) ist eine andere Ursache des demografi-schen Wandels, nämlich die Geburtenentwicklung der letzten 50Jahre, die die Altersstruktur der Bevölkerung in stärkerem Maße beein-flusst als die Entwicklung der Lebenserwartung (vgl. DeutscherBundestag, 2002, S. 40 ff.). Selbst bei voller Gültigkeit der Kompres-sionsthese („Bei steigender Lebenserwartung verschiebt sich derAnstieg des Ausgabenrisikos entsprechend mit, eine Versteilerung derAusgabenprofile im Zeitablauf findet nicht statt“) ergibt sich für die Projektion der zukünftigen Beitragsentwicklung ein deutlicher Anstieg,allein deswegen, weil im heutigen GKV-System ein großer Anteil derhohen Gesundheitsausgaben einer größer werdenden Anzahl Ältererauf eine geringer werdende Anzahl potenziell Erwerbstätiger umgelegtwerden muss: Die Anzahl der 60-Jährigen und Älteren steigt von 19Millionen im Jahre 2000 auf 26–27 Millionen im Jahre 2030, die Anzahlder 20- bis 59-Jährigen sinkt von 45 Millionen im Jahre 2000 auf 37Millionen im Jahre 2030. Heute tragen die Rentner im Durchschnitt mit1608,52 Euro Beiträgen nur 44 Prozent ihrer eigenen Gesundheitsaus-

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Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

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gaben von 3687,71 Euro (siehe Abbildung 5 und Abbildung 6). DieseRentner-Selbstfinanzierungsquote ist im Zeitablauf tendenziell gesun-ken.

Schließlich geht es für die Politik bestimmenden Probleme um dieEntwicklung des Gesundheitsbedarfs (und der dafür erforderlichenRessourcen und Finanzmittel) der Gesamtbevölkerung. Da dieGesamtbevölkerung kleiner werden wird, ergibt sich tendenziell eineAbnahme des Bedarfs an Gesundheitsleistungen. Da der Altersquo-tient steigen wird, nimmt der Gesundheitsbedarf zu. Beide Effekte sindgegenläufig und lassen per Saldo den Gesamtbedarf nur wenig stei-gen (vgl. Deutscher Bundestag, 1998, S. 419). Schließlich geht es umdie Belastung der Erwerbstätigen mit Abgaben (nicht um einzelne

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

36

Abbildung 5:Veranschaulichung der Entwicklung von Beiträgen der GKV in den

verschiedenen Abschnitten des Lebenslaufs

Ein

nahm

en d

er G

KV

bei

ko

nsta

ntem

Bei

trag

ssat

z (s

tilis

iert

)

Pha

se A

Pha

se B

1

2

1 = Beitrag Mitglieder 2000 = 5.744,90 = 2.937,32 Euro

2 = Beitrag Rentner 2000 = 3.145,98 DM = 1.608,52 Euro

Alter

0 10 20 30 40 50 60 70 80

Pha

se C

= 0,55

Beiträge

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teure Patienten). Die Pro-Kopf-Ausgaben und die Pro-Kopf-Belastungder Erwerbstätigen werden in jedem Falle steigen (vgl. DeutscherBundestag, 1998, S. 420).

Aber selbst bei konstanten Pro-Kopf-Ausgaben in der Zukunft (wasunrealistisch ist), müssten – wie gesagt – die Beitragssätze der GKV imdemografischen Wandel steigen, solange die Beiträge prozentual andie Löhne und die Lohnersatzleistungen (Rente, Arbeitslosengeld)gekoppelt bleiben. Das Finanzierungssystem der GKV ist daher in derheutigen Form nicht aufrechtzuerhalten. Über eine zukunftsfähigeFinanzierungsform, die Anreize zu mehr Versorgungseffizienz undSolidarausgleich verbinden würde, wird heute erst in Ansätzen disku-tiert.

37

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

Abbildung 6:Leistungsausgaben der GKV für Mitglieder in den verschiedenen

Abschnitten des Lebenslaufs

Aus

gab

en fü

r G

esun

dhe

itsl

eist

ung

en

1 = Ausgabe Mitglieder 2000 ➪ 3.786,33 DM/1.935,92 Euro

2 = Ausgabe Rentner 2000 ➪ 7.212,54 DM/3.687,71 Euro

Alter

1

2

0 10 20 30 40 50 60 70 80

= 1,90

Leistungsausgaben

Leb

ense

rwar

tung

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Auf der Ausgabenseite zeigen die faktischen Ausgabenprofile inallen Industrieländern und allen Gesundheitssystemen einen deutlichpositiven Zusammenhang zwischen Ausgabenrisiko und Alter. WieAbbildung 7 zeigt, liegt in Deutschland der faktische Behandlungs-und Ausgabenbedarf für einen durchschnittlichen Rentner (einschließ-lich der beitragsfrei Mitversicherten – im Jahre 1998 waren dies 10 Pro-zent) bei einem durchschnittlichen Rentenzugangsalter von etwa 60Jahren heute knapp 90 Prozent höher als für den durchschnittlichenjüngeren (erwerbstätigen) Versicherten (einschließlich beitragsfrei Mit-versicherte – im Jahre 1998 waren dies 36,5 Prozent). Dieser Tatbe-stand ist sowohl durch unabweisbare Behandlungsnotwendigkeitenals auch durch Überversorgung und die Folgekosten von Unter- undFehlversorgung bedingt. Welches Gewicht den beiden Ursachenkom-plexen zukommt, ist empirisch schwer zu ermitteln. Da aber der Ursa-chenkomplex „Behandlungsnotwendigkeiten“ nicht unbedeutend ist,erhöhen sich im demografischen Wandel die (notwendigen) Behand-lungsausgaben. Ließen sich die Ineffizienzen in Form von Unter-, Über-

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

38

Abbildung 7:Der faktische Behandlungs- und Ausgabenbedarf in den

verschiedenen Abschnitten des Lebenslaufs

Aus

gab

en fü

r G

esun

dhe

itsl

eist

ung

en

Leb

ense

rwar

tung

85

Leb

ense

rwar

tung

75

3.700 DM

6.000 DM

6.800 DM

3.400 DM

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90

Alter

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und Fehlversorgung abbauen, ergäbe sich allerdings eine (relative) Ent-lastung auf der Ausgabenseite. Derartige Effizienzverbesserungen sindunabhängig vom demografischen Wandel ein Erfordernis ökonomi-scher Rationalität („wirtschaftliche, ausreichende, notwendige undzweckmäßige Versorgung“; §§ 3 und 12 SGB V), sie erhalten durch dendemografischen Wandel allerdings zusätzliche politische Aktualität. Eswird jedoch zu Recht darauf hingewiesen, dass Effizienzverbesserun-gen politisch kaum erfolgreich vorgeschrieben werden können, son-dern sich als Folge eines funktionsfähigen Wettbewerbs ergeben.Ohne ordnungspolitische Reformen sind wesentliche Effizienzverbes-serungen nicht zu erwarten.

Die Altersausgabenprofile erfassen das Ergebnis einer zweifachenEntwicklung. Die Gesundheitsausgaben für den durchschnittlichenVersicherten steigen mit dem Alter einer Versichertengruppe moderatan. Vor allem aber konzentrieren sich die Gesundheitsausgaben auf dieZeit (das letzte Jahr) vor dem Tode. Diese so genannten „Sterbekos-ten“ sind besonders hoch, sie sinken aber mit zunehmendem Sterbe-alter eines Versicherten. Da aber gleichzeitig mit dem Alter die Sterbe-wahrscheinlichkeit zunimmt, steigt die Ausgabenwahrscheinlichkeitmit dem Alter insgesamt an – dies zeigen die Daten in Abbildung 8.

Für die oben genannten Modellrechnungen ergibt sich aus derBerücksichtigung von Sterbekosten keine wesentliche Änderung. Eswäre aber interessant zu untersuchen, ob unter den „Sterbekosten“ einbesonders hoher Anteil durch Fehl- und Überversorgung verursachtist.

Der medizinische Fortschritt (aber auch die Verlagerung der Nach-frage bei steigendem Wohlstand in die Dienstleistungsbereiche) hat inder Vergangenheit die Gesundheitsausgaben schneller wachsen las-sen als die übrigen Ausgaben für Güter und Dienste. Dass dabei derAusgabenanteil der GKV am Sozialprodukt kaum gestiegen ist, ist vorallem durch immer neue Ausgabendämpfungsmaßnahmen derGesundheitspolitik erreicht worden. Eine erfolgreiche Fortsetzung die-ser Ausgabendämpfungspolitik ist aber weder wahrscheinlich nochsinnvoll. Eine Beitragssatzstabilität konnte damit in der Vergangenheitohnehin nicht erreicht werden, weil die Ausgaben trotzdem schnellerstiegen als die Grundlohnsumme der Versicherten, an die die Beiträgegekoppelt sind. Immerhin konnte durch die Ausgabendämpfungspro-gramme das Wachstum der Beitragssätze seit 1977 (11,4–14 Prozentim Jahre 2002) gegenüber der Zeit nach 1970 (8,2–11,4 Prozent imJahre 1977) deutlich gesenkt werden.

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Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

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Abbildung 8:Berechnung der Pro-Kopf-Gesamtausgaben (siehe auch Tabelle 7)

(Quelle: Berechnungen der Autoren, Datenbasis: Breyer, 1999)

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

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* Durchschnittliche Pro-Kopf-Ausgaben im Jahr in DM.** Die Sterbewahrscheinlichkeiten von Männern und Frauen wurden aus Gründen der Übersichtlichkeit gemittelt.

Gesundheits- Gesundheits- Sterber- Überlebens- Gesamt-ausgaben ausgaben wahrschein- wahrschein- ausgaben*

Altersgruppe für für lichkeit in lichkeit in = A3/100*Überlebende* Sterbende* Prozent** Prozent A2+A4/100*A1

(A1) (A2) (A3) (A4)

60 bis unter 65 3620,05 88 552,67 1,54 98,46 4828,01

65 bis unter 70 3777,67 76 105,54 2,31 97,69 5448,44

70 bis unter 75 4017,74 58 606,24 3,98 86,02 6190,36

75 bis unter 80 4331,45 45 062,95 6,71 93,29 7064,53

80 bis unter 85 4669,31 35 242,50 10,66 89,34 7928,42

85 bis unter 90 5007,00 27 552,57 16,00 84,00 8614,29

90 bis unter 95 5639,18 20 098,00 22,88 77,12 8947,36

95 bis unter 100 7749,33 11 217,27 31,47 68,53 8840,69

Aus

gab

en p

ro K

op

f

88553 DM58606 DM

35242 DM

20098 DM

2 3 41

65 75 85 95

Alter im Sterbejahr1 = 88553 x 1,54% + 3620 x 98,46% = 4928 DM2 = 58606 x 3,98% + 4018 x 96,02% = 6190 DM3 = 35242 x 10,66% + 4669 x 89,34% = 7928 DM4 = 20098 x 22,88% + 5639 x 77,12% = 8947 DM

Gesamt-ausgaben-wahrscheinlichkeit {

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Diese durch den medizinischen Fortschritt bewirkte Ausgabenstei-gerung ist einmal bedarfsausweitend, aber auch erwünscht, da sie dieLebensqualität verbessert, sie sollte daher nicht behindert, sonderneher gefördert werden.

Die durch den medizinischen Fortschritt bewirkte Ausgabenaus-weitung ist aber teilweise auch die Folge einer systembedingten Ver-nachlässigung von Prozessinnovationen. Darunter sind (organisatori-sche) Verfahrensänderungen zu verstehen, die bei gleichem (Gesund-heits-)Erfolg den Ressourceneinsatz reduzieren (Kosten senkendermedizinisch-technischer Fortschritt). Prozessinnovationen bremsendas Ausgabenwachstum, ihre relative Vernachlässigung (verglichenmit anderen innovativen Wirtschaftsbereichen) stellt eine vermeidbareund zu vermeidende Ausgabenursache dar. Allerdings gilt auch hier,dass sich eine optimale Aufteilung des Fortschritts auf Produktinnova-tionen (neue Behandlungsmöglichkeiten) und Prozessinnovationennicht befehlen lässt, sondern nur durch eine funktionsfähige Wett-bewerbsordnung zu erreichen ist.

Schließlich sind die Wachstumsraten der Gesundheitsausgabennicht nur insgesamt höher als die Wachstumsraten des Sozialproduktsoder der Grundlohnsumme, sondern sie sind auch altersabhängig. Dasjährliche Wachstum der Gesundheitsausgaben für die Älteren (60Jahre und älter) war in der Vergangenheit deutlich höher als dasWachstum der Ausgaben für die anderen Altersklassen. Auf dieseWeise nimmt der Abstand zwischen den Durchschnittsausgaben für„Jung“ und „Alt“ ständig zu. Vor 1970 war die Ausgabenwahrschein-lichkeit für Ältere (60 und älter) sogar geringer als für Jüngere, während

41

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

Anmerkung: Die Gesamtausgaben für Überlebende und Verster-bende werden nach dem Verhältnis der auf sie entfallenden Kran-kenhaustage aufgeteilt, da keine anderen Daten verfügbar waren(Breyer 1999, S. 60). Erste Ergebnisse eigener Berechnungen mitpersonenbezogenen Gesamtausgaben (für Arzneimittel, ärztlicheBehandlung und Krankenhausbehandlung) einer Krankenkassekommen aber zu sehr ähnlichen Ergebnissen. Die Ausgaben fürÜberlebende steigen moderat mit dem Alter, liegen für Verster-bende um ein Vielfaches höher und nehmen vor allem ab einemAlter von 80 Jahren absolut und deutlich ab.

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sie im Jahr 2000 90 Prozent höher war (vgl. Abbildung 9). Dadurchwerden die Alters-Ausgabenprofile immer steiler (vgl. DeutscherBundestag, 1998, S. 429 ff.).

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

42

Abbildung 9:Die Ausgabenschere zwischen Rentnern und Mitgliedern

öffnet sich immer weiter

Hinter diesem Trend zur Versteilerung des Alters-Ausgabenprofils,der sich in den meisten Industrieländern zeigt, wird vor allem eineEigentümlichkeit des medizinischen Fortschritts vermutet. WelcheGesetzmäßigkeit sich dahinter verbirgt, ob sie naturgegeben odersystembedingt ist, ob sie als gesundheitspolitisch erwünscht oder (inTeilen) als Fehlentwicklung anzusehen ist, kann zurzeit nicht beantwor-tet werden. Für naturgegeben spricht die Tatsache, dass sich dieserTrend unabhängig von der Art des Gesundheitssystems und derGesundheitspolitik zum Beispiel in so unterschiedlichen Ländern wieDeutschland, Schweden und England zeigt.

Die bisherige Argumentation zeigt, dass sich die Gesundheitspolitikauf die in den genannten Modellrechnungen gefundenen Ergebnisseeinstellen muss. Selbst unter sehr optimistischen Annahmen überZuwanderung (auf + 300.000 netto pro Jahr bis zum Jahre 2020 stei-gend), starke Beschäftigungszunahme der Frauen und der Älteren ins-gesamt, Abbau der Arbeitslosigkeit (4 Prozent nach 2017) lässt sicheine Projektion der Beitragssätze für 2040 unter 20 % nicht begrün-den. Den in den Prognos-Gutachten 1995 und 1998 für 2010 voraus-geschätzten Beitragssatz von knapp 14 Prozent haben wir bereits imJahre 2002 erreicht.

Derzeit versucht die Gesundheitspolitik durch eine Umsteuerungvon kurzfristig orientierter Akutbehandlung auf langfristige Orientie-rung (Prävention und Disease-Management-Programme) und Konzen-tration auf evidenzbasierte Behandlungen vor allem die Qualität derGesundheitsversorgung zu verbessern. Diese Programme haben auchdas Ziel, die Ausgabenentwicklung zu bremsen. Es kann aber bislang

1960 1970 2000 2030/2040

241,– DM 821,– DM 7.213,– DM

354,– DM 763,– DM 3.786,– DM

0.68 1,08 1,90 3,0?

?

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nur nachgewiesen werden, dass durch Prävention (in Einzelfällen) dieNotwendigkeit von Behandlungen und Ausgaben zeitlich verschobenund ein positiver Beitrag zur Lebenserwartung geleistet werden kann.Ob dadurch der lebenslange Gesamtbedarf an Gesundheitsleistungensinkt (oder wenigstens das Wachstum gebremst wird) und ob sich diesauch als gesamtgesellschaftliche Trendumkehr zeigt, kann heute nichtbeantwortet werden.

Die Notwendigkeit von Systemreformen, durch die für alle Handeln-den (Leistungserbringer, Patienten, Versicherte und Versicherungen)mehr Anreize zur Sparsamkeit und Effizienzsteigerung gesetzt werden,bleibt dadurch unberührt. Hier sind in der Gesundheitspolitik nur ersteAnsätze zu erkennen – zu nennen sind zum Beispiel erleichterte Mög-lichkeiten einer integrierten Versorgung in dem nicht unproblemati-schen DRG-System für Krankenhäuser.

2.3. Ergebnisse und gesundheitspolitische Relevanz der Beitragssatzprojektionen für die GKV

Erklärt werden die Ausgaben im Alter (siehe Abbildung 10). Davon zuunterscheiden ist die Erklärung des Einflusses des Alters auf die Bei-tragssatzentwicklung. Die Beitragssätze sind eben nicht nur von denAusgaben abhängig, sondern auch von den Einnahmen. Auf diese Ein-nahmen haben neben vielen anderen Faktoren auch die Zunahme derZahl der Rententransferempfänger und die lebenserwartungsabhän-gige Rentenlaufzeit einen Einfluss, ebenso die das Rentenniveaubeeinflussende Rentenreformgesetzgebung. Auf diese Zusammen-hänge geht der Bericht angemessen knapp, aber deutlich ein. Im Zen-trum steht aber die Analyse der altersabhängigen Ausgaben. Dabeiwird zunächst zwischen SGB V und SGB XI unterschieden, wenngleichspäter dynamische Zusammenhänge herausgearbeitet werden, zumBeispiel da Pflegebedürftigkeit oftmals aus Krankheiten resultiert(siehe zum Beispiel den Zustand nach Schlaganfall) und Heimeinzugim sehr hohen Alter auch dann mit höherer Wahrscheinlichkeit eintritt,wenn Menschen bis in dieses sehr hohe Alter keine gravierendensomatischen Symptome zeigten. Auf diese Ausgaben wirkt das Aus-gabenprofil der Menschen.

Dabei werden folgende Aussagen getroffen: Die meist in Form vonQuerschnittsdaten vorliegenden Befunde einer Versteilerung der Aus-gabenprofile werden abgeschwächt durch epidemiologisch plausible

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Abbildung 10:Der Zusammenhang zwischen Alter(n)

und Ausgaben – das Erklärungsschemades Wirkungszusammenhangs

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Effekte einer kohortenabhängigen Verbesserung im durchschnittlichenGesundheitszustand im Alter. Hier wirken sich auch Präventionspoten-ziale aus. Diese Abschwächung der Korrelation zwischen Alter undAusgaben wird aber überkompensiert durch Anbietereffekte im Sinnedes medizinisch-technischen Fortschritts in Diagnostik und Therapieälterer Menschen. Damit ist jedoch nicht auszuschließen, dass sichhinter diesem Fortschritt auch Über- und Fehlversorgung verbirgt.Überhaupt sind auch gerade in der Versorgung der älteren PopulationWirtschaftlichkeitsreserven zu konstatieren, die aber nur durch neue –etwa integrierte – Versorgungsformen mobilisiert werden können.Letztlich müssen sich die Betriebsformen der Leistungserstellung (imambulanten wie im stationären Bereich) wandeln.

Diese Über- und Fehlversorgung wiederum kann Ausdruck der öko-nomischen Interessen der Anbieter sein oder auch ein medizinkulturel-les Phänomen. Letzterer Aspekt würde vor allem die deutlichen Aus-gabenunterschiede zwischen überlebenden und verstorbenen Patien-ten (im Krankenhaus) plausibel erklären: Es handelt sich um die Aus-gabenintensität der sog. Alpha-Kampf-Kultur in der Intensivmedizin.Im Kampf mit dem Tod wird nichts unterlassen, um keine Chance ver-tan zu haben. (Das gilt für alle Altersklassen.) Daher korrelieren diehöchsten Ausgaben immer mit dem Tod, nicht linear mit dem kalenda-rischen Alter.

Fazit:

Die Ausgaben im Alter erklären sich nur zum Teil als direkte Folge desAlters, zumal die inter-individuellen Varianzen hoch sind. Vielmehrerklären sich die Ausgaben im Alter aus dem, was die Medizin de facto– im Lichte ihrer zur Polypragmasie antreibenden technischen Mög-lichkeiten – am Menschen mit dem Menschen tut. Zugespitzt formu-liert: Da sich kulturell eine Tabuierung der Ressourcenrationierung imAlter historisch durchgesetzt hat, technisch auch immer mehr machbarist und die Anbieterakteure an der Anwendung der Möglichkeiten imTrend ökonomisch profitieren und schließlich Heilserwartungen beiden Patienten und bei den Angehörigen als utopische Erwartung ander Humanmedizin wirksam sein mögen, resultiert aus dem wechsel-seitigen Verstärkungsmechanismus eine Versteilerung der Ausgaben-profile: ein Effekt des spezifischen Zivilisationsprozesses, der zur heu-tigen Gesellschaft und ihrer spezifischen Daseinsweise des Menschengeführt hat.

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Die Diskussion um die im demografischen Wandel zu erwartendeEntwicklung der GKV-Beitragssätze (ca. 25 Prozent im Jahre 2040;siehe Abbildung 5) bezieht sich zum einen auf die Art der Berechnung,zum anderen auf die gesundheitspolitische Relevanz der Ergebnisse.Einmal wird diskutiert, welche Bestimmungsgründe zu berücksichti-gen sind, um die Wirkungen des demografischen Wandels zu erfassen.Die Wirkungen des demografischen Wandels im engeren Sinne bezie-hen sich lediglich auf die Entwicklung der Zahl und der Altersstrukturder Bevölkerung (vgl. Hof 2001, S. 115 f.). Hält man alle anderen Fakto-ren (insbesondere das Alters-Ausgabenprofil) konstant, kommt man zueinem moderaten Anstieg der Beitragssätze um ca. 3–4 Prozentpunkte(Knappe 1995, S. 35). Berücksichtigt wird dann nur, dass heute Ältereeine höhere Ausgabenwahrscheinlichkeit aufweisen und als Rentnergeringere Beiträge bezahlen (siehe Abbildung 5 und Abbildung 6). DieBeitragserhöhung ist die Folge einer größeren Zahl Älterer und einerkleineren Zahl Jüngerer.

Eine einfache Berechnungsformel, aus der die wichtigsten Einfluss-faktoren deutlich werden, zeigt Abbildung 11.

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

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Abbildung 11:Eine einfache Formel für Beitragssatzprojektionen in der GKV

b = BeitragssatzLZ = Zahl der BeitragszahlerL = durchschn. beitragspflichtiges ArbeitseinkommenRZ = Zahl der RentnerR = DurchschnittsrenteAL = durchschn. Ausgaben je BeitragszahlerAR = durchschn. Ausgaben je Rentner

demografiebed. Ausgabenstruktur

demografiebed. Einnahmenstruktur

Rentnerquotient

Einnahmen = b x (LZ x L) + b x (RZ xR)= b x (LZ x L + RZ x R)

Ausgaben = AL x LZ + AR x RZ

b =ALxLZ+ARxRZ

L x LZ + R x RZ

b = xAL

L

AR

AL

R

L

RZ

LZ

RZ

LZ

1+ x

1+ x

}}

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Es wird unterstellt, dass sich lediglich das zahlenmäßige Verhältnisvon Rentnern zu Beitragszahlern (RZ/LZ) erhöht und alle anderen Fak-toren konstant bleiben. Da sich allerdings im Laufe der Zeit vor allemdie durchschnittlichen Pro-Kopf-Ausgaben für Rentner im Vergleich zuden Pro-Kopf-Ausgaben für Beitragszahler ständig und erheblicherhöht haben, ist es sinnvoll, diese Entwicklung (AR/AL) in Beitrags-satzprojektionen zu berücksichtigen. Unterstellt man, dass der Trenddieser Entwicklung auch in Zukunft anhält, so ist im Jahre 2040 damitzu rechnen, dass Rentner im Vergleich zu Beitragszahlern eine dreimalso hohe Ausgabenwahrscheinlichkeit aufweisen werden (zum Ver-gleich: im Jahre 2000 = 1,90). Dann errechnen sich Beitragssätze umdie 25 Prozent. Selbstverständlich handelt es sich dabei um eine naiveHochrechnung, die nur grobe Anhaltspunkte liefern kann. Grob ist dieEinteilung der Bevölkerung in zwei Gruppen, älter als 60 und gleichzei-tig Rentner bzw. jünger als 60 und gleichzeitig erwerbstätig, wobei diebeitragsfrei mitversicherten Familienangehörigen auf der Einnahmen-seite vernachlässigt werden und auf der Ausgabenseite zu den durch-schnittlichen Pro-Kopf-Ausgaben hinzugezählt werden. Letzteres istnicht unberechtigt, da sich der Anteil der Familienangehörigen, dierechnerisch einem Rentner (im Jahre 1998: 10 Prozent) bzw. einemBeitragszahler (im Jahre 1998: 36,5 Prozent) zugeschlüsselt werden,nur langsam verändert. Allerdings rechnen viele Projektionen damit,dass sich zukünftig im demografischen Wandel und durch dieZunahme der Erwerbstätigenquoten die Anteile der Familienangehöri-gen verringern werden. Dadurch wird in den Projektionen, die diesnicht berücksichtigen, die Beitragsentwicklung überschätzt. Die Pro-Kopf-Ausgaben der Beitragszahler sind in der Vergangenheit weitge-hend parallel zur Entwicklung der Grundlohnsumme gestiegen (AL/List nur gering gestiegen). Ob das so bleiben wird, lässt sich kaum ver-lässlich abschätzen. Auch das Verhältnis von Durchschnittsrente zudurchschnittlichen beitragspflichtigem Arbeitseinkommen (R/L) ist mitca. 0,5 in der Vergangenheit weitgehend konstant geblieben. InZukunft werden allerdings die Rentenreformen dieses Verhältnis weiterabsenken müssen, was einen zusätzlichen Auftrieb für die Beitrags-sätze bedeutet. Die genannte Formel für die Höhe der Beitragssätze,die erforderlich sind, um das Einnahmen-Ausgaben-Gleichgewicht derGKV zu sichern, zeigt daher – trotz ihrer Einfachheit – zentrale und poli-tisch steuerbare, eventuell auch nur zu beobachtende Einflüsse auf dieBeitragssatzentwicklung auf. Die Projektionsergebnisse fallen nichtwesentlich anders aus, wenn man einfachere Methoden der Hochrech-

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nung (Trendextrapolation der Beitragssatzentwicklung; siehe dazuDudey 1993) oder weit anspruchsvollere Verfahren (ökonometrischeModelle/regressionsanalytische Ansätze; siehe dazu Breyer & Ulrich,1999; Hof, 2001) anwendet. Eine Diskussion über Unterschiede in denBeitragssatzprojektionen von wenigen Prozentpunkten ist – berück-sichtigt man die Gesamtunsicherheiten über einen Zeitraum von 30 bis40 Jahren – müßig. Die angeführte einfache Formel hat zumindest denVorteil der Einfachheit und Durchsichtigkeit der Berechnungsmethode.

