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Kompass 01/17 #EU #Energie #Markt

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Liebe Leserinnen und Leser,

die Messlatte ist hoch: „Das Winter-paket gehört zu den ersten europäi - schen Gesetzgebungsverfahren, mit denen das Klimaabkommen von Paris übersetzt werden muss. Ob es am Ende eine gute Übersetzung wird, werden wir in den nun anste-henden Diskussionen sehen“, sagt Grünen-Europa-Abgeordnete Rebecca Harms im Gespräch für diese Ausgabe des bne-Kompass. Es geht darum, den Weg in eine CO2-arme Energiewelt zu ebnen. Passend dazu hat die EU-Kommis-sion das im November 2016 vor-gestellte Legislativpaket mit dem Titel „Clean Energy for all Euro-peans“ überschrieben. Im Mittel-punkt stehen aber ebenso Wett-bewerb, der grenzüberschreitende Handel oder die Versorgungssi-cherheit. Auch die Rahmenbedin-gungen für neue Geschäftsmo-delle, etwa das Lastmanagement, hat das umfangreiche Paket, das mehr als 1.200 Seiten und acht Ge-setzesvorschläge umfasst, im Blick.

Die Diskussion über die Vorschläge ist bereits in vollem Gange; eine gute Gelegenheit für uns, den einzelnen Zielen und Vor-gaben mit einer Kompass-Ausgabe näher auf den Grund zu gehen und dies mit Entscheidungsträgern, wie den Europaabgeordneten Rebecca Harms (Bündnis 90/Die Grünen) und Herbert Reul (CDU) in zwei Roundtable-Gesprächen zu dis-kutieren. Das Parlament ist, neben

dem Europäischen Rat, der Ort, an dem in den kommenden zwei Jahren über die Vorschläge debattiert und verhandelt wird. Dazu haben wir uns für diese Ausgabe mit der Smart Energy Demand Coalition (SEDC) zusammengetan, mit der wir auf EU-Ebene eng und im Sinne neuer, wettbewerblicher Geschäftsmo-delle zusammenarbeiten.

Wichtige Themen in den Gesprächen mit den Abgeordneten waren: Wie soll Versorgungssicher-heit in der EU sichergestellt werden? Welcher Rahmen ist für Anbieter neuer Lösungen, etwa auf dem Ge-biet der Flexibilisierung, vorgese-hen? Welche Rolle kommt den Ver-teilnetzbetreibern dabei in Zukunft zu? Wichtig war uns auch, darzu-stellen, wie Unternehmen auf die Vorschläge der EU-Kommission schauen. Wir haben daher Clean Energy Sourcing, Swisscom Energy Solutions und REstore um einen Input gebeten. Alle drei Unterneh-men stehen für neue und innova-tive Geschäftsmodelle. Ein Tenor: Vieles geht in die richtige Richtung, aber an einigen Stellen könnte die EU-Kommission ambitionierter sein. Etwa bei den Ausbauzielen für erneuerbare Energien.

Denn klar ist: Die Dekarbo-nisierung, wie sie das Abkommen von Paris vorsieht, wird nicht ohne eine Ausweitung der Energiewende auf die Sektoren Wärme und Ver-kehr gelingen. Dafür ist ein stär kerer Ausbau der Erneuerbaren notwen-dig. Auch in punkto Marktregeln, die immer noch so unterschiedlich sind, dass grenzüberschreitende Geschäfts-

modelle sehr schwierig sind, wären größere Sprünge notwendig.

Es überwiegt aber das Posi-tive. Die Vorschläge der Kommission sind eine Antwort auf die sich wan-delnde dezentrale und vernetzte Energiewelt, in der immer mehr neue Anbieter auf den Plan treten und bestehende sich neu erfinden. Und das Paket kann auch zu einer Antwort auf das Ausscheren der USA aus den Klimaschutzvereinba-rungen werden. Die Europäische Union als starker Wirtschaftsraum soll zu einem Vorreiter für den Ein-satz grüner Technologien werden und zu einem Beispiel, dem andere Regionen und Staaten folgen. Diesen Weg als Staatengemeinschaft zu beschreiten, ist nicht zuletzt ein Sig-nal an all jene, die versuchen, Europa auseinander zu dividieren.

Wir freuen uns daher auf die kommenden zwei Jahre und die Dis-kussionen über die EU-Energie-politik, die wir konstruktiv und im Sinne innovativer und wettbewerb-licher Lösungen begleiten werden. Dabei setzen wir in Zukunft auch auf unser sich noch in der Grün-dung befindendes Netzwerk der European Energy Retailers (EER).

Ihr Robert Busch bne-Geschäftsführer

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Inhaltsverzeichnis

1 Editorial

4 Die Energiewende europäisch vorantreiben

6 „Nicht immer neue Vorgaben machen“ Roundtable-Gespräch mit Herbert Reul (MdEP)

12 Fünf Pluspunkte des europäischen Strompakets Ein Gastbeitrag von Frauke Thies, Smart Energy Demand Coalition

16 „Nach Paris kommt es auf die Dekarbonisierung an“ Roundtable-Gespräch mit Rebecca Harms (MdEP)

22 Auf dem Weg zur flexiblen EU-Energiewelt Ein Gastbeitrag von Daniel Hölder und Stephan Braig, Clean Energy Sourcing

26 Unterstützung aus der Schweiz für die Ziele der EU-Energiepolitik Ein Gastbeitrag von Frédéric Gastaldo, Swisscom Energy Solutions

28 „Gleiche Marktchancen sichern“ Interview mit Dirk Rosenstock und Peter Schell (REstore)

32 Impressum

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Mit dem auch als Winter- oder Energiepaket benannten Vorhaben will die EU-Kommission einerseits die Beschlüsse des Pariser Klima-gipfels umsetzen, andererseits soll es sicherstellen, dass die europäische Energiewende durch fragmentierte nationale Lösungen nicht zu unnö-tigen Kosten für die Verbraucher oder einer Gefährdung der Versor-gungssicherheit führt. Die Kommis-sion strebt eine engere Verzahnung der nationalen Energiemärkte an, ohne dabei die Dekarbonisierung des Energiemixes zu vernachlässi-gen. Das ist eine große Herausforde-rung angesichts der unterschied-lichen Energiemarktsituation in 28 Mitgliedsstaaten.

Herzstück des Legislativ-pakets sind acht Gesetzesvorschlä-ge, die insbesondere folgende Themen adressieren:

• Festlegung neuer Regeln, die den Strommarkt für eine zunehmend dezentrale und volatile Stromer-zeugung fit machen.

• Erhöhung des Anteils erneuer-barer Energien und Integration Erneuerbarer in den Markt.

• Aktive Teilnahme der Verbraucher am Stromsystem mittels Last-steuerung, Eigenverbrauch oder Speicherung.

• Schaffung neuer Anreize zur Nut-zung lokaler Flexibilität im Netz.

Dabei europaweit auf einen gestärk-ten und flexibleren Strombinnen-markt zu setzen, ist eine wichtige Kernbotschaft. Der bne begrüßt daher den Vorschlag der Kommis-sion als konsequenten nächsten Schritt zur Weiterentwicklung des europäischen Binnenmarktes. Der Zuwachs an erneuerbaren Energien in Europa verlangt einen Umbau der Energiesysteme auf nationaler Ebene, der gleichzeitig europäisch koordiniert erfolgen muss.

Als Verband, der wie kein anderer für Wettbewerb, Markt und Innovation steht, können wir viele Anliegen des Pakets uneingeschränkt unterstützen. Dazu gehören die Öffnung der Strommärkte für alle Anbieter und Technologien, der Marktzugang für alle Akteure, effek-tive Preissignale, Datenzugang für alle Dienstleister und die optimale Nutzung von Flex ibilitäten auf

lokaler und zentraler Ebene. Insbe-sondere der Ansatz, den Kunden ins Zentrum zu rücken und die Zu-weisung einer zentralen Rolle im Energiesystem für Energieversorger beziehungsweise Lieferanten, unab-hängige Aggregatoren und andere Energiedienstleister bewerten wir sehr positiv. Auch die Vorgabe, dass Flexibilitäten sowie Systemdienst-leistungen in marktbasierten, trans-parenten und nichtdiskriminieren-den Verfahren zu beschaffen sind, halten wir für einen elementaren Bestandteil des Pakets.

Teilweise zu kleinteilige VorgabenNatürlich gibt es bei einem über 1.000-Seiten umfassenden Vorschlag auch einige Punkte, bei denen noch Nachbesserungsbedarf besteht. So ist bei manchen Vorschlägen eine weitreichende Regulierung zu ver-zeichnen, was im Kern der Wirkung von Marktkräften entgegenwirken kann. Dazu gehören beispielsweise zu kleinteilige Vorgaben bei der Rech-nungslegung (Art. 18 Strombinnen-markt-Richtlinie) ebenso wie eine sehr eng gehaltene Festlegung be-ziehungsweise Verpflichtung für das

Mit dem Legislativpaket „Saubere Energie für alle Europäer“ will die EU-Kommission die Vereinbarungen des Pariser Klimagipfels umsetzen. Der Markt soll dabei eine zentrale Rolle spielen. Aus bne-Sicht gehen viele der Vorschläge in die richtige Richtung.

