Koreana Spring 2015 (German)
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Pioniere der modernen Kunst
ISSN 1975-0617
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST
JAHRGANG 10, N
R.1 FRÜ
HJA
HR 2015
SPEZIAL
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ST
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 1
Auf der koreanischen Halbinsel kündigt
sich der Frühling zuallererst auf den
im Südmeer verstreuten Inseln an.
Ende Februar brechen vor dem Hinter-
grund des blauen Meers die karmesinroten
Kamelienblüten mit ihren gelben Stempeln
zwischen dunkelgrün glänzenden Blättern
auf. Das den ganzen Winter über verschlos-
sen gewesene Herz fängt wieder zu pochen
an. Danach beginnen die von den Seonbi-
Gelehrten dieses Landes so sehr gelieb-
ten Pflaumenblüten an Jahrhunderte alten
Bäumen ihre Blätter zu entfalten.
Ende März bis Anfang April folgen die gel-
ben Forsythien, die Freunde der Kinder
und des einfachen Volkes, die Asiatischen
Kornelkirschen und rosaroten Azaleen.
Aber anders als vom ungestümen Herzen
erhofft, gibt es noch viele kühle Tage. Der
Frühling beginnt erst richtig, wenn an allen
Ästen der Kirschbäume, die die Straßen
säumen, die Blüten wie Feuerwerke des
Lichts explodieren.
Höhepunkt des Lenz ist jedoch die Yeon-
deung-Lotuslaternen-Parade an Buddhas
Geburtstag Anfang Mai, wenn die Rhodo-
dendrenblüte einsetzt. In der Parade scheint
der Wille des Menschen, die Schönheit aller
von der Natur sorgfältig gepflegten Früh-
lingsblumen ans Licht zu bringen, Vollen-
dung zu finden. Die Yeondeung, die Papier-
laterne in Lotusform, wird in der Hoffnung
gefertigt und aufgehängt, dass das von
Düsternis und Leid erfüllte Herz wieder mit
der Weisheit Buddhas erstrahlen und dass
warmherzige Liebe sich wie Licht verbreiten
möge, sodass sich die ganze Welt mit der
Barmherzigkeit und Weisheit Buddhas füllt.
Als ich noch klein war, wurde meine Groß-
mutter mit dem Nahen von Buddhas
Geburtstag auf einmal Buddhistin. Wir
bastelten die Laternen, indem wir das in
Form geschnittene gelb, grün und rosa-
rot gefärbte Maulbeerbaumpapier auf das
Bambusrippenskelett klebten und an den
Enden lotusblütengleich nach innen bogen.
Die Laterne in den Händen, legten wir den
langen, 20 Meilen weiten Weg zum Großen
Tempel tief in den Bergen zurück. Danach
wurde dieser weite, mit Blüten erfüllte Weg,
den ich meiner Großmutter folgend lief, für
mich ein Weg des Festes und der prächtigs-
te aller Frühlingswege. Denn ich weiß, dass
Segen und Liebe, enthalten in dieser von
meiner Großmutter als Opfer dargebrach-
ten Lotuslaterne, mein Herz immer wieder
hoch in den blauen Himmel erheben.
Verlöscht das Licht und wird die zu einer
Handvoll Asche gewordene Laterne davon-
geweht, so steht der Sommer vor der Tür
und der Frühling gleicht einem Traum im
kurzen Mittagsschlaf, aus dem man unver-
sehens erwacht.
IMPRESSIONEN
Blumen des Herzens schwingen himmelwärts Kim Hwa-young
Literaturkritiker, Mitglied der National Academy of Arts
30
4836
SPEZIAL
Pioniere der modernen Kunst
SPEZIAL 1
04 Künstlerischer Geist aufgeblüht in Zeiten des Umbruchs Kim Young-na
SPEZIAL 2
08 Kim Whanki: Landschaft der Transzendenz
und Ästhetik des Erhabenen Park Mee-jung
SPEZIAL 3
12 Schriftzeichen, Zeichen, Mensch
Lee Ungno: Darstellung des Wesenhaften mit Tusche und
Reflexion über die Geschichte Mok Soo-hyun
SPEZIAL 4
18 Park Saeng-kwang: Stern der koreanischen Farbmalerei Park Young-taek
SPEZIAL 5
22 Park Soo-keun: Der „nationale Maler“,
der die Schwermut der Zeit ins Lyrische transzendierte Choi Youl
FOKUS
26 Sprunghafte Zunahme der
Zahl chinesischer Touristen:
Vorteile und Herausforderungen Kim Bo-ram
INTERVIEW
30 Lee Ja-ram: Jungstar des
Pansori Kim Soo-hyun
HÜTER DES TRADITIONELLEN ERBES
36 Chyung Mi-sook: Die Traditionelle
Lebenskultur bewahren Chung Jae-suk
VERLIEBT IN KOREA
42 Wie Sie an Ihren Kimchi kommen
und ihn genießen Ben Jackson
UNTERWEGS
48 Geomun-do: Wo das wahre Lied vom
Leben erklingt Gwak Jae-gu
NEUERSCHEINUNG
54 Pathways to Korean Culture: Paintings of the Joseon Dynasty, 1392-1910
Wertrolle Fallstudien: Bilder aus der
Joseon-Zeit
Die Bibliothek des LTI Korea Online-Archiv der Übersetzungen der
koreanischen Literatur
Charles La Shure
ENTERTAINMENT
56 Hidden Singer
Stimmimitatoren und ihre Passion
- Songs in neuem Gewand Wee Geun-woo
GOURMETFREUDEN
58 Gimbap: Beliebt und besonders
zugleich Park Chan-il
REISEN IN DIE KOREANISCHE LITERATUR
62 Largo: Der Weg von der
Dunkelheit zum Licht Chang Du-yeong
Geleitschutz des
Lichts Cho Hae-jin
4 KOREANA Frühjahr 2015
SPEZIAL 1Pioniere der modernen Kunst
Künstlerischer Geistaufgeblüht in Zeiten des UmbruchsKorea kam Ende des 19., Anfang des 20. Jhs erstmals ernsthafter mit der westlichen Malerei in Berührung. Dies geschah zwar während der japanischen Kolonialzeit (1910-1945) lediglich als Bestandteil der Verbreitung der neuen Kultur über die Besatzer, aber von dem raschen Wandel durch verschiedene Strömungen und Ausdrucks-methoden in der Weltmalerei blieb auch Korea nicht unberührt. Die Bemühungen der koreanischen Meister-maler, inmitten der diversen Richtungen an der Mündung zur Moderne zusammen mit der Modernität auch die koreanische Gefühlswelt auf eine eigene Art und Weise zum Ausdruck zu bringen, waren die Antriebskräfte der koreanischen Malerei von heute.
1916 brachte die Korea Daily News groß aufgemacht
die Schlagzeile, dass das Gemälde Abenddämme-
rung (Sunset) des koreanischen Malers Kim Kwan-
ho (1890-1959) auf dem vom japanischen Ministerium für
Bildung, Wissenschaft und Kultur gesponserten staat-
lichen Kunstwettbewerb ausgezeichnet wurde. Auf ein
Foto des Werks hatte man jedoch verzichtet, da die bei-
den Frauen auf dem Bild unbekleidet waren. In der ost-
asiatischen Malerei, deren Schwerpunkt traditionell auf
mit Tusche und Pinsel gemalten Landschaften und Por-
träts lag, war der weibliche Akt ein bislang völlig unbe-
kanntes Genre. Selbst gewöhnliche Porträts und Dar-
stellungen von Alltagsszenen von Individuen aus dem
einfachen Bürgertum kamen in Korea erst im späten 19.
bis frühen 20. Jh auf, als die westliche Malerei im Zuge
des Zustroms der neuen Kultur verstärkt Einzug in Ost-
asien hielt. Daher versetzte ein weiblicher Akt der konfu-
zianischen koreanischen Gesellschaft einen besonders
großen Schock. Auch Aktdarstellungen, die 1921 auf der
ersten, im Rahmen der Kulturpolitik des japanischen
Generalgouverneuramts als Wettbewerb auf den Weg
gebrachten Koreanische Kunstausstellung gezeigt wur-
den, durften in den relevanten Zeitungsberichterstattun-
gen mit dem Argument „der Gefahr, bei gewöhnlichen,
kunstunkundigen Menschen unsittliche Erregung aus-
zulösen“ nicht veröffentlicht werden. Unter Künstlern,
die sich auf westliche Malerei oder Bildhauererei spezia-
lisiert hatten, galten Aktdarstellungen jedoch als grund-
legender Bestandteil ihrer Ausbildung zum Künstler. In
Kim Young-naDirektorin, National Museum of Korea
Abenddämmerung (1916) von Kim Gwan-ho, 127,5 x 127,5 cm, Öl auf Leinwand, Tokyo School of Fine Arts. Als Kim Gwan-hos (1890–?) Werk auf der von der Regierung gesponserten Kunstausstellung Bunten gezeigt wurde, berichtete die koreanische Presse in großen Schlagzeilen darüber, brachte allerdings kein Foto, da ein weiblicher Akt gegen die konfuzianischen Moralvorstellungen der Zeit verstieß.
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 5
demie und die Kunstschule Bunka Gakuin hinzu. Auch
schlossen sich einige Studenten Künstlergruppen an
und nahmen an Ausstellungen teil. Nach ihrer Rückkehr
bemühten sie sich um die Heranziehung des Nachwuch-
ses, indem sie selbst unterrichteten oder Ausstellungen
abhielten. Diejenigen, die zu der Zeit zum Studieren nach
Tokio gehen konnten, stammten meist aus entsprechend
wohlhabenden Familien, sodass viele es sich leisten
konnten, alleine vom Unterrichten zu leben, ohne sich
um den Verkauf ihrer Werke kümmern zu müssen. Sie
empfanden einen gewissen Stolz darauf, Vertreter der
neuen Kunst zu sein. In der Vergangenheit war in Korea
der gesellschaftliche Status von Berufsmalern niedrig.
Das begann sich jedoch zu ändern, als Künstler, die im
Ausland eine formelle westliche Kunstausbildung erfah-
ren hatten, auf die Bühne traten. Für sie war ein Künst-
ler jemand mit besonderem Talent, eine Art „einsames
Genie“. Das dürfte dem Einfluss des westlichen Elita-
rismus seit der Zeit der Romantik zu schulden sein. Die
koreanische Kunst der Frühmoderne wurde also größ-
tenteils von den Künstlern, die in Japan studiert hatten,
auf den Weg gebracht.
Zeit der Seelenqualen und ExperimenteAuf die Befreiung von der japanischen Kolonialherr-
schaft 1945 folgte der Konflikt zwischen Rechten und
Linken und angesichts der Wirren von Koreakrieg (1950-
1953) und Landesteilung sahen sich die koreanischen
Maler fast außerstande, zu arbeiten. Erst um 1955
begannen sie allmählich, sich vom Schock des Krie-
ges zu erholen. Die koreanischen Kunstkreise richteten
ihren Blick jetzt voller Interesse über Japan hinaus auf
die Trends in der internationalen Kunstszene. Künstler
wie Park Soo-keun (1914-1965), der seit der japanischen
Kolonialzeit aktiv war, malten in der schweren Nach-
kriegszeit auf der US-Militärbasis Porträts und verdien-
ten später ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf ihrer
Werke an amerikanische Soldaten. Einige Künstler aus
wohlhabenderen Verhältnissen gingen zum Studium
nach Frankreich, dem Mekka der Kunst. Dazu gehörten
führende Maler wie Lee Ungno (1904-1989), Kim Whan-
ki (1913-1974), Kim Heung-su (1919-2014) und Kwon Ok-
youn (1923-2011), die seit der Kolonialzeit aktiv waren.
Damals war es noch etwas so Großartiges, zum Kunst-
studium ins Ausland zu gehen, dass selbst die Zeitungen
darüber berichteten.
Die Maler, die nach Frankreich zogen und dort vieles
sahen und lernten, zerbrachen sich den Kopf darüber,
den 1930er Jahren hatte sich schließlich der Horizont in
der modernen koreanischen Kunst so stark erweitert,
dass auch mit abstrakten Darstellungen experimentiert
wurde.
Frühe moderne Malerei, angeführt von in Japan ausgebildeten Künstlern Da Korea von 1910 bis 1945 unter japanischer Kolonial-
herrschaft stand, war die Einrichtung einer offiziellen
modernen Kunsthochschule unmöglich, sodass die
meisten, die westliche Malerei studieren wollten, nolens
volens nach Japan gingen. Einige wenige Künstler wie
Pai Un-soung (Bae Un-seong,1900-1978), Lee Chong-woo
(I Jong-u,1899-1981) und Chang Bal (Jang Bal,1901-2001)
zog es zwar nach Europa oder in die USA, doch die Mehr-
zahl entschied sich für Japan, da man für die Ausreise
sowieso zunächst einen japanischen Pass brauchte.
Anfangs fiel die Wahl der meisten Kunststudenten auf
die Kunstakademie Tokio, eine staatliche Einrichtung.
Ab den 1930ern kamen dann private Bildungsinstitutio-
nen wie die Nihon University, die Kaiserliche Kunstaka-
1. Porträt von Pater Kim Dae-geon (1920) von Jang Bal, 60,5 x 50 cm, Öl auf Leinwand, Lithurgisches Museum der Katholischen Universität Koreas. Jang Bal (1901–2001) war ein gläubiger Katholik, der viele religiöse Gemälde schuf und nach der Befreiung von der japanischen Kolonialherrschaft einen großen Beitrag zu Kirchenbau und Kunsterziehung leistete. Andreas Kim Dae-geon war Koreas erster römisch-katholischer Priester. Er fand 1846 den Märtyrertod.
2. Porträt eines Freundes von Gu Bon-ung, 62 x 50 cm, Öl auf Leinwand, Nationalmuseum für Moderne und Zeitgenössische Kunst. Gu Bon-ung (1906–1953) war ein stark von den Fauves beeinflusster Maler und auch als Bildhauer und Kunstkritiker aktiv. Das Porträt zeigt Gus besten Freund, den jung verstorbenen Dichter Yi Sang. Yis Witwe Kim Hyang-an heiratete später den Maler Kim Whanki, einen der Pioniere der abstrakten Kunst in Korea. In der koreanischen Kunstgeschichte gilt Kim Hyang-an als Lebensgefährtin von zwei bedeutenden Größen der modernen koreanischen Kunst.
1 2
6 KOREANA Frühjahr 2015
1. Lee Ungno hielt seine erste Soloausstellung 1962 in der Galerie Paul Facchetti in Paris ab. Der Künstler und seine Frau Park In-kyung (in Hanbok-Tracht), Mitte, mit Gästen auf der Vernissage.
2. 1959 brachte die westdeutsche Tageszeitung Neue Presse eine höchst positive Kritik über Lee Ungnos Ausstellung von Tuschebildern in Frankfurt. Lees Porträt wurde von dem Journalisten gezeichnet.
3. Kim Whanki mit seiner Frau Kim Hyang-an beim Spaziergang in Paris. In Paris wurde sich Kim der geistigen Wurzeln seiner Kunst bewusst und erkundete Wege des Ausdrucks dafür.
4. Nach dem Koreakrieg verdiente sich Park Soo-keun den Lebensunterhalt mit Malen und Verkauf von Soldaten-Porträts auf der US-Militärbasis.
In der Vergangenheit war in Korea der gesellschaftliche Status von Berufsmalern niedrig. Das begann sich jedoch zu ändern, als Künstler, die im Ausland eine formelle westliche Kunstausbildung erfahren hatten, auf die Bühne traten. Für sie war ein Künstler jemand mit besonderem Talent, eine Art „einsames Genie“. Das dürfte dem Einfluss des westlichen Elitarismus seit der Zeit der Romantik zu schulden sein. Die koreanische Kunst der Frühmoderne wurde also größtenteils von den Künstlern, die in Japan studiert hatten, auf den Weg gebracht.
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KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 7
wie sie im westlichen Stil, aber distinktiv anders als die
westlichen Künstler malen sollten. Lee Ungnos Begeg-
nung mit der Informellen Kunst inspirierte ihn dazu, die
Leinwand mit dem traditionellen koreanischen Hanji-
Maulbeerbaumpapier zu bekleben, während Kim Whan-
ki sich mit der Darstellung koreatypischer Themen und
Gefühlswelten befasste.
Von ihnen unterschied sich wiederum die Generation
der jungen Kunststudenten der 1950er Jahre. Die meis-
ten von ihnen hatten Kunst an der nach der Befreiung
gegründeten Seoul National University und der Hongik
University studiert und begnügten sich nun nicht mehr
damit, mit akademischen Porträts und Landschafts-
malereien Auszeichnungen bei staatlich unterstützten
Kunstausstellungen einzuheimsen. Diese Generation,
die die Grausamkeit des Kriegs erlebt hatte, strebte jetzt
nach einer Ausdrucksfreiheit jenseits aller Formalität.
Sie begeisterte sich für die damals in Korea bekannt wer-
denden Kunstrichtungen des Abstrakten Expressionis-
mus aus den USA und der Informellen Kunst aus Europa,
die mit der leidenschaftlichen Intenstität der Pinselfüh-
rung alle bis dahin geltenden Regeln zu brechen schie-
nen. Auch koreanische Maler, die im traditionellem Stil
mit Pinsel und Tusche arbeiteten, gerieten unter den
Einfluss des Abstrakten Expressionismus und setzten
den Pinsel für Experimente im abstrakten Stil ein. Auch
die Bildhauer lösten sich von realistischen Werken aus
Bronze und Holz und versuchten sich unter Einsatz neuer
Schweißmethoden an expressionistischen Eisen- und
Stahlskulpturen, was zum Teil auch mit dem reichlichen
Materialangebot in der Nachkriegszeit zu tun hatte.
Künstlerisches Schaffen und Austausch im globalen ZeitalterAb den 1960er Jahren wandten die koreanischen Künst-
ler ihren Blick von Europa auf die USA, wo sich neue
künstlerische Aktivitäten entfalteten. Die USA hatten
Südkorea im Krieg unterstützt und halfen in verschie-
denen Bereichen beim Wiederaufbau. Im Vergleich zu
Landwirtschaft, Medizin und Bildung fiel die Unter-
stützung im Kunstbereich verständlicherweise gering
aus, doch Ausstellungen wie die Wanderausstellung
des Seattle Art Museum Acht amerikanische Künstler:
Malerei und Plastik, die 1957 im Nationalmuseum inner-
halb des Palasts Deoksu-gung ausgetragen wurde und
Werke von Künstlern aus dem Norden und Westen der
USA wie Mark Tobey (1890-1976), Morris Graves (1910-
2001) und David Hare (1917-1992) präsentierte, erregten
in Korea neues Interesse an der amerikanischen Kunst-
szene. Der Aufstieg der amerikanischen Kunstwelt zum
neuen Mekka der zeitgenössischen koreanischen Kunst
dürfte auch Kim Whanki, der während der japanischen
Kolonialzeit in Japan studiert hatte und nach seinem
dreijährigen Frankreich-Aufenthalt (1956-1959) als Pro-
fessor an der Hongik University tätig war, zum Aufbruch
in die USA bewogen haben.
Auch danach dienten die USA als Zentrum der zeitgenös-
sischen Kunst noch eine ganze Weile für viele koreani-
sche Kunststudenten als Ausbildungsstätte. In amerika-
nischen Kunsthochschulen wie dem Pratt Institute und
der Designschule Parsons studieren auch heutzutage
noch viele Koreaner. Ab den 1980er Jahren machte sich
aber wieder eine Diversifizierung der Studienzielländer
bemerkbar und Länder wie Deutschland, Großbritanni-
en usw. gewannen an Beliebtheit. Auch änderte sich die
Einstellung der koreanischen Kunststudenten zur west-
lichen Malerei von einfacher Rezeption zum gegensei-
tigen Austausch. Die USA und Europa sind heute weni-
ger Orte, wo man Neues lernen kann, sondern vielmehr
Orte, die man im Zeitalter der Globalisierung erlebt
haben sollte. Seit den 1990er Jahren werden nämlich
auch in Korea viele internationale Ausstellungen wie
die Gwangju Biennale veranstaltet, sodass die Kunst
aus anderen Ländern nicht länger ein Objekt der vagen
Neugier oder Sehnsucht ist. Das Auslandsstudium wird
heute eher als ein Mittel zur Erweiterung der eigenen
künstlerischen Aktivitäten betrachtet.
Träume (1960) von Kwon Ok-yeon, Öl auf Leinwand, 73 x 100 cm, Nationalmuseum für Moderne und Zeitgenössische Kunst. Kwon Ok-yeon (1923–2011) war ein prominenter Künstler, der in Frankreich und Japan studiert hatte. Seine Werke bringen östliche Rätselhaftigkeit und Fantasien mit westlichem Empfinden und Techniken zum Ausdruck.
8 KOREANA Frühjahr 2015
SPEZIAL 2Pioniere der modernen Kunst
Als seine Mutter mit ihm schwanger wurde, träumte sie
davon, dass in allen Farbtönen leuchtende Fahnen am Him-
mel flatterten. Als wollte er dieses Omen wahr werden las-
sen, wurde Kim Whanki (1913-1974; Beiname: Suhwa) Maler, wid-
mete sich bereits in seinen Zwanzigern der abstrakten Kunst und
führte später die Moderne in Korea an. Sein Interesse umfasste
neben Bildender Kunst auch Literatur und Kim unterhielt einen
regen Austausch mit den verschiedensten Kunst- und Kultur-
schaffenden. Das bereicherte sein Leben als Künstler und ließ ihn
auch die Bekanntschaft von Kim Hyang-an (1916-2004) machen,
die ihm Weggefährtin in Kunst und Leben wurde und seine künst-
lerische Laufbahn entscheidend beeinflusste. Sie stellte sein Werk
auf der Weltbühne vor, indem sie seine Kunstwelt erforschte, ord-
nete und in Form von Ausstellungen und Büchern präsentierte.
Nach seinem Tod rief sie die Whanki Foundation ins Leben und
bemühte sich darum, seine Werke als Kulturerbe des Volkes zu
bewahren. Sie gründete das Whanki Museum, wodurch sie einen
Beitrag zur Förderung von Künstlern und zur Schaffung eines kul-
turellen und künstlerischen Umfeldes in Korea leistete.
Das Wesen der Kunst und die Herausforderung des KünstlersWenn es um die Kunst ging, kannte Kim Whanki keine Kompromis-
se. Er war von einem solch unbeugsamen Herausforderungsgeist
beseelt, dass er sogar ohne Bedauern seine gesicherte Position und
das Ansehen, das er in Korea genoss, aufgab, und fest zu einem Neu-
anfang entschlossen nach Paris und New York, den Hochburgen der
internationalen Kunst, aufbrach. In dem Glauben, dass Dekonstruk-
tion der natürlichen Objekte eine „neue Realität, die die Wirklichkeit
und die Illusion überschreitet“ enthülle, gründete er Ende der 1940er
Jahre zusammen mit Kollegen die sog. Sinsasil-Gruppe, d.i. die
Gruppe des Neuen Realismus. Aus seiner Sicht sollte der Künstler
danach streben, durch das freie künstlerische Schaffen sein wahres
Ich zu entdecken und es zum Ausdruck zu bringen, was für Kim auch
der Weg zur Sicherung seines eigenen Platzes auf der Weltbühne der
Kunst und zur Koexistenz mit den anderen darstellte.
Kim Whanki, der mit seiner subtilen, verfeinerten Sprache der Gestaltung eine gefühlvolle Kunstwelt schuf, war ein Vorreiter der modernen abstrakten Kunst in Korea. Seine Werke, hervorgegangen aus ver-schiedenerlei gestalterischen Experimenten, sind als Ausdruck seines von Seele und Ewigkeit singenden po-etischen Geistes gleichsam eine Reflexion des Lichtes von Sonne und Mond, ein Echo seiner Sehnsucht nach einer unbekannten Welt.
Landschaft der Transzendenz und Ästhetik des ErhabenenPark Mee-jung Direktorin, Whanki Museum
1
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 9
Mond, Pflaumenblüten und Dal-Hangari als Hauptmotive die Natur
besingend, brachte er die asiatische, nach Einklang mit der Natur
strebende Mentalität und eine von tiefer Lyrizität durchdrungene
gestalterische Ästhetik zum Ausdruck. Kim erkannte bereits früh
die Schönheit der traditionellen Kultur und alten Kunst Koreas und
sammelte Antiquitäten, Malereien und Kalligraphien. Seine beson-
dere Liebe galt dem Dal-Hangari, der reinweißen, vollmondähnli-
chen Baekja-Keramik, die mehr als ein reines Steckenpferd war und
seine Kunstwelt erheblich beeinflusste. Bevor sich Kim ganz der
abstrakten Kunst verschrieb, erschienen in seinen Werken häufig
Natur und traditionelle Objekte Koreas als gestalterische Elemen-
te, die seine Identität und seinen poetischen Geist repräsentierten.
Auch nach seiner vollständigen Hinwendung zum Abstraktivismus
erinnern die einfachen, klaren Linien und die schlichten, zarten Far-
ben an die anmutigen und zurückhaltenden Linien und den dezenten,
reinen Farbton der weißen Baekja-Keramik. Auf der Leinwand, auf
der sich elegante Linien und schlichte Farbfelder überschneiden und
wiederholen, koexistieren auf natürliche Weise die figurative Dar-
stellung mit ihren Motiven von Werden und Vergehen aller Natur-
objekte und die Abstraktion. Die facettenreichen Blautöne, die Kim
gerne gebrauchte, verleihen seinen Bildern etwas Poetisches und
Traumhaftes und sind gleichzeitig symbolischer Ausdruck für die
Natur Koreas. Außerdem streicht das Blau, Spur der aller Schöpfung
zugrunde liegenden Affirmation und Yang-Energie und damit Symbol
des Lebens, die Themen von Kims Werken heraus.
Kim Whankis naturalistisch geprägtes Streben nach Form diente
auch während seiner Pariser Jahre der Bestimmung seiner geisti-
gen und künstlerischen Identität und seiner Suche nach dem Wesen
der Kunst. In Paris konnte er die Gemälde der großen zeitgenössi-
schen Meister selbst in Augenschein nehmen und ihre starke Aura
der poetischen Botschaften spüren, was ihn zu der quälenden Frage
brachte, was denn nun seine lyrische Botschaft sei. Ein Brief an
einen Bekannten von 1957 gibt Aufschluss über seinen Gedanken-
gang: „Meine Kunst hat sich überhaupt nicht verändert. Was ich hier
gefühlt habe, ist der poetische Geist. Ich glaube, die Kunst muss von
etwas singen. Jedes Werk eines Meisters singt kraftvoll von etwas.
