Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die...

36
Meinung · Wissen · Nachrichten Das Magazin des Bundesverbandes der Vertragspsychotherapeuten e.V. Euro 9,80 · www.bvvp.de Projekt Psychotherapie 01/2013 Abschiedsbrief Die Steuerfrau des bvvp geht von Bord. Nach 20 Jahren verabschiedet sich die Vorsitzende des Bundesverbandes Aufbauarbeit im Rückblick Mit zaghaften Schritten machte sich der Verband in Südwürttemberg auf seinen Weg nach oben Am Kap der Vielfalt In Südafrika erlebten bvvp-Mitglieder intensive Begegnungen und gewannen Einblicke in eine kontrastreiche Gesundheitsversorgung Körper im Spiegel der Seele Dualismen können das rätselhafte Verhältnis von Psyche und Soma nicht lösen. Ein Schwerpunkt, der über die Erforschung isolierter Aspekte und ihrer Beziehungen zueinander hinausgeht

Transcript of Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die...

Page 1: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

Meinung · Wissen · Nachrichten

Das Magazin des Bundesverbandes der Vertragspsychotherapeuten e.V.

Euro 9,80 · www.bvvp.de

ProjektPsychotherapie01/2013

AbschiedsbriefDie Steuerfrau des bvvp geht von Bord.Nach 20 Jahren verabschiedet sich die Vorsitzende des Bundesverbandes

Aufbauarbeit im RückblickMit zaghaften Schritten machte sich der Verband in Südwürttemberg auf seinen Weg nach oben

Am Kap der Vielfalt In Südafrika erlebten bvvp-Mitglieder intensive Begegnungen und gewannen Einblicke in eine kontrastreiche Gesundheitsversorgung

Körper im Spiegel der SeeleDualismen können das rätselhafte Verhältnis von Psyche und Soma nicht lösen.Ein Schwerpunkt, der über die Erforschung isolierter Aspekte und ihrer Beziehungen zueinander hinausgeht

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:24 Uhr Seite 37

Page 2: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

€ 410,- / € 360,- für M.E.G-Mitglieder, sowie für Mitglieder der DGZH, DGH, DGÄHAT, MEGA, ghyps oder SMSH gegen Nachweis

Ich überweise die Tagungsgebühr in Höhe von € bis auf das Konto 95 119 830, BLZ: 701 500 00 bei der SSKM,IBAN: DE32 7015 0000 0095 1198 30, BIC: SSKMDEMMEmpfänger: „MEG“, Verwendungszweck „JT 13/PT“ und Name der Teilnehmerin/ des Teilnehmers!

Organisation und Durchführung: Milton Erickson Gesellschaft für Klinische Hypnose e.V., www.MEG-Hypnose.de, www.MEG-Tagung.de

Information:Congress Organisation Claudia Winkhardt, Griegstr. 32 a, D-14193 BerlinTel: +49 (0)30 36284040, Fax: +49 (0)30 36284042, E-mail: [email protected]

Den Programm-Download sowie nähere Informationen zu den Anmeldebedingungen �nden Sie auf unserer Homepage: www.MEG-Tagung.de

Verbindliche Anmeldung zur Jahrestagung der M.E.G, 14. - 17.03.2013 in Bad Kissingen

Name: Vorname:

Beruf: Akadem. Grad:

Straße:

PLZ/Ort:

Telefon: Fax:

E-Mail:

Bitte schicken Sie mir regelmäßig den elektronischen Newsletter der M.E.G zu.

Bitte informieren Sie mich per Email über aktuelle Änderungen zur Tagung.

Datum: Unterschrift:

Mit meiner Unterschrift erkenne ich die Anmeldebedingungen (siehe www.MEG-Tagung.de) an.

/ /

Anmeldung online über unsere Homepage: www.MEG-Tagung.de oder per Fax: 030 36284042 bei Congress Organisation C. Winkhardt

M.E.G JAHRESTAGUNG 201314. - 17. März 2013 in Bad Kissingen

Milton Erickson Gesellschaft für Klinische Hypnose

Hypnotherapie: Krise, Angst und Trance formation

Prof. Dr. Dr. Niels BirbaumerDr. Wolfram DorrmannMag. Christian FelberProf. Dr. Peter KruseDr. Ursula Lirk

Dipl.-Psych. Ortwin MeissDipl.-Soz.Päd. Annalisa NeumeyerDr. Rebekka ReinhardDipl.-Psych. Jürgen SchrammDr. Wolfgang Schmidbauer

Dr. Gunther SchmidtProf. Dr. Thomas Schubert

VORTRÄGE

Der besondere Vortrag:Dr. Manfred Lütz

WEITES SPEKTRUM PRAXISORIENTIERTER MODULE: ca. 100 WorkshopsFortführung der Programmreihe Medizin & Hypnose mit Vorträgen und WorkshopsAusbau des Wissenschaftsforums MEGscience

AZ Projekt Psychotherapie_MEG_5.2.13.indd 1 06.02.13 09:48

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:23 Uhr Seite 2

Page 3: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

n

13 09:48

ProjektPsychotherapie

03

V O R W O R T

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

dieses Vorwort möchte ich für einen kleinen Rückblick nutzen. Nicht für meinen persönlichen,sondern für unsere Zeitschrift. Für meinen persönlichen Rückblick und Ausblick müssen Sienachher nur umblättern. Als ich darüber nachdachte, was ich Ihnen in meinem letzten Vorwortsagen will, schien mir wichtig, unsere Zeitschrift selbst – als das Organ, mit dem sich der bvvpganz wesentlich nach innen zu seinen Mitgliedern, aber auch nach außen zu allen andereninteressierten Lesern hin artikuliert – zu betrachten. Ich möchte Ihnen ein bisschen erzählen,was das Besondere an dieser Zeitschrift ist. Zuallererst ist es überhaupt nicht selbstverständlich,dass wir sie haben. Der bvvp hatte nämlich viele Jahre gar keine Zeitschrift. Jeder einzelne Lan-desverband des bvvp wandte sich an seine Mitglieder mit eigenen Rundschreiben, in denen ge-mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klapptealles wunderbar, und unsere Mitglieder waren gut informiert. Niemand im Bundesvorstanddachte an eine Zeitschrift, zumal so eine Zeitschrift auch nicht gerade umsonst zu haben ist.Nun hatten wir aber das Glück, dass es in unseren Reihen eine Kollegin gab, die phänomenalgut schreiben konnte und schon immer davon geträumt hatte, einmal selbst eine Zeitschrift zumachen. Und da sie obendrein hartnäckig war und nicht locker ließ, hat sie uns schließlich über-zeugt, und wir haben Schritt für Schritt die Realisierung unseres Magazins bewältigt. Das warvor nun elf Jahren – Grund genug, dass ich sie an dieser Stelle in Erinnerung rufen und ihr vorallem von ganzem Herzen danken will. Es war Ursula Neumann, Diplom-Psychologin aus demOrtenaukreis, Südbaden.

Liebe Ursula, Du hast dem bvvp mit dieser Zeitschrift ein einmaliges Publikationsorgan ge-schaffen, das bis heute in der damals gefundenen Grundstruktur weiterlebt – in der Untertei-lung in einen Teil, in dem der Bundesvorstand jeweils aktuell informiert, und einen Schwerpunkt,in dem zu einem Thema vertieft informiert, diskutiert und gestritten wird.

Dafür sind wir Dir bis heute verbunden, ebenso wie Deiner liebsten Mitstreiterin,-schreiberin und Namensvetterin Dr. Ursula Stahlbusch. Und was uns bis heute eben-falls geblieben ist, ist der hohe Anspruch, den Du an die Artikel und Inhalte gelegt hast– daran wird nach wie vor hart gearbeitet. In der Zwischenzeit hat das Magazin des bvvpaber auch Wandlungen erfahren, insbesondere in der äußeren Aufmachung. Es gefälltuns immer besser und unseren Lesern offensichtlich auch, denn unser Leserkreis ist in-zwischen weit über den unserer Mitglieder hinaus gewachsen. Darüber sind wir glück-lich, denn wir wollen eine Botschaft transportieren. „Pro Psychotherapie“ und „ProjektPsychotherapie“ heißt unsere Zeitschrift – sozusagen ein Doppelname mit zwei Bot-schaften. Unter diesem Gedanken lässt sich vieles fassen und besonders durch die leb-hafte Beteiligung der Autoren darstellen und diskutieren. Wir wissen es sehr zu schät-zen, dass sich hier nicht nur immer mehr namhafte Vertreter aus dem Bereich der Be-rufspolitik zu Wort melden, sondern dass sich auch immer mehr Wissenschaftler inunserer Zeitschrift zu vielen brisanten fachlichen Fragen äußern. Auch dieses aktuelle

Heft ist dafür ein gelungenes Beispiel. Die Thematik ist nicht leicht. Es geht um das Verhältnisvon Psyche und Soma – Seele und Leib. Ein Thema, das immer wieder auch in berufspolitischeÜberlegungen und Positionen hineinspielt und damit Grund für uns ist, uns dem Komplex voneiner ganz grundsätzlichen Seite her zu nähern. Ich wünsche Ihnen bei der Lektüre dieses Hef-tes viel Spaß und auch in der Zukunft bei den noch hoffentlich vielen folgenden spannendenAusgaben.

Herzliche Grüße,Ihre Birgit Clever

Foto

:Pri

vat

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:28 Uhr Seite 3

Page 4: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

ProjektPsychotherapie

04

I N H A LT

Wissen

05 Aufbauarbeit im Rückblick Mit zaghaften Schritten machte sich der Verband in Südwürttemberg auf seinen Weg nach oben

Meinung

08 AbschiedsbriefDie Steuerfrau des bvvp geht von Bord.Nach 20 Jahren verabschiedet sich die Vorsitzende des Bundesverbandes

ProjektPsychotherapie01/2013Das Magazin des Bundesverbandes der Vertragspsychotherapeuten (bvvp) e.V.

Illu

stra

tion

un

dT

itel

bild

:Les

pren

ger

Schwerpunkt Körper im Spiegel der Seele

13 Geist und Seele ...... sind nicht nur untrennbar mit dem Körperverbunden, sondern Teil desselben und bilden im Miteinander unsere Identität

14 Wenn Hände heilenMit Berührungen öffnet die Körperpsychotherapie das Versteck der Seele

17 Das implizite BeziehungswissenWie lässt sich die allein sinnlich erfahrene Wissenswelt als therapeutische Ressource nutzen?

19 Zur Diagnostik des KörpererlebensEin Streifzug durch die Wechselbeziehung zwischen Selbst- und Körperakzeptanz

22 Henne oder Ei?Sind Krankheitssymptome körperlich oder psychisch bedingt? Ein historischer Abriss über die rätselhafte Verbindung von Körper und Seele

25 Die verletzten Teile und das veränderte GanzeSogar bei Läsionen des Gehirns muss die Therapie die Dynamik psychologischer Faktorenund die Selbstsicht des Patienten berücksichtigen

28 Literatur

31 Veranstaltungen

34 Ausblick, Termine, Impressum, Marktplatz

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:23 Uhr Seite 4

Page 5: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

ProjektPsychotherapie

05

W I S S E N

Aufbauarbeit im Rückblick Die ersten Gehversuche des Verbandes der Vertragspsychotherapeuten in Südwürttemberg waren so zaghaft wie wirkungslos. Heute gehört er zum Fundament – für ein Netzwerk, das aufmehreren politischen Ebenen aktiv ist Von Hermann Mezger, ehemaliger Vorsitzender VVPSW

___ Nach 18 Jahren Vorstandsmitarbeitmöchte ich meinen Rückzug aus der poli-tischen Arbeit dazu nutzen, ein paar Ge-danken zur Entwicklung unseres 1994 ge-gründeten Verbandes vorzutragen. Vielevon den Jüngeren dürften nämlich gar nichtso richtig wissen, wie alles anfing.

Die Gründung des Verbandes der Ver-tragspsychotherapeuten Südwürttemberg(VVPSW) erfolgte 1984 aus einer diffusen,jedoch wachsenden Existenzangst unter denKollegen, nachdem angesichts der Honorar-Budgetierung unter Seehofer das Hamster-rad immer häufiger abgerechneter Leistun-gen in Gang gekommen war. Im Gegensatzzu den Somatikern konnten wir Psychothe-rapeuten keine Leistungen an das Praxisper-

sonal delegieren und damit ausweiten, wes-halb die Honorare für unsere zeitgebunde-nen Leistungen zunehmend abrutschten. DerPreis für eine Psychotherapiesitzung näher-te sich damals der 80-DM-Marke und sankbei manchen Kassen noch weiter. Deshalbfand sich eine Gruppe von Kollegen zusam-men und gründete – nach dem Vorbild der

Südbadener, die uns um ein paar Monatevoraus waren – den Verband der Vertrags-psychotherapeuten Südwürttemberg.

Die ersten Jahre waren geprägt von demBemühen, sich beim damaligen Vorstandder Kassenärztlichen Vereinigung (KV)überhaupt Gehör zu verschaffen. So wur-den noch vorwiegend appellierende Briefegeschrieben, um unser Anliegen vorzutra-gen ... Wir hatten noch viel zu lernen, waspolitische Arbeit betrifft. In den Sitzungender Vertreterversammlung durften wir zwarzuhören, hatten aber kein Rederecht. Nurausnahmsweise durften wir einen kurzenBeitrag halten. Von den KV-Oberen gab esbegütigende und beschwichtigende Ab-sichtserklärungen, denen so gut wie nie

Die Integration derPsychotherapeuten ist hervorragend gelungen

Foto

:Pri

vat

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:23 Uhr Seite 5

Page 6: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

W I S S E N

ProjektPsychotherapie

06

konkrete Taten folgten. Das änderte sicherst, als wir begannen, konkreten Akteurendes KV-Vorstands persönlich zuzusetzenund Druck zu machen. Hinzu kam derbesonders wichtige Erfolg von NorbertBowe im sensationellen „10-Pfennig-Ur-teil“ des Bundessozialgerichts (BSG) vom25. August 1999. In den folgenden Jahrenerreichten wir noch weitere gerichtliche Er-folge, sodass die KV uns die bis dahin vor-enthaltenen Honorare nachzahlen mussteund wir als Gesprächspartner endlich ernstgenommen wurden.

Weitere Honorarprozesse, die von unsund vom bvvp bundesweit und systema-tisch geführt wurden, festigten den Rechts-anspruch der Psychotherapeuten auf einstabiles Honorar, das bis heute immer nochauskömmlich ist. Leider liegt ein ärgerlicherKollateralschaden dieser BSG-Urteile dar-in, dass die nicht genehmigten Psychothe-rapieleistungen eine deutlich schlechtereBewertung erfuhren, obwohl gerade pro-batorische Sitzungen wesentlich mehr Ar-beit machen als genehmigte Richtlinien-psychotherapie. Diese völlig unangemes-sene Differenzierung ist eine juristischeFolge der damaligen Argumentation, wo-nach die genehmigungspflichtige Psycho-therapie selbst dann nicht ausgeweitet wer-den kann, wenn der Psychotherapeut das zueigenem Vorteil gerne möchte. Demgegen-über könne er in einem gewissen Rahmenselbst entscheiden – das trifft ja im Kernzu –, wie viele probatorische Sitzungen erbei einem Patienten macht.

Einen entscheidenden Beitrag zur Ver-besserung unserer politischen Wirksamkeit

leistete das Psychotherapeutengesetz, daszur Etablierung Beratender Fachausschüssefür Psychotherapie führte. Sie sollten hel-fen, die neu zugelassenen PsychologischenPsychotherapeuten und Kinder- und Ju-gendlichenpsychotherapeuten (KJP) in dasKV-System zu integrieren, die das von ih-nen bisher im Kostenerstattungsverfahrenerwirtschaftete Honorarvolumen ins KV-System mitbrachten. Bis heute weiß keiner,wie viel von diesem Geld manche Kran-kenkassen bei der Überleitung unter denTisch fallen ließen; selbstredend wurde die-se Unterstellung von den Kassen heftig be-stritten. Es resultierten endlose Honorar-streitigkeiten innerhalb der Vertragsärzte-schaft, die bis heute anhalten. Dieser Streitbewirkte jedoch auch eine immer stabilereVerankerung der Psychotherapeuten in denKöpfen der KV-Oberen. Parallel dazu ver-lor Psychotherapie den Exotenstatus, den siebis dahin in der ambulanten Versorgunggenoss, und sie wurde zunehmend „hoffä-hig“. Inzwischen nehmen auch zahlreicheAusländer und sogar immer mehr von denfrüher diesbezüglich eher scheuen Män-nern Psychotherapie in Anspruch, ohnedeshalb rot zu werden. Auch zahlreicheHausärzte wissen heute die Arbeit vonPsychotherapeuten zu schätzen und über-weisen ihre Patienten zu uns. Das war nichtimmer selbstverständlich.