Die Energiewende europäisch vorantreiben

4 Kompass 01/2017

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Ausgestalten von bestimmten Tarifen (Art. 11 Strombinnenmarkt-Richtlinie). Geplante Eingriffe in das Prinzip der Vertragsfreiheit sind ebenfalls wenig durchdacht und führen in der vorgeschlagenen Weise (Art. 12 und Art. 13 Strombinnen-markt-Richtlinie) zur Aufhebung der Vertragssicherheit für Stromversor-ger. Damit wird auch die Planbarkeit einer angemessenen Stromversor-gung erschwert. Ein sachgerechtes Gleichgewicht zwischen Vertrags-freiheit und Verbraucherschutz ist jedenfalls im aktuellen Vorschlag nicht gegeben. Regelungen zu Ver-tragsrecht, Laufzeit von Verträgen, Kündigung, Wertersatz und Entschä-digung sollten sinnvollerweise bran-chenübergreifend festgelegt werden.

Verteilnetze: Faire Bedingungen für alle Marktteilnehmer schaffenBesorgniserregend ist auch die Tendenz, dem Netzmonopol umfas-sende Verantwortlichkeiten im Rahmen der Ausgestaltung von

weiteren Netzkodizes und Leitlinien zu übertragen. Es ist sicher richtig, die zukünftige Rolle der Verteilnetz-betreiber und die dazugehörigen Verantwortlichkeiten vor dem Hin-tergrund der anstehenden Heraus-forderungen (dezentrale Einspei-sung, Verbrauchsverhalten sowie neue Lasten, einschließlich Lade-punkte für Elektrofahrzeuge) verstärkt in den Blick zu nehmen. Eine wenig ausbalancierte Gestal-tungsmacht bei der Erstellung von Regulierungsvorgaben ist jedoch entschieden abzulehnen.

Dies betrifft vor allem die vorgesehenen Aufgaben für die neu zu gründende europäische Orga-nisation der Verteilnetzbetreiber (Art. 51 Strombinnenmarktver-ordnung i. V. m. Art. 55 Strombin-nenmarktverordnung). Beispiels-weise kann bezweifelt werden, dass Verteilnetzbetreiber von sich aus Regelungen zum Ausbau der Last-steuerung in ausreichendem Maße wettbewerblich gestalten. Als Markt-

teilnehmer, die Flexibilitätspro-dukte aufbauend auf Laststeuerung erwerben, sind Verteilnetzbetrei-ber keine neutrale Instanz, denen eine Produktdefinition als Aufgabe übertragen werden sollte. Diese Auf-gabe sollte besser von unabhängi-gen Regulierungsbehörden in engem Austausch mit Verteilnetzbetrei-bern und anderen Marktakteuren wahrgenommen werden.

Bei aller Kritik beinhaltet das Legislativpaket der Kommission aber grundsätzlich viele gute Vor-schläge, an deren Verwirklichung der bne mit seinen Mitgliedern und europäischen Partnern im Pro-zess der nächsten zwei Jahre inten-siv mitwirken wird.

Bianca Barth ist EU Policy Director beim bne.

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Setzt auf dezentrale Entscheidungen: Herbert Reul, seit 2004 Mitglied der Europäischen Parlaments

Sollen europäische Institutionen mehr Kompetenzen in der Energiepolitik be kommen? Welche Rolle sollen Verteilnetzbetreiber übernehmen? Über diese und weitere Themen diskutierten Robert Busch (bne) und Frauke Thies (SEDC) mit dem Europaabgeordneten Herbert Reul (CDU).

„Nicht immer neue Vorgaben machen“

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„Netze müssen neutral sein“: Robert Busch (Mitte)

Herr Reul, als Teil des Legislativ-pakets für den Energiemarkt, will die EU-Kommission die Kompeten-zen für ACER, die Agentur für die Zusammenarbeit der Energiere-gulierungsbehörden in der EU, mit einer Verordnung ausweiten. Sie sind Schattenberichterstatter* der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament für diese Verordnung. Wie bewerten Sie die Vorschläge? Reul: Ich bin skeptisch, ob der Versuch, die Probleme der Energie-versorgung in Europa dadurch zu lösen, dass wir wieder eine europä-ische Institution ausbauen, neue Verantwortlichkeiten übertragen, wie bei ACER vorgesehen, der rich-tige Weg ist. Hier in Brüssel haben viele die Vorstellung, dass wenn irgendwas nicht funktioniert, etwas Neues aufgebaut werden muss. Dort sollen dann Entscheidungen getroffen werden. Aber umsetzen müssen es am Ende andere. In die-

sem Fall etwa die Übertragungs-netzbetreiber. Es entsteht eine Dis-krepanz zwischen Haftung und Entscheidungskompetenz. Da ist mein Problem dabei. Solange mir keiner eine Antwort geben kann, was bisher nicht klappt und warum man ACER ausbauen muss, mache ich da nicht mit.

Es geht doch darum, die grenzüber-schreitende Zusammenarbeit bei der Energieversorgung zwischen den Mitgliedsstaaten zu verbessern.Reul: Dieses Anliegen teile ich auch zu 100 Prozent und zwar aus vieler-lei Gründen: Wegen der Versorgungs-sicherheit und der Frage, wie wir mit den erneuerbaren Energiequel-len in Zukunft umgehen wollen. Das macht alles nur Sinn, wenn wir Gren-zen überschreiten und Dinge ge-meinsam lösen. Insofern bin ich mit der Zielsetzung einverstanden, aber an der Lösung habe ich Zweifel.

Busch: Wie könnte eine Lösung dann aussehen?Reul: Das Problem sind doch die Netze. Die werden nur gebaut, wenn es sich rentiert. Also stelle ich die Frage: Haben wir hier vielleicht in der Vergangenheit zu stark die Schrauben angezogen? Busch: Naja, das Netz bringt immer noch satte Renditen, aktuell sind es noch neun Prozent, demnächst knapp sieben Prozent und das garantiert und nahezu ohne Risiko. Wo bekommen Sie das denn sonst?Reul: Aber grenzüberschreitende Verbindungen zu bauen ist natürlich etwas komplizierter. Da gib es tech-nische Herausforderungen, die zu lösen sind. Ich denke, wir brau-chen mehr Anreize und nicht mehr Regulierung, damit etwas passiert beim Netzausbau. Thies: Also, das eine ist konkret der Netzausbau. Das andere sind die Network Codes. Da geht es

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„Mich interessiert die Frage, ob alles, was wir für den Energiesektor be-schlossen haben, in den EU-Staaten wirklich umgesetzt wird.“Herbert Reul

zum Beispiel darum, wie die Märkte koordiniert werden und wer unter welchen Umständen wie agieren darf. Wie werden Akti-vitäten auf Übertragungs- und Verteilnetzebene koordiniert? Wer darf wen wann abregeln? Würden Sie es da genauso sehen, dass es da schon genug Klarheit gibt? Und wenn nicht, wer sollte das aus Ihrer Sicht machen?Reul: Die Übertragungsnetzbetrei-ber arbeiten ja schon zusammen und wir haben ACER. Wir sollten die Möglichkeiten, die es gibt, erst mal nutzen. Ob ACER es besser weiß, als die Netzbetreiber, da habe ich Zweifel dran. Dass man die Netzbetreiber manchmal zu ihrem Glück zwingen muss, OK. Aber ob die Lösung eine zentralis-tische übergeordnete Einrichtung ist, kann ich mir nicht vorstellen. Zum Beispiel in Krisensituationen; kann ACER da die Lage besser beur-teilen, als die, die Netze betreiben?Busch: Sollten wir auf eine euro-päische Behörde wie ACER also ganz verzichten?

Reul: Nein, das habe ich nicht ge-sagt. Es braucht eine Behörde und auch Regulierung. Dagegen habe ich nichts. Die Frage ist nur, muss sie ausgebaut werden und was ist ihre Zuständigkeit? Ich glaube, dezent-rale Entscheidungen sind oft besser.

Als Ziel gilt ja Energieunion. Wie kommen wir dem dann näher?Reul: Erstens muss man genau schauen, wo es hakt. Die Analyse habe ich aber noch nicht gesehen. Stattdessen geht es wieder um neue Institutionen mit neuen Kompe-tenzen. Wir machen in der EU seit Jahrzehnten nichts anderes, als neue Institutionen zu schaffen. Und wir glauben dann, dass wir damit Probleme lösen, aber in der Regel kommen wir damit nicht weiter. Deshalb frage ich mich, ob dies nicht der falsche Weg ist. Thies: Auch die Verteilnetzbetrei-ber sollen sich ja nach dem Willen der EU-Kommission in einer eige-nen Vertretung organisieren.Reul: Grundsätzlich habe ich nichts dagegen, dass die Verteilnetzbe-

treiber auch in einer Einheit – ähn-lich wie die Übertragungsnetzbe-treiber – zusammengeschlossen und vertreten sind. Unsicher bin ich aber beim Thema Unbundling. Brau-chen wir das auf Verteilnetzebene?Busch: Ohne geht es nicht, wenn wir einen Markt schaffen wollen. Das wäre ja so als wenn DHL die Auto-bahn gehört und UPS und Hermes immer fragen müssen, ob sie auch mal die Autobahn benützen dürfen. Dann würde DHL natürlich nein sagen und das Geschäft alleine ma-chen. Es gäbe also keinen Wettbe-werb. Und jetzt stellen wir uns einen Verteilnetzbetreiber vor, der ist na-türlich nah am Energiekunden und hat einen verbundenen Vertrieb, der gerade Kunden sucht, und dem kann man dann eben unter die Arme grei-fen, mit Informationen. Und als Drit-ter schauen sie dann in die Röhre. Reul: Ok, das leuchtet ein. Es ging mir ja auch um die Frage des Ownership-Unbundlings. Busch: Das ist dabei nicht das Thema. Die Netze dürfen gerne im Eigentum der Städte und Gemeinden bleiben.