Im Detail sind jedoch zahlreiche weitere Probleme zu diskutieren.Nimmt man eine Hochrechnung der Ausgabenentwicklung in die Pro-jektionen auf, so ist die Wahl der Stützperiode zu entscheiden. Hoch-rechnungen, die auf dem Jahr 1970 aufsetzten, kommen tendenziell zuhöheren Ergebnissen als Hochrechnungen, die sich auf die Entwick-lung nach 1975 oder 1977 stützen, da die Ausgaben zwischen 1970und 1975 ungewöhnlich stark angestiegen sind und 1977 das ersteAusgabendämpfungsgesetz erlassen wurde.

Es gibt heute keinen Zweifel mehr daran, dass im Laufe der Zeit dieAltersausgabenprofile immer steiler werden und dass eine reine Ver-lagerung mit der steigenden Lebenserwartung unrealistisch ist.

Dennoch verschieben sich mit steigender Lebenserwartung (derenBerechnung ebenfalls nicht eindeutig ist; vgl. Deutscher Bundestag,2002, S. 44 ff. sowie Kapitel 1 dieses Gutachtens) die sog. Sterbekos-ten offensichtlich mit in ein höheres Alter. Dieser Effekt ist bei auchzukünftig unterstellter steigender Lebenserwartung zu berücksichti-gen, allerdings ist seine Bedeutung für die Projektionsergebnissegering. Selbstverständlich kann auch die Verschiebung der Ausgaben-entwicklung innerhalb der Gruppe der Beitragszahler und der Rentnerdie Beitragssätze beeinflussen. Man muss daher im Prinzip alle (meh-rere) Altersgruppen bei der Höhe und der zeitlichen Entwicklung derAusgabenwahrscheinlichkeiten berücksichtigen (Prognos, 1998, S. 86ff.) und für die Abschätzung der zeitlichen Entwicklung altersbezoge-ner Ausgaben Längsschnittuntersuchungen durchführen. DerartigeDaten stehen nur für wenige Jahre für die Ausgabenentwicklung in derPrivaten Krankenversicherung zur Verfügung. Diese können allerdingsnäherungsweise auf die GKV-Situation übertragen werden (Hof 2001,S. 97 f.).

Dabei zeigt sich eindeutig eine Versteilerungstendenz besonders inhöherem Alter und besonders hervorgerufen durch die Ausgabenent-wicklung für stationäre Leistungen und die Arzneimittelversorgung,weniger dagegen für ambulante Leistungen.

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Sollten sich daher im Reformprozess nennenswerte Umstrukturie-rungen zu Gunsten ambulanter Versorgung oder zu Gunsten integrierterVersorgungsformen ergeben, so könnte auf diese Weise der Versteile-rungstrend abgesenkt werden. Insgesamt führt allerdings die Berück-sichtigung einer Vielzahl weiterer Altersgruppen nicht zu deutlichunterschiedlichen Projektionsergebnissen (Hof, 2001, S. 162).

In der öffentlichen und politischen Diskussion werden solche Pro-jektionen immer wieder mit Prognosen der tatsächlich erwartetenzukünftigen Situation verwechselt. Während Prognosen die tatsächli-che Entwicklung voraussagen wollen („So wird es wahrscheinlich ein-treten“), gehen Projektionen von ganz bestimmten Annahmen aus,unter denen eine bestimmte Entwicklung eintreten würde („So würdees wahrscheinlich eintreten, wenn ...“). Dabei wird bewusst nichtbehauptet, dass ein Zustand tatsächlich so eintreten wird. Projektio-nen, die Entwicklungen aufzeichnen, die politisch unerwünscht sind,sollen gerade der Politik Hinweise geben, dass es notwendig ist, durchgezielte Maßnahmen die projizierte Entwicklung zu verhindern. DieBeitragssatzprojektionen sollen zeigen, dass bestimmte Einflussgrö-ßen sorgfältig zu beobachten und gegebenenfalls Reformmaßnahmenerforderlich sind, um diese Entwicklung zu vermeiden. Während Prog-nosen ihren Sinn erfüllt haben, wenn sie so, wie vorhergesagt, eintre-ten, haben (negative) Projektionen ihren Sinn erfüllt, wenn sie durchpolitisches Handeln widerlegt werden. In diesem Sinne zeigen die Bei-tragssatzprojektionen einen zunehmenden dringenden Reformbedarfin den kommenden Jahren auf.

2.4. Die Entwicklung der Gesetzlichen Pflegeversicherung – was ist anders?

Grundsätzlich sind die Bedingungen für ein finanzielles Gleichgewichtder Gesetzlichen Pflegeversicherung dieselben wie für die GKV. Aller-dings liegen Beitragssatz (zurzeit 1,7 Prozent gegenüber 14 Prozent),Einnahmen (16,55 gegenüber 134 Milliarden Euro) und Ausgaben (16,7gegenüber 134 Milliarden Euro im Jahre 2000) auf deutlich niedrigeremNiveau. Zudem verfügt die Pflegeversicherung über nennenswerteRücklagen (im Jahre 2000: 4,82 Milliarden Euro). Während sich in derKrankenversicherung die erforderlichen Beitragssätze prinzipiell nachdem Ausgabenbedarf richten sollen, sind der Beitragssatz in der Pfle-geversicherung und damit die Einnahmen vorgegeben (§ 70 SGB XI).

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Sie bestimmen daher das finanzierbare Ausgaben- und Leistungs-niveau. Da jedoch auch die Beitragssätze in der Pflegeversicherungdurch den demografischen Wandel einer Auftriebstendenz unterliegen,kann ein Beitragssatz von 1,7 Prozent nur bei deutlich abgesenktemLeistungsniveau aufrechterhalten werden. Es ist daher fraglich, ob diegesetzliche Absicht der Beitragssatzstabilität politisch durchzuhaltenist. Aus den Beitragssatzprojektionen ergibt sich daher, wie der Bei-tragssatz bei unveränderten Leistungsansprüchen steigen müsstebzw. um wie viel die Leistungsansprüche reduziert werden müssten,wenn der Beitragssatz von 1,7 Prozent beibehalten werden soll.

Das Altersausgabenprofil der Pflegeversicherung ist sehr viel steilerals das der Krankenversicherung, während die Einnahmensystematikdieselbe ist. Die Situation des finanziellen Gleichgewichtes lässt sichgrafisch wie in Abbildung 12 darstellen.

Die Pflegeversicherung hat nicht – wie die Gesetzliche Krankenver-sicherung – eine lange Entwicklungsgeschichte. Allein aus diesemGrunde sind Projektionen mit größeren Unsicherheiten behaftet.Unterstellt man wieder ein im Zeitablauf unverändertes Altersaus-gabenprofil in der Pflegeversicherung und berücksichtigt lediglich die

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Abbildung 12:Einnahmen-Ausgaben-Profile der Pflegeversicherung

Aus

gab

en/E

inna

hmen

pro

Per

son

und

Jahr

20 60Alter

Beitrag DM 670

Lebenserwartung

Beitrag DM 320

DurchschnittlicheAusgabe pro Rentner(60 Jahre und älter)

DurchschnittlicheAusgabe pro Person(jünger als 60)

DM 1.520

DM 180

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Veränderung der Altersstruktur, so kann man davon ausgehen, dassdie Zahl der Pflegebedürftigen mit der Alterung der Gesellschaft starkansteigen wird (von 1995 = 1,6 Millionen auf 2040 = 2,5–2,8 Millionen).Dies würde einem Ausgabenanstieg auf bis zu 23 Milliarden Euro undeinem Beitragssatzanstieg auf 2,7 bis 3,2 Prozent entsprechen (vgl.Wille et al., 1998; Rothgang & Vogler, 1977). Diese auf Daten von 1995aufsetzenden Hochrechnungen müssen bereits aufgrund der jüngstenErfahrungen modifiziert werden, da die Ausgaben seit 1995 mit derEtablierung der Pflegeversicherung deutlich zugenommen haben (imJahre 2000 = 16,67 Milliarden Euro). Auch die Zahl der Pflegebedürfti-gen liegt im Jahre 2000 mit 1,78 Millionen höher als zur Einführung derPflegeversicherung.

Demzufolge wird mit einem Anstieg der Pflegebedürftigen bis 2040nach der Variante 1 der 9. Koordinierten Bevölkerungsvorausberech-nung auf 2,98 Millionen gerechnet (Rothgang, 2001, S. 18 ff.), bei stär-ker steigender Lebenserwartung (Variante V2a) käme man auf 3,26Millionen. Je nach Annahmen kommen Hochrechnungen für 2050 aufbis zu 4,72 (DIW, 2001) bzw. 5,88 Millionen Pflegebedürftige (Dietz,2001). Die Unsicherheiten und damit die Bandbreite der Erwartungensind in der Pflegeversicherung sehr viel größer als in der GKV (vgl.Deutscher Bundestag, 2002, S. 510 f.) Allein auf Grund des demografi-schen Wandels kann der Beitragssatz auf 3 bis 5,6 Prozent (2050)ansteigen (Hof, 2001, S. 203) (siehe Abbildung 13).

Zwar wird in der Pflegeversicherung keine dem medizinisch-techni-schen Fortschritt im Gesundheitswesen entsprechende Dynamik derAusgabenprofile erwartet, dafür entstehen anderweitige Auftriebsten-denzen für den Beitragssatz. Auf Grund des demografischen Wandelsgeht die Kapazität der Familien für häusliche Pflege zurück, die Ratio-nalisierungsmöglichkeiten im Pflegebereich sind vergleichsweisegering, entsprechend stark steigen die (Personal-) Kosten an. Beziehtman derartige Einflüsse ins Kalkül mit ein, so kommen Projektionen zueiner Beitragssatzentwicklung, wie sie in Abbildung 13 dargestellt ist(Hof, 2001, S. 211). Ganz offensichtlich könnten die Beitragssätze nurstabilisiert werden, wenn das Leistungsniveau in der Pflegeversiche-rung drastisch reduziert würde.

Dass diese Projektionen keine realistischen Prognosen darstellenkönnen, zeigt sich allein daran, dass ohne weitgehende Reformen dieBeitragssätze in der Sozialversicherung insgesamt auf 51,7 bis 62,9 %(2050) ansteigen würden, wobei in beiden Fällen bereits eine deutlicheEntlastung vom Arbeitsmarkt unterstellt ist (Hof 2001, S. 214). Unsi-

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cher sind alle Projektionen auch deswegen, weil in der Regel nur eineWirkungsrichtung, „demografischer Wandel auf soziale Sicherung“unterstellt wird. Es gibt aber sehr wohl auch Rückwirkungen, auf diehier nur mit dem Hinweis auf Gefährdungen der Beschäftigung beisteigenden Lohnnebenkosten eingegangen wurde. Es gibt aber eineVielzahl von Rückwirkungen der sozialen Sicherungssysteme auf dieLebensverhältnisse der Bevölkerung, die nicht berücksichtigt werden(Zweifel 2001). Weitgehende Reformen der Sozialen Sicherungsein-richtungen sind daher sehr wahrscheinlich. Vor allem im Gesundheits-wesen (der Kranken- und Pflegeversicherung) sind Strukturreformenpolitisch weit schwieriger als zum Beispiel in der Gesetzlichen Renten-versicherung. Da die Rentenversicherung fast ausschließlich einmonetäres Transfersystem ist, das überwiegend Beitragszahler undRentner betrifft, sind im Gesundheitswesen neben Beitragszahlern undPatienten Millionen von Erwerbstätigen unmittelbar in ihrem Beruf undEinkommen betroffen (ca. 600.000 Vollzeitstellen in der Pflege und 2bis 4 Millionen Erwerbstätige im Gesundheitsbereich insgesamt).

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Abbildung 13:Beitragssätze in der gesetzlichen Pflegeversicherung 1995–2050

Bandbreite der vier Szenarien (Quelle: Hof 2001, S. 211)

6

4,7

3,7

3

7

6

5

4

3

2

1

0

In P

roze

nt

1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050

Obere VarianteMittlere Variante BMittlere Variante AUntere Variante

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2.5. Integrierte, patientenbezogene Versorgung als Ansatzpunkt einer Strukturreform im Gesund-heitswesen

Der stärkste Reformdruck im Gesundheitswesen geht zweifelsohnevon der vorauszusehenden finanziellen Entwicklung der Kranken- undPflegeversicherung aus. Finanzielle Engpässe haben von jeher diepolitische Reformfreudigkeit beflügelt. Da bei Fortsetzung der Ausga-bendämpfungspolitik die finanzielle Belastung der Beitragszahler vorallem durch Streichungen im Leistungskatalog der Versicherungen undnicht durch Effizienzverbesserung erzielt werden können, würde sichdie Politik ständig im scharfen Interessenkonflikt mit Patienten und vorallem den Leistungserbringern befinden. Es ist daher zu hoffen undauch wahrscheinlich, dass sich zukünftig die Gesundheitspolitik ver-stärkt am ordnungspolitischen Leitbild eines funktionsfähigen Wett-bewerbs ausrichtet, da nur im Wettbewerb eine Chance besteht, nen-nenswerte finanzielle Belastungen durch Effizienzgewinne aufzufan-gen. Bessere Leistungseffizienz im Wettbewerb muss dabei durchQualitätssicherung und eine bessere Umsetzung des Solidaritätsprin-zips ergänzt werden.

Ein optimiertes Kosten-Qualitäts-Ergebnis kann nur dann erwartetwerden, wenn Kostenverantwortung und Qualitätsverantwortung und(positive wie negative) Anreize, diese zu verbessern, in einer Hand lie-gen. Das kann nur auf der Versicherungsebene unter Wettbewerbs-bedingungen realisiert werden, wenn den Versicherten Kunden abwan-dern, falls sie zu teuer sind, aber auch Kunden abwandern, wenn sie zugeringe Behandlungsqualitäten bieten.

Durch Versicherungswettbewerb entsteht ein Druck, das Qualitäts-Kosten-Verhältnis zu verbessern, hinzukommen müssen aber auchentsprechende Möglichkeiten, diesen Wettbewerbsdruck in die Rea-lität umzusetzen. Auf der Ebene der Versicherungen erfordert das, dieVerpflichtung zu einheitlichen und gemeinsamen Verträgen mit denLeistungserbringern aufzugeben. Selektives Kontrahieren der Versi-cherungen und Vertragsfreiheit mit den Leistungserbringern wird imPrinzip durch die §§ 140 a-h SGB V gewährleistet. Auf der Ebene derLeistungserbringer müssen jedoch ebenfalls (speziell im ambulantenBereich) selektive Verträge und Zusammenschlüsse zu integriertenVersorgungseinrichtungen erleichtert und gefördert werden. Erheb-liche Qualitäts- und Effizienzgewinne ließen sich erreichen, wenn sichzumindest Krankenhäuser, Vertragsärzte und Rehabilitationsträger zu

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einer Organisations- und Verantwortungseinheit zusammenschließenwürden. Welche Teile der Versorgungskette organisatorisch zusam-mengefasst werden sollten (von Prävention bis zum Hospiz), kann nurdie Erfahrung zeigen. In einem Vertragswettbewerb zwischen Kranken-versicherungen und (unterschiedlichen Zusammenschlüssen von)Leistungserbringern müssen die optimalen Versorgungsformen,Behandlungsabläufe, Standards und Leitlinien, aber auch die Vergü-tungsverfahren (Fallpauschalen, Kopfbudgets etc.) erprobt und umge-setzt werden (vgl. Abbildungen 14 und 15). Flächendeckend ein ein-heitliches Fallpauschalensystem (DRG) im Krankenhaus „einzuführen“,entspricht nicht einer wettbewerblichen Lösung. Einheitliche Fallpau-schalen können falsch sein, dann steuern sie die Behandlung in einefalsche Richtung. Eine flexible Reaktion auf negative Erfahrungen istso kaum möglich. Besser wäre es, Fallpauschalen in selektiven Ver-handlungen zu erproben bzw. Zu- oder Abschläge entsprechendergebnisorientierter Qualitätsparameter vorzusehen.

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Abbildung 14:Integrierte Versorgung

Krankenversicherung

Deregulierung derVersorgungsverträge:● dezentrale Verträge● preisliche Anreize● nicht-preisliche Kontrolle● Interessenharmonisierung

Deregulierung derVersicherungsverträge:● differenzierte Verträge ● preisliche Anreize● nicht-preisliche Kontrolle

KH VÄ

Reha

VersichertePatienten

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Der Sicherstellungsauftrag für eine ausreichende, wirtschaftlicheund patientenorientierte Gesundheitsversorgung kann im Wettbewerbder Kranken- und Pflegeversicherungen an diese übergehen. Anreizezur Optimierung gehen vom Wettbewerb aus, eine Verbesserung derVerhandlungsmöglichkeiten ist notwendig, Informationen und Beurtei-lungsfähigkeit über das Behandlungsgeschehen müssen bei den Kas-sen hinzukommen. Die Versicherten werden lernen, ihre Wahlfreiheit (inGrenzen, denn eine Versicherungspflicht bleibt erforderlich) sinnvoll zugebrauchen, die Aufklärung der Versicherten bleibt eine Daueraufgabeder Kranken- und Pflegekassen. – Dies kann nur Ergebnis eines lang-fristigen Erprobungs- und Entwicklungsprozesses sein. Es ist die Auf-

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Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

gabe der Gesundheitspolitik, eine entsprechende Richtungsentschei-dung zu fällen und die wettbewerbliche Rahmenordnung zu gewähr-leisten. Es ist nicht zweifelhaft, dass ein funktionsfähiger Wettbewerbauch im Gesundheitswesen möglich ist und die Solidaritätsziele(besser als heute) auch in einem Wettbewerbsrahmen erreicht undgesichert werden können. Im demografischen Wandel bleibt ohnehinkeine Alternative, es sei denn, man hält ein vollständig durchreguliertesund bürokratisiertes Gesundheitswesen für eine Alternative. Daskönnte dann billig, nicht aber preiswert sein.

1. Selektives Kontrahieren:a) Vertragsfreiheit (im Prinzip durch §§ 140 a–h ff SGB V

gewährleistet)b) Stärkung wettbewerblicher Anreize

2. Gestaltung der Vertragsinhalte:a) organisatorische Abläufe definierenb) (neue) Vergütungsformen

I. Fallpauschalen (eher Krankenhaussektor, z.B. DRG-Typen)

II. Kopfbudgets (Capitation)III. Mischformen

Abbildung 15:Deregulierung der Versorgungsverträge

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III. Gesellschaftliches und individuelles Altern im Geflecht der ausgabenrelevanten Faktoren des Gesundheitswesens

3.1. Vulnerabilität im sehr hohen Alter und ihre Bedeutungfür die Gesundheitsausgaben

Auch dann, wenn die Menschen zukünftig relativ gesünder altern undsich die Ausgabenprofile im Kohortenvergleich an sich abflachenkönnten, können die tatsächlichen Ausgaben pro Kopf in den höherenAltersgruppen dynamisch steigen, weil sich die Medizin in ihren Fort-schritten auch zunehmend auf ältere und alte Menschen konzentriertund die alten Menschen selbst auch höher entwickelte Ansprüche arti-kulieren.

Augenmerk sollte vermehrt auf die Gruppe der über 80-Jährigengelegt werden, da sich dort Risiken und Verletzlichkeitsprofile abzeich-nen, die in der Tat den sehr alten Menschen zu einem ausgabenintensi-ven Fall werden lassen können. Aber über die Gruppe der über 60-Jäh-rigen oder der über 65-Jährigen allgemein und pauschal zu reden,macht epidemiologisch wenig Sinn. Nicht der Anstieg in der Zahl derälteren Menschen ist entscheidend, sondern der Gesundheitszustandder älter werdenden Menschen. Dabei müssen gewonnene Lebens-jahre keine kranken Jahre sein. Aber im neunten Lebensjahrzehntnimmt die Verletzlichkeit des Menschen, das heißt seine Anfälligkeit fürkörperliche und psychische Erkrankung, zu, wenngleich auch dort dieinterindividuelle Variabilität hoch und stabil bleibt. Die Probleme sindnicht als eine lineare Funktion des kalendarischen Alters abzubilden.So werfen in der intensivmedizinischen Behandlung Patienten desmittleren und höheren Erwachsenenalters – und nicht die ganz altenMenschen (siehe hier Lebok (2000) mit Bezug auf die Krankenhausver-weildauer) – hohe Fallkosten im Kampf mit dem Tode auf. Wollte manrationieren, so müsste dies schon bei den 40- bis 50-Jährigen begin-nen. Mit den „explodierenden Kosten“ des (höheren/hohen) Altershätte das dann jedoch wenig zu tun. Die medizinische Behandlunglebensbedrohlich erkrankter oder sterbender Menschen ist grundsätz-lich mit hohen Kosten verbunden, gleich, wann der Tod einzutretendroht.

Mit diesen Aussagen relativiert sich der isolierte Kausaleffekt derAlterung auf die Ausgaben- oder auch auf die Beitragssatzentwick-

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lung. Die Beitragssatzentwicklung hängt auch von der Einnahmenent-wicklung ab. Die Ausgaben sind als Ausdruck komplexer Leistungs-geschehen zu verstehen. Natürlich bleibt die zunehmende Anzahl alterMenschen nicht ohne Auswirkung. Hier liegt ein gesicherter expansiverEffekt vor, der als Altersstruktureffekt beschrieben wird. Der Morbidi-tätseffekt lässt allerdings bei zukünftig alten Menschen eher Abschwä-chungswirkungen vermuten, wobei die Menschen relativ gesünderaltern können, aber bei weiterhin ansteigender Lebenserwartung eineZunahme der Verletzlichkeit erwartet werden muss (Lebenserwar-tungseffekt), dies jedoch bei beträchtlicher interindividueller Variabi-lität.

Zu vorsichtigem Optimismus hinsichtlich der Frage nach der Qua-lität der gewonnenen Jahre gelangt auch der „Dritte Bericht zur Lageder älteren Generation“ (Bundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und Jugend, 2001, S. 70), wonach „sich der Gesundheitszu-stand der älteren Menschen (auch der Hochbetagten) in den letztenJahrzehnten verbessert hat.“ Derartige Fortschritte werden die demo-grafischen Effekte aber nur abschwächen, jedoch nicht (vollständig)kompensieren können. Aber für die Art und Weise, wie der Diskurs zuFragen des gesellschaftlichen Alterns geführt wird, sind diese Befundeund Perspektiven nicht unwichtig. Denn sie legen nahe, das gesell-schaftliche Altern mit seinen möglichen Folgen für die Kostenentwick-lung nicht im Sinne eines katastrophenartigen Szenarios zu interpretie-ren, sondern vielmehr im Sinne einer besonderen Anforderung, dieInterventionen notwendig macht. Von entscheidender Bedeutung fürdie Bewältigung dieser Anforderung ist die Frage, inwieweit sich alters-gerechte Versorgungs- und Behandlungssysteme entwickeln lassen,die den normativ-rechtlichen Vorgaben der Solidarversicherung ent-sprechend eine effektive – qualitativ hoch entwickelte und zugleichwirtschaftliche und systemeffiziente – gesundheitliche und pflegeri-sche Versorgung sicherstellen. Dann könnte die demografische Ent-wicklung eine Anforderung darstellen, die mit den volkswirtschaftlichsich ebenfalls weiter entwickelnden Ressourcen und mit intelligentenFormen der Leistungserbringung bewältigt werden kann.

Buchner (2002) bestätigt auf der Grundlage von PKV-Daten eineVersteilerung der Ausgabenprofile: Der Zusammenhang zwischendurchschnittlichen Pro-Kopf-Ausgaben und Lebensalter steigt bei älte-ren Versicherten schneller an als bei jüngeren Versicherten. Er nimmtweiter an, dass die Versteilerung auch auf die Entwicklung der GKV-Ausgaben übertragen werden kann. Er hält abschließend fest, dass „in

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Übereinstimmung mit einer Reihe anderer Untersuchungen ... nicht inerster Linie die demografische Entwicklung für einen zu erwartendendeutlichen Anstieg der Ausgaben im Gesundheitswesen verantwortlichist“ (Buchner, 2002, S. 222). Dies wird auch in einer Arbeit von Gand-jour, Greb, Bomsdorf & Lauterbach (2002) bestätigt. Danach lassensich in einem internationalen Vergleich weniger als 25 Prozent der Aus-gabenentwicklung bis zum Jahre 2030 durch die demografische Ent-wicklung erklären. Es werden Befunde angeführt, wonach die These,der medizinisch-technische Fortschritt lasse Menschen länger lebenund somit in ausgabenintensiver Morbidität älter werden, verworfenwird (vgl. etwa Jacobzone, 2000). Es wird insbesondere für Deutsch-land herausgestellt, dass das Hauptproblem in der schmalen Finanzie-rungsbasis liegt und weniger im Anstieg der Ausgaben: „It still holdstrue that the funding of health care expenditures becomes a larger pro-blem than the increase in expenditures itself if the working force decli-nes and investment funds do not cover all health care expenses for theelderly.“ (Gandjour et al., 2002, p. 12).

Es ist bekannt, dass die Ausgabenentwicklung des Gesundheits-wesens als multifaktorielles Phänomen verstanden werden muss(Schwartz & Busse, 1994, 1995). Zahlreiche angebots- und nachfrage-seitige Faktoren wirken – oftmals in Wechselwirkung – auf die Entwick-lung der Ausgaben ein. Im internationalen Vergleich ist der größte Teilder Ausgaben (in Relation zum Sozialprodukt) über Unterschiede inden Systemordnungen nicht zu erklären.

Eine synoptische Darlegung derzeit verfügbarer Prognosen überdie Beitragssatzentwicklung in der GKV bis 2040/50 lässt Streuungenzwischen 16 und über 30 Prozent zu, je nach Annahmen über diemedizinischen Entwicklungen und über den medizinisch-technischenFortschritt (Deutscher Bundestag, 2002, S. 191 ff.). In der Tat scheintes die entscheidende Frage zu sein, welche Behandlungskonzepte dieMedizin für alte und sehr alte Menschen entwickelt. Denn die Aus-gabenprofile sind nicht Ausdruck eines quasi-objektiven Bedarfes,sondern sie sind vielmehr monetär bewertete Ergebnisse dessen, wasdiagnostisch fundierte Therapiepläne und dadurch ausgelöste Patien-tenkarrieren bewirken. Hierzu liegen zahlreiche Befunde vor, die chro-nische Insuffizienzen in der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualitätdes deutschen Gesundheitswesens indizieren. Es bestehen – uno actu– Überversorgungen, Unterversorgungen und Fehlversorgungen (vgl.Sachverständigenrat, 2001). Die Ausgaben erklären sich daraus, wasbei gegebenem Leistungskatalog an Leistungsmengen induziert wird.

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Dabei bestehen Wirtschaftlichkeitsreserven – darauf haben sowohl derEnquete-Bericht „Demografischer Wandel“ (Deutscher Bundestag,2002) als auch der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion imGesundheitswesen (Sachverständigenrat, 2001) hingewiesen – unteranderem in der Möglichkeit der ständigen evidenz-orientierten Moder-nisierung des Leistungskataloges sowie in der Möglichkeit der Effekti-vitätssteigerung durch integrierte Behandlungs- und Versorgungsver-läufe. Dazu müssen zum Beispiel strukturqualitätsbezogen die institu-tionellen Formen der Leistungserstellung (Gesundheitszentren imambulanten wie im stationären Sektor) modernisiert und prozessquali-tätsbezogen die krankenhausinternen Schnittstellen (clinical pathways)sowie die Schnittstellen im transsektoralen Ablauf (Sicherstellung vonVersorgungsketten) optimiert werden. Dann könnte das modernisierteAnbietersystem wirtschaftlicher und effizienter auf die epidemiologischveränderten An- und Herausforderungen infolge des demografischenWandels reagieren. Dazu gehören auch passungsfähige Vergütungs-formen.