Obwohl der erste Fachausschuss Psycho-therapie in Südwürttemberg von VVPSW-Mitgliedern maßgeblich beeinflusst und ge-prägt wurde, gelangen schon bald belast-bare Kooperationen zwischen uns und denVerbänden unserer politischen Konkurrenz.Das ist bemerkenswert, weil bis 1999 viel-fach noch ausgeprägtes Misstrauen zwi-schen Ärztlichen und PsychologischenPsychotherapeuten sowie KJP-lern vor-herrschte. Diese hatten sich gegenüber Ärz-ten durch die Definition als „nichtärztli-che“ Psychotherapeuten und vor allem auchdurch das 1999 endlich abgeschaffte un-sägliche Delegationsverfahren diskriminiertgefühlt, aber auch aufseiten der ÄrztlichenPsychotherapeuten waren immer wiederSpannungen geschürt worden.

Bis 1999 herrschte noch ausgeprägtes Misstrauen zwischen Ärztlichen und Psychologischen Psychotherapeuten sowie KJP-lern

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:23 Uhr Seite 6

Page 7: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

M E I N U N G

ProjektPsychotherapie

07

W I S S E N

Als wesentlichen Teil unserer politischenArbeit im VVPSW haben wir es deshalbstets angesehen, alte Verbitterungen nebstallerlei Vorurteilen zwischen Ärztlichen,Psychologischen und KJP-Therapeuten zumindern und stattdessen Vertrauen undKooperation in Gang zu bringen. Wenn wiruns heute die Qualität unserer politischenArbeit im VVPSW und im bvvp-Gesamt-verband ansehen, können wir stolz fest-stellen, dass die Integration der Psychothe-rapeuten als ein wichtiges Ziel unserer Ar-beit hervorragend gelungen ist.

Eine eher unglückliche Wendung derDinge verdankt Baden-Württemberg derdamaligen Gesundheitsministerin UllaSchmidt, die das Machtmonopol der KVenendlich zerbrechen und zu diesem Zweckeinen vermehrten Wettbewerb zwischenden Leistungsanbietern in Gang bringenwollte. Das eine Vorhaben führte 2004 zurzwangsweisen Zusammenlegung der vierbaden-württembergischen Regional-KVenzur KVBW – „weg mit den kleinen Lan-desfürsten!“ –, das andere bescherte unsdas Selektivvertrags-(Un-)Wesen, mit demwir Südwürttemberger uns gemeinsam mitunseren Kollegen von den anderen bvvp-Regionalverbänden und auch anderenPsychotherapeutenverbänden seit einigerZeit herumzuschlagen haben. Die in denletzten Jahren aktiv gewordene jüngere Vor-standsgeneration und insbesondere unsereVertragswerkstatt unter der Federführungvon Gebhard Lingg befassen sich deshalbintensiv mit der Entwicklung neuer Ver-tragsstrukturen. Diese müssen freilich da-hingehend ausbalanciert bleiben, dass sieauf keinen Fall die Richtlinientherapie undden für uns existenziell wichtigen Kollek-tivvertrag über die KVen in Gefahr brin-gen, denn beide zusammen gewährleisten

uns bis heute den Schutz der Rechtspre-chung des Bundessozialgerichts für unsereHonorare.

Damit hat sich die Szenerie in den letz-ten 18 Jahren umfassend gewandelt. Heu-te ist der VVPSW nicht mehr der jam-mernde und vorwiegend appellatorischtätige Kollegenhaufen der ersten Jahre, son-dern gemeinsam mit den anderen Regio-nalgruppen und Landesverbänden stellt ereines der verzweigten Fundamente dar, indenen der bvvp als einflussreicher und aufmehreren politischen Ebenen vernetzterund komplex tätiger Berufsverband wur-zelt. Unsere Vertreter des bvvp-BW sind ausder KV Baden-Württemberg nicht mehrwegzudenken, ihr Wort wird zwar nicht im-mer geliebt, aber es wird gehört. Vertreterdes bvvp-Bundesverbandes werden zu An-hörungen des Bundestages eingeladen,wenn Gesetze formuliert werden. JürgenDoebert pflegt auf höchster Ebene Ver-trauensbildung und die kollegiale politi-sche Kooperation, sowohl mit der Spitzeder Kassenärztlichen Bundesvereinigung(KBV) als auch mit unseren früheren po-litischen Gegnern konkurrierender Berufs-verbände. Ähnliche Funktionen nehmenNorbert Bowe und andere Mitglieder desbvvp-Bundesvorstandes wahr, freilich fastausschließlich hinter den politischen Ku-lissen des Gesundheitswesens. Im Bundes-sozialgericht sitzt ein bvvp-Mitglied als Bei-sitzer. Das Magazin Projekt Psychothera-pie des bvvp wird weit über die Grenzen

unseres Berufsverbandes hinaus gelesen,und zwar auch von einflussreichen Men-schen im Schnittfeld zwischen Gesund-heitswesen und Politik.

So gesehen hat sich der Schwerpunkt un-serer berufspolitischen Tätigkeit quasi im-mer weiter nach oben verlagert, dorthin,wo die Entscheidungen getroffen werden,die uns dann im beruflichen Alltag das Le-ben erleichtern oder auch erschweren. Im-mer wichtiger geworden ist deshalb auch diePflege der „psychotherapeutischen Land-schaft“ und damit die Entwicklung vonVisionen, wie Psychotherapie in den nächs-ten Jahrzehnten aussehen soll, wie sie be-trieben werden kann und wie sie sich in dieübrige Versorgungslandschaft des Gesund-heitswesens eingliedert. Dort dürfte siekünftig mehr Gewicht erhalten als früher.

Es fühlt sich höchst befriedigend an, Ih-nen die Entwicklung unseres Verbandes sopositiv darstellen zu können. Dabei ist mirwichtig herauszustellen, dass all dieseErfolge nur durch die vertrauensvolleKooperation von zahlreichen Beteiligtenmöglich waren. Das etwas in Verruf ge-kommene Bild der „Seilschaft“ beschreibtdiese vernetzten Prozesse meines Erach-tens noch am besten. Dass es gelungen ist,innerhalb und teilweise auch außerhalbunseres Verbandes das überkommene undmancherorts leider noch bis heute kulti-vierte Misstrauen zwischen unseren Be-rufsgruppen aufzugeben zugunsten der An-erkennung einer „Ergänzungsreihe“ ausFähigkeiten und Tätigkeiten – von Sprech-stunden-Praxen bis hin zu rein psy-choanalytisch tätigen Therapeuten, unterEinschluss zahlreicher unterschiedlicherArbeitsmodelle zwischen diesen beiden Po-len –, macht mich glücklich und hoff-nungsvoll für die Zukunft der Psychothe-rapie in unserem Land. ___

Mit dem ewigen Honorarstreit verankerten wir uns in den Köpfen der Entscheidungsträger

Konkreter Druck und das 10-Pfennig-Urteilverschafften uns Gehör

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:23 Uhr Seite 7

Page 8: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

ProjektPsychotherapie

08

M E I N U N G

___ Liebe Kolleginnen und Kollegen, die-se Ausgabe des Magazins des bvvp ist fürmich persönlich eine ganz besondere, weilich mich mit einigen persönlichen Be-trachtungen von Ihnen verabschieden will.Nach 20 Jahren berufspolitischer Tätigkeitwerde ich im Rahmen der Frühjahrstagungdes bvvp am 8. und 9. März 2013 in Fuldaall meine Ämter im bvvp niederlegen. Dasist eine enorme Veränderung in meinemLeben. Ich bin glücklich und dankbar, dassich mich über so lange Zeit mit hochinte-ressanten Themen und mit vielen klugenLeuten habe beschäftigen und ausein-andersetzen dürfen. Die Berufspolitik warfür mich die Eintrittskarte in eine Welt, indie ich gut gelaunt und neugierig hinein-gestürmt bin – begierig zu verstehen, wie esdie Menschen anstellen, ihre meist kon-flikthaften Interessen in komplexen Syste-men zu organisieren.

Da sind die fachlichen Erfordernisse fürunsere psychotherapeutische Tätigkeit, dieHonorierung unserer Leistungen als mate-rielle Grundlage und Voraussetzung, Psycho-therapie unseren Patienten überhaupt zurVerfügung stellen zu können, die vielen Re-geln und Vorschriften, die unsere praktischeTätigkeit im Hinblick auf Weiterbildung,Qualität, Berufsrecht und Honorierung re-gulieren und von den Kammern und Kas-senärztlichen Vereinigungen beschlossen,eingefordert und kontrolliert werden. Dasind die staatliche Verantwortung und Auf-sicht der Gesundheits- und Sozialministerienwiederum über unsere berufsständigenKammern und Kassenärztlichen Vereini-gungen, aber auch die proaktive Rolle desStaates mittels seiner Gesetzgebung, das Ge-sundheitswesen richtungsweisend so zustrukturieren und zu lenken, dass die Men-schen in unserem Land im Bereich Ge-

sundheit in den Genuss der Vorzüge unse-res Wohlfahrtsstaates kommen. Deutschlandbekennt sich nach wie vor zur Fürsorge-pflicht des Staates gegenüber seinen Bür-gern; unabhängig von Herkunft, Alter, Ge-schlecht und finanziellen Mitteln soll jedemder Zugang zu allen Gesundheitsleistungenauf Facharztstandard möglich sein.

Mit dieser Ausrichtung als auch unserenspeziellen psychotherapeutischen Belangenübergeordnetem Ziel konnte ich mich im-mer sehr gut identifizieren und habe dar-aus auch inhaltlich die Sinnhaftigkeit be-rufspolitischen Engagements abgeleitet. DieVerschränkung der verschiedenen politi-schen und Verwaltungsebenen zu sinnvol-len Regelkreisen und zu einem großen Gan-zen sowie deren Wirkweisen zu erkennenhat mich immer fasziniert.

Zusätzlich zu dem Umstand, dass meinHerz für die Psychoanalyse und die tiefen-

A B S C H I E D S B R I E F

Aufhören ist Teil der Professionalität

Mit Herzblut und einem unbedingten Willen zur aufrichtigen Debatte steuerte Birgit Clever den Kurs des bvvp,

dessen Gemeinschaftsgeist ihr Heimat und Erfolgsquelle war.Nach 20 Jahren berufspolitischer Schaffenskraft

verabschiedet sich die Vorsitzende des Bundesverbandes

Von Birgit Clever, 1. Vorsitzende bvvp-Bundesverband

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:23 Uhr Seite 8

Page 9: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

ProjektPsychotherapie

09

M E I N U N G

Foto

:Pri

vat

„Wenn du ein Schiff bauen willst, trommle nicht die Menschen zusammen,um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu verteilen und die Arbeit

zu erleichtern, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer“Antoine de Saint-Exupéry

psychologisch fundierte Psychotherapieschlägt – Verfahren, die auf Erkenntnis undEmanzipation angelegt sind –, war diesmein ganz persönlicher Motor. Er hat mirdie Energie und Lust gegeben, über 20 Jah-re hinweg immer wieder die Spannkraftaufzubringen, einen enormen Teil meinerLebenszeit letztlich vor dem PC und imZug zu verbringen. Über Jahre war meineReisetätigkeit so umfangreich, dass ich denEindruck hatte, die Hälfte meiner Zeit imZug zu verbringen. Aber erst wenn man allediese Regelkreise durchdrungen hat, kannman – selbst Teil des Regelwerkes – ab undan richtungsweisenden Einfluss nehmen,kann etwas bewirken. Und das braucht Zeit,so wie die Entwicklung jeder fundiertenErkenntnis Zeit braucht. Diese Entwick-lungszeit hat auch der bvvp und seine hoch-kompetente Führungsspitze gebraucht.Aber es ist nicht nur die Zeit, in der kollektiv

und persönlich Sachwissen akkumuliertund persönliche Reifung vollzogen wird, esist auch die Chance und gleichzeitig die un-abdingbare Voraussetzung, das eigene Han-deln im Dienste eines ernsthaften und wich-tigen Anliegens verorten zu können. Ohne150-prozentige Identifikation mit den Zie-len des bvvp könnte niemand in der Füh-rungsspitze die Motivation und Kraft – ichmöchte fast sagen die Obsession – auf-bringen, über viele Jahre hinweg das eige-ne Leben derart auf die Arbeit im bvvp zufokussieren. Nur was subjektiv als so hohesGut erkannt wird, das es zu erhalten oderzu erringen lohnt, kann langfristig sinn-stiftend wirken und letztendlich zu einerguten Funktionalität und belastbaren Er-gebnissen führen. Die Vorstellung des bvvpwar immer, mit inhaltlich überzeugendenArgumenten der Psychotherapie den Platzim Reigen aller medizinischen Fachgebie-

te zu erstreiten, den sie im Sinne einer auchdie seelische Dimension einschließendenguten Patientenversorgung beanspruchenmuss. Wir haben dabei immer das Ganzegesehen und das, was Ärzte, Psychologenund Kinder- und Jugendtherapeuten ge-meinsam zu einer guten psychotherapeuti-schen Versorgung beitragen können. DasVerständnis der unterschiedlich akzentu-ierten Arbeit der verschiedenen Berufs-gruppen haben wir immer als eine in-haltliche Ergänzungsreihe gesehen, als einMiteinander auf gleicher Augenhöhe ingegenseitiger Wertschätzung.

Nun wird der eine oder andere lächeln.Und es stimmt. Natürlich haben wir somanches Lehrgeld bezahlen müssen underfahren, dass gute und richtige Argumen-te leider oft bei Weitem nicht reichen. Si-tuative, persönliche und strategische Um-stände haben häufig einen enormen Ein-

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:23 Uhr Seite 9

Page 10: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

ProjektPsychotherapie

10

M E I N U N G

fluss, den es ebenfalls zu beherrschen gilt,genauso wie Rückschläge oder gar Nieder-lagen verkraftet werden müssen – ohne zuverzweifeln oder frustriert aufzugeben.

Was ich am bvvp besonders schätze, ist dieenorme grundsätzlich freundschaftliche undkonstruktive Kollegialität, die das Mitein-ander im Bundesvorstand genauso prägtwie in den Delegiertenversammlungen. Oh-ne diese Qualität hätten wir viele politischeErfolge nicht erreichen können. Natürlichgab es auch Meinungsverschiedenheiten,aber ich bin sehr glücklich, dass es uns bis-her immer gelungen ist, diese konstruktiv zunutzen und uns letztlich gegenseitig stärkerzu machen. Und natürlich wissen wir auchgegenseitig von unseren persönlichen Stär-ken und Schwächen, die es zu gewärtigengilt, wenn man ein ehrgeiziges gemeinsa-mes Projekt verfolgt. Im Laufe der 20 Jah-re Berufspolitik bin ich jedenfalls mit einerMenge anderer Gremien und Vorstände inBerührung gekommen, in denen es ganzanders zugeht. Es war mir immer klar, dassich überhaupt keine Lust gehabt hätte, michdort zu beheimaten, und dass alles, was ichgemacht habe, nur durch die Beheimatungin diesem bvvp möglich war. Nicht nur un-sere Themen, sondern auch die Art desUmgangs miteinander und die Herange-hensweisen an schwierige Sachverhalte ha-ben für mich immer eine ausgesprochenattraktive und menschlich ansprechendeArt gehabt. Das ist etwas, wodurch sich der

bvvp in meinen Augen spezifisch qualifi-ziert, und es ist mit sein wichtigstes Kapi-tal für seine überzeugende inhaltliche Stär-ke, seinen Zusammenhalt, seinen unbe-dingten Willen zur aufrichtigen Debatte,seine Verlässlichkeit, die Resistenz gegenIntrigen und damit für seine sicher auch inZukunft nachhaltige Wirksamkeit. Und esist auch die Grundlage dafür, dass Ärztli-che, Psychologische und Kinder- und Ju-gendlichenpsychotherapeuten im bvvpnicht gegeneinander, sondern miteinanderden Blick auf das Wesentliche bezüglichihrer inhaltlichen Arbeit und bezüglich ih-rer Interessensvertretung zu richten gelernthaben. Darauf können wir alle, die diesenVerband tragen, miteinander stolz sein.