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Die Debatte um die künftige Rolle der Verteilnetzbetreiber nahm großen Raum ein (Herbert Reul, Karsten Wiedemann, re.).

Die Netze müssen aber neutral sein. Es darf auch keine weitere Zersplit-terung geben. Wir erleben ja jetzt, dass etwa städtische Netze aus vor-handenen Strukturen rausgebro-chen werden, mit dem Ergebnis, dass die Entgelte für alle in der Umge-bung steigen. Da gibt es dann weniger Verbraucher, auf die die Kosten umge-legt werden können. Außerdem ist es schwieriger, die Herausforderungen der Energiewende und der Digitalisie-rung in diesen kleinen Strukturen zu managen. Deshalb sprechen wir uns für regionale Netzcluster mit gemeinsamer Betriebsführung aus.Reul: Diese Argumente sind nicht ganz falsch, die muss man schon ernst nehmen und da brauchen wir sicher auch Lösungen für.

Vielleicht kommen wir nochmal auf erneuerbare Energien: Wie stellen Sie sich die Förderung in Zukunft vor?Reul: Die Abschaffung der vorrangi-gen Abnahme von Strom aus Erneu-erbaren, außer bei den Kleinen, finde ich schon mal einen interessanten

Hinweis in den Vorschlägen der Kom-mission. Dass man da mehr Wett-bewerb reinbringen will, finde ich gut. Wir müssen weg von den natio-nalen Fördersystemen hin zu einem europäischen, dafür habe ich im-mer geworben. Wenn man soweit nicht kommt, dann müssen sich eben Schritt für Schritt ein paar Staaten zusammenschließen.Busch: Ich würde gerne noch mal auf das Thema Energieeffizienz kommen. Wird mit dem Ansatz Efficiency First nicht übertrieben?Reul: Energiesparen ist doch eine gute Sache. Das macht auch jeder von selbst, weil er damit Geld spa-ren kann. Deswegen verstehe ich nicht, warum man Unternehmen dazu zwingen soll. Das machen die schon von ganz alleine. Genauso skeptisch sehe ich Vorgaben an die EU-Staaten, dass die soundso viel Prozent Energie einsparen sollen.

Aber irgendeine Art von Ziel muss es doch geben?Reul: Mich interessiert aber die Frage, ob alles, was wir für den

Energiesektor beschlossen haben, in den EU-Staaten wirklich umge-setzt wird. Da brauchen wir mal eine ehrliche Analyse. Wir sind gut darin, stramme Zahlen aufzu-stellen und was danach kommt ist egal. Das ist aber nicht ehrlich. Beim Kohlendioxid haben wird das genauso gemacht.

Inwiefern?Reul: Ich erinnere mich an den großen Streit vor Jahren. Die USA haben nicht mitgemacht bei den ersten Klimavereinbarungen und dennoch haben sie am Ende mehr CO2 eingespart als wir, und zwar weil sie technologieoffen an die Sache rangegangen sind.

Zum Preis von unkonventioneller Förderung von Gas.Reul: Ob das alles richtig war, darüber kann man sicher diskutie-ren. Aber wenn es darum geht, das Klima durch weniger CO2-Ausstoß zu retten, dann muss man feststellen, dass die Amerikaner mit ihrer Metho-de das schneller erreicht haben.

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Busch: Aber wenn Sie dafür als Preis eine Mondlandschaft hinter-lassen, ist das nicht erstrebens-wert. Da gibt es einen Konflikt zwi-schen Klima- und Umweltschutz.Thies: Es geht doch darum, das System intelligenter zu machen. Wenn wir da nochmal auf die Vorschläge der Kommission bei der Effizienz schauen: Den Energie-ausweis für Gebäude gibt es ja zum Beispiel schon länger. Bisher zeigte der nur, ob ein Gebäude A, B oder C ist. Entsprechend der neuen Vor-schläge soll es jetzt dabei auch einen smarten Indikator geben, der Verbrauchern und Dienstleis-tern angibt, wie weit ein Gebäude eigentlich mit dem System inter-agieren kann. Reul: Aber in der Konsequenz werden doch einfach nur Smart Meter eingebaut.Thies: Es geht schon um mehr als das!Reul: Aber es geht wieder um Vorgaben, zum Beispiel für Lade-säulen. Wenn Elektroautos

wirklich das Ding der Zukunft sind und jeder sie haben will, auch wenn man das im Moment nicht sieht, dann baut doch jeder auto-matisch die Säule vor sein Haus, weil es seine Immobilie aufwer-tet. Warum muss man das vor-schreiben?Thies: Im Vorschlag steht, dass es in neuen Gebäuden eine Ver-kabelung geben muss, für den Fall, dass es später mehr Elektro-autos gibt. Das reduziert später hohe Kosten für Renovierungen, aber man könnte es auch heute sehr günstig lösen: Im Englischen ist von Precubing die Rede, das bedeutet es würden Leerrohre verbaut, durch die dann später Kabel geschoben werden können. Das wäre doch eine Lösung, uns mit geringem Aufwand darauf vorzube reiten, dass es in Zukunft mehr Elektroautos gibt.Reul: Das klingt logisch, was Sie sagen, aber im Grunde ist das ja irre, dass wir jetzt sogar schon Leerrohre vorschreiben. Da wun-

dert es einen nicht, wenn sich die Leute über Brüssel aufregen. Nur um das klarzustellen: Ich bin nicht gegen neue Technolo-gien wie Smart Meter oder Elek-troautos, ganz im Gegenteil. Ich bin nur dagegen, dass alles vor-geschrieben wird.

Lassen Sie uns noch auf das Thema Versorgungssicher- heit kommen. Die Kommis- sion äußert sich in den Vor-schlägen ja auch zum Thema Kapazitätsmärkte …Reul: Das ist für mich ein Problem, das will ich ganz offen sagen. Im Grundsatz bin ich kein Anhänger dieses Konzepts. Wo kommen wir hin, wenn wir uns durch fal-sche Politik tausende Probleme organisiert haben und jetzt noch ein weiteres draufsatteln. Auf der anderen Seite weiß ich, dass wir eine Antwort brauchen. Die nahe liegende wäre, wir stärken die Zusammenarbeit zwischen den EU-Staaten. In einigen Län-

„Versorgungssicherheit wird nicht mehr über fossile Kraftwerke, sondern erneuerbare Energien, Speicher und flexible Ver braucher hergestellt.“Robert Busch

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dern gibt es noch Reserven. Der Gedanke, dass man sich gegensei-tig in Knappheitssituationen hilft, ist doch vernünftig.

Da sind wir nur wieder bei den fehlenden Kuppelstellen …Reul: Eben, das klappt nur in der Theorie. Insofern vermute ich, dass wir eine Zeit lang in Deutsch-land noch irgendwas brauchen, um diese großen Kraftwerke auch als Reserve zu halten. In einem Industriesystem kann man sich nicht auf Zufälle und viele, viele kleine Systeme verlassen, das wäre mir zu riskant.Thies: Wenn die Märkte deut- liche Preissignale entwickeln kön-nen, entstehen ja auch andere Möglichkeiten. Die Strombörse EEX hat zum Beispiel Flexibli -täts-Produkte entwickelt, soge-nannte Intraday Cap Futures. Wenn ich abrufbare Flexibilitäten habe, dann verkaufe ich diese Produkte und wenn der Strom-preis hochgeht, dann kann der,

der das Produkt für meine Flexi-bilität gekauft hat, mich abrufen.Reul: Wenn das so wäre und es heute funktionieren würde, würden es viele machen, zu-mindest die Großen. Offensicht-lich haben wir aber alle noch kein Vertrauen oder auch keine Sicherheit, dass sie diesen ver-lässlichen Strom, den sie brau-chen, im Industrieunterneh- men haben. Das heißt nicht, dass es irgendwann anders sein kann. Busch: Der Weg in ein dezentrales, dekarbonisiertes und vernetztes Energiesystem ist ja spätestens mit den Beschlüssen von Paris vorge-zeichnet. Versorgungssicherheit wird nicht mehr über fossile Kraft-werke, sondern erneuerbare Ener-gien, Speicher und flexible Ver-braucher hergestellt. So sieht es ja nicht zuletzt die Bundesregie-rung in ihren Beschlüssen zum Strommarkt vor.

Herr Reul, wird danken für das Gespräch.