3.2. Lebenserwartung, Heimrisiko und Ausgaben-verschiebungen zwischen Kranken- und Pflegekassen

Die Ausgaben der Krankenkassen und der Pflegekassen sind beiweiterhin ansteigender individueller Lebenserwartung gemeinsam zubetrachten, da sich Verschiebungen in den Bedarfslagen der Men-schen ergeben, die hinsichtlich der sektoralen Ausgabenentwicklun-gen bedeutsam sind.

Mit der wachsenden Zahl der hochbetagten Menschen nimmtzukünftig die Bedeutung der stationären Altenpflege zu. Dies bedeutet:Selbst dann (vgl. etwa Walter, 2001), wenn die Menschen bei steigenderLebenserwartung gesünder altern (im Kohortenvergleich), wächst dasRisiko (individuell und somit auch auf die Altersgruppe insgesamtbezogen), im hohen Alter pflegebedürftig zu werden und stationär ver-sorgt werden zu müssen.

Im neunten Lebensjahrzehnt nimmt die Verletzlichkeit des Men-schen und damit dessen Anfälligkeit für körperliche und psychischeErkrankungen zu; hier sind ausgabenwirksame Risiken für die Autono-mie im Alter zu erwarten. Die Erkrankungen und Funktionseinbußen imhohen Lebensalter haben oft eine lange Latenzzeit. Der Alzheimer-Typ

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der Demenz ist hierfür das zentrale Beispiel, zumal die Demenzversor-gung ökonomisch aufwändig ist (Bundesministerium für Familie,Senioren, Frauen und Jugend, 2002, S. 181 f.) und die Demenz einenaußerordentlich bedeutsamen Heimrisikoprädiktor darstellt (siehedazu auch Bickel, 1998, 2001). Nicht nur ist die Demenzerkrankungbereits bei Heimeintritt ein oftmals vorliegendes Merkmal (vgl. Bundes-ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2001, S.126,2002, S. 168); sie nimmt in Abhängigkeit von der Heimverweildauerweiter zu.

Die hohen Prävalenzraten der Alzheimer-Demenz in der Gruppe der über 80-Jährigen resultieren auch aus der Verschiebung des Sterbealters. Altern Menschen also – im Sinne einer Selektion – zu-nehmend durch Vermeidung oder Überwindung mortalitätsrelevan-ter Erkrankungen (beispielsweise Rückläufigkeiten bei Krebs oderHerzinfarkt), so steigt das Risiko an, im hohen Alter an hilfe- undpflegeinduzierenden Erkrankungen zu leiden, die nicht kausal durchdas hohe Alter, aber entwicklungsbezogen im hohen Alter aus-brechen und auftreten. Würde sich somit eine Rektangularisierung der Lebenskurven bei gleichzeitiger Rechtsverschiebung (Anstieg) des Sterbealters populationsbezogen abzeichnen, dann wäre mit einer Kumulation von Erkrankungen spezifischer Art im hohen Alter zu rechnen. Damit ist auch eine Verschiebung zum Spektrum ge-rontopsychiatrisch klassifizierter Erkrankungen wahrscheinlich (Bun-desministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2002, S. 183).

Bei einer gesünder alternden Bevölkerung und steigender Lebens-erwartung eines wachsenden Teiles der Bevölkerung ist mit einerBedeutungszunahme der Demenz zu rechnen (vgl. auch Bundesmini-sterium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2002, S. 136 f.).

Zwar erhöht sich nicht die Gesamtmorbidität der psychischenErkrankungen in der Gruppe der über 65-Jährigen im Vergleich zu derjüngeren Population; aber innerhalb der Gruppe der über 65-Jährigenfinden Verschiebungen innerhalb des Krankheitsspektrums statt.

Die Frage eines Fortschritts in der Verlaufsform gesundes Alternsist aber noch nicht gesichert zu beantworten (Walter, 2001). Es gilt bis-lang: Gerade Menschen im hohen und sehr hohen Alter leiden unterchronischen Erkrankungen, deren medizinische Behandlung in derRegel bis zum Lebensende andauert, wobei sich meist das Gesamt-bild der chronischen Erkrankungen verschlechtert (Bundesministeriumfür Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2002, S. 138).

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Mögliche Fortschritte in Richtung auf positivere Verlaufsformen desgesunden Alterns können aber auch Pflegebedarfe verringern helfen,und zwar immer dann, wenn (krankenversicherungsrelevante) Erkran-kungen reduziert werden, die einen Pflegebedarf häufig nach sich zie-hen. Man denke etwa an den Risikofaktor Rauchen, der in seiner Wir-kung seit langem bekannt ist mit Blick auf die kardiovaskulären Erkran-kungen und auf viele Krebserkrankungen. Auch an Bewegungsmangelund Übergewicht ist zu erinnern, Probleme, die bereits in der Kindheitund Jugend entstehen. Da es sich hier um Fragen verhaltensinduzierterMorbidität handelt, wobei langfristige Erkrankungen und Schäden sichim fortgeschrittenen und höheren Alter bemerkbar machen, ist auf Prä-ventionspotenziale infolge des bildungsstandsabhängigen Lebenssti-les zu verweisen. Andererseits holen Mädchen gegenüber den vonJungen in Pubertät und Adoleszenz erworbenen maskulinen Risikover-haltensmustern auf, da Mädchen und junge Frauen vermehrt erwerbs-biografisch ausgerichtet sind (Cornelißen et al., 2002) und somit die inder Erwerbswelt funktionalen, aber pathogenen Verhaltensmusterebenfalls erlernen.

Ein Beispiel ist der Schlaganfall, in dessen Verlauf sich schwerwie-gende Folgen wie Lähmungen, Einschränkungen der Sprache und derkognitiven Funktionen einstellen. Wenn es gelänge, präventiv die Risi-kofaktoren des Schlaganfalls im Lebenslauf besser zu kontrollieren, sowürde sich dies auch auf die schlaganfallabhängige Pflegeinzidenz imAlter auswirken, denn auch der Schlaganfall zählt zu den häufigstenschwerwiegenden Erkrankungen im höheren Lebensalter und induzierterhebliche Pflege- und Abhängigkeitsentwicklungen alter und sehralter Menschen.

Diese Befunde und Perspektiven haben Auswirkungen auf dieDynamik des Versorgungsbedarfs des hohen Alters. Der Verlust anpersonaler Lebensführungsautonomie und die Zunahme damit korre-lierter Hilfe- und Pflegebedürftigkeiten im höheren Alter stellen hoheAnsprüche an die sozialen Netzwerke. Aber genau diese sind geradedann begrenzt (oder auch überfordert), wenn sie benötigt werden. DiePartner und (häufiger) Partnerinnen der Hochbetagten sind selbsthochbetagt oder bereits verstorben; hochaltrige Frauen sind meist ver-storben; die Kinder hochbetagter Menschen sind selbst bereits älter,deren Kinder (unterstellt wird hier also eine relevante gemeinsameLebenszeit mehrerer Generationen einer verwandtschaftlichen Linie)gehören zu den älteren Arbeitnehmern und weisen spezifische Arbeits-marktvulnerabilitäten auf, die mit hohen Opportunitätskosten der

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Übernahme (oder Vereinbarkeit) von Pflegerollen (vor allem bei Frauen)verbunden sind (vgl. Naegele & Reichert, 1999); deren Kinder sindjunge Familien oder Berufseinsteiger mit spezifischen phasenspezifi-schen Lebensorientierungen und sind besonderen räumlichen Mobili-tätsanforderungen infolge der beruflichen An- und Herausforderungenausgesetzt usw. Kurzum: Unabhängig von möglichen (die Forschungbestätigt: ausgeprägten) „moralökonomischen“ Hilfebereitschaftenund intakten, wenn auch immer ambivalenten Generationenbeziehun-gen gilt, dass die Übernahme der Aufgaben durch die Akteure der so-zialen Netze in jeder Phase deutlichen Machbarkeitsbegrenzungenausgesetzt ist (vgl. auch Bundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und Jugend, 2002, S. 217). Dies hat wiederum Auswirkungenauf die Rolle der formellen Leistungssysteme des Hilfe- und Pflege-marktes und vor allem auf die Dynamik von Substitutionsprozessenzwischen ambulanten und stationären Pflegesystemen.

Durch die steigende Lebenserwartung und durch die damit korre-lierten Bedeutungszunahmen der spezifischen Risikolagen und Vul-nerabilitätsprofile des höheren Alters, wie sie oben beschrieben wor-den sind, können häusliche Pflegearrangements durch eine Koproduk-tion der Netzwerkökonomiken und der ambulanten professionellenPflegedienste eine stationäre Versorgung nur hinauszögern, aberlängsschnittlich nicht vermeiden (eine entsprechende weitere Lebens-dauer der pflegebedürftigen Person unterstellt).

Der Prozess verläuft demnach wie folgt: Auf die Gruppe der über65-jährigen Menschen (querschnittlich bezogen) kann bei Eintretenvon Hilfe- und Pflegebedürftigkeit die Realisierung häuslicher Pflege-arrangements zunächst durch die Ankoppelung ambulanter Dienstegefördert werden. Mit der weiteren Alterung des Pflegebedürftigennimmt dann aber das Heimrisiko zu, vor allem dann, wenn (a.) beste-hende soziale Netze angesichts der Zunahme der Pflegebedürftigkeitin Verbindung mit Inkontinenz, Demenz etc. überfordert sind und/oder(b.) soziale Netze in ihrer Dichte und Qualität abnehmen, fraglich wer-den und schlicht selbst altern. Auch ist damit zu rechnen, dass sich diesozialen Netzwerke verkleinern werden (Mager, 1999), sodass sich dieFrage nach der Entwicklung funktionaler Äquivalente vermehrt stellenwird.

Defizitäre Netzwerke müssen daher als zentraler Heimrisikofaktorgelten, vor allem in Verbindung mit netzwerkerodierenden Belastungs-faktoren (wie Demenzerkrankungen). Im Lichte dieser Hypothese wirddann auch der europäisch vergleichende empirische Befund bei Alber &

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Schölkopf (1999, S. 264) verständlich: „In vergleichender Perspektiveergeben sich keine Hinweise auf Substitutionseffekte zwischen statio-nären und ambulanten Diensten. So zeichnen sich Länder mit hohenVersorgungsniveaus in der einen Dimension keineswegs durch einbeschränktes Angebot in der anderen aus. In vergleichender Perspek-tive ist es vielmehr so, dass die Versorgungsgrade mit ambulanten undstationären Pflegediensten kovariieren.“ Die Konsequenzen zeichnensich folglich in der Heimbewohnerstruktur ab: Die vor allem weiblicheBewohnerschaft ist zu 20 Prozent über 90 Jahre alt, fast 70 Prozentsind über 80 Jahre alt. Fast 50 Prozent wohnen mindestens 3 Jahre, 20Prozent über 7 Jahre im Heim (Bundesministerium für Familie, Senio-ren, Frauen und Jugend, 2002).

Unter der Annahme steigender Lebenserwartung (gesicherterEffekt), demografisch bedingter Ausdünnung verfügbarer intergenera-tioneller Netzwerkpotenziale (gesicherter Effekt) und unter der An-nahme von Fortschritten in den Verlaufsformen gesunden Alterns(ungesicherter, aber möglicher Effekt) ist mit einem Anwachsen derpflegerischen und betreuenden Versorgungskosten des höheren Altersvor allem im stationären Sektor zu rechnen.

Mager (1999, S. 58) gelangt zu einer ganz ähnlichen Einschätzung:„Die Mutmaßung, dass die steigende allgemeine Lebenserwartunginsbesondere in den höheren Altersstufen, unter der Voraussetzungeiner nach wie vor über alle Altersstufen erfolgenden Mortalitätsreduk-tion sowie einer ungebrochenen Dynamik des medizinisch-techni-schen Fortschritts, zu einer Erhöhung der Zahl der Pflegebedürftigenführen wird, erscheint nicht unbegründet.“ Denn das Institutionalisie-rungsrisiko wird durch die Variable höheres Lebensalter und Familien-stand determiniert (Greene & Ondrich, 1990; Greene, Lovely, Miller &Ondrich, 1993; Hanley, Wiener & Harris, 1991).

3.3. Die soziale Akzeptanz der GKV seitens der Versicherten

Angesichts der zunehmenden Anzahl älterer Menschen und vor allemdes Anstiegs der sehr alten Menschen hat der „Vierte Bericht zur Lageder älteren Generation“ (Bundesministerium für Familie, SeniorenFrauen und Jugend, 2002) eine solidarische Ethik des Alterns eingefor-dert. Schon der „Dritte Bericht zur Lage der älteren Generation“(Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2001)

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hatte herausarbeiten können, wie der Sozialstatus des älteren Men-schen abhängig ist vom moralischen und sozioökonomischenGesamtgefüge der Gesellschaft als einem intergenerationellen Verket-tungszusammenhang. Anthropologisch und rechtsphilosophisch wardiese Einsicht geprägt von der Annahme, dass der Mensch einerseitsvon den Merkmalen der Selbstverantwortung und der Selbstbestimmt-heit her zu verstehen sei, andererseits auch sozial mitverantwortlich istund einen subsidiären Status einnimmt, mithin von der gesellschaft-lichen Vorhaltung relevanter Ressourcen abhängig ist. Damit wirft imintergenerationellen Zusammenhang die demografische Veränderung– die steigende Zahl älterer Menschen sowie die steigende Lebenser-wartung – besondere Fragen der „moralökonomischen“ Akzeptanz derUmverteilungsvorgänge in der gesetzlichen Krankenversicherung alsRisikogemeinschaft auf.

Entsprechend dem SGB V hat die Gesetzliche Krankenversiche-rung eine bedarfsgerechte Versorgung nach Stand der Künste unterWahrung von Wirtschaftlichkeits- und Effizienzzielen sicherzustellen(zu den normativ-rechtlichen Grundlagen ausführlich Schulz-Nies-wandt, 2002a). Da gemäß dieser normativ-rechtlichen Vorgaben eine(z.B. einkommens-, alters-, geschlechtsbezogene) Risikoselektion ver-mieden werden soll, kommt es im Rahmen der gegebenen institutio-nellen Ausgestaltungen zu erheblichen Umverteilungsprozessen inner-halb der Einzelkassen und – bedingt durch den RSA – auch im gesam-ten Kassensystem. Voraussetzung der dauerhaften und nachhaltigensozialen Akzeptanz bei den Versicherten ist die Einnahme einer genera-lisierten Reziprozitätsneigung (man gibt unbedingt, also ohne diebedingende Äquivalenzerwartung des Ausgleichs von Geben undNehmen; vgl. Schulz-Nieswandt, 2002a, 2002b). Empirisch (als Netto-zahler-Nettoempfänger-Bilanz) kann sich eine ausgeglichene Rezipro-zität einstellen. Demnach wäre es möglich, dass sich ein Reihe vonvertikalen und horizontalen Umverteilungen inter-temporal ausglei-chen. Sofern sich aber infolge des sozialen Wandels (Erwerbsbiogra-fien, Familien- und Lebensformen, Fertilität etc.) die Versicherten-gemeinschaft zunehmend heterogen entwickelt, wird die sozialeAkzeptanz dauerhafter Umverteilungseffekte voraussetzungsvoller,nicht unmöglich, aber normativ aufwändiger und daher verletzbarer.

Der Umverteilungsprozess zwischen Jung und Alt als sozialerGenerationenvertrag in der GKV gehört zu diesen Umverteilungspro-zessen. Ähnlich wie in der Rentenversicherung bestehen im Umlage-finanzierungsverfahren Probleme der Scherenentwicklung zwischen

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lohnbezogener Mittelaufbringung einerseits und demografisch be-dingten Ausgabenentwicklungen andererseits, verschärft allerdingsauch durch die massiven Frühverrentungstrends – ein Effekt, der beider Analyse der Lastenverschiebung zwischen den Sozialversicherun-gen zu Ungunsten der GKV bei Klose & Schellschmidt (2001) nichtbeachtet wird (vgl. zur Problematik der Fremdlasten auch Schmähl,2002).

Überraschend sind nun die Befunde der Akzeptanzforschung,wonach trotz Kenntnisnahme dieser Belastung der Kassen durch dieAlterung der Bevölkerung und trotz Kenntnis der Umverteilungspro-zesse die Masse der Versicherten in diese Risikovergemeinschaftungeinwilligt. Offensichtlich denkt die Bevölkerung weitgehend „rawlsia-nisch“: Unter dem „Schleier des Nichtwissens“, wie sich wohl die Bio-grafie unter Gesundheitsgesichtspunkten (Morbidität und Mortalitäts-alter) entwickeln wird, willigt man in die Solidarfinanzierung einesumfassenden Leistungskataloges ohne konstitutive Risikoselektionein. Dies haben jedenfalls die empirischen Studien von Ullrich (2000 ff.)gezeigt.

Im Rahmen der Akzeptanzforschung des Wohlfahrtsstaates (Krü-ger, 2001; Möhle, 2001) wird der Befund deutlich, dass die Bevölke-rung sektorspezifische Gerechtigkeitsvorstellungen hat und sich unter-schiedliche Gerechtigkeitsprinzipien auch mischen können (Pioch,2000). So urteilt die Bevölkerung nicht nur über einzelne Leistungs-bereiche des BSHG oder des SGB III recht differenziert (Roller, 1996;Lippl, 2001; Rinne 2000; Andreß & Heien, 2001; Karl, Ullrich & Hamann,2002; Hamann, Karl & Ullrich, 2001), sondern bevorzugt in Fragen der Gesetzlichen Rentenversicherung eher äquivalanzbezogene Leis-tungsgerechtigkeitsideen, während in der GKV die Bedarfsgerechtig-keit befürwortet wird. Eine Studie von Wasem (1999) konnte zeigen,dass diese Einstellung auch dann noch stabil ist, wenn die finanziellenKonsequenzen (Beitragssatzbelastung) klar sind (vgl. auch Zok, 2002a,S. 221). Allerdings zeigen die Daten auch, dass die Versicherten Erwar-tungen an die Entwicklung modernerer Formen der Leistungserbrin-gung haben, insbesondere auch in Richtung auf eine Überwindung derdesintegrierten Versorgungsprozesse (Zok, 2002b; Jann, 2002).

Man könnte daher mit Blick auf die Kosten des Alter(n)s schlussfol-gern: Die sozialversicherte Bevölkerung spricht sich hinsichtlich dersystembezogenen Frage: „Wer bekommt was und wie?“ für Bedarfs-gerechtigkeit (Was) und Solidarfinanzierung (Wer) aus, kritisiert aberdas Wie, also die Art und Weise der Leistungserstellung, das Prozess-

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geschehen. Deshalb spricht vieles dafür, solidarische Finanzierungund einen einheitlichen und gemeinsamen Leistungskatalog zu erhal-ten und auf dieser Basis einen gleichen Zugang zu den Gesundheits-leistungen zu ermöglichen: „Solidarität ist ein Grundprinzip der sozial-staatlichen Tradition in Europa“ (Wasem, 2002, S. 294). Aber es fehlt anInnovationen in der Art der Leistungserbringung. Aus gerontologischorientierter Sicht mangelt es insbesondere an sektorübergreifendenVersorgungen, an evidenzgestützten Behandlungen, an DiseaseManagement für chronische Erkrankungen. Es schließen sich dahernoch (Abschnitt 3.5) einige Überlegungen an, die das Problem der Ver-besserung der Kosteneffektivität an eine bessere Versorgungsqualitätknüpfen.

3.4. DRG-Vergütung des Akutkrankenhauses und Sicherstellung von Versorgungsketten

Lässt man die erst aufkommende Diskussion um Pauschalvergütun-gen auch für die geriatrische Rehabilitation und daraus resultierendeKonzeptionen sektorübergreifender, patientenpfadorientierter Kom-plexvergütungen außer Acht (Kleinow, Hessel & Wasem, 2002; Wasem,Kleinow & Schulz-Nieswandt, 2002), so stellt die Einführung der DRG-Vergütung im Akutkrankenhaussektor eine besondere Herausforde-rung für die integrierte Versorgung dar (vgl. auch Schulz-Nieswandt,2002a). Selbst dann, wenn die technische Ausgestaltung der DRGoptimal gelingen sollte, bleibt infolge der erwartbaren Verkürzungender Verweildauer gerade angesichts der Komplexität der Bedarfslagenälterer und alter Menschen eine seit langem bestehende, dann abergesteigerte Notwendigkeit der Sicherstellung unbrüchiger, optimalerVersorgungsketten transsektoraler Art. Die Entwicklung des § 140a-hSGB V ist noch nicht wesentlich vorangekommen; abgesehen von derRolle der kollektivvertraglich tätigen Verbände im Rahmen der Regel-versorgung sind noch viele Probleme ungelöst (etwa die nach der fai-ren und effizienten Aufteilung von kombinierten Budgets zwischen denVertragspartnern eines integrierten Versorgungsnetzes – zum Beispielambulante Ärzte, Akutkrankenhaus und Rehabilitationseinrichtungen –auf der Grundlage risiko-adjustierter Kopfpauschalen der eingeschrie-benen Versicherten).

Das Hauptproblem wird daher sein, bei kurzer Verweildauer – abge-sehen vom Schnittstellenmanagement innerhalb des Krankenhauses

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(im Sinne von clinical pathway management) – Sozialanamnese-fun-diert die Entlassung, die pflegerische oder rehabilitative Überleitungund die Sicherstellung der häuslichen Versorgung zu managen. Sonstdrohen Fehlplazierungen in der stationären Langzeitpflege (US-ameri-kanische Erfahrungen), Drehtüreffekte, und Kostenabwälzungen aufden (ebenfalls budgetierten und pauschal vergüteten) ambulantenmedizinischen Sektor (österreichische Erfahrungen mit der leistungs-orientierten Krankenhausfinanzierung bei gleichzeitiger sektoraler Pau-schalfinanzierung des ambulanten Sektors). Es drohen auch zu früheÜberleitungen oder Entlassungen klinisch instabiler Patienten in dieRehabilitation und in die häusliche Lebenswelt. All das sind Effekte, diebei Annahme rationaler Verhaltensweisen der Anbieter je nach institu-tioneller Ausgestaltung der Rahmenbedingungen des Handelns (Qua-litätsmanagement etc.) auf Grund der Verlagerung des Morbiditätsrisi-kos auf die Anbieter (infolge der Reduzierung des Finanzierungsrisikosder Kassen) plausibel zu erwarten sind. Zur Vermeidung derartigerRisikoselektionen und Qualitätsdefizite ist eine leistungsrechtlich undvergütungsrechtlich institutionalisierte Versorgungsintegration erfor-derlich. Diese würde weit über den – erwünschten – Ausbau kranken-hausinterner Sozialarbeit hinausgehen. Nur so könnten – gerade mitBlick auf die soziodemografischen Wandlungen und mit Blick auf diedamit einhergehenden epidemiologischen Veränderungen – passungs-fähige Versorgungslandschaften entstehen, die den An- und Heraus-forderungen einer alternden Gesellschaft sowohl qualitativ als auchkosteneffektiver begegnen können. Kurzum: Die Gesellschaft finan-ziert falsche, überholte Strukturen und finanziert so Ablaufprozesse,die nicht dem Stand der Künste entsprechen.

Betriebsmorphologisch gesehen, bedarf es einer Pluralisierung derBetriebstypen. Das klassische Krankenhaus, die rehabilitative Sonder-klinik im ländlichen Erholungsraum und der niedergelassene selbst-ständige Arzt (mit weiblichen Helferinnen und integrierter Apparate-und Labormedizin) sind nicht generell, aber in ihrer Monopolstellungüberholt. Hier ist auf die Idee der Gesundheitszentren – sowohl im sta-tionären wie im ambulanten Sektor – zu verweisen.

Zunächst zum Wandel des Krankenhauses zum Gesundheitszen-trum. Dabei kann der Krankenhausträger selbst verschiedene weitereLeistungsmodule vorhalten oder auch vertragliche Kooperationsbezie-hungen mit rechtlich selbstständigen, fremden Leistungseinrichtungenim relevanten sozialen Raum eingehen. Bleibt hierbei das Gesund-heitsnetz eine Kooperationsbeziehung zwischen eigenständigen Leis-

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tungsanbietern, aber mit einem inhaltlich abgestimmten Dienstleis-tungsangebot und gemeinsam getragener Budgetverantwortung, soverweist die zuerst genannte Strategie auf die Bildung von Versor-gungs-AGs, wobei unter einem Unternehmensdach ein komplettesVersorgungsangebot vereint ist. Abstrakt formuliert ist das Kranken-haus als Gesundheitszentrum jedenfalls ein multidimensional-inte-griertes Modul einer Integrationsversorgung, das präventive, akutme-dizinische, geriatrisch-rehabilitative, pflegerische und sonstige soziale,insbesondere beratende Funktionen vorhält, in enthierarchisierterWeise multiprofessionell orientiert ist und um den Patienten mit seinemsozialen Netzwerk zentriert arbeitet, also wohnortnah ausgerichtet seinmuss. Es wird allerdings auch deutlich, dass sich mit der Entwicklungdes Krankenhauses zum Gesundheitszentrum nicht nur die baulicheArchitektur, sondern seine innere Kultur der Dienstleistungsproduktionändern muss. Sie muss viel stärker als bislang patienten- und angehö-rigenzentriert und weniger arztzentriert und weniger hierarchisiert aus-fallen. Damit sind erhebliche professionsständepolitische, insgesamtkulturelle Entwicklungsbarrieren angesprochen (vgl. dazu auch Schulz-Nieswandt, 2002a). Natürlich sind auch die rechtlichen Grundlagennicht da, und das ganze System der Sicherstellungs- und Gewährleis-tungspolitik des ambulanten Sektors, der Krankenhausbedarfsplanungder Länder und des Vertragswesens in der Rehabilitation, abgesehenvon Fragen der Re-Integration des SGB V und des SGB XI, müsste neugefasst werden. Aber diese Probleme zu nennen, ändert nichts an demBefund: Eine Versorgung, die dem sozialen Wandel gerecht werdenwill, braucht diese Innovationen.

Allerdings wird man auch im ambulanten Sektor die Möglichkeit derEntwicklung zu Gesundheitszentren sehen können: In einem derarti-gen ambulanten Gesundheitszentrum würde eine Praxis für Laborme-dizin kleine unwirtschaftliche Mini-Labore, wie sie heute in jeder Praxisnotwendig sind, ersetzen – und sich rentieren. Gleiches gilt für eineradiologische Praxis, einen gemeinsam zu nutzenden OP-Trakt fürambulante Operationen und nicht zuletzt für eine zentrale Patienten-verwaltung einschließlich Terminverwaltung und Abrechnung. Durchdie gemeinsame Krankenakte ließen sich unerwünschte Nebenwirkun-gen durch nicht verträgliche Medikamentenkombinationen vermeiden.Die Anamnese stünde innerhalb des Gesundheitszentrums zur Verfü-gung. In gemeinsamen Besprechungen ließen sich Problemfälle disku-tieren und die Therapie aufeinander abstimmen – eine erhebliche Stei-gerung in der qualitativen Versorgung der Patientinnen und Patienten.