Ich möchte mich deshalb an dieser Stelleganz herzlich zuerst bei den Mitgliedern desbvvp bedanken, die dem bvvp und damitauch mir über so lange Zeit das Vertrauengeschenkt haben. Ich habe es immer als Ge-meinschaftsleistung empfunden, wenn esuns als bvvp gelungen ist, Vertreter unseresVerbandes in anderen Gremien zu platzie-ren. Dazu braucht es sowohl diejenigen, diebereit sind, diese Arbeit zu machen, als auch

diejenigen, die materiell durch ihre Mit-gliedsbeiträge und gedanklich durch dasHerantragen ihrer Ideen an uns Exponentendie Basis für alle Erfolge des bvvp sind.

Und dann möchte ich mich bei meinenMitarbeiterinnen bedanken. Beya Stickelund Sina Tonk bilden sozusagen das orga-nisatorische Rückgrat des bvvp. Beya Stickelist die Frau der ersten Stunde. Sie hat densüdbadischen und den Bundesverband desbvvp und auch mich von Anfang an be-gleitet. Ich bin ihr in besonderer Weise ver-bunden und dankbar für ihr hohes Enga-gement und für ihre mit dem bvvp und sei-ner Ausrichtung identifizierte Haltung.Auch ohne sie wäre der bvvp heute nichtdort, wo er ist. Die gute Nachricht ist: Siebleibt Ihnen auch weiterhin – also länger alsich – erhalten!

Und dann sind da meine Kollegen, diemir am nächsten stehen und mit denen ichüber viele Jahre hinweg habe engstens zu-sammenarbeiten dürfen, mit manchen so-gar seit der Gründung des bvvp in Frei-burg. Es sind die Vorstandskollegen ausmeiner berufspolitischen Heimat, nämlichaus Südbaden, meine Kollegen im Vorstanddes bvvp, die im jetzigen Vorstand, und die-jenigen, die in den schon länger zurücklie-genden Jahren im Bundesvorstand mitge-arbeitet haben. Und es sind die Kollegen, diein ihren jeweiligen Landesverbänden desbvvp über Jahre hinweg zum Erstarken undzum Erfolg des bvvp beigetragen haben, in-

„Alles, was ich gemacht habe, war nurdurch die Beheimatung

im bvvp möglich“

Mit Erkenntnisdurstund klaren Worten …

Foto

s:P

riva

t

… in den Regelkreisen der Berufspolitik

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 15:04 Uhr Seite 10

Page 11: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

ProjektPsychotherapie

11

M E I N U N G

dem sie die Geschicke ihrer Länder in Ostund West verantwortungsvoll und klug indie Hand genommen und es verstandenhaben, die Landespolitik mit der Bundes-politik zu verschränken und zu einem Gan-zen werden zu lassen. Sie merken schon,jetzt nenne ich keine Namen mehr. Das liegtan der doch wirklich großen Zahl von Kol-legen, mit denen ich mich nicht nur be-rufspolitisch, sondern auch ganz persön-lich sehr verbunden fühle. Es gäbe viele ge-meinsame Erlebnisse und Erfahrungen, diees sich lohnen würde zu erzählen.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen– ich bin unendlich dankbar. Für die Be-gegnung mit Euch allen, kombiniert mitdem Glück, dass ich mit vielen klugen Leu-ten über viele interessante Themen, bei de-nen es um wirklich Wichtiges gegangen ist,habe nachdenken dürfen. Um nichts in derWelt hätte ich diese Begegnungen gegen ei-nen noch so schönen Tennisplatz, Weltrei-sen oder Geld eintauschen wollen. Und dassich diese intensiven 20 Jahre insgesamt,trotz vieler immenser Anstrengungen men-taler wie körperlicher Art, als Glück emp-finden kann, ist das allergrößte Glück, dasmich froh und zuversichtlich von Ihnen al-len verabschieden lässt.

Jetzt möchte ich neue Schwerpunkte set-zen und Dinge tun, die ich seit Jahren garnicht mehr oder viel zu wenig getan habe– ich war ja immer so beschäftigt, und lei-der kann man eben nicht alles gleichzeitig

machen. Ich möchte mich auch Beschäfti-gungen zuwenden, die für mich neu sind.Meine drei Kinder sind groß, die Familienwachsen, ich habe meine Rolle als Muttergegen die durchaus komfortablere Rolle derGroßmutter getauscht, die es sich viel mehraussuchen kann, wann und wie viel sie sichfordern lässt. Damit habe ich alles in allemein Stück persönliche Freiheit zurücker-obert, die mich an die wunderbare Unbe-schwertheit in der Zeit nach der Ablösungaus dem Elternhaus erinnert. Der kleineUnterschied besteht nur darin, dass damalsnoch die ganze Lebensleistung vor mir lagund ich noch gar nicht wusste, was mir dasLeben alles abverlangen würde. Jetzt hin-gegen fühle ich mich auf andere Weise un-beschwert und in freudiger Erwartung desGenusses, wieder hinausstürmen zu könnenins Unbekannte. Und besonders schön istes, dabei die Belange unseres Berufsstan-des weiter in besten Händen zu wissen. Derbvvp ist sehr gut aufgestellt. Wir haben ei-ne beneidenswert große Manpower, ange-

fangen bei den Landesvorständen, die sichüber die Jahre sehr viele Kompetenzen an-eignen konnten, bis hin zum Bundesvor-stand, in dem sich hochkompetente „alteHasen“ mit einer gut ausgebildeten jünge-ren Führungsriege die Arbeit teilen, sodasswir im Sinne eines fließenden Übergangsund reißfester Verkettung bei jeder Rundeden Stab weiterreichen können, ohne anLaufleistung einzubüßen. Ich bin jetzt dieErste, die den Stab weitergibt, und danke andieser Stelle allen anderen „alten Hasen“und unseren Nachwuchstalenten für dieÜbernahme im März. Natürlich kann mannoch nicht wissen, wen die Delegierten-versammlung dann an die Spitze des bvvpwählen wird, aber eines ist sicher. Es gibt ei-nen hoch motivierten und sehr gut vorbe-reiteten und eingearbeiteten Kandidaten.Es ist mein geschätzter Kollege Dr. MartinKremser, Landesvorsitzender des Landes-verbandes Westfalen-Lippe und derzeitBeisitzer im bvvp-Vorstand. Dem neuenBundesvorstand des bvvp, der am 9. Märzin Fulda gewählt werden wird, lege ich ver-trauensvoll die Geschicke des bvvp in dieHände und wünsche alles, alles Gute undweiterhin viel Erfolg!

Mit den herzlichsten Grüßen,Ihre Birgit Clever

Teamgeist mit bewundernswert großer Woman- und Manpower

„Ohne unsere enorme konstruktive

Kollegialität hätten wirviele politische Erfolge nicht

erreichen können“

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 15:04 Uhr Seite 11

Page 12: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

S C H W E R P U N K T

ProjektPsychotherapie

12

Körper im Spiegel der SeeleBefasst man sich intensiver mit dem Verhältnis von Psyche und Soma,so stellt sich rasch das Gefühl ein, dasssprachliche Ausdrucksweisen, Bilder,Metaphern versagen und im Alltag soleicht dahergeredete dualistische Formulierungen in die Irre führen.Ein Schwerpunkt, der über die Erforschung isolierter Aspekte von Seele und Leib und ihrer Beziehungenzueinander hinausgeht

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:23 Uhr Seite 12

Page 13: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

ProjektPsychotherapie

13

K Ö R P E R I M S P I E G E L D E R S E E L E

… sind Teil des Körpers, nicht nur un-trennbar mit ihm verbunden, sondern Teildesselben. Und dennoch gibt es scheinbarObjekthaftes – ein Verhältnis zueinander,ein Umgang miteinander, wie in einer Be-ziehung. Aber selbst die engste Bezie-hungsform einer Symbiose auf dieses Ver-hältnis zu projizieren wird der „Sache“ nichtgerecht. Der objektiv gesehene Körper desanderen ist eben nicht Gegenstand, son-dern Gegenüber, Erscheinungsform einesbeseelten, durchgeistigten Subjektes. Unddie eigene Seele ist der bewusste, vorbe-wusste und psychodynamisch erschließba-re unbewusste Teil eines Leibes, in dessenunerschließbarer unbewusster Leiblichkeitalles Seelische wurzelt.

Mehr noch. Die Seele versucht die (un-)bewussten Perzeptionen, die aus den Tiefender Leiblichkeit aufsteigen oder aus derUmgebung als Signale aufgenommen wer-den, zu einem einheitlichen Erlebniskonti-nuum zusammenzufassen, aus dem herausso etwas wie Selbst-gewahr-werden, Welt-erfassung und Identitätsgefühl entstehenkann. Aber auch dieses Entweder-oder vonBinnen- oder Außenwahrnehmung istschon Vereinfachung, da Außenwahrneh-mung ohne gleichzeitige von innen auf-steigende Identifizierung und Bedeutungs-erteilung gar nicht zustande kommt (See-lenblindheit) und Innenwahrnehmungohne Objekterfahrung und Erkundung undErfahrung von Subjekt-Objekt-Grenzen imunbenennbaren Chaos verbleibt.

Vielleicht erschließt der Wortschatz derSprache noch am besten diese verschlunge-nen Verhältnisse, wenn man Sprache „beimWort“ nimmt und dabei den archäologi-schen Schatz in ihr hebt: Wahr-„nehmung“(welch tiefsinnige Beschreibung des nicht

Habhaftwerdens, des Nur-für-wahr-Neh-mens der Objektwelt!), be-„greifen“, ein-„se-hen“, über-„legen“, aus-„drücken“, „hand“-eln, er-„fassen“, be-„deuten“, ver-„stehen“,aus-„legen“, aus-„halten“, ver-„tragen“, be-rührend, ein-„nehmend“, be-„drückend“, er-„hebend“, die 7 Sinne -> der Sinn etc. – alldiese Be-„griff“-lichkeiten zeichnen Ursprungund Ausformungen unserer seelisch-geistigenTätigkeiten in/aus dem sich selbst bewusstwerdenden Körperlichen nach.

Die Schwerpunkt-Autoren gehen auf je-weils unterschiedliche Weise auf dieseskomplexe In- und Miteinander der Leib-seele im Seelenleib ein. Ursprünglich soll-te dieser Schwerpunkt unter dem Titel „Psy-che und Soma“ den weit gespannten Bogender Psychosomatik nachzeichnen. Es stell-te sich aber bald heraus, dass dieses Themazu viele Facetten aufweist, um in nur ei-nem Heft behandelt werden zu können. Sobeschränkt sich unsere erste Annäherungauf Körperliches im Spiegel der Seele, aufAspekte der Psychosomatik, die sich auf diePräsenz und Verarbeitung des Körperlichenim Seelischen beziehen einschließlich eini-ger Folgerungen für psychotherapeutischeBehandlungen. Peter Joraschky befasst sichmit Entwicklungsaspekten und Repräsen-tanzen des Körperlichen in der seelischenSelbst-Konstituierung und Selbst-Wahr-nehmung sowie mit dem Erfassen undDiagnostizieren von Störungen dieser Pro-zesse. Tilmann Moser geht auf therapeuti-

sche Konsequenzen ein, die sich aus ge-störten Leib-Seele-Erfahrungen ergeben.Peter Geißler beschäftigt sich mit einerinteressanten Verknüpfung von neurona-len Strukturen mit dem Erleben vonFremdseelischem als Voraussetzung für Em-pathie, für jede Psychotherapie. Dem-gegenüber warnt Franz Dick vor vorschnellverobjektivierenden Verknüpfungen vonorganischen Strukturmerkmalen und See-lenfunktionen. Er zeigt auf, warum es selbstbei Läsionen des Gehirns an Leiden undBefähigungen des Patienten vorbeigeht, sichnur auf entstandene geistig-seelische Defi-zite zu konzentrieren, statt mit der genui-nen geistig-seelischen Leistung der indivi-duellen Verarbeitung therapeutisch zu ar-beiten und sie zu fördern. Schließlich zeigtein kurzer Blick in die lange Geschichte derPsychosomatik, nachgezeichnet von GeraldMackenthun, wie viele Strömungen, Er-kenntnisse und Verirrungen lediglich einenwissenschaftlichen Fortschritt im Krebs-gang ermöglichten.

Dieses wissenschaftliche Vortasten selbstder begabtesten Fachvertreter erscheintnicht zufällig, sondern aus der „Sache“ er-klärlich: Wir rühren an die Grenzen derSelbst-Erkenntnis des Menschen, derMenschheit. Wir kommen an Grenzen, andenen Sprache nur noch ungefähre Hin-weise gibt (da!) auf etwas (noch) nicht Aus-sprechbares. Wenn Sie also bei Lektüre die-ses Schwerpunktes selbst an Grenzen IhresVerstehens gelangen, haben Sie Geduld mitsich – es liegt jedenfalls auch in der Naturder „Sache“, und Sie befinden sich mögli-cherweise selbst an einer Grenzmarke, hin-ter der eine neue Erkenntnis zu gewinnenist. In diesem Sinne viel Spaß beim Lesender Schwerpunktartikel. ___

Geist und Seele … Von Norbert Bowe, Vorstandsreferent bvvp

Wir rühren an dieGrenzen der Selbst-Erkenntnis

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:23 Uhr Seite 13

Page 14: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

ProjektPsychotherapie

14

S C H W E R P U N K T

Wenn Hände heilenAuch im Unbewussten stellt der Körper eine Landschaft von Funktionendar. Er kann erstarren, sich abspalten – und zum Versteckder Seele werden. EinenSchlüssel dazu findet die Körperpsychotherapie,indem sie ihn berührtVon Tilmann Moser

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:23 Uhr Seite 14

Page 15: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

K Ö R P E R I M S P I E G E L D E R S E E L E

ProjektPsychotherapie

15

___ Von der Psychoanalyse oder der tie-fenpsychologischen Therapie haben diemeisten Patienten und Kollegen einen Be-griff; sei es durch eine eigene Erfahrung,sei es durch Lektüre, oder sei es auch nurdurch die abwertenden Bemerkungen, diean manchen verhaltenstherapeutischen Ins-tituten immer noch Brauch sind. Der Kör-per ist stillgelegt auf der Couch oder be-ruhigt auf dem Stuhl, und der Analytikerversucht das Geschehen, das er in der Über-tragung mitbekommt, zu deuten. Aber derKörper verfügt über viele Potenziale. Erkann die Kraftmaschine sein im Leistungs-sport, oder denken Sie an das expressivePotenzial, ausgedrückt im Theater, im Tanz,in der Pantomime, aber auch im Liebes-spiel; damit verwandt ist der Körper als Ins-trument der Interaktion, als Signalgeberoder als Träger von Gesten und Taten;schließlich, und für uns besonders interes-sant: der Körper, im Einklang mit der See-le oder davon abgespalten, als immenserGedächtnisspeicher, für Erlebnisse, für ver-gangene Interaktionen, für Liebkosungenwie für Angriffe, für Gelungenes wie fürschmerzlich Misslungenes. Wenn derMensch Glück gehabt hat, bringt er in seinErwachsenenleben diesen Schatz positiveroder orientierender Erinnerungen mit, aufdem seine weiteren Erkundungen und Wag-nisse beruhen. Es gibt eine positive Unbe-wusstheit des Körpers, und gelegentlichwird das als Anmut oder Charme bezeich-net, wenn nicht ein falsches Selbst ihm Ges-ten oder Aktionen aufzwingt, die uns be-fremden oder gar anwidern. Auch im Un-bewussten stellt der Körper eine ganzeLandschaft von Funktionen dar, ganz ana-log zu dessen bewusstem Einsatz. Aber eskommt eine Funktion hinzu, die uns vor al-lem in unserem analytischen und thera-peutischen Bemühen oft erhebliche Schwie-rigkeiten bereitet. Ich nenne es den Körperals das schützende Versteck der Seele, beidem sein ursprüngliches Potenzial ins Ne-gative verkehrt wird. Eine Version sind diepsychosomatischen Störungen, die mani-festen Krankheitswert haben und deneneine physiologische Fehlverarbeitung auspsychologischen Motiven zugrunde liegt.Entsprechend ist dann das ganz Körper-erleben gestört, ein integriertes Körperbild

ist gar nicht erst zustande gekommen oderim Laufe einer Traumatisierung verlorengegangen. Einige Therapieschulen gebendem Patienten Hilfestellung bei der Selbst-massage. Andere raten zum Sport, bei demder Körper intensive Berührungen erfährt,wie Ringen oder Judo, aber sie erreichendamit nicht den beseelten Körper als Aus-drucksorgan für bedeutungsvoll mensch-liche Interaktion.