Moderation: Karsten Wiedemann

*Für jedes Gesetz, das im Euro­päischen Parlament behandelt wird, gibt es einen offiziellen Berichterstatter, der u.a. die Vor­schläge aus dem zuständigen Ausschuss in eine Vorlage für das Plenum einarbeitet. Die Parteien bestimmen daneben jeweils einen Schattenberichter statter, der die Position der jeweiligen Fraktion in das Verfahren einbringt.

Freude an der Debatte hatten Herbert Reul (Mitte), sowie das bne-Team: Robert Busch (2.v.l.), Karsten Wiedemann (li.), Bianca Barth (2.v.re.) sowie Frauke Thies (SEDC, re.)

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Das Legislativpaket der EU-Kom-mission ist eine Chance zur Weiter-entwicklung des europäischen Strommarktdesigns. Es soll insbe-sondere auch innovative Lösungen ermöglichen und neuen Akteuren im Markt eine Chance geben. Diese Aspekte sind für uns als Smart Energy Demand Coalition (SEDC) sehr wichtig und wir begrüßen, dass die Europäische Kommission unsere Kernforderungen weitgehend in ihre Vorschläge aufgenommen hat. Auch wenn in verschiedenen Bereichen Verbesserungsbedarf besteht, lassen sich fünf Kernberei-che in der vorgelegten Electricity Regulation und Electricity Directive, die Teil des Legislativpaketes sind, positiv hervorheben:

Öffnung der Strommärkte für alle Anbieter und TechnologienAlle Strommärkte in Europa – ein-schließlich Systemdienstleistungen

und Regelenergie, Reserven und Kapazitätsprodukte – sollen für alle Energie- und Flexibilitätsoptio-nen geöffnet und diese grundsätz-lich über den Markt kontrahiert wer-den. Dies betrifft insbesondere auch aggregierte dezentrale Erzeu-gung, Lasten und Speicher. Um faire Bedingungen für die Teilnahme von innovativen und dezentralen Lösungen zu schaffen, sollen Pro-duktdefinitionen angepasst und

Handelszeiträume weiter harmo-nisiert und verkürzt werden.

In Deutschland ist zu diesem Thema zwar in den vergangenen

Jahren schon einiges passiert, die europäischen Vorschläge wür-den beispielsweise aber auch den Redispatch, die verschiede-nen Reserven und das Engpass-Management betreffen.

Marktzugang für alle Akteure Um die dynamische und wett-bewerbliche Entwicklung neuer Angebote und Dienstleistungen zu ermöglichen, muss ein offener

Marktzugang auch für neue Akteure ermöglicht werden. Die Vorschläge der Kommission sehen in diesem Zusammenhang einen rechtlichen

Ein Gastbeitrag von Frauke Thies, Smart Energy Demand Coalition

Der Energiemarkt verändert sich; neue Akteure und Marktrollen treten auf den Plan. Die EU-Kommission will darauf Antworten liefern. Eine Analyse.

Fünf Pluspunkte des europäischen Strommarktpakets

Alle Strommärkte in Europa – einschließlich System-dienstleistungen und Regelenergie, Reserven und Kapazitätsprodukte – sollen für alle Energie- und Flexibilitätsoptionen geöffnet werden.

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Rahmen in allen EU-Mitgliedsstaa-ten vor, damit unabhängige Aggre-gatoren von Lasten ungehindert am Markt teilnehmen können. Gleich-zeitig sollen Verbraucher das Recht haben, sich über Eigenerzeugung oder Gemeinschaftsprojekte im Energiesystem zu engagieren. Unter anderen soll die lokale Nutzung des Verteilnetzes diskriminierungs-frei möglich sein.

Die Vorschläge lassen in ihrer Formulierung allerdings einen weiten Spielraum für die Umset-zung. Während verschiedene natio-nale und europäische Prozesse zu unabhängigen Aggregatoren schon angelaufen sind, sind die Fragen zur lokalen Netznutzung, etwa durch Gemeinschaftsprojekte, derzeit noch völlig offen.

Effektive Preissignale im Großhandel und VertriebDie Effizienz des europäischen Binnenmarktes für Strom hängt

von effektiven Peissignalen ab. Auch Knappheitspreise müssen möglich sein. Die Vorschläge im Clean Energy Package sehen deshalb die Abschaffung von Preisgrenzen vor, auch in den Ländern, wo diese heute sowohl im Großhandel als auch für Endverbraucher noch selbstver-ständlich sind. Auch für die Einführung und Ausgestaltung von Kapazitätsmechanismen sol-len laut Kommission konkrete Kriterien gelten. Allerdings blei-ben die Vorschläge hier sehr vage, so dass aus SEDC-Sicht wei-terhin die Gefahr von struktu-rellen Überkapazitäten auf Erzeu-gungsseite besteht.

Im Einzelhandel soll jeder Verbraucher die Möglichkeit be-kommen, marktbasierte, dyna-mische Preise zu wählen. Aller-dings wird das in dieser Hin- sicht relevante Thema Netztarife nur am Rande angesprochen,

während Steuern und Abgaben als nationale Kompetenzen nicht Teil des Pakets sind.

Datenzugang für alle DienstleisterVerfügbarkeit, Sicherheit und angemessener Zugang zu Energie-daten sind das Rückgrat eines intelligenten Energiesystems. Die vorgeschlagene Strommarkt-Richtlinie sieht vor, dass – mit Zustimmung des Verbrauchers – alle gewählten Energiedienst- leister und der Verbraucher selbst Zugang zu relevanten Daten be-kommen können. Regulierte Akteure, also Netzbetreiber, dürfen keine Gewinne mit der Bereitstellung von Daten machen. Gleichzeitig ist die Definition eines harmoni-sierten europäischen Datenfor-mats vorgesehen.

Die Umsetzung des Daten-zugangs soll auf nationaler Ebene organisiert werden, während erste Stakeholder-Diskussionen zu

Die Effizienz des europäischen Binnenmarktes für Strom hängt von effektiven Peissignalen ab. Auch Knappheitspreise müssen möglich sein.

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Frauke Thies ist Geschäftsführerin der Smart Energy Demand Coalition, dem europäischen Verband für digitale und dezentrale Energie-Lösungen.

einem einheitlichen Datenformat auf europäischer Ebene schon angelaufen sind.

Nutzung von Flexi bilitäten auf lokaler und zentraler EbeneDie Anreizstrukturen für Ver-teilnetzbetreiber sollen dahinge-hend angepasst werden, dass dezentrale und nachfrageseitige Flexibilitäten auch für lokale Systemdienstleistungen über den Markt kontrahiert werden kön-nen. Zu diesem Zweck sollen Ver-teilnetzbetreiber standardisierte Produkte definieren. Auch Besitz-strukturen für Speicher und Ladestationen sind im Vorschlag der Kommission definiert, wobei diese vorranging beim Markt liegen sollten.

Der Kommissionsvor-schlag sieht zwar eine Koordina-tion mit Übertragungsnetzbe-treibern vor, definiert dazu aber leider keine Details. Hierzu wird

weitere Detailarbeit, Einbindung der Marktakteure und intensive Ab-stimmung auf verschiedenen Ebe-nen entscheidend sein, um die Liqui-dität der Märkte zu fördern und einer Fragmentierung vorzubeugen.

Die beschriebenen Punkte stellen nur einen Ausschnitt aus dem gesamten Legislativpaket an energiepolitischen Gesetzes-vorhaben dar, das voraussicht- lich in den nächsten ein bis zwei Jahren von den Mitgliedsstaaten im Rat und dem Europäischen Par-lament diskutiert, angepasst und verabschiedet wird. Die Diskussio-nen in beiden Institutionen sind vorsichtig positiv angelaufen, doch von verschiedenen Seiten wird schon Druck auf die Ambitionen in allen der genannten Bereiche deutlich. Im Sinne von Innovation und Wettbewerb für die Energie-wende wird sich die SEDC – auch in Kooperation mit dem bne – intensiv dafür einsetzen, dass be-

stehende Schwachpunkte ver-bessert und positive Ansätze zu den benannten und vielen wei-teren Punkten erhalten und weiter gestärkt werden.

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„Nach Paris kommt es auf die Dekarbonisierung an“Wie lässt sich Versorgungssicherheit in den EU-Staaten sicherstellen und welche Rolle kann das Lastmanagement dabei spielen? Dies waren zwei der Themen des Roundtable-Gesprächs zwischen Grünen-Politikerin Rebecca Harms (MdEP), Frauke Thies (SEDC) und Robert Busch (bne).

„Erreichen der Klimaziele ist zentrale Frage“: Rebecca Harms (Bündnis 90/Die Grünen), seit 2004 Abgeordnete im Europäischen Parlament

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Frau Harms, auf mehr als 1.000 Seiten setzt die EU-Kommission im Winterpaket Leitplanken für die künftige europäische Energie-politik. Was ist Ihre Einschät-zung zu den Plänen?Harms: Das Winterpaket gehört zu den ersten europäischen Gesetzge-bungsverfahren, mit denen das Kli-maabkommen von Paris übersetzt werden muss. Ob es am Ende eine gute Übersetzung wird, werden wir in den nun anstehenden Diskussio-nen sehen. Für uns als Grüne ist die zentrale Frage, ob wir als EU den vereinbarten Zielen beim Klima-schutz gerecht werden oder dahin-ter zurückfallen. Wir sind da im Moment nicht allzu optimistisch.