In Paris ist mir klar geworden, welche Art von Gesang ich bislang
gesungen habe. Mir scheint, dass ich erst hier erfahren habe, wie
hell die Sonne ist.“
In Paris wurde Kim Whanki sich der Wurzeln seines künstlerischen
Geistes bewusst und lernte, sie zum Ausdruck zu bringen. Dort
erkannte er, dass die Kraft zum Überleben nicht im äußeren Schein,
sondern im inneren Wesen der Werke liegt und dass er daher die
Authentizität des koreatypischen poetischen Geistes bewahren soll-
te. Seine Meisterwerke, die in dem nur ihm eigenen Blau seine neue
Interpretation von Motiven wie Berge, Mond, Vögel, Dal-Hangari und
1. 10-X-73 #322 Air and Sound Ⅱ (1973), 264 x 208 cm, Öl auf Baumwolle2. Unsterbliche Wesen (1956-1957), 128 x 104 cm, Öl auf Baumwolle
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Die Werke von Kim WhanKi, der auch als „gestaltender Poet, der
die Natur besang“ und als „Barde, der die Ewigkeit pries“ beschrie-
ben wird, können grob in die Periode vor und nach 1963 eingeordnet
werden. Die erste Periode umfasst seine Jugendjahre, als er nach
den Wurzeln seines kreativen Schaffens suchte und sich Fragen
der Darstellungsmethode widmete, die Zeit der Sinsasil-Aktivitä-
ten, als er sich treu an seine Darstellungsideale hielt, die Pariser
Jahre (1956-1959), als er seine Identität als Künstler und das Wesen
der Kunst erforschte, und schließlich die Zeit der Teilnahme an der
Biennale von São Paulo 1963. Damals interpretierte er die Welt aus
der Sicht der Natur und versuchte eins mit ihr zu werden. Danach
zog er nach New York, um - wieder zurück am Ausgangspunkt - das
ultimative Ziel, das ein Künstler verfolgen sollte, zu erkunden und
die Ästhetik des Erhabenen und der Transzendenz zu erreichen.
Diese sog. New Yorker Phase (1963-1974) entspricht der zweiten
Schaffensperiode. Während dieser Zeit internalisierte Kim Whan-
ki durch verschiedene Formexperimente eine kontemplative und
objektive Naturwahrnehmung und -erforschung, die sein Schaffen
prägte .
Die Natur besingenTendierten Kims Werke in seiner frühen Schaffensperiode noch
hin zu Avantgarde und abstrakter Kunst, veränderte sich sein Stil
in der Folgezeit zu einem gegenstandsbezogenen Abstraktivismus,
mit dem er auf einzigartige Weise die Leinwand füllte. Mit Berg und
2
10 KOREANA Frühjahr 2015
Pflaumenblüten widergeben, entstanden in dieser Zeit. Es sind Moti-
ve, die für die Natur und Identität Koreas stehen. Die Pariser Jahre
waren letztendlich eine Phase des kreativen Schaffens, geprägt von
einer Leidenschaft und Intensität, die durch die Energie des Wage-
muts beflügelt wurde.
Von der Ewigkeit singenKim Whanki nahm 1963 als Repräsentant Koreas an der Bienna-
le von São Paulo teil und wurde mit einem Ehrenpreis ausgezeich-
net. Nachdem er in Brasilien Künstler und Werke aus der ganzen
Welt kennen gelernt hatte, entschied er sich, noch einmal ganz von
vorn anzufangen und in New York, dem Hotspot der internationalen
Kunstszene, seine Kunst auf den Prüfstand zu stellen. Damals war
er 50 Jahre alt. In New York, einer Stadt voller Freiheiten und krea-
tiver Energie, machte sich Kim erneut Gedanken über den weiteren
Weg seiner Kunst. Sich dem neuen Umfeld und dessen Gegebenhei-
ten stellend, forderte er sich wieder einmal selbst heraus. In New
York hatten sich nach zwei Weltkriegen Menschen der verschiedens-
ten Ethnien und Kulturen angesammelt und ein komplexes soziales
Umfeld geschaffen, in dem eine für jeden akzeptierbare objektive
Sichtweise und Offenheit herrschten. Die Stadt tolerierte vielfältige
künstlerische Trends, die — wie die Künstler des abstrakten Expres-
sionismus der Künstlergruppe New York School demonstriert hatten
— mit einem gemeinsamen Ziel jeweils auf originäre Weise umge-
setzt wurden.
Für Kim Wahn-ki war New York keine beängstigende Arena, in der er
sich im Kampf ums künstlerische Überleben erfolgreich zu bewei-
sen hatte, sondern ein Raum der Neuheiten, der seine Neugier und
Sehnsucht inspirierte und seinen Willen, sich erneut auf eine künst-
lerische Gralssuche zu begeben, anstachelte. Auch war es ein Raum
der Freiheit und Kreativität, wo er sich vollständig seiner Arbeit wid-
men konnte, ohne wie in Korea ständig dem Druck gesellschaftlicher
Verpflichtungen ausgesetzt zu sein. Als Mekka der internationalen
Kunst eröffnete ihm New York neue Horizonte, die es ihm ermöglich-
ten, über seine tieflyrische, auf seiner besonderen Naturergriffenheit
beruhenden Darstellungsweise hinaus nach einem Malstil von uni-
versellerem Anklang zu suchen. Seine Kunst strebte entschlossen
und unablässig nach Wandel in Inhalt und Stil. Nach Experimenten
mit verschiedenen Materialien und unzähligen Arten der Bildkom-
position verschwand die konkrete Darstellung von Natur-Objekten
aus seinen Werken und wich einer abstrakten Darstellung aus reinen
komprimierten Punkten, Linien und Flächen.
Die gestalterischen Experimente mit Punkten und Linien, die bereits
in seinen Zeichnungen aus den 1950er Jahren in ihren Anfängen zu
finden sind, setzten sich in Form von verschiedenen Flächenkompo-
sitionen fort, bis sie sich schließlich in den späten 1960er Jahren als
sog. Punktmalerei manifestierten. Kims Werke, die hauptsächlich
Jeder einzelne der Punkte, die sich im Blickfeld wie lebende Zellen vermehren, sind von Kim Whanki ausgeschüttete Teilchen der Meditation. Sie sind Ströme intensiver Sonnenenergie, rhythmisch flimmernder Tanz leuchtender Sternkonstellationen, Landschaft einer Metropole bei Nacht, Berge und Flüsse der vermissten Heimat und Gesichter geliebter Menschen. Auch sind sie Abbilder von Tiefsee und Kosmos, deren Unendlichkeit in alle Ewigkeit nicht zu erahnen ist.
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KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 11
aus implizierenden Kompositionen und Blautönen bestanden hat-
ten, vertieften sich durch die reinen, formativen Grundelemente wie
Punkte, Linien und Flächen zu einer Welt der universaleren, mehr
nach innen gerichteten poetischen Stimmung. Seine Experimente
mit Darstellungsformen — darunter die abstrakte Darstellung von
Bergen und Mond, die Kreuzstruktur, die abstrakte Farbfeldmalerei
und die sog. Punktbilder — sowie die Versuche mit verschiedenen
Materialien wie Pappmaché, Objekten und Collagen oder Öl auf Zei-
tungspapier sind beredte Zeugnisse für die facetteneiche Entfaltung
von Kims kreativem Schaffen. Mit Beginn der 1970er Jahre befasste
er sich ernsthaft mit Kompositionen aus Punkten, Linien und Flä-
chen, was schließlich in der sog. „All-over-Punktmalerei“ (vollstän-
dige Bedeckung der Leinwand mit Punkten) mündete und ergreifen-
de Werke voller Tiefe und Feinheit hervorbrachte. Jeder einzelne der
Punkte, die sich im Blickfeld wie lebende Zellen vermehren, sind von
Kim Whanki ausgeschüttete Teilchen der Meditation. Sie sind Strö-
me intensiver Sonnenenergie, rhythmisch flimmernder Tanz leuch-
tender Sternkonstellationen, Landschaft einer Metropole bei Nacht,
Berge und Flüsse der vermissten Heimat und Gesichter geliebter
Menschen. Auch sind sie Abbilder von Tiefsee und Kosmos, deren
Unendlichkeit in alle Ewigkeit nicht zu erahnen ist.
Durch die Kunst, mit der KunstKim Whankis Gemälde Wo und als was werden wir uns wohl wie-
der treffen (1970), das erste einer Serie, und Universum (1971) gelten
als Höhepunkte seiner All-over-Punktmalerei und sind gleichzeitig
repräsentative Meisterwerke der zeitgenössischen koreanischen
Kunst. Die meditative Fläche, die in tiefen, mysteriösen Blautönen
wie Coelinblau, Ultramarinblau und Berliner Blau gehalten ist, und
die Nuancen der subtilen Farbpunkte, die Freude, Wut, Trauer und
Glück von Kims Leben in der Fremde zum Ausdruck bringen, erstre-
cken sich über Zeit und Raum hinaus in die Ewigkeit. Die Punkte wur-
den also nicht einfach in mechanischer Wiederholung hingetupft,
sondern sind jeder einzelne Bild gewordenes Resultat der Kontem-
plation und transzendentalen Meditation des Künstlers über sein
Leben in Relation zu Natur, menschlichen Beziehungen und Kunst.
Kim Whankis Punkt-Werke sind Ergebnis der Sublimation des von
ihm angestrebten poetischen Geistes über die Realität hinaus ins
Reich der Fantasie. Auch wenn er dabei im westlichen Stil Ölfarbe auf
Leinwand brachte, erzielte er durch die Regulierung der Farbkonsis-
tenz Effekte wie bei der östlichen Tuschemalerei. Die feinflüssigen
transparenten Ölfarben wurden vom traditionellen Hanji-Maulbeer-
baumpapier oder Stoff wie Tusche aufgesaugt und verbreitet. Durch
asiatische Spiritualität wollte er die Materialiät überwinden und sich
von der physischen zur spirituellen, von der materiellen zur geisti-
gen Welt bewegen und damit über die Realität hinaus zur Raum und
Zeit überschreitenden Ewigkeit oder Raumlosigkeit gelangen. Was er
durch die Kunst zu verstehen versuchte, war wohl die Bestimmung
von Natur, Mensch und Universum.
Sein kreatives Schaffen ließ Kim den vollkommensten Weg für den
Künstler erkennen: „in der Kunst, durch die Kunst, mit der Kunst“. Die
kreative Welt, die ein Künstler in Begleitung und in Auseinandersetzung
mit der Kunst in der Realität zu schaffen gedenkt, ist ein transzenden-
tales Reich, das nicht ohne Geburtsschmerzen zu erreichen ist; eine
sublime Welt, in die der Künstler nur dadurch gelangen kann, dass er
zur Entfachung seiner schöpferischen Leidenschaft seine Seele ver-
brennt und mit seiner Ästhetik der Transzendenz die Herzen bewegt.
Während Kim Whanki in seinen Pariser Jahren die Natur mit kon-
templativen, aus seinem poetischen Geist fließenden Pinselstri-
chen besang, offenbarte er in seiner New Yorker Phase Lyrismus
pur, indem er seine innere Welt für die neue Form der Natur und des
metaphysischen Raums, die er in der kalten Stadtzivilisation ent-
deckte, öffnete. Seine auf diese Weise geborenen Werke ergreifen
uns bis heute durch ihren emotionalen Gehalt.
1. Kim Whanki bei der Arbeit. Der Künstler, der sich für traditionelle Kultur und antike Kunst Koreas interessierte, sammelte Antiquitäten, alte Gemälde und Kalligraphien. Seine Liebe zu den weißen Mondtöpfen, die er sammelte, ging über ein reines Steckenpferd hinaus und hatte deutlichen Einfluss auf sein Werk.
2. Kim Whankis New-Yorker-Phase begann 1963. In dieser Zeit entwickelte er seinen charakteristischen pointilistischen Stil.
3. 16-Ⅶ-68 #28 (1968), 177 x 128cm, Öl auf Leinwand.
3
12 KOREANA Frühjahr 2015
1958 gab Lee Ungno im Alter von damals 54 Jahren seine etablier-
te Position und Karriere, die er sich als Professor und Künstler in
der Welt der koreanischen Malerei aufgebaut hatte, auf und zog
nach Paris. Abgesehen von den rund drei Jahren in koreanischen
Gefängnissen (1967-1969), in die ihn die sog. „Ostberliner Spionage-
Affäre“, ein auf Koreas Teilung zurückzuführender politischer Skan-
dal, gebracht hatte, war er bis zu seinem Tod im Jahr 1989 von Paris
aus international aktiv. Im Spannungsfeld von Vergangenheit und
Gegenwart sowie von Orient und Okzident gestaltete er dort seine
eigene, einzigartige Kunstwelt.
Experimente ohne EndeAls Lee in Paris ankam, stand die Kunstwelt voll im Zeichen der Art
Informel, der Bewegung der Informellen Kunst. Mithilfe des renom-
mierten Kunstkritikers Jacques Lassaigne (1911-1983) gab Lee
1962 mit der Ausstellung Ung-No-Lee Collages in der Galerie Paul
Facchetti sein erfolgreiches Debüt. Bei Künstlern wie Hans Har-
tung (1904-1989), Pierre Soulages (geb. 1919) und Zao Wou-ki (1920-
2013), die aus allen Ecken und Enden der Welt nach Paris gekommen
waren, hatte er eine neue Tür zur Darstellung der Welt entdeckt.
Lee lernte bei Kim Gyu-jin (1868-1933; Beiname: Haegang), einem
namhaften Kalligraphen und Tuschemaler der Zeit, die traditionel-
le Bambusmalerei, bevor er für zehn Jahre (1935-1945) zum Studi-
um nach Japan ging. Dort besuchte er die Kawabata Malschule und
das Hongo Institut für Malerei. Seine Lehrzeit unter Matsubayashi
Keigetsu (1876-1963) öffnete ihm die Augen für die Realistik. In den
späten 1940er und frühen 1950er Jahren beschäftigte er sich mit der
Abstraktion der Tuschemalerei, bevor er schließlich in Paris auf die
Art Informel stieß. Er unterschied sich zwar in Bezug auf die Motive
nicht von anderen Tuschemalern, versuchte jedoch gleichzeitig, die
Tuschemalerei-Tradition mit der zeitgenössischen Kunst zu verbin-
den. Doch legte er dabei sein altes Künstler-Ich nicht ab, sondern
nahm vielmehr seine künstlerischen Wurzeln als feste Basis, auf
der er sich die Informelle Kunst zu eigen machte. Auf der Grundlage
des Geistes der chinesischen Kalligraphie, deren Zeichen sich aus
der Form realer Objekte ableiten, und der Tuschemalerei, die allein
mittels Stangentusche und Papier die Prinzipien aller Dinge zu ent-
decken versucht, begann er die geistige Welt der Künstler der Zeit zu
erforschen, die bestrebt waren, ins Innere ihres im Elend des Kriegs
erfahrenen Schreckens und Schmerzes vorzudringen und ihm Aus-
druck zu verleihen.
Lee verharrte jedoch nicht in der Informellen Kunst. Die Dekons-
truktion der von ihm seit Kindesbeinen an erlernten Kalligraphie-
Zeichen entspricht zwar in puncto Formlosigkeit den Prinzipien der
SPEZIAL 3Pioniere der modernen Kunst
Von den Tagen seiner ersten Bambus-Tuschebilder bis hin zu seiner späteren Menschen-Werkreihe legte Lee Ungno (1904-1989) Papier und Tusche ein Leben lang nicht aus der Hand. Als einer der Pioniere dieser Malerei war er in der Nachkriegszeit auf der ganzen Weltbühne mit Schwerpunkt auf Europa aktiv. Für seine Werke ver-wendete er nicht nur Papier und Tusche, sondern auch verschiedene andere Materialien und Techniken wie Öl auf Leinwand und Papier collé, und befasste sich darüber hinaus mit Druckgrafik, Bildhauerei und Keramikma-lerei. Als Ergebnis seines umfangreichen Schaffens hinterließ er eine monumentale Sammlung von über 10.000 Werken, mit der er ein neues Kapitel in der abstrakten Kunst aufschlug.
Schrif zeichen, Zeichen, Mensch
Lee UngnoDarstellung des Wesenhaften mit Tusche und Reflexion über die Geschichte
Mok Soo-hyunForschungsprofessorin, Seoul National University, Kyujanggak Institute for Korean Studies
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 13
Su (Langlebigkeit, 1972), 274 x 132 cm, Tusche auf Hanji-Maulbeerbaumpapier, Collage. In den 1970er Jahren legte Lee in seinen abstrakten, ideographischen Arbeiten aus klar umrissenen Zeichen eine starke Anlehnung an den Konstruktivismus an den Tag.
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5
Informellen Kunst, doch Lees Arbeiten heben
sich dadurch ab, dass er auf Grundlage der für
ihn typischen Materialien Papier und chinesische
Schriftzeichen seine Stil- und Formexperimen-
te fortsetzte. In den 1960er Jahren beschäftig-
te er sich mit Papier collés und Collagen, wobei
er Papier mit der Hand in Stücke riss und durch
Zusammenkleben Form schuf, sowie der Dekon-
struktion von Form in abstrakten Tuschearbei-
ten. Die bei den Collagen zusammengekleb-
ten Papierschnipsel können zwar als formlos
betrachtet werden, doch setzen sie sich oft durch
Striche oder andere Elemente der zerlegten
Schriftzeichen wieder zu einem Bild zusammen.
Durch Hinzufügen von Watte gewinnt das Werk
an Dreidimensionalität, wobei die Kombinati-
on von Papier und Watte eine Textur ganz eige-
ner Art ergibt. In Lees abstrakter Tuschema-
lerei erscheinen die Formelemente manchmal
als Zeichen, manchmal als Bäume oder Berge,
oder auch als Tiere und Menschengestalten. Lee
selbst bezeichnete den Stil dieser Periode als
„abstrakte Darstellung des Wesenhaften“.
In Paris vollbrachte Lee noch eine weitere
Leistung: Im November 1964 gründete er die
Pariser Akademie der Orientalischen Malerei
(Académie de peinture orientale de Paris) im
Musée Cernuschi, einem Museum für östliche
Kunst. Zu dieser Zeit begann man sich in Euro-
pa stark für östliche Spiritualität zu interessie-
ren und viele wollten durch die Werke von Lee
Ungno, des koreanischen Künstlers, der westli-
14 KOREANA Frühjahr 2015
che Moderne in seine Werke hatte einfließen lassen, mehr darüber
lernen. Bis in die letzten Jahre seines Lebens brachte Lee an der
Akademie seinen Studenten den Umgang mit Pinsel und Tusche bei
und lehrte sie die Techniken der Tuschemalerei und die Anwendung
des Leere-Konzeptes. Durch seine rund 3.000 Schüler verbreitete
sich die östliche Gedankenwelt und Gestaltungssprache in Europa.
Düsteres Selbstporträt im Zusammenhang mit der koreanischen ZeitgeschichteDas schmerzhafteste Kapitel in Lee Ungnos Leben waren wahr-
scheinlich die Jahre von 1967 bis 1969, die er im Gefängnis verbrach-
te, nachdem er wegen des Verdachts, in eine vom Koreanischen
Informationsdienst manipulierten Spionage-Affäre in Ostberlin ver-
wickelt zu sein, nach Korea zurückbeordert worden war. Auslöser
dieser „Ostberliner Spionage-Affäre“ war, dass in Europa lebende
südkoreanische Studenten und Künstler mit nordkoreanischen Per-
sönlichkeiten Kontakt aufgenommen hatten. Lee wurde der Kolla-
boration mit Nordkorea beschuldigt, weil er nach Ostberlin gereist
war, wo er Näheres über seinen Sohn, der während des Koreakriegs
in den Norden verschleppt worden und nach Kriegsende verschol-
len war, in Erfahrung bringen wollte. Im Gefängnis, wo man ihm die
Benutzung des Pinsels erlaubt hatte, schuf Lee etwa 300 Werke
mit der Sojasoße, Sojabohnenpaste und den klebrigen Reiskörnern
seiner Mahlzeiten sowie dem Holz der Essensbehälter. Die Serie
Selbstporträt, die einen tief zusammengekauerten Körper darstellt,
stammt aus dieser Zeit. Von all seinen Werken bringen wahrschein-
lich diese Bilder mit ihren an Rußklumpen erinnernden Flecken
geronnener schwarzer Tusche Lees innere Welt im Stil der Art Infor-
mel am besten zum Ausdruck. In seinen späteren Jahren verarbeite-
te er die Erlebnisse dieser Zeit in seiner Kunst durch tiefere Reflexio-
nen über Mensch und Geschichte.
Abstraktionen von Schriftzeichen und Menschen Lees Werke aus den 1970er Jahren werden als „kalligraphische Abs-
traktion“ beschrieben. Er setzte die zerlegten Schriftzeichen zusam-
men, sodass sie erneut ihre ursprüngliche Bedeutung verkörperten,
und belebte dadurch den Geist der östlichen Malerei wieder. Im Ver-
gleich zu den Bildern aus den 1960er Jahren zeigen die abstrakten
Werke aus dieser Zeit Kompositionen aus Zeichen mit klaren Kontu-
ren und damit konstruktivistische Tendenzen. Andererseits präsen-
tierte Lee eine neue Art von Kalligraphie, bei der er die herkömmli-
chen Prinzipien der Kalligraphie auf moderne Art zerlegte und ver-
änderte. Ein Beispiel dafür ist seine Serie Juyeok, bei der er die 64
Strich-Hexagramme des chinesischen Klassikers IGing (Buch der
Wandlungen) in die Form chinesischer Schriftzeichen überführte.
Lees Werkreihe Menschen bzw. Menschenmasse ist repräsentativ
für sein Schaffen in den 1980er Jahren. Schon seit den 1960ern hatte
er sich mit der Darstellung der Gestalt des Menschen beschäftigt,
doch Lees Tusche-Werke aus dieser Phase zeigen auf monumen-
talen Leinwänden Hunderte, ja Tausende von Menschen, die sich in
Gruppen marschierend und manchmal auch tanzend fortbewegen.
Lees Menschen-Serie der 1980er stellt die Demokratisierungsbewe-
gung in Korea in Form von Menschenmassen dar, darunter auch den
Gwangju-Aufstand vom 18. Mai 1980. Diese Werke zeugen von Lees
tiefen Reflexionen, die er in seinen späteren Jahren über den Men-
schen anstellte, und von seiner innigen Liebe für Korea und seiner
schmerzlichen Sehnsucht nach der Heimat, der er aus politischen
Gründen fernbleiben musste.
1977 wurde Lees Frau mit Nordkoreas versuchter Entführung des
Pianisten Paik Kun-woo (geb. 1946), der damals in Frankreich aktiv
war, und dessen Frau, dem Filmstar Yun Jung-hee (geb. 1944), in
Verbindung gebracht, sodass Lee Ungno in koreanischen Kunst-
kreisen erneut gemieden wurde. Sein lang ersehnter Wunsch, in
die Heimat zurückzukehren und dort seinen Lebensabend in Ruhe
malend zu verbringen, wurde damit zunichte. Dass er in Korea nicht
weit bekannt wurde, obwohl er bis 1958 über 30 Jahre in der kore-
anischen Kunstszene aktiv gewesen war und danach in Europa als
Maler große Anerkennung gefunden hatte, ist auf die Umstände der
Zeit nach der Teilung des Landes zurückzuführen.
Auch während der Zeit, in der seine Werke von abstrakten Zeichen zu
Menschen, vom Totem zur kalligraphischen Abstraktion übergingen,
hörte er nicht mit den Bambus-Bildern auf. Die Menschengestalten,
das Hauptmotiv seiner Werke aus den 1980er Jahren, sind also in
Wirklichkeit diese Bambusblätter, die er sein Leben lang malte, sie
sind Natur, Menschen und Geschichte. In der Serie Menschen bewe-
gen sich die menschlichen Gestalten in einem bestimmten Rhyth-
mus. Bei genauerem Hinsehen erkennt man jedoch, dass sich jede
einzelne anders bewegt. Und trotzdem gehen sie zusammen in eine
bestimmte Richtung. Unter diesen zahlreichen Menschen findet sich
letztendlich das Wir, das Ich.
Im Zuge der Demokratisierung wurde 1988 das Verbot von Werken
von Künstlern, die nach Nordkorea gegangen waren, aufgehoben
und auch Lee wurde gesellschaftlich rehabilitiert. 1989 konnte end-
lich eine Retrospektive seines Werks eröffnet werden und Lee Ungno
wurde von der koreanischen Kunstwelt neu entdeckt. Lee hatte für
die Dauer der Ausstellung nach Korea kommen wollen, verstarb
aber am 10. Januar 1989, dem Tag der geplanten Vernissage in Seoul,
in einem Pariser Krankenhaus an einem Herzinfarkt. Danach fanden
eine Reihe von Retrospektiven und Gedenkausstellungen statt, die
von der großen Zuneigung und Bewunderung für ihn und sein Werk
zeugten. Zum Andenken an sein Leben und Werk wurde in Daejeon,
Provinz Chungcheongnam-do, das Lee Ungno Museum gegründet
und in seiner Heimatstadt Hongseong auf dem Platz seines Geburts-
hauses das Lee Ungno Haus, eine Gedenkstätte mit Ausstellungsflä-
che, eingerichtet.
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 15
Die Menschengestalten, das Hauptmotiv seiner Werke aus den 1980er Jahren, sind also in Wirklichkeit diese Bambusblätter, die er sein Leben lang malte, sie sind Natur, Mitmenschen und Geschichte. In der Serie Menschen bewegen sich die menschlichen Gestalten in einem bestimmten Rhythmus. Bei genauerem Hinsehen erkennt man jedoch, dass sich jede ein-zelne anders bewegt. Und trotzdem gehen sie zusammen in eine bestimmte Richtung. Unter diesen zahlreichen Menschen findet sich letztendlich das Wir, das Ich.
1. Menschen (1986), 167 x 266 cm, Tusche auf Hanji-Maulbeer-baumpapier
2. 1964 gründete Lee Ungno die Académie de peinture orien-tale de Paris (Akademie der Orientalischen Malerei) im Musée Cernuschi, wo er den Studenten den Umgang mit Pinsel und Tusche beibrachte und sie die Tuschemalerei-Techniken sowie die Anwen-dung des Leere-Konzeptes lehrte. Er unterrichtete an die 3.000 Studenten.
3. Das Lee Ungno Museum im Zentrum von Daejeon wurde 2007 mit dem Ziel eröffnet, Lees Werke in der Welt be-kannt zu machen. Das Muse-um richtet Ausstellungen aus und unternimmt verschiedene Forschungsaktivitäten.
1
2 3
16 KOREANA Frühjahr 2015
Park Re-hyun (1920-1976) und Chun Kyung-ja (geb. 1924) sind zwei Künstlerinnen, deren Leben, geträumte Welt und Gestaltungssprache un-terschiedlicher nicht hätten sein können, und doch gingen beide als faszi-nierende Seelen in die koreanische feministische Kunstgeschichte des 20. Jhs ein. Sie wirkten innovativ in der traditionellen farbigen Tuschemalerei Chaesaekhwa und brachten die geheimnisvolle Gefühlswelt der Frau in traumhaften Farben frei zum Ausdruck. Damit hinterließen sie tiefe Spu-ren in der koreanischen Malerei des 20. Jhs.