Aus verschiedenen Gründen hat SigmundFreud seinen Schülern die sogenannte Abs-tinenz verordnet, die von seinen viel stren-geren Nachfolgern noch viel strikter ge-handhabt worden ist. Darunter fiel auchdas Verbot der Berührung, das in die ethi-schen Satzungen vieler Therapieformen ein-gegangen ist. Es soll über den Körper, derimmer als symbolischer Körper gedachtwird, und über Körperempfindungen nurgesprochen werden, es wird nicht interak-tiv mit ihm umgegangen.

Worüber ich im Folgenden sprechen möch-te, sind Formen dieses negativen Potenzials,wo der Körper als Verhinderer des Lebens er-scheint, durch seine Fähigkeit zu erstarren,sich abzuspalten von der Seele, eine Lösungin der Lähmung zu suchen oder, wie es Hi-larion Petzold ausdrückt, in der Dekarna-tion, dem Auszug oder Rückzug der Vita-lität und Expressivität aus dem Körper.

Die große Frage ist, wie wir auf der Basisunseres analytischen Hintergrundes mit die-sen Störungen körpertherapeutisch umge-hen können. Sie können lange verborgenbleiben, und das Coucharrangement kanndazu verführen, diese leibseelischen Fehl-funktionen zu übersehen. Erstaunlich ist, inwelchem Ausmaß Körpererinnerungen undbewusste seelische Erinnerungen und Ak-tionspotenziale auseinanderfallen können.

Die Trennung von Körper und Seele istein dankbares Beobachtungsfeld bei frühgestörten und bei Borderline-Patienten. Siehaben eine tiefe, oft unbewusste Sehnsucht,wieder lebendig und ganz zu werden, häu-fig mit tiefer Resignation verbunden, weilihnen das trotz vielfältiger Versuche nicht

geglückt ist. Durch die Berührung erhältder Körperpsychotherapeut für diese Pa-tienten eine bis dahin nicht erlebte Glaub-würdigkeit, und man trifft häufig auf un-gläubiges Staunen, dass er aus Fleisch undBlut ist und sich die Dimension der Verlo-renheit wirklich vorstellen kann, weil die-se über den Körper kommuniziert wordenist. Die Aufhebung der Abspaltung aber istein schmerzhafter Prozess, weil sich die be-wussten und unbewussten Erinnerungenan die Leiden, die zur Spaltung geführt ha-ben, nicht vermeiden lassen. Aber wenn derTherapeut ein wohlwollender und mitfüh-lender Zeuge bleibt, können sie leichter aus-gehalten werden. Mit fortschreitender the-rapeutischer Kultur werden die Patientenauch fähig, selbst wahrzunehmen, wo diepathogenen Stellen in der Vergangenheitliegen, und es entwickelt sich – sehr zurFreude des Psychotherapeuten – ein kom-petenter Handlungsdialog, gefolgt von der

analytischen Aufarbeitung. Manche Inter-aktionen und das damit verbundene Erle-ben dürfen ruhig unkommentiert ins Un-bewusste absinken, wo sie ein lebendigesFundament für das weitere Leben bilden.

Viele Arten der Berührung und der kon-kreten körperlichen Interaktion können dieunbewussten leiblichen Erinnerungen ab-rufen, mit denen dann auch szenisch um-gegangen werden kann. Es wird dabei ein Reservoir unbewusst gewordener Erin-nerungen an körperliche Affekte, Hand-lungsimpulse und frühe Szenen aufgerufen,die zwar in Träumen auftauchen könnenoder die der Therapeut auch erschließenoder durch verbale Einfühlung aktivierenkann. Diese werden aber viel deutlicher er-lebt, wenn sie auch körperlich abgerufenwerden. Dabei wird ein erweiterter Begriffvon Abstinenz wichtig, der unter folgen-den Voraussetzungen Berührung ein-schließt. Der Therapeut muss sich seinesElternkörpers sicher sein, das heißt er rea-giert mit seinem erwachsenen Körper nurauf den regredierten Patienten, der geübt ist,das richtige Maß seiner Regression zuzu-

Schon das Angebot, die Hand des Patienten zu halten, kann einen Tränenstrom auslösen

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:23 Uhr Seite 15

Page 16: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

S C H W E R P U N K T

lassen. Er tritt also in Kontakt mit deminneren Kind des Patienten, das vielesnicht fühlen durfte und das viele für dieReifung notwendige Handlungsimpul-se nicht realisieren konnte. Der Thera-peut darf keine eigenen körperlichenBedürfnisse an den Patienten herantra-gen, Missbrauch muss wie in der ver-balen Therapie ausgeschlossen bleiben.Berührungen und Interaktionen müs-sen vorher angekündigt werden, mit derFrage nach deren Angemessenheit, so-dass sich der Patient auf die neue Formder Interaktion vorbereiten kann, durchVorausfantasieren und Beobachtungender eigenen Erwartungsreaktionen. Die-se neue Haltung arbeitet einem Gefühlentgegen, das – sowohl auf dem Stuhlals auch auf der Couch – als drohendesVerhungern bezeichnet werden kann.Es besteht die Gefahr, dass der Thera-peut partiell unwirklich bleibt, wie El-ternfiguren in extrem berührungsfeind-lichen Familien. Traumata der Verlas-senheit in präverbaler Zeit werden oftnicht entdeckt oder erst wahrgenom-men, wenn die leibliche Dimension derBeziehung hinzukommt. Dann kannaber schon ein Angebot, die Hand desPatienten zu halten, einen Tränenstromhervorrufen, der sowohl Trauer als auchErleichterung bedeutet, weil eine ar-chaische Sehnsucht oft zum ersten Malgesehen und beantwortet wird. Auchder Therapeut muss sich erst an dieseneuen Interaktionsformen gewöhnen,seine Reaktionsbereitschaft kennenler-nen. Hier hilft nur ein Stück Selbster-fahrung, wie sie für alle verbalen tie-fenpsychologischen Psychotherapienauch selbstverständlich ist. Ratsam istein tastendes Erproben in Intervisions-gruppen mit Kollegen, die einen ähn-lichen Weg der Erweiterung ihres the-rapeutischen Instrumentariums gehenwollen.

Babyforschung und Kleinkindbeob-achtung liefern eine Art innere Bilder-welt, mit welchen Berührungen Kinderein integriertes Körperbild erwerbenund wie sie sich vertrauensvoll ihremKörpererleben überlassen können. Jemehr ein Patient darauf drängen wür-de, auch „erwachsene Berührungen“ mitdem Therapeuten zu realisieren, desto

mehr fürchtet er sich vor dem frühenErleben und setzt der notwendigen Re-gression einen oft erbitterten Wider-stand entgegen. Aber es ist nicht schwer,ihn davon zu überzeugen, dass eine Re-alisierung einer ersehnten erwachsenenLiebesbeziehung aus der Übertragungheraus in eine Katastrophe führen wür-de und dass das Angebot, mit dem re-gredierten Kind zu arbeiten, das grö-ßere Geschenk der therapeutischenBeziehung ist. Die angebotene Hand er-weitert unmittelbar den inneren Raumdes Fühlens wie der Erinnerung. DieHand vermittelt Sicherheit, Ruhe undden Beginn von Geborgenheit, die viel-leicht nie erlebt worden ist. Manche Pa-tienten haben eine tröstende, schüt-zende oder beruhigende Hand nieoder nur unzureichend erlebt.

Sigmund Freud und seine Schü-ler haben beinahe ein Jahrhundertlang die Neurose ganz in die iso-lierte Seele des Patienten gelegt.Deshalb spricht man heute fast ge-ringschätzig von der „Einpersonenpsy-chologie“ der klassischen Psychoanalyse.Inzwischen ist die interaktive Psycho-therapie praktisch Standard geworden,wenn auch in unterschiedlicher Radika-lität. Klar ist, dass auch der TherapeutMitschöpfer des Beziehungs- und Über-tragungsgeschehens ist, und es wird ihmabverlangt, dass er seine inneren seeli-schen Begleitprozesse erkennt und ver-wendet. Neu ist, dass auch werdendePsychotherapeuten und Psychoanalyti-ker angehalten werden, ihre körperlichenRegungen als zur Beziehung gehörig zuerkennen, selbst wenn sie noch fern jederBerührung arbeiten wollen. Man sprichtvon „körperlich fühlbarer Gegenüber-tragung“. Ein weites Tor hat hier – alsBrücke zwischen Psyche und Soma in derpsychotherapeutischen Theorie und Be-handlung – der Psychoanalytiker JörgScharff aufgestoßen. Mit seinem Buch„Die leibliche Dimension in der Psycho-analyse“ (Frankfurt 2010) weist er The-rapeuten nachdrücklich auf die reicheDimension des körperlichen Mitschwin-gens hin; wohl wissend, dass es ganz neueLernprozesse braucht, um diese Erweite-rung des Instrumentariums sicher zuhandhaben. __

Illu

stra

tion

:Les

pren

ger

ProjektPsychotherapie

16

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:50 Uhr Seite 16

Page 17: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

K Ö R P E R I M S P I E G E L D E R S E E L E

ProjektPsychotherapie

17

Das implizite BeziehungswissenSpiegelneuronen sind die Quelle unserer Empathie.Sie senden bereits Signale, wenn jemand sein Gegenüber nur beobachtet, und erschaffen gleichsamein inneres Bild – losgelöst von jeder bewussten Reflexion. Der therapeutische Umgang mit dieser allein sinnlich erfahrenen Wissenswelt ist heraus-fordernd, aber lohnendVon Peter Geißler

___ Die Entdeckung der SpiegelneuronenEnde des 20. Jahrhunderts hat wissen-schaftsübergreifend eine Schulen übergrei-fende Welle neuer Forschungen eingeleitet.Spiegelneuronen sind Nervenzellen, die beimBeobachten des Verhaltens anderer aktiviertwerden, aber auch durch deren Geräusche. Sieverursachen im Individuum dasselbe Aktivi-tätsmuster, das durch die aktive Eigenbewe-gung verursacht würde. Offensichtlich be-steht ebenso ein Zusammenhang zur Beob-achtung emotional gefärbter Handlungen.Man ist daher mittlerweile weitgehend über-einstimmend der Ansicht, dass die Spiegel-neuronen das neuronale Substrat eines kom-plexen Prozesses darstellen, den wir in psycho-therapeutischen Zusammenhängen Empathienennen, das heißt die Fähigkeit, sich in an-dere Menschen einzufühlen und sie gleichsamvon innen her, ausgehend von ihren bewuss-ten und unbewussten Intentionen und Ab-sichten, zu verstehen.

Sozial lebende Säugetiere verfügen überdiese genetisch determinierte Fähigkeit zurEinfühlung, weil sie sich offensichtlich imKampf ums Überleben als Vorteil erwiesenhat. Sie ist nicht an bewusste Wahrnehmunggekoppelt. Intuitiv können wir die Absich-ten anderer aus deren Handlungen, aber auch

aus stimmlichen Äußerungen erschließen.Dieser bemerkenswerte Befund ist auspsychotherapeutischer Sicht deswegen vonbesonderer Bedeutung, weil sich damit deraus der traditionellen Psychoanalyse stam-mende Mythos, der Therapeut könne sichneutral verhalten und sei auf diese Weise ei-ne Projektionsfläche für die Übertragungenvon Patienten, als unhaltbar erwiesen hat.Therapeut und Patient nehmen aufeinanderkonstant Einfluss, und intuitiv verstehennicht nur die Therapeuten ihre Patientenund können sich in sie einfühlen, auch diePatienten erhalten von ihren Therapeutenin einer laufenden Therapie viel mehr an In-formationen, als diese jemals auf verbalemWeg von sich preisgeben würden. Mehr noch– vor allem in längeren Therapien wissenPatienten von ihren Therapeuten intuitiv umderen Stärken und auch Schwächen, selbstwenn auf explizite Weise nie darüber ge-sprochen worden ist.

Mittlerweile spricht man von einem „im-pliziten Beziehungswissen“, und eine ameri-kanische Forschergruppe rund um den be-kannten Säuglingsforscher Daniel Stern be-fasst sich seit vielen Jahren mit verschiedenentherapeutischen Implikationen. ImplizitesBeziehungswissen ist ein bereits in der intra-

uterinen Lebensphase beginnendes sozio-emotionales Lernen, das sich vollkommenunbewusst ereignet und unsere Erwartun-gen im Hinblick auf andere Menschen ent-scheidend prägt, jenseits jeder bewussten Re-flexion. Der Fetus im Mutterleib erhält fürsein Beziehungslernen wesentliche Informa-tionen aus bestimmten qualitativen Merk-malen der mütterlichen Stimme, weshalbPsychoanalytiker von der Mutter als vorge-burtlichem „Klangobjekt“ sprechen. „Ob-jekt“ ist hier gemeint als ein Individuum imVerhältnis zum Subjekt, dem Fetus.

Um seelisch zu wachsen,braucht der Patient eineoptimale Frustration

Die Forschungen rund um das implizite Wis-sen machen uns Folgendes immer klarer: Esexistiert eine sehr große nichtsprachliche,aber sinnlich erfahrbare Welt, die wir einer-seits nicht gut mit Worten fassen können,die aber andererseits nicht chaotisch ist, son-dern sehr wohl bestimmten Organisations-prinzipien folgt. Dabei kommt unseren Emo-tionen eine Schlüsselrolle zu. Nicht nur, dassman mittlerweile annimmt, dass sie als Brü-

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:23 Uhr Seite 17

Page 18: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

ProjektPsychotherapie

18

S C H W E R P U N K T

Dr. med.Dr. phil. PeterGeißler istPsychotherapeutin Wien. Er istMitbegründer derMethode „Analy-tische Körperpsy-

chotherapie“, Veranstalter des WienerSymposiums „Psychoanalyse und Körper“und Herausgeber der gleichnamigen Zeit-schrift. Er ist Verfasser zahlreicher Bücherund Fachartikel. www.geissler-info.at

Foto

:Pri

vat

cke zwischen biologischen und psychologi-schen Vorgängen das wesentliche Funda-ment für alle sich in späterer Zeit entwi-ckelnden kognitiven Fähigkeiten wie Den-ken und Fantasieren darstellen, sondernauch, dass die wechselseitige emotionaleRegulierung das entscheidende Geschehendarstellt, das darüber entscheidet, ob sich ei-ne Psychotherapie erfolgreich entwickelnkann oder nicht – wie jede andere mensch-liche Beziehung auch.

Drei Organisationsprinzipien sind in derauf Video/Audio beobachtbaren Interaktionzwischen zwei Menschen feststellbar undmittels Videomikroanalyse beschreibbar:

Die wechselseitige emotionale Regulie-rung ist ein ununterbrochenes Geschehen,es gibt keine Pausen. Immer, in jedem Mo-ment, beeinflussen wir einander wechsel-seitig, ohne dass wir bewusst davon etwasmerken würden.

In der wechselseitigen emotionalen Re-gulierung sind Phasen der Abstimmung zuunterscheiden von Phasen oder Momentender Unterbrechung. Entscheidend für dieEntwicklung menschlicher Beziehungen, so-mit ebenso der therapeutischen Beziehung,ist, ob der Therapeut intuitiv in der Lageist, Momente der Unterbrechung auszu-gleichen, das heißt die gestörte Beziehunginstinktiv zu „reparieren“. Aus der langfris-tigen Video-/Audio-gestützten Beobachtungder Entwicklung von Kindern und ihrenMüttern weiß man, dass eine „mittlere Ab-stimmung“ die günstigste Entwicklungs-voraussetzung für ein Kind darstellt. Mitanderen Worten: Einem Kind jeden Wunschunausgesprochen von den Lippen abzulesenund sich auf seine Wünsche und Absichtenin totaler Weise einzustellen, erweist sich alsnicht optimal entwicklungsfördernd. Glei-ches gilt für das Feld der Psychotherapie.Patienten benötigen, um seelisch wachsen zukönnen, eine „optimale Frustration“.

Damit sich die Beziehung zwischen zweiMenschen gut entwickeln kann, braucht esein gewisses Maß an Momenten positiv ge-teilter „Spitzenemotionen“; vereinfacht ge-sagt: Beide Interaktionspartner müssen hinund wieder so etwas wie gemeinsam ge-teilte Freude erleben können, sonst ver-flacht der Beziehungsprozess und kann sichnicht weiterentwickeln.