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Durch die Einrichtung von Schichtdienst ließen sich die Öffnungszeitenerweitern. Ein solches Gesundheitszentrum ließe sich sehr gut in eineintegrierte Versorgungsstruktur von stationärer und ambulanter Versor-gung einbinden. Aber auch hier zeichnen sich die Entwicklungsbarrie-ren ab: Der betrieblich wie professionsständisch überkommene Arztty-pus wird in Frage gestellt.

Die Förderung von sozialer Selbsthilfe gemäß § 20 SGB V ist einBeispiel für die Investition in nicht-medizinische, aber medizin-komple-mentäre Wohlfahrtproduktionen, die für die Genesung und für dieLebensqualität der Menschen wichtig sind. Das SGB XI formuliertexplizit derartige Kooperationen mit wohlfahrtsgesellschaftlichenAkteuren, setzt sich aber in dieser Aufnahme kommunitaristischenDenkens (im Sinne der Förderung bürgerschaftlichen Engagements)angesichts des Strukturtyps der plafondierten Grundsicherung demVerdacht der fiskalischen Austeritätspolitik aus, ein Vorwurf, von demdie Sozialhilfeträger ebenfalls nicht frei sind. Sicherlich, den Kassenfehlen die sozialversicherungsrechtlichen Grundlagen (mit Blick auf §30 SGB IV); aber dies ist nur ein Befund, kein sachliches Argumentgegen die Notwendigkeiten innovativer Entwicklungen, wie es dasSGB I ohnehin nahelegt. Die Kassen müssen sich zu medizinübergrei-fenden sozialen Dienstleistungsunternehmen entwickeln, die dieLebenslage der Versicherten im Auge haben, also Case ManagementCenter darstellen. Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik wird doch seitlangem Ähnliches diskutiert: nämlich Fragen der Vernetzung oder garZusammenlegung von Arbeits- und Sozialämtern, partielle Integrationvon SGB III und BSHG unter Aspekten einer „employability“-Politik.Der Vergleich ist viel sagend: Kausalprinzip, gegliederten Sozialversi-cherungswesen und multiple Kostenträgerschaften werfen strukturelleProbleme auf, die auch im Lichte der An- und Herausforderungen derdemografischen Veränderungen Gestaltungsbedarf nach sich ziehen.

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IV. Chronische Erkrankungen und Präventionspotenziale

4.1. Zur Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit präventiverMaßnahmen

In Tabelle 13 sind auf der Grundlage von Daten des StatistischenBundesamtes die in Deutschland in den Jahren 1994 und 1995 ange-fallenen Gesamtausgaben für Gesundheit nach den übergeordnetenBereichen „vorbeugende und betreuende Maßnahmen“, „Behand-lung“, „Krankheitsfolgen“, „Ausbildung und Forschung“ sowie „nichtaufteilbare Ausgaben“ differenziert dargestellt. Diese Daten machendeutlich, dass das deutsche Gesundheitssystem nach wie vor primärkurativ ausgerichtet ist: Auf Behandlungskosten entfiel jeweils mit fast60 Prozent der größte Teil der Gesamtausgaben; für Krankheitsfolge-leistungen wurden jeweils 27,5 Prozent der Gesamtkosten aufgewen-det.

Demgegenüber war der Anteil von vorbeugenden und betreuendenMaßnahmen an den Gesamtausgaben mit 7,4 bzw. 8,2 Prozent deut-lich geringer.

Es kommt hinzu, dass sich Maßnahmen der Prävention undGesundheitsförderung seit Jahrzehnten auf Kinder und Jugendliche,Schwangere und mittlere Altersgruppen konzentrieren. Ältere Men-

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

70

Mio. DM Anteil

1994 1995 1994 1995

Angaben für Gesundheit 469.573 507.060 100 % 100 %insgesamt

Vorbeugende und 34.793 41.690 7,4 % 8,2 %betreuende Maßnahmen

Behandlung 274.714 291.027 58,5 % 57,4 %

Krankheitsfolgeleistungen 129.140 139.480 27,5 % 27,5 %

Ausbildung und Forschung 8.185 8.555 1,7 % 1,7 %

Nicht aufteilbare Ausgaben 22.741 26.308 4,8 % 5,2 %

Tabelle 13: Ausgaben für Gesundheit 1994 und 1995

(Quelle: Schwartz et al., 1999)

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schen – und hier in noch stärkerem Maße Menschen im so genannten„vierten Lebensalter“ – waren bislang nur in Ausnahmefällen Ziel-gruppe von Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung(Schwartz, 2002), eine Tatsache, die nach Walter (2001) vor allem aufein „Dogma der morphologischen und physiologischen Unveränder-lichkeit von Einbußen im Alter“ zurückgeht.

Im 1998 veröffentlichten Gesundheitsbericht der Weltgesundheits-organisation wird dargelegt, dass die demografische Entwicklung inden kommenden Jahrzehnten mit einer Zunahme des medizinischenund des pflegerischen Versorgungsbedarfs einhergehen wird – einegesellschaftliche (und ökonomische) Herausforderung, die nur bewäl-tigt werden kann, wenn sehr viel mehr als heute in mittel- und lang-fristig wirksame Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförde-rung investiert wird.

Der Verzicht auf eine Stärkung von Prävention und Gesundheits-förderung hätte für die beiden kommenden Jahrzehnte vor allem einensteigenden Versorgungsbedarf für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Er-krankungen des Bewegungsapparats, Krebserkrankungen, obstruk-tive Lungenerkrankungen und vaskuläre Demenz zur Folge (Schwartz,2002). Nach Berechnungen von Schulz, König und Leidl (2000) ergäbesich im stationären Bereich bis zum Jahre 2020 ein Anstieg des Versor-gungsbedarfs für Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems um fast 44Prozent; bei den über 75-Jährigen wäre eine Erhöhung des Versor-gungsbedarfs infolge von Schlaganfall und Herzinsuffizienz um 77 Pro-zent, infolge von organischen Psychosen um 74 Prozent, infolge vonDiabetes mellitus um 69 Prozent und infolge von Oberschenkelhals-bruch um 63 Prozent zu erwarten.

4.2. Medizinischer Versorgungsbedarf in unter-schiedlichen Altersgruppen: Gesundheitsindikatoren, Krankenhausfälle, Krankheitsspektrum und Medikation

Im Wohlfahrtssurvey von 1998 (Habich & Noll, 2000) gaben 10 Prozentder Befragten in Westdeutschland und 13 Prozent der Befragten inOstdeutschland an, unter einer chronischen Erkrankung zu leiden, diesie zwang, ihren Beruf aufzugeben oder ihr Leben ganz umzustellen(so die Formulierung der entsprechenden Frage im Wohlfahrtssurvey).Wie aus Tabelle 14 hervorgeht, lag der Anteil unter den 18- bis 39-jähri-

71

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

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gen Männern bei 3 Prozent (West) bzw. 12 Prozent (Ost), unter den 40-bis 59-jährigen Männern bei 13 Prozent (West) bzw. 19 Prozent (Ost)und unter den 60-jährigen und älteren Männern bei 18 Prozent (West)bzw. 22 Prozent (Ost). Von den 18- bis 39-jährigen Frauen bejahten 5Prozent (Ost und West) die entsprechende Frage, von den 40- bis 59-jährigen Frauen 11 Prozent (West) bzw. 14 Prozent (Ost) und von den60-jährigen und älteren Frauen 17 Prozent (West) bzw. 13 Prozent(Ost). Ähnlich wie für die Frage nach chronischen Erkrankungen fandsich auch für die Frage nach einer regelmäßigen Einnahme von Medi-kamenten ein deutlicher Alterseffekt. Während nur 6 Prozent (West)bzw. 11 Prozent (Ost) der 18- bis 39-jährigen Männer und 12 Prozent(West) bzw. 16 Prozent (Ost) der 18- bis 39-jährigen Frauen angaben,regelmäßig Medikamente einzunehmen, lag der entsprechende Anteilunter den 60-jährigen und älteren Männern bei 59 Prozent (West) bzw.60 Prozent (Ost) und unter den 60-jährigen und älteren Frauen bei 73Prozent (West) bzw. 65 Prozent (Ost).

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

72

Ins-gesamt 18–39 J. 40–59 J. ab 60 J. 18–39 J. 40–59 J. ab 60 J.

Männer Frauen

1978 15 7 20 29 7 16 231984 13 4 12 25 4 17 251988 13 4 14 28 7 13 231993 (W) 11 6 14 20 3 11 201993 (O) 11 3 12 28 2 4 281998 (W) 10 3 13 18 5 11 171998 (O) 13 12 19 22 5 14 13

1978 34 8 30 65 18 37 731984 32 6 25 59 16 33 731988 34 9 26 64 18 37 711993 (W) 28 6 25 54 11 30 601993 (O) 27 4 23 66 11 23 651998 (W) 32 6 24 59 12 35 731998 (O) 35 11 35 60 16 38 65

Andauernde Krankheit oder Behinderung (%)

Regelmäßige Medikamenteneinnahme (%)

Tabelle 14:Indikatoren gesundheitlicher Beeinträchtigung

(Quelle: Habich & Noll, 2000; Sachverständigenrat 2001)

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Neben den beiden genannten Indikatoren gesundheitlicher Beein-trächtigung wurde im Wohlfahrtssurvey die Zufriedenheit mit der eige-nen Gesundheit als ein weiterer (subjektiver) Gesundheitsindikatorerhoben (Tabelle 15). In Übereinstimmung mit den Ergebnissen zumVorliegen einer chronischen Erkrankung und einer regelmäßigen Medi-kamenteneinnahme findet sich in der Gruppe der 18- bis 39-Jährigenjeweils der höchste Anteil der mit ihrer Gesundheit Zufriedenen undder geringste Anteil der mit ihrer Gesundheit Unzufriedenen, währendin der Gruppe der 60-Jährigen und Älteren jeweils der geringste Anteilder mit ihrer Gesundheit Zufriedenen und der höchste Anteil der mitihrer Gesundheit Unzufriedenen gegeben ist.

73

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

Ins-gesamt 18–39 J. 40–59 J. ab 60 J. 18–39 J. 40–59 J. ab 60 J.

Männer Frauen

1978 12 4 14 16 8 14 201984 15 3 15 22 6 16 361988 13 5 11 19 6 13 281993 (W) 13 7 17 25 5 10 251993 (O) 13 1 13 25 4 14 321998 (W) 10 3 10 14 5 13 191998 (O) 15 9 12 19 6 15 31

1978 79 94 78 66 89 75 601984 74 91 77 65 89 70 451988 78 91 80 66 90 77 551993 (W) 77 92 72 63 91 76 541993 (O) 79 94 78 56 90 79 581998 (W) 81 93 82 71 90 77 621998 (O) 76 85 71 72 85 76 60

Eher unzufrieden mit ihrer Gesundheit sind (%)1

Eher zufrieden mit ihrer Gesundheit sind (%)2

Tabelle 15:Subjektive Gesundheitsindikatoren

(Quelle: Habich & Noll, 2000; Sachverständigenrat 2001)

1 Werte von 0 bis 4 auf einer von 0 (= „ganz und gar unzufrieden“) bis 10 (= „ganz und gar zufrieden“) reichendenZufriedenheitsskala.

2 Werte von 6 bis 10 auf einer von 0 (= „ganz und gar unzufrieden“) bis 10 (= „ganz und gar zufrieden“) reichendenZufriedenheitsskala.

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In Tabelle 16 findet sich eine Übersicht über die in den Altersgruppen„0–65 Jahre“, „65–75 Jahre“ und „über 75 Jahre“ pro 1.000 Personenauftretenden Krankenhausfälle (nicht zu verwechseln mit der Anzahl derbehandelten Personen). Grundlage dieser Darstellung ist die Kranken-hausdiagnosestatistik des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahre1993. Diese Statistik weist für fast alle der aufgeführten diagnostischenKategorien nicht nur einen Anstieg in der Gruppe der 65- bis 75-Jähri-gen gegenüber der Gruppe der 0- bis 65-Jährigen, sondern auch einenzusätzlichen Anstieg in der Gruppe der über 75-Jährigen aus. Die

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

74

Diagnose 0–65 65–75 Über 75 Insgesamt

Insgesamt 141 279 411 170

davon:

Krankheiten des Kreislaufsystems 14 75 127 26

Neubildungen 14 50 49 19

Krankheiten der Verdauungs-organe 14 28 37 17

Krankheiten des Skeletts, 10 22 21 12der Muskeln und des Bindegewebes 7 22 37 10

Krankheiten des Nerven-systems und der Sinnesorgane 11 20 21 14

Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgane 17 20 45 19

Verletzungen und Vergiftungen 11 14 25 12

Krankheiten der Atmungsorgane 4 11 12 51

Endokrinopathien, Ernährungs-und Stoffwechselkrankheiten so-wie Störungen im Immunsystem 8 6 12 85

Psychiatrische Krankheiten 301 11 25 29

Sonstige1 15 schwangerschaftsbedingt.

Tabelle 16:Krankenhausfälle pro 1000 altersgleiche Einwohner (1993),

nach Krankheits- und Altersgruppen aufgeschlüsselt (Quelle: Sachverständigenrat, 1996)

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Anzahl der Krankenhausfälle pro 1.000 Einwohner steigt entsprechendvon 141 für die Gruppe der 0- bis 65-Jährigen über 279 für die Gruppeder 65- bis 75-Jährigen auf 411 für die Gruppe der über 75-Jährigen.

Aus Tabelle 17 geht hervor, dass mit zunehmendem Alter vor allemKrankheiten des Kreislaufsystems eine stationäre Aufnahme notwen-dig machen. 31% der Krankenhausfälle in der Gruppe der über 75-Jährigen lassen sich auf diese Hauptdiagnose zurückführen. Dagegenerreicht die relative Bedeutung bösartiger Neubildungen in der Gruppeder 65- bis 75-Jährigen ihr Maximum.

75

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

Diagnose 0–65 65–75 Über 75 Insgesamt

Insgesamt (Mio.) 9,7 2,0 2,1 13,8

davon:

Krankheiten des Kreislaufsystems 10 27 31 15

Neubildungen 10 18 12 11

Krankheiten der Verdauungs-organe 10 10 9 10

Krankheiten des Skeletts, der Muskeln und des Bindegewebes 5 8 9 6

Krankheiten des Nerven-systems und der Sinnesorgane 8 7 5 8

Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgane 12 7 11 11

Verletzungen und Vergiftungen 8 5 6 7

Krankheiten der Atmungsorgane 3 4 3 3

Endokrinopathien, Ernährungs-und Stoffwechselkrankheiten so-wie Störungen im Immunsystem 6 2 3 5

Psychiatrische Krankheiten 21 4 6 17

Sonstige

Tabelle 17:Anteil einzelner Krankheitsgruppen (Hauptdiagnosen) an den

Krankenhausfällen im Jahre 1993, nach Altersgruppen aufgeschlüsselt, in Prozent

(Quelle: Sachverständigenrat, 1996).

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Wie aus Tabelle 17 hervorgeht, ist der Anstieg der relativen Bedeu-tung von Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems in der Gruppe derüber 75-Jährigen gegenüber der Gruppe der 65- bis 75-Jährigen vorallem auf zerebrovaskuläre Krankheiten und auf Herzinsuffizienzzurückzuführen. Dagegen nehmen ischämische Herzkrankheiten, alsdie in der Gruppe der 65- bis 75-Jährigen am häufigsten für eine statio-näre Aufnahme ausschlaggebende Diagnosekategorie, mit zunehmen-dem Alter offenbar in ihrer relativen Bedeutung ab.

Die Ergebnisse der Berliner Altersstudie (Mayer & Baltes, 1996)erlauben eine Schätzung einer Prävalenz von körperlichen Erkrankun-gen bei 70-jährigen und älteren Menschen. Unter Berücksichtigungder Diagnosesicherheit treten Hyperlipidämie, Varikosis, Herzinsuffi-zienz, Zerebralarteriosklerose, Osteoarthrose, Dorsopathie, arterielleHypertonie mit Prävalenzraten zwischen 45 und 76 Prozent am häu-figsten auf.

Konzentriert man sich auf medikamentös behandelte Krankheiten,so sind Herzinsuffizienz, Hypertonie, koronare Herzkrankheit, Osteo-arthrose, arterielle Verschlusskrankheit und Varikosis die am häufigs-ten auftretenden Krankheiten, wie aus Tabelle 18 und Tabelle 19 her-vorgeht. Darüber hinaus wird deutlich, dass aus der Perspektive desPatienten vor allem Erkrankungen des Bewegungsapparats im Vorder-grund stehen, die jedoch im Vergleich zu kardiovaskulären Erkrankun-gen seltener medikamentös behandelt werden (Steinhagen-Thiessen &Borchelt, 1996).

Eine Schätzung der Prävalenz von Multimorbidität und Multimedi-kation in der Gruppe der 70-Jährigen und Älteren auf der Grundlageder Ergebnisse der Berliner Altersstudie findet sich in Tabelle 20. Folgtman den Projektarztdiagnosen, dann leiden 18,6 Prozent der 70- bis84-jährigen Männer, 27,1 Prozent der 70- bis 84-jährigen Frauen, 40,9Prozent der 85-jährigen und älteren Männer sowie 54,3 Prozent der85-jährigen und älteren Frauen unter mindestens fünf objektiv mittel-bis schwergradigen Erkrankungen. Das Multimorbiditätsrisiko steigtdemnach mit zunehmendem Alter erheblich an, Frauen sind deutlichhäufiger von Multimorbidität betroffen als Männer.

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

76

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Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

Tabelle 18:Anteil der häufigsten stationär behandelten Krankheiten

im Alter (1993), je Altersgruppe, in Prozent (Quelle: Sachverständigenrat, 1996)

Diagnose 65–75 Über 75 Alle Alters-Jahre Jahre gruppen

Ischämische Herzkrankheiten 9,7 6,5 4,7

Anthropathien (Gelenkleiden) 4,8 2,8 3,6

Zerebrovaskuläre Krankheiten 4,6 8,4 2,6

Bösartige Neubildungen der Harn- und Geschlechtsorgane 4,2 3,1 2,1

Bösartige Neubildungen der Verdauungs-organe und des Bauchfells 4,0 3,3 1,9

Katarakt (grauer Star) 3,6 5,9 1,7

Krankheiten der Arterien, Arteriolen und Kapillaren 2,6 2,5 1,3

Herzinsuffizienz 2,5 6,4 1,6

Chronische obstruktive Lungen-erkrankungen 2,3 2,0 1,4

Herzrhythmusstörungen 2,3 2,7 1,2

Diabetes mellitus 2,2 2,5 1,4

Frakturen der unteren Extremitäten 2,1 4,5 2,5

Bösartige Neubildungen der Luftröhre, Bronchien und Lunge 1,9 0,7 0,9

Krankheiten der Venen, Lymphgefäße, sonstige Krankheiten des Kreislauf-systems 1,9 1,4 2,0

Bösartige Neubildungen der weiblichen Brustdrüse 1,9 0,9 1,3

Krankheiten der männlichen Geschlechtsorgane 1,9 1,3 1,2

Hypertonie und Hochdruckkrankheiten 1,7 1,5 1,0

Sonstige Affektionen der weiblichen Geschlechtsorgane 1,7 0,8 3,2

Bösartige Neubildungen des lympha-tischen und hämatopoetischen Gewebes 1,7 1,1 1,0

Gutartige Neubildungen 1,6 0,8 2,1

Sonstige 40,8 40,9 61,3

Darunter Pneumonie (Lungenentzündungund Grippe) 1,2 2,7 1,2

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Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

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Tabelle 19:Diagnoseprävalenzen nach Diagnosesicherheit, Schweregrad,

Beschwerdegrad, Medikation und Medikationsbedarf (gewichtete Daten; Angaben in Prozent)

(Quelle: Steinhagen-Thiessen & Borchelt, 1996)

Zumind. Zusätzl.wahr- Bedarf

schein- an-Gesamt lich objektiv subjektiv gegeben gezeigt

Malignome 11,2 10,8 2,5 3,0 3,1 –Schilddrüsenerkrankungen 11,4 7,6 0,7 2,0 5,2 0,1Diabetes mellitus 21,8 18,5 11,3 2,9 10,9 3,3Hyperlipidämie 78,9 76,3 36,9 – 11,1 4,0Gicht/Hyperurikämie 16,4 15,2 4,6 1,2 3,2 1,3Anämie 13,9 13,1 2,9 0,9 2,4 1,7ZNS-Erkrankungen 10,2 6,7 3,1 3,5 3,2 –PNS-Erkrankungen 22,7 20,0 9,2 6,0 5,5 0,1Hypertonie 58,9 45,6 18,4 0,8 34,0 6,1Zustand n. Myokardinfarkt 28,5 19,3 11,4 0,4 5,6 0,1Koronare Herzkrankheit 45,4 23,3 17,6 10,4 30,2 3,1Erregungsleitungsstörung 36,5 35,7 16,7 0,6 – –Herzrhythmusstörung 34,6 33,0 13,4 2,2 5,7 0,4Herzinsuffizienz 64,7 56,5 24,1 25,1 44,6 3,3Zerebralarteriosklerose 65,0 65,0 15,2 6,1 11,7 0,5Arterielle Verschlusskrankheit 40,4 35,6 18,4 10,4 18,1 1,3Varikosis 72,8 72,1 36,2 9,7 14,3 0,9Hypotonie 17,4 14,6 6,3 1,0 3,5 0,0Chronisch obstruktive 29,4 25,3 12,6 7,8 6,1 1,9

LungenerkrankungChronische Obstipation 14,2 13,4 5,8 6,5 8,3 0,0Hepatopathien 10,2 8,0 3,8 0,2 0,4 –Nephopathien 11,2 9,0 5,5 0,6 1,0 0,4Harninkontinenz 38,0 37,2 7,6 6,8 3,1 –Stuhlinkontinenz 12,4 11,3 3,0 4,1 3,5 –Osteoarthrosen 60,6 54,8 31,6 32,1 27,7 0,1Dorsopathien 49,5 46,0 20,6 20,4 10,2 0,1Osteoporose 33,8 24,1 10,3 12,3 8,1 1,6Sonstige 32,6 28,9 7,6 7,1 12,6 –

mindestens eine Diagnose 99,6 97,9 96,0 71,3 87,4 23,9fünf und mehr Diagnosen 94,0 87,7 30,2 6,0 20,7 –

Sicherheit Schweregradmittel bis schwer Medikation

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4.3. Zur weiteren Entwicklung der Lebenserwartung

Seit den 80er Jahren ist die Frage nach der Häufigkeit und Verteilung„vermeidbarer“ Todesursachen in mehreren Forschungsprojekten un-tersucht worden. Nach Häussler und Reschke (1991) können für denZeitraum von 1980 bis 1988 12 Prozent aller bei 5- bis 65-Jährigen inRheinland-Pfalz eingetretenen Todesfälle als vermeidbar eingestuftwerden. Zu den besonders verbreiteten vermeidbaren Todesursachenzählen Koronare Herzkrankheiten, Leberzirrhose, Lungenkrebs, Kraft-fahrzeugunfälle, Hypertonie, Schlaganfall und perinatale Sterbefälle.

79

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

70–84 Jahre 85 + Gesamt(ge-

Männer Frauen Männer Frauen wichtet)

Fünf und mehrHausarztdiagnosen 24,0 28,7 27,6 25,6 28,0

Fünf und mehr Projekt-arztdiagnosen1 18,6 27,1 40,9 54,3 30,1

Fünf und mehrVerordnungen2 34,1 39,5 42,6 35,7 37,5

Untermedikation3 9,3 10,9 17,8 17,1 11,1

Übermedikation4 15,5 12,4 20,9 15,5 13,7

Fehlmedikation5 19,4 17,8 10,9 20,9 18,7

UAW-analoge Befunde6

– mindestens einer 70,5 69,8 71,3 81,4 72,8– fünf und mehr 15,5 22,5 31,0 30,2 22,1

1 Projektärztliche Diagnosen, objektiv mittel- bis schwergradig.2 Alle ärztlich verordneten Medikamente.3 Mindestens eine unbehandelte, prinzipiell aber medikamentös behandelbare Erkrankung mittleren bis schweren

Grades.4 Mindestens eine ärztliche Verordnung, die unter Berücksichtigung aller Diagnosen entweder kontraindiziert oder

eindeutig nicht indiziert ist.5 Mindestens ein nach Expertenkonsens für die Behandlung älterer Menschen ungeeignetes Medikament.6 Laborchemische oder funktionsdiagnostische Befunde, die prinzipiell auch als unerwünschte Arzneimittelneben-

wirkungen (UAW) der aktuellen Medikation angesehen werden können.

Tabelle 20:Zentrale Indikatoren der Multimorbidität und Multimedikation

nach Alter und Geschlecht mit Schätzung der Populationsprävalenzen(Angaben in Prozent)

(Quelle: Steinhagen-Thiessen & Borchelt, 1996)

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Der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheits-wesen kritisiert in seinem Sondergutachten von 1996, dass das Kon-zept der vermeidbaren Mortalität bislang grundsätzlich auf Personenim Alter von maximal 65 Jahren bezogen wird, wo doch das größtePotenzial zukünftiger Sterblichkeitsverbesserungen im hohen und sehrhohen Alter liegt. In der Ausweitung dieses Konzepts wird eine wich-tige wissenschaftliche und versorgungspraktische Aufgabe gesehen,dies auch deswegen, weil dadurch die Entwicklung verbesserterdemografischer Prognosemodelle erleichtert würde.

Aus den Ergebnissen von Häussler und Reschke (1991) lässt sichfolgern, dass eine weitere Erhöhung der Lebenserwartung wenigerdurch Fortschritte der kurativen Medizin als vielmehr durch die Reali-sierung definierbarer präventiver Maßnahmen zu erreichen ist. Lungen-krebs, Leberzirrhose und Kraftfahrzeugunfälle waren für 38,5 Prozentaller vermeidbaren Todesfälle verantwortlich. Des Weiteren ist, insbe-sondere für jüngere Altersgruppen, darauf hinzuweisen, dass sich Fort-schritte der kurativen Medizin nur dann wesentlich auf die Lebenser-wartung auswirken, wenn entsprechende Krankheiten auch hinrei-chend häufig auftreten.

In Tabelle 21 sind die Ergebnisse einer amerikanischen Studie zumEinfluss der kurativen Medizin auf die Lebenserwartung wiedergege-ben (Bunker et al., 1995). Demnach gehen 3,5–4 Jahre der gestiegenenLebenserwartung auf Fortschritte der kurativen Medizin und etwa 1,5Jahre auf realisierte Maßnahmen der medizinischen Prävention zurück.Durch die Realisierung aller kurativen und präventiven Maßnahmen,die sich bislang als effektiv erwiesen haben, wäre den Ergebnissen die-ser Studie zufolge eine zusätzliche Steigerung der Lebenserwartungum 2–2,5 Jahre möglich. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dassdie für die Zukunft zu erwartenden Fortschritte der kurativen Medizinebenso wenig berücksichtigt werden wie das individuelle Verhalten(zum Beispiel Ernährung, Bewegung, Rauchen) oder allgemeinegesellschaftliche Bedingungen (hier ist insbesondere auf sozioökono-mische Determinanten der Sterblichkeit zu verweisen). Auch wenn diezukünftig erreichbare Lebenserwartung wahrscheinlich erheblichunterschätzt wird, lässt sich auf der Grundlage der Studie von Bunkeret al. (1995) festhalten: „Die kurative Medizin trägt in messbarem undrelevantem Maße, aber keineswegs allein, zur Verbesserung derLebenserwartung bei“ (Sachverständigenrat, 1996, S. 108).