Park Re-hyun wurde in Jinnampo, Provinz
Pyeongannam-do (heute Nordkorea) gebo-
ren, wuchs aber im südkoreanischen Gun-
san, Provinz Jeollabuk-do, auf. Erst in ihren
20ern ging sie auf die Frauenakademie für
Kunst in Japan, um ihren Traum, Malerin zu
werden, zu verwirklichen. Noch während
des Studiums gewann sie den Großen Preis
der Koreanische Kunstausstellung, was
eine glänzende Zukunft versprach. Parks
künstlerisches Werk kann grob in drei Typen
eingeteilt werden: erstens, Gemälde mit
geometrischen Kompositionen, bei denen
die Bildfläche mittels Techniken des westli-
chen Kubismus aufgeteilt wurde, um tradi-
tionelle koreanische Szenen und Gebräuche
darzustellen. Zweitens, Gemälde mit abs-
trahierten Darstellungen von Volksmotiven
wie Bündel aufgefädelter antiker Münzen
oder runden Strohsitzkissen. Drittens, eine
Objektkunst-Werkreihe mit Webtextil-Relie-
fen auf Leinwand.
Parks thematischer Ansatz ist nicht ein-
fach. Rein motivmäßig gesehen war sie
eine Künstlerin, die v.a. Frauen und Sze-
nen aus dem Korea der vormodernen Zeit
malte, doch eigentlich war sie eine experi-
mentierfreudige Malerin, die auf Grundla-
ge des westlichen Modernismus innovativ
mit Linien, Feldern und Farben arbeite-
te und sich für Form an sich interessierte.
Park war also eine Künstlerin, die sich um
eine harmonische Vereinigung von Ost und
Matriarchinnen der modernen Malerei Choi Youl Kunstkritiker
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KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 17
West bemühte. Ihre Textil-Reliefarbeiten,
mit denen sie erst in ihren 50ern begann,
sind Resultat ihrer Bestrebungen, das
Feminine im Alltag in die Kunst zu überfüh-
ren. Mit dem Anhängen von alten Joseon-
Münzen auf Textil-Reliefe versuchte sie,
Tradition und Moderne, Frauenalltag und
-arbeit sowie die Atmosphäre der Märkte
zu mischen. Durch unaufdringliche Farben,
delikate Texturen sowie imposante und den-
noch gezügelte Kompositionen verwandel-
te sich ihre Leinwand in einen mysteriösen
Raum von anmutiger Feinheit.
Chun Kyung-ja 1924 auf der Halbinsel
Goheung, Provinz Jeollanam-do, gebo-
ren, ging mit 16 auf die Frauenakademie für
Kunst in Japan. Während ihres Studiums
wurde ihr Werk für die Koreanische Kunst-
ausstellung angenommen. Nach der Befrei-
ung von der japanischen Kolonialherrschaft
arbeitete sie als Kunstlehrerin und begann
ihre Karriere als Malerin. Anfänglich kon-
zentrierte sich Chun auf die wirklichkeits-
getreue Abbildung von Objekten, aber der
Koreakrieg (1950-1953) brachte große Ver-
änderungen in ihrem Schaffen. Der Krieg
erschütterte die Grundfesten der Kunstwelt
der Malerin, die damals in ihren 30ern war.
Nun ließ sie die Motive und Farben, die sie in
ihrer Realität und ihren Träumen entdeckte,
mutig und frei auf die Leinwand fließen. Mit
Arbeiten von prächtiger Dekorativität und
mutiger, mysteriöser Vorstellungskraft begann Chuns Phase
des Fantastisch-Visonären. Unter dem Thema der „sinnlichen
Weiblichkeit“ schuf sie durch die Fusion von Natur und Mensch
ein „Utopia der Frauen“, zu dem nur Frauen Einlass fanden. Mit
den Regeln der Perspektive brechend, verwendete sie in ihren
Kompositionen die mehrperspektivische Darstellung der tra-
ditionellen Malerei der Joseon-Zeit und füllte die Bildfläche mit
überall verstreuten Objekten, was den mysteriösen Gehalt ver-
stärkte. Mit geschickter Hand verwendete sie prächtige Far-
ben, die ihren Bildern nicht nur Sinnlichkeit vermittelten, son-
dern auch anmutige Vornehmheit.
Obwohl Park und Chun jeweils andere Themen und Ausdrucks-
formen erkundeten, ähnelten sie sich darin, dass sie Menschen
und Objekte ihrer eigenen Logik, Sensitivität und Fantasie ent-
sprechend transformierten. Park schuf ihren originären Stil,
indem sie zwar der in der Nachkriegszeit herrschenden Logik
der Kunstwelt treu folgte, aber gleichzeitig durch eine spezi-
fisch weibliche Sensitivität und Rekonstruktion von Objekten
ihre eigene, ganz individuelle Ausdruckssprache kreierte. Chun
lehnte die Logik der damaligen Kunstwelt zwar ab, doch fand
auch sie ihren individuellen Stil, indem sie weibliche, instinktive
Sensitivität und traumhaften Fantasien in voller Pracht explosi-
onsartig auf die Leinwand brachte. In dieser Hinsicht können die
beiden Malerinnen als Weggefährtinnen gelten.
4
3
1.
TheOriginB
(1972)vonParkRe-hyun,50,5x37cm,Radierung,Schabblatt,NationalmuseumfürModerneundZeitgenössischeKunst.ParkwandtedieGestaltungsformendeswestlichenModernismusanundschuftiefgründige,innovativeArbeitenausLinien,FlächenundFarben.
2.
ParkRe-hyunundihrMann,derMalerKimKi-chang,inihremStudiozuHause
3.
ChunKyung-jaerklärtihrWerkSchöneFrau(1977).4.
“Page22inMySorrowfulLegend”(1977),FarbeaufPapier,43.5×36cm,MitderihreigenenweiblichenSensitivitätschufChuneinUtopiaderFantasie,indemsieNaturundMenschverschmolz.
18 KOREANA Frühjahr 2015
SPEZIAL 4Pioniere der modernen Kunst
Stern der koreanischen FarbmalereiPark Young-taekProfessor an der Kyonggi University, Kunstkritiker
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 19
Park Saeng-kwang (1904-1985) schlug in einem Zeitalter, in dem das Land unter Schmerz und Chaos der japanischen Kolonialherrschaft (1910-1945) litt und neuartige westliche Malstile aufkamen, als Maler einen außergewöhnlichen Weg ein, der seinesgleichen sucht. Park, der in seinen Werken die koreatypische Originalität und Spiritualität traditi-oneller Bildmotive zum Ausdruck brachte, gilt als einer der repräsentativsten koreani-schen Maler des 20. Jhs.
Kurz nachdem die westliche Kunst Anfang des 20. Jhs in Korea
Einzug gehalten hatte, geriet Korea unter japanische Kolo-
nialherrschaft. Im Zuge der aufoktroyierten Modernisierung
mussten die koreanischen Maler ihre eigene Geschichte der Kunst
schreiben, die nicht in der Weiterführung der Tradition bestand,
und erkundeten im Spannungsfeld von traditionellem und westli-
chem Stil die „nationale Kunst“. Andererseits gab es auch das Phä-
nomen der blinden Verehrung und Akzeptanz der westlichen Male-
rei, bedingt durch Ignoranz und Geringschätzung der traditionellen
Malerei. In dem Bestreben, die westliche Kunst nachzuahmen, ver-
lor die Kraft der mythischen Spiritualität und religiösen Magie, die
der traditionellen koreanischen Kunst mit ihrer Jahrtausende alten
Geschichte innewohnte, immer mehr an Boden. Während das unbe-
strittenermaßen die vorherrschende Haltung war, gab es aber auch
Maler, die sich im Mahlstrom des Chaos ihren eigenen Weg bahnten.
Park Saeng-kwang ist wohl das herausragendste Beispiel dafür.
Studium in JapanAls Sohn einer der Mittelschicht angehörenden Bauernfamilie in
Jinju, Provinz Gyeongsangnam-do, geboren, lernte Park Saeng-
kwang bis in die frühen Teenagerjahre in der konfuzianischen Dorf-
schule die chinesischen Klassiker. Danach erhielt er an der Jinju
Jeil Volksschule und der Jinju Landwirtschaftsschule eine moder-
ne Ausbildung, bevor er 1920 zum Kunststudium nach Japan ging.
1923 wurde er in die Städtische Malereifachschule Kyoto aufgenom-
men, wo er zwei Jahre unter renommierten Malern lernte, darunter
Takeuchi Seiho (1864-1942), Meistermaler des Kyoto-Kunstkreises
der Nihonga (Malerei japanischen Stils), Murakami Kagaku (1888-
1939) und Tsuchida Bakusen (1887-1936). Vermutlich war Park
jedoch kein ordentlicher Student, sondern eine Art Praktikant.
In den 1910er und 1920er Jahren blühte in Japan die sog. Taisho-
Demokratie, unter der die westliche Kultur in vollen Zügen aufge-
nommen wurde und der ganze Kulturbereich sich frei entfaltete. Im
Kunstkreis von Kyoto experimentierte man mit neuen Nihonga-Sti-
len, sodass diese Zeit in der Geschichte der modernen japanischen
Malerei auch als „Zeit des schöpferischen Brodelns” beschrieben
wird, in der vieles zur Blüte gebracht wurde. Stark beeinflusst von
der Stimmung der Zeit entwickelte Park Saeng-kwang seinen eige-
Kaiserin Myeongseong (1984), 330 x 200 cm, Farbe auf Papier. In den 1980er Jahren begann Park Saeng-kwang auf Basis der Erkundung von Buddhismus, Schamanismus und Porträts historischer Persönlichkeiten seinen eigenen, individuellen Stil zu entwickeln.
20 KOREANA Frühjahr 2015
nen Stil der Farbmalerei auf Basis des in der Schule Gelernten: An
der realitätsgetreuen Skizzierung festhaltend, verfeinerte er seine
Technik zur genauen Abbildung von Formen und Strukturen und
übte sich streng in der Linienführung. In der Kolorierung übernahm
er den intensiven und kraftvollen Stil der Landschaftsmalerei der
chinesischen Nord-Schule.
Nach Abschluss des Kurses an der Fachschule zog er 1926 nach Tokio,
wo er mit 22 Jahren bei Ochiai Rofu (1896-1937) in die Lehre ging. Ochi-
ai war eine der führenden Figuren der neuen hyperrealistischen Schu-
le des Neo-Nihonga und bekannt für die betont flache Gestaltung sei-
ner Malereien, die aber gleichzeitig mittels leuchtender, klarer Farben
einen räumlichen Eindruck vermittelten. Als Angehöriger des Meirou
Kunstinstituts von Ochiai nahm Park an verschiedenen Ausstellun-
gen wie der Meirou Kunstausstellung teil und baute seine Karriere als
Maler auf. 1930 wurde er bei der 9. Koreanischen Kunstausstellung,
einem in Seoul veranstalteten Kunstwettbewerb unter Federführung
des japanischen Generalgouverneuramts, in der Kategorie „Westliche
Malerei“ für sein Werk Zeichnung Nr. 2 ausgezeichnet. 1931 wurde im
selben Wettbewerb sein Werk Gemüsebeet in der Kategorie „Östliche
Malerei“ angenommen. Er wechselte also frei zwischen östlicher und
westlicher Malerei und eine Abgrenzung von Genres war für ihn ohne
großen Belang. Zu dieser Zeit malte er meistens realistische, dekora-
tive Bilder in zarten Farben.
Ausdruck des „Asiatischen“Nach 25 Jahren in Japan kehrte er im Januar 1945 als Mann im
mittleren Alter und Vater von zwei Söhnen nach Korea zurück.
Doch das Leben in der Heimat war arm und hart. 1974 zog er nach
Tokio zurück, um „sich selbst auf die Probe zu stellen“, so seine
Begründung. „Mit meinem ganzen Körper möchte ich eher das
Asiatische als das Japanische zum Ausdruck bringen. In diesem
Bestreben male ich. Als Teil von Asien möchte ich östliche Malerei
mit östlichem Geistesgehalt schaffen, ohne Einschränkung auf ein
bestimmtes Land, sei es Korea oder Japan. Die Ausdrucksweise ist
dabei einfach nur in der japanischen Malerei angesiedelt.“
1975 stellte er drei Mal in Tokio aus und jeweils einmal in Osaka und
Nagoya. Mit diesen Soloausstellungen wollte er sich die finanziel-
le Grundlage für einen Langzeitaufenthalt in Japan schaffen, doch
seine Gemälde scheinen sich nicht gut verkauft zu haben. Schließ-
lich brach er 1977 seine Zelte in Tokio ab und kehrte endgültig
nach Korea zurück. Da er jedoch den größten Teil seines Lebens in
Japan verbracht hatte, blieb er ein Außenseiter in der koreanischen
Kunstszene. Dort versuchte man nach der Befreiung 1945 beflis-
sentlich alle Spuren der japanischen Malerei zu beseitigen, wandte
sich entsprechend von der Farbmalerei ab und setzte sie herab. Die
Farbmalerei japanischen Stils hatte sich während der Kolonialzeit
in Korea weit verbreitet und die meisten Künstler hatten sich ihrem
Einfluss nicht entziehen können. Als Gegenreaktion wurde jetzt die
traditionelle Tuschemalerei der Literati als einzige Alternative zur
Farbmalerei betrachtet, auch wenn das völlig absurd war. Park,
dessen Farbmalerei stark vom japanischen Nihonga beeinflusst
war und der in Korea kaum bekannt war, sah sich in der koreani-
Park fing die typischen Merkmale der traditionellen koreanischen Kunst ein - i.e. die kraftvollen Farben und Motive, die feine Harmonie zwischen Botschaft und Bildkomposition sowie die enormen Maße - und schuf Bilder von einer Art, wie sie bis dahin noch nie gemalt worden waren. Inspiriert von schamanistischen und buddhistischen Malereien verwendete er kraftvolle Primärfarben und eine primitivistische Linienführung mit dicken Umrissen, wodurch er seinen Bildern eine magische Kraft einhauchte, und verband Komponenten von Schamanismus, Buddhismus und Volksglauben zu einheitlichen Bildkompositionen.
1
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 21
schen Kunstwelt so gut wie ausgeschlos-
sen. Ironischerweise war es gerade das
Gefühl der Entfremdung und Einsamkeit,
das Park dazu antrieb, seinen unverwech-
selbaren Stil zu kreieren.
Linien und Farben: Wiederbelebung der Kraft der traditionellen koreanischen Malerei Ab den 1980er Jahren entwickelte Park Saeng-kwang auf Basis
seines Interesses an Buddhismus, Schamanismus sowie Porträts
von historisch bedeutenden Persönlichkeiten und seiner diesbe-
züglichen Forschungen seinen eigenen, originären Stil. Dass er für
sein Ziel, eine „zeitgenössische Variation des koreanischen Sinns
für Ästhetik“ zu schaffen, Motivanlehnungen bei Volksmalerei,
buddhistischen Wandgemälden und antiken Kunstgegenständen
machte, scheint in gewisser Hinsicht mit dem Klima in der damali-
gen Kunstwelt zusammenzuhängen. Ab den späten 1970er Jahren
thematisierte man die Wahrung der Tradition, wodurch Volksmale-
rei, Bildnisse schamanistischer Gottheiten und buddhistische Male-
rei in den Fokus des Interesses rückten. Dieser Trend beeinflusste
auch Park, dessen nach realistischer Farbdarstellung strebende
Stil ihm den Zugang zu dieser Art von Malerei erleichterte. Er fing
die typischen Merkmale der traditionellen koreanischen Kunst ein
- i.e. die kraftvollen Farben und Motive, die feine Harmonie zwi-
schen Botschaft und Bildkomposition sowie die enormen Maße -
und schuf Bilder von einer Art, wie sie bis dahin noch nie gemalt
worden waren. Inspiriert von schamanistischen und buddhistischen
Malereien verwendete er kraftvolle Primärfarben und eine primi-
tivistische Linienführung mit dicken Umrissen, wodurch er seinen
Bildern eine magische Kraft einhauchte, und verband Komponen-
ten von Schamanismus, Buddhismus und Volksglauben zu einheit-
lichen Bildkompositionen. Besonders der Schamanismus, den Park
mit besonderem Interesse erkundete, ist eng verbunden mit den
Lebensschichten, die dicht mit dem Unterbewusstsein des Volkes
verflochten sind.
Parks Werke bestehen aus beliebig aneinander gereihten Bildfrag-
menten oder komprimierten, deformierten Bildern. Er wandte in
seinen Bildern, die sich durch ihren hochdekorativen Charakter von
den Prinzipien der Perspektive befreit zu haben scheinen, eine fla-
che Darstellungsweise und die Nebeneinanderstellung von Bildob-
jekten an. Die perspektivische Darstellung der westlichen Kunst ist
ein Mittel zur illusionistischen Überwindung der Zweidimensionalität
und spiegelt als solche seine menschenzentrierte Sichtweise wider.
Im Gegensatz dazu wird in der östlichen Malerei die Zweidimensio-
nalität als prinzipielle Voraussetzung eines Bildes respektiert und es
für wichtig gehalten, darin die geistige Energie des Menschen stimu-
lierende Motive darzustellen. Park arrangierte Zeit und Raum tran-
szendierende Objekte frei auf stark dekorativen, flachen Bildflächen.
Auf den ersten Blick wirken seine Bilder primitiv, doch sie bauen eine
einzigartige und tiefgründige Welt auf. Vor allem die orangefarbenen
Linien, die die heterogenen Bildelemente integrieren und einen dyna-
mischen Raum schaffen, sind originäre Bestandteile seines Stils.
Für Park war die Tradition mehr als reine Motivquelle für seine
Malerei. Er versuchte beim Malen vielmehr ihre wahre Bedeutung
und ihren Geist sowie die Magie der Motive wiederzubeleben. Dank
ihm wurden die koreanische Volksmalerei sowie die schamanisti-
sche und buddhistische Malerei neu aufgewertet und verstanden.
Durch seine Bilder fand die in Vergessenheit geratene traditionel-
le koreanische Malerei ihre ursprüngliche Kraft, ihren Inhalt und
ihren Gebrauch wieder.
Inmitten von Armut und Einsamkeit entfaltete Park beständig seine
eigene Kunstwelt. Seine Werke von kunsthistorischer Bedeutung
entstanden allesamt in den 1980er Jahren. Seine Farbmalerei-
en mit tanzenden, intensiven Farben, in denen aus buddhistischen
Gemälden, aus Volksmalereien und Darstellungen schamanisti-
scher Gottheiten frei aufgegriffene Motive und Muster verschmol-
zen sind, kamen als Segen und suchen ihresgleichen. Sie versetz-
ten den damaligen Malern, für die Farbmalerei nur in der mecha-
nischen Wiederholung von Porträts schöner Frauen und Blumen-
bildern bestand, einen großen Schock. Danach lehnten sich viele
Maler an Parks Werke an und als Resultat konnten die Kunstkreise
der traditionellen östlichen Malerei Mitte der 1980er Jahre einen
Schritt nach vorne machen und sich von der Tuschemalerei mit
ihren überkommenen Motiven ein Stück lösen.
Viele waren erstaunt über die enorme Menge an Meisterwerken,
die Park vor seinem 80. Geburtstag hervorbrachte. Er starb mit
81 Jahren an Kehlkopfkrebs. Sein Tod kam plötzlich, sodass er die
Früchte seiner Mühen nicht mehren und genießen konnte. Doch
die hinterlassenen Werke, die er in der kurzen Zeit vor seinem Tod
schuf, reichten aus, um Park Saeng-kwang als neuen Stern am
Himmel der Farbmalerei aufgehen zu lassen.
1.
Schamanin
(1981),136x136cm,FarbeaufPapier.InspiriertvonschamanistischenundbuddhistischenMalereienließParkprimitiveTechnikenwieleuchtendeFarbenunddickeUmrisseinseineArbeiteneinfließen,diedadurchanmagisch-spirituellerKraftgewannen.
2.
ParkSaeng-kwang,dessenArbeitenstarkvonmodernerjapanischerMalereibeeinflusstwaren,kehrteinseinenspäterenJahrennachKoreazurück,woersichinderEinsamkeitseinerletztenTageganzseinerKunstverschrieb.
2
22 KOREANA Frühjahr 2015
A ls Park Soo-keun (geb. 1914) 1965 verstarb, war er nur 51,
also im besten Alter für einen Maler. 1957, acht Jahre davor,
hatte er einen Wettbewerbsbeitrag bei der staatlich organi-
sierten Nationalen Kunstausstellung zur Förderung der Kunst ein-
gereicht, um nur die bittere Pille des Scheiterns zu schlucken. Zu
der Zeit hatte er in der koreanischen Kunstszene bereits Anerken-
nung gefunden, seine Werke waren schon mehrfach zu Ausstellun-
gen des Koreanischen Kunstverbandes zugelassen worden und auf
der Ausstellung von 1955 wurde er sogar mit dem Preis des Vorsit-
zenden des parlamentarischen Ausschusses für Kultur und Bildung
ausgezeichnet. Und dann sollte er auf einmal durchgefallen sein!?
Es heißt, Park brach in Tränen aus. Noch weniger war zu verstehen,
dass er nur zwei Jahre später, 1959, auf eben dieser Ausstellung zum
Empfohlenen Maler bestimmt und 1962 zum Juroren ernannt wurde.
Selbstverständlich nahm er diese Ehrungen an.
Dass Park, ein autodidaktischer Maler mit Grundschulabschluss,
zum Empfohlenen Maler und Preisrichter einer staatlichen Kunst-
ausstellung ernannt wurde, bewies schon, dass er rein positionsmä-
ßig gesehen hohes Ansehen in der damaligen koreanischen Kunst-
welt genoss. In Wirklichkeit kamen solche Schachzüge der tonan-
gebenden Kräfte in der Kunstszene eher einem Akt der Verhöhnung
gleich. Die Tränen des nicht mehr jungen Malers waren Ausdruck
der inneren Resistenz, die sein sanftmütiges Herz entwickelt hatte.
Diese Resistenz führte schließlich zu Leberzirrhose, Grauem Star,
Nierenentzündung und Hepatitis. Die Armut, der er sein ganzes
Leben lang nicht entkommen konnte, und die mächtigen Cliquen der
koreanischen Kunstkreise bereiteten Park, der weder über Alumni-
Netzwerke noch sonstige Beziehungsnetzwerke als Rückhalt ver-
fügte, endlose Qual, so dass er schließlich in noch viel zu jungen Jah-
ren die Welt verlassen musste.
Traum vom Einfangen des AlltagsAls Grundschüler wanderte Park Soo-keun durch Berge und Felder
und zeichnete mit einiger Geschicktheit alltägliche Dorfszenen wie
auf dem Hof arbeitende Frauen oder Dorfbewohner beim Sammeln
von Wildgemüse. Nachdem er eine Kopie von Jean-François Millets
Das Angelusgebet (1857-59) gesehen hatte, keimte in ihm der vage
Wunsch, ein so großer Maler wie der französische Künstler zu wer-
den. Millets Streben, das, was er sah, möglichst getreu darzustellen
und so gut wie möglich zum Ausdruck zu bringen, wurde auch Parks
Traum. Millets Kunstwelt zog ihn völlig in ihren Bann und Park mühte
sich, seinem Vorbild entsprechend die natürliche Landschaft seines
Heimatortes und den Alltag der darin lebenden einfachen Menschen
wirklichkeitsgetreu abzubilden.
Ungeachtet dieser reinen, heißen Leidenschaft erlaubten die Fami-
lienverhältnisse es nicht, Park eine ordentliche künstlerische Aus-
blidung zukommen zu lassen. Also setzte er seine Malübungen
alleine fort und als er 18 war, wurde eins seiner Werke für die Kore-
anische Kunstausstellung, die damals das einzige Sprungbrett für
eine Künstlerkarriere war, ausgewählt. Danach arbeitete er zwar als
professioneller Maler, doch da er ständig mit der Armut zu kämp-
fen hatte, begann er 1953 schließlich, für die amerikanische Militär-
strafverfolgungsbehörde (Criminal Investigation Command) Bilder
zu malen und arbeitete danach auch als Porträtmaler im PX-Laden
auf der US-Militärbasis in Seoul. Er wurde daher zwar als „Plakat-
maler“ abgestempelt, aber mit dem so verdienten Geld konnte er
sich wenigstens eine Bleibe im Hüttenviertel Changsin-dong am
damaligen Stadtrand von Seoul leisten. In dieser Zeit machte er die
Bekanntschaft von Maria Henderson, Gemahlin eines Attachés der
amerikanischen Botschaft, Margaret Miller, einer Kunstliebhabe-
rin aus Kalifornien, sowie der Kunsthändlerin und -sammlerin Celia
Zimmerman, die zu Parks größten Mäzeninnen in seinen letzten Jah-
ren werden sollten.
Es waren denn auch keine koreanischen, sondern solch amerikani-
sche Förderer, die Parks Werke aufrichtig lobten, seine Arbeit unter-
stützten und schließlich für den mittlerweile 48-jährigen Maler, der
Choi Youl Kunstkritiker
Der „nationale Maler“, der die Schwermut der Zeit ins Lyrische transzendiertePark Soo-keun ist ein autodidaktischer Maler, der durch endloses Üben eine ungekünstelte Ästhetik der Schlichtheit und eine Ästhetik des Archaisch-Rauen erreichte. Sein unverwechselbar originärer Stil, der sich den unergründli-chen Geheimnissen des Universums nähert, ist in seiner Art unnachahmlich. Er repräsentiert die obersten gestalte-rischen Höhen, die die koreanische Kunst der Zeit erreichen konnte, und setzte Maßstäbe für das Zeitalter.
SPEZIAL 5Pioniere der modernen Kunst
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 23
Er hatte weder Lehrer noch Tradition zu folgen. Er war so frei, dass er sich seinen eigenen Weg suchen konnte. Ohne renommierte Kunstschule im Rücken konnte er sich nicht an der Politik der Kunstwelt beteiligen und hatte auch keinerlei Interesse daran. Während er zwischen Gangwon-do, Seoul und Pjöngjang wandernd mehr schlecht als recht lebte, schaffte er es allein und durch schiere Hartnäckigkeit als Maler voranzukommen. Er brachte nur das auf die Leinwand, was er wirklich darauf bringen wollte, und hielt ungeschminkt das harte, aber schöne Leben der Menschen um ihn herum fest.