Wieso?Harms: Wir halten die von der Kom-mission ausgegebenen Ziele beim Ausbau der erneuerbaren Energien und bei der Energieef fizienz für nicht ausreichend. Sie gehen kaum über

die bisherigen Wachstumsraten hinaus und stellen nicht den kosten-günstigsten Pfad für unsere lang-fristigen Klimaziele dar. In diesem Sinn werden wir uns auch in die Diskussion einmischen. Gleichzeitig darf man nicht marktwirtschaftliche Anforderungen bei erneuerbaren Energien forcieren, aber bei der Atomenergie großzügige Subventio-nen durchwinken, wie es bei den Reaktorprojekten Hinkley Point C in Großbritannien und Paks II in Ungarn geschehen ist. So wird die Energiewende ausgebremst.

Auch das Thema Versorgungssicher-heit spielt im Winterpaket eine Rolle. In der EU gibt es dazu aktuell unterschiedliche Ansätze, etwa einen Kapazitätsmarkt in Frankreich oder in Deutschland die Idee des Strommarktes 2.0. Wie sehen Sie die Diskussion um die Reserven?Harms: Es gibt klügere, sauberere und günstigere Wege als große Kapa-

zitäten wie Kohlekraftwerke vorzu-halten und zu finanzieren, um Versorgungssicherheit zu gewähr-leisten. Ich denke da etwa an das intelligente Management der Strom-netze oder bessere grenzüber-schreitende Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten. Wenn man aber zu der Entscheidung kommt, dass in bestimmten Regionen eine zusätzliche Erzeugungskapazität nötig ist, dann sollten es flexible Gaskraftwerke sein. Thies: Bei der Versorgungssicherheit wird immer noch stark auf Kraft-werkskapazitäten fokussiert, dabei haben wir ja heute schon ein gro-ßes Potential an flexiblen Verbrau-chern. Wenn wir uns an die ange-spannte Situation in Belgien nach dem Ausfall der Atomanlagen Doel und Tihange vor einigen Jahren erin-nern, da war es plötzlich möglich, dass Stahlwerke ihren Strombezug flexibilisieren, die Brüsseler Was-serwerke Pumpen nur in Betrieb

Europäischer Austausch: (v.l.n.r.) Karsten Wiedeman (bne), Robert Busch (bne), Frauke Thies (SEDC)

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nahmen, als es netzverträglich war. Da haben wir gesehen, welchen Bei-trag Lastmanagement leisten kann.Harms: Es ist schon legitim, grund-sätzlich über Reserven zu sprechen, weil die Situation in den einzelnen Staaten unterschiedlich ist. Allerdings dürfen die Maßnahmen nicht unse-ren Zielen für den Klimaschutz zuwi-derlaufen und den Weiterbetrieb oder gar Neubau von schmutzigen Kohlekraftwerken subventionieren. Erfreulich ist deswegen, dass die EU-Staaten gerade einem Vorschlag der EU-Kommission zugestimmt haben, der Emissionsstandards für Kraftwerke festlegt. Das ist ein guter Weg, weil schmutzige Anla-gen damit nicht für die Reserve ein-gesetzt werden können. Am sinn-vollsten ist es dennoch, verfügbare Lasten zu nutzen und den Strom-austausch zwischen den einzelnen Staaten zu fördern. Wenn wir die Märkte öffnen, kommen wir mit deutlich weniger Reserven aus.

Der grenzüberschreitende Strom-austausch wird doch nach wie vor durch die mangelnde Kapazität von Kuppelstellen und die sehr unter-schiedlichen Marktregeln erschwert.Harms: Aber hier soll sich einiges verbessern, das ist klarer Tenor des Winterpaketes. Und in vielen EU-Staaten kommt das gut an,

etwa auch für eine bessere Risiko-vorsorge. Ich war vor kurzem in Litauen. Die neue Regierung dort hat ein großes Interesse daran, besser an den europäischen Strom-markt angebunden zu werden, weil sie keinen Atomstrom aus Weiß-russland beziehen wollen. Und auch die polnische Regierung möchte von dort keinen Strom. Busch: Andererseits hat Polen auf dem Phasenschieber an der Grenze zu Deutschland bestanden, weil es den günstigen erneuerbaren Strom aus Deutschland in seinen Netzen als Konkurrenz zur heimischen Kohle fürchtet. Harms: Man muss schon berück-sichtigen, dass wir zwar eine Euro- päische Union sind, sich die Ener-giepolitik in den einzelnen Ländern aber, wenn man so will, in unter-schiedlichen Jahrzehnten abspielt. Schauen Sie auf das Deutschland der 90er Jahre, da hatten wir in der Energiepolitik auch ganz andere Themen als heute.

Eben weil die Ausgangslage in den EU-Staaten zum Teil sehr unter-schiedlich ist, wäre ein Europa der zwei Geschwindigkeiten in der Energiepolitik nicht sinnvoll?Harms: Bei dieser Diskussion muss man aufpassen, dass man nicht zu viele verschiedene Geschwindig-

keiten verankert, das funktioniert auch nicht. Letztendlich müssen alle verstehen, dass es nach dem Abkommen von Paris auf die Dekar-bonisierung ankommt. Die bringt große Veränderungen mit sich, auch in Polen. Aber wenn sie sich darauf einlassen, werden sie langfristig von der Transformation profitieren. Thies: Nochmal zurück zum Win-terpaket. Darin finden sich auch einige Vorschläge zur Rolle der Verteilnetze. Es werden neue Ver-antwortlichkeiten und Regeln ins Spiel gebracht. Wie sehen Sie das?Harms: Wenn neue Verantwort-lichkeiten an die Betreiber überge-ben werden sollen, brauchen wir auch klare Regeln. Die Verteilnetze sind ja nicht entflochten. Und wel-che Interessen Entscheidungen prä-gen, wenn Erzeugung und Netz in einer Hand liegen, darüber darf man sich keine falschen Vorstellungen machen. Deswegen sind wir bei diesen Punkten skeptisch.Busch: In der Tat ist es wenig rea-listisch, dass etwa ein Netzbetreiber das Kraftwerk einer Tochtergesell-schaft abdreht und sich etwa Flexi-bilität von dritter Seite am Markt besorgt, weil das günstiger ist.Thies: Positiv sind an anderer Stelle des Energiepakets die Hinweise darauf, dass Anreizstrukturen so geändert werden sollen, dass Ver-

„Es gibt klügere, sauberere und günstigere Wege als große Kapazitäten wie Kohlekraft-werke vorzuhalten und zu finanzieren, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten.“Rebecca Harms

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teilnetzbetreiber Flexibilität aus Lastmanagement oder Speichern im Markt nutzen können, wenn es günstiger ist. Harms: Wir müssen Marktbedingun-gen schaffen, in denen es sich lohnt, Lastmanagement zu machen. Es muss gelingen, die Spitzen der Ver-brauchspeaks zu verlagern. Und diejenigen, die das organisieren, müssen davon profitieren. Busch: Wir müssen diesen Weg in jedem Fall richtig ausgestalten. Es gibt keine Kupferplatte, weder in Deutschland, noch in Europa. Das heißt, wir laufen auf Situationen zu, in denen das Börsenpreissignal dazu ermutigt, den Verbrauch zu erhöhen, weil gerade viel Windstrom verfügbar ist. In einer bestimmten Region kann aber eine zeitgleiche und automatisierte Lasterhöhung das lokale Netz vor Probleme stellen. Um diese Situationen zu managen, brauchen wir regionale Flexibilitäts-märkte, die die Kapazitäten vor Ort berücksichtigen. Und dabei ist es wichtig, dass Verteilnetzbetrei-ber neutral sind. Sonst besteht die

Gefahr, dass Geschäftsmodelle Dritter verhindert werden. Bei der Ausgestaltung der Marktregeln muss man also sehr genau hin-schauen. Das hat nichts mit der Frage des Eigentums zu tun. Das Eigentum an den Verteilnetzen darf aus unserer Sicht bei den Städten und Gemeinden bleiben. Aber sie müssen in regionalen Netzclustern zusammenarbeiten.Thies: Insofern ist die Klarstellung der Kommission wichtig, dass Ver-teilnetzbetreiber zwar Flexibilität

akquirieren dürfen, aber eben marktbasiert. Die Verteilnetzbetrei-ber können zum Beispiel standar-disierte Flexibilitätsprodukte – in Koordination mit dem Markt – definieren und Mengen ausschrei-ben. Ein Aggregator oder Lieferant kann dann ein Angebot machen. Wenn die Verteilnetzbetreiber selbst anfangen, zu investieren und Lastmanagement beim Kunden zu machen, haben wir kein Level-Playing-Field, weil die Netzbetrei-ber über ganz andere Informationen

Flexibilisierung, Erneuerbaren-Ausbau, Effizienz: Es gab viel zu diskutieren beim Roundtable zur EU-Energiepolitik.