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

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Folgt man den Ergebnissen einer durch das Fraunhofer-Institut(1998) durchgeführten Expertenbefragung, dann sind in den nächsten20 Jahren für die kurative Medizin große Fortschritte bzw. Durchbrüchevor allem auf folgenden Gebieten zu erwarten (vgl. auch Sachverstän-digenrat, 2001):

81

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

In diesem Jh. Zusätzlicherreicht möglich

Medizinische Prävention 1,5 Jahre 7–8 Monate– Diphterieimpfung 10 Monate 0– Pockenimpfung 3–6 Monate 0– Bluthochdruckscreening 1,5–2 Monate 1,5–2 Monate

Kurative Maßnahmen 3,5–4 Jahre 12–18 Monate– Therapie der Koronaren Herzkrankheit 1,2 Jahre 6–8 Monate– Diabetestherapie 6 Monate unbekannt– Therapie der Blinddarmentzündung 4 Monate 0– Bluthochdrucktherapie 3,5–4 Monate 3,5–4 Monate

Tabelle 21:Lebenszeitverlängerung durch medizinisch-präventive und kurative

Maßnahmen (Quelle: Bunker et al., 1995; Sachverständigenrat, 1996)

– Anwendung von sich selbstständig bewegenden Mikrogeräten in der klini-schen Praxis (zum Beispiel für die Blutdiagnose und Thrombosetherapie)

– Aufklärung der Pathogenese der Alzheimer-Krankheit– Klinischer Einsatz einer AIDS-Therapie mit einem Stopp der Krankheit in einem

frühen Stadium und einer Beherrschung der Langzeitfolgen– Wirksame Impfstoffe gegen das HIV– Weite Verbreitung von Vorhersagen des individuellen Erkrankungsrisikos bei

genetisch mitbedingten Krankheiten– Identifizierung von Gengruppen mit Beziehung zu Diabetes, zu Hypertonie und

zu Arteriosklerose und Aufklärung ihrer molekularen Ursachen– Klärung von Morbus Parkinson und anderen Basalganglienerkrankungen und

deren Therapie– Entwicklung eines wirksamen Insulinpräparates mit oraler Verabreichung– Aufklärung der neurochemischen Mechanismen des Alkoholismus und seiner

genetischen Komponenten

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4.4. Steigende Lebenserwartung und Einfluss auf denmedizinischen Versorgungsbedarf

Bis heute ist die Vorstellung weit verbreitet, dass der Trend zu einersteigenden Lebenserwartung unweigerlich mit einem steigendenmedizinischen Versorgungsbedarf in höheren Altersgruppen – infolgeeines Mehr an in Krankheit und Gebrechlichkeit verbrachten Lebens-jahren – verbunden ist. Die von Fries (1983) aufgestellte These einerMorbiditätskompression, also der Möglichkeit, durch präventive Maß-nahmen die Plastizität von Entwicklungsprozessen zu nutzen unddamit den letzten, durch chronische Krankheit und Behinderunggekennzeichneten Lebensabschnitt auf wenige Jahre vor dem Tod zubegrenzen, wird bis heute häufig in ihrer Gültigkeit bestritten. Dochsprechen Langzeitbeobachtungen aus den Vereinigten Staaten,Kanada und – neuerdings – Deutschland (vgl. Walter, 2001) dafür, dassdie Entwicklung der Gesundheitsausgaben langfristig dem von Friespropagierten Modell folgen könnte. Gleichzeitig darf aber nicht überse-hen werden, dass Fortschritte der kurativen Medizin allein nicht zueiner Kompression von Morbidität führen werden: „Der medizinischekurative Fortschritt allein wird in absehbarer Zeit die häufigen chroni-schen Krankheiten nicht beseitigen können. Er wird zu einer lebens-erhaltenden und lebensqualitätsverbessernden Dauerbehandlung zuallerdings hohen Kosten beitragen“ (Schwartz, 2002, S. 40/41).

Nachdem in höheren Altersgruppen die Häufigkeit von chronischenErkrankungen, Krankenhausfällen, Multimorbidität und Multimedika-tion zunimmt, liegt die Annahme nahe, dass eine steigende Lebens-erwartung mit einem zunehmenden medizinischen Versorgungsbedarfverbunden ist. Tatsächlich gingen frühere Prognosen der Kostenent-wicklung im Gesundheitssystem von einem im Alter erhöhten medizini-schen Versorgungsbedarf aus, einer Einschätzung, die allerdings indieser undifferenzierten Form als nicht haltbar erscheint. Der Sachver-ständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen weist inseinem 1996 erstellten Sondergutachten darauf hin, dass bereits seitMitte der 80er Jahre deutliche Hinweise darauf vorliegen, dass die mitzunehmendem Alter steigende Inanspruchnahme medizinischer Leis-tungen wesentlich durch den höheren Anteil an Personen, deren Todvergleichsweise kurz bevorsteht, erklärt werden kann. Da aber einesteigende Lebenserwartung impliziert, dass von der jeweils betrachte-ten Altersgruppe in einem definierten Zeitraum vergleichsweise weni-ger Personen versterben, würden, so das bereits von Fuchs (1984)

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

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angeführte Argument, lineare Hochrechnungen die zukünftig anfallen-den altersspezifischen Gesundheitskosten systematisch überschätzen.

Die „übertriebene Sorge über die Auswirkungen der steigendenLebenserwartung“ (Sachverständigenrat, 1996, S. 98) relativiert sich,wenn bei der Berechnung zukünftiger altersspezifischer Verbrauchszif-fern zwischen Versterbenden und Überlebenden getrennt wird. Auf derGrundlage eines repräsentativen Stichprobenpanels von GEK-Ver-sicherten (n = 87.109) konnte im 1996er Sondergutachten gezeigt wer-den, dass 1. für alle Altersgruppen eine Kumulation medizinischerLeistungen vor dem Tode zu beobachten ist, 2. diese Kumulation fürjüngere Versterbende wesentlich deutlicher ausgeprägt ist als für ältereVersterbende (siehe Tabelle 22). Die Zahl der Krankenhaustage in denletzten beiden Lebensjahren war in höheren Altersgruppen deutlichgeringer.

83

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

Krankenhaustage Kosten der medizini-Verstorben in den schen Versorgung

im Alter von ... letzten beiden in den letzten beidenLebensjahren Lebensjahren

50 Jahren 5460 Jahren 5370 Jahren 48 $ 23.00080 Jahren 43 $ 21.00090 Jahren 29 $ 15.000

100 Jahren $ 8.000

Tabelle 22:Kumulation medizinischer Leistungen vor dem Tode

(Quelle: Busse & Schwartz, 1996; Lubitz, Beebe & Baker, 1995)

Seidler, Busse und Schwartz (1996) konnten in einer Analyse derDaten von 60-jährigen und älteren GEK-Versicherten zeigen, dass 1.die durchschnittliche Anzahl an Leistungstagen für Versterbende in derGruppe der 70- bis 75-Jährigen ihren Höhepunkt erreicht und dannkontinuierlich abnimmt, 2. die durchschnittliche Anzahl an Leistungs-tagen bei Überlebenden jenseits von 90 Jahren abnimmt, 3. das Viel-fache an Leistungen zwischen Versterbenden und Nicht-Versterben-den mit dem Alter zurückgeht. Während im Alter von 60 Jahren Ver-sterbende das 20-fache der Leistungen für Nicht-Versterbende in

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Anspruch nehmen, liegt das Kostenverhältnis zwischen Versterbendenund Nicht-Versterbenden im Alter von 70 Jahren bei 12:1, im Alter von 80 Jahren bei 6:1 und im Alter von 90 Jahren bei 5:1. Aus den Ver-einigten Staaten liegen hier vergleichbare Ergebnisse vor (vgl. Lubitz &Prihoda, 1984; Lubitz & Riley, 1993).

Zweifel, Felder & Meier (1995) fanden in ihrer Analyse von Daten ausder Schweiz für höhere Altersgruppen einen statistisch bedeutsamenZusammenhang lediglich zwischen den Gesundheitsausgaben undder verbleibenden Lebenszeit, nicht jedoch zwischen den Gesund-heitsausgaben und dem Lebensalter. 90-jährige Versterbende unter-schieden sich in der Anzahl stationärer Leistungstage nicht von gleich-altrigen Nicht-Versterbenden. Für jüngere Lebensalter ließ sich dage-gen eine unter Versterbenden höhere Inanspruchnahme stationärerLeistungen bis zum drittletzten Lebensjahr nachweisen. Damit wird dievon Fries (1983) aufgestellte Annahme einer Morbiditätskompressiondurch Daten aus Deutschland, den Vereinigten Staaten und derSchweiz zumindest für die zu stationärer Versorgung führende Morbi-dität bestätigt: „Der Zeitabschnitt mit schwerer behandlungsbedürfti-ger oder terminaler (chronischer) Krankheit vor dem Tode nimmt mitsteigender Lebenserwartung zumindest relativ oder sogar absolut ab“(Sachverständigenrat, 1996, S. 102).

4.5. Prognose des Sachverständigenrates zur zukünftigen Entwicklung altersspezifischer Verbrauchsziffern

Der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheits-wesen hat in seinem 1996er Sondergutachten eine Abschätzung derzukünftigen altersspezifischen stationären Verbrauchsziffern vorgelegt.Diese Prognose geht von einer Veränderung der altersspezifischenMortalität aus, wobei gleichzeitig die altersspezifischen Verbrauchs-ziffern für Versterbende und Nicht-Versterbende konstant gehaltenwerden. Unter der Voraussetzung, dass sich der zwischen 1981 und1992 beobachtbare Sterblichkeitstrend fortsetzt, resultiert eine Kon-stanthaltung der altersspezifischen Verbrauchsziffern von Versterben-den und Nicht-Versterbenden bis zum Jahre 2040 in einer deutlichenAbnahme stationärer Leistungstage. Diese liegt in den Altersgruppender 65- bis 70-Jährigen und 70- bis 75-Jährigen zwischen 5 Prozentund 10 Prozent, in den Altersgruppen der 75- bis 80-Jährigen und der

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

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80- bis 85-Jährigen über 15 Prozent und in der Altersgruppe der 85- bis 90-Jährigen über 10 Prozent (Sachverständigenrat, 1996).Sofern man bei der Abschätzung zukünftiger altersgruppenspezifi-scher Verbrauchsziffern nicht nur zwischen Überlebenden und im letz-ten Lebensjahr Befindlichen differenziert (sondern etwa auch Perso-nen, die sich im vorletzten oder vor-vorletzten Lebensjahr befinden,gesondert ausweist), fällt diese Abnahme noch deutlicher aus. Folgtman dem 1996er Sondergutachten, dann erscheint ein zweistelligerRückgang der altersspezifischen Verbrauchsziffern für die Altersgrup-pen ab 75 Jahren als durchaus realistisch. Hinsichtlich der Gesamt-kosten kommt das Sondergutachten zu folgendem Schluss: „Der miteiner Sterblichkeitsentwicklung gemäß optimierter Prognose verbun-dene Anstieg der über 65-Jährigen um bis zu 20 Prozent gegenüberder 8. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung wird durch dengleichzeitigen Rückgang der altersspezifischen Verbrauchsziffern ankurativen, insbesondere stationären Leistungen fast gänzlich kompen-siert; bei komprimierter Morbidität und damit noch stärker sinkendemaltersspezifischen Ressourcenverbrauch ist sogar eine kompletteKompensation möglich“ (Sachverständigenrat, 1996, S. 104).

4.6. Gesundheitsausgaben für chronische Krankheit und Reduktionspotenziale durch verhaltensbezogeneRisikomodifikation

Ausgehend von einer Abschätzung erkrankungsspezifischer Gesund-heitsausgaben wurden in dem 1999 von Schwartz et al. verfasstenGutachten „Gesundheitsausgaben für chronische Krankheit – Krank-heitskostenlast und Reduktionspotenziale durch verhaltensbezogeneRisikomodifikation“ chronische Krankheitsbilder dargestellt, diesowohl als ausgabenintensiv als auch als potenziell verhaltensmedizi-nisch beeinflussbar gelten können. Diagnosespezifisch anfallendeGesundheitsausgaben wurden in einem zweiten Analyseschritt detail-liert berechnet. Weiterhin wurde sowohl der maximal als auch der rea-listisch verhinderbare Anteil der Krankheitslast und der Gesundheits-ausgaben geschätzt. Der maximal verhinderbare Anteil entsprichtdabei der im Falle einer vollständigen Elimination eines Risikofaktorszu erwartenden Reduktion der Krankheitslast. Diese kann aus derKenntnis der Erkrankungsrisiken von Personen mit und ohne Risiko-faktor geschätzt werden. Der realistisch verhinderbare Anteil berück-

85

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

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sichtigt, dass sich Risikofaktoren nicht immer vollständig eliminierenlassen (zum Beispiel Senkung des Cholesterinspiegels oder Über-gewicht) und Interventionsmaßnahmen nicht bei allen Personen erfolg-reich sind. Der realistisch verhinderbare Anteil wird auf der Grundlageder durch Interventionsprogramme tatsächlich erzielten Erfolge ge-schätzt.

Ischämische Herzkrankheiten

Die durch ischämische Herzkrankheiten, also mit einer Minderdurch-blutung des Herzmuskels einhergehende Erkrankungen, verursachtenGesundheitsausgaben beziffert Schwartz (1999) auf etwa DM 15.000Millionen. Die in Tabelle 23 wiedergegebenen Daten des Gesundheits-surveys Ost-West 1990–1992 verdeutlichen, dass die Prävalenz ischä-mischer Herzkrankheiten mit zunehmendem Alter deutlich ansteigt.

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

86

Tabelle 23:Daten des Gesundheitssurveys Ost-West 1990-1992 zur Prävalenz

ischämischer Herzerkrankungen

Selbstangaben zur Lebenszeitprävalenz„Durchblutungsstörungen am Herzen, Angina Pectoris“

Altersgruppe Männer (%) Frauen (%) Gesamt (%)

25–29 0,50 1,02 0,75

30–39 2,72 1,62 2,18

40–49 5,97 4,57 5,27

50–59 16,97 13,16 15,06

60–69 34,33 26,11 29,57

Gesamt 11,21 9,68 10,43

Altersgruppe Männer (%) Frauen (%) Gesamt (%)

25–29 0,15 0 0,08

30–39 0,43 0 0,22

40–49 1,12 0,70 0,91

50–59 5,89 1,38 3,63

60–69 13,82 4,58 8,48

Gesamt 3,85 1,37 2,59

Selbstangaben zur Lebenszeitprävalenz „Herzinfarkt“

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Während etwa im Alter von 40–49 Jahren nur 5,27 Prozent Durchblu-tungsstörungen am Herzen angeben, liegt dieser Anteil unter den 50- bis 59-Jährigen bereits bei 15,06 Prozent und unter den 60- bis 69-Jährigen bei 29,57 Prozent.

Während die Herzinfarkt-Prävalenz bei den 40- bis 49-Jährigennoch bei 0,91 Prozent liegt, liegt sie bei den 50- bis 59-Jährigen bereitsbei 3,63 Prozent und bei den 60- bis 69-Jährigen bei 8,48 Prozent,wobei Männer jeweils deutlich häufiger betroffen sind als Frauen.

Zu den bedeutendsten Risikofaktoren ischämischer Herzerkran-kungen (inklusive Herzinfarkt) zählen der Diabetes Typ II, Hypertonie,ein erhöhter Cholesterinspiegel und Rauchen. In Tabelle 24 sind fürischämische Herzerkrankungen und Herzinfarkt die auf die genanntenRisikofaktoren rückführbaren Behandlungs- und Krankheitsfolgeaus-gaben aufgeführt.

87

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

Tabelle 24:Maximale Reduktion der jährlichen Gesundheitsausgaben

für Behandlung und Krankheitsfolgeleistungen bei ischämischen Herzkrankheiten und Herzinfarkt

(in Millionen DM)

Ischämische Herzkrankheiten

Risikofaktor Behandlungs- Krankheitsfolge- Gesamt-ausgaben ausgaben ausgaben

Diabetes Typ II 428 169 597

Hypertonie, Cholesterin, 2.144 843 2.987

Rauchen (moderateSenkung)

Cholesterin (5. Quintil) 3.430 1.349 4.779

Cholesterin (10. Terzil) 2.446 970 3.435

Diabetes Typ II 121 46 167

Hypertonie, Cholesterin, 607 231 838

Rauchen (moderateSenkung)

Cholesterin (5. Quintil) 971 370 1.341

Cholesterin (10. Terzil) 698 266 964

Herzinfarkt

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Auf der Grundlage der in Interventionsstudien erreichten Risikofak-tor-Modifikation lassen sich die in Tabelle 25 wiedergegebenen realisti-schen Einsparpotenziale errechnen (die für einzelne Risikofaktorengeschätzten Einsparpotenziale dürfen nicht zu einem Gesamt-Inter-ventionseffekt addiert werden, da bei der Berechnung von einer – reali-ter nicht gegebenen – Unabhängigkeit der Risikofaktoren ausgegan-gen wird).

Durch eine bevölkerungsweite Senkung des Gesamtcholesterinsum 10 Prozent (wie sie in Interventionsstudien durch eine Ernährungs-umstellung erreicht werden konnte) könnten pro Jahr 5.676 MillionenDM der Gesundheitsausgaben infolge ischämischer Herzkrankheitenund 1.005–1.131 Millionen DM der Gesundheitsausgaben infolge vonHerzinfarkt eingespart werden. Eine bevölkerungsbezogene Blut-drucksenkung um 5,5 mm Hg systolisch und 3 mm Hg diastolischwürde – so lässt sich auf der Grundlage der Ergebnisse von Inter-ventionsstudien hochrechnen – Einsparungen in Höhe von jährlich2.240 Millionen DM ermöglichen. Durch Präventionsmaßnahmen zumStressmanagement ließen sich jährlich 922 Millionen DM der Behand-lungs- und Krankheitsfolgeausgaben infolge von Herzinfarkt einspa-ren, durch eine multimodale Intervention (cholesterinreduzierte Ernäh-

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

88

Tabelle 25:Reduktion der jährlichen Gesundheitsausgaben für Behandlung

und Krankheitsfolgeleistungen bei ischämischen Herzkrankheiten und Herzinfarkt bei realistisch erreichbarer Elimination

der jeweiligen Risikofaktoren(in Millionen DM)

Ischämische Herzkrankheiten

Herzinfarkt

Risikofaktor Behandlungs- Krankheitsfolge- Gesamt-ausgaben ausgaben ausgaben

Cholesterin 4.074 1.602 5.676

Blutdruck 1.608 632 2.240

Cholesterin 728–819 277–312 1.005–1.131

Stressmanagement 668 254 922

Cholesterin, Rauchen, 754 289 1.043Gewichtskontrolle,

Bewegung, Blutdruck

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rung, Nichtrauchen, Gewichtskontrolle, körperliche Bewegung undBlutdruckkontrolle) etwa 1.043 Millionen DM.

In Tabelle 26 findet sich eine Darstellung der Ergebnisse der Berli-ner Altersstudie zur Prävalenz kardiovaskulärer Risikofaktoren bei 70-Jährigen und Älteren.

Demnach weisen mehr als die Hälfte der 70- bis 84-Jährigenmindestens vier kardiovaskuläre Risikofaktoren auf. In der Gruppe der85-Jährigen und Älteren liegt der entsprechende Anteil mit 32,6 Pro-zent (für Männer) bzw. 45,7 Prozent (für Frauen) zwar niedriger, dochsprechen auch die Ergebnisse für diese Altersgruppe für die Notwen-digkeit präventiver Maßnahmen.

89

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

Tabelle 26:Kardiovaskuläre Risikofaktoren nach Alter und Geschlecht

mit Schätzung der Populationspräferenzen (Angaben in Prozent) (Quelle: Steinhagen-Thiessen & Borchelt, 1996)

70–84 Jahre 85 + Jahre Gesamt(ge-

Männer Frauen Männer Frauen wichtet)

Cholesterin < 250 mg/dl 25,6 41,9 11,6 33,3 36,9LDL-Colesterin> 155 mg/dl 40,3 48,1 16,3 37,2 44,7HDL-Cholesterin< 35 mg/dl (m)/< 42 mg/dl (w) 10,1 12,4 10,1 23,3 13,8Cholesterin/HDL > 5 42,6 31,0 22,5 28,7 33,4Lipoprotein (a) > 15 mg/dl 27,4 21,3 17,9 19,3 22,0Apo E 2-2/4-4 2,4 4,1 0,8 – 2,9Triglyceride > 200 mg/dl 24,8 26,4 16,3 26,4 26,5Body-Mass-Index> 28 kg/m2 31,8 26,4 15,5 16,3 25,6Diabetes mellitus 14,7 20,2 20,2 15,5 18,5Hypertonie 39,5 43,4 38,8 57,4 45,6Raucher 23,3 12,4 17,8 4,7 14,1Bewegungsmangel 50,4 50,4 68,2 77,5 55,1Positive Familienanamnese 47,3 49,6 21,7 33,3 45,9Vier und mehrRisikofaktoren 54,3 51,9 32,6 45,7 51,6

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Schlaganfall

In Deutschland erleiden jährlich etwa 250.000 Menschen einen Schlag-anfall, wobei die Wahrscheinlichkeit dieses Ereignisses mit zunehmen-dem Alter deutlich ansteigt. Legt man die Daten des Gesundheitssur-veys zu Grunde, dann liegt die Lebenszeitprävalenz von Durchblu-tungsstörungen im Gehirn in der Gruppe der 40- bis 49-Jährigen beietwa 3,3 Prozent, in der Gruppe der 50- bis 59-Jährigen bei etwa 8,75Prozent und in der Gruppe der 60- bis 69-Jährigen bei etwa 14,8 Pro-zent (siehe Tabelle 27).

Die Lebenszeitprävalenz von Schlaganfallerkrankungen liegt biszum Alter von 50 Jahren deutlich unter 1 Prozent, in der Altersgruppeder 50- bis 59-Jährigen bei etwa 1,9 Prozent und in der Altersgruppeder 60- bis 69-Jährigen bei 3,2 Prozent.

Neben dem Alter und männlichem Geschlecht sind vor allem Hyper-tonie, Rauchen und Diabetes bedeutsame Risikofaktoren des Schlag-anfalls. In Tabelle 28 sind die durch eine vollständige Elimination dieser Ri-sikofaktoren theoretisch erreichbaren Einsparpotenziale wiedergegeben.

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

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Tabelle 27: Daten des Gesundheitssurveys Ost-West 1990–1992 zur Prävalenz von Schlaganfallerkrankungen

Selbstangaben zur Lebenszeitprävalenz„Durchblutungsstörungen am Gehirn“

Altersgruppe Männer (%) Frauen (%) Gesamt (%)

25–29 0,26 1,52 0,87

30–39 1,56 2,40 1,97

40–49 2,34 4,24 3,28

50–59 8,65 8,84 8,74

60–69 15,09 14,61 14,81

Gesamt 5,24 6,57 5,92

Altersgruppe Männer (%) Frauen (%) Gesamt (%)

25–29 0 0 0

30–39 0,23 0,09 0,16

40–49 0,61 0 0,31

50–59 2,26 1,58 1,92

60–69 5,26 2,42 3,62

Gesamt 1,52 0,87 1,18

Selbstangaben zur Lebenszeitprävalenz „Schlaganfall“

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Auf der Grundlage der in Interventionsstudien zur Vermeidung vonRisikofaktoren erzielten Effekte lassen sich die in Tabelle 29 wieder-gegebenen realistischen Einsparpotenziale errechnen. Demnach hätteeine bevölkerungsbezogene medikamentöse Behandlung der Hyper-tonie Einsparungen für Behandlungs- und Krankheitsfolgeleistungen inHöhe von DM 2.576 Millionen zur Folge. Durch eine bevölkerungsweiterreichte, ernährungsbezogene Blutdrucksenkung ließen sich Einspa-rungen von DM 1.831 Millionen realisieren. Eine hohe Effektivität wäreauch von geeigneten Stressmanagement-Programmen zu erwarten:Durch diese könnten insgesamt etwa DM 2.237 Millionen eingespartwerden. Bevölkerungsweite Programme zur Rauchentwöhnung wür-den – ausgehend von der in Interventionsstudien in der Regel nichtallzu hohen Erfolgsquote – Einsparungen in Höhe von DM 170 Millio-nen ermöglichen.

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Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

Risikofaktor Behandlungs- Krankheitsfolge- Gesamt-ausgaben ausgaben ausgaben

Hypertonie 1.972 604 2.576

Hypertonie +Rauchen 2.232 683 2.915

Rauchen 883 270 1.153

Rauchen (Männer) 339 104 443

Rauchen (Frauen 211 64 275

Diabetes (Männer) 555 170 725

Diabetes (Frauen) 464 142 606

Bekannter Diabetes 415 127 542

Asympt. Diabetes 156 48 204

Adipositas (Männer) 1.038 318 1.356

Tabelle 28:Maximale Reduktion der jährlichen Gesundheitsausgaben

für Behandlung und Krankheitsfolgeleistungen bei Schlaganfall bei vollständiger Elimination der jeweiligen Risikofaktoren

(in Millionen DM)

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Osteoporose

Bei der Osteoporose kommt es infolge einer fortschreitenden Ab-nahme der Knochenmasse (Knochenschwund) zu Körperhaltungs-änderungen, Schmerzen und einer deutlich erhöhten Anfälligkeit fürKnochenbrüche. Von dieser jenseits des 60. Lebensjahres häufigstenKnochenerkrankung sind vor allem Frauen betroffen; die Prävalenzratebei über 60-jährigen Frauen wird auf 20–30 Prozent geschätzt. Dieausgeprägte Altersabhängigkeit der Osteoporoseprävalenz wird ausTabelle 30 deutlich; die dort wiedergegebenen Daten sind einer Studievon Caldwell (1996) entnommen.

Folgt man Schätzungen der US National Osteoporosis Foundation(1998), dann sind etwa 70 Prozent aller Hüftfrakturen auf Osteoporosezurückzuführen. Nach Melton (1993) ist allein für die Vereinigten Staatenvon jährlich 235.000 Fällen und 3,4 Millionen Krankheitstagen infolgevon osteoporosebedingten Hüftfrakturen auszugehen, was jährlicheKosten in Höhe von $ 9 Mrd. verursacht. Die Krankenhausdiagnose-statistik weist für die Bundesrepublik im Jahre 1995 111.000 Entlas-sungen mit Oberschenkelhalsfraktur aus, deren Behandlung 3.009.000Tage in Anspruch nahm. Setzt man die Gültigkeit der erwähnten Schät-zung der US National Osteoporosis Foundation voraus, dann wäre fürdie Bundesrepublik im Jahre 1995 von 78.000 stationären Aufnahmenund 2,1 Millionen Behandlungstagen auszugehen, was Kosten in Höhevon etwa DM 1,2 Milliarden entsprechen würde.