In der analytischen Körperpsychothera-pie, einer therapeutischen Methode, die sich

an der Schnittstelle von Psychoanalyse undklassischer Körperpsychotherapie, vor al-lem der Bioenergetischen Analyse, inner-halb der letzten 20 Jahre im deutschenSprachraum entwickelt hat, arbeiten wirnun parallel in zweierlei Richtungen. Ei-nerseits werden auf dem Weg verbaler Re-konstruktion vielerlei lebensgeschichtlichbedeutsame Erfahrungen im Hinblick aufihre Wirkung im gegenwärtigen Leben desPatienten durchgearbeitet. Ein Teil des im-pliziten Wissens wird nicht auf verbalemWeg entschlüsselt, sondern mithilfe thera-peutischer Interaktion. Denn mithilfe vonWorten ist unsere Fähigkeit, zu implizitenStrukturen vorzudringen, begrenzt. Vieldeutlicher zeigt sich implizites Wissen inKörperhaltungen, einer bestimmten Artund Weise des Sprechens; nicht im Bereichder gesprochenen Inhalte, sondern im Be-reich der musikalischen Dimension derStimme, in bestimmten Bewegungen undin der Art und Weise, wie jemand Näheund Distanz reguliert. Die unmittelbare Ar-beit in der konkret körperlichen therapeu-tischen Interaktion kann emotional sehrbewegend sein und sich in Schlüsselszeneninnerhalb des therapeutischen Geschehensmanifestieren, die ihrerseits in vielfacherWeise Gegenstand verbalen Durcharbeitenswerden können. Zugleich ist es in der un-mittelbaren Interaktion möglich, dass derPatient Erfahrungen machen kann, zumBeispiel differenzierte Berührungserfah-rungen, die eine positive Alternative gegen-über früheren, pathologisch wirksamen Er-fahrungen bilden und den Patienten see-lisch gesünder werden lassen.

Diese Form therapeutischer Arbeit istkomplex, erfordert ein gründliches psycho-analytisches Wissen auf der Basis eigenerSelbsterfahrung, die ebenso körperthera-peutisches Wissen einschließt. Die thera-peutischen Prozesse sind oft auf einige Jah-re hin angelegt, durch die zeitweilig hoheemotionale Dichte kommen viele Thera-peuten mit ein, maximal zwei Therapie-stunden pro Woche aus, also mit wenigerStunden im Vergleich zur hochfrequentenPsychoanalyse im Standardsetting. Im wis-senschaftlichen Diskurs ist derzeit strittig,ob implizit gelerntes Beziehungswissen tat-sächlich veränderbar ist oder ob man eherdavon ausgehen muss, dass zu den lebens-lang implizit wirksamen Beziehungserfah-

rungen in der therapeutischen Beziehungneu erlernte Erfahrungen hinzukommen,die gleichsam gesündere Alternativen zupathologischen Beziehungsmustern dar-stellen. Jedenfalls spricht einiges dafür, dassdie Einbeziehung konkreter körperlicherInteraktion und der damit verbundenenErfahrungen eine wesentliche Bereicherungder Palette therapeutischer Zugangsmög-lichkeiten darstellt.

Analytische Körperpsychotherapie als„angewandte Entwicklungspsychologie“ hatsich in theoretischer und methodischerHinsicht vor allem im deutschen Sprach-raum entwickelt und wird von einer nochnicht allzu großen Zahl psychoanalytischerPsychotherapeuten seit Jahren praktiziert,in der Arbeit mit Erwachsenen, mit Ju-gendlichen und Kindern, mit Familien undPaaren, in Gruppen, und ebenso bei unter-schiedlichen Störungsbildern wie Mager-suchtpatienten und Borderline-Persön-lichkeitsstörungen (vgl. dazu Geißler undHeisterkamp 2007, 2013*).

Insgesamt ist die Forschung zum implizi-ten Beziehungswissen derzeit stark in Be-wegung und sucht den Diskurs mit Nach-barwissenschaften, wobei als dritte Meta-perspektive neben den Neurowissenschaftenund der Säuglingsforschung die Evolutions-biologie zunehmend wichtiger wird – wasnicht überrascht, zumal das implizite Bezie-hungswissen konzeptuell die Lücke zwischenBiologie und Psychologie zu schließen ver-mag. Man darf auf weitere Entwicklungen inden nächsten Jahren gespannt sein. __

*Literatur kann beim Verfasser angefragt werden

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:23 Uhr Seite 18

Page 19: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

ProjektPsychotherapie

19

K Ö R P E R I M S P I E G E L D E R S E E L E

___ In den letzten 20 Jahren ist das Körper-erleben in den Mittelpunkt des Interessesgerückt: sowohl in den grundlagenorien-tierten Forschungen zur Neurobiologie undpsychoanalytischen Entwicklungspsycho-logie als auch durch seine Bedeutung imRahmen der Persönlichkeitsentwicklung undseine vielfältigen Auswirkungen bei klinischrelevanten Krankheitsbildern. Dies betrifftvor allem Patienten mit komplex-trauma-tisierten Persönlichkeitsstörungen, Border-line-, somatoformen und Essstörungen,Dysmorphophobien und Patienten mitWunsch nach plastischen Operationen. Ent-wicklungspsychologisch frühe Störungenim Körpererleben etwa durch Vernachläs-sigung oder Überstimulation schlagen sichals Schatten im Körperselbst nieder, die gra-vierende Auswirkungen auf das Selbsterle-

ben haben. In welchem Ausmaß die Emo-tions- und Selbstregulation und die Ent-wicklung des Körpererlebens zusam-menspielen, zeigen Untersuchungen zurWechselbeziehung zwischen Selbst- undKörperakzeptanz. Das Gesamtkörper- be-ziehungsweise Leiberleben ist nur sehrbedingt verbal zu erfassen. Somit ist eingrundsätzliches Dilemma einer jeden zuForschungszwecken erforderlichen opera-tionalen Annäherung an das Körpererle-ben unvermeidbar. Wird vom „Körperbild“gesprochen, so kann immer gleichzeitig eineobjektivierende Betrachtung des Körpersoder auch die subjektive, komplex-mehr-dimensionale, verbal-nonverbale Bezug-nahme auf den eigenen Leib gemeint sein.Aufgrund der vielfältigen wissenschafts-theoretischen Perspektiven besteht eine ter-

minologische Vielfalt, wobei die Begriff-lichkeiten in unterschiedlichem Ausmaßdie affektiv-unbewussten oder kognitiv-be-wussten Zugangswege zum Körpererlebenumfassen, andererseits sind sie auch histo-risch geprägt.

Das grundlegende Selbstgefühl resultiert ausBerührungserfahrungen

Im internationalen Sprachgebrauch wer-den unter dem Begriff „Body-Image“ dieperzeptiven, affektiven und kognitivenKomponenten der „Body-Image disorders“beschrieben.

Der Terminus „Körperbild“ wird sowohlals Oberbegriff als auch zur Beschreibung

Zur Diagnostik des KörpererlebensFrühe Störungen im Körpererleben bringen unser emotionales Regulationszentrum nachhaltig aus dem Gleichgewicht.Ein Streifzug durch die Wechselbeziehung zwischen Selbst- und KörperakzeptanzVon Peter Joraschky

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:23 Uhr Seite 19

Page 20: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

ProjektPsychotherapie

20

S C H W E R P U N K T

unterschiedlicher Teilaspekte der Leiber-fahrung angewandt. Unter historischer Per-spektive kann auf vorliegende Übersichtenverwiesen werden (Röhricht 2009*). Wegender unterschiedlichen Beschreibungsebenen,die sich auch den Dimensionen des „Körper-Seins“ (Körper-Selbst) und „Körper-Ha-bens“ (Körper-Bild) zuordnen lassen, wur-de in einer deutschen Konsensuskonferenz(Röhricht et al. 2005) als Oberbegriff das„Körpererleben“ gewählt. Das „Körperbild“umfasst die den Körper betreffenden mehr-dimensionalen Erfahrungs- und Bewer-tungsaspekte.

Gestörte Körpergrenzenzeigen sich in Scham, Ekelund Selbsthass

Das formale Wissen, die Fantasien, Gedan-ken, Einstellungen, Bewertungen – sprach-lich repräsentiert und kodiert beziehungs-weise symbolisiert – und die Bedeutungs-zuschreibungen des erlebten Körpers, dieseAspekte sind zum einen persönlichkeits-psychologisch zu erfassen (biografische Fak-toren). Das Körperbild ist also als „Vor-stellungsbild“ begrifflich und theoretischverknüpft mit der selbstreflexiven, der men-talen Fähigkeit, den eigenen Körper in Ab-grenzung zum anderen zu reflektieren. Fürseine Bewertungen und Einstellungen istder jeweilige kulturelle Kontext mit denspezifischen körperbezogenen sozialen Um-gangsformen und normativen Determi-nanten besonders zu berücksichtigen. Mitdem Konstrukt „Körperselbst“ wird be-schrieben, dass im Rahmen der Identitäts-entwicklung zunehmend komplexer wer-dende Prozesse der Emotions- und Selbst-regulation die Kohärenz und Kontinuitätdes Selbst formen. Mit diesem Prozess ge-hen der Aufbau der Körpergrenzen und dieSelbst-Objekt-Differenzierung Hand inHand.

Das implizite Körpergedächtnis und die Entwicklung des Körper-Selbst: Das Proto-Selbst (Damasio 1994) bezie-hungsweise Kern-Selbst (Stern 1992) wird

als Grundlage für das Körper-Selbst gese-hen. Dieses bildet die basalste Ebene selbst-gemachter Erfahrung – es ist ein Referenz-system für die Bewertung eigener Erfah-rungen und wird in seiner Struktur durchregulierende Aktivitäten der elterlichen Be-zugsperson beeinflusst: CharakteristischeInteraktionen nennt Stern (1992) „Repre-sentation of Interaction being Generalized“(RIGs). Die RIGs sind vorsprachlich undauf der Körperebene als emotionale Reak-tionsmuster verankert. Seit 30 Jahren wer-den durch die empirische Säuglingsfor-schung (Übersicht Geißler 2007, Beebe undLachmann 2006) Interaktionsstudien vor-gelegt, die heute für die Forschung zur Ent-wicklung von Emotions- und Selbstregu-lation grundlegend sind. Das Neugeboreneist mit grundlegenden Fähigkeiten im Sin-ne interaktiver Kompetenzen ausgestattet,die sich offenbar evolutionär als vorteilhafterwiesen haben. Im Rahmen der relationa-len Betrachtung der Lebensprozesse gehtStern (1992) davon aus, dass von Beginn anein ganzheitliches Erleben besteht, das aufIntegration von Informationen aus unter-schiedlichen Sinneskanälen fußt.

Die Entwicklung des Mentalen geschiehtnach psychoanalytischer Ansicht über denKörper als erstem Objekt (Gaddini 1998).Sensorisch ausgelöste Zustände bilden ei-nen ersten mentalen Raum, der noch kei-ne Struktur aufweist, über stufenweise In-tegrationsprozesse entstehen Fantasietätig-keit, Raum- und Zeitvorstellungen. In ihrerTheorie zur multiplen Kodierung verbindetBucci (1997) psychoanalytische, neurobio-logische und informationstheoretischeKonzepte. Mit Bucci gehen Säuglings- undKleinkindforscher heute davon aus, dassInteraktionserfahrungen zunächst präsym-bolisch repräsentiert werden, dass sie sichin Affektbereitschaften, in körperlichenAusdrucksformen darstellen, bevor siesprachlich zugeordnet werden können. Die-ser Prozess zum Symbolischen erfolgt aufeiner intersubjektiven Matrix, immer in Be-ziehung zum Anderen. Klinisch bedeutetdies, dass das nicht sprachfähige Kind nacheinem Objekt suchen muss, das in der La-ge ist, die bedrohlichen körperlichen Zu-

stände einzuordnen, ihnen Struktur zu ge-ben, sie zu beruhigen.

Berührungserfahrungen und der Aufbau der Körper- und Selbstgrenzen:Aus Berührungserfahrungen resultiert dasgrundlegende Selbstgefühl. Die Haut alsKontakt- und Schutzorgan wird nach An-zieu (1991) im Austausch mit der mütter-lichen Haut als „Haut-Ich“ zum Kernbe-reich der Individuation. Abgesichert durchdie lustvollen Komponenten des Kontakt-spiels mit Anspannungs- und Entspan-nungsseiten wird die Haut ein Ort des Zu-sammenhaltes. Diese Containing-Funktionkann bei Störungen des Kontakts durchUnter- und Überstimulation sowie Mangel-erfahrungen fundamental gestört werden.Die taktile Deprivation bewirkt Instabilitätder Abgrenzungssicherheit und der Selbst-beruhigungsfähigkeit sowie eine Störungder emotionalen Balance und kann alsVulnerabilitätsfaktor einen Kernstörungs-bereich der Persönlichkeitsstörungen bil-den. Die Grundbalance der Emotionenkann gestört werden, was neben erhöhterStressanfälligkeit auch für die Entwicklungdes Selbstgefühls und der Selbstgrenzen be-sondere Bedeutung hat.

Die Stabilität der Körpergrenzen ist nichtallein durch die adäquate Antwort in derInteraktion mit dem Anderen, in der „per-fekten Resonanz“ zu sehen, sondern ent-wickelt sich auch durch den Unterschied,durch tolerable Frustration von emotiona-len Bedürfnissen, wodurch die Emotionenmarkiert werden. Nach Stern wird dieSelbstkohärenz auf körperliche Grenzer-fahrungen zurückgeführt. Stern spricht vonder Selbstaffektivität, der Erfahrung, dassGefühle zur eigenen Person gehören, undder Selbstgeschichtlichkeit, der Vorstellungeiner Selbstkonstanz über die Zeit.

Screeningmethoden der Störungen des Körpererlebens:Die komplexe Struktur unbewusster und be-wusster Determinanten des Körpererlebensspiegelt sich in unterschiedlichen methodi-schen Zugangswegen (Übersicht Joraschkyet al. 2009). Da das Körpererleben sprach-

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:23 Uhr Seite 20

Page 21: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

ProjektPsychotherapie

21

T I E F E N P S Y C H O L O G I E

lich nur unzureichend erfasst werden kann,bieten Selbstbeschreibungsmethoden einenbegrenzten Zugang zum Körpererleben.Durch die vorformulierten Äußerungen istes jedoch möglich, im Sinne von Scree-ningverfahren die Körperakzeptanz, Unter-kategorien des Körpererlebens, die häufigschamhaft besetzt und schwer formulierbarsind, einer individuellen Bewertung zu-gänglich zu machen (Übersicht Pöhlmannet al. 2008). Vier im deutschen Sprachraumhäufig verwendete mehrdimensionale Fra-gebögen, die generelle, situationsübergrei-fende Einstellungen der Person zu ihrem ei-genen Körperbild messen, sind der „Frage-bogen zum Körperbild“ (FKB-20, Clementund Löwe 1996), der „Fragebogen zur Be-wertung des eigenen Körpers“ (FBeK, Straußund Richter-Appelt 1996), die „FrankfurterKörperkonzept Skalen“ (FKKS, Deusinger1998) und der „Dresdner Körperbildfrage-bogen“ (DKB-35, Pöhlmann et al. 2008),der sich als Screening-Instrument in der Pra-xis sehr bewährt hat.

Das Körperepisoden-Interview:In Form bedeutsamer Körperepisoden wer-den für das subjektive Körpererleben re-levante Faktoren erfasst. Zum BeispielErleben von Krankheit beziehungsweiseVerletzung, Umgang und Einstellungen be-deutsamer Bezugspersonen zum eigenenKörper. Patienten können zum Erleben vordem Spiegel, in Schamsituationen wie auchin Situationen, in denen der Körper als an-genehm erlebt wird, wie zum Beispiel beimBaden, befragt werden. Das Erleben des Ge-haltenwerdens in der Kindheit, körperlicheTröstungserfahrungen, lustvoller Haut-kontakt, Essensrituale, Umgang mit Sinn-lichkeit, Sexualität in der Familie sowieSelbstberuhigungs- und Entspannungsfä-higkeit sind typische Themen. Das Kör-perinterview kann mittels Rating-Verfahrenzum Körpererleben auf der Strukturachsenach Operationalisierter Psychodynami-scher Diagnostik (OPD) eingeschätzt wer-den (Küchenhoff 2012).