„Bei der Ausgestaltung der Marktregeln muss man sehr genau hinschauen. Dabei geht es nicht um das Eigentum an den Netzen, dies darf gerne bei Städten und Gemeinden bleiben.“Robert Busch

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„Bei der Versorgungssicherheit wird immer noch stark auf Kraftwerks-kapazitäten fokussiert, dabei haben wir ja heute schon ein großes Poten tial an flexiblen Verbrauchern.“Frauke Thies

verfügen. Das wäre auch für den Kunden nicht optimal, weil er seine Flexibilität dann ausschließ-lich dem lokalen Netzbetreiber zu Verfügung stellen müsste, und nicht auch vom Großhandel pro-fitieren könnte.Busch: Ich würde gern noch mal auf das Thema Effizienz kommen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass mit dem Mantra von Efficiency First der Fokus weg vom Erneuer-baren-Ausbau hin zum einfachen Einsparen verschoben wird. Wie sehen Sie das?Harms: Es ist klar, dass wir beides machen müssen, die Erneuerbaren ausbauen und Energiesparen und zwar in gleichberechtigter Art und Weise. Sonst schaffen wir unsere Klimaziele nicht. Es gibt ja Stimmen, die sagen, in einem System mit einer 100 Prozent Versorgung aus grünen Energien braucht man nicht mehr zu sparen. Das sehe ich nicht so. Auch ein Elektroauto, das mit erneuerbarem Strom fährt, muss effizient sein.Busch: CO2-Einsparung heißt ja nicht zuletzt, dass wir mehr Erneu-erbare für das Heizen und Fahren einsetzen müssen, also die Sektoren koppeln. Insofern kann es eigent-lich kein zu viel an erneuerbaren Energien geben, oder?Harms: Das ist zumindest in ab-sehbarer Zeit nicht zu erwarten.

Busch: Worauf ich hinaus will, ist die Tatsache, dass wir mehr Situatio-nen erleben werden, in denen wir zu viel erneuerbare Energien im Netz haben. Dann ist es besser, diese nicht einfach abzuregeln, sondern den Strom etwa für die Wärme-erzeugung zu nutzen, in einem Heiz-kessel. In dem Moment ersetzen sie dann fossile Energieträger. Wir sprechen daher lieber von einer Systemeffizienz. Thies: Ein Beispiel ist die vorge-schlagene Gebäude-Richtlinie. Häu-ser müssen ja nicht nur wenig Energie verbrauchen, sondern auch eine aktive Rolle im Energiesystem übernehmen, also Energie dann ver-brauchen, wenn es sinnvoll ist. Diese Dimension wird im Vorschlag der EU-Kommission noch nicht ausreichend stark reflektiert.Busch: Es gibt noch ein weiteres Problem: das Abgaben- und Umlage-system. Aktuell ist Strom durch die vielen staatliche Aufschläge auf den Verbrauch so teuer, dass es finanziell attraktiver ist, eine Öl-heizung einzubauen. Heizöl ist ja sogar noch steuervergünstigt. 2015 wurden in Deutschland so viele Ölheizungen eingebaut, wie seit 10 Jahren nicht mehr. Aus Klimaschutzsicht ist das aberwit-zig. Es ist daher ein wichtiges Signal, dass sich die Bundesregie-rung im Klimaschutzplan dazu

verpflichtet hat, die Anreizwir-kung des Abgaben- und Umlage-systems zu überprüfen. Nach der Bundestagswahl wird sich da mit Sicherheit etwas tun.

Die Frage ist, ob in diesem Punkt auch Impulse aus Europa kommen?Harms: Was wir in der Vergangen-heit leider oft beobachtet haben ist, dass die Bundesregierung die Ziele der Energiewende auf EU-Ebene nicht offensiv vertritt. Für die wei-tere Gestaltung des Winterpakets muss Deutschland stärker in Brüs-sel für die Energiewende werben.

Frau Harms, wir danken für das Gespräch.

Moderation: Karsten Wiedemann

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Den EU-Energiemarkt voranbringen: bne und SEDC zu Gast im Büro von Rebecca Harms (MdEP)

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Das Legislativpaket setzt auf die Wirkungskraft des Marktes. Insbe-sondere durch die von der EU-Kommission vorgeschlagene Auf-hebung von Strompreisgrenzen, der Flexibilisierung und der euro-paweiten Harmonisierung der Kurzfristmärkte sowie dem diskri-minierungsfreien Marktzugang für sämtliche Akteure soll ein wett-bewerblicher, europäischer Strom-markt entstehen. Ein solcher Markt belohnt die Bereitstellung von Flexibilität und fördert die Integra-tion der erneuerbaren Energien. Er leistet somit genau das, was die Vertreter der Erneuerbaren seit Jahren fordern.

Im Zentrum eines solchen Marktdesigns stehen die Kurzfrist-märkte, also der Day-Ahead- und der Intraday-Handel. Deren Liqui-dität soll weiter steigen. Eine ent-scheidende Bedingung hierfür ist, dass alle Marktteilnehmer einer Bilanzkreisverantwortung unterlie-gen. Daher setzt die Kommission ein wichtiges Zeichen, indem sie diese für alle Marktteilnehmer

einfordert. Positiv hervorzuhe-ben ist zudem der Vorschlag, den Bilanzierungszeitraum europa-weit zu harmonisieren, was den grenzübergreifenden Handel deutlich erleichtern wird. Die Ver-einheitlichung auf 15 Minuten bis 2025 ist allerdings deutlich un-terambitioniert. Für die effiziente Integration von Wind- und PV-Strom benötigen wir eher fünf Minuten bis 2020.

Wenig überraschend, aber dennoch enttäuschend ist, dass die Kommission nationale Kapazitäts-märkte zulassen möchte. Hier bleibt zu hoffen, dass die hohen Hürden, die die Kommission für diese vorgibt, im weiteren Verlauf des Gesetzge-bungsverfahrens nicht aufgeweicht werden. Nach aktuellem Entwurf dürfen nur Kraftwerke, deren Emis-sionen kleiner als 550 Gramm Koh-lendioxid pro produzierte Kilo-wattstunde sind, teilnehmen, was Kohlekraftwerke grundsätzlich ausschließt. Außerdem sollten diese Regeln auch für die bereits von der Kommission genehmigten Kapa-

zitätsmärkte in Großbritannien, Frankreich und Polen gelten.

Auswirkungen auf den deutschen Strommarkt Viele der Vorschläge der Kommis-sion für das europäische Strom-marktdesign und die Förderung von Erneuerbaren sind bereits Standard im deutschen Markt oder wurden im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG 2017) berücksichtigt. Daher werden sich die unmittel-baren Auswirkungen auf den deut-schen Strommarkt, sollte das Paket in seiner derzeitigen Form umge-setzt werden, in Grenzen halten.

Doch in einigen Punkten ist das sogenannte Winterpaket den hiesigen Rahmenbedingungen voraus. Die Kommission fordert mehrfach die Gleichbehandlung aller Marktakteure, die in Deutsch-land heute bei weitem noch nicht in allen Bereichen umgesetzt ist. Nach wie vor existieren ungleiche Bedingungen für die Bereitstellung von Erzeugungs- und Verbrauchs-flexibilität, beispielsweise durch

Ein Gastbeitrag von Daniel Hölder und Stephan Braig, Clean Energy Sourcing

Die EU-Kommission setzt bei der Flexibilisierung wichtige Leitplanken. Den Flickenteppich auf dem EU-Energiemarkt kann sie aber nicht auflösen. Diese Lücken gilt es zu schließen.

Auf dem Weg zur flexiblen EU-Energiewelt

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die derzeitigen Regelungen zu Netzentgelten sowie Abgaben und Umlagen. Und auch hinsichtlich der Teilnahme an den Regelenergie-märkten liegt noch keine vollstän-dige Gleichberechtigung zwischen den Technologien vor. Hier könn-ten die Vorschläge des Paketes not-wendige Prozesse in Deutschland anstoßen.

Dasselbe gilt für Bereiche, die bisher rein regulatorisch gehand-habt wurden, wie das Redispatch- und das Einspeisemanagement. Es ist zwar noch offen, wie markt-basiertes Redispatch und Engpass-management, an dem alle Erzeu-gungstechnologien, Speicher und steuerbaren Lasten partizipieren können, künftig aussehen könnten, aber die Stoßrichtung ist klar und richtig: Netzbetreiber – egal auf wel-cher Ebene – sollten Flexibilitäten grundsätzlich auf diskriminierungs-freien Märkten beschaffen. Nur marktbasierte Ansätze ermöglichen langfristig ein kosteneffizientes Netzengpassmanagement.

Blick auf andere EU-Mitglieds-staaten – Beispiel ItalienDerzeit gleicht der europäische Energiemarkt einem Flickenteppich, entsprechend wird sich das Legis-lativpaket unterschiedlich stark auf die jeweiligen Mitgliedsstaaten auswirken. Beispiel Italien: Hier existieren bisher weder Kurzfrist-märkte noch ein marktbasiertes System zur Bereitstellung von Regelenergie. Entsprechend liegt Italien auch weit hinter dem zu-rück, was im Winterpaket bezüglich der starken Rolle von flexiblen Verbrauchern und zur Bündelung von Flexibilität durch Aggregato-ren vorgeschlagen wird. Der italie-

nische Energiemarkt in seiner der-zeitigen Form verdeutlicht, welch tiefgreifende Transformationspro-zesse das Paket der EU-Kommission auf gesamteuropäischer Ebene anstoßen wird.