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

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Risikofaktor Behandlungs- Krankheitsfolge- Gesamt-ausgaben ausgaben ausgaben

Blutdruck(medikamentös) 1.972 604 2.576

Blutdruck(Essverhalten) 1.402 429 1.831

Stressmanagement 1.713 524 2.237

Rauchen 130 40 170

Tabelle 29:Reduktion der jährlichen Gesundheitsausgaben für Behandlung und

Krankheitsfolgeleistungen bei Schlaganfall bei realistisch erreichbarerElimination der jeweiligen Risikofaktoren (in Millionen DM)

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Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

Tabelle 30:Osteoporoseprävalenz bei weißen Frauen in den Vereinigten Staaten

(Quelle: Caldwell, 1996)

Tabelle 31:Inzidenz von Hüftfrakturen bei schwedischen Frauen

(Quelle: Haviko et al., 1996).

In Tabelle 31 sind die Ergebnisse einer Studie von Haviko et al.(1996) zur Inzidenz von Hüftfrakturen bei schwedischen Frauen ab 40Jahren wiedergegeben.

Altersgruppe Osteoporosebeliebige Stelle Hüfte

50–59 14,8 % 3,9 %60–69 21,6 % 8,0 %70–79 38,5 % 24,5 %80 + 70,0 % 47,5 %

Altersgruppe Rate pro Jahr je 1000 Einwohner

40–49 0,0350–59 0,360–69 2,670–79 3,180–89 8,690–99 12,6

Ergebnisse einer in den Vereinigten Staaten an 2.325 Frauen imAlter von 50 Jahren und älter durchgeführten Untersuchung belegen,dass ältere, weiße, untergewichtige Frauen, deren Mütter Hüftfrakturenerlitten hatten, ein deutlich höheres Risiko für Frakturen infolge vonOsteoporose aufweisen. Auch das Rauchen war mit einem erhöhtenFrakturrisiko verbunden. Hinsichtlich der körperlichen Aktivität lässtsich differenzierend feststellen, dass erst durch eine zweimal proWoche oder häufiger ausgeübte körperliche Aktivität die Knochen-

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dichte und das Frakturrisiko positiv beeinflusst werden. Aufgrund derBedeutung des BMI als Risikofaktor wird von den Autoren betont, dassdas Erzielen und die Aufrechterhaltung eines gesunden Körper-gewichts eine bedeutsame Präventionsstrategie darstellt und deshalbauf eine ausgewogene Ernährung zu achten ist. Vor allem Milchpro-dukte sind hier zu nennen (Turner et al., 1998). Ergebnisse einer Meta-analyse von Heaney (1991) sprechen dafür, dass bei post-menopausa-len Frauen eine tägliche Calciumzufuhr von 1.500 mg zumindest einengewissen Schutz vor Osteoporose bietet (vgl. auch Anderson et al.,1996; Fries, 1996; Schmidt, 1996).

Im Zusammenhang mit der Osteoporose liegen quantitativeAbschätzungen der durch eine bevölkerungsbezogene Risikomodifi-kation realisierbaren Einsparpotenziale gegenwärtig nicht vor. Den-noch kann in Bezug auf verhaltensabhängige Faktoren eine positiveWirkung von sportlicher Betätigung und calciumreicher Ernährung aufdie Knochendichte postuliert werden (Schwartz et al., 1999).

Hypertonie

Da eine Senkung des systolischen wie diastolischen Blutdrucks miteinem verminderten kardiovaskulären Risiko einhergeht, ist es sinn-voll, nicht lediglich Hypertoniker (nach WHO-Definition ab 90 mm Hgdiastolisch und/oder 160 mm Hg systolisch), sondern auch Personenmit Blutdruckwerten im oberen Normbereich in Maßnahmen zurBlutdrucksenkung einzubeziehen. In Tabelle 32 sind die Ergebnissedes Gesundheitssurveys zur Prävalenz von Hypertonie wiederge-geben.

Gerade für Personen mit Blutdruckwerten im oberen Normbereichliegen spezifische Programme, die sich um eine Modifikation desLebensstils bemühen, vor. Im Kontext der stationären und ambulantenRehabilitation von Herzinfarktpatienten konnte der Erfolg von Interven-tionsmaßnahmen mit dem Ziel komplexer Lebensstilveränderungennachgewiesen werden (Scherwitz et al., 1995).

In der DASH-Studie (Appel et al., 1997) konnte durch eine Opti-mierung der Ernährungsweise bei Personen mit Blutdruckwerten imoberen Normbereich eine Senkung von systolisch 5,5 und diastolisch 3 mm Hg erreicht werden. Eine bevölkerungsweite Blutdrucksenkungdieses Ausmaßes würde den Autoren zufolge die Inzidenzrate derkoronaren Herzkrankheit um 15 Prozent und die Inzidenzrate von

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Schlaganfällen um 27 Prozent herabsetzen. Zählt man die mit einerderartigen Veränderung der Inzidenzraten verbundenen Einsparungenan Behandlungsausgaben und Krankheitsfolgeleistungen zusammen,so ergibt sich ein Betrag von DM 4.071 Millionen.

In einer Studie der Hypertension Prevention Collaborative ResearchGroup (TOHP, 1992) konnte durch eine Gewichtsreduktion von imSchnitt 3,9 kg durch Ernährungsumstellung und Steigerung der kör-perlichen Aktivität eine Blutdrucksenkung von durchschnittlich 2,9 mmHg systolisch und 2,3 mm Hg diastolisch erreicht werden. Auch einesalzarme Ernährung hatte in der genannten Studie eine erheblicheReduktion des systolischen (um 1,7 mm Hg) und des diastolischenBlutdrucks (um 0,9 mm Hg) zur Folge. Nicht eindeutig geklärt ist dage-gen die Effektivität von Stressmanagement-Programmen. Währendsich in einigen Studien keine bedeutsame Blutdrucksenkung erreichenließ, berichten Schneider et al. (1995) eine durch progressive Muskelre-laxation erreichte Senkung systolisch/diastolisch um 4,7/3,3 mm Hg.Rechnet man die für Stressmanagement-Programme berichtetenEffekte hoch, so ergibt sich nach Schwartz (1999) eine Verringerungder Gesundheitsausgaben infolge von Herzinfarkt um 922 MillionenDM und der Gesundheitsausgaben infolge von Schlaganfall um 2.237Millionen DM.

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Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

Selbstangaben zur Lebenszeitprävalenz„Bluthochdruck, Hypertonie“

Altersgruppe Männer (%) Frauen (%) Gesamt (%)

25–29 12,92 5,91 9,51

30–39 16,58 10,63 13,66

40–49 23,57 17,91 20,77

50–59 34,16 34,57 34,37

60–69 40,57 46,08 43,75

Gesamt 25,26 24,00 24,62

Tabelle 32:Daten des Gesundheitssurveys Ost-West 1990–1992

zur Lebenszeitprävalenz von Hypertonie(Quelle: Schwartz et al., 1999)

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Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

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Tabelle 33:Daten des Gesundheitssurveys Ost-West 1990–1992 zur Lebenszeitprävalenz von erhöhten Blutfettwerten

und Hypercholesterinämie (Quelle: Schwartz et al., 1999)

Selbstangaben zur Lebenszeitprävalenz„Erhöhtes Cholesterin, erhöhte Blutfettwerte“

Altersgruppe Männer (%) Frauen (%) Gesamt (%)

25–29 6,42 5,04 5,74

30–39 13,66 7,59 10,69

40–49 29,30 19,54 24,47

50–59 39,24 32,36 35,79

60–69 33,94 41,47 38,29

Gesamt 24,95 22,04 23,46

Altersgruppe Männer (%) Frauen (%) Gesamt (%)

25–29 14,96 10,83 12,95

30–39 28,08 15,74 22,07

40–49 40,98 28,70 34,91

50–59 47,32 54,63 51,00

60–69 46,87 62,93 56,10

Gesamt 36,18 35,97 36,07

Prävalenz Hypercholesterinämie (Serum-Gesamtcholesterin > 250 g/dl)

Hypercholesterinämie

Die in Tabelle 33 wiedergegebenen Daten des Gesundheitssurveysmachen nicht nur deutlich, dass die Prävalenz erhöhter Cholesterin-werte mit steigendem Alter zunimmt, sondern auch, dass in allenbetrachteten Altersgruppen ein erheblicher Teil von Hypercholesterin-ämie betroffen ist, ohne sich dieser Tatsache bewusst zu sein.

Durch entsprechende Medikation kann bei Patienten mit erhöhtemkardiovaskulären Risiko eine Senkung des Serum-Cholesterins umdurchschnittlich 1,2 mmol/l oder 20 Prozent erreicht werden. Ein ver-gleichbarer Effekt wäre durch eine Ernährungsumstellung zu erreichen,die mit einer Reduktion der Fettaufnahme von durchschnittlich 42 Pro-zent der Gesamtenergiezufuhr auf 27 Prozent einhergeht. Eine Sen-

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kung des Cholesterinspiegels um etwa 10 Prozent erscheint dagegenbereits durch eher moderate Verhaltensänderungen (Schwartz et al.,1999) erreichbar. Notwendig ist hier lediglich eine Reduktion der Fett-aufnahme von 42 Prozent auf 35 Prozent der Gesamtenergieaufnahmebzw. eine Verringerung der gesättigten Fette von 20 Prozent auf 13Prozent. Eine bevölkerungsweite Senkung des Cholesterinspiegels um10 Prozent hätte eine um 38 Prozent verminderte Inzidenz der korona-ren Herzkrankheit zur Folge, wodurch 5.676 Mio. DM an Gesundheits-ausgaben eingespart werden könnten. Zudem würde die Herzinfarkt-mortalität um 24 Prozent bis 27 Prozent zurückgehen, was Einsparun-gen in einer Höhe von 1.131 Millionen DM zur Folge hätte.

Rauchen

Die in Tabelle 34 wiedergegebenen Ergebnisse des Gesundheits-surveys zeigen, dass die Anzahl der Raucher zwar mit zunehmendemAlter zurückgeht, dass das Rauchen aber insbesondere unter denMännern bis ins höhere Alter einen in quantitativer Hinsicht substan-ziellen Risikofaktor darstellt. Zudem wird deutlich, dass der Anteil derRaucher unter den Männern in allen betrachteten Altersgruppen höherist als unter den Frauen.

Von den 70- bis 84-jährigen Untersuchungsteilnehmern der BerlinerAltersstudie rauchten 23,3 Prozent der Männer und 12,4 Prozent derFrauen; von den 85-Jährigen und Älteren rauchten 17,8 Prozent derMänner und 4,7 Prozent der Frauen (Steinhagen-Thiessen & Borchelt,1996).

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Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

Altersgruppe Männer (%) Frauen (%) Gesamt (%)

25–29 47,36 41,00 44,25

30–39 49,30 39,18 44,34

40–49 40,33 28,40 34,41

50–59 32,80 16,87 24,81

60–69 24,93 11,73 17,30

Gesamt 39,53 26,68 32,99

Tabelle 34: Daten des Gesundheitssurveys Ost-West 1990–1992zur Prävalenz des Rauchens (Selbstangaben „Raucher“)

(Quelle: Schwartz et al., 1999)

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Das Rauchen ist ein bedeutsamer Risikofaktor für zahlreiche Krankheitsbilder, insbesondere für Herz-Kreislauf-Erkrankungen(Atherosklerose, Herzinfarkt, Schlagfall) und Karzinomerkrankungen(Bronchialkarzinom, Blasenkarzinom). Auf der Grundlage vorliegenderMetaanalysen kann angenommen werden, dass Interventionen zurRauchentwöhnung höchstens in 23 Prozent der Fälle eine dauer-hafte Abstinenz zur Folge haben und dies vor allem dann, wenn sie als langfristige Programme mit einer Dauer von mehr als 8 Wochendurchgeführt werden (Abrams, 1996; Schwartz et al., 1999). Legt man diese Erfolgsquote zu Grunde, dann ließen sich die Gesund-heitsausgaben für Schlaganfälle um jährlich etwa 170 Mio. DM redu-zieren.

Diabetes mellitus Typ II

Die Prävalenz des Diabetes liegt in der Bundesrepublik bei etwa 4,8Prozent (von Ferber & Ihle, 1994), wobei die Erkrankungswahrschein-lichkeit mit steigendem Alter deutlich zunimmt (Tabelle 35). Die Präva-lenzrate liegt bis zum 39. Lebensjahr unter 1 Prozent und steigt biszum 8. Lebensjahrzehnt auf etwa 20 Prozent an. Neben einer geneti-schen Disposition beeinflussen Lebensstilfaktoren wie Ernährungs-gewohnheiten und Übergewicht die Wahrscheinlichkeit der Erkran-kung erheblich.

Nach Schwartz (1999) lassen sich etwa 48 Prozent der Diabetes-prävalenz auf Übergewicht und Adipositas zurückführen. Daraus lässtsich ein Ausgabenreduktionspotenzial von 2.966 Mio. DM errechnen.Interventionsstudien zeigen aber, dass sich durch verhaltensbezogeneInterventionen zwar der Body-Mass-Index und der relative Fettanteilreduzieren (nach Lavie & Milani, 1997, um 2 Prozent bzw. 5 Prozent)sowie die körperliche Belastbarkeit und das HDL-Cholesterin erhöhen(nach Lavie & Milani, 1997, um 27 Prozent bzw. 4 Prozent) lassen, dieDiabetikerprävalenz aber trotz dieser Veränderungen unverändertbleibt. Durch eine Reduktion des Körpergewichts sowie eine Änderungder Ess- und Bewegungsgewohnheiten ist es allerdings möglich, über-gewichtige insulinpflichtige Typ-II-Diabetiker auf orale Antidiabetikaumzustellen (Lucas, 1987). Nach Schwartz (1999) sollte stärker beach-tet werden, dass Typ-II-Diabetiker von den erwähnten verhaltensbezo-genen Interventionen durch eine Senkung ihres kardiovaskulären Risi-kos erheblich profitieren können.

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

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Die im Gutachten von Schwartz et al. (1999) berücksichtigten chro-nischen Krankheitsbilder (Schlaganfall, ischämische Herzerkrankungeinschließlich Herzinfarkt, Rückenbeschwerden, Asthma bei Kindern,Migräne, Alkohol- und Drogenabhängigkeit, Depressionen, Neurosenund funktionelle Störungen) verursachen Behandlungs- und Krank-heitsfolgeausgaben von jährlich etwa 72 Milliarden DM. Auf der Grund-lage der in Interventionsstudien erreichten Risikofaktormodifikationkann davon ausgegangen werden, dass durch eine auf die Bevölke-rung bezogene, zielgerichtete verhaltensbezogene Intervention jährlichetwa 25 Milliarden DM eingespart werden könnten, was mehr alseinem Drittel der durch die betrachteten chronischen Krankheiten ver-ursachten Gesundheitsausgaben entspricht. Die größten Einsparpo-tenziale bestehen dem genannten Gutachten zufolge in den ausgaben-intensivsten Diagnoseklassen, zu denen vor allem Krankheiten desKreislaufsystems, Krankheiten des Skelettes, der Muskeln und desBindegewebes sowie Psychiatrische Krankheiten zählen. Schwartz etal. (1999) fassen die Implikationen ihres Gutachtens dahingehendzusammen, dass eine gesundheitspolitische Umorientierung, die risi-komodifizierende Ansätze zur präventiven und rehabilitativen Beein-flussung der chronischen Krankheitslast berücksichtigt, zwingend not-wendig erscheint (1999, S. 169).

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Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

Tabelle 35:Daten des Gesundheitssurveys Ost-West 1990–1992

zur Lebenszeitprävalenz des Diabetes (Quelle: Schwartz et al., 1999)

Selbstangaben zur Lebenszeitprävalenz„Zuckerkrankheit, Diabetes“

Altersgruppe Männer (%) Frauen (%) Gesamt (%)

25–29 0,67 0,38 0,52

30–39 0,79 1,02 0,90

40–49 2,62 2,44 2,53

50–59 9,29 6,19 7,73

60–69 13,33 12,35 12,76

Gesamt 5,05 4,67 4,86

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4.7. Zahnärztlicher Versorgungsbedarf

Ein Drittel der 70- bis 74-Jährigen und 80 Prozent der 90- bis 95-Jähri-gen haben ein künstliches Gebiss. Diese Zahlen werden sich allerdingsin Zukunft verändern. Es wird erwartet, dass künftig weniger ältereMenschen ausschließlich mit den „dritten Zähnen“ zurechtkommenmüssen; vielmehr werden die „zweiten“ und „dritten Zähne“ gemein-sam die Aufgaben des stomatognathen Systems übernehmen(Nitschke, 2000). Diese positive Entwicklung ist zum einen auf Präven-tionsmaßnahmen im zahnmedizinischen Bereich, zum anderen aufFortschritte in der Prothetik zurückzuführen. Der erwartete Anstieg derZahnzahlen im Alter hat zur Folge, dass sich Zahnärzte, Ärzte und Pfle-gefachkräfte vermehrt mit Fragen des Zahnstatus älterer Menschenbeschäftigen müssen.

Der allgemeine Gesundheitszustand älterer Menschen hat keinendirekten Einfluss auf die Zahnzahl, sodass in Zukunft auch bei chro-nisch erkrankten Menschen sowie bei Menschen mit Pflegebedarfdavon auszugehen ist, dass diese über ihre „zweiten Zähne“ verfügenund auf eine umfassende zahnmedizinische Versorgung angewiesensein werden. Die Erfassung des Zahnstatus wird bereits heute als eineKomponente des geriatrischen Aufgabenbereichs gewertet. Künftigwird diese Aufgabe noch an Bedeutung gewinnen.

In der Berliner Altersstudie wurde geprüft, inwieweit die Untersu-chungsteilnehmer die Anforderung einer halbjährlichen zahnärztlichenKontrolle erfüllten (Nitschke & Hopfmüller, 1996). Es zeigte sich, dassdiese Anforderung in keiner der Altersgruppen (70–103 Jahre) umge-setzt wurde. Die „jungen Alten“ (70–84 Jahre) waren im Mittel vor 11 Monaten beim Zahnarzt gewesen, die „alten Alten“ (85 Jahre undälter) im Mittel vor 3 Jahren.

Dabei ist zu beachten, dass vor allem bei jenen Patienten, die anmehreren chronischen Erkrankungen leiden und zahlreiche Krankheits-symptome zeigen, zahnmedizinische Belange so lange in den Hinter-grund treten, bis diese über Schmerzen klagen.

Bei lange andauernder Vernachlässigung des Gebisssystems istmit erheblichen Mängeln im Gebisssystem zu rechnen. Es werdensowohl massiver Kariesbefall (Zahnfäule) als auch Parodontopathien(Erkrankungen des Zahnhalteapparates) diagnostiziert. Zu den bedeu-tendsten Einflussfaktoren von Karies und Parodontopathien gehören(siehe dazu Nitschke, 2000): Mundhöhle mit Speichel, weicher Zahn-belag, Nahrungsbestandteile, Dauer der Einwirkung der Noxen, Ernäh-

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

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rungslenkung, Mundhygiene und Individualprophylaxe mit Zahnreini-gung und Fluoridierung.

Es sind weiterhin Zusammenhänge erkennbar zwischen der patho-genen Besiedlung der Mundhöhle bei mangelnder oder ausbleibenderMund- und Prothesenhygiene sowie Erkrankungen des Respirations-traktes (Mojon, Budtz-Joergensen, Michel & Limeback, 1997).Schlecht sitzende Prothesen führen langfristig zu einem nicht bemerk-ten, verstärkten Abbau der Kieferknochen, der vor allem bei totalenUnterkieferprothesen eine Einschränkung im Halt der Prothese mit sichbringt. Patienten, die ihren Zahnersatz nicht tragen können, leidenmanchmal so stark, dass sie sämtliche sozialen Bindungen und Kon-takte abbrechen. Weiterhin ist zu bedenken, dass die eingeschränkteKaukapazität gerade bei älteren Menschen einen Risikofaktor für Min-der- oder Unterernährung darstellt (vgl. Sullivan, Martin, Flaxmann &Hagen, 1993).

Fragen der zahnmedizinischen Betreuung älterer Menschen bildenden Gegenstand der noch jungen Disziplin der gerodontologischenGesundheitswissenschaft.

Zunächst ist zu betonen, dass die Sicherstellung einer guten zahn-medizinischen Betreuung auch davon abhängig ist, inwieweit Ärzteund Pflegefachkräfte die Oralhygiene als einen bedeutsamen Be-reich des geriatrischen Assessments sowie der Beratung betrachten.Von Zahnmedizinern wird gefordert, dass alle Berufsgruppen, die in die Betreuung von alten Patienten einbezogen sind, einen Überblicküber die Grundlagen zahnmedizinischer Aspekte in der Prävention und Rehabilitation erhalten sollten. Ärzte müssen geschult werden,Mängel am Zahnersatz, Karies und Parodontopathien im Ansatz zuerkennen.

Weiterhin müssen Einrichtungen die Grundlagen der Zahn-, Mund-und Prothesenhygiene beherrschen, sodass (zunehmende) Schädenan einem Gebiss auf Grund von längerer Vernachlässigung vermiedenwerden.

Zu den zentralen zahnmedizinischen Präventionsansätzen zählen(vgl. Mojon, Budtz-Joergensen, Michel & Limeback, 1997):

(a) intensive Mund- und Prothesenhygiene, (b) Kontrollbesuche beim Zahnarzt, (c) individuelle Prophylaxemaßnahmen, (d) rechtzeitig einsetzende Sanierung bei Zahndefekten.

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Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

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Für eine Abschätzung der zukünftigen Bedarfsentwicklung ist esnotwendig, zwischen vier Kohorten zu differenzieren (Eklund, 1999):– Der zahnärztliche Behandlungsbedarf der heute über 80-Jährigen

spiegelt die präventive und kurative Versorgung der ersten Hälftedes 20. Jahrhunderts wider; im aktuellen Zahnbestand zeigen sichdie Folgen von epidemischer Karies und einem hohen Anteil anZahnverlusten. Infolge einer vergleichsweise geringen Anzahl erhal-tener Zähne und einer eher bescheidenen Erwartungshaltung sinddie von dieser Gruppe artikulierten Versorgungsansprüche ehermoderat.

– Die heute 45- bis 64-Jährigen waren zwar in ihrer Kindheit von epi-demischer Karies betroffen, sie haben später aber von Fortschrittender Zahnerhaltung profitiert. Die Versorgungsansprüche dieserGruppe sind deutlich höher. Hier besteht eine hohe primäre, vorallem aber sekundär- und tertiärpräventive Versorgungslast.

– Die heute 25- bis 44-Jährigen bilden die erste Gruppe, die von demKariesrückgang in den 70er und 80er Jahren erkennbar profitierte.Hier kann davon ausgegangen werden, dass der Restaurationsbe-darf auch im Alter erheblich geringer sein wird als in den beidenerstgenannten Gruppen. Kennzeichnend für den zahnärztlichenBehandlungsbedarf dieser Gruppe ist vor allem die Gewährleistungeiner effektiven, kontinuierlichen Oralhygiene.

– Bei den nach 1975 Geborenen zeigt sich der für die Gruppe der 25- bis 44-Jährigen beschriebene Trend noch deutlicher. Dies weistauf die Notwendigkeit einer umfänglichen präventiven Orientierungin den nächsten Jahrzehnten hin.

Zahnverlust stellt den vorläufigen Endpunkt einer abgelaufenenErkrankung dar, für deren Verlauf neben Karies auch alle anderen, dieorale Gesundheit potenziell beeinträchtigenden Faktoren eine Rollegespielt haben können. Da Zahnersatz und Zahnverlust zumindest ingewissen Grenzen miteinander zusammenhängen, lässt sich auf derGrundlage der Kenntnis von Zahnverlust und Zahnbestand in auf-einander folgenden Altersgruppen eine Abschätzung des zukünftigenVersorgungsbedarfs entwickeln (Mundt, et al., 2001).

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4.8. Drei Szenarien zur Entwicklung des alters-spezifischen Zahnbestandes

Schroeder (2001) hat auf der Grundlage der 9. Koordinierten Bevölke-rungsvorausberechnung (Statistisches Bundesamt, 2000) und unter-schiedlicher Annahmen über die Effektivität von Präventionsbemühun-gen drei Szenarien der Entwicklung des Zahnbestandes (und damit deszahnärztlichen Behandlungsbedarfes) bis zum Jahre 2020 vorgestellt.– Das erste Szenario (verhalten-realistische Variante) geht davon aus,

dass die heute 12-Jährigen mit kariesfreien Gebissen nie Kariesbekommen werden, eine Annahme, die aufgrund der Schmelzhär-tung nach Remineralisation, der positiven Motivationsprägung unddes Fehlens von Prädilektionsstellen bei Füllungen vertretbarerscheint (Axelsson, 1989; Biffar, 2002). Für die anderen Kinder wirdvon einer Konstanz der Prävalenzen aus dem Jahre 1997 ausge-gangen. Die Implikationen dieses ersten Szenarios für den zahnme-dizinischen Versorgungsbedarf in höheren Altersgruppen könnennaturgemäß erst deutlich werden, wenn die heute 12-Jährigen dieentsprechenden Lebensalter erreichen.

– Das zweite Szenario (kontrollorientiertes Inanspruchnahmeverhal-ten – realistisch-optimistische Variante) geht von dem Befund derDMS-III Studie (IDZ, 1999; Kerschbaum, 2001; Schroeder, 2001)aus, demzufolge sich ein kontrollorientiertes Inanspruchnahmever-halten positiv auf den Zahnerhalt auswirkt. Unter der Vorausset-zung, dass alle Personen zu einem positiven kontrollorientiertenInanspruchnahmeverhalten motiviert werden können, wäre imJahre 2020 für die Gruppe der 55- bis 70-Jährigen eine Erhöhungdes Zahnbestandes von drei Zähnen zu erwarten, der Zahnbestandeines 65-Jährigen im Jahre 2020 würde dem eines heute 60-Jähri-gen entsprechen.

– Das dritte Szenario (Verbesserung der Mundhygiene in Risikogrup-pen – unrealistisch-optimistische Variante) beschreibt die maximalerzielbare Verbesserung des Zahnbestandes. Dieses Szenario gehtdavon aus, dass sich das durch die schlechteste Mundhygienegekennzeichnete Fünftel der Bevölkerung im Jahre 2020 wie dieverbleibenden vier Fünftel der Bevölkerung verhalten wird. Unterdieser (unrealistischen) Voraussetzung wäre der Zahnbestand derim Jahre 2020 60-Jährigen um drei Zähne höher als jener der heute60-Jährigen, was einer Verschiebung des heutigen Zahnbestandesin ein sechs bis sieben Jahre höheres Lebensalter bedeuten würde.

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Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

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Die in Tabelle 36 und Tabelle 37 wiedergegebenen Ergebnisse derBerliner Altersstudie verdeutlichen, dass die im dritten Szenario getrof-fene Annahme nicht realistisch erscheint. Mit zunehmendem Alter ver-schlechtert sich die zahnmedizinische funktionelle Kapazität erheblich.

Die Häufigkeit von Zahnarztbesuchen ist, wie bereits hervorgeho-ben wurde, sowohl für die 80- bis 84-Jährigen als auch für die 85-Jäh-rigen und Älteren sehr gering, was eindeutig gegen die Annahme einespositiven kontrollorientierten Inanspruchnahmeverhaltens spricht.

Die Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf den zahn-medizinischen Versorgungsbedarf in unserer Gesellschaft werdendeutlich, wenn man den Zahnbestand im Jahre 1997 auf 100 Prozentsetzt und den für die einzelnen Altersgruppen zukünftig zu erwarten-den Zahnverlust als prozentualen Unterschied in den Folgejahren bis2020 aufträgt (Biffar, 2002; Schroeder, 2001).