Körperteil-Dissoziation als Schutzmechanismus im Körpererleben:

Um die gesunde Oszillation von Körper-Sein und Körper-Haben aufrechtzuerhal-ten, wird ein akut erkrankter Körperbe-reich objekthaft verarbeitet – eine Abgren-zung, die, wenn das Geschehen keinetraumatische Bedrohungs- und Verlust-qualität hat, es dem Menschen ermöglicht,den erkrankten Körperbereich medizinischbehandeln oder operieren zu lassen. In derRegel ist hierbei das Gesamtkörpererlebengeschützt, selbst lebensbedrohliche Er-krankungen sind durch diese Fähigkeit desAbspaltens, die das Körpererleben und dieIntegrität schützt, kontrollierbar. Bei längerbestehenden Belastungen mit Ängsten und/oder Schmerzen ist das Körpererlebennachhaltig in seiner Kohärenz bedroht. Hierzeigt sich, inwieweit die Möglichkeit einerlängerfristigen Isolierung des erkranktenund schmerzenden Körperbereichs mög-lich ist, ohne dass das gesamte Körpererle-ben desintegriert. Diagnostisch ist zu klä-ren, inwieweit die Dissoziation im Kör-pererleben die Selbstregulation und damitden Selbstwert stabilisieren kann oder alsSchutzmechanismus versagt.

Störungen des Körpererlebens und Traumatisierung:Freud beschreibt 1895 die Auswirkung einesTraumas auf die Persönlichkeit eines Men-schen in der Weise, dass „das psychischeTrauma respektive die Erinnerung an das-selbe nach Art eines Fremdkörpers wirkt,welcher noch lange Zeit nach seinem Ein-dringen als gegenwärtig wirkendes Agensgelten muss“ (Freud 1895, S. 85). Patientenmit komplex-traumatischen Störungen oderBorderline-Störungen sind heute in der sta-tionären Psychotherapie aufgrund ihrerChronifizierungstendenz eine Hauptstö-rungsgruppe. Die Patienten sind in ihrerSelbstregulation hochvulnerabel, zeigen diesin ihrer Depressionsanfälligkeit, Suizidalität,Emotionsdysregulation, in Leeregefühlenund Angstzuständen. Leitaffekte sind dabeiScham, Ekel und Selbsthass, Affekte, die inVerbindung mit der Körpergrenzregulationstehen. Neben den gestörten Körpergren-zen sind es vor allem die Dissoziationen desKörperselbst, die als Desintegrationspro-

Prof. Dr. med.Peter Joraschky ist emeritierterProfessor fürPsychosomatischeMedizin und

Psychiatrie. Von 1998 bis 2012 war er Direktor der Klinik und Poliklinik fürPsychotherapie und Psychosomatik amUniversitätsklinikum Carl Gustav CarusDresden. Seine Forschungsschwerpunktesind Psychotherapie von Angststörungen,Körperbild und Emotionsregulation,Bindungsforschung, Paar- und Familien-forschung.

Foto

:Pri

vat

zesse ausgeprägten Einfluss auf die Stabi-lität der Persönlichkeit haben. Daraus re-sultieren besondere Herausforderungen andie Therapie, denen sich neue Entwicklun-gen in der Körpertherapie traumatisierterPatienten stellen (Übersicht Vogt 2007,Trautmann-Voigt und Voigt 2007).

Die Patientinnen zeigen überwiegend ei-ne Vereinseitigung im Körpererleben aufeine funktional-objekthafte Dimension. Siesind kaum noch zu einer Oszillation in ih-rem Leiberleben in der Lage. Sie könnennur noch eingeschränkt in die Erlebens-weise des Körpers als Subjekt eintauchen.

Die neuen Forschungen im Bereich derSäuglings-, Emotions- und Selbstregula-tionsforschung stellen die große Bedeutungvon Vulnerabilitätsfaktoren im Körperer-leben für die Entwicklung psychosomati-scher Erkrankungen dar. Die bessere Dia-gnostik des Körpererlebens und der emo-tionalen Dysregulationen hat für diePsychotherapie die Konsequenz, dass non-verbale Verfahren verstärkt in der Präven-tion von Dysregulation und die Kombina-tion nonverbaler mit verbalen Verfahrenzur Behandlung von komplexen Selbstre-gulationsstörungen entwickelt werden. __

*Literatur kann beim Verfasser angefragt werden

K Ö R P E R I M S P I E G E L D E R S E E L E

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:23 Uhr Seite 21

Page 22: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

ProjektPsychotherapie

22

S C H W E R P U N K T

___ Vor fast 200 Jahren, in der Romantik,wurde die Psychosomatik zum ersten Malbeim Namen genannt. Johann Heinroth ver-wendete 1818 den Begriff in Zusammen-hang mit Schlafstörungen, von denen er an-nahm, sie seien durch seelische Befindlich-keiten verursacht*. Seine ganzheitliche Sichtauf Patienten führte ihn zu der Annahme,dass Lebenseinstellung und Lebensführungeiner Person die Grundlage von deren psy-chischer Erkrankung seien. Heinroths „Lehr-buch der Störungen des Seelenlebens“ waraber auch nur ein Meilenstein in einer lang-wierigen, bis heute anhaltenden Debatte

über zwei grundlegende Fragen: SindKrankheitssymptome eher körperlich odereher psychisch bedingt? Und entstehenKrankheiten eher im Körper oder werdensie vielmehr durch äußere Umstände her-vorgerufen? Die Fragestellung ist dem ei-gentümlichen Wesen des Menschen ge-schuldet, der als Körper der Dingwelt an-gehört und der mit Seele und Geist seinebiologische Grundlage überhöht. Es ist diePsychosomatik, die diesen Spagat versuchtund dabei nicht immer eine glückliche Fi-gur macht. Ihre Position ist nicht benei-denswert, steht sie doch im sich vielfach

wandelnden Spannungsfeld von Körper-medizin und Seelenheilkunde.

Die Fragen nach Henne oder Ei, nach Ur-sache und Wirkung, führten im Verlaufzweier Jahrhunderte zu widersprüchlichenAntworten, die mal ganz auf den Einflussder Biologie, dann wieder dezidiert auf dender Psyche beharrten. Otto Fenichel, einNestor der Psychoanalyse, formulierte 1945sein grundsätzliches Unbehagen an demdamals vertretenen Konzept von Psycho-somatik. Es erzeuge das Bild eines Wir-kungspfeils von der Psyche zum Körper.Ebenso wirkungsvoll sei die umgekehrte

Henne oder Ei?Sind Krankheitssymptome körperlich oder

psychisch bedingt? Irrwege und Meilensteinesäumen die Geschichte der Psychosomatik.Ein historischer Abriss über die rätselhafte

Verbindung von Körper und SeeleVon Gerald Mackenthun

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:24 Uhr Seite 22

Page 23: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

ProjektPsychotherapie

23

K Ö R P E R I M S P I E G E L D E R S E E L E

Blickrichtung, die den Begriff „Somatopsy-chologie“ nahelegt. Sodann spielen nochsoziale Belange bei der Entstehung und demVerlauf menschlicher Erkrankungen einegewichtige Rolle. Müsste dann nicht von„Sozio-Psycho-Somatik“ gesprochen wer-den? Und wenn alles immer irgendwie mithineinspielt, bedarf es dann überhaupt nocheines medizinisch-psychologischen Fachesnamens Psychosomatik? Oder sollte, wie derArzt und Anthropologe Gerhard Danzerfragt, nicht vielmehr die gesamte Human-medizin ihrem Wesen nach psychosoma-tisch sein?

Die abendländische Heilkunst war in ho-hem Maße psychosomatisch. Hippokratesund Galen etablierten die Säftelehre, wo-nach die ungleiche Mischung der vier Kör-persäfte Blut, Schleim, der gelben und derschwarzen Galle vier Typen mit unter-schiedlichen seelischen Ausdrucksformenentstehen lässt. Mehr als zwei Jahrtausendelang wurde diese Anschauung unhinterfragttradiert. Das mangelnde ärztliche Wissenmusste durch die „Droge Arzt“ kompen-siert werden. Auch die Magnetiseure undHypnotiseure des 18. und 19. Jahrhundertsbauten auf die suggestive Kraft der ärzt-lichen Erscheinung, beriefen sich auf einWirrwarr von vagen und verwickelten Spe-kulationen und ließen sich von der philo-sophischen Aufklärung wenig beeindrucken.Und doch erbrachte die Romantik einigewertvolle Einsichten, indem sie sich starkmit dem Unbewussten, den Frauen undKindern als eigenständige Personengrup-pen und dem gesunden Leben (Diätetik)befasste. Im 18. Jahrhundert mischten sichnaturphilosophische, mystisch-religiöse,neurophysiologische, psychosomatische undtiefenpsychologische Elemente. Diese Zeitist nicht gänzlich untergegangen. Vor über200 Jahren erfand Samuel Hahnemann dieHomöopathie, die sich – bis heute wissen-schaftlich nicht begründet – anhaltenderBeliebtheit erfreut.

Gegen die exakte Wissenschaft hatte dieromantische Psychosomatik letztlich keineChance. „Medizin muss Wissenschaft sein,oder sie wird nicht sein“, formulierte um1900 der Berliner Arzt Bernhard Naunynim Sinne des Positivismus. Seit der Befrei-ung der menschlichen Neugier von den Fes-

seln kirchlicher und religiöser Dogmen ex-plodierte die empirisch fundierte Erkennt-nis. Die Erfolge der naturwissenschaftlichenMedizin sind atemberaubend. Noch nie warMedizin so erfolgreich und zugleich nochnie so umstritten.

Nur eine Minderheit von Ärzten be-schäftigte sich nach der Epoche der Ro-mantik mit der rätselhaften Verbindungvon Körper und Seele. Die Entwicklungvollzog sich in zwei Hauptrichtungen: ei-nerseits eine spekulierende, mit Hypothe-sen arbeitende, stark anthropologisch undnaturphilosophisch ausgerichtete Strö-mung, andererseits eine experimentell undempirisch orientierte Richtung, die dieInteraktion zwischen Soma und Psyche er-forschte und die in Form der Epidemiolo-gie nach Zusammenhängen fragte, um dar-aus eine Krankheitsprophylaxe abzuleiten.Ihnen ist gemeinsam, dass sie den Men-schen als Leidenden ernst nehmen. Allepsychosomatischen Richtungen beziehensein soziales Umfeld mit ein. Ihre Be-sonderheit liegt im vertrauensvollen Arzt-Patienten-Verhältnis; ihm werden tragendeEigenschaften für Verstehen und Heilungzugesprochen. Sie wollen der vielschichti-gen Ganzheit des Menschen und der dar-aus erwachsenden Komplexität von Krank-heiten gerecht werden. So gehen sie vonder Überzeugung aus, dass bei grundsätz-lich allen Krankheiten eine psychosomati-sche Haltung und Einstellung des Arztesgegenüber dem Patienten – und des Pa-tienten gegenüber sich selbst – indiziertund notwendig ist.

Die zwischen Medizin und Psychologieangesiedelte Psychosomatik wäre nichtdenkbar ohne die Psychoanalyse und dieanderen Schulen der Tiefenpsychologie.Sigmund Freud begann vor 120 Jahren, denHysterikerinnen und ihrer Lebensgeschichteernsthaft zuzuhören. Ein Hauptmerkmalder Tiefenpsychologie, die Annahme einespsychisch wirksamen Unbewussten, stammtnoch aus der Romantik und wurde nurlangsam in die exakten Wissenschaftentransferiert. Postuliert wird, dass bewussteund unbewusste Traumata, Konflikte undandere Lebenskrisen krankheitsverursa-chend sein können. Freud und seine Schu-le konzentrierten sich auf die psychologi-

sche Denkweise, auf die psychogenen Fak-toren funktioneller Krankheiten. Im un-gestümen Voranschreiten wurden auch Irr-wege eingeschlagen, so wenn Asthma bron-chiale als Libidoverschiebung in denRespirationstrakt angesehen wurde. Dastrug 1913 Paul Federn in der Freud’schenMittwoch-Gesellschaft vor. In den erstenEntwicklungsjahrzehnten der Psychoso-matik war es wichtig, seelische Faktorenüberhaupt als ursächliche oder förderndeEinflüsse auf körperliche Krankheiten an-zuerkennen.

Die Suche nach dem einzigen Erklärungsprinzip

Prägend für die Psychosomatik wurde derpsychoanalytische Begriff der Konversion,1895 eingeführt von Freud in den „Studienüber Hysterie“. Psychische Erregung, dienicht adäquat verarbeitet oder abgeführtwerden kann, affiziert einen Körperteil,wird also umgewandelt (konvertiert). Daskörperliche Leiden ist in dieser VorstellungSymbol des unerkannten akuten oderschleichenden Konflikts beziehungsweiseTraumas. Das körperliche Symptom wirdzum Ersatz von Sprache; es ist der Körper,der angeblich „spricht“. Organe hätten ei-ne Sprache oder einen Dialekt, meinte auchder Begründer der Individualpsychologie,Alfred Adler. Symptome würden in sym-bolischer Sprache innere Zustände und Ge-danken ausdrücken. Das Konzept ist trü-gerisch. Der Symbolgehalt körperlicherSymptome ist gering. Der biologische Kör-per kennt neben der stummen gesundenFunktion im Wesentlichen nur die Zustän-de Erschöpfung, Entzündung, Schmerz,Funktionsentgleisung, Deformation undDegeneration. Man kann sich kaum desEindrucks erwehren, dass der Körper einKauderwelsch spricht, das nur schwer odergar nicht zu entziffern ist. Wie viel diffe-renzierter ist hingegen die menschlicheSprache. Da der Volksmund einzelnen Or-ganen meist fälschlicherweise bestimmteEigenschaften zuweist, lässt sich darausallenfalls metaphorisch etwas für das Arzt-Patienten-Gespräch herausschlagen.

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:24 Uhr Seite 23

Page 24: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

ProjektPsychotherapie

24

S C H W E R P U N K T

Die These, dass in bestimmten Fällen – vorallem in der Hysterie – die körperliche Stö-rung Ersatz für einen ungelösten seelischenKonflikt sei, wurde in den 50er-Jahren vonFelix Deutsch, Otto Fenichel und Franz Ale-xander infrage gestellt; es gebe keine siche-re Korrelation zwischen Konflikt und kör-perlichem Ausdruck. Gleichzeitig wurde dieSpezifität angezweifelt. Der Begriff der Spe-zifität in der Psychosomatik bedeutet, dassbestimmte psychosomatische Symptome inregelhafter Weise mit bestimmten psychi-schen Konstellationen und Konflikten kor-relieren. Einige Autoren wie die Amerika-nerin Helen Flanders-Dunbar („Psychoso-matic Diagnosis“, 1943) vertraten die These,wonach einzelne psychosomatische Er-krankungen sich bestimmten Persönlich-keitsmerkmalen und Eigenschaftsprofilenzuordnen lassen. Der Gegenstand der Spe-zifität verschob sich zur charakterlichen Prä-disposition für eine psychosomatische Er-krankung. Noch in den 60er-Jahren wurdevon Psychosomatikern die Ulcuserkrankungauf inadäquat durchgesetzte Besitzwünschezurückgeführt. Allgemeiner: Jeder emotio-nale Zustand habe sein eigenes physiologi-sches Syndrom.

Je mehr man herausfand, desto wenigerkonnten diese Regeln nachgewiesen wer-den; einzelne somatische Symptome lassensich einfach nicht bestimmten Konfliktenzuordnen. Die Suche nach einem einzigenErklärungsprinzip – Konversion, Regres-sion, Persönlichkeitstyp – war ein Irrweg.Der Internist und Leibarzt Freuds, MaxSchur, versuchte ihn zu vermeiden, indemer betonte, dass die Reaktion auf jeglichendenkbaren Konflikt (Belastung, Gefahr,Angst, Stressoren) eine individuelle, keinespezifische Organreaktion auslöse. In derUntersuchung von Herbert Weiner von 1957über die Wahrscheinlichkeit des Auftretensvon Ulcus bei Rekruten wurde zum erstenMal ernsthaft versucht, über den engen Kreisder psychosomatischen Modellbildung hin-aus den Wahrheitsgehalt einer Modellvor-stellung zu untersuchen.

Das heißt nicht, dass es keine psycho-physiologischen Zusammenhänge gäbe.Angst führt dazu, dass im Körper Adrena-lin ausgestoßen wird, was unter anderemdie Magen-Darm-Peristaltik hemmt undbei längerem Bestehen zu Verdauungsstö-

rungen oder einem unspezifischen Reiz-magen führen kann. Viele Erkrankungengedeihen auf dem Boden starker, den Kör-per und das Vegetativum in Aufruhr ver-setzender Affekte. Genauso gut kann dieHemmung feindselig-aggressiver Antriebe,ihre nicht adäquate Abführung, funktio-nelle Störungen eines Organs hervorrufen.Aber es wäre falsch, sich nur auf unsozialeoder trennende Affekte zu konzentrieren.Auch unerfüllte Wünsche, beispielsweisenach Zärtlichkeit in einer emotional kargenFamilie, können zu einer Dauerspannungmit körperlichen Funktionsverschlechte-rungen führen.