1. MädchenbeimMurmelspiel(1960s),22x30cm,ÖlaufHolzfaserplatte
2. ParkSoo-keunzuHausemitseinenGemälden,seinerFrauKimBok-sunundderzweitältestenTochterIn-ae(1959)
1
2
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alle
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ai
noch nie eine Solo-Ausstellung gehabt hatte, 1962 die erste Sonder-
ausstellung auf dem Stützpunkt der US-amerikanischen Luftstreit-
kräfte in Pyeongtaek auf den Weg brachten. Auch wenn die Ausstel-
lung nur in der Bibliothek der Militärbasis stattfand, so war sie für
Park Soo-keun doch die erste, aber gleichzeitig auch die letzte Ein-
zelausstellung.
Auf dem Weg zum Maler, hartnäckig und allein 1958, ein Jahr nach dem Debakel bei der Nationalen Kunstausstel-
lung, wurde bekannt, dass Parks Werke auf der East and West Exhi-
bition in San Francisco, einer von der amerikanischen UNESCO-
Kommission geförderten Kunstausstellung, und auf der Ausstellung
der Zeitgenössischen Koreanischen Malerei der World House Gal-
leries in New York ausgestellt wurden. Ein Jahr später wurde er auf
der Nationalen Kunstausstellung in Seoul zum Empfohlenen Maler
gekürt und erhielt eine Einladung zur dritten Ausstellung Zeitgenös-
sischer Künstler, die von der Tageszeitung The Chosun Ilbo organi-
siert wurde. Dank seines Erfolgs in Übersee konnte Park also die
Hürden der koreanischen Kunstwelt überwinden – ein zugestande-
nermaßen trauriges Selbstbildnis der koreanischen Gesellschaft des
20. Jhs, die dem Westen blindlings folgte.
Dass Park abseits der Strömungen der damaligen koreanischen
Kunstwelt stand, hatte aber auch positive Aspekte: Er hatte weder
Lehrer noch Tradition zu folgen. Er war so frei, dass er sich sei-
nen eigenen Weg suchen konnte. Ohne renommierte Kunstschule
im Rücken konnte er sich nicht an der Politik der Kunstwelt beteili-
gen und hatte auch keinerlei Interesse daran. Während er zwischen
Gangwon-do, Seoul und Pjöngjang wandernd mehr schlecht als
recht lebte, schaffte er es allein und durch schiere Hartnäckigkeit als
Maler voranzukommen. Er brachte nur das auf die Leinwand, was
24 KOREANA Frühjahr 2015
er wirklich darauf bringen wollte, und hielt ungeschminkt das harte,
aber schöne Leben der Menschen um ihn herum fest.
Die meisten jungen Künstler, die unter der japanischen Kolonial-
herrschaft in den 1930er Jahren aktiv waren, malten mit Blick auf
den Durchbruch bei einem der verschiedenen Kunstwettbewer-
be und befassten sich daher mit dem „für Joseon typischen Lokal-
kolorit“, der als Bewertungsrichtlinie galt. Zu dieser Zeit war auch
Park ein aufstrebender Maler Anfang 20, der unter den Härten des
Lebens litt. Er träumte nicht einmal vom Großen Preis, sondern hoff-
te nur darauf, dass seine Arbeiten überhaupt für die Ausstellungen
angenommen wurden. Stets ein Einzelgänger in der koreanischen
Kunstszene, hatte er niemanden, mit dem er seine Einsamkeit tei-
len konnte. Erst in den 1940er Jahren knüpfte er Beziehungen zu
„richtigen“ Malern an: Er verkehrte mit Choi Young-lim (1916-1985),
Chang Lee-suok (geb. 1916) und Hwang Yu-yop (1916-2010), als er
in der Abteilung Soziales der Provinzregierung Pyeongannam-do
(heute Nordkorea) einen Bürojob fand. Im gleichen Jahr heiratete
er sogar, wurde schließlich Vater eines Sohnes und konnte trotz des
kümmerlichen Gehalts ein einigermaßen gesichertes Leben führen.
Wahrscheinlich war die Zeit bis zum Jahr 1944 die glücklichste Phase
in seinem Leben. Zusammen mit seiner Frau Kim Bok-soon (1922-
1979), die seine treue Lebensgefährtin und gleichzeitig sein einziges
Modell war, kämpfte er sich durch alle Schwierigkeiten.
Moderner Sinn für UrbanitätPark war ein Künstler, der sich die Tradition mit einem modernen
Sinn für Urbanität vollständig zu eigen machte. Er selbst hatte seine
Lebensgrundlage vom Land in die Stadt verlegt, wo er schließlich
nach einiger Zeit des Herumdriftens am Stadtrand unter großen
Schwierigkeiten Fuß fasste. Dementsprechend verlagerten sich die
Motive seiner Werke von Gestern auf Heute, vom Klassischen auf die
Moderne. Der Kunstkritiker Lee Kyung-sung (1919-2009) schrieb ein-
mal: „Dass Park ländliche Motive, die leicht monoton und klischee-
haft wirken können, als Sujet nahm und sie nicht in minderwertige
Landschafts-Hobbymalerei herabgleiten ließ, sondern sie zu einer
reinen, hohen Lyrik der Nation sublimierte, ist Beweis für sein Talent.
Vielleicht ist dies auch eher Manifestation seines ungekünstelten
Charakters als seines Talents. Die Schlichtheit seiner Werke rührt
außerdem von daher, dass er dem Wesen nach — so lange er auch
malen mag — für immer bis zum gewissen Grad ein Amateurmaler
ist und bleiben wird. Seine Werke sind von einer primitiven Gesund-
heit, die weder durch technische Geschicktheit noch durch künstleri-
sche Finesse befleckt ist. Ein Maler dieser Art wird nicht einfach und
allein aus der Kraft seiner eigenen Anstrengungen geboren, sondern
ist ein natürliches Produkt seiner Zeit und seines Umfelds.“
Park Soo-keun begann als Amateur, der keine Ahnung von akade-
mischen Theorien oder Techniken hatte, und konnte nicht anders,
wenn auch nicht bewusst, als das Lokaltypische des kolonialisier-
1.
MädchenmitBabyaufdemRücken
(1953),28x13cm,ÖlaufLeinwand
2.
DerWegnachHause
(1965),20,5x36,5cm,ÖlaufHolzfaserplatte
1
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 25
ten Landes zum Thema seines künstlerischen Schaffens zu machen.
Von seinen Erstlingswerken aus den 1930er und 1940er Jahren ist
heute so gut wie keins mehr erhalten. Seine Werke aus dieser Zeit,
die heute nur noch als Fotografien existieren, bestehen meistens
aus kurvigen Linien und weisen Sorgfalt und Grobheit zugleich auf.
Ab den 1940er Jahren begann er, mit dicken Farbschichten und brei-
ten Umrissen zu malen, wobei seine Bemühungen, das Objekt durch
Schattierung und Komposition abzubilden, stärker hervortraten.
Parks Ölmalerei Frauen beim Ausgraben von Wildgemüse – Früh-
ling aus den 1940er Jahren, die die Komposition seines Aquarells
Frühling aus dem Jahr 1937 getreu kopiert, und das Gemälde Frau
am Mühlstein, das vermutlich aus den späten 1940er Jahren stammt,
sind entsprechende Beispiele dafür.
Mitte der 1950er Jahre zeigen Parks Werke eine deutliche Tendenz
zur Stilisierung: Die Objekte wurden verflacht dargestellt, die Lini-
en einfacher und gerader. Gute Beispiele dafür sind Frau am Mör-
ser und Waschplatz (beide 1954) oder Baum und zwei Frauen (1962).
Park trug mehrere Farbschichten auf und schuf so eine unebe-
ne Oberflächentextur ähnlich den verwebten Fäden eines Stoffes.
Dadurch gelang es ihm, die Oberflächenbeschaffenheit traditioneller
Granitskulpturen zu imitieren. Damals erwähnte er, dass er bei tra-
ditionellen koreanischen Steinpagoden und steinernen Buddhafigu-
ren die Quelle einer unbeschreiblichen Schönheit entdeckt habe, die
er in seine bildnerische Gestaltungssprache aufzunehmen bemüht
sei. 1962 beschrieb er seine Werke und seinen Malstil wie folgt: „Der-
zeit verfolge ich einen symbolistischen und impressionistischen Mal-
stil und bemühe mich, schöne Bilder zu schaffen.“ Das, was er zu
symbolisieren suchte, war wohl das „Leben des Zeitalters“. Für Park,
der die Stadt und den Krieg erlebt hatte, wurden Rustikalität und
Schlichtheit zu symbolischen Motiven. Auch das Leben der einfachen
Bürger am Rande der Stadt, das er erneut als Sujet aufgriff, erhielt
allmählich die Form eines symbolischen Motivs wie Mythen und
Legenden, die in die Steinbuddhas eingegangen waren. Sein Interes-
se hatte sich unversehens auf „Bilder, die die Quelle der Schönheit
spüren lassen“, verlagert bzw. auf „schöne Bilder“.
Park Soo-keun nahm die Stimmung der kapitalisierten Stadt in seine
Bilder auf, wobei er beständig nach Stilisierung strebte. In der Nach-
kriegszeit verkörperten seine Werke die Avantgarde schlechthin auf
eine Weise, die kein anderer nachzuahmen vermochte. Nur durch
Heiterkeit und Ernsthaftigkeit erreichte Park über seine unvergleich-
liche Originalität hinaus mühelos den modernsten Stil seiner Zeit.
Der Kunstkritiker Lee Kyung-sung erklärte: „Mit Grau als Hauptton
leuchten Weiß, Schwarz und die gelegentlichen Tupfer Blaugrün wie
Sterne auf seinen Melancholie-durchtränkten Leinwänden. [...] Auf
diesen soliden Strukturen trug er Schicht für Schicht die für ihn typi-
schen Farben auf, monoton, doch subtil und zart.“
Park Soo-keun, der während der japanischen Kolonialherrschaft und
anschließend im Krieg und modernen Kapitalismus ein hartes Leben
geführt hatte, fand nach seinem Tod höchste Anerkennung und
wurde zu einem der von den Koreanern besonders geliebten „nati-
onalen Maler“. An der Grenze zwischen Primitiven und Zivilisier-
tem, Land und Stadt, Realismus und Abstraktion sowie Tradition und
Modernität schuf er Lyrizität in reinster Form und erreichte schließ-
lich die ferne Welt des Nirwana.
2
26 KOREANA Frühjahr 2015
2014 waren ca. 100 Mio. chinesische Touristen auf der ganzen Welt unterwegs. Mit über 6 Mio. Besuchern stand Korea unter den Reisezielländern an erster Stelle. In Seoul war an allen Touristenattraktionen wie z.B. im Innenstadtviertel Myeong-dong, auf dem Namdaemun-Markt oder an den Straßen und Spazierwegen entlang des Flusses Cheonggye-cheon überall Chinesisch zu hören und Laden- oder Informationsschilder mit chinesischen Schriftzeichen sind in der Hauptstadt bereits ein alltäglicher Anblick.
L aut der Nationalen Tourismusorganisation der Volksrepublik
China waren im letzten Jahr die beliebtesten Reiseziele der
Chinesen Hongkong, Macau und Korea. Da Macau und Hong-
kong chinesische Sonderverwaltungszonen sind, kann man sagen,
dass Korea das beliebteste Auslandsreiseziel für die Chinesen war.
Dass die Zahl der chinesischen Touristen so drastisch gestiegen ist,
ist v.a. dem Zusammenspiel verschiedener begünstigender Faktoren
wie der Korea-Welle in China, der geographischen Nähe, Hongkongs
Beschränkung der Besucherzahlen aus Festland-China und dem
Konflikt zwischen Peking und Tokio zu verdanken.
Chinesische Touristen: neue Antriebskraft für koreanische TourismusbrancheDer rasante Anstieg der Zahl chinesischer Touristen revitalisiert
die koreanische Tourismusbranche und den Binnenmarkt. Ange-
sichts der zunehmenden Bedeutung für die koreanische Wirtschaft
ist für die Besucher aus China sogar der respektvolle Neologismus
„Youke“ (遊客, wörtlich „der reisende Gast“) aufgekommen. Laut
der Koreanischen Tourismusorganisation KTO geben die Youke
während ihres Koreabesuches sagenhafte 82,8% ihres Reisebud-
gets für Shopping aus. Das heißt, die absolute Mehrheit der chi-
FOKUS
Vorteile und Herausforderungen
Kim Bo-ramJournalistin, Hankyung Magazin
Sprunghafte Zunahme der Zahl chinesischer Touristen
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 27
Bis vor kurzem sind die meisten chinesischen Touristen hauptsächlich zum Shoppen nach Korea gekommen. Sie kaufen Markenartikel in den Duty-Free-Läden am Flughafen, in der Innenstadt oder im Kaufhaus, aber auch massenweise Niedrigpreis-Produkte auf den traditionellen Märkten wie dem Dongdaemun-Markt.
nesischen Touristen kommt hauptsächlich zum Einkaufen nach
Korea. Sie erwerben nicht nur hochwertige Markenwaren in den
Duty-Free-Shops in Flughäfen oder Nobelkaufhäusern, sondern
auch massenweise Niedrigpreis-Produkte in den Einkaufsstraßen
von Myeong-dong oder auf dem Dongdaemun-Markt. Laut Statis-
tik stehen Kosmetika, Kleiderwaren, Lebensmittel und kräuter-
medizinische Zutaten ganz oben auf der Einkaufsliste. Dank der
Kaufkraft der chinesischen Touristen stieg neben dem Umsatz
der koreanischen Markenwarenhersteller auch der der Händler
auf dem Dongdaemun-Markt. Die koreanische Tourismusbilanz
schaffte es so nach zwei Jahren wieder in den Bereich der schwar-
zen Zahlen. Die Youke haben sich also quasi unversehens über
Touristen hinaus zu einer wichtigen Stütze für den gesamten Dis-
tributionsbereich und den Tourismus Koreas entwickelt.
Neben solch erfreulichen Nachrichten, die der Anstieg der chine-
sischen Touristen mit sich bringt, ist aber auch von bedauerlichen
Begleiterscheinungen zu hören. Manche Reiseagenturen, die bil-
lige Pauschalreisen anbieten, planen ihre Touren gezielt mit Blick
aufs Shopping und versuchen, die Touristen zum Kauf zu animieren,
d.h. sie sehen die „reisenden Gäste“ aus China nur als „kaufkräfti-
ge Gäste“. Statt Touren, die den chinesischen Besuchern authenti-
sche Erlebnisse der koreanischen Kultur ermöglichen, bieten solch
umsatzorientierte Agenturen nur Nullachtfünfzehn-Paketreisen
unter dem voreingenommenen Pauschalurteil „Youke = Shoppen“ an,
so die Kritik.
Auf der Suche nach Reiseerlebnissen anderer ArtAngesichts dieser Sachlage macht sich in letzter Zeit eine gewis-
se Veränderung in den Reisevorlieben der Touristen aus China
bemerkbar: Sie möchten zunehmend Land und Leute auf vielfäl-
tigere und besondere Weise erleben. Eins der deutlichsten Phä-
nomene in dieser Hinsicht ist, dass immer mehr Youke die korea-
nische Kultur durch Theater- und Musical-Aufführungen erleben
möchten. Vor allem die sog. nonverbalen Aufführungen, die ohne
Dialoge nur aus Tanz und Körpergestik bestehen, erfreuen sich
zunehmend Popularität. Dadurch, dass die Stärke im nonverba-
Sprunghafte Zunahme der Zahl chinesischer Touristen
28 KOREANA Frühjahr 2015
len Theater darin liegt, dass es anders als K-Pop oder TV-Serien
nicht auf die Stars angewiesen ist, wird ein neues Korea-Welle-
Genre erschlossen. Mund-zu-Mund-Propaganda hat bewirkt, dass
nonverbale Aufführungen inzwischen auch bei Pauschalreisen ein
Muss geworden sind.
Laut PMC Production, der Produktionsfirma der nonverbalen Per-
formance Nanta, einer unterhaltsamen Comedy rund ums Thema
Kochen, waren während der chinesischen Nationalfeiertage letz-
tes Jahr über 80% aller Besucher des Nanta-Theaters in Myeong-
dong chinesische Touristen. Der Gewinner des Events anlässlich der
Erreichung der 10-Millionen-Besuchermarke der Nanta-Aufführung
war ebenfalls ein Chinese, der sich die Performance am 29. Dezem-
ber 2014 ansah. Noch bis vor ein, zwei Jahren war die Halle gefüllt
mit Gruppenreisenden, aber heutzutage kommen immer mehr Indi-
vidualtouristen ins Theater. Es ist nicht mehr so selten, dass sich auf
eigene Faust reisende Touristen vor ihrem Koreabesuch Tickets für
bestimmte Vorstellungen über die chinesische Webseite Hanyou-
wang (www.hanyouwang.com) buchen, über die die meisten chinesi-
schen Touristen Informationen über Korea erhalten sollen.
Auffällig ist auch, dass sich die Youke nicht länger auf Seoul als Rei-
seziel beschränken, sondern allmählich auch andere Regionen
Koreas erkunden, ein Wandel, der von jüngeren Touristen auf der
Suche nach Reisen mit individuellerer Note ausgelöst wurde. Zu den
neuen Hotspots zählen unter anderem die Insel Jeju-do, der Strand
Haeun-dae in Busan und die Provinz Gangwon-do. Besonders Jeju-
do und Gangwon-do konnten ihre Positionen als All-in-one-Urlaubs-
ziele stärken, da sie neben der reizvollen Natur und Landschaft auch
mit neuen Resortanlagen, Themenmuseen, Unterhaltungseinrich-
tungen und Shoppingzentren werben können.
Korea richtig erlebenAuch das Reiseverhalten erfährt einen Wandel. Während chine-
sische Pauschalreisende bisher in sog. „Fahnentruppen“ einem
Fähnlein-schwingenden Reiseführer hinterherzogen und sich nur
die touristischen Hauptattraktionen in Seoul ansahen, reisen mitt-
lerweile immer mehr Chinesen individuell oder in kleineren Grup-
pen. Nicht nur die Zahl der Individualreisenden steigt, auch die
Qualität des Reisens erhöht sich. Denn da die Zahl der Chinesen,
die zwei, drei Mal nach Korea kommen, nach und nach zunimmt,
ist es entsprechend schwer, die Touristen zufrieden zu stellen, die
über Nullachtfünfzehn-Standardtouren mit Shopping in Myeong-
dong und Duty Free Läden hinaus etwas Neues sehen möchten.
1. Bei den „Youke“ (遊客, chin. Bez. für „Tourist“), die einst als „Fahnentruppen“ einem Reiseführer hinterher eilend von einer Sehenswürdigkeit in Seoul zur nächsten zogen, macht sich ein Wandel im Reiseverhalten bemerkbar.
2. Nonverbale Performances auf Basis von Körpergestik und Tanz gehören zu den neuen Tourismusangeboten für diejenigen Youke, die Korea auf vielfältigere Weise erleben möchten. Hier eine Straßenvorführung der nonverbalen Show Jump.
Die individuell reisenden Touristen aus China zieht es überall hin, wo sie den koreanischen Lifestyle genießen können. Der Trendwandel zu mehr Individualismus führt sie jetzt nicht mehr nur zu den herkömmlichen Touristenattraktionen und in die Shoppingzentren, sondern auch zu den von den jungen Koreanern frequentierten Hotspots wie Itaewon, dem von Bäumen gesäumten neuen Trend-Mekka Garosu-gil im Seouler Südviertel Sinsa-dong, oder lokalen Restaurants, die bislang eher ein Geheimtipp unter Koreanern waren.
1
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 29
Die individuell reisenden Touristen aus China zieht es überall hin,
wo sie den koreanischen Lifestyle genießen können. Der Trendwan-
del zu mehr Individualismus führt sie jetzt nicht mehr nur zu den
herkömmlichen Touristenattraktionen und in die Shoppingzentren,
sondern auch zu den von den jungen Koreanern frequentierten Hot-
spots wie Itaewon, dem von Bäumen gesäumten neuen Trend-Mekka
Garosu-gil im Seouler Südviertel Sinsa-dong oder lokalen Restau-
rants, die bislang eher ein Geheimtipp unter Koreanern waren. Die-
ser Wandel steht genau genommen im Einklang mit dem weltweiten
Trend in der Tourismusbranche: Über die einfache Besichtigung der
Touristenattraktionen hinaus wollen sich die Touristen heutzutage
mehr unter die Einheimischen mischen, was sich letztendlich auch
auf das Reiseverhalten der Chinesen auswirkt.
Touristen aus China sind zwar mittlerweile in allen Ecken und Enden
Koreas angekommen, doch touristische Infrastruktur und Dienst-
leistungen lassen noch zu wünschen übrig. Individualreisende, die
von Unterkunft über Fortbewegung im Land und Wahl der Reisezie-
le bis hin zur Verpflegung alles selbst arrangieren müssen, haben
dementsprechend größere Unbequemlichkeiten als Pauschalreisen-
de. Deshalb ist es dringend erforderlich, dass das öffentliche Ver-
kehrssystem und die Straßenausschilderung in den Regionen ver-
bessert und Kommunikationsinstrumente wie Smartphone-Apps mit
touristischen Informationen, die auch des Koreanischen unkundige
Touristen anwenden können, entwickelt werden.
Nicht wenige Reiseagenturen haben bereits verschiedene substan-
zielle Anstrengungen zur Anlockung weiterer chinesischer Touris-
ten auf den Weg gebracht. Für Individualreisende haben sie z.B. sog.
„Airtel(Flug plus Hotel)-Produkte“ entwickelt und bieten Themen-
orientierte Reiseprogramme wie Medizin-Touren, Touren rund um
die Hochzeit, Touren mit Besuch der traditionellen Märkte usw. an.
Am wichtigsten ist jedoch, sein Augenmerk auf die verschiedenen
Präferenzen der Individualreisenden und den Wandel in den Rei-
sevorlieben zu richten. Es müssen dringend gehaltvolle Reisepro-
dukte mit Inhalten entwickelt werden, die in der jeweiligen Art nur
Korea bieten kann und die einen entsprechend nachhaltigen Ein-
druck hinterlassen, d.h. die chinesischen Besucher sollten wirk-
lich als wertvolle reisende Gäste betrachtet werden und nicht mit
Fokus auf ihre Kaufkraft und den kurzfristigen Gewinn. Es ist an
der Zeit, sich Gedanken über konkrete Maßnahmen, mit denen der
Zustrom chinesischer Touristen weiterhin sichergestellt werden
kann, zu machen, unablässig ein Augenmerk darauf zu haben und
konsequent diesbezügliche Investitionen zu tätigen.
2
30 KOREANA Frühjahr 2015
Mutter Courage bricht über dem Leichnam ihrer
Tochter in herzzerreißendes Schluchzen aus. Das
Publikum im voll besetzten Drama Theatre des
Opernhauses von Sydney überschüttet die Pansori-Sänge-
rin Lee Ja-ram mit Applaus für ihren von Han, dem typisch
koreanischen Gefühl des inneren Grolls, erfüllten Klage-
gesang. Während der zweieinhalb Stunden, in denen Lee
Ja-ram alle 15 Rollen von Ukchuk-ga, darunter auch die der
Protagonistin Mutter Courage, solo darbot, waren immer
wieder begeisterte Beifallsbezeugungen zu hören. Fiona
Winning, die Programmdirektorin des Sydney Festivals,
sagte: „Da auf dem australischen Theatermarkt Panso-
ri überhaupt nicht bekannt ist, war es eine gewagte Ent-
scheidung, dieses Stück auf die Bühne zu bringen. Umso
mehr freuen mich die große Begeisterung des Publikums
und die unerwartet vielen lobenden Kritiken“. Lee Ja-ram
selbst hatte während der Vorführung das Gefühl, dass
„Hitze aus dem Zuschauerraum emporwallt“.
Ukchuk-ga, bei dem Lee in einer Person für Text, Kompo-
sition der narrativen Gesangsstücke, künstlerische Lei-
tung und Performance zuständig war, ist ein sog. „kre-
atives Pansori-Stück“, angesiedelt an der Schnittstelle
von traditionellem Pansori und westlichem Theater. Es
bewahrt die distinktiven Merkmale des traditionellen
Pansori, einer erzählenden „Ein-Mann-Oper“, in der ein
Solosänger Gesang und schauspielerische Darstellung,
Rezitation und Narration übernimmt, während gleichzei-
tig der dramatische Effekt maximiert wird, indem neben
traditionellen koreanischen Instrumenten andere Ins-
trumente wie afrikanische Schlaginstrumente, Gitar-
re und Bassgitarre eingesetzt werden. Hinzu kommt,
dass Ukchuk-ga zwar auf Brechts Drama basiert, die
Geschichte der starken Frau, die im Krieg ums Überleben
kämpft, jedoch vor der Kulisse des Jeokbyeok-ga spielt,
eine der fünf heute noch erhaltenen traditionellen Panso-
ri-Aufführungen, die die historische chinesische Legende
von der Schlacht am Roten Felsen (208) zur Zeit der Drei
Reiche (ca. 184–280) thematisiert.
Sacheon-ga, ein weiteres kreatives Pansori-Stück von
Lee Ja-ram, das bereits 2008, also noch vor Ukchuk-
ga (2011), präsentiert wurde, beschreibt auf Vorlage von
Brechts Der gute Mensch von Sezuan die Gesellschaft der
Zeit. Im Korea des 21. Jhs versucht die Protagonistin Sun-
deok, „wie ein guter Mensch“ zu leben, hat dabei aber mit
den Widersprüchen des Lebens zu kämpfen. Begleitet von
lebendig leichter Pansori-Musik werden die lächerlichen
und törichten Züge der modernen koreanischen Gesell-
schaft wie Schönheits- und Bildungswahn und grenzen-
lose Konkurrenz aufs Korn genommen. Für diese Vorfüh-
rung wurde Lee 2010 auf dem International Theatre Festi-
val KONTAKT in Polen mit dem Preis „Beste Schauspiele-
rin“ geehrt.
INTERVIEW
LEE JA-RAM
Jungstar des PansoriDie Sängerin Lee Ja-ram (36) ist der neue Star des traditionellen epischen Sologesangs Pansori. Sie ist diejenige, die in der Welt der traditionellen Musik Gugak die Publikumsbasis des Pansori, die sich lange Zeit nur auf bestimmte Altersgruppen beschränkt hatte, ausweitete und Jung und Alt, Männer und Frauen zu Pansori-Aufführungen lockte. Bisher waren alle ihre Vorstellungen ausverkauft, was bei diesem Genre eher selten vorkommt. Sie ist nicht nur in Korea gefragt, sondern auch auf ausländischen Festivals. Ich traf Lee im Januar nach ihrer Rückkehr vom Sydney Festival 2015, wo sie erfolgreich Ukchuk-ga: Pansori Mother Courage aufgeführt hatte, die Pansori-Version von Bertolt Brechts Drama Mutter Courage und ihre Kinder.
Kim Soo-hyun Kolumnistin für Darstellende KunstFotos Cho Ji-young
Die junge Pansori-Diva Lee Ja-ram schlägt das mit dem epischen Sologesang Pansori nicht vertraute Publikum mit ihrer zarten Stimme und ihrem unaffektierten Auftreten in den Bann.