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

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Therapie-fähigkeit

Mundhygiene-fähigkeit

Eigenverant-wortlichkeit

BS 1BS 2BS 3BS 4

BS 1BS 2BS 3BS 4

Gesamt

Normalleicht reduziertstark reduziert

keine

Normalleicht reduziertstark reduziert

keine

Normalnormal

reduziertkeine

Männer Frauen 70–84 85 + Gesamt %Jahre

18 16 30 4 34 6,779 64 111 32 143 28,0110 103 87 126 213 41,848 72 17 103 120 23,5

255 255 245 265 510 100

Tabelle 36:Operationalisierung der zahnmedizinischen funktionellen Kapazität

und Verteilung der BASE-Teilnehmer nach Belastbarkeitsstufen (BS)unter Berücksichtigung von Alter und Geschlecht.

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Kombiniert man die ersten beiden Szenarien (Erhalt des naturge-sunden Gebisses, kontrolliertes Inanspruchnahmeverhalten), dannführt die demografische Entwicklung zunächst zu einem Anstieg desZahnverlustes (in der Größenordnung von 2 Prozent), dieser Trend wirdsich dann umkehren, sodass im Jahre 2020 in etwa wieder das heutigeNiveau erreicht wird. Geht man dagegen davon aus, dass die Mund-gesundheit im Wesentlichen unverändert bleiben wird, ergibt sich biszum Jahre 2020 ein Anstieg des Zahnverlustes um annähernd 20 Pro-zent. Lediglich das unrealistische dritte Szenario würde eine sofortigeReduktion des Zahnverlustes erwarten lassen und eine Absenkungdes Zahnverlustes bis zum Jahre 2020 gegenüber dem Zahnverlust imJahre 1997 um etwa 9 Prozent vorhersagen.

Die Frage nach den Implikationen des demografischen Wandels fürdie Entwicklung von Gesundheitskosten stellen sich für den Bereichder zahnmedizinischen Versorgung grundsätzlich anders als für dieübrige medizinische Versorgung. Die am stärksten ansteigende Bevöl-kerungsgruppe ist jene der 80-Jährigen und Älteren. Anders als für diePrävalenz chronischer Erkrankungen oder den stationären Versor-gungsbedarf findet sich für die zahnmedizinische Versorgung in dieserAltersgruppe kein gegenüber jüngeren Menschen erhöhter Finanzie-rungsbedarf.

Die Ausgaben für die zahnmedizinische Versorgung konzentrierensich gegenwärtig auf das frühe und mittlere Erwachsenenalter, nichtauf das höhere und hohe Alter (Boehme, 2002; Schneider, 2002).Durch zahnmedizinische Prävention lassen sich erhebliche oraleGesundheitsgewinne erzielen; auch alte und sehr alte Menschen wer-

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Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

Tabelle 37:Zeitraum seit dem letzten Zahnarztbesuch (in Monaten)

in Abhängigkeit von der zahnmedizinischen funktionellen Kapazität(Belastbarkeitsstufen BS 1–4)

(Quelle: Nitschke & Hopfenmüller, 1996)

Median Minimum Maximum

BS 1 6 1 180

BS 2 12 1 324

BS 3 24 1 600

BS 4 36 2 624

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den in Zukunft in ihrem Zahnbestand von Maßnahmen der Präventionund der Gesundheitsförderung profitieren.

Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass zahnmedizinische Prä-vention kurzfristig nicht in der Lage sein wird, zu einer Senkung derGesundheitsausgaben beizutragen. Des Weiteren kann angenommenwerden, dass der Haupteffekt präventiver Bemühungen auch langfristigweniger in einer Kostensenkung, als vielmehr in einer Verlagerung der infrüheren Lebensaltern anfallenden Kosten auf spätere Lebensalterbestehen wird (Biffar, 2002).

Auch werden zukünftige orale Gesundheitsgewinne mit hoherWahrscheinlichkeit mit zunehmenden Versorgungsansprüchen einher-gehen.

So kommt Boehme (2002) zu folgendem Schluss: „Die Zahnheil-kunde der Zukunft wird in den nächsten 20 Jahren sicher nicht preis-werter. Der medizinische Fortschritt und eine größere Lebensqualitätbei den Älteren haben ihren Preis“ (S. 116). Aber auch die Annahmeeiner Kostenexplosion in der zahnärztlichen Versorgung muss als un-realistisch bezeichnet werden. „Im Vergleich mit der gesamten Medizinbesteht in Deutschland ein relativ hoher Ausgabenbetrag für die zahn-ärztliche Versorgung. Dieser sollte auch bei den Veränderungen derZukunft genügend Flexibilität bieten, um eine vernünftige Gesamtver-sorgung sicherzustellen“ (Boehme, 2002, S. 111).

Kostenentwicklung im Gesundheitswesen

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V. Gegenwärtiger Stand und Entwicklung der Pflegeversicherung

5.1. Pflegekosten sind Gesundheitskosten

Kosten der Pflege sind bei den Kosten des Gesundheitswesens mit zuberücksichtigen. Gerade bei der älteren Generation sind die Kostender Pflege von besonderer Bedeutung. Die strenge Trennung zwischendem Gesundheitswesen einerseits und dem Sozialwesen (dem diePflege, speziell die Altenpflege, zugerechnet wird) andererseits, stellteine Tradition in Deutschland dar, die nicht auf eine medizinisch-wis-senschaftliche Unterscheidung zurückzuführen ist. Sie beruht imWesentlichen auf der Festlegung eines Leistungskatalogs der Kran-kenversicherung. Dieser hat die Pflege mit geringen Ausnahmen aus-geschlossen und sie der privaten Sphäre bzw. der Wohlfahrt und späterder Sozialhilfe zugeordnet. In anderen Ländern mit anderen sozial-staatlichen Traditionen existiert eine Trennung in dieser Form nicht.

Grundsätzlich trifft zu, dass das Risiko der Pflegebedürftigkeit mitdem Alter steigt. Auch lässt sich bei einer Querschnittsbetrachtungnachweisen, dass der Anteil der Pflegebedürftigen nach der Definitionder Pflegeversicherung kontinuierlich mit dem Alter zunimmt und auchdie Pflegestufe steigt. Auch wächst mit dem Alter der Anteil der Men-schen, die in stationären Einrichtungen der Altenhilfe versorgt werden,was im Allgemeinen mit den höchsten Kosten verbunden ist. Deshalblässt sich die Ausgangsfrage dieser Expertise für die Pflege eindeutigbejahen: Die Kosten steigen mit dem Alter.

Allerdings trifft diese generelle Aussage nicht individuell zu. Pflege-bedürftigkeit ist kein Schicksal, wenn man nur alt genug wird. Die inte-ressante Frage, wer pflegebedürftig in welchem Ausmaß und für wel-chen Zeitraum wird und wer nicht, ist allerdings derzeit nicht zu beant-worten. Natürlich gilt es, die Risiken zu vermindern, die zu Krankheitenmit einem hohen Risiko von Pflegebedürftigkeit führen, zum BeispielSchlaganfall oder Knochenbrüche. Zudem kann durch eine adäquateärztliche Behandlung und ein entsprechendes räumliches und techni-sches Umfeld sowie die Motivation des Betreffenden Pflegebedürftig-keit vermieden, hinausgeschoben oder verringert werden. Deshalbmuss die generelle Frage nach den Kostensteigerungen im Alter ver-knüpft werden mit der Frage nach den Möglichkeiten einer optimalenVersorgung, die zwar nicht per se zu einer Kostenreduzierung führt,

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aber zumindest überflüssige Kosten vermeidet. Dazu ist eine Betrach-tung der Gesamtkosten, die sowohl die Gesundheitsversorgung alsauch die pflegerische Versorgung einschließt, notwendig.

Allerdings treten bei der Analyse der Pflegekosten im Gesamtkon-text des Gesundheitswesens erhebliche Schwierigkeiten auf, die esderzeit nicht möglich machen, zu quantitativen Aussagen zu gelangen.Trendaussagen können jedoch abgeleitet werden.

Im Einzelnen:

a. Die finanziellen Lasten der Pflege verteilen sich auf verschiedeneKostenträger

Zwar ist die Pflegeversicherung grundsätzlich wie die Krankenver-sicherung nach dem Sachleistungsprinzip konzipiert, doch erbringt siefaktisch Geldleistungen, entweder in Form von direkten Zahlungen beider Pflege durch private Pflegepersonen oder durch Zuschüsse bei derprofessionellen Pflege. Dies bedeutet auch, dass die Selbstbeteiligungnicht, wie bei der Krankenversicherung, die „ersten Euro“ betrifft unddie restlichen Kosten von der Versicherung übernommen werden, son-dern die „letzten Euro“. Das heißt, es muss der Betrag selbst über-nommen werden, der nach dem Festbetrag der Pflegekasse nichtgedeckt ist. Überraschend ist, dass moderate Erhöhungen zum Bei-spiel der Selbstbeteiligung bei Arzneimitteln regelmäßig zu erheblichenöffentlichen Diskussionen über die Sozialverträglichkeit führen, aberdie Selbstbeteiligung in der Pflege, die bei einem Heimaufenthaltdurchaus weit mehr als 1.000 € pro Monat betragen kann, als mehroder weniger selbstverständlich akzeptiert wird.

Diese Konstruktion von Versicherungsleistung und Eigenanteil, derim Bedarfsfall über die Sozialhilfe abgedeckt wird, macht es in der Pra-xis schwer, die Gesamtkosten der Pflege zu beziffern. Erst recht giltdies für den Versuch, den privaten Aufwand in der häuslichen Pflegesowie die Opportunitätskosten durch den Verzicht auf andere Einnah-memöglichkeiten seitens der Pflegeperson zu erfassen. So weist derZweite Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung derBundesregierung (Deutscher Bundestag, 2001) zwar die Einnahmen-und Ausgabensituation der gesetzlichen und privaten Pflegeversiche-rung aus und trifft Aussagen zu den Auswirkungen der Pflegeversiche-rung auf die Sozialhilfe. Jedoch fehlt eine Einschätzung der Kosten, dieprivat von den Versicherten bzw. ihren Angehörigen getragen werden.

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Auch die im Bericht genannten Studien von Infratest und der Deut-schen Angestellten Krankenkasse (DAK) zur Situation der Pflege in Pri-vathaushalten gehen nicht auf die finanzielle Belastung der Privathaus-halte ein.

Zu den Pflegekosten gehören zusätzlich noch die durch direkteöffentliche Zuschüsse oder Pflegewohngeld geförderten Investitions-kosten.

Bei diesen unterschiedlichen Kostenträgern ist es nicht überra-schend, dass nicht nur eine Gesamtkostenbetrachtung fehlt, sondernauch eine gemeinsame Strategie zur Optimierung des finanziellen Ein-satzes. Eher ist die Tendenz festzustellen, die eigenen Kosten zu redu-zieren, auch wenn dies zu einer Erhöhung der Kosten für andere führensollte.

b. Die Leistungen der Pflegeversicherung sind pauschalDie Leistungen der Pflegeversicherung sind pauschaliert. Die Pau-

schalen richten sich nach Pflegestufe und Pflegearrangement. DiePflegestufen sind willkürlich gesetzte Eingangsschwellen für be-stimmte Leistungen. Sie könnten auch anders definiert werden: An-dere Kriterien wären genauso möglich, wie zum Beispiel eine stärkereDifferenzierung der Pflegestufen oder andere Zeitwerte. Gleiches giltfür die Höhe der Leistungen. Sie wurden durch Plausibilitätsüberlegun-gen kombiniert mit vordefinierten Höchstgrenzen und einem ge-wünschten finanziellen Gesamtvolumen der Pflegeversicherung fest-gelegt. Es gibt keinen Anpassungsmechanismus an Preissteigerun-gen. Seit ihrer Einführung im Jahr 1995 wurden die Pauschalen nichterhöht. Kosten über die Pauschalen hinaus gehen zu Lasten der Pri-vathaushalte (oder der Sozialhilfe). Preissteigerungen wirken sichsomit nicht auf die Pflegekassen, sondern auf die anderen Kostenträ-ger aus. Umso schwerer fällt eine Einschätzung der Kostenentwick-lung in der Pflege.

c. Pflegekosten hängen vom Pflegearrangement abAuch in der Krankenversicherung lassen sich die Kosten der einzel-

nen Krankheiten nicht eindeutig erfassen, da in vielen Fällen unter-schiedliche Behandlungen möglich sind. Allerdings wird mit der Ein-führung der DRG versucht, im Krankenhaus durch Fallpauschalenmehr Transparenz und Eindeutigkeit zu schaffen. In der Systematik derPflegeversicherung ist jedoch von vornherein das Pflegearrangementals Determinante der Leistung vorgesehen. Praktisch ist sogar das

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Pflegearrangement finanziell bedeutsamer als die Pflegestufe. So be-trägt die Differenz der Leistung der Pflegeversicherung zwischen denStufen I und III 460 € beim Pflegegeld und 409 € in der stationärenPflege im Monat. Ob jemand von Angehörigen gepflegt wird oder imHeim, macht hingegen einen Unterschied von 818 € in der Pflegstufe I,869 € in der Pflegstufe II und 767 € in der Pflegestufe III aus. Ob die(preiswertere) häusliche Pflege durch Angehörige möglich ist, hängtjedoch nicht nur vom Gesundheitszustand bzw. der Art und dem Gradder Pflegebedürftigkeit ab, sondern auch vom sozialen Netz, insbe-sondere der Familie, und von den räumlichen und technischen Mög-lichkeiten. Diese sind jedoch viel schwerer in ein Modell einzubezie-hen, das Aussagen zur Entwicklung der Pflegekosten treffen will, alsdie reinen Pflegestufen, die prozentual pro Altersgruppe als konstantoder sich regelhaft verschiebend angenommen und mit der demografi-schen Entwicklung verrechnet werden.

d. Pflegekosten werden bei den Wirtschaftlichkeitsüberlegungen desGesundheitswesens nicht berücksichtigt

Kosten der Pflege bzw. Folgekosten bestimmter Maßnahmen inner-halb des Gesundheitswesens werden nicht in die Wirtschaftlichkeits-betrachtungen einbezogen. So werden bei den DRG eventuelle Folge-kosten für die Pflege nicht berücksichtigt. Auch führen Wirtschaftlich-keitsprüfungen bei niedergelassenen Ärzten dazu, dass weitaus weni-ger Menschen die durchaus vorhandenen, aber teuren Arzneimittel, diekognitive Symptome bei Demenzerkrankungen vorübergehend verzö-gern, erhalten, als dies medizinisch sinnvoll wäre. Dabei ergäbe sichauch ein Einspareffekt, weil damit auch Pflegebedürftigkeit hinausge-zögert werden könnte und somit Pflegekosten nicht anfallen würden.Da aber solche sektorenübergreifende Wirtschaftlichkeitsbetrachtun-gen unterbleiben, entsteht nicht nur eine medizinische Unterversor-gung, sondern es werden auch unnötige Kosten produziert.

5.2. Die aktuelle Situation der Pflegeversicherung

Nach vielen Jahren des Bemühens, das Risiko der Pflegebedürftigkeitsozialrechtlich abzusichern, wurde im Jahr 1995 die gesetzliche Pfle-geversicherung und für Privatversicherte eine private Pflichtpflegever-sicherung eingeführt. Seit dem 1.7.1996 werden alle Leistungen derVersicherung gewährt und ein Beitragssatz von 1,7 Prozent erhoben.

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Zu Beginn erwirtschaftete die Pflegeversicherung einen Gewinn, derzum Aufbau von Rücklagen genutzt wurde. Mittlerweile übersteigendie Ausgaben die Einnahmen. Durch die Rücklagen wurde bislang einDefizit vermieden. Jedoch werden diese Rücklagen nach Erkenntnis-sen der Enquete-Kommission Demografischer Wandel des DeutschenBundestages im Jahr 2005 aufgebraucht sein (Deutscher Bundestag,2002, S. 535).

Die Leistungen der Pflegeversicherung wurden bislang nichterhöht, was zu einem Realwertverlust führte und in der Tendenz dazubeiträgt, dass der Anteil der Sozialhilfebezieher unter den Pflege-bedürftigen zunimmt bzw. der Betrag, den die Sozialhilfe leisten muss,steigt.

Die Pflegeversicherung wurde zu einem demografisch sehr günsti-gen Zeitpunkt eingeführt. Mitte/Ende der neunziger Jahre überschrit-ten die durch den Geburtenausfall des Ersten Weltkriegs zahlenmäßigschwachen Geburtsjahrgänge 1915 bis 1919 die Schwelle des acht-zigsten Lebensjahres, ab dem erst ein größerer Teil der Bevölkerungpflegebedürftig wird. Gegenüber dem Beginn der neunziger Jahrenahm die Zahl der über 80-Jährigen ab. Diese Entwicklung warbesonders bei den stationären Einrichtungen zu spüren: Wartelistenbauten sich ab, viele Häuser verzeichneten erstmals Leerstände. Aller-dings ist dies nicht nur auf die spezifische demografische Lage in derzweiten Hälfte der neunziger Jahre zurückzuführen, sondern ebensoauf eine verstärkte Neubautendenz, auch vorangetrieben durch privateInvestoren, sowie eine gewisse Tendenz bei Angehörigen, durch denAnreiz des Pflegegeldes zunächst einmal oder auch wieder zu versu-chen, eine häusliche Pflege zu ermöglichen.

Allerdings sind diese Trends derzeit nicht mehr oder nicht in demAusmaß zu verspüren. Die Zahl der über 80-Jährigen steigt, der Marktder „Sozialimmobilien“ befindet sich, angestoßen durch die wirtschaft-liche Schieflage oder gar Insolvenz prominenter größerer Träger, ineinem Bereinigungsprozess, und viele Angehörige haben festgestellt,dass das Pflegegeld nicht immer dazu geeignet ist, die Pflege sicher-zustellen. Letzteres gilt besonders dann, wenn der Pflegebedürftige aneiner mittelschweren oder schweren Demenz leidet und die Pflege imhäuslichen Umfeld eine auf Dauer angelegte 24-Stunden-Betreuungerfordert.

Die durch die Pflegeversicherung zementierte Trennung vonGesundheitsversorgung auf der einen und Pflege auf der anderen Seitehat weit reichende Konsequenzen, unter anderem bei der Wahrneh-

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mung bestimmter gesundheitlicher Sachverhalte („Ist es chronischeKrankheit oder Pflegebedürftigkeit?“), bei der Finanzierung (früher:„Zahlt die Krankenkasse oder der Einzelne, bzw. wenn Letzteres nichtmöglich ist, die Sozialhilfe?“, heute: „Kranken- oder Pflegekasse?“),bei der Zuständigkeit bestimmter Berufsgruppen (Ärzte oder Pflege-kräfte?), um nur einige zu nennen. Auch die Selbstwahrnehmung einesKranken ist anders als die eines Pflegebedürftigen: Pflegebedürftigkeitwird (oft fälschlicherweise) als ein irreversibler Endzustand empfunden,bei Krankheit wird die Behandlung in der Regel bis zum Tod fortge-setzt.

In praxi führt diese Unterscheidung zusammen mit den damit ver-bundenen unterschiedlichen Entscheidungslogiken der einzelnenKostenträger (Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Selbstzahler,Sozialhilfe, öffentliche Hand als Investitionsförderer) zu für die chro-nisch Kranken/Pflegebedürftigen suboptimalen und für die Kostenträ-ger in der Summe zu teuren Ergebnissen.

Obwohl eine Reihe von Einflussfaktoren bekannt ist, fällt eineBerechnung der wirtschaftlichen Folgen schwer. Weder gibt es eineAnalyse der Gesamt-Gesundheitskosten (einschließlich Pflege undEigenmitteln) im Lebensverlauf oder im höheren Alter, noch sind dieWechselwirkungen genauer bekannt.

So wird die Einsparung an Gesundheitskosten durch geriatrischeRehabilitation oft postuliert und an einzelnen Beispielen veranschau-licht, doch steht eine empirische Analyse noch aus, welche Einnahme-und Ausgabeeffekte sich für die Sozialversicherungen insgesamt erge-ben, von den privat zu tragenden Kosten oder den Sozialhilfekostenganz zu schweigen.

Die oft belegte Tatsache, dass nach einer geriatrischen Rehabilita-tion ein großer Teil der Patienten (zunächst) nicht in ein Pflegeheimzieht, heißt für sich genommen erst einmal nicht viel, könnte dies zumBeispiel auch auf das soziale Umfeld zurückzuführen sein: Wer eingutes soziales Umfeld hat, wird möglicherweise eher zur Rehabilitationangehalten, oder es wird deren Organisation übernommen. Umgekehrthilft ein intaktes soziales Umfeld auch wiederum, einen Heimaufenthaltzu vermeiden oder hinauszuzögern. Allerdings ist auch dieser Zu-sammenhang erst einmal eine empirisch nicht belegte Hypothese.

Dennoch ist eine Reihe von Wechselwirkungen bekannt, die hand-lungsrelevant sind, auch wenn dies von den Akteuren möglicherweisezurückgewiesen wird. Das immer wieder genannte Beispiel ist die geri-atrische Rehabilitation, die bei der GKV zu Mehrkosten führt, jedoch

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nicht dort, sondern bei der Pflegekasse (und beim älteren Menschenselbst) Einsparungen zur Folge hat, jedenfalls dann, wenn man nureinen begrenzten Zeitraum nach der Rehabilitation vergleicht und nichteine eventuell eintretende Erhöhung der weiteren Lebenserwartungberücksichtigt. Hinzu kommt, dass die Krankenversicherung imGegensatz zur Pflegeversicherung im Wettbewerb steht, sodasshöhere Ausgaben zum Beispiel durch Rehabilitation die Marktsituationder Krankenversicherung tendenziell verschlechtern, während even-tuelle Einsparungen bei der Pflegeversicherung zu keinem Wettbe-werbsvorteil führen.

Ähnlich sehen die Anreizstrukturen bei einer verbesserten medizini-schen Behandlung von chronisch erkrankten Menschen aus. Dieselassen sich wie folgt charakterisieren: Höhere Kosten bei der Kranken-versicherung, auch auf Dauer, da eine verlängerte Lebenserwartunganzunehmen ist, und dies bei Menschen, die in der Regel einen gerin-geren Beitrag zahlen, als sie an Kosten verursachen.

Eine bessere pflegerische Versorgung führt im stationären Bereichzunächst einmal zu höheren Kosten für die Betroffenen und eventuellfür den Sozialhilfeträger, nicht jedoch zu Mehrausgaben der Pflegever-sicherung, da in der Regel die Höchstbeträge ausgeschöpft sind. Ein-sparungen ergeben sich bei der Krankenversicherung zum Beispieldurch weniger Krankenhauseinweisungen oder einen geringerenBedarf an Behandlung, die wegen unzureichender Pflege notwendigwäre.

Eine Stützung der Familien, damit diese stärker zur Betreuung pfle-gebedürftiger Angehöriger in der Lage sind, belastet je nach gedach-tem Fördermodell finanziell eher den Staat durch Steuererleichterun-gen oder Zuschüsse (die allerdings auch verstärkt von den Pflegekas-sen kommen könnten) und entlastet den Einzelnen, die Pflegekasse,aber auch die Sozialhilfeträger.

Diese Punkte zeigen auf, dass die vorhandenen Finanzierungszu-ständigkeiten keine systematischen Anreizstrukturen zur Verbesserungder Situation der Pflegebedürftigen und zum wirtschaftlicheren Einsatzder Ressourcen darstellen.

Weitere Punkte, die zu suboptimalen Ergebnissen führen, lassensich aus unklaren Zuständigkeiten und Informationsflüssen ableiten.Zu nennen ist hier vor allem die ungenügende Organisation derZusammenarbeit zwischen Ärzten und Pflegekräften sowohl im ambu-lanten als auch im stationären Bereich. Ob die wichtigen Informationenzum Beispiel über den Pflegezustand oder die Wirkung von Arzneimit-

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teln den Arzt erreichen, ist in der Regel eine Frage des guten Willens.Es gibt keine geregelte und kontrollierte Verpflichtung des Arztes, diedurch die Pflegekräfte geführte Pflegedokumentation einzusehen. Ver-schreibungen des Arztes werden den Pflegekräften oft zu spätbekannt, besonders im ambulanten Bereich, wo es selten zu einempersönlichen Kontakt zwischen Arzt und Pflegefachkraft kommt.Regelmäßig wird an die Beteiligten appelliert, die Zusammenarbeit zuverbessern, regelmäßig gibt es erneute Schwierigkeiten. Dies lässtdarauf schließen, dass die Anreizstrukturen nicht so beschaffen sind,dass eine geregelte Zusammenarbeit entsteht. Mehr Appelle und mehrKontrolle haben aber bei fehlenden Anreizstrukturen kaum Aussichtauf Erfolg (vgl. Kruse, 2002).

Ein weiteres Beispiel ist die so genannte „Behandlungspflege“2, diein den Pflegeheimen zu Kontroversen führt. Zum einen ist die Finanzie-rung dieser Leistungen nicht endgültig geklärt (Pflegeversicherungoder Krankenversicherung), zum anderen sind die Verantwortlichkeitenunklar. In den Heimen werden niedergelassene Ärzte tätig. Zwischenden Ärzten und den Heimen gibt es keine vertraglichen Beziehungen.Es wird von der Fiktion ausgegangen, der Heimplatz sei zu behandelnwie eine Privatwohnung. Die Pflegemitarbeiter sind hingegen Ange-stellte des Heimes. Es herrscht Weisungsbefugnis innerhalb der Hie-rarchie des Hauses, zum Beispiel der verantwortlichen Pflegefachkraftgegenüber den übrigen Pflegemitarbeitern. Bei der Behandlungspflegeordnet jedoch der arbeitsrechtlich externe Arzt Maßnahmen an, dievon den ihm nicht unterstellten Mitarbeitern ausgeführt werden sollen.Das heißt, eine externe Person gibt Anweisungen, die ausgeführt wer-den sollen oder müssen. Der Arzt veranlasst dadurch Leistungen,deren Kosten beim Heim anfallen, ohne dass das Heim Einfluss aufden Umfang dieser Leistungen hätte. Weitere schwierige rechtlicheProbleme, zum Beispiel bei der Haftung, sind damit verbunden. Weiterkompliziert wird die Situation dadurch, dass in der Regel in einemHeim mehrere niedergelassene Ärzte tätig sind, die möglicherweiseunterschiedliche Vorgehensweisen bei der Behandlungspflege haben.

Ein weiterer Bereich mit ständigem Klärungsbedarf bis hin zu einerintensiven Befassung der Sozialgerichte sind die Hilfsmittel, die jenach angenommener Bedarfslage (Erleichterung der Pflege vs. Teil-

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2 In der Pflegewissenschaft gibt es Kritik an dem Begriff „Behandlungspflege“. Krohwinkel (2001) vertritt die Auffas-sung, „Behandlungspflege“ sei tatsächlich eine Mitarbeitsaufgabe bei medizinischer Therapie unter Verantwortungdes Arztes, die sich von der eigenverantwortlichen Pflege durch Pflegefachkräfte unterscheide.