Das Bild vom falschenLebenswandel macht ausKranken Schuldige

In der Hochzeit der psychosomatischenTheoriebildung in den 50er- und 60er-Jah-ren des vorigen Jahrhunderts folgten Me-diziner wie der Internist Gustav von Berg-mann, der Neurologe Viktor von Weizsä-cker, der Zürcher Arzt Medard Boss oderder Hamburger Internist Arthur Jores denvielfältigen Spuren der Interaktion von Leibund Seele. Man kann ihnen den Respekt fürihre Leistung nicht versagen. Ihre Grund-annahme aber ließ sich nicht verifizieren. Sielautete, dass „falsches Leben“ somatischeUrsachen hervorruft oder zumindest ver-stärkt und verlängert. Zugespitzt: Wer krankwird, ist selbst schuld. Die Psychosomatikhatte damals den fatalen Hang, den Er-krankten die Verantwortung für ihr Leidenzuzuschieben. Noch heute propagieren po-puläre, „ganzheitliche“ Autoren, dass selbstKrebs eine Folge falschen Lebenswandelssei. Der Versuch herauszufinden, ob psy-chische Einflussfaktoren namhaft gemachtwerden können, war richtig, das Ergebnisaber ist mager. Fatal war, den Leidendenauch noch ein Schuldgefühl aufzubürden.

Die Empirie zeigt, dass Krankheit dasProdukt mehrerer Einflussgrößen ist, derenQuellen innerhalb wie außerhalb des Indi-viduums liegen und auf die es unter-schiedlich reagiert. Ein solches interaktivesModell ist komplex und nicht linear undentzieht sich einer rein naturwissenschaft-lichen Betrachtung. Nur eine Psychothera-

Dr. Gerald Mackenthun ist Privatdozentfür KlinischePsychologie undarbeitet als

niedergelassener Psychotherapeut inBerlin. Davor war er 25 Jahre lang Wissenschaftsredakteur.

Foto

:Pri

vat

pie bietet Raum und Zeit, diesen vielfäl-tigen individuellen Verästelungen nachzu-gehen. Den dafür erforderlichen Aufwandkönnen Mediziner nicht aufbringen undbrauchen ihn auch nicht aufzubringen. Ei-ne Arbeitsteilung ist sinnvoll. Vom Psycho-therapeuten wird freilich verlangt, dass erdie Grundlagen der Psychosomatik kennt,die Möglichkeiten der Leib-Seele-Interak-tion immer im Auge hat und mit den Me-dizinern vertrauensvoll kooperiert. Ein ge-bildeter Therapeut wird deshalb immermitbedenken, dass die politischen, wirt-schaftlichen und sozialen Verhältnisse denMenschen unterstützen können, gesund zuwerden, oder ihn krank machen können.

Als Ursachen einer Krankheit brauchenUmwelt und Vererbung nicht mehr als sichausschließende Alternativen angesehen zuwerden. In der modernen psychosomati-schen Pathogenese wird eine multifakto-rielle Verursachung und Aufrechterhaltungpsychosomatischer Erkrankungen vertre-ten. Körperliches und Seelisches, Anlageund Umwelt, faktische Auslöser und sub-jektive Verarbeitung, familiäre und gesell-schaftliche Verhältnisse treten in eine Wech-selwirkung und in ein Ergänzungsverhält-nis. Die Unterscheidung in psychische undphysische Krankheiten ist kaum noch mög-lich, da alle Störungen als psychosomatischbeziehungsweise somatopsychisch oder bio-psychosozial angesehen werden können.Die Psychosomatik wie die Psychotherapiehaben dabei die Aufgabe, die Selbsthei-lungskräfte des Erkrankten so weit als mög-lich zu stärken. ___

*Literatur beim Verfasser [email protected]

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:24 Uhr Seite 24

Page 25: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

ProjektPsychotherapie

25

K Ö R P E R I M S P I E G E L D E R S E E L E

___ Über Psyche und Soma in der Neuro-psychologie kann man nur schreiben, wennman seinen eigenen erkenntnistheoreti-schen Rahmen nennt. Psyche und Soma –man assoziiert sofort: „und mögliche Wech-selwirkungen“. Das Leitthema dieses Hef-tes mag dem Wortlaut nach eine cartesia-nisch-dualistische Denkweise nahelegen.Das Psychische, unabhängig vom Körperexistierend, wirke auf das Organische, sowie umgekehrt die körperlichen Vorgängeauf das Psychische einwirkten. Das Themamuss man nicht so verstehen, und ich ver-stehe es nicht so.

Vielmehr konstituiert sich das Psychischeauf der Grundlage des Organischen. Daskann es nur, weil sich die Erfahrungen desIndividuums in der Beziehung zu den Ob-jekten der Welt und zu anderen Menschenin ihm repräsentieren. Es existiert dannnicht unabhängig vom Körper. Das Psy-chische ist so gesehen Resultat des Ganzen;auch des Organischen. Dieses ist das mate-rielle und physiologische Substrat, das sichin Teile zerlegen lässt. Die Teile zu unter-

suchen gelingt den dafür zuständigen Wis-senschaften nur, wenn diese von ihrer Be-ziehung zueinander (vom Ganzen also) iso-liert werden. Das ist forschungsmethodischlegitim und hat große Erfolge aufzuwei-sen. Die Untersuchung der isolierten Teil-bereiche und ihrer Beziehungen zueinan-der kann aber nie die Gesetzmäßigkeitendes Ganzen einholen. So wie die chemi-sche Analyse der Druckerschwärze einesTextes nicht die Merkmale des Textes – zumBeispiel seinen Sinn – erforschen kann.Vielmehr sind die Merkmale des Ganzensystemisch, dem Ganzen zugehörig. DasGanze umfasst die psychische Repräsen-tanz der dinglichen und sozialen Erfah-rungen. Dieses Ganze wirkt auf die Berei-che des Organischen und diese auf dasGanze zurück, das ist das Thema vonPsychosomatik. „Das Ganze ist mehr alsdie Summe der Teile“, dieser Topos ist kor-rekt, wenn er auch nicht ins Detail geht. DasGanze hat andere Qualitäten, neue Ge-setzmäßigkeiten; diese haben die unter-schiedlichen Wissenschaften zum Gegen-

stand, und dafür generieren sie unter-schiedliche Sprachebenen. Jeglicher Re-duktionismus leugnet praktisch die Ent-stehung neuer Qualität im Ganzen, dieEmergenz, wie manche Philosophen dasausdrücken. Er führt zu Grenzüberschrei-tungen, etabliert ein hierarchisches Ver-hältnis zwischen den Wissenschaften undführt manchmal auch zu arroganter Hal-tung. Er hemmt Erkenntnisse.

Jeglicher Reduktionismushemmt ErkenntnisseDie Klinische Neuropsychologie – wennauch nicht scharf von der Psychosomatikabgrenzbar – untersucht dagegen vor allemdie Wirkung des Organischen auf das Psy-chische, genauer gesagt, der Verletzungenim zentralen Nervensystem, vor allem imGehirn, auf Wahrnehmung und Handlung,Aufmerksamkeit und Gedächtnis, Spracheund Abstraktion, Planung und Problem-lösen, Verhalten und Emotion beziehungs-weise Motivation, auf die psychischen Funk-

Die verletzten Teile und das veränderte GanzeWie wirken Läsionen des Gehirns auf die Psyche? Die Antworten der Neuropsychologie sind in Grenzen erklärungsmächtig, sie können die Diagnostik anführen; für die Therapie muss die Dynamik der psychologischen Faktoren berück-sichtigt werden. Und die besondere Selbstsicht des Patienten

Von Franz Dick

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:24 Uhr Seite 25

Page 26: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

ProjektPsychotherapie

26

S C H W E R P U N K T

tionen also. Eine repräsentative Definitionlautet: „Klinische Neuropsychologie ist eineTeildisziplin der Psychologie, die sich mitden Auswirkungen von Erkrankungen undVerletzungen des Gehirns auf das Erlebenund Verhalten in Forschung und Praxis be-fasst“ (Dick et al. 1996: „Klinische Neuro-psychologie“*). Diese Definition beschreibtim Wesentlichen das theoretische Selbstver-ständnis und die Praxis der Klinischen Neu-ropsychologie. Mit der Psychoanalyse Freudshat sie etwas gemeinsam. So wie Freud sei-ne Theorie des Psychischen ausgehend vonden psychischen Erkrankungen, den Neuro-sen, aufbaut, so generiert die Neuropsycho-logie ihre Theorie vor allem anhand der Fol-gen von Gehirnverletzungen beziehungsweise-erkrankungen.

Subjektivität ist kein systematisches Thema der Neuropsychologie

Von daher hat die Klinische Neuropsycho-logie eine besondere Affinität zum Orga-nischen, das heißt vor allem zur Neurolo-gie und Neurophysiologie des Gehirns. Siebefindet sich an der Schnittstelle zwischendem Hirnorganischen und dem Psychi-schen. Die Hightech-Methoden der mo-dernen Neurologie und Physiologie liefernnicht nur faszinierend bunte Bilder von Ge-hirnvorgängen, sie bestärken auch die lo-kalisatorische Denkweise, indem sie die ge-nauere Lokalisation der Gehirnläsionen undsogar die Feststellung der zeitlichen Abfol-ge von Gehirnvorgängen ermöglichen. DieVersuchung besteht, den Gehirnfunktionenund ihren Störungen Lokalisationen zuzu-ordnen, entsprechend der alten, tradi-tionellen Auffassungen vom Gehirn; oderzumindest Lokalisationen besondere Funk-tionen innerhalb der ultrakomplexen Netz-werke von Gehirnvorgängen zuzuordnen.Es fällt ihr schwer, sich aus der Prägungdurch ihre Geschichte, durch ihr Entstehenaus der Neurologie heraus – der frühe Neu-rologe Freud, natürlich Broca, Wernicke,Brodmann usw. – zu befreien. Die ganz-heitliche Tradition (Kurt Goldstein, Lash-ley) hat sich in der Geschichte der Neuro-

psychologie kaum durchsetzen können, sieist heute nur schwach vertreten.

Eine Läsion betrifft anatomisch immernur einen Teil des Gehirns, lokalisatorischumschrieben nach Gehirnkontusion, Schlag-anfall oder Gehirntumor oder diffus-dislo-ziiert bei entzündlichen und degenerativenErkrankungen. Was ist mit den intaktenBereichen und dem psychischen Gesche-hen, welches auf diesen beruht? Die loka-lisatorische Orientierung ist suggestiv vorallem in der zeitlichen Nähe der Erkran-kung. Je größer die zeitliche Nähe vonUntersuchung und Erkrankung (Läsion),umso enger scheint die Beziehung. In zeit-licher Entfernung, das heißt mit der Weiter-entwicklung des Individuums, ist die Be-ziehung zu den Läsionsorten weniger eng.Anders gesagt: Im Verlauf erhalten die in-takten Hirnbereiche ein Mehr an Domi-nanz. Das Gehirn reorganisiert sich. DasPsychische organisiert sich auch auf der er-neuerten Grundlage des veränderten Ge-hirns. Mit Recht wird die Plastizität desGehirns, seine adaptive Potenz, immer wie-der betont.

Die Fokussierung auf Läsion und Lä-sionsorte kann nicht die Fragen nach derKommunikation mit Patienten beantwor-ten. Was können diese nach einer Schädi-gung überhaupt verstehen? Was könnensie bei der Mitteilung der Diagnosen nach-empfinden und was nicht? Sie gibt keineAntwort auf die Fragen der Therapie.Schon gar nicht innerhalb der späteren Ent-wicklung. Für diese ist das psychischeSelbstverständnis der Patienten – ihr Selbst-bild, die psychische Verarbeitung der Ge-hirntraumata, die immer auch psychischeTraumata sind – ausschlaggebend. „Krank-heitsverarbeitung“ – welch unschöner Ter-minus für diese Herausforderung! Auchdie Rückwirkung der sozialen Erfahrun-gen hat bekanntlich einen großen Einfluss.

Die Subjektivität, die Sichtweise neurolo-gischer Patienten ist – im Großen und Gan-zen – nicht systematisches Thema der Kli-nischen Neuropsychologie oder jedenfallssehr viel weniger als die Fragen nach Läsion,Physiologie und objektiv beobachtbaren di-agnostischen Zeichen. Es gibt eine Ausnah-me, aber paradoxerweise ist diese aus-

schließlich negativ. Wenn von Störungsbe-wusstsein die Rede ist, dann ist vor allemdessen Fehlen gemeint: mangelnde Krank-heitseinsicht, Anosognosie, Unawareness.Diese Begriffe ziehen sich wie ein roter Fa-den durch die Neuropsychologie. An ihremBeispiel lässt sich die Begrenztheit einer lä-sionsorientierten Denkweise aufzeigen.

Es gibt den breiten Forschungstrend, dernach charakteristischen Läsionsorten fürmangelndes Störungsbewusstsein sucht(Überblick in Prigatano 2004, S. 210 ff.).Dieser Forschungstrend sucht, aber findetnicht den bestimmten Ort im Gehirn, derallgemein für die Krankheitseinsicht unddaher deren Fehlen zuständig wäre. Die An-nahme eines solchen Ortes ist ohnehin ab-surd, da sie stillschweigend einen begrenz-ten Monitor mit einer solchen Funktion –einen Homunculus – voraussetzt. Ist vonmangelnder Störungseinsicht die Rede, sosollten erst einmal die logischen oderpsychologischen Charakteristika der ano-sognostisch verkannten Krankheitssymp-tome ins Auge gefasst werden. Man stößt bei unterschiedlichen Erkrankungen undSymptomen auf sehr unterschiedliche Cha-rakteristika.

Der Patient mit einer Broca-Aphasie, ei-ner Störung von Wortfindung, phonema-tischer Wortbildung und Grammatik, willetwas sagen. Er findet weder die Worte nochdie grammatische Struktur. Er stößt dau-ernd auf seine Blockaden. Er erkennt seineSprachstörung, wird daran leiden und wirdcharakteristischerweise häufig depressiv. Inder läsionsorientierten Denkweise wird da-für die geschädigte Hemisphäre – meist dielinke – verantwortlich gemacht. Der Pa-tient mit einer Wernicke-Aphasie – flie-ßendes Sprechen, aber mit zahlreichenWort- und Syntax-Entgleisungen – spricht„darauf los“. Die Aphasie-Literatur ver-merkt die Koppelung von Wernicke-Apha-sie und Anosognosie. Dabei ist das Nicht-erkennen psychologisch naheliegend. Dader Wernicke-Aphasiker Sprache allgemeinnur eingeschränkt versteht, bemerkt er sei-ne eigenen sprachlichen Entgleisungennicht, kann sie nicht bemerken. Mit derhäufig vorkommenden Verschiebung derräumlichen Aufmerksamkeit – Neglectsyn-

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:24 Uhr Seite 26

Page 27: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

ProjektPsychotherapie

27

K Ö R P E R I M S P I E G E L D E R S E E L E

drom, vor allem nach rechtshemisphä-rischer Läsion, zum Beispiel durch Schlag-anfall, meist verbunden mit Gesichtsfeld-einschränkung oder halbseitiger Lähmung– kann man in der Frühphase praktisch im-mer von mangelndem Störungsbewusst-sein ausgehen. Auch hier wird nach cha-rakteristischen Läsionsorten gesucht. Da-bei erklärt sich das Fehlen aus der Logikdes Störungsbildes: Jemand, für den diehalb wahrgenommene Welt die ganze ist,der spürt nicht die „halbe Wahrnehmung“,er braucht sich daran nicht zu stören undleidet charakteristischerweise nicht daran.Störungsbewusstsein kann er spontan nichtentwickeln.

Was ist aber, wenn offensichtliche Be-hinderungen geleugnet werden? Der Pa-tient, der seine Armlähmung leugnet, vonv. Monakow und von Babinsky beschrie-ben? Oder die zerebral bedingte Blindheit,beidseitige Läsionen im visuellen Feld desGehirns, „Anton-Syndrom“? Hier sind il-lusorische Bewegungen des gelähmten Ar-mes und visuelle Halluzinationen diepsychologischen Phänomene, die die Ver-kennung psychologisch nachvollziehbar er-klären (vgl. Goldenberg).