32 KOREANA Frühjahr 2015
Lee Ja-ram reflektiert das gegenwärtige Zeitalter im
Spiegel von klassischen Werken und löst universale Sor-
gen und Nöte durch Pansori wie Sachun-ga und Ukchuk-
ga, Stücke, die nicht nur in Korea, sondern auch in ande-
ren Ländern wie z.B. Frankreich, Polen, Rumänien, Bra-
silien und Uruguay erfolgreich aufgeführt wurden. Seit
2011 wird sie jedes Jahr vom Théâtre National Populaire
in Lyon eingeladen.
„Das wahre Ich ist das international ansprechendste Ich“
Kim Soo-hyun Das Drama Theatre des Opernhauses von
Sydney ist berühmt dafür, dass es nur Werke von originärem
künstlerischen Gehalt auf die Bühne bringt. Dass gerade dort
koreanisches Pansori aufgeführt wurde, sorgte wohl deshalb
als spezieller Fall im In- und Ausland für Furore. The Sydney
Morning Herald schrieb, dass die Aufführung „devastating
(umwerfend)“ gewesen sei, und dass selbst Bertolt Brecht
damit zufrieden gewesen wäre. Wie waren die tatsächlichen
Reaktionen vor Ort, wie empfanden Sie sie?
Lee Ja-ram Mir kam es so vor, als ob ich dem Publikum
in einem Land, in dem Pansori ein völlig unbekanntes Genre
ist, erzählt hätte: „DAS ist Pansori, DAS ist Korea!“ In Euro-
pa und Lateinamerika war ich schon öfter, aber da es mein
erster Auftritt im englischsprachigen Raum war, war ich sehr
aufgeregt, ja geradezu ängstlich. Doch dann brach ab Mitte
der Vorführung ein solcher Applaus los, dass ich schon mal
kurz in meiner Darbietung stoppen musste. Es war, wie man
heute sagt, „der Knaller“ und ich spielte in bester Stimmung.
Der Bühnendirektor meinte, dass er in seinen 26 Jahren
am Theater nur selten so viele stehende Ovationen während
einer einzigen Aufführung erlebt hätte.
Kim Was an Ukchuk-ga war so besonders für das Pub-
likum?
Lee Es gibt mehrere Besonderheiten, die das heimi-
sche und ausländische Publikum gleichermaßen begeis-
tern, wie z.B., dass beim Pansori der Solosänger sämtliche
Rollen spielt und voller Konzentration über lange Zeit die
Entwicklung des dramatischen Geschehens voranbringt;
oder dass nicht einfach Töne erzeugt, sondern verschiede-
ne, reiche Stimmtexturen kombiniert und entfaltet werden.
Am meisten hat man jedoch darüber gestaunt, dass
es gelungen ist, eine altehrwürdige Tradition in neuem
Gewand attraktiv zu machen. In den Rezensionen zu mei-
ner Vorführung wurde sogar erwähnt, dass man sich
Überlegungen über die künftige Richtung der westlichen
Oper, dem eigenen traditionellen Genre, machen sollte.
Kim Seit langem sieht sich die koreanische Kunstwelt
vor die Aufgabe gestellt, den Bekanntheitsgrad der korea-
nischen traditionellen Kunst in der Welt zu erhöhen. Dies-
bezüglich sagt man, dass „das typisch Koreanischste das
Internationalste“ sei. Was denken Sie darüber?
Lee Ich würde sagen, dass „das, was meinem Ich am
meisten entspricht, auch das ist, was am internationals-
ten anspricht“. Wenn man auf der Straße die Passan-
ten danach fragen würde, was für sie wohl das Korea-
nischste ist, würde jeder eine andere Antwort geben. Ich
denke, dass das wahre Ich am zeitgenössischsten ist und
das Zeitgenössischste das wahre Ich ist, das die gegen-
wärtige Gesellschaft widerspiegelt. Manche sagen, dass
ich ein repräsentatives Beispiel für die ‚Popularisierung
und Globalisierung der koreanischen traditionellen Kul-
tur‘ sei, aber ich selbst arbeite überhaupt nicht in diesem
Bewusstsein. Ich habe mir einfach Fragen gestellt, auf die
ich Antworten zu finden versucht habe, und dabei konnte
ich Anhaltspunkte zur Kommunikation mit einem breiteren
Publikum finden.
Kim Während einer Pansori-Aufführung kommuniziert
das Publikum aktiv mit dem Pansori-Sänger, indem es
Chuimsae, zustimmende und anfeuernde Zwischenrufe
wie „Eolssu!“, „Eolssigu!“, „Jota! (Prima!)“ oder „Jal handa!
(Macht es gut!)“ von sich gibt. Wie ist es bei den Aufführun-
gen im Ausland?
Lee Ich erkläre den Zuschauern, wie die Anfeuerungs-
rufe in die Vorführung eingestreut werden, folgenderma-
ßen: „Beim Pansori gibt es die sog. Chuimsae-Zwischen-
rufe. Wenn das Publikum Chuimsae zwischenruft, gibt
das dem Pansori-Sänger neue Kraft und Begeisterung.
Ich mache es Ihnen einfach mal vor und dann probieren
wir es zusammen“. Und weil die Zuschauer mich dann
auch irgendwie unterstützen und ermuntern wollen, klat-
schen sie zwischendurch zumindest enthusiastisch, wenn
es schon verbal nicht so richtig klappt. Einmal sagte ich
am Ende der Aufführung zum Publikum: „Ich fühle mich
so, als ob ich jetzt Ihr Freund geworden bin. Genau das
bewirkt Pansori. Ob Sie vorher schon etwas von Pansori
wussten oder nicht: Jetzt haben Sie es erlebt“.
„Die Tradition aufrechtzuerhalten ist meine Berufung“Letztes Jahr hat Lee Ja-ram An Ugly Person/Murder der
Öffentlichkeit vorgestellt, eine Pansori-Reihe, die auf zwei
Erzählungen von Joo Yo-seop (1902-1972) basiert. An Ugly
Person handelt von einer hässlichen Frau, die seit ihrer
Geburt als Monster behandelt wird, und Murder von einer
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 33
Lee Ja-ram bei ihrer zweieinhalbstündigen Solovorführung von Ukchuk-ga: Mutter Courage und ihre Kinder, in der sie 15 verschiedene Rollen spielt.
Lee Ja-rams liebliches Lächeln und ungeschminktes Gesicht lassen kaum Assoziationen zu ihrer charismatischen, das Publikum überwältigenden Präsenz auf der Bühne aufkommen.
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 35
Prostituierten, die sich zufällig verliebt und auf ihr Leben
zurückblickt. Darüber hinaus hat Lee Gute Reise, Herr Prä-
sident von Gabriel García Márquez als Pansori adaptiert
und in der Konzerthalle der Tongyeong International Music
Foundation aufgeführt. Lee Ja-ram, die auf diese Weise
unermüdlich etwas Neues ausprobiert, sieht in der Auf-
rechterhaltung des traditionellen Pansori ihre Berufung.
Ihr Pansori-Debüt erfolgte, als sie zehn Jahre alt war.
Nach ihrem Auftritt in einem Kinderprogramm über die
traditionelle Musik Gukak wurde sie die erste Schülerin
der Pansori-Diva Eun Hee-jin (1947-2000), von der sie die
Grundtechniken des Gukak lernte. Danach besuchte sie
die Nationale Gukak Mittel- und Oberschule und erwarb
anschließend in der Abteilung für Koreanische Musik
an der Seoul National University ihren B.A.- und M.A.-
Abschluss, d.h. ihr Werdegang entspricht der „orthodo-
xen“ Laufbahn eines Pansori-Sängers. 1999, als sie zwan-
zig war, wurde sie als jüngster Pansori-Interpret, der das
über acht Stunden dauernde Pansori-Stück Chunhyang-ga
durchsang, ins Guiness-Buch der Rekorde aufgenommen.
Sie veröffentliche auch diverse Alben, darunter Sugung-ga,
Jeokbyeok-ga und Simcheong-ga.
Kim Bei den Werken, die nach Sacheon-ga und Ukchuk-
ga auf die Bühne kamen, lassen sich Veränderungen aus-
machen.
Lee Um ehrlich zu sein, gab es Zeiten, in denen mir der
Erfolg von Ukchuk-ga zu viel wurde. Die Belastung, allei-
ne Großbühnen wie das LG Arts Center füllen zu müssen,
wurde mir zu viel. Deshalb habe ich eine Zeit lang solch
große Bühnen gemieden. Die Vortrefflichkeit des Pan-
sori, das ich mag, liegt im Kleinen, Schlichten: einfach in
Baumwollrock und T-Shirt mit einem Fächer in der Hand
auf einer leeren Bühne zu stehen und trotzdem diesen
bewegenden Moment des vollen Erfülltseins zu erreichen.
Das ist mir erst spät klar geworden. Durch Stücke wie An
Ugly Person/Murder oder Gute Reise, Herr Präsident, die
auf kleinen Bühnen aufgeführt wurden, habe ich versucht,
dem ursprünglichen Aufführungsstil des Pansori wie-
der näher zu kommen. Natürlich bin ich in einem Alter, in
dem man noch keine Unterschiede zwischen großen oder
kleinen Bühnen machen sollte. Deshalb bin ich auch ganz
froh darüber, dass mein nächstes Stück, Our Town (Unse-
re kleine Stadt) von dem amerikanischen Schriftsteller
Thornton Wilder), in etwas größerem Rahmen präsentiert
wird. Mir sind einfach nur große Bilder eingefallen, die in
einem kleinen Theater kaum zu verwirklichen sind.
Kim An Ugly Person/Murder wurde mit drei Preisen
ausgezeichnet, darunter auch mit dem „New Concept
Theatre Price“ auf dem Dong-A Theatre Award 2014. Wie
finden Sie die Bezeichnung „Theater Neuen Konzepts“?
Lee Das ist eine Bezeichnung, für die ich dankbar bin.
Sieht man daran doch, dass die koreanische Theaterwelt
Pansori als zu ihrem Genre gehörig akzeptiert hat. Ehrlich
gesagt hatte ich bisher das Gefühl, weder richtig zur Welt
der traditionellen Musik zu gehören, noch zur Theaterwelt.
Der Preis zeigt, dass dem nicht so ist, und kommt als Ermu-
tigung und offizielle Anerkennung. Auch hoffe ich, dass es
ein Anstoß dazu ist, dass der Pansori-Nachwuchs in Zukunft
auch in der größeren Arena namens Theater aktiv sein kann.
Kim Manche meinen, dass das traditionelle Pansori
immer mehr an Boden verliert, während sich der Bereich
des kreativen Pansori immer mehr ausweitet.
Lee Ich denke, dass es wichtig ist, ein Gleichgewicht
zwischen beiden Pansori-Arten zu schaffen. Berichtet wird
zwar hauptsächlich über meine kreativen Pansori-Auf-
führungen, doch habe ich gleichzeitig immer auch traditio-
nelle Pansori-Stücke aufgeführt, was weniger bekannt ist.
So gebe ich z.B. jeden Herbst im Yri Café neben der Hon-
gik University Aufführungen traditioneller Pansori-Stücke,
und das vor vollen Sitzreihen mit jungem Publikum. Ich
denke, das ist Grund zur Hoffnung. Auch wenn es viel Kraft
und Mühe kostet, kann man durch unermüdlichen Einsatz
hier Veränderungen anstoßen.
Kim Welche Pläne stehen nun an?
Lee Zuerst werde ich Gute Reise, Herr Präsident, das in
Tongyeong zum ersten Mal aufgeführt wurde, in Seoul auf
die Bühne bringen. Für den Sommer sind Vorstellungen in
Okinawa geplant und im nächsten Jahr dann in Frankreich,
in Lyon. Ich hoffe, dass ich den Text für Our Town bis Ende
dieses Jahres ausarbeiten kann.
„Ich denke, dass das wahre Ich am zeitgenössischsten ist und das Zeitgenössischste das wahre Ich ist, das die gegenwärtige Gesellschaft widerspiegelt. Manche sagen, dass ich ein repräsentatives Beispiel für die ‚Popularisierung und Globalisierung der koreanischen traditionellen Kultur‘ sei, aber ich selbst arbeite überhaupt nicht in diesem Bewusstsein. Ich habe mir einfach Fragen gestellt, auf die ich Antworten zu finden versucht habe, und dabei konnte ich Anhaltspunkte zur Kommunikation mit einem breiteren Publikum finden.“
36 KOREANA Frühjahr 2015
HÜTER DES TRADITIONELLEN ERBES
Chyung Mi-sook
Die traditionelle Lebenskultur bewahrenChyung Mi-sook, Direktorin des Korea Furniture Museum (KOFUM), widmet ihr Leben dem Ziel, die über Jahrhunderte weitergegebenen Traditionen der koreanischen Ess-, Kleidungs- und Wohnkultur in authentischer Form zu bewahren und zu präsentieren. Was sie damit zu bewahren sucht, ist die koreanische Seele.
KOFUM-Direktorin Chyung Mi-sook trägt immer
einen Hut. Oft sieht man sie auch mit Arbeits-
handschuhen, Beweis dafür, dass sie hart
arbeitet, und zwar unter der Sonne. Jede Ecke der
über 8.000m2 großen Museumsanlage in dem alten,
noblen Wohnviertel Seongbuk-dong (330-557, Seong-
buk-dong, Seongbuk-gu, Seoul) pflegt sie mit größter
Sorgfalt. Kein Grashalm und kein Zierstein im Gar-
ten, der einfach so irgendwo wüchse oder läge, jedes
Detail zeugt von Chyung Mi-sooks aufmerksamem
und ästhetisch geschultem Blick, der dem Betrachter
direkt scheue Ehrfurcht einzuflößen vermag. Zwanzig
Jahre sind vergangen, seit sie 1995 den Grundstein für
das Korea Furniture Museum legte. Diese Schatzkam-
mer des Erbes der koreanischen Ess-, Kleidungs- und
Wohnkultur war lange Zeit nur für einen exklusiven
Kreis zugänglich. Doch jetzt öffnet das Museum seine
Pforten, um ein größeres Publikum anzusprechen.
Hauptbesucher: Mitglieder des diplomatischen Korps Zurzeit findet das Korea Furniture Museum oft Erwäh-
nung in den Medien. Insbesondere der Besuch von
Präsidentin Park Geun-hye, die hier im Juli 2014
Chung Jae-suk Kulturredakteurin, Tageszeitung JoongAng IlboFotos Hwang Gyu-beck, Cho Ji-young
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 37
38 KOREANA Frühjahr 2015
Töchter immer wieder folgende drei Dinge ein: „Wenn du
Geld hast, dann reise viel; wenn du die Möglichkeit hast,
dann tue etwas für dein Vaterland und deine Landsleu-
te, vor allem das, was andere übersehen oder vernach-
lässigt haben. Und lese viel“. Chyung erweiterte Wissen
über und Einsicht in die Welt durch Lesen und Reisen
und machte sich dann an die dritte Aufgabe, die quasi
zum Testament ihrer Mutter wurde.
Weitere Unterstützung für ihr Möbelmuseum erfuhr sie
von ihren Schwiegervater, der das Projekt materiell auf
die Beine stellen half. Als sie ihm davon berichtete, dass
es ihre Kräfte übersteige, die seit ihrer Studienzeit in
den 1960er Jahren aufgebaute Sammlung antiker Möbel
angemessen zu pflegen und zu bewahren und sie des-
halb überlege, sie der Stadt Seoul zu vermachen, riet er
ihr, selbst ein Museum zu errichten und vermachte ihr zu
diesem Zweck ein wertvolles Stück Land in Seongbuk-
dong. Ihrer Schwiegerfamilie gehörte das Seongnak-
won, eine der wenigen noch erhaltenen Residenzen mit
Garten, in der die Oberschicht der Joseon-Zeit die heißen
Sommermonate verbracht hatte. In diesem Sinne ist das
Korea Furniture Museum das gemeinsame Werk zweier
durch Heirat verbundener Familien.
Hartnäckige Direktorin mit Vorliebe für ReistruhenChyungs Lieblingsmöbelstück ist die Reistruhe Dwiju,
der über die Jahrzehnte hinweg die Spuren unzähliger
Frauenhände eine unverwechselbare Patina verlie-
hen haben. Dwiju ist ein Küchenmöbel, in dem Getrei-
de wie Reis oder andere Nahrungsmittel aufbewahrt
werden. Warum ausgerechnet die Reistruhe Dwiju,
wo es doch viele andere elegante Holzmöbel gibt, wie
beispielsweise das nach allen vier Seiten offene Regal
Sabangtakja, die Büchertruhe Chaekgwe, das trans-
1.
DirektorinChyungMi-sookhatdasKoreanFurnitureMuseum20JahrelangemithingebungsvollerSorgfaltgeführt,umdasErbederkoreanischenEss-,Kleidungs-undWohnkulkturzubewahren.
2.
DatraditionellekoreanischeMöbelnormalerweiseeherkleinundeinfachsind,beanspruchensienichtübermäßigvielnutzbarenWohnraumundwirkennichterdrückend.OballeinevoreinerleerenWandoderimArrangementmitanderenHaushaltsgegenständenschaffensieeinenatürlicheRaumharmonie.
1
den chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping und dessen Gattin zu einem
offiziellen Mittagessen empfing, trug zur steigenden Bekanntheit bei. In den
letzten Jahren wurde das Museum zu einer Attraktion, die hochrangige Gäste
aus dem Ausland bei ihrem Seoul-Besuch als erste sehen möchten. Außer-
dem soll es ein Muss für die Gattinnen ausländischer Diplomaten sein, die
mehr über die koreanische Kultur erfahren möchten. Auch internationale
Stars nehmen sich trotz ihres meist mörderischen Terminplans die Zeit für
einen Besuch. Der Schauspieler Brad Pitt soll 2013 seinen Eindruck in dem
Ausruf „Amazing!“ zusammengefasst haben. Die Empfehlung, das Museum
unbedingt zu besuchen, soll er von der amerikanischen TV-Moderatorin und
Star-Köchin Martha Stewart erhalten haben. Stewart, bekannt als „Königin
der Star Hauswirtschaft“, sei vollkommen hingerissen von koreanischen tra-
ditionellen Holzmöbeln, insbesondere vom Soban, einem tragbaren Esstisch-
chen mit der Funktion eines Tabletts. Sie hatte bemerkt: „Die Koreaner schei-
nen die Natur in ihren Möbeln eingefangen zu haben und es zu genießen, sie
auf diese Weise in ihrer Nähe zu haben.“
Das Museumsgelände beherbergt zehn traditionelle, vom Abriss bedroht gewe-
sene koreanische Hanok-Häuser, die aus verschiedenen Landesteilen hierher
verlegt und stilgetreu saniert wurden. Die Sammlung umfasst rund 2.500 seltene
Holzmöbelstücke aus der Joseon-Zeit (1392-1910). Die wertvollen antiken Möbel
sind bescheiden, aber nicht unansehnlich, stilvoll, aber nicht pompös. Der ameri-
kanische Fernsehsender CNN stellte das Museum 2011 als „das schönste Muse-
um in Seoul“ vor. Doch was brachte Direktorin Chyung dazu, ein Projekt dieser
Größenordnung anzugehen?
Sie erklärt: „Meine Eltern haben mich dazu erzogen, stolz auf meine koreanische
Herkunft zu sein. Bei uns zu Hause gab es schon seit jeher viele antike Möbel,
was mir früh die Augen für den traditionellen koreanischen Ästhektiksinn öffne-
te. Außerdem wollte ich meiner Mutter nacheifern, die ohne Rast und Ruh hart
arbeitete.“
Chyung Mi-sooks Mutter war Dr. Lee Tai-young (1914 -1998), die erste Rechts-
anwältin und Menschenrechtsaktivistin in Korea, Chyungs Vater Dr. Chyung
Yil-hyung (1904- 1982), der als Außenminister diente, acht Mal ins Parlament
gewählt wurde und während der Militärdiktatur zu den Führern der Oppositions-
partei gehörte. Zu ihren Lebzeiten prägte Lee Tai-young der jüngsten ihrer drei
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 39
portable Lesetischchen Seoan, oder das niedrige
Dokumentenschränkchen Mungap?
„Mein größter Stolz ist die Reistruhe. Zwar stand sie
meist versteckt in einer Ecke des Hauses und war
eher unscheinbar, aber tatsächlich war sie Herzstück
des Hausrats, da sie zur Aufbewahrung von Getrei-
de und anderen Nahrungsmitteln diente und somit
Leben und Gesundheit der ganzen Familie schützte.
Auch verschiedene Redensarten beziehen sich auf
Dwiju wie z.B. ‚Großzügigkeit kommt aus einer vol-
len Reistruhe.‘ oder ‚Erst wenn man an den Boden
der Reistruhe kratzt, weiß man den Wert des Reises
zu schätzen.‘ Die Reistruhe ist also für das arbeiten-
de Volk ein zuverlässiger Freund. Daher haben wir die
Reistruhe als Museumslogo genommen.“
Chyungs „Reistruhen-Theorie“ steht für ihre Lebens-
philosophie. Die Prinzipien, nach denen sie das Museum
betreibt - keine Regierungsunterstützung annehmen,
strenge Beschränkung der Öffnungszeiten auf fünf Tage
pro Woche und Einlass von Gruppen von maximal zehn
Teilnehmern nur nach vorheriger Online-Reservierung - , stehen in Einklang mit
der Reistruhe als Symbol für etwas, das standfest seine Bestimmung erfüllt.
Der Vorwurf, dass es sich um ein „hochgestochenes Museum“ handele, scheint
in diesen strikten Regulierungen zu wurzeln. In großen Gruppen ist es jedoch
unmöglich, die würdevolle Eleganz der Hanok-Häuser und das Stilvolle der Möbel
wirklich zu erfassen. Dafür bedarf es fachkundiger Führung und kleiner Grup-
pen.
Wer einmal einen geführten Rundgang gemacht hat, dürfte Chyungs Beharr-
lichkeit sofort verstehen, da sich ihm so komplett neue, bis dahin verschlos-
sen gebliebene Seiten der Hanok-Häuser eröffnen. Der Besucher entdeckt
die Qualität der Hanok neu, die als Wohnhäuser in ihrer Konstruktion den
Menschen in Einklang mit der Natur in den Mittelpunkt stellen. Laut Chyung
brachte ihr Auslandsaufenthalt zu Ende ihrer Teenager-Zeit sie dazu, den
wahren Wert der Hanok-Häuser zu entdecken. „Während meiner Oberschul-
zeit erhielt ich ein Stipendium und konnte als Austauschschülerin nach Nash-
ville im US-Bundesstaat Tennessee gehen. Die Kinder dort wollten wissen:
Was esst ihr Koreaner? Was zieht ihr an? Wo wohnt ihr? Zu dieser Zeit lebten
nur sehr wenige Asiaten in den USA. Was die Amerikaner am meisten inte-
ressierte, war die koreanische Lebensart. Als ich dann zurückblickte, fiel
mir auf, dass ich selbst wenig über das Leben meiner Vorfahren wusste. So
„Während meiner Oberschulzeit erhielt ich ein Stipendium und konnte als Austauschschülerin nach Nashville im US-Bundesstaat Tennessee gehen. Die Kinder dort wollten wissen: Was esst ihr Koreaner? Was zieht ihr an? Wo wohnt ihr? Zu dieser Zeit lebten nur sehr wenige Asiaten in den USA. Was die Amerikaner am meisten interessierte, war die koreanische Lebensart. Als ich dann zurückblickte, fiel mir auf, dass ich selbst wenig über das Leben meiner Vorfahren wusste. So begann ich gleich nach meiner Rückkehr nach Korea damit, Möbelstücke zu sammeln.“
2
40 KOREANA Frühjahr 2015
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KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 41
begann ich gleich nach meiner Rückkehr nach Korea
damit, Möbelstücke zu sammeln. Mein Stolz auf alles
Koreanische wuchs. Unsere alten Häuser, unsere tra-
ditionellen Möbel und Kleidungsstücke flossen über
von einem Maß an künstlerischem Geist und ästhe-
tischem Empfinden, das die moderne Kunst nicht zu
erreichen vermag. Der Gedanke, dass all dies bald
verschwunden sein könnte, setzte mich unter Druck,
etwas dagegen zu tun.“
Für eine „Dritte Renaissance“Zurzeit beschäftigt sich Chyung mit den Seowon, den
traditionellen konfuzianischen Akademien aus der
Joseon-Zeit. Sie sucht diese Akademien auf und trifft
sich auch mit denjenigen, die sich für ihren Erhalt ein-
setzen. Im Oksan Seowon hat sie Schritt für Schritt die
Sammlungen studiert und für die Wiedereröffnung die-
ses Seowon im April schon eine Großreinigungsakti-
on geplant. Chyung ist äußerst besorgt über das kore-
anische Bildungssystem, dass ihrer Meinung nach in
einer Krise steckt und im Falle eines Zusammenbruchs
die Grundfesten des Landes erschüttern könnte. Eine
Lösung des Problems sieht sie in der Wiederbelebung
der Seowon.
„In den letzten hundert Jahren haben wir zu sehr nach
den Modellen des westlichen Auslands gestrebt. Kann
unser Land überhaupt eine Zukunft haben, wenn alle
intelligenten Jugendlichen nur noch in einem der Groß-
konzerne unterkommen wollen? Welche Chancen kann
es mit einer solchen geistigen Einstellung überhaupt
noch für Korea geben? Wenn wir unsere diesbezüglichen
Wertvorstellungen nicht ändern, werden wir in der Ent-
wicklung wieder zurückfallen. Es gibt landesweit ca. 670
Seowon und ca. 230 Hyanggyo (lokale, einem konfuzianischen Schrein angeglie-
derte Bildungseinrichtungen). Die Seowon waren in ihrer Blütezeit Wiegen der
wissenschaftlichen Gelehrsamkeit, vergleichbar mit den prestigereichen europä-
ischen Universitäten der Zeit. Aber wir haben sie so schnell vergessen und aufge-
geben. Wenn wir eine Verbindung zwischen einem Seowon und jeweils einer Mit-
tel- bzw. Oberschule herstellen könnten, wäre es möglich, den Kindern in jungen
Jahren den Geist der Tradition einzuflößen. Zu diesem Zweck könnte man mit ein-
fachen Dingen wie einer grundlegenden Reinigung der Seowon beginnen. Auch
könnten die Seowon nach entsprechender Herrichtung in Kultur- und Tourismus-
programme aufgenommen werden.“
Ein weiteres Projekt, für das sich Direktorin Chyung mit Leib und Seele einsetzt,
ist das Seongbukdong-Projekt. Auf Initiative und leidenschaftlichen Einsatz von
Chyung brachten die Stadt Seoul und die Bezirksverwaltung von Seongbuk-gu
gemeinsam den Plan auf den Weg, das Viertel Seongbuk-dong zu einem „Cluster
der traditionellen Lebenskultur“ zu entwickeln. Seongbuk-dong ist ein geschichts-
trächtiges Viertel, wo sich der Altar Seonjamdanji (Altar für die Göttin der Seiden-
würmer) aus der Joseon-Zeit befindet. Hier sollen die Königinnen seit der Zeit von
König Sejong dem Großen im 15. Jh Maulbeerbaumblätter gepflückt und Stoffe
gewebt haben. Außerdem ist der Ort reich an touristischen Ressourcen wie bud-
dhistischen Tempeln und Restaurants mit traditioneller koreanischer Küche und
weist eine hohe Konzentration von Hanok-Häusern auf. Auch gibt es mehrere
Museen in der Umgebung, wie zum Beispiel das Gansong Art Museum, weitere
Kunstmuseen sind bereits in Planung. Chyung träumt heute davon, auch Museen
für Seide, Messingwaren, Tonwaren, traditionelle Volksmalerei, regionale Küchen
usw. nach Seongbuk-dong zu locken und so ein Museumsdorf aufzubauen.