Wie geht es weiter? Das Paket ist zunächst nur ein Entwurf, mit dem die Kommission den ordentlichen Gesetzgebungs-prozess gestartet hat. Nun werden die Vorschläge im Europäischen Parlament und im Europäischen Rat, der Vertretung der Mitgliedsstaaten, beraten, geändert und beschlossen. Das wird bis Ende 2018 dauern.

Auch wenn mit Blick auf das Marktdesign bereits Vieles in die richtige Richtung weist, existieren noch Lücken. Für Energieversorger ist es nach wie vor unendlich kom-pliziert, Kunden in einem euro-päischen Nachbarland zu beliefern. Ganz anders als der polnische Schreiner, der ohne weiteres einen Schrank nach Deutschland ver-kaufen kann, ist dies für einen Ener-gieversorger nicht möglich. Hier besteht klar Handlungsbedarf.

Bei den Erneuerbaren geht das Vorhaben den Widerspruch zwi-schen den Ausbau-Zielen, nach denen die EU-Staaten Erneuerbare fördern, und dem Wettbewerbs-recht, das nationalen Förderregimen enge Schranken auferlegt, leider nicht an. Es ist bedauerlich, dass der von der Bundesregierung un-terstützte Vorschlag eines „Common Rulebook“, das Grundsätze für nationale Förderregime enthält, nicht aufgegriffen wurde. Auch die nach wie vor ungleichen Wett-bewerbsbedingungen für konven-tionelle und erneuerbare Energien werden nicht adressiert. Während

richtigerweise eine weitere Markt-integration der Erneuerbaren forciert wird, existiert eine massive Markt-verzerrung, beispielsweise aufgrund viel zu geringer CO2-Kosten. In die-sem Zusammenhang muss immer wieder daran erinnert werden, dass die 2030-Ziele, die dem Winterpaket zugrunde liegen, nicht ausreichen werden, um die Verpflichtungen Europas im Rahmen des Pariser Kli-maabkommens zu erfüllen.

Alles in allem wird im Legis-lativpaket in seiner jetzigen Fassung ein modernes gesamteuropäisches Marktdesign skizziert, das wichtige Impulse für die marktbasierte Inte-gration der Erneuerbaren und die Freisetzung der dafür notwendi-gen dezentralen Flexibilitäten liefert. Bis zur Umsetzung ist es jedoch noch ein weiter Weg.

Stephan Braig ist Pressereferent bei Clean Energy Sourcing.

Daniel Hölder ist Leiter Energie-politik & Kommuni-kation bei Clean Energy Sourcing.

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Mit der Fernsteuerung (kurzfristiges Ein- und Ausschalten) von elektri-schen Verbrauchern in Haushalten (Fokus auf Wärmepumpen, elek-trischen Heizungen, Boilern und Batterien) stellt Swisscom Energy Solutions durch Aggregation die Lasten als Regelenergie bereit. Wir nehmen seit 2014 am Sekun-därregelenergiemarkt und seit 2016 am Primärregelenergiemarkt der Swissgrid teil. Heute sind es 10.000 Anlagen, die im Pool der Swisscom Energy Solutions (unter dem Namen „tiko“) am Regel-energiemarkt teilnehmen.

Der am Pool teilnehmende Verbraucher erhält eine App und/oder einen Zugang zum Mitglie-derbereich der tiko, die ihm erlau-ben, realtime und historisch den Verbrauch seiner Wärmepumpe, elektrischen Heizung, Boiler oder Batterie zu analysieren und sie mit den übrigen Teilnehmern im

Pool zu vergleichen. Hat das Mit-glied im Pool auch eine PV-Anlage und eine Batterie, kann es außer-dem die produzierte Sonnenener-gie und den Eigenverbrauch be-obachten. Die Apps der Swisscom Energy Solutions erlauben den Kunden somit die Last- und Pro-duktionskurven auf Sekunden-basis zu verfolgen.

Die App informiert den Kunden zudem über eventuelle Probleme seiner Anlage. Der Kunde kann ferngesteuert auf sein Heizsystem zugreifen und es je nach Bedarf auf 40 Prozent oder 60 Prozent reduzieren. Diese Lösung wird sowohl in Deutschland als auch in Frank-reich eingesetzt. Somit leistet Swisscom Energy Solutions in der EU einen Beitrag zur Erreichung der Ziele des Winterpakets.

In der Schweiz ist Swisscom Energy Solutions ein Aggregator

und ein Technologieanbieter, im benachbarten Ausland ein Techno-logieanbieter.

Für einen Energieanbie- ter fungieren wir in Frankreich als ein White-Label-Provider. Dieser ist dort mit einem Pool von 2.000 Direktheizungen am 24. April 2017 für R1 (Äquivalent zu Primärregel-leistung) präqualifiziert worden.

Kooperation mit SonnenIn Deutschland hilft Swisscom Energy Solutions seit dem Jahre 2016 der Sonnen GmbH bei der Umset-zung des Konzepts der sonnenFlat, da Sonnen nebst der sonnenBatterie seinen Kunden auch ein Dienstleis-tungspaket als Energieversorger anbietet. Die Sonnen GmbH ver-spricht im Zusammenhang mit dem Kauf der sonnenBatterie die komplette Unabhängigkeit vom bis herigen Energieversorger und bietet eine Flatrate (sonnenFlat home oder city) an, die die Installa-tion der sonnenFlat-Box beinhal-tet. Die sonnenFlat Box ist die von Swisscom Energy Solutions ent-wickelte Steuerungsbox. Sie wird als sonnenBox beim Kunden ins-talliert und mittelfristig kann ein Pool von Batterien am deutschen Regelenergiemarkt teilnehmen.

Sowohl der Kunde des fran-zösischen Energieversorgers als

Erneuerbare Energien fördern, Effizienz anreizen und die Verbraucher mitnehmen. Diese Ziele verfolgt nicht nur die EU-Kommission, sondern auch Swisscom Energy Solutions mit seinen Produkten. Dafür gilt es, den wettbewerblichen Rahmen zu sichern.

Ein Gastbeitrag von Frédéric Gastaldo, Swisscom Energy Solutions

Unterstützung aus der Schweiz für die Ziele der EU-Energiepolitik

Swisscom Energy Solutions bietet telekommunikationsbasierte Lösungen für die ferngesteuerte Regelung des Stromverbrauchs an. Das Unternehmen wurde 2012 gegründet. Der Sitz ist in Olten in der Schweiz. Swisscom Energy Solutions befindet sich zu 51 Prozent im Besitz der Swisscom AG und zu 35 Prozent im Besitz der Repower AG. Der Rest der Aktien befindet sich in den Händen der Mitarbeiter.

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auch der der Sonnen GmbH wird durch die White-label Produkte der Swisscom Energy Solutions zu einem Prosumer, der energieef-fizient agieren kann.

Blickpunkt Winterpaket: Wettbewerb fördernDas Winterpaket hat drei Haupt-ziele: erstens, die Energieeffizienz als oberste Priorität zu behandeln, zweitens, die weltweite Führung im Bereich der erneuerbaren Energien zu übernehmen und drittens, ein faires Angebot für die Verbraucher bereitzustellen.

Swisscom Energy Solutions’ Hard- und Software zur Optimie-rung des Eigenverbrauchs für Haus-haltsbesitzer von Photovoltaikan-lagen und Batterien wird dazu beitragen, die Produktion von Er-neuerbaren zu erhöhen. Die Pro-sumer werden in ihrer Position im Strommarkt bekräftigt. Somit trägt Swisscom Energy Solutions’ Technologie zu Ziel zwei und drei bei. Swisscom Energy Solutions

unterstützt auch das erste Ziel, da es den Mitgliedern im Pool erlaubt, ihren Heizstromverbrauch fern-gesteuert zu reduzieren.

Vor dem Hintergrund, dass Swisscom Energy Solutions als Schweizer Firma im benachbarten EU-Ausland hilft, die Ziele des EU-Winterpakets zu erreichen, er-laubt sich diese auch Kommen-tare zum selben abzugeben:

1. Die Bestimmungen zum Mess-wesen sollten nicht in der Praxis dazu führen, dass Lösungen wie die der Swisscom Energy Solutions verteuert und unwirtschaftlich werden.

2. Die gut gemeinten Vorschläge in Bezug auf den Umgang der Verteilnetzbetreiber mit der Flexibilität sollten nicht zu einer Monopolisierung der Flexibi-lität durch die Verteilnetzbetrei-ber führen.

3. In Bezug auf die Steuerungsele-mente sollte ein „infrastruktur-basierter“ Wettbewerb ermög-

licht werden, bei dem verschiedene Akteure aufgrund eigener Steuer-elemente die Flexibilität des Kun-den für unterschiedliche Märkte nutzen können.