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nahme am gesellschaftlichen Leben) zu unterschiedlicher Kostenträ-gerschaft führen. Diese mehr theoretische als praktische Einteilung(jedes Hilfsmittel führt auch zu einer Erleichterung der Pflege) führt zuvielen Konflikten und oft zu pragmatischen, aber unbefriedigendenLösungen.

Für die genannten Konfliktfelder sollen an dieser Stelle nicht Lösun-gen vorgeschlagen und diskutiert werden.

Sie sollen lediglich als Beispiele dafür dienen, wie durch unklareVerantwortlichkeiten und Finanzierungsregelungen Konflikte entste-hen, die häufig zu nicht sachgerechten Lösungen mit zumindest teil-weise überflüssigen Kosten führen.

5.3. Zukunftsentwicklungen der Pflegeversicherung

Nach dem gegenwärtigen Stand medizinischer Forschung muss davonausgegangen werden, dass auch in absehbarer Zukunft ein deutlicherZusammenhang zwischen Lebensalter und Pflegebedürftigkeitbesteht: Je höher das Alter, desto größer die Wahrscheinlichkeit, pfle-gebedürftig zu sein. Es gibt – wie in dieser Expertise bereits mehrfachhervorgehoben wurde – Hinweise darauf, dass mit der Verlängerungder Lebenserwartung die „gesunden“ Jahre auch in der Zukunftzunehmen werden, eine mögliche Pflegebedürftigkeit also hinaus-geschoben wird. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Belege dafür, dassmit einer gezielten Prävention Krankheiten vorgebeugt werden kann,die ein hohes Risiko der Pflegebedürftigkeit mit sich bringen (Kruse2002).

Mit den Daten der Pflegeversicherung ist dies zurzeit jedoch (noch)nicht nachweisbar. Zum einen ist der Zeitablauf seit 1995 zu kurz, zumanderen gab es Veränderungen in der Eingruppierungspraxis, die dieVergleichbarkeit der Daten der ersten drei Jahre und der weiterenJahre einschränkt. Zudem ist im SGB XI ein bestimmter verrichtungs-bezogener Pflegebegriff definiert, der in der Fachwelt und von denBetroffenen kritisch gesehen wird. Bei anderer Definition gäbe es mög-licherweise andere Ergebnisse.

Bei der zu erwartenden demografischen Entwicklung muss beiunveränderten Rahmenbedingungen von einer höheren Zahl pflege-bedürftiger Menschen und damit von steigenden Pflegekosten (Aus-gaben der Pflegeversicherung und der Sozialhilfe, Eigenanteil) ausge-gangen werden.

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Rothgang (2001) berechnete die in Tabelle 38 dargestellten vierVarianten für eine Einschätzung der Zahl der Pflegebedürftigen im Jahr2040.

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Zahl der ProzentualeAnnahmen Leistungs- Steigerung

empfänger 2040 gegenüber 2000

Konstanz der alters- und geschlechtsspezifischen Pflegehäufigkeiten; 2,98 Mio. 60Variante 1 der 9. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung

Konstanz der alters- und geschlechtsspezifischen Pflegehäufigkeiten; Variante V2a der 9. koordinierten 3,26 Mio. 75Bevölkerungsvorausberechnung (stärkerer Mortalitätsrück-gang als bei Variante 1)

Verschiebung der alters-spezifischen Pflegehäufigkeitenum ein halbes Jahr pro Jahr Verlängerung der Lebens- 2,59 Mio. 39erwartung; Variante 1 der 9. koordinierten Bevölkerungs-vorausberechnung

Verschiebung der alters-spezifischen Pflegehäufigkeiten um ein halbes Jahr pro Jahr Verlängerung der Lebens- 2,69 Mio. 45erwartung; Variante V2a der 9. Koordinierten Bevölkerungs-vorausberechnung

Anmerkung:Zahl der Leistungsempfänger 2000: 1,86 Millionen Menschen

Tabelle 38:Leistungsempfänger der sozialen Pflegeversicherung

(Quelle: Rothgang, 2001; sowie eigene Zusammenstellung)

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Das Interessante an diesen Modellrechnungen ist, dass sie aufzei-gen, dass bereits moderate Veränderungen der altersspezifischenPflegehäufigkeiten, in diesem Fall ein halbes Jahr je zusätzlichem JahrLebenserwartung, zu erheblich veränderten Verläufen des Anstiegs derZahl der Leistungsempfänger führen, wenn es bei der derzeitigenRechtslage bleibt. Deshalb sind Bemühungen, dieses Ziel zu errei-chen, nicht nur im Sinne der potenziellen Pflegebedürftigen. Sie stellenauch einen Beitrag zwar nicht zur Kostensenkung, aber zu einem mil-deren Anstieg des finanziellen Aufwandes dar. Auch müsste dannweniger in die Pflegeinfrastruktur investiert werden.

Andere Modellrechnungen zum Bedarf ergeben sehr unterschied-liche Zahlen, allerdings für das Jahr 2050. So ist die Schwankungs-breite bei Dietz (2001) je nach Szenario zwischen 3,17 Millionen und5,88 Millionen, das DIW (2001) kommt in seiner Modellrechnung auf4,72 Millionen. Solche reinen Bedarfszahlen sind jedoch nur einge-schränkt interpretationsfähig, weil es durchaus möglich und legitim ist,die einzelnen zugrunde liegenden Annahmen für mehr oder wenigerplausibel zu halten. Zudem ist der tatsächliche medizinische Fort-schritt kaum vorherzusagen. Interessant sind daher die Analysen derZusammenhänge, wie sie Rothgang vorgelegt hat, weil sie zeigen, wel-chen Einfluss eine andere auch nur moderat geänderte Annahme hat,wenn sie nur lang genug, in diesem Fall 40 Jahre, wirkt.

Wenn man jedoch versuchen will, eine Einschätzung der Pflege-situation in den kommenden Jahrzehnten abzugeben, erscheint einereine Fortschreibung der bisherigen Situation, bei der lediglich die ver-änderte Altersstruktur der Bevölkerung mit gewissen Varianten derPrävalenz berücksichtigt wird, als eher unwahrscheinliches Szenario.Wahrscheinlicher erscheinen folgende Entwicklungen:– Von den Pflegediensten und -einrichtungen (ambulant, teilstationär,

stationär) wird eine bessere Qualität erwartet. Die Verabschiedungeines neuen Heimgesetzes und des Pflegequalitätssicherungsge-setzes (PQsG) zeigen, dass der Gesetzgeber Handlungsbedarfsieht. Es ist nicht zu erwarten, dass dies die letzten Maßnahmen füreine verbesserte Qualität waren. Doch selbst wenn alle Rationali-sierungspotenziale und Synergieeffekte ausgeschöpft werden soll-ten, ist ein wesentlicher Qualitätssprung nur durch höheren Mittel-einsatz, insbesondere beim Personal, zu erreichen. Das bedeutetnicht nur eine größere Anzahl von Pflege- und anderen Fachkräften,sondern auch eine höhere Qualifikation, die wiederum bei dem zuerwartenden Nachwuchsmangel in diesen Berufen zu erhöhten

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Personalkosten führen wird. Das bedeutet höhere Pflegesätze, aberdamit nicht notwendigerweise höhere Aufwendungen der Pflege-kassen, da ja deren Anteil in der Höhe begrenzt ist. Nach jetzigerKostenträgerstruktur bedeutet das jedoch höhere Kosten sowohlfür die Pflegebedürftigen und gegebenenfalls für deren Angehörige,aber auch für die Sozialhilfeträger.

– Die Familienstrukturen verändern sich: weniger Kinder, mehr Schei-dungen, größerer Generationenabstand durch spätere Geburten.Gleichzeitig werden auf längere Sicht die Beschäftigungsmöglich-keiten aus demografischen Gründen insgesamt besser werden unddamit sowohl Frauen als auch ältere Arbeitnehmer eine höhereBeschäftigungsquote erreichen. Während heute, bei einem durch-schnittlich geringeren Generationenabstand, die potenziellen Pfle-gepersonen oft selbst bereits im Rentenalter sind oder, wenn diesesnoch nicht erreicht sein sollte, geringe Chancen auf dem Arbeits-markt haben, sieht dies in Zukunft bei größerem Generationenab-stand und besseren Beschäftigungsmöglichkeiten älterer Arbeit-nehmer anders aus. Somit ist ein Rückgang der Pflege durch Ange-hörige zu erwarten. Blinkert & Klie (2001) haben trotz großer metho-discher Schwierigkeiten versucht, in insgesamt vier Szenarien auf-zuzeigen, wie sich das Verhältnis von häuslicher und stationärerPflege entwickeln könnte (vgl. Tabelle 39).Die Annahmen und die Berechnungen von Blinkert & Klie (2001)

sind nicht unumstritten (Deutscher Bundestag 2002, S. 522). Sie zei-gen jedoch auf, wie sich bei Berücksichtigung von nur einigen Varia-blen sehr unterschiedliche Entwicklungen darstellen lassen und wiebedeutsam für die Kostenentwicklung in der Pflege Rahmenbedingun-gen sind, die außerhalb der Pflege gesetzt werden, zum Beispiel imArbeitsmarkt oder durch die Schwächung oder Stärkung der Familien.

Die Ausgaben der Pflegekassen richten sich nicht nur nach derPflegestufe, sondern auch nach dem Pflegearrangement. So kostet diePflegekasse ein Heimaufenthalt in der Pflegestufe 1 fünfmal so viel wiedas Pflegegeld bei selbst organisierter Pflege zu Hause. Dies bedeutet,dass selbst bei ansonsten unveränderten Rahmenbedingungen dieAusgaben der Pflegekassen (aber auch der Pflegebedürftigen und derSozialhilfe) steigen werden, wenn die Möglichkeiten der Familienpflegerückläufig sind.

Ein vielleicht die Familienpflege stärkender Faktor ist die in nächsterZeit steigende Anzahl von verheirateten älteren Menschen, da dieGeneration, in der viele Männer im Krieg starben, abgelöst werden wird

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durch nachfolgende Generationen mit einem ausgeglichenerenGeschlechterverhältnis. Weil die pflegenden Ehepartner auch zurzeitnoch gegenüber der Pflege durch Kinder und Schwiegerkinder über-wiegen, ist zu erwarten, dass mehr Ehepartner im Alter auch zunächst

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Szenario Annahmen Ergebnisse

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Konstantes informellesPflegepotenzial, Berück-sichtigung des demogra-fischen Wandels

Stationär versorgte Pflege-bedürftige:1998: 540.0002050: 1.200.000Anteil der Pflegebedürfti-gen, die professionelle Hilfein Anspruch nehmen, steigtvon 35 Prozent (1998) auf 40 Prozent (2050

2

Wie Szenario 1, plusVeränderungen in denFamilienstrukturen derÄlteren: Anteil der Ledigen,Geschiedenen undgetrennt Lebenden steigt

Stationär versorgte Pflege-bedürftige:2050: 1.300.000Anteil der Pflegebedürf-tigen, die professionelleHilfe in Anspruch nehmen,steigt auf 44 Prozent (2050)

3

Wie Szenario 2, pluszunehmende Erwerbs-beteiligung von Frauen

Stationär versorgte Pflege-bedürftige:2050: 1.400.000Anteil der Pflegebedürfti-gen, die professionelle Hilfein Anspruch nehmen, steigtauf 51 Prozent (2050)

4

Wie Szenario 3, aberflexiblere, auf Pflege aus-gerichtete Arbeitsorgani-sation, erweitertes Angebotan ambulanten Diensten,mehr Offenheit gegenüberprofessionell-privatgemischten Pflege-arrangements

Stationär versorgte Pflege-bedürftige:2050: 850.000Anteil der Pflegebedürfti-gen, die professionelle Hilfein Anspruch nehmen, steigtauf 58 Prozent (2050), aberverstärkt im ambulantenBereich

-

Tabelle 39:Szenarien zum Verhältnis von professioneller und häuslicher Pflege

(Quelle: Blinkert & Klie (2001)

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mehr Familienpflege bedeuten. Dieser Faktor wird jedoch durch dieZunahme der Geschiedenen, Ledigen und getrennt Lebenden in denkünftigen älteren Generationen wieder an Bedeutung verlieren, sodasser die anderen Entwicklungen der Familienstrukturen in ihren Wirkun-gen nicht entscheidend beeinflussen wird (vgl. dazu Blinkert & Klie,2001, Szenario 3).

Hinzu kommt die oben erwähnte Qualitätsdiskussion, die auch vor der Familienpflege nicht Halt machen wird. Es ist kaum vermittel-bar, dass bei den professionellen Pflegediensten und Pflegeeinrichtun-gen immer stärkerer Wert auf Qualifikation und Fachlichkeit gelegtwird, jedoch gleichzeitig die Pflege durch Laien in den Familien alsgesellschaftliches Leitbild propagiert wird. Jegliche Qualitätssteige-rung oder Qualitätskontrolle in der häuslichen Pflege wird jedoch ent-weder zu einer Verringerung oder einer Verteuerung (zum Beispieldurch professionelle Ergänzung oder Schulung) der Familienpflegeführen.– Die Pflegewissenschaft und die medizinische Erforschung chroni-

scher Krankheiten befinden sich in einer dynamischen Entwicklung.Ständig gibt es neue Erkenntnisse oder bisherige werden verwor-fen. Die grundsätzliche Richtung ist jedoch die der Individualisie-rung: Je nach Krankheit, nach Persönlichkeit, nach Schweregrad,nach sozialem Umfeld soll sich die Pflege ausrichten. Das bedeutetden Abschied von einheitlicher Vorgehensweise oder Versorgung.Es bedeutet stärkere Differenzierung der Angebote, der Qualifika-tion der Pflegenden, der zeitlichen Inanspruchnahme usw. Auchdies ist mit höheren Kosten verbunden. Aber es ist nicht einzuse-hen, dass zum Beispiel differenzierte Konzepte zur BetreuungDemenzkranker diesen nicht zugute kommen. Durch solche indivi-dualisierende Vorgehensweisen lassen sich zwar auch Überversor-gungen abbauen und damit eventuell Kosten sparen, aber im Gro-ßen und Ganzen bedeuten sie höhere Kosten durch größeren Auf-wand.

Fazit: Alle Faktoren (Demografie, Qualitätsanforderungen, Familienstruktu-ren, medizinischer und pflegewissenschaftlicher Fortschritt) sprechenfür eine Kostensteigerung bei der Betreuung pflegebedürftiger Men-schen. Diese Kosten führen (bei unveränderter Rechtslage) zu höherenAusgaben von Pflegeversicherung und Sozialhilfe sowie vor allem derPflegebedürftigen selbst.

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5.4. Optionen für die Pflegeversicherung

Einfluss auf die Kostenentwicklung kann auf verschiedene Weisegenommen werden. Im Bereich der Pflege ist allerdings angesichts desdemografischen Wandels jedoch nicht zu erwarten, dass die Kostenreduziert werden können. Lediglich das Ausmaß der Steigerungen istbeeinflussbar.

Zu unterscheiden sind verschiedene Ebenen, auf denen Optionenzu realisieren sind:– eine politisch-gesellschaftliche Ebene: Hierunter fallen Fragen der

Verankerung der Pflege in der Gesellschaft, der Unterstützung vonFamilien, der Schaffung einer „Pflegekultur“, in der private, ehren-amtliche und professionelle Elemente sinnvoll zusammengefügtwerden.

– eine gesetzlich-administrative Ebene: Hierzu zählt vor allem dieSchaffung eines Anreizsystems, das systematisch zu koordinierter,fachlich begründeter, ausreichender und wirtschaftlicher Versor-gung bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit führt.

– eine individuelle Ebene: Hier ist sowohl an Prävention zu denken alsauch die gezielte Förderung zur Stärkung von Pflegearrangements,die mit einer geringeren Belastung sowohl der Kostenträger alsauch der Pflegebedürftigen einhergehen.

Auf der politisch-gesellschaftlichen Ebene sind alle Maßnahmen zubegrüßen, die die Familien in ihrem Zusammenhalt stärken. Dazugehören finanzielle und steuerliche Förderung ebenso wie Beratungund Hilfe. Wichtig ist klarzustellen, dass Familienangehörige, wenn siesich in der Pflege engagieren, mit umfangreichen Beratungs- undHilfeangeboten rechnen können. Zum Beispiel, dass kurzfristig inBelastungssituationen Unterstützung bis hin zur kompletten Über-nahme der Pflege durch andere möglich ist.

Eine Verbesserung der Versorgung ist auch durch ehrenamtlicheMitarbeiter zu erreichen. Die Betreuungsgruppen für Demenzkranke,die sich in Baden-Württemberg in großer Zahl gebildet haben, sindBeispiele dafür, wie eine spürbare Entlastung der Angehörigen mit gro-ßem Engagement und relativ geringem Mitteleinsatz möglich ist. Dajeder Monat, den ein Demenzkranker von seiner Familie und nicht imHeim betreut wird, eine Entlastung von 818 € in der Pflegestufe I bzw.869 € in der Pflegestufe II pro Monat für die Pflegekassen bedeutet,ganz abgesehen von der finanziellen Entlastung des Pflegebedürftigen

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bzw. seiner Angehörigen oder des Sozialhilfeträgers, ist auch die wirt-schaftliche Bedeutung der Betreuungsgruppen hoch, selbst wenn derHeimeinzug eines Teilnehmers nur um wenige Monate hinausgezögertwerden sollte. (Personen mit Pflegestufe III sind kaum in der Lage, aneiner Betreuungsgruppe teilzunehmen. Selbst wenn bei der Betreuungim Privathaushalt nicht die Geld-, sondern die Sachleistung gewähltwird, ist die Differenz zur Leistung der Pflegekassen beim Heimaufent-halt beträchtlich, nämlich 639 € in der Stufe I und 358 € in der Stufe II.)

Auf der gesetzlich-administrativen Ebene ist eine Überprüfung derjetzigen rechtlichen Konstruktion notwendig im Hinblick darauf, ob dieAnreize für eine qualitativ gute Versorgung bei sparsamer Mittelver-wendung richtig gesetzt sind. Eine Reihe von Beispielen wurde bereitsaufgeführt. Insbesondere muss verhindert werden, dass Maßnahmenzur Kosteneinsparung bei einem Kostenträger zu Ausgaben bei einemanderen Kostenträger führen. Sinnvoll ist grundsätzlich, dass derKostenträger, der von den Erfolgen einer Maßnahme profitiert, dieseauch zu bezahlen hat. Daher wäre es zum Beispiel grundsätzlich sinn-voller, die geriatrische Rehabilitation bei der Pflegekasse anzusiedeln.

Generell sind Veränderungen der Finanzierungszuständigkeitenund der Rahmenbedingungen, verbunden mit Wettbewerbselementen,zu fordern, um eine konsequentere Ausrichtung auf eine hohe Versor-gungsqualität bei wirtschaftlichem Ressourceneinsatz zu fördern.Dazu gehören unter anderem:1. Eine engere Kooperation bis hin zur Zusammenführung von Kran-

ken- und Pflegeversicherung, bei aller Problematik, die sich ausden unterschiedlichen „Logiken“ der Kassen ergibt.3

2. Eine Veränderung der Pflegestufen, denen ein anderer Pflegebegriffunter der Berücksichtigung medizinischer Fragestellungenzugrunde gelegt werden sollte. Damit wäre eine integrative medizi-nisch-pflegerische Betreuung besser möglich. Zudem sollte es einestärkere Differenzierung geben, die über die grobe Einteilung derStufen I bis III hinausgeht. Dann könnte die Begutachtung zur Ein-gruppierung nicht nur der Feststellung dienen, ob bestimmteSchwellen zum Leistungsbezug erreicht werden, sondern es könntegleichzeitig eine Feststellung des medizinisch-pflegerischen Be-darfs erfolgen. Damit könnte ein Steuerungselement eingeführtwerden.

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3 Vgl. zu der Diskussion um eine Integration von Pflege- und Krankenversicherung: Deutscher Bundestag (2002), S. 569–584, sowie das dem zugrunde liegende Gutachten von IGES/Igl/Wasem (2001).

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3. Zu bedenken ist eine Veränderung des Leistungskataloges. Zurzeitist die Differenzierung nach den Pflegearrangements stärker als dienach dem Ausmaß des pflegerischen Bedarfs. Es wäre aber auchdenkbar, stärker den Bedarf in den Vordergrund zu stellen und dannbestimmte Summen zur Verfügung zu stellen, mit denen dann dasindividuelle Pflegearrangement gestaltet werden kann. Um Miss-bräuchen zu begegnen, könnte nur ein Teil als direkte Geldleistungauszahlbar sein, während ein anderer als Geldleistung zum Sach-leistungsverbrauch konzipiert wird.

4. Wichtig ist eine stärkere Verknüpfung von Medizin und Pflege. Dazugehört zunächst ein besserer Informationsaustausch. Es muss ver-pflichtend geregelt sein, dass Ärzte und Pflegekräfte die relevantenInformationen vom anderen erfahren. Die Gutachten des MDK müs-sen als Informationsquelle den behandelnden Ärzten und den Pfle-gemitarbeitern zugänglich sein. Ebenso muss der Informationsaus-tausch zwischen Krankenhaus und Pflegenden funktionieren unddie Nachsorge nach einem Klinikaufenthalt kann sich nicht nur da-rauf beschränken, einen Arztbrief zu schreiben und einen Heimplatzdurch den Krankenhaus-Sozialdienst zu suchen. Ferner müssen dieVerantwortlichkeiten und Weisungsbefugnisse von Ärzten undambulanten Diensten bzw. Pflegekräften in Heimen geklärt sein.Auch sollte es, besonders in Heimen, ein gemeinsames medizini-sches und pflegerisches Qualitätsmanagement geben. Es ist nichtzielführend, wenn die Heime durch mindestens zwei Instanzen(MDK und Heimaufsicht) im Detail auf ihre Qualität geprüft werden,ein ganz wichtiger Aspekt des Lebens Pflegebedürftiger, nämlichdie medizinische Versorgung, jedoch keinerlei Qualitätsprüfungenunterliegt.4

5. Die Transparenz der Leistung, der Kosten und der Qualität ist zuerhöhen, um auf diesem Wege mehr Wettbewerb zu erzielen. So istdurchaus vorstellbar, dass die Ergebnisse der Qualitätsprüfungenzusammen mit den Stellungnahmen der Dienste und Einrichtungenim Internet veröffentlicht werden. Wettbewerb ist derzeit außer überPreise kaum möglich, weil weder die gebotenen Leistungen nochderen Qualität ausreichend bekannt sind und oftmals der berech-tigte oder unberechtigte „Ruf“ eines Heimes oder eines Dienstesüber deren Inanspruchnahme entscheidet.

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4 So wird zum Beispiel bei den MDK und den Heimaufsichtsprüfungen im Detail geprüft, ob die Arzneimittel nach derVerschreibung des Arztes richtig gegeben werden. Eine falsche Stellung der Medikamente ist – zu Recht – einschwerer Qualitätsmangel. Ob die Verschreibung der jeweiligen Arzneimittel jedoch überhaupt sinnvoll ist, wird vonniemandem überprüft.

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Auf der individuellen Ebene ist vor allem die Prävention zu erwäh-nen. So ist eine konsequente Sekundärprävention durch formulierteProgramme und Einbeziehung aller Beteiligten zu forcieren.

Wichtig ist eine Förderung gezielter Maßnahmen zur Stärkung derPflegearrangements, die mit einer geringeren Belastung sowohl derKostenträger als auch der Pflegebedürftigen einhergehen.

Sinnvoll erscheint auch eine regelhafte Einschätzung des Risikopo-tenzials der Wohnung und des Wohnumfeldes mit Maßnahmenvor-schlägen und Finanzierungsmöglichkeiten. Letzteres dient auch dazu,ein häusliches Pflegearrangement zu ermöglichen oder zu stabilisie-ren.

Unerlässlich ist es, die pflegerischen Konsequenzen ärztlicherHandlungen und die medizinischen Folgen pflegerischen Handelsauch unter Kostengesichtspunkten in die Entscheidungen einzubezie-hen. So wird beispielsweise in vielen Fällen bei Demenzkranken auf dieVerschreibung von Arzneimitteln verzichtet, die die Demenz zwar nichtheilen, aber den Verlauf mildern können. Diese Medikamente sindrecht teuer. Auf der anderen Seite verzögern sie die schweren Phasender Demenz um etwa ein Jahr. Wäre damit auch ein Heimeinzug fürdiesen Zeitraum verhindert, so würde die Verschreibung der Arzneimit-tel der Kranken- und Pflegeversicherung insgesamt finanzielle Vorteilebringen, mit Mehrausgaben der Krankenkassen und Minderausgabender Pflegekassen. Allerdings wird eine solche integrierte Sicht nichtverwirklicht.

Weiterhin wäre es bei einer größeren Freiheit der Pflege- und Kran-kenkassen sinnvoll, im Sinne eines Case Managements individuellabgestimmte Hilfen anzubieten und diese zum Teil oder vollständig zufinanzieren, wenn damit eine größere Wahrscheinlichkeit verbundenist, Pflegebedürftigkeit, eine höhere Pflegestufe oder ein teureres Pfle-gearrangement hinauszuzögern oder zu verhindern. Dies kann sichselbst für einen kürzeren Zeitraum lohnen.

So hat sich die Finanzierung einer Maßnahme im häuslichenBereich mit Gesamtkosten von 2.500 € schon dann mehr als refinan-ziert, wenn dadurch die Übersiedlung in ein Heim vier Monate hinaus-geschoben werden kann. Zu diesen Hilfen können sowohl bauliche alsauch personelle Maßnahmen zählen oder die Finanzierung von Fahrt-kosten ehrenamtlicher Helfer. Wichtig ist, dass es keinen abschließen-den Maßnahmenkatalog gibt, sondern individuell vorgegangen werdenkann. Sinnvoll ist auch hier die Zusammenarbeit von Medizin undPflege, denn stützende Maßnahmen im häuslichen Umfeld können

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auch dazu beitragen, Krankenhausaufenthalte zu vermeiden oder zuverkürzen.

Diese Möglichkeiten sollten nicht nur dann bestehen, wenn bereitseine Pflegestufe zuerkannt wurde. Durch die MDK-Gutachten zur Ein-gruppierung kann auch festgestellt werden, wer bereits der Hilfe undPflege bedarf, aber noch nicht die Schwellenwerte zur Pflegestufe Iüberschritten hat. Diese Informationen werden zurzeit nicht genutzt.Sie könnten jedoch dazu dienen, Maßnahmen vorzuschlagen, die eineVerschlimmerung verhindern oder verschieben, so dass auch die Leis-tungspflicht der Pflegekasse erst später eintritt.

Insgesamt erscheint es sinnvoll, im Rahmen eines umfassendenCase Managements die gesundheitliche Situation, den Hilfe- und Pfle-gebedarf, das Präventionspotenzial und das häusliche Umfeld zu ana-lysieren, um gezielt abgestimmte Maßnahmen zu ergreifen, die eineVerschlechterung des Zustandes verhindern oder verzögern. Damitkann nicht nur die Versorgung verbessert werden, sondern es werdenauch Kosten vermieden. Zwar lassen sich die Pflegekosten insgesamtdadurch nicht senken. Dies lässt sich bei der demografischen Entwick-lung bei allen Bemühungen nicht erreichen. Jedoch kann es gelingen,dass die Kosten lediglich im Sinne der optimistischen Szenarien stei-gen und damit auch den Wünschen älterer Menschen nach möglichstgroßer Selbstbestimmung in der eigenen Wohnung Rechnung getra-gen wird.

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