Chyung kommentiert: „Während der Joseon-Zeit kam es im Abstand von 300
Jahren zu zwei kulturellen Blüten: zunächst im 15. Jh unter König Sejong dem
Großen (reg.1418-1450) und dann im 18. Jh unter König Yeongjo (reg.1724-1776)
und König Jeongjo (reg.1776-1800). Nun sind wieder 300 Jahre vergangen und
alle Anzeichen deuten auf eine dritte Renaissance im heutigen 21. Jh hin. Das
Korea Furniture Museum ist zwar nur eine kleine Einrichtung, aber ich glaube,
dass es dazu beiträgt, einen Kanal für einen größeren kulturellen Aufschwung
zu schaffen.“
1. Das Korean Furniture Museum beschränkt den Einlass streng auf geführte Gruppen von max. 10 Personen. Ziel ist, den Besuchern ein Umfeld zu bieten, das es erlaubt, die anmutige Schönheit der traditionellen Gebäude und Möbelstücke voll zu würdigen.
2. In dem aus zehn Gebäuden im traditionellen Hanok-Stil bestehenden Museum sind 2.500 Holzmöbelstücke aus der Joseon-Zeit zu sehen.
3. Die niedrige Mauer auf einer Seite des Gartens ist mit den anmutigen Motiven von Schildkröte und den Vier Edlen Pflanzen (Pflaumenblüte, Orchidee, Chrysantheme und Bambus) geschmückt.
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42 KOREANA Frühjahr 2015
VERLIEBT IN KOREA
Wie Sie an Ihren Kimchi kommen und ihn genießen
Der Blog Eat-Your-Kimchi ist in den letzten vier Jahren zu einem großen Reich expandiert. Die Suche nach dem Studio im Seouler Stadtviertel Hongdae-ap endete vor einem riesigen, eindeutigen EYK-Logo an der Seite eines Gebäudes. Auf dem Parkplatz dahinter steht ein kleiner Heckklappen-Kia mit Eat-Your-Kimchi-Werbung, die schon aus dem All sichtbar sein dürfte. Irgendwo daneben ist das im August 2014 von EYK eröffnete You Are Here Café, kombiniert mit der Sprachlern-Webseite Talk to Me in Korean. Was ist passiert?
Ben Jackson Freiberuflicher Autor Fotos Cho Ji-young
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 43
Ende 2010 posierten die EYK-Schöpfer Simon und
Martina Stawski für das Titelblatt eines in Seoul
herausgegebenen englischsprachigen Magazins.
3D-Brillen auf der Nase, saßen sie bei Sonnenunter-
gang Popcorn essend auf einer Bank in einem Schilf-
grasfeld im Seouler Noeul Park. Damals arbeitete das
vor Optimismus sprühende Paar aus Kanada mit Spud-
gy, ihrem „bunten Hund“, gerade ernsthaft an einem
Video-Blog der etwas anderen Art. Ihr unverwech-
selbarer Stil, mit dem sie neue Aspekte der koreani-
schen Kultur schräg-komisch verpackt präsentierten,
und ohne jede Scheu — die Chemie stimmte einfach
— auf dem Bildschirm agierten, begann Zuschauer in
aller Welt zu berauschen. Simon hatte wagemutig sei-
nen Job als Englischlehrer an den Nagel gehängt, um
die Webeseite Eat Your Kimchi und den gemeinsamen
YouTube Kanal zu entwickeln. Martina verdiente als
„Sugar Mama“ weiterhin die Brötchen.
Hinein ins FlammenmeerEs begann 2008, als die Stawskis auf dem Internationa-
len Flughafen Incheon landeten. Vor ihnen lagen neue
Jobs als Englischlehrer. Hinter ihnen lagen andere
Karrieren als Lehrer und verängstigte Eltern in Kana-
da, die Nordkoreas jüngste Drohungen, den Süden in
ein Flammenmeer zu verwandeln, in Angst versetzten.
„Später wurde uns klar, das Nordkorea Metaphern wie
Meere und Feuer einfach mag“, sagt Martina.
„Flüssige Zerstörung“, fügt Simon hinzu.
Um ihre Familien zu beruhigen, filmten sie sich beim
Essen von Sundubu-jjigae, einem beliebten Gericht mit
weichem Tofu. So startete eine ganze Serie von heute an
die 2.000 Videos, die alles – vom Essen bis hin zu K-Pop
– thematisieren und Fragen der Fans beantworten. Das
Zielpublikum, das zunächst nur aus Familienmitgliedern
bestand, umfasste bald auch Englischlehrer-Kollegen
(sie merkten, dass nirgendwo Videos über praktische
Dinge wie den Gebrauch einer koreanischen Waschma-
schine oder das ordnungsgemäße Entsorgen von Müll
zu finden waren), Korea-Interessierte und Leute, die sich
einloggten, um einfach Simon und Martina zu sehen.
„Ich erinnere mich noch an unseren allerersten
Zuschauer, einen gewissen Steve aus England“, sagt
Simon. „Er schickte uns folgende Mail: ‚Hey, ich komme
nach Bucheon und hätte gern einige Infos hierüber und
darüber.‘ Erinnern Sie sich noch an Anti-English Spec-
trum [eine koreanische Gruppe, die zu der Zeit für die
Belästigung muttersprachiger Englischlehrer bekannt
war]? Wir dachten, es sei einer von denen, getarnt als
Ausländer. Warum sollte jemand überhaupt was auf
unsere Videos geben und dann noch so nett auftreten?
Wir glaubten, sie wollten uns irgendwohin locken, um
uns um die Ecke zu bringen. Gott sei Dank war es dann
aber nur ein cooler Typ aus England.“
Die Zuschauerzahlen kletterten unaufhaltsam und
nahmen historische Marken. Im EYK-Studio findet sich
ein offizieller YouTube-Preis für das Überschreiten der
100.000-Zuschauer-Marke. Zum Zeitpunkt des Ver-
fassens dieses Artikels waren die drei YouTube Kanäle
der Stawskis insgesamt 241.033.279 Mal angeschaut
worden, ein Erfolg, der auch dem Ehepaar Stawski die
Sprache verschlägt.
„Warum das überhaupt jemanden interessiert, ist mir
schleierhaft“, meint Simon. „Das werden wir wohl nie
herauskriegen. Wir genießen das einfach so lange es
geht.“ – kommentiert Martina.
Die beiden agieren auch beim Interview als ein unge-
wöhnlich gut abgestimmtes Team: witzig und enthu-
siastisch, aber ohne den anderen zu dominieren. Wie
Ping-Pong-Bälle springen ihre Späße hin und her,
und sie scheinen ihre Freude daran zu haben. Dieses
harmonische Miteinander dürfte Teil ihres Erfolgsge-
heimnisses sein: Einige Fans, die in einem schwierigen
Familienumfeld aufgewachsen sind oder sich in einer
wackligen Partnerschaft befinden, kommentieren,
dass das bloße Zuschauen dieses glücklichen Paares
ihnen Trost spendet.
Alles unter Kontrolle Ruhm, insbesondere in der Online-Welt, kann unbe-
ständig und kurzlebig sein. Während andere vielleicht
längst auf Grund gelaufen wären, reiten die Stawskis
geschickt auf den Wellen ihrer Popularität, die bereits
epische Ausmaße erreicht hat. Ihr unbeschwertes Bild-
schirm-Geplänkel ruht auf dem soliden Fundament
knallharter Zahlenanalysen. Simon, der sich selbst
als Technik-Freak beschreibt, monitort und analy-
siert beständig die Zuschauerzahlen, um herauszufin-
den, welche Inhalte die Leute mögen und wie lange sie
zuschauen, bevor sie gelangweilt weiterklicken. EYK
passt seine Beiträge entsprechend an.
Derzeit werden die Videos in sechs die Woche über
angebotenen Kategorien präsentiert: von K Crunch
Indie Segment am Sonntag, in dem koreanische Indie-
Musik vorgestellt wird, bis Wonderful Treasure Find
(WTF) Korea am Samstag, in dem das Paar seinen gut
Simon und Martina Stawski eroberten mit ihren YouTube-Videos, in denen sie mit viel Humor und auf ihre ganz spezielle Weise Lifestyle und Popkultur Koreas vorstellen, die Herzen von Zuschauern im In- und Ausland.
entwickelten Sinn für das Absurde auf verschiedene
ungewöhnliche Produkte und Objekte anwendet. Dazu
gehören z.B. Hello Kitty Fußwärmer oder Soju-Gläser
mit Markierungen für die optimale Menge So-ju (Reis-
schnaps) und Bier, Maek-ju, die es braucht, um ein
perfektes Glas So-maek zu kreieren. Die Videos auf
YouTube sind kurz und schlagkräftig, während die Web-
seiten-Einträge mehr Tiefgang bieten.
Internationale Fangemeinde Nach sieben Jahren ist die Fangemeinde riesig gewor-
den. Sie haben bereits einige internationale Touren hin-
ter sich: zweimal Europa, Australien, Singapur usw.
Eine USA-Tour ist in Vorbereitung.
„Es ist rührend und vewirrend zugleich“, sagt Simon.
„Einige Leute stehen für unsere Events stundenlang
Schlange. Im letzten Jahr, als wir vor Eröffnung unse-
res Cafés einen Tag des offenen Studios hatten, ist ein
Australier extra dafür angereist. Er hatte uns bei unse-
rem Melbourne-Besuch verpasst und wollte uns dies-
mal unbedingt sehen.“
Tatsächlich verblüfft es einen, aber die Touren des Paa-
res geben auch Aufschluss über die Begeisterung ihrer
Fans. „Wir hatten vergessen, dass wir schon so sieben
Jahre Videos in Korea gemacht haben“, sagt Martina.
„Die Leute sind damit aufgewachsen. Sie haben unse-
re Videos in ihrer Oberschulzeit und danach in der Uni
verfolgt, d.h. sie haben erlebt, wie wir genau so wie sie
gewachsen sind. In diesem Sinne ist es fast wie Reality
TV. Sie haben uns zugeschaut, wie wir uns durch unser
sprachliches Unvermögen im Koreanischen gekämpft
haben, wie wir Sachen besprochen haben, die wir eigent-
lich gar nicht mochten. Ich hatte Bananen-Milch oder
Soseji [industriell gehärtete Käse-Fleisch-Masse, einge-
packt in Plastikfolie und als Würstchen vermarktet] oder
Odeng [Kamaboko-Fischkäse-Gericht], das an Tteokbok-
ki-Reiswurst-Straßenständen verkauft wird, gehasst.
Fünf Jahre später haben wir aber beteuert: ‚Das ist die
tollste Sache überhaupt!’ Sie haben miterlebt, wie wir
uns verändert haben und gewachsen sind. In Bezug auf
unsere Haare, unser Gewicht, unseren Stil, alles.“
Simon fügt hinzu, dass Online-Medien eine besonders
enge Bindung zum Zuschauer schaffen: „Die Kame-
ra ist genau vor dem Gesicht, wir schauen in die Linse,
wir sprechen zu den Leuten, in vielen Videos sprechen
wir sie mit Namen an. Wir machen Live-Chats, d.h. es
gibt ein Gefühl der Gemeinschaft, das den traditionellen
Medien abgeht.“
1. Simon und Martina vergnügen sich in einem Wasserpark auf einer Wasserrutsche und erklären, wie man selbst in der Stadt in diesen bei den Koreanern beliebten „Hitze-Fluchtburgen“ der Sommerschwüle entgehen kann.
2. Simon und Martina erklären Zutaten und Geschmack des kalten Nudelgerichts Naengmyeon, einer koreanischen Sommerspezialität.
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 45
1 2
46 KOREANA Frühjahr 2015
„Am eigenartigsten war für uns wohl der Auftritt in
unserer Heimatstadt, weil das Event gerade an unse-
rer Alma Mater, der Universität von Toronto, stattfand“,
erinnert sich Martina. „Leute als Zuschauer in dem
Raum zu sehen, in dem man einst im Seminar saß, und
dann selbst auf dem Podium zu stehen, ist schon ver-
wirrend. Unsere Eltern waren da, Simons Eltern saßen
in der ersten Reihe und weinten sich die Augen aus.“
Wer isst EYKs Kimchi? Ausländer erscheinen oft in den koreanischen Medi-
en einfach deshalb, weil sie Ausländer sind. Wenn
sie dann noch Koreanisch sprechen, erhöht sich
der „Wunderaffen-Effekt“ um ein Vielfaches und sie
erfreuen sich Starruhm, bis sie dann ein Skandal vom
Podest fegt, eine außereheliche Affäre oder der Faux-
pas, das Ostmeer als „Japanisches Meer“ zu bezeich-
nen. Ein Blick auf die Zuschauerzahlen von Simon und
Martina zeigt, dass sie nicht in diese stereotype Kate-
gorie gehören. „98% unser Zuschauer leben nicht in
Korea“, sagt Simon. „75% sind weiblich. Den höchsten
Prozentsatz macht die Altersgruppe von 20 bis 29 aus,
gefolgt von der von 13 bis 18. 35% sind aus den USA,
10% aus Kanada, 9% aus UK und viele aus Südost-
asien.“ Viele Fans haben sich als ethnische Koreaner
erwiesen, die in amerikanischen Kleinstädten leben
und sich isoliert von der Kultur ihrer Ahnen fühlten. Sie
finden es faszinierend, dass ein kanadisches Paar ganz
ohne Scheu seine Bemühungen filmt, mit Land und
Leuten zurechtzukommen.
Während die Welt voller Möchtegern-Stars ist, die
die glatten Marmormauern des Ruhms emporzu-
klettern versuchen, erlangten Martina und Simon
ganz unverhofft dank einer großen und treuen Fan-
gemeinde Berühmtheit. Als sie 2012 auf der Websei-
te Indiegogo einen Crowdfunding-Aufruf starteten,
um 40.000 $ für die Eröffnung eines Studios zu sam-
meln, kam die Summe innerhalb von knapp sieben
Stunden zusammen. „Wir hatten den Aufruf abends
vor dem Schlafengehen hochgeladen und am nächs-
ten Morgen stellten wir fest, dass unser Ziel erreicht
war“, erzählt Martina. Das in Primärfarben gehalte-
ne Studio, wo sie auf gigantischen Sitzsäcken darüber
berichten, gleicht einer Feststoff-Verkörperung von
EYKs Online-Inhalten: Es erweckt den Eindruck der
Künstlichkeit als trüge es einen falschen Schnurrbart,
verfügt aber auch über aufmerksame Komponenten
wie einen Schlafraum (komplett mit einem Leucht-
stern-Himmel), einen Stehtisch („Dauernd zu sitzen,
soll so ungesund wie Rauchen sein.“– Martina), und
eine Wand mit allen Namen von EYKs Indiegogo-Spen-
dern. Ein anderer Raum ist voller Waren, die über den
Online-Store verkauft werden, während einige Wände
mit Geschenken, Briefen und Zeichnungen begeister-
ter Fans zugepflastert sind.
SponsorshipDas Eat Your Kimchi-Mobil auf dem Parkplatz war ein
weiterer Meilenstein in der Entwicklung von EYK. Der
Wagen, der seit Mai 2014 auf Koreas Straßen rollt, ist
das Ergebnis von über einem Jahr Anstrengungen,
Kia Motors als Sponsor zu gewinnen. „Von einer Firma
Anerkennung zu finden, war schon ein tolles Gefühl“,
meint Martina. „Blogger und YouTuber erfahren im
Gegensatz zu anderen Ländern hier in Korea noch
nicht so viel Anerkennung. Man betrachtet sie nicht als
echte Unternehmer und deshalb haben sie es schwer,
Sponsoren zu finden.“ Der Wagen erscheint oft in den
EYK-Videos und erleichtert das Reisen kreuz und quer
durchs Land. „Wir schicken Kia alle Aufnahmen mit
dem Wagen und Kia gefällt, wie wir ihn einsetzen“,
erklärt Martina. „Wir beschränken uns nämlich nicht
auf Werbestereotypen wie Hinweise auf all die tollen
Eigenschaften des Autos.“
Weitere Meilensteine in der EYK-Geschichte sind die
Weltreisen und die Eröffnung des You Are Here Café,
das nur einen Steinwurf vom Studio entfernt ist, im
letzten August. Auf der Karte finden sich einige der
Eigenkreationen von Simon und Martina, u.a. Milk-
shakes, Zucchini-Brownies und gesunde „Powerballs“.
Interessanterweise gibt es auch eine anonyme Video-
Aufnahmekabine, wo Gäste sich frei von der Leber über
kontroverse Themen äußern können, wahlweise in
Koreanisch oder Englisch (EYK hat ein Heer von freiwil-
ligen Untertitlern).
Zukunftspläne Vor vier Jahren hatten Simon und Martina mit Japan als
neuem Abenteuerspielplatz geliebläugelt. Ihr schnel-
ler Aufstieg in Korea ließ sie jedoch diesen Plan erst
mal auf Eis legen, aber kurz nach dem Interview mit
Koreana machten sie sich nach Japan auf. Die Beliebt-
heit ihrer Europa-Videos hatte bewiesen, dass es vielen
Fans um Inhalte mit den beiden ging und nicht unbe-
dingt um Korea-Bezogenes. „Ich lasse mich gerne
überraschen“, meint Martina.
Martina hilft beim Einlegen des Kimchi-Wintervorrates in einer koreanischen Familie und demonstriert die Zubereitung.
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 47
„In diesem Sinne ist es fast wie Reality TV. Sie haben uns zugeschaut, wie wir uns durch unser sprachliches Unver-mögen im Koreanischen gekämpft haben, wie wir Sachen besprochen haben, die wir eigentlich gar nicht mochten. Ich habe Bananen-Milch oder Soseji [industriell gehärtete Käse-Fleisch-Masse, eingepackt in Plastikfolie und als Würstchen vermarktet] oder Odeng [Kamaboko-Fischkäse-Gericht], das an Tteokbokki-Reiswurst-Straßenständen verkauft wird, gehasst. Fünf Jahre später haben wir aber beteuert: ‚Das ist die tollste Sache überhaupt!’ Sie haben miterlebt, wie wir uns verändert haben und gewachsen sind.“
Wie haben die letzten Jahre die beiden verändert?
„Ich vermisse die alte Naivität und Spontaneität“, sagt
Simon. „Heute müssen wir uns viel mehr Gedanken um
die Inhalte, die wir hochladen, machen, und darüber,
wie sie bei all den vielen Zuschauern ankommen. Die
Dinge scheinen nicht mehr so neu und frisch“.
Das heißt nicht, dass ihnen die Ideen ausgehen. „Wir
haben zwei Video-Editoren, brauchen aber mehr“, sagt
Simon. „Wir haben noch so viel vor. Ich wünschte nur,
wir hätten mehr Zeit.“ Angesichts des unerbittlichen
wöchentlichen Terminplans, dem großen Ideen-Vorrat
und der kontinuierlichen Suche nach Neuheiten dürfte
Eat Your Kimchi noch eine ganze Weile auf Erfolgskurs
bleiben.
48 KOREANA Frühjahr 2015
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 49
Alle Anlegestellen befinden sich am äußeren Ende der Insel. Am Ha-fen angekommen, ist der Reisende am Ende seines Weges angelangt. Aber für die Fischerboote ist der Hafen erst der Ausgangspunkt ihrer Reise. Ist das nicht geheimnisvoll? Wo der Weg für die Schritte des Menschen endet, beginnt die Reise wieder.
Gwak Jae-gu DichterFotos Lee Han-koo
UNTERWEGS
Vor so zehn Jahren, als ich kurz vor den 50ern
stand, zog ich einmal von Ort zu Ort das Meer
entlang. Gab es keine Pension, schaute ich im
Gemeindehaus vorbei und fragte die alten Dorfbewoh-
ner, ob ich dort eine Nacht verbringen könnte. Bereitwil-
lig erlaubten sie es mir mit einem „Natürlich, nur zu!”.
Sie lächelten strahlend und streckten mir die Hände
entgegen. Ich weiß noch, wie sich diese Hände anfühl-
ten: Es konnten die Hände von jemandem sein, der sein
Leben lang in fernen Städten herumgewandert war,
mal in Fabriken, mal auf den Märkten arbeitend, um am
Ende wieder in sein Heimatdorf zurückzukehren. Oder
die Hände von jemandem, für den sein Dorf das Zentrum
des Universums darstellte, Hände, die durch jahrzehn-
telanges Fischen und Ernten von Seetang alt und faltig
geworden waren. Es waren raue, aber warme Hände,
gleichsam Sinnbilder für all die Trauer und Sehnsüchte,
für all die Träume und Verzweiflung, die ein Mensch im
Laufe seines Lebens erfährt.
Damals, als ich von Dorf zu Dorf wanderte, trugen mich
meine Füße am Ende immer zu den Anlegestellen.
Jedes Mal, wenn ich dort den Fischerbooten zusah, die
mit tuckerndem Motor das Wasser aufwühlend irgend-
wohin fuhren, spürte ich plötzlich eine Art Stechen im
Herzen. Dann aber, wenn ich, in irgendeiner Ecke der
Anlegestelle hockend, bis zum Sonnenuntergang beob-
achtete, wie die Boote ausliefen und wieder zurückka-
men, wurde mir wieder ganz warm ums Herz.
wo das wahre Lied vom Leben erklingt
50 KOREANA Frühjahr 2015
Drei Inseln, die das Meer umschließenAuf dem Schiff, das mich von Yeosu zur Insel Geomun-do brach-
te, begann mein Herz schneller zu schlagen. Yeosu ist eine Hafen-
stadt mit ca. 300.000 Einwohnern. 2012 fand hier die Welt-Meeres-
Expo statt, was schon für Reiz und intrinsische Schönheit von Hafen
und Stadt spricht. Im Expo-Jahr reiste ich mit Freunden aus Euro-
pa durch einige der Küstendörfer in der Nähe von Yeosu. Einer der
Freunde hieß Eric und kam aus Nizza in Frankreich. Er war Leicht-
flugzeugpilot. Er wurde Pilot, weil er die Küste seiner Heimatstadt
so sehr liebte, dass er sein Leben lang in ihrer Nähe verbringen
wollte. Als wir am Dorf Gajeong-ri vorbeiliefen, meinte Eric: „Das
Meer hier erinnert mich an das Meer vor Nizza. Ich meine, wie es
war, bevor Nizza durch die Zivilisation angeschmutzt wurde.“
Die Insel Geomun-do gehört zum Meeresnationalpark Dadohae-
haesang und liegt 114,7km vom Hafen Yeosu entfernt. Eigentlich
ist es eine Inselgruppe, bestehend aus den kleinen Inseln Dong-
do, Seo-do und Go-do, die zusammen einen Kreis bilden, sodass
Geomun-do auf den ersten Blick wie ein Ei aussieht. Die Gewäs-
ser zwischen den Inseln werden Donaehae genannt. Die Inseln
selbst sind gesprenkelt mit Dörfern, die alle eine lange Geschich-
te haben. Die Außenklippen der Inseln blockieren als Schutzwall
raue Wellen, weshalb die Gewässer auf der inneren Seite so ruhig
sind, dass man sie früher „Samho“ nannte, was wohl „See, gebildet
aus drei Inseln” bedeutet. Es heißt, dass die Insel Geomun-do 1845
zum ersten Mal durch einen Schiffslogbuch-Eintrag des britischen
Kriegsschiffes Samarang in der Welt bekannt wurde. Die reich von
der Natur beschenkte Insel eignete sich bestens als Schutzhafen
und wurde von den Briten nach dem damaligen Sekretär der Admi-
ralität Captain W. A. B. Hamilton „Port Hamilton” getauft.
Zu der Zeit interessierte sich auch das chinesische Qing-Reich für
die Insel und es heißt, dass Kriegsschiffe unter dem Kommando
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3
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In einem Küstendorf möchte ich unbedingt in einem Haus mit Fenster zum Meer übernachten, denn ich möchte das Brausen der Wellen hören. Egal, ob Tag oder Nacht, ob Frühling, Sommer, Herbst oder Winter, selbst bei klirrender Kälte lasse ich das Fenster offen und lausche beim Einschlafen dem Klang der Wellen. Zum Glück sind alle koreanischen Unterkünfte mit Ondol-Fußbodenheizung ausgestattet, sodass das recht problemlos geht.
von Admiral Ding Ruchang in die Gewässer von Geomun-do ein-
drangen. Die Chinesen wollten schriftlich mit den Inselbewoh-
nern kommunzieren und notierten die Zeichen „菊花發“ (Chrysan-
themen in voller Blüte), aber niemand von den Dörflern konnte sie
entziffern. Sie eilten zu einem ehrwürdigen Gelehrten der Insel,
der die Botschaft entschlüsselte und die Dörfler beauftragte, den
Chinesen eine Kiste getrocknete Persimonen zu überreichen.
Die Chinesen landeten im Herbst auf Geomun-do, als überall die
Chrysanthemen blühten. Sie wollten zum Ausdruck bringen, dass
„überall auf der Insel die Chrysanthemen so schön blühen“, was
den Gelehrten, den tieferen Sinn wohl verstehend, zu dem Persi-
monen-Geschenk veranlasste. Der Gelehrte und die Männer des
Admirals verständigten sich schriftlich, wobei die Chinesen der-
maßen von der Weisheit des Gelehrten beeindruckt waren, dass
sie begannen, die Insel „Geomun-do“ zu nennen: „Insel des gro-
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 51
1. Geomun-do gehört zu einem Meeresnationalpark, der sich 114,7km südlich des Hafens von Yeosu in der Provinz Jeollanam-do befindet. Die Fähre, die zwischen den Fischerdörfern auf der Ostinsel Dong-do und der Westinsel Seo-do verkehrt, ist für die Inselbewohner ein wichtiges Transportmittel.
2. Der Makrelenfischfang ist die Hauptbeschäftigung der Fischer von Geomun-do. Die Touristen können die frisch gefangenen Makrelen roh genießen oder aber in würziger Soße geschmort.