Der Infrastrukturwettbewerb in der letzten Glasfaser-Meile hat in der Schweiz zu Wettbewerb ge-führt. Die Schweiz ist im Breitband-markt in einer Spitzenposition. Diese positive Entwicklung würde sich durch einen Wettbewerb der Steuerboxen in Deutschland erge-ben. Swisscom Energy Solutions freut sich darauf, einen entspre-chenden Beitrag leisten zu können.

Frédéric Gastaldo ist Co-Founder und CEO von Swisscom Energy Solutions.

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„Gleiche Marktchancen sichern“

Mit ihren Vorschlägen zum Energie-markt will die EU-Kommission un-ter anderem die Hemmnisse für die Flexibilisierung abbauen. Sind die Vorschläge erfolgversprechend?Schell: Insgesamt geht vieles, was dort vorgeschlagen wird, in die rich-tige Richtung. Dass das Thema Fle-xibilität so eine große Rolle spielt, ist insgesamt ein wichtiges Signal. Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien in Europa wächst der Bedarf an Flexibilität überall. Wir sind als Aggregator ja heute schon in verschiedenen Ländern der EU aktiv und wir setzten darauf, dass sich die Rahmenbedingungen für das Lastmanagement weiter verbes-sen. Sichergestellt werden müssen etwa gleiche Marktchancen für un-abhängige Aggregatoren wie REstore und integrierte Aggregatoren.

Im Winterpaket wird auch die Rolle der Verteilnetzbetreiber bei der Flexibilisierung angesprochen. Was wäre hier aus Ihrer Sicht der richtige Ansatz?Schell: In der Tat ist dieser Punkt sehr wichtig. Viele der aktuellen

Märkte für Flexibilität kommen noch aus der klassischen Energie-wirtschaft, wie z. B. die Märkte für Regelleistung unter dem Regime der Übertragungsnetzbetreiber. Wir sind jedoch davon überzeugt, dass mit stetigem Zubau von Er-neuerbaren auf Verteilnetzebene und dem Rückgang von Grund-lasterzeugung auch im Verteilnetz Flexibilitätsprodukte eine Rolle spielen werden. Entsprechende Märkte mit transparenten Spiel-regeln sind jedoch noch auszuprä-gen. Hier wird sehr viel gesprochen und nachgedacht. Es ist jetzt Zeit, Entscheidungen zu treffen und konkrete Schritte zu unternehmen.

REstore setzt auf Flexibilisierung von industriellen Verbrauchern. Welches Potential besteht hier in Deutschland?Rosenstock: In Europa haben wir bereits mehr als 1.700 Megawatt flexible Spitzenlast unter Manage-ment. Dazu zählen unter anderem Anlagen aus den Branchen Stahl, Papier und Nichteisen-Metalle. In anderen EU-Märkten haben wir

gesehen, dass sich rund 10 Prozent der Spitzennachfrage verschieben lassen. In Deutschland schauen wir uns die großen Industrieverbrau-cher an, die wir für unseren Pool für die Primärregelleistung gewinnen wollen. Durch die Vermarktung vor-handener Flexibilitäten bieten sich diesen Unternehmen bereits in der bestehenden Struktur zusätzliche Erlösmöglichkeiten, ohne in zusätz-liche Assets zu investieren.

Anfang 2017 haben Sie eine Part-nerschaft mit dem PVC-Hersteller Vestolit bekannt gegeben, dessen Chlorelektrolyse nun an der Flexi-bilitätsvermarktung teilnimmt. Sind Unternehmen der chemischen Industrie besonders gut geeignet für die Flexibilisierung?Rosenstock: Mit Total, Umicore und anderen haben wir schon Part-ner aus diesem Bereich. In den Benelux-Staaten arbeiten wir bereits mit Chlor-Elektrolysen. Die Pro-zesse lassen sich zeitlich steuern, etwa für symmetrische oder posi-tive Regelenergie. Die Anlagen von VESTOLIT leisten ja bereits einen

REstore gehört zu den führenden europäischen Anbietern im Lastmanagement. Das Unternehmen setzt darauf, dass sich die Rahmenbedingungen durch das EU-Winterpaket weiter verbessern, wie Dirk Rosenstock und Peter Schell im Interview mit dem Kompass erläutern.

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Beitrag für die Netzstabilisierung, etwa über die Verordnung zu ab-schaltbaren Lasten. Mit unserer Plattform-Lösung Flexpound bie-ten wir nun zusätzlich die Möglich-keit zur Teilnahme an der Primär-regelleistung, die bisher ja eher der Erzeugungsseite vorbehalten war. Dort sind Vergütungen von bis zu 180.000 Euro pro Megawatt und Jahr möglich. Wir sind der einzige Anbieter, der in der Lage ist, diese in einem PRL-Pool über unsere Hard- und Software in Echtzeit zu mana-gen. VESTOLIT markiert für uns den Eintritt in den deutschen Markt und wir sind überzeugt, dass wir noch viele weitere Großverbrau-cher als Kunden gewinnen können.

Für die Vermarktung von Flexi-bilität ist der Regelleistungsmarkt im Moment das wichtigste Instru-ment; die Zahl der Anbieter wächst. Führt das nicht zu sinkenden Preisen?Rosenstock: Vorherzusagen, wie sich die Preise entwickeln, ist natürlich der berühmte Blick in die Glaskugel. Mit dem Ausbau der Erneuerbaren steigt aber definitiv der Bedarf für Flexibilität aus unterschiedlichen Quellen. Der Regelleistungsmarkt ist bisher von der Erzeugungsseite dominiert, das Angebot an Flexibili-tät aus der Verbrauchsseite ist noch nicht so hoch. Das wird sich ändern,

durch mehr Verbraucher aber auch Batterien, die teilnehmen; auf der anderen Seite werden die klassischen Erbringer für diese Regelleistung wie z. B. fossile Kraftwerke jedoch weiter zurückgehen. Noch sind die Prozesse für die Teilnahme am Regelenergiemarkt komplex; ein Beispiel sind die langwierigen Präqualifikationsschritte.

Was sind aus Ihrer Sicht aktuell die größten Hemmnisse bei der Vermarktung von Flexibilität?Schell: Die aktuelle Netzentgelt-systematik ist mit Sicherheit ein großes Hemmnis, insbesondere die individuellen Netzentgelte für Großverbraucher nach § 19 Abs. 2, Satz 2 der StromNEV. Aktuell wer-den diese Unternehmen ja für einen kontinuierlichen Strombezug aus dem Netz belohnt. Die Teil-nahme an Flexibilitätsmärkten wie dem Regelenergiemarkt wird dadurch aber erschwert, weil ein Unternehmen Gefahr läuft, sein individuelles, reduziertes Netzent-gelt zu verlieren, wenn es seine Anlagen hoch oder runter fährt. Das passt einfach nicht mehr in ein System mit hohen Anteilen er-neuerbarer Energien. Dass der bne bei diesem Thema nun um neue Regelungen bemüht ist, die eine Teilnahme an Flexibilisie-rungsmärkten ohne Verlust der

individuellen Netzentgelte ermög-lichen soll, ist daher richtig, um vorhandenes Potential auszuschöp-fen und netz- und marktdienliche Fahrweisen zu unterstützen.

Interview: Karsten Wiedemann

Dirk Rosenstock ist Vice President Sourcing & Sales Germany bei REstore.

Peter Schell ist Vice-President Regulatory Affairs bei REstore.

„Wir sind davon überzeugt, dass mit stetigem Zubau von Erneuerbaren auf Verteilnetzebene und dem Rückgang von Grundlasterzeugung auch im Verteilnetz Flexibilitätsprodukte eine Rolle spielen werden.“

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Impressum

Herausgeber:Bundesverband Neue Energiewirtschaft e. V. (bne)Hackescher Markt 410178 Berlin

Fon: + 49 30 400548-0Fax: + 49 30 [email protected]/bne_news

Steuer-Nr.: 27/620/55384 Vereinsregister-Nr.: 23212 B AG Charlottenburg

V. i. S. d. P.: Robert Busch

Redaktion: Karsten Wiedemann

Mitarbeit: Bianca Barth, Cornelia Nix

Gastautoren dieser Ausgabe: Stephan Braig, Frédéric Gastaldo, Daniel Hölder, Frauke Thies

Gestaltung: BÜRO WEISS

Druckerei: Neue Druckhaus Dresden GmbH

Redaktionsschluss: 6. Juni 2017

Bildnachweise: Cover und Innenteil Jan Pauls, U2 Nicole Graether/nicolegraether.de, S. 5 bne, S. 6 – 11 Bildschön/Digby Washer, S. 15 privat, S. 16 – 21 Bild-schön/Digby Washer, S. 24 Clean Energy Sourcing, S. 27 Swisscom Energy Solutions, S. 30 REstore

Auflage:2.500

Hinweis: Gastbeiträge ent- sprechen nicht zwangsläufig der Meinung des bne.

Nachdruck – auch auszugs- weise – nur mit Genehmigung des Herausgebers.

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Der bne steht seit 15 Jahren für Markt, Wettbewerb und Innovation in der Energiewirtschaft. Unsere Mitglieder entwickeln wegweisende Geschäftsmodelle für Strom, Wärme und Mobilität.

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