3. Das Geomun-do Schiffslied, Wichtiges Immaterielles Kulturgut der Provinz Jeollanam-do Nr. 1, ist ein Arbeitslied der Fischer, das von ihrem harten Leben, ihren Freuden und Sorgen erzählt.
4. Der 1km lange Wanderweg, der zum Leuchtturm Noksan Deungdae am nördlichen Ende der Westinsel Seo-do führt, ist ein gut gepflegter Trail über weite Ebenen. Er zählt zu den Highlights einer Wanderung über die Insel.
5. Im Februar, wenn die Kamelien in voller Blüte stehen, sind die Wanderwege über den Berg Suwol-san auf Seo-do von heruntergefallenen Kamelienblüten bedeckt.
ßen Gelehrten”. Zuvor war die Insel in Qing-China als „Geoma-do”
bekannt, als „Insel, die von Riesenfelsen umgeben ist”. Der Name
des Gelehrten war Kim Yu.
Am 15. April 1885 besetzten drei Schiffe der britischen Ostasien-
flotte die Insel und hissten den Union Jack. Die Soldaten errichte-
ten Geschützgestelle und Bollwerke und legten Stromleitungen.
Dadurch sahen die Bewohner der Insel als erste Bürger außer-
halb des Hauptstadt-Königspalastes Gyeongbok-gung elektrisches
Licht und erlebten mit eigenen Augen die künftige Modernisierung.
Großbritannien rechtfertigte die Besetzung der Insel zwar als Prä-
ventivmaßnahme gegen das Vorrücken der russischen Kriegsflot-
te nach Süden, aber es handelte sich dabei um einen klaren Ver-
stoß gegen das Völkerrecht. Geomun-do sah sich im Zentrum des
Machtkampfs, den sich die Großmächte Ende des 19. Jhs lieferten,
aber obwohl sich der Joseon-Hof der Faktenlage wohl bewusst
war, war er zu schwach, um sich gegen die illegale Okkupation sei-
nes Territoriums wehren zu können. Im Februar 1887 zogen die
Briten zwar von Geomun-do ab, jedoch nur unter der Bedingung,
dass sich die russische Kriegsmarine von der Insel fernhielt. Auf
Geomun-do sind heute noch die Grabstätten von drei britischen
Marinesoldaten zu sehen, die auf der Insel starben.
Die Meerjungfrau Shinjikki: Beschützerin der Fischer Nachdem ich mein Gepäck in der Unterkunft im Küstendorf Geo-
mun-ri ausgepackt hatte, brach ich sofort zum Trekking auf Seo-
do auf. Auf Seo-do, der größten der drei Inseln, steht am nördlichen
Ende der Leuchtturm Noksan–Deungdae und am südlichen Ende
der Leuchtturm Geomundo–Deungdae. Auf dieser quasi „Leucht-
turm-Trekkingroute“ liegen die Dörfer Seodo-ri, Byeonchon-ri
und Deokchon-ri. Beim Wandern durch diese von Menschenleben
erfüllten Dörfer sowie entlang der Wege am Meer und durch die
4
Berge geraten alle Kümmernisse des Lebens von alleine in Verges-
senheit.
Auf dem Weg zum Leuchtturm Noksan Deungdae waren hier und
da Felder zu sehen, die mit einer Art von grünen Netzen bedeckt
waren. Ich fragte eine der im Feld arbeitenden Frauen und sie
erklärte, hier würde Haepung-ssuk angebaut, eine Beifußart, die
im Seewind wächst. Diese regionale Beifuß-Spezialität hat dank
des frischen Seewinds einen klaren und intensiven Duft. Der Bei-
fuß wird von den Inselbewohnern als Suppenzutat verwendet oder
getrocknet als Tee aufgebrüht.
Kurz bevor ich auf den Leuchtturm kletterte, sah ich im Meeres-
park die Statue einer Meerjungfrau. Die „Shinjikki“ oder auch.
„Shinjikke“ genannte Meerjungfrau von Geomun-do hat der Legen-
de nach helle Haut und lange, glatte schwarze Haare. Sie taucht in
mondhellen Nächten oder bei Tagesanbruch auf, wirft Steine auf
die Klippen oder macht Geräusche, um die Fischer vor Felsenriffen
zu warnen oder vor Taifunen zu bewahren. Es scheint nur selbst-
verständlich, dass es auf einer so weit vom Festland entfernten
Insel eine Legende mit einer schönen Meerjungfrau gibt.
Der koreanische Schriftsteller Han Chang-hoon, der auf Geonmun-
do geboren ist und seine Kindheit dort verbrachte, beschreibt in
seinem Buch Auch das Meer schaut manchmal in den Schatten
5
52 KOREANA Frühjahr 2015
der Inseln hinein in warmen Tönen Szenen aus längst vergange-
nen Tagen und begeistert den Leser mit der Gespenstergeschich-
te eines Freundes: In einer pechschwarzen Nacht ging besagter
Freund zum Angeln am steinigen Hang der Bucht in der Mitte der
Insel. Beim Angeln zog plötzlich etwas stark an der Schnur. Als er
die Schnur hochrollte, um zu sehen, was angebissen hatte, fand er
eine Frau vor sich am Angelhaken hängen, die ihn anstarrte. Die
Frau kam näher und stürzte sich auf ihn. Er kämpfte auf Leben und
Tod mit diesem Wassergeist, der unglaubliche Kraft besaß. Han
schreibt in seinem Buch, dass er die Geschichte voll und ganz glau-
be, sein Freund sei ein einfacher Mensch ohne große Schulbildung,
der in seinem Leben nie eine Lüge über die Lippen gebracht habe.
Wenn die Legende von der Meerjungfrau Shinjikki eine Geschichte
voll lieblich-reizender Lebensträume ist, so ist die Geschichte von
dem Wassergeist in weißer Trauerkleidung, der am Angelhaken
aus dem Wasser hochgezogen wird, eine Geschichte, die vom Leid
im realen Leben erzählt.
Der Weg, der an der „Klippe mit dem Drachenmuster” und dem
„Felsen der Unsterblichen” vorbei zum Leuchtturm Geomundo-
Deungdae führt, ist wohl der Höhepunkt meiner Trekkingroute. Am
Ende dieses Weges, der mit Blick aufs Meer die Klippen entlang
verläuft, schließt sich der Weg durch den Kamelienbaum-Wald an.
Dieser Waldweg gleicht einer Höhle oder aber auch einem Tunnel.
Einige bezeichnen ihn auch als „Weg der Liebenden”. Allein schon
die Vorstellung, dass zwei Verliebte Händchen haltend zwischen
den Kamelien spazieren, erfüllt mich mit Freude. Der Pfad erstrahlt
im rötlichen Glanz gefallener Kamelienblüten und im Zwitschern
der durch den Wald fliegenden Vögel. Der Leuchtturm am Ende
des Weges ist doch ein direkt bezauberndes Symbol! Er erhellt
das dunkle Nachtmeer. Und die Schiffe, die vom Kurs abgekom-
men sind, korrigieren ihren Kurs danach. Der 1905 fertig gestellte
Leuchtturm Geomundo–Deungdae ist mittlerweile im Ruhestand
und steht nur noch friedlich da. Er wurde abgelöst von dem neuen,
33m hohen Leuchtturm direkt daneben, der 2006 gebaut wurde.
Alle 15 Sekunden blitzt das Leuchtfeuer auf und die Signale sollen
noch in 42km Entfernung auf dem Meer zu sehen sein.
Brausen der Wellen wie Wiegenlieder der Mutter Als die Sonne unterging, suchte ich mir für eine Nacht eine Unter-
kunft in einer kleinen Pension am Kai. Wenn es um die Wahl der
Unterkunft geht, gibt es für mich ein einziges absolutes Muss: ein
Fenster zum Meer. Es ist egal, ob es groß oder klein oder wie klar
die Sicht nach draußen ist. Es reicht völlig, wenn es ein aufs Meer
hinaus gehendes Fenster in der Wand gibt. In einem Küstendorf
möchte ich unbedingt in einem solchen Haus übernachten, denn ich
möchte das Brausen der Wellen hören. Egal, ob Tag oder Nacht, ob
Frühling, Sommer, Herbst oder Winter, selbst bei klirrender Kälte
lasse ich das Fenster offen und lausche beim Einschlafen dem
Klang der Wellen. Zum Glück sind alle koreanischen Unterkünfte
mit Ondol-Fußbodenheizung ausgestattet, sodass das recht prob-
lemlos geht. Für mich klingt das Geräusch der Wellen bei Nacht wie
das Wiegenlied meiner Mutter. Der Wellengesang bringt mir dieses
Wiegenlied, das wie die DNA in meinem Körper nistet, wieder ins
Gedächtnis und weckt schöne Erinnerungen daran, wie meine Mut-
ter mich in ihrem Schoß wiegte und dabei mit sanfter Stimme sang.
Das wird wohl allen so gehen. Menschen, die sich an Wiegenlieder
erinnern, sind Menschen, die ihre Träume lange zu lieben wissen.
Und Geomun-do, eine Welt, in der solche Menschen versammelt
sind, wird noch lange, lange Zeit ein warmes und friedliches Fleck-
chen Erde bleiben.
1. Die inneren Gewässer von Geomun-do werden von den drei umgebenden Inseln vor Wind und hohem Wellengang geschützt, weshalb das Wasser friedlich und ruhig ist.
2 . Geomun-do ist eine kleine Insel mit rund 1.400 Einwohnern (590 Haushalte). Es ist herzerwärmend zu sehen, wie die Dorfleute fremde Besucher mit freundlichem Lächeln begrüßen.1
2
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 53
SeoulYongsan Station
KimpoInternational
Airport SeoulYongsan Station
KimpoInternational
Airport
Yeosu PassengerTerminal
Yeosu
Geomundo
Jejudo
SeoulYongsan Station
GimpoInternational
Airport
Yeosu Airport Yeosu EXPO StationYeosu
Geomundo
Jejudo
Yeosu Costal Ferry Terminal > Geomun-doVom Yeosu Passagierfähren-Terminal legen 2 Mal am Tag Fähren nach Geomun-do ab: 7:40 Uhr und 13:10 Uhr. Rückfahrten nach Yeosu sind um 10:30 Uhr und 15:50 Uhr mög-lich. Die Fahrtzeit beträgt jeweils 1 Std. 26 Min. Ein Hin- und Rückfahrtticket kostet 72.200 KRW. Je nach Wetterlage kann die Abfahrtszeit variieren. Daher sollte man sich rechtzeitig beim Yeosu Costal Ferry Terminal (Tel. 1666-0920) erkundigen. Die Homepage der Stadt Yeosu (ystour.kr) bietet allgemeine Informationen in Englisch, Chinesisch, Japa-nisch und Französisch.
Seoul > YeosuAuto/Bus Die Fahrtzeit von Seoul nach Yeosu mit dem Auto beträgt ca. 4 Stunden. Mit dem Expressbus vom Central City Termi-nal in Banpo-dong dauert es ca. 4 Std. 15 Min. Ab 5:30 Uhr fahren alle 30 Minuten Busse (hticket.co.kr). Preise: Regulärer Bus 20.700 KRW, Premiumbus 30.800 KRW.KTX Der KTX-Hochgeschwindigkeitszug verkehrt etwa im Zweistundentakt 9 Mal pro Tag zwischen dem Bahnhof Yongsan und der Station Yeosu Expo. Die Fahrtdauer beträgt ca. 3 Std. 40 Min. Weitere Details finden Sie auf der Webseite der Korea Railroad Corporation (korail.com).Flug Korean Air (koreanair.com) und Asi-ana Airlines (flyasiana.com) bieten jeweils 3 bis 4 Flüge pro Tag von Gimpo nach Yeosu an. Die Preise variieren je nach Wochentag. Rechtzeitige Reservierung wird empfohlen.
Es war eine Fügung des Glücks, dass ich im Gemeindehaus von Geonmun-ri auf die Dorfband traf. Die 2014 von den Dorfbewohnern gegründete Band heißt „Deungdae (Leuchtturm)“. Sie hatte zwar noch keinen offiziellen Auftritt, aber die Leidenschaft, mit der die Band probt, kann sich mit der etablierter Bands messen. Das Schöne an dieser Band ist, dass alle 13 Mitglieder Dorfbewohner sind, die tagsüber ihren jeweiligen Berufen nachgehen, um sich dann abends zum Proben zu versammeln.K ist der Bandleader und spielt Schlagzeug. Als Architekt und Designer baut er Gebäude auf Geomun-do und kümmert sich um die Innenausstattung. Schon als Mittelschüler wollte er Schlagzeug spielen und jetzt hat er endlich seinen Traum erfüllt. P ist der Leadsänger und mit 41 der Benjamin der Band. Tagsüber fährt er eins der beiden Insel-Taxis. Er schmetterte Lieder wie Let’s Go On a Trip von Cho Yong-pil oder Ra-gu-yo von Kang San-ae. Y betreibt eine Pension und spielt Bassgitarre. Nach mehreren Geschäftspleiten auf dem Festland litt er unter schweren Depressionen, aber nach drei Jahren auf Geomun-do fühlt er sich wieder gesund. Dass er das Leben wieder als lebenswert empfinden kann, ist vielleicht ein Geschenk von Wind, Sonne und Wellengesang. Js Saxophonspiel war fantastisch. Hier fließen die Erfahrungen von 32 Jahren Berufssoldaten-Dasein ein.Meine Plauderei mit dem Gitarristen T war herzerwärmend. Er arbeitet eigentlich bei einer Firma in Yeosu und war nur auf einem Kurzbesuch in seinem Heimatdorf. Ich schreibe hier nieder, was er mir erzählte: Vor 26 Jahren, als er seinen Militärdienst leistete, schickte seine Mutter ihm einen Brief mit einem Gedicht. Dieses Gedicht stammte von mir. Er rückversicherte sich mehrmals meines Namens und dann reichten wir einander von den jeweils entgegengesetzten Enden der Erinnerung die Hände. In ihrer Schulzeit war seine Mutter an Literatur interessiert gewesen. Oft las sie die ganze Nacht
hindurch Gedichte und eins davon schickte sie an ihren Sohn. Er erzählte, dass seine Mutter, als sie ihm diesen Brief schrieb, ein Jahr jünger als er selbst jetzt war, gewesen sei. An dem Abend öffnete ich das Fenster in meiner Pension sperrangelweit und legte mich hin. Das Rauschen der Wellen drang leise wie das Wiegenlied meiner Mutter ans Ohr. Der Gedanke an das Treffen mit Ts Mutter am nächsten Tag hielt mich wach. Über vierzig Jahre lang hatte ich Gedichte geschrieben. Der Wunsch, dass meine Gedichte für den Leser ein Löffel Nahrung für die Seele sein möge, war immer noch da, aber auf die Frage, welches meiner Gedichte für mich diese Qualität hätte, müsste ich eine Antwort schuldig bleiben. Morgen würde ich sie fragen, welches Gedicht sie an ihren Sohn geschickt hatte. Der Gedanke, dass vielleicht eins meiner Gedichte einem Menschen in Herzensnot geholfen haben könnte, ließen die letzten vierzig Jahre nicht als eitel vergeudete Zeit erscheinen. Ich fuhr mit dem Schiff nach Seo-do und rief Ts Mutter an. „Ich bin Gwak Jae-gu, der Gedichte schreibt. Ich möchte Sie sehen.“ Ich legte mein ganzes Herz in meine Worte. Dann hörte ich ihre Stimme: „Ich bin jetzt eine alte Großmutter. Als ich jung war, mochte ich Gedichte. Jetzt verbringe ich meine Zeit damit, Beifuß auf den Feldern und Seetang im Meer zu ernten. Ich bin zu alt und schäme mich zu sehr, um Sie zu treffen.“ Ich konnte Ts Mutter an dem Tag nicht treffen. Es schien mir besser, mich ihren Worten zu beugen. Verweht war zwar der Traum, ein Gedicht zu erhalten, das Balsam für die Seele eines anderen gewesen war, aber mir wurde doch ganz warm ums Herz bei dem Gedanken an das Leben einer Frau, die in jungen Jahren Gedichte las und in hohem Alter Beifuß pflückt. Auf dem Weg zurück nach Yeosu stand ich am Bug und schaute mit winkender Hand in Richtung Seo-do. In zehn Jahren werde ich in ihrem Alter sein. Dann möchte ich noch einmal nach Geomun-do kommen und ihre Hände in den meinen halten.
Die Amateurband Deungdae und eine Mutter, die Gedichte liebt
Wie man auf die schöne Insel Geomun-do kommt
Flugzeug KTX Auto/Bus
Fährverbindung
54 KOREANA Frühjahr 2015
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Während in Korea die Erforschung
der Malerei der Joseon-Zeit (1392-
1910) für die kunsthistorische For-
schung als solche als fruchtbares Terrain
gedient hat, wurde sie im Westen weitgehend
vernachlässigt. Die Kluft zwischen koreani-
scher Forschung und westlichem Kenntnis-
stand versucht Pathways to Korean Culture
zu überbrücken. 500 Jahre abzudecken ist
selbst in einem fast 400 Seiten starken Werk
nicht einfach. Daher gibt die Autorin keinen
umfassenden Überblick über die gesamte
Joseon-Zeit, sondern präsentiert Pfade im
Sinne von Fallbeispielen, die als Ausgangs-
punkte für weitere Forschungen dienen kön-
nen. Entsprechend kann einigen Bereichen
nicht die ihnen gebührende Aufmerksamkeit
gewidmet werden, die jeweils behandelten
Themen werden vielmehr in ihren jeweiligen
soziokulturellen Kontext eingebettet erörtert
und nicht als unabhängige Erscheinungen.
Das ist zwar eine Kompromisslösung, aber
eine gelungene.
Die Autorin räumt die Herausforderungen
ein: Verlust vieler Joseon-Malereien aus
der Zeit vor dem 17. Jh, Mangel an Debatten
über die erhaltenen Werke, unterschiedliche Romanisierungssyste-
me usw. Jungmann hat sich bemüht, diese Schwierigkeiten zu über-
winden bzw. in problematischen Fällen die damit verbundenen Impli-
kationen nicht aus den Augen zu verlieren.
Methodisch behandelt Pathways die Thematik unter zwei Prinzipien:
Es stellt das Konzept „Einfluss“ in Frage und bietet als Alternative
das von Stuart Hall eingeführte Konzept „kulturelle Übersetzung“.
Während bisher viele davon ausgegangen sind, dass die chinesische
Kunst die koreanische ihre ganze Geschichte hindurch beeinflusste,
ist diese Sicht für Jungmann nicht haltbar: Sie spricht von Inspiration
und Interpretation und fokussiert auf die Adapationsweise einzelner
Elemente. Hauptunterschied ist, dass das „Einfluss-Konzept“ Kunst-
geschichte eine hierarchisierende Betrachtung überstülpt, die beim
Konzept der„kulturellen Übersetzung“ fehlt.
Pathways gliedert sich in drei Teile. Der erste umfasst die frühe
Joseon-Zeit vom 15. bis späten 17. Jh. Hier geht es um chinesische
Traditionen und ihre Interpretation durch Künstler der frühen Jo-
seon-Zeit, die Ästhetik der Literati im 15. Jh und die Rolle von Frauen
als Produzentinnen und Konsumentinnen/Mäzeninnen von Kunst.
Teil 2 und 3 widmen sich dem 18. und 19. Jh und thematisieren Fra-
gen wie Wandel im Landschaftsgemäldestil, Erkundung neuer
Trends, Arbeiten von Profimalern außerhalb der Literati-Kreise
sowie Beziehung zwischen hof- und Volksmalerei.
Gedruckt auf schweres, glänzendes Papier und illustriert mit über
hundert großformatigen Farbreproduktionen ist Pathways zudem in
Bezug auf Material und Optik ein Schmaus.
Pathways to Korean Culture: Paintings of the Joseon Dynasty, 1392-1910Burglind Jungmann, London: Reaktion Books. 392 Seiten. £40.00
Wertrolle Fallstudien: Bilder aus der Joseon-Zeit
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 55
Das Literature Translation Institute of
Korea, kurz LTI Korea, hat sich in den
letzten zwanzig Jahren für die welt-
weite Bekanntmachung der koreanischen
Literatur eingesetzt. Die Bibliothek des Ins-
tituts, deren Geschichte 2001 als Institutsar-
chiv begann, wurde 2007 offiziell eingerich-
tet und fungiert seitdem als wertvolle Infor-
mationsquelle für alle an der Übersetzung
koreanischer Literatur Interessierten.
Seit 2009 besteht eine Online-Präsenz der
Bibliothek und am 15. Januar 2015 wurde
schließlich die offizielle Webseite eröffnet,
womit ein unschätzbarer Fundus an Infor-
mationen über Übersetzungen koreani-
scher Literatur der Öffentlichkeit zugäng-
lich gemacht wurde. In der Bibliographie
sind über 4000, in 37 Sprachen übersetzte
Buchtitel gelistet. Hinzu kommen Links zu
DVDs, E-Büchern, Videos und Webseiten
sowie Informationen über Events, Presse-
meldungen und Zeitschriftenartikel. Eine
Liste von Autoren, Übersetzern und Verla-
gen gibt Aufschluss über das Who’s Who
in der Welt der Übersetzung koreanischer
Literatur.
Der größte Pluspunkt der Webseite liegt darin, eine Unzahl von
Einzelinformationen zur Verfügung zu stellen und darüber hinaus
noch die Verbindungen zwischen diesen Informationen aufzuzei-
gen. Sucht man z.B. in der Autorenliste einen bestimmten Autor,
erhält man nicht nur biographische Informationen zur Person,
sondern auch Links zu Übersetzungen seiner Werke, diesbezügli-
che Events, Berichte über sein Werk oder andere relevante Infor-
mationen.
Die Datenbasis der romanisierten Namen, die die unterschiedli-
chen Transkriptionen der Autorennamen und Vorschläge für eine
Standardisierung enthält, erscheint angesichts des Mangels an
Einheitlichkeit in der Romanisierung von Autorennamen beson-
ders nützlich. Obwohl laut Webseite die Datenbank im Dezember
2014 hochgeladen wurde, scheint sie noch nicht direkt zugänglich
zu sein, weshalb die Suche in der Autorenliste eine exakte Ent-
sprechung zur bevorzugten oder empfohlenen Romanisierung
verlangt.
Abgesehen von diesem kleinen Mangel, um dessen Abhilfe man
sich hoffentlich bald bemühen wird, dürfte die Webseite der LTI-
Bibliothek ein nützliches Instrument für jeden sein, der sich mit
dem wachsenden Pool von Informationen über übersetzte korea-
nische Literatur beschäftigen möchte.
Online-Archiv der Übersetzungen der koreanischen LiteraturDie Bibliothek des LTI Koreahttp://library.klti.or.kr
56 KOREANA Frühjahr 2015
Es ist weit bekannt, dass der weltberühmte britische Schauspie-
ler und Filmregisseur Charlie Chaplin es beim Charlie Chaplin
Look-Alike Contest nur auf Platz 3 schaffte. Aber es ist schwer,
Aufzeichnungen über den Erst- und den Zweitplatzierten zu finden,
vielleicht, weil die Imitation nur als ein Schatten des Originals ange-
sehen wurde. Hidden Singer, ein Kabel-Fernsehprogramm, das sich
mit einer beispiellosen Einschaltquote von 4 bis 5% hoher Beliebtheit
erfreut, räumt mit solchen Vorurteilen auf.
Wettbewerb zwischen Original-Interpret und Imitator Die Regeln sind simpel: Ein berühmter Sänger und einige hervorran-
gende Imitatoren singen, hinter einem Vorhang versteckt, abwech-
selnd einige Verse eines ausgewählten Liedes des Stars. Nach der
Gesangsdarbietung drückt eine Jury von einhundert Personen jeweils
die Nummer des Teilnehmers, der dem Original-Interpreten am
wenigsten nahe kommt. Nach der Bewertung hebt sich der Vorhang
und es wird festgestellt, wer mit wie vielen Stimmen durchgefallen ist.
Auf diese Weise scheidet in jeder Runde ein Kandidat aus und der Sie-
ger der Endrunde, in der die letzten zwei Sänger gegeneinander antre-
ten, erhält ein Preisgeld von umgerechnet rund 8.000 Euro. Bis hierhin
scheint es sich um einen normalen Imitations-Gesangcontest im Sur-
vival-Format zu handeln. Aber der kreative springende Punkt bei Hid-
den Singer ist, dass sich auch der Sänger dem Wettbewerb stellt. D.h.
bei diesem Contest-System kann der ursprüngliche Interpret durch-
fallen, wenn er auf einen Imitator trifft, der besser als er ist.
Dieses neue Umkehr-Konzept sorgte für enthusiastische Reaktio-
nen. Als 2012 Jahresend-Pilotprogramme mit der berühmten korea-
nischen Sängerin Lena Park und danach mit dem Rockmusiker Kim
Kyung-ho ausgestrahlt wurden, folgte eine prompte Zuschauerre-
aktion. Und als dann drei Monate später Hidden Singer als reguläres
Programm mit dem koreanischen Balladensänger Sung Si-kyung
übertragen wurde, kletterte die Einschaltquote auf 2%, was damals
für einen Kabelsender mit Genre-übergreifenden Programminhal-
ten wie Serien, Allgemeinbildung, Unterhaltung und Sport, der nor-
malerweise nicht über die 1%-Quote hinauskommt, ein bemerkens-
werter Erfolg war.
Imitator gewinnt gegen Original-InterpretBei Programmstart war der unterhaltsame Faktor relativ eindeutig:
Nirgendwo sonst konnte man miterleben, dass ein Sänger, der sich
selbstverständlich für spitze hält, wegen der Imitationskunst eines
Herausforderers, der „echter als das Original“ klingt, ins Schwitzen
gerät. Insbesondere in der Folge mit dem Rockmusiker Kim Kyung-
ho beeindruckte der Kandidat Won Kill mit einer so perfekten hohen
Tonlage, dass selbst der Profi Kim perplex war. Zudem versetzte
bei der Folge mit dem Sänger Lee Moon-sae ein Imitator die Jury in
Erstaunen, da nicht nur seine Gesangsimitation, sondern auch seine
Sprechstimme kaum von der des echten Interpreten zu unterschei-
den war. Die Möglichkeit, dass im Wettbewerb mit den Imitatoren
auch der Star durchfallen könnte, machte nicht nur die Sänger ner-
ENTERTAINMENT
Im November 2014 sorgte der Survival-Gesangscontest Hidden Singer des koreanischen Kabelsenders JTBC durch den Verkauf der Programmformat-Publikationsrechte an das US-Medienunternehmen NBC Universal für einige Furore. Davor hatte bereits der koreanische öffentlich-rechtliche Sender MBC die Format-Rechte seines TV-Programms Dad, Where are We Going? an China verkauft, wo es unter dem Titel „爸爸去哪儿 (Where are We Going, Dad!)“ ausgestrahlt wurde. Des Weiteren wurde das Sendeformat von Better Late than Never von tvN als erstes koreanisches Unterhaltungsprogramm an das amerikanische Hörfunk- und Fernseh-Network NBC verkauft. Aber wie im Fall von Superstar K von Mnet, das viele Elemente des FOX-Programms American Idol übernommen hat, und The Voice of Korea, dessen Format ursprünglich auf den niederländischen englischsprachigen Gesangswettbewerb The Voice of Holland zurückgeht, war die vorrherrschende Meinung, dass das Survival-Gesangscontest-Konzept ursprünglich aus dem im weiteren Sinne englischsprachigen Raum stammt. Aus diesem Grund kann der Export von Hidden Singer in die USA als bahnbrechend für Korea betrachtet werden.
Hidden Singer Stimmimitatoren und ihre Passion - Songs in neuem Gewand Wee Geun-woo
Journalist, Webmagazin IZE
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 57
vös, sondern auch die Zuschauer. In den meisten Fällen schafften es
die Profis trotz der kritischen Momente, in denen der Ausgang auf
der Kippe stand, dann doch noch mit knapper Not ins Finale und die
Zuschauer verfolgten Woche für Woche gebannt die Endrunde.
Was die im September 2013 gestartete zweite Staffel dann beson-
ders beeindruckend machte, war, dass das bis dahin normale Mus-
ter, nach dem der Star letztendlich dann doch gewann, durchbrochen
wurde. Genau das passierte in der Folge mit dem Sänger Shin Seung-
hun, der unter den bis dahin aufgetretenen Stars in puncto Bekannt-
heitsgrad, Alben-Verkaufszahlen usw. zu den Besten gehörte. Der
Wettkampf fokussierte hauptsächlich auf Shins Hits aus seiner Blü-
tezeit in den 1990ern, was für die Imitatoren Wettbewerbsvorteile mit
sich brachte, da sich Shins Stimme im Laufe der Zeit verändert hatte.
Dennoch kam das Ergebnis als Schock. Und noch bevor sich dieser
Schock gelegt hatte, erlitt der Balladensänger Jo Sung-mo gleich in
der nächsten Folge eine Niederlage, und zwar nicht einmal im Finale,
sondern bereits in der zweiten von insgesamt vier Runden.
Songs erwecken Erinnerungen und EmotionenDer Grund dafür, dass Hidden Singer über Generationen hinweg bis
Staffel 3 an Popularität und Zustimmung gewinnen konnte, liegt letz-
ten Endes darin, dass es über den reinen Kampf um Platzierungen
hinaus gelang, durch die Songs an sich eine emotionale Bindung zwi-
schen Sängern, Imitatoren, Jury und Zuschauern herzustellen. Die
meisten der Stimmenimitatoren waren Fans, die den jeweiligen Inter-
preten bewunderten, seine Songs liebten und sich deswegen im Nach-
singen übten. Die Teilnehmer der ersten Folge der zweiten Staffel mit
dem Sänger Lim Chang-jung waren gar den Tränen nah, als sie sich
gemeinsam an die Zeit seines Rücktritts als Sänger erinnerten. Auch
diejenigen, die mit seinen Hits aufgewachsen waren, konnten, ein-
getaucht in die Stimmung einer Zeitreise in die Vergangenheit, sich
bestens unterhaltend mitsingen, als Lim gemeinsam mit den Imita-
toren sang. Der leitende Produzent, Regisseur Jo Seung-uk, erklärt
ebenfalls, dass die emotionale Bindung, die unabhängig vom Ergebnis
zwischen Sängern und Teilnehmern entsteht, das eigentliche Thema
dieses Programms sei: „Eigentlich dachte ich am Anfang, dass es ein
unterhaltsames und interessantes Spiel sein wird, wenn der echte
Sänger und die Stimmimitatoren mit verdeckten Gesichtern singen.
Aber während der Vorrunden und der Aufnahmen wurde mir klar, dass
die Teilnehmer nicht nur gesangstechnische Imitationstalente waren,
sondern dass sie sich auch viel Mühe gaben, um einen bestimmten
Sänger und dessen Lieder möglichst haargenau nachzuahmen, weil sie
ihn und seine Songs so sehr mochten. Ich habe bei ihnen eine Fan-Lie-
be entdeckt, die über das normale Maß hinausging.“
Genau deshalb könnte Hidden Singer aber auch an Grenzen stoßen:
Es gibt zwar unzählig viele Sänger, aber nur wenige, deren Popula-
rität eine Generationskluft von zehn Jahren überdauert hat und die
viele Hits landen konnten. Die Sänger von solch legendärem Niveau
sind größtenteils bereits in der Sendung aufgetreten, so dass nur
noch wenige übrig bleiben, und auch das Casting ist nicht einfach.
Wird Hidden Singer diese grundlegenden Beschränkungen überwin-
den und noch einmal eine erfolgreiche Staffel präsentieren können?
Die Antwort darauf gibt wohl folgende Erklärung von Regisseur Jo
Seung-uk: „In unserem Programm gibt es neben Sänger und Imita-
toren einen weiteren ‚Hauptdarsteller‘: den Song. Wird ein Song zum
ersten Mal präsentiert, gehört er ausschließlich dem Interpreten,
aber mit der Zeit bekommt er eine neue Bedeutung und verändert
sich wie ein lebendiges Wesen. Er wird erneut aufgenommen oder
von neuen Zuschauern neu interpretiert. Deswegen freue ich mich
sehr, wenn ich höre, dass die Zuschauer nach unserer Sendung zu
Hause die alten CDs wieder herauskramen und sich anhören.“
Der Grund dafür, dass Hidden Singer über Generationen hinweg an Popularität und Zustimmung gewinnen konnte, liegt letzten Endes darin, dass es über den reinen Kampf um Platzierungen hinaus gelang, durch die Songs an sich eine emotionale Bindung zwischen Sängern, Imitatoren, Jury und Zuschauern herzustellen.
Der Wettstreit zwischen dem Star und den Imitatoren in Hidden Singer sorgt für Festival-Stimmung, egal, wer gewinnt oder verliert.
58 KOREANA Frühjahr 2015
GOURMETFREUDEN
Gimbap Park Chan-il Koch, Kolumnist
Fotos Lim Hark-hyoun
A ls ich klein war, ließ meine Mutter mich oft
Besorgungen machen. Vielleicht bin ich
ja deshalb Koch geworden, weil ich als
Kind öfters Lebensmittel für sie einkaufen muss-
te: Das Kochen beginnt mit Überlegungen, wel-
che Zutaten man braucht, was gute Zutaten kenn-
zeichnet, ob der Preis stimmt usw. Meine Boten-
gänge waren gute Übungen dafür. Wenn ich Gim holen
sollte, war ich in Hochstimmung. In der Vorfreude, am nächsten
Tag Gimbap essen zu können, besorgte ich Spinat, Karotten, Dan-
muji (eingelegter Rettich), Eomuk (eine Art Fischkäse, jap. Kama-
boko) Würstchen und zwei Cheop (Packung mit 10 Gim-Blättern)
Gim. Auf dem Nachhauseweg riss ich manchmal von den Ecken
der Gim-Blätter Stückchen ab und aß sie genussvoll. Damals,
als getrocknete Seetangblätter noch wertvoll und teuer waren,
schmeckte Gim mir auch pur nur zu gut. Sobald die Seetang-
Stückchen in meinen verschwitzten Fingern in Mundnähe kamen,
konnte ich den intensiven Meeresgeruch riechen.
Das beste Lunchbox-Essen für SchulausflügeAn Schulausflugtagen begann Mutter frühmorgens mit der Gim-
bap-Zubereitung, indem sie Reis aufsetzte. Dabei gab sie sich
besondere Mühe: Sind die Körner zu weich, verliert die Gimbap-
Rolle ihre Form, sind sie zu hart, kleben sie nicht ordentlich anei-
nander. Abgeschmeckt mit Salz und mit etwas Essig vor dem
Schlechtwerden im Laufe des Ausflugstages bewahrt, konnte es
danach an die Füllung gehen. Mutter war dann schon seit vier oder
fünf Uhr früh auf den Beinen. Wenn der aromatische Duft der zu
dünnen Pfannkuchen verarbeiteten geschlagenen Eier, die in der
Pfanne brutzelten, und von Spinat und Karrottenstreifen, die kurz
in der Pfanne gerührt wurden, uns Kinder weckte, standen wir auf,
um Mutter beim Gimbap-Machen zuzuschauen.
Der Höhepunkt war das Rollen: Auf eine speziel-
le Bambusmatte wird ein Blatt Gim gelegt, auf
dem dann der gewürzte Reis gleichmäßig verteilt
wird. Darauf kommen in die Mitte die Füllzutaten.
Anschließend wird das Ganze eingerollt, wobei eine
gleichmäßige und angemessene Druckstärke - nicht
zu stark und nicht zu schwach - entscheidend ist. Auch
das Schneiden ist nicht so einfach. Ist man nicht vorsichtig genug,
kann das Gim-Blatt reißen und dazu führen, dass „die Gimbap-
Rolle an der Seite platzt“. Diese Wendung benutzen die Koreaner
auch scherzhaft, um auszudrücken, dass unerwartet geschehene
Dinge sie völlig von den Socken hauen, d.h. das Platzen der Rolle
war eine entsprechend ernst zu nehmende Angelegenheit. Damit
das nicht passiert, ist auch beim Schneiden Vorsicht angesagt. Man
schneidet die Rolle mit einem Küchenmesser mit gut geschärfter
Stahlschneide, die zwischendurch mit Wasser befeuchtet wird, in
kleine Stücke. Meine Mutter, eine freigebige Natur, schnitt die Rolle
immer in so großzügige Stücke, das keins auf einen Happs in den
Mund passen wollte.
Am wenigsten mundete Gimbap, wenn der Ausflug wegen Regen
ins Wasser fiel und wir die Röllchen in der Aula oder dem Klassen-
zimmer essen mussten. Da fehlten einfach der Duft des Grases
und die warme Maisonne.
Gimbap in allen Geschmacksrichtungen und FormenLaut Wörterbuch ist Gimbap „ein Gericht, bei dem Zutaten wie
Reis und Gemüse in ein Seetangblatt eingerollt werden“. Je nach
Füllzutaten wie z.B. Kimchi, Thunfisch, Käse, Anchovis, Jangajji
(in Soße oder Paste eingelegte Gemüse) usw. ergeben sich unter-
schiedliche Geschmacksnoten. Heutzutage kommt Gimbap auch
Von Gimbap („gim“: Seetang, „bap“: Reis) à la Mama aus den Kindheitserinnerungen, den man für Schulausflüge einpackte, über den Ein-Euro-Gimbap, der für viele mit schmaler Haushaltskasse als Mahlzeit dient, bis hin zum Luxus-Gimbap, der im Zuge des Wellness-Hypes teuer verkauft wird: Erfahren Sie mehr über diesen koreanischen Lieblingsimbiss und seine Geschichte.
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 59
Gimbap ist ein Gericht, für das Reis, Gemüse usw. in ein Blatt getrockneten Purpurtang (Gim) gerollt werden. Je nach Füllung wie Kimchi, Dosenthunfisch, Käse, Anschovis, eingelegtem Gemüse usw. schmeckt Gimbap anders.
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1. Es macht Spaß, bei der Gimbap-Zubereitung zuzuschauen. Besonders interessant und nicht zuletzt Appetit anregend ist zu sehen, wie der Gimbap mit der Bambusmatte gerollt wird, nachdem Reis und verschiedenfarbige Füllungen auf dem Gim-Blatt arrangiert wurden.
2. Der neue Luxus-Gimbap, der mit dem Stereotyp „Gimbap=Armeleutegericht“ aufräumt, und in verschiedenen Geschmacksvarianten in ansprechendem Ambiente serviert wird, gewinnt unter den jungen Leuten immer mehr an Beliebtheit.
in unterschiedlichen Formen und Größen daher: als Samgak-Gim-
bap (Dreieck-Gimbap), Mini-Gimbap für Kleinkinder-Münder oder
„nacktes“ Gimbap, bei dem die Füllung mit Gim umwickelt und
die Reishülle darauf gepappt wird. Dazu gibt es noch landesweit
beliebte regionale Gimbap-Spezialitäten: Repräsentativstes Bei-
spiel ist Chungmu-Gimbap, eine Spezialität aus Chumgmu (heute:
Tongyeong), Provinz Gyeongsangnam-do, bei dem der ungewürz-
te Reis in Gim gewickelt wird und mit scharfen Beilagen wie z.B.
Ggakdugi (würfelförmiger Rettich-Gimchi) oder gewürztem Tin-
tenfisch serviert wird. Es heißt, dass diese Variante für Seeleute
erfunden wurde, denen es an Zeit und haltbaren Zutaten für auf-
wändigere Gerichte und Mahlzeiten fehlte.
Seit wann essen die Koreaner Gimbap? Ob Gimbap aus Japan nach
Korea kam oder es eine ursprünglich koreanische Spezialität aus
alter Zeit ist — darüber wird immer noch heiß diskutiert. Man-
che behaupten, dass das japanische Maki-Sushi oder Futomaki-
Suhi während der japanischen Kolonialherrschaft (1910-1945) oder
schon mit der Öffnung der Häfen Ende des 19. Jhs nach Korea
kam, andere kontern, es sei doch nur natürlich, dass die Koreaner,
die schon seit jeher Gim gegessen haben, Reis in getrocknete See-
tangblätter eingewickelt verzehren.
Dr. Jeong Mun-gi, der als erster in Korea in Fischereiwissenschaft
promovierte, schrieb in Fischereierzeugnisse der Joseon-Zeit,
dass die Geschichte des Gim in Korea 200 Jahre zurückreicht, als
man an den Bangnyeom (reusenartige Fischfang-Vorrichtungen)
im Meer vor der Insel Wan-do, Provinz Jeollanam-do, Seetang
fand, der dann zum Verzehr in Meeresfarmen angebaut wurde.
Hiermit wird betont, dass unabhängig von der Frage, welches
Land nun Urheimat des Gimbap sein mag, die Gim-Zucht eigen-
ständig in Korea entwickelt wurde. Gim findet aber noch früher
Erwähnung: In einem Gedenk-Monument aus den 1640er Jahren,
das für den Seonbi-Gelehrten Kim Yeo-ik in Gwangyang, Provinz
Jeollanam-do, errichtet wurde, ist zu lesen, dass Kim „während
der Zweiten Mandschu-Invasion 1636 als Milizsoldat diente und zur
Zeit von König Injo (reg. 1623-1649) Gim züchtete und so zum Wohl-
ergehen des Dorfes beitrug“. Auch in Der Geographie der Provinz
Gyeongsang-do aus der Zeit von König Sejong (reg. 1418-1450)
und im Dongguk yeoji seungnam (Geographischer Überblick über
Korea) aus der Zeit von König Seongjong (reg. 1469-1494), wird Gim
erwähnt. Beide Belege weisen darauf hin, dass Gim bereits lange
bevor er gezüchtet wurde, bei den Koreanern ein beliebtes, aus
dem Meer gewonnenes Nahrungsmittel war.
Ob Gimbap aus Japan nach Korea kam oder es eine ursprünglich koreanische Spezialität aus alter Zeit ist – darüber wird immer noch heiß diskutiert. Manche behaupten, dass das japanische Maki-Sushi oder Futomaki-Suhi während der japanischen Kolonialherrschaft (1910-1945) oder schon mit der Öffnung der Häfen Ende des 19. Jhs nach Korea kam, andere kontern, es sei doch nur natürlich, dass die Koreaner, die schon seit jeher Gim gegessen haben, Reis in getrocknete Seetangblätter eingewickelt verzehren.
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KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 61
2
Im Kreis Hadong-gun, Provinz Gyeongsangnam-do, wird folgende
berühmte, seit alter Zeit tradierte Geschichte über die Gim-Züch-
tung erzählt: Vor ca. 300 Jahren fand eine alte Muschelsammle-
rin an der Stelle, wo der Fluss Seomjin-gang ins Südmeer fließt,
ein von Seetang bedecktes Stück Holz. Inspiriert davon befestigte
sie Gim an Bambusstangen, die sie dann ins Meer steckte. Diese
als Stützstangen-Methode bezeichnete Zuchtmethode ist eine der
ältesten ihrer Art.
Billig-Gimbap vs. Luxus-GimbapGimbap, einst ein seltener und geschätzter Imbiss, den es nur zu
besonderen Anlässen wie Schul- oder Familienausflügen gab, ist
heute einer der billigsten und beliebtesten Essen für jedermann
und jeden Tag. Die günstigste Rolle Gimbap ist schon für 1.000
Won, also nicht mal einen Euro, zu haben und kostet damit deutlich
weniger als eine durchschnittliche Mahlzeit. Als Koch beschäfti-
ge ich mich stets mit Zutaten und Preisen, und ich frage mich, wie
bei diesem Preis noch Gewinn zu machen ist. Denn eine Schale
Reis kostet in einem durchschnittlichen Restaurant normalerwei-
se 1.000 Won. Für denselben Preis erhält man in manchen Gim-
bap-Läden aber nicht nur eine gewürzte und gefüllte Gimbap-Rol-
le, sondern auch noch Suppe und Kimchi dazu. Wie auch immer,
fest steht, dass Gimbap für alle, um die es wirtschaftlich schlecht
bestellt ist, ein willkommenes und geschätztes Gericht darstellt.
Im Gegensatz dazu gibt es auch „Luxus-Gimbap“, propagiert als
„Wellness-Essen“ für Gesundheitsbewusste, dessen hoher Preis
mit den gesunden Zutaten gerechtfertigt wird. Manche kritisie-
ren ihn als „Kaiser-Gimbap“ und monieren, dass es sich lediglich
um einen billigen Verkaufstrick handelt, während wieder ande-
re meinen, dass Gimbap nicht unbedingt in der niedrigen Preis-
klasse bleiben müsse. Die Idee, Gimbap vom Image des Kleine-
Leute-Essens zu befreien und in Restaurants mit einem gewissen
Ambiente zu genießen, ist erfrischend. Stellt sich die Frage, wie
viele Menschen wohl bereit sind, 5.000-6.000 Won für eine Rolle
Gimbap auszugeben bzw. sich dies überhaupt leisten können. Es
bleibt abzuwarten, ob dieser Luxus-Gimbap-Trend, geboren aus
dem Misstrauen gegenüber der Qualität des Billig-Gimbaps einer-
seits und dem Verlangen nach einer neuen Art des kulinarischen
Genusses andererseits, sich als kurzlebig erweisen wird, oder
aber in nachhaltiger Erinnerung bleiben wird als ein aufschluss-
reicher Versuch, der die Wertschätzung von Gimbap als einst
nahrhaftes und gesundes Essen erneut bestätigt.
62 KOREANA Frühjahr 2015
REISEN IN DIE KOREANISCHE LITERATUR
Auch die Erzählung Geleitschutz des Lichts ist voll von Ele-
menten der „Langsamheit”, was bereits von Anfang an
deutlich zu erkennen ist. Sie beginnt damit, dass „ICH“ bei
seiner Ankunft auf dem New Yorker Flughafen auf dem Weg zur
Einreisekontrolle kurz stehen bleibt. Der Flughafen voller Men-
schen, von denen jeder in Richtung seines jeweiligen Ziels has-
tet, ist ein symbolträchtiger Raum, der den Alltag des modernen
Städters in konzentrierter Form widerspiegelt. Inmitten all die-
ser „Schnellheit“ hält der Protagonist plötzlich inne und wendet
sich der „Langsamheit“ zu. Auslöser ist der fallende Schnee jen-
seits der Fenster. Der leise vom Himmel rieselnde Schnee, der die
Rollbahnen bedeckt, verkörpert die Langsamheit. ICH bleibt, sich
ans „Largo“ des fallenden Schnees anpassend, kurz stehen, löst
sich in diesem Moment der Langsamheit von der Alltagsgeschäf-
tigkeit und wird mit einer schemenhaften Szene aus Erinnerun-
gen an eine ferne Vergangenheit konfrontiert. Ab hier beginnt die
Erzählung mit dem Prozess, langsam, aber mit unnachgiebiger
Stetigkeit zu den Geheimnissen der Vergangenheit vorzudringen.
Die dem Erzähler in diesem Moment im Ohr erklingende Melodie
aus der Vergangenheit ist ebenfalls von endloser Langsamheit.
Es ist eins dieser Lieder, die man den ganzen Tag einfach so vor
sich hin summt, ohne Titel oder Interpret zu kennen, und das nie-
mand außer einem selbst wahrzunehmen vermag. So ergeht es
auch dem Protagonisten. Die vage Melodie führt ihn „durch lange
Zeiträume hindurch“ in eine weit zurückliegenden Vergangenheit:
zu einem „kleinen, dunklen Zimmer“, einem „schneebedeckten
Schulhof am Sonntag“ oder in ein „von dichtem Medikamenten-
geruch durchdrungenes Krankenzimmer“, und die Schritte, die
der „breiten, langsamen und äußerst gedehnten“ Melodie folgen,
bestimmen den epischen Rhythmus der Erzählung.
Der in „Largo“ begonnene narrative Verlauf zeitigt mittels wohl
durchdachter Andeutungen, geschickter Tempo-Kontrolle der
Auf die Erzählungen von Jo Hae-jin passt das Wort „largo“ sehr gut: „breit und langsam, äußerst gedehnt“. In treffenden Ausdrücken und schlichten Sätzen bar jeder Überflüssigkeiten erzählt die Autorin langsam, aber ohne Stockungen. Sie gehört nicht zu den Schriftstellern, die zu sehr auf neue Stoffe oder Ideen angewiesen sind oder sich gern Humor, Geistreichtum oder Zynismus bedienen. Exakt berechnete „Langsamkeiten“ werden aufgehäuft, um am Ende der Erzählung erfolgreich einen gewichtigen Nachklang der Gefühle zu hinterlassen. In diesem Sinne kann man sagen, dass Jos Erzählungen sich treu an die charakteristische Ästhetik der kurzen Erzählung halten, bei der es Ausschnitte des menschlichen Lebens mit feinem, scharfem Blick zu erfassen gilt.
Der Weg von der Dunkelheit zum Licht Chang Du-yeong Literaturkritiker
REZENSION
KOREANISCHE KULTUR UND KUNST 63
epischen Entwicklung und gut gestrickten Plots ein komplexes
Bedeutungsgeflecht. Der langsame und ruhige, manchmal sogar
Andächtigkeit hervorrufende originäre Grundton der Erzählung
erinnert an eine von Meisterhand Stich für Stich gefertigte Sti-
ckerei. Er verwebt die verschiedenen Einzelprozesse gekonnt zu
einem Ganzen, bei dem die Akkumulation kleiner Einzelhinwei-
se Erstaunen auslöst und die Akkumulation dieser Momente des
Erstaunens wiederum Ansätze zu Einsichten in das Wesen des
Menschen und der menschlichen Zivilisation gebiert.
Erstens, bei dieser Erzählung geht es um den Prozess des Rät-
sellösens. Der Leser beteilligt sich bereitwillig an den Bemühun-
gen des Protagonisten, die Schluchten der Vergessenheit über-
springen zu wollen und sich der Wahrheit der Vergangenheit zu
stellen. Die Hinweise werden einer nach dem anderem angeboten
und ICH betrachtet sie still und lange. „Erst nachdem noch etwas
mehr Zeit verflossen war, kamen diese Hinweise langsam und
Schritt für Schritt zu mir, gleichsam wie Fußspuren, die in gewis-
sen Abständen in den Schnee auf dem Schulhof hineingedrückt
waren.“ Die Melodie jenseits des Gedächtnisses lässt sich nicht
durch einen Willensakt zum Erklingen bringen, sie nähert sich
einem vielmehr von alleine, Stück für Stück und langsam. Des-
halb sagt ICH: „Erst da wurde mir langsam bewusst, dass die-
ses Bild von ihr, das ich an dem Tag auf der Straße gesehen hatte,
schon lange einen Teil meines Inneren besetzt gehalten hatte.“
Zweitens, bei dieser Erzählung geht es um den Prozess, den
Anderen wahrhaftig zu verstehen. Sie zeigt, wie man entfremde-
te und verlassene Mitmenschen ansprechen kann, und die Lich-
terpracht, die sich in diesem Moment entfaltet. Dabei macht der
Gefühlsaustausch zwischen dem ICH und dem Anderen einen
mühsamen und schwerfälligen Prozess des Zögerns durch. Der
Protagonist überlegt sich kurz, auf den anderen zuzugehen und
mit ihm seinen Regenschirm zu teilen, lässt es dann aber, weil er
das wahrscheinlich entstehende Schweigen unter dem Regen-
schirm fürchtet. ICH hält Anteilnahme oder Kommunizieren für
Einmischung und gesteht daher: „Ich wollte nicht unbesonnen am
inneren Drama eines anderen teilhaben“. Dass dieser Prozess
so mühevoll und schleppend ist, zeigt uns, welch tiefe und uner-
schütterliche Aufrichtigkeit eine wahre Kommunikation mit dem
Anderen erfordert.
Drittens, bei dieser Erzählung geht es um den Prozess, aufzu-
zeigen, wie die Größe beschaffen ist, die vom Menschen verlangt
wird. Folgt man der sich mittels feiner Metaphern entwickelnden
Geschichte, stößt man auf die Gestalt des Anderen, der durch unser
Desinteresse von der Welt entfremdet in einem kleinen, dunklen
Zimmer eingesperrt ist. Manchmal geschieht das auf der Ebene
des Individuums, manchmal auf der der Geschichte. Wie dem auch
sein mag, wichtig ist: dem Anderen einen Lichtstrahl zu reichen,
damit er aus dem dunklen, kleinen Zimmer entkommen kann. Men-
schen retten, d.h. einen „Geleitschutz des Lichts“ anzubieten, ist
zwar „das Größte, etwas, das auch nicht jeder kann“, gleichzeitig
aber auch eine menschliche Pflicht, die jeder unternehmen kann
und auch muss – so das leise Plädoyer der Erzählung.
Eine der Hauptfiguren in der Erzählung sagt: „Der Fußabdruck
trägt Licht in sich. Sieht er nicht aus wie ein voll mit Licht belade-
nes Bötchen?“ Tatsächlich gibt es immer und überall Licht in unse-
rer Umgebung. Nur: um dieses Licht zu entdecken, muss man
die Wahrheit wiederherstellen und dem Anderen die Hand rei-
chen. Mut ist gefragt, um das Zögern zu überwinden. Durch solche
Anstrengungen kann ein „kleines Licht“ zu einem „großen Licht“
werden, das den einsamen und entfremdeten Menschen in unse-
rer Umgebung Geleitschutz bietet. Die bedächtige und volle Stim-
me der Autorin konzentriert sich am Ende auf die Möglichkeit der
wahren Kommunikation mit dem Anderen. Das ist das menschliche
Ethos, das diese Erzählung zum Ausdruck bringen möchte.
Der Weg von der Dunkelheit zum Licht