Bei der Leugnung von schweren nicht-neurologischen Erkrankungen – typischdafür ist Krebs – in Form von selektivemVergessen kommt man sowieso nicht um-hin, dieses psychologisch zu erklären: ausAngst vor der Lebensbedrohung. Die Su-che nach Orten im Gehirn, die dafür zu-ständig seien, ist erfolglos. Im Übrigen ver-letzt sie das Gesetz der Parsimonie, dersparsamen Erklärung.

Freilich ist in diesen Beispielen das man-gelnde Störungsbewusstsein psychologischerklärt, nicht die Behinderungen wie Läh-mung usw. selbst, nicht illusorische Bewe-gungen, nicht die Halluzinationen und dieVerschiebung der Wahrnehmung. DiesePhänomene müssen allerdings letztlich neu-rologisch erklärt werden, und so ist die Auf-gabe der Erklärung bloß verschoben. Aberdas sind nur theoretische Probleme. Fürdie Fragen nach der Kommunikation mitden Patienten und für den praktischen Um-gang ist die psychologische Erklärung, nichtdas Wissen um die Läsion, eine Hilfe.

Es zeigt sich spätestens hier die Einseitig-keit der Neuropsychologie, die mehr oderweniger ausschließlich den Bezug zur „Neu-ro-Basis“ sucht und das Intrapsychische,das eben eigenständig und nicht neurolo-gisch zu untersuchen ist, außen vor lässt.Diese Einseitigkeit führt dazu, dass Neu-ropsychologen, die neurologische Patientennach der postakuten Phase begleiten, vonder Neuropsychologie im Stich gelassenwerden. Sie müssen zurückgreifen auf all-gemeine Begriffe der Klinischen Psycholo-gie oder Psychoanalyse und auf psycho-therapeutische Techniken.

Bei manchen Störungenhilft dem Patienten nichtdas Wissen um den Ortder Läsion, sondern diepsychologische Erklärung

Die Begriffe und Theorien der KlinischenPsychologie und der Psychoanalyse sindmehr oder weniger an Menschen mit intra-psychischen Störungen entwickelt worden,die keine Hirnschädigung haben. So ste-hen die Begriffe der Neuropsychologie undder Klinischen Psychologie unvermitteltnebeneinander – neuropsychologische De-fizite und Krankheitsverarbeitung. So wiedie Fachdisziplinen Neuropsychologie undPsychotherapie nebeneinander stehen. Da-bei wäre es eine lohnende Fragestellung fürdie Forschung und die Theorie: Wie sinddie Auffassungen intrapsychischer Vor-gänge daran anzupassen, dass die organi-sche Basis von psychischen Vorgängen –unterschiedlich große, unterschiedliche lo-kalisierte, unterschiedlich diffuse – verän-dert ist?

Die Frage nach dem Verhältnis von Psy-che und Soma innerhalb der Neuropsy-chologie ist eine ergiebige Frage. Sie wirdaktuell einseitig beantwortet. Die reduk-tionistische Suche führt schnell an ihreGrenzen. Natürlich sollte sich die Neuro-psychologie nicht von ihrer neurologischenBasis loslösen. Eine Sprachstörung oder ei-ne Lähmung nach einem Schlaganfall las-sen sich schlechterdings nicht psycholo-

gisch erklären. (Ausnahmen sind eine dis-soziative, psychisch bedingte Sprachstörungoder Lähmung.) Hier sind Bildgebung,physiologische Untersuchung und allge-mein die Neurologie erklärungsmächtig.Diese können aber nicht auch komplexepsychologische Phänomene wie das Selbst-bild der Menschen und die Dynamik derWechselwirkung von Kognition und Emo-tion erklären. Die Neuropsychologie hatprinzipiell große wissenschaftliche Chan-cen, da sie an der Schnittstelle zwischenNeurologie und Psychologie steht. Aber siesollte mehr Neuropsychologie werden, dieStörungsbilder in ihrer Vielfalt und Ver-ästelung phänomenologisch – also psy-chologisch, ohne Einschränkung auf Syn-drome, beschreiben. Sie sollte in psycholo-gischer Hinsicht mehr Selbstbewusstseinentwickeln. In der Praxis der Betreuungvon Hirnverletzten ist man sowieso aufpsychologisches Denken angewiesen. DieForschung könnte unterstützen, indem siestatt Gruppenvergleichsuntersuchungen inder akut- oder postakuten Phase langfris-tigen Einzelfallstudien mit dem Fokus aufder Dynamik der psychologischen Entwick-lung ein größeres Gewicht gäbe. Das wärenmeine bescheidenen Wünsche. ___

*Literatur kann beim Verfasser angefragt werden

Dr. Franz Dick ist KlinischerNeuropsychologeund Supervisor.Roter Faden seiner Interessensind erkenntnis-

theoretische und methodische Fragen.Er ist Autor zahlreicher Publikationen,u.a.: „Neuropsychologie. Grundlagen,Aufgaben, Perspektiven“ (mit SiegfriedGauggel). „Moderne Neurobiologie: Endeder (Willens-)Freiheit?“ Weitere Informationen: www.dr-franz-dick.com

Foto

:Pri

vat

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:24 Uhr Seite 27

Page 28: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

Ein Anker gegen die AngstIm Gleichgewicht von Schutz und Unterstützung können Kinder dysfunktionaler Angst entkommen. Mit ihrem Konzept zur elterlichen Ankerfunktion bieten Haim Omer und Eli Lebowitz konkrete Ratschläge für Eltern von Kindern mit Ängsten

Von Ariadne Sartorius, Vorstandsmitglied des bvvp

ProjektPsychotherapie

28

L I T E R AT U R

___ Haim Omer und Eli Lebowitz gebenauf rund 200 Seiten Eltern von Kindernmit Ängsten und Angsterkrankungenwertvolle Ratschläge und psychoedukativeHinweise auf mögliche Entstehungs- undaufrechterhaltende Bedingungen kind-licher Ängste.

In der Einführung stellen die Autorenzunächst nachvollziehbar und fundiert el-terliche Funktionen und die Entwick-lungsaufgaben in den verschiedenen Le-bensphasen von Kindern dar, insbesondereauch unter dem Blickwinkel der Entste-hung und Aufrechterhaltung von Angst-störungen. Im Anschluss folgen dann sechsinhaltlich gut aufeinander aufbauende Ka-pitel, die zu einer Ressourcenaktivierungeinladen.

Im ersten Kapitel werden unterstützen-de, beschützende „Ankerfunktionen“ vonEltern beschrieben sowie ein möglicherVerlust dieser Funktionen und die darausfolgenden möglichen Konsequenzen. Mitdem Bild der Ankerfunktion ist gemeint,Kindern ausreichend Freiraum zur Ent-wicklung zu geben, ohne dabei das Gleich-gewicht zwischen Schutz und Unterstüt-zung des Kindes in seiner Entwicklung zuverlieren. Eine Darstellung von Über-gangsphasen und Hilfestellungen, zum Bei-spiel anhand von Fragenkatalogen, zeigtEltern auf, wie sie selbst mit den Ängstenihrer Kinder umgehen können und wie sie

Symptomatik ihrer Kinder. Diesem Phä-nomen widmet sich das vierte Kapitel, um„die Kluft zwischen den Eltern zu über-brücken und zumindest teilweise auf ei-nen gemeinsamen Nenner zu kommen“.Im Folgenden beschreiben die Autoren Ex-trembeispiele kindlicher Angsterkrankun-gen: „Vom Vermeidungsverhalten zur Kon-trollherrschaft“. Spannend und nicht all-täglich ist dann auch das letzte Kapitel, dassich mit den Angststörungen erwachsenerKinder und deren chronischer Abhängig-keit von ihrem Elternhaus widmet.

Immer wieder ist das Buch mit diversenFallbeispielen insbesondere von patholo-gischer Angstsymptomatik versehen, diedem Leser helfen sollen, sich in die be-schriebenen Situationen einzudenken undso den Autoren in ihren Gedankengängengut folgen zu können.

Das vorliegende Buch kann vielen El-tern eine Hilfe sein. Eltern, die selbst zuÄngsten neigen, können bereits präventivlernen, ihre eigenen Auseinandersetzun-gen mit Angst nicht an ihre Kindern weiter-zugeben und ihre Kinder stark zu machen.Eltern, die Kinder mit Ängsten haben, kön-nen wertvolle Unterstützung und Hilfe inihrem eigenen Umgang und dem ihres Kin-des finden, sodass dieses Buch durchausauch in einer Kindertherapie als beglei-tende psychoedukative Literatur Elternempfohlen werden kann. ___

Haim Omer, Eli Lebowitz:

Ängstliche Kinderunterstützen.Die elterliche Ankerfunktion

Vandenhoeck & Ruprecht1. Auflage 2012 207 SeitenISBN-13: 978-352540218419,95 Euro

ihre Kinder unterstützen können. Hierbeiarbeiten die Autoren viel aus dem Blick-winkel lerntheoretischer Konzepte.

Das zweite Kapitel zeigt ausführlich, wieEltern ihre hilfesuchenden Kinder unter-stützen können. Weil es jedoch auch immerwieder Kinder mit Ambivalenzen in Bezugauf die Annahme von Hilfe gibt, widmetsich das folgende dritte Kapitel sogenann-ten „einseitigen Maßnahmen der Eltern“.

Eltern finden wertvolleUnterstützung im Umgangmit den Ängsten ihrer KinderEin Fokus dieser Arbeit liegt auf der„Wiederherstellung der eigenen Veranke-rung“ der Elternteile. Häufig gibt es in Fa-milien mit Angsterkrankungen von Kin-dern aber auch divergierende Elternkon-zepte in Bezug auf den Umgang mit der

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:24 Uhr Seite 28

Page 29: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

ProjektPsychotherapie

29

L I T E R AT U R

Mit einer neuen Identität jenseits des Rauchenskann das Ende der Sucht beginnen

Zum nikotinfreien SelbstVon Peter Stimpfle, bvvp-Mitglied Bayern

___ „Nachhaltige Raucherentwöhnung mitHypnose – Therapie-Manual für Einzelneund für Gruppen“ ist eine lesenswerte Neu-erscheinung von Wilhelm Gerl und BjörnRiegel, die auf dem markengeschützten underfolgreich eingesetzten SmokeX-Programmvon Gerl beruht. Die SmokeX-Arbeitsge-meinschaft bietet dazu seit Jahren bundes-weit Fortbildungen an. Eine detaillierte Dar-stellung theoretischer Hintergründe und derpraktischen Manuale war überfällig. Warumder Verlag den Markennamen im Buchtitelweglässt, bleibt unklar. Max Beckmanns„Selbstbildnis mit Zigarette“ von 1947 alsTitelbild entschädigt dafür. Die Befürchtung,dass beabsichtigt sei, den Rauchzwang „weg-zuhypnotisieren“, erweist sich schnell alsunbegründet. Die Autoren legen ein dif-ferenziertes rationales Konzept vor, dasverschiedene Aspekte der Abhängigkeits-entwicklung berücksichtigt: sozialpsycho-logische, psychodynamische, verhaltens-theoretische, systemische und individuelle.Es folgt die Darstellung der Prinzipien einerhypnotherapeutischen Raucherentwöhnung,die gleichzeitig eine Einführung in die Hyp-notherapie ist.

Es zeigt sich, dass das zentrale Anliegendes SmokeX-Entwicklers darin liegt, dassdie momentan noch rauchende Person ihrepersönliche Identität jenseits des Rauchensentwickelt oder wiederfindet. Eine eigen-ständige, vom Rauchen unabhängig defi-nierte Identität kann dann die endgültigeVerabschiedung der Zigarette ermöglichen.Diesem Prinzip entsprechend darf der Rau-

cher sogar eine gewisse Zeit noch weiter-rauchen, damit er erst dann damit aufhört,wenn die körperliche Umstellung genü-gend vorbereitet und die mentale Neu-orientierung erfolgt ist. Rauchen dienteihm lange dazu, psychische Bedürfnisse zubefriedigen – Entspannung, Aktivierung,Gewichtskontrolle, Zugehörigkeit. Deshalbwerden in der Therapie nötige Ressourcengesucht, um alternative Handlungsmög-lichkeiten zu entwickeln, die gesünder undmehr im Einklang mit den Werten der Per-son sind. Dies wird bevorzugt und nach-haltig wirkungsvoll mithilfe hypnotischerImaginationen inklusive geeigneter post-hypnotischer Suggestionen geleistet.

Der Tag X für die endgültige Verabschie-dung der Zigarette und damit den Beginndes vom Rauchen befreiten Lebens wird inAbstimmung mit dem „Unbewussten“ ge-funden und in einer therapeutischen Tran-ce bestätigt. Die Autoren berücksichtigenbiochemische Aspekte, die Rolle der Ernäh-rung und der Neurotransmitter, was zur Re-duzierung von Entzugserscheinungen ge-

nutzt wird. Diese Ganzheitlichkeit ist be-reichernd und sicher auch für andereSuchtprobleme wie zum Beispiel Adiposi-tas nutzbar. Die hypnotherapeutischen Vor-gehensweisen werden mit Beispielen pra-xisorientiert beschrieben. Ausführliche Ma-nuale für Raucherentwöhnung als Einzel-und Gruppenbehandlung werden vorgelegt.Die Behandlung ist ausgelegt auf insgesamtvier Einzelsitzungen oder sechs Gruppen-sitzungen. Eine Kombination von Einzel-und Gruppenbehandlung wird beschriebensowie die zeitökonomische Nachbetreuungvia E-Mail. Schließlich wird die – leider nochdünne – empirische Befundlage zur Über-prüfung der Wirksamkeit der Hypnothe-rapie bei der Raucherentwöhnung darge-legt. Eine aktuelle Wirksamkeitsstudie überSmokeX wird dargestellt, die als Disserta-tion an der Universität Hamburg erfolgte,unterstützt von der Milton-Erickson-Ge-sellschaft für klinische Hypnose und derSmokeX-Arbeitsgemeinschaft. Von 75 Pro-banden mit durchschnittlich 30 Raucher-jahren waren nach Beendigung der Be-handlung insgesamt 54,4 Prozent abstinent,67,2 Prozent der Patienten, die das ganzeProgramm absolviert hatten. Nach einemJahr waren noch 32,9 Prozent aller Teilneh-mer abstinent beziehungsweise 39,3 Prozentvon denen, die an allen Sitzungen teilgenom-men hatten. Diese Zahlen sind ermutigend.Das Buch beinhaltet für den Anwender in-dividualisierbare Arbeitsblätter, die von derWebseite des Klett-Cotta Verlags herunter-geladen werden können. Fraglich bleibt, wa-rum man nicht zusätzlich ein Manual her-ausgibt. Vier beziehungsweise sechs Sitzun-gen für eine Suchttherapie ist eine rechtkurze Dauer, wobei diese Kürze und Effek-tivität sicherlich auch dadurch ermöglichtwerden, dass die Patienten Selbsthypnoselernen und regelmäßig praktizieren sollen.Die Daten zeigen, dass bereits in vier Sit-zungen ein nachhaltiger Effekt erzielbar ist,wobei sich empirisch nur ein geringer Effekthinsichtlich der Erfahrung der Therapeutenzeigt, was man als Beleg für die Wirksamkeitdes Programms werten muss. ___

Weitere Infos unter: www.smokex.de oder www.iit-info.de

Björn Riegel, Wilhelm Gerl:

Nachhaltige Raucherentwöhnungmit HypnoseTherapie-Manual für Einzelne und für Gruppen

Klett-Cotta Verlag1. Auflage 2012, 200 SeitenISBN-10: 3608891269ISBN-13: 978-360889126324,95 Euro

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:24 Uhr Seite 29

Page 30: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

Ein Werkzeugkasten für die GruppeBernhard Strauß und Dankwart Mattke beschreiben Utensilien für eine elastische Gruppenpsychotherapie

Von Christian Willnow, 1. Vorsitzender des RVN/bvvp

ProjektPsychotherapie

30

L I T E R AT U R

___ Es ist ein Lehrbuch für die Praxis – 500 dünne Seiten mit gewichtigem Inhalt.38 Kapitel von verschiedenen Autoren ha-ben die Herausgeber zusammengetragenum „The State of the Art“ der Grup-penpsychotherapie zu präsentieren. DieHerausgeber sind langjährig in der Grup-penpsychotherapie aktiv, als Forscher, alsKlinikleiter und in der Ausbildung fürGruppenpsychotherapeuten.

Das Buch ist in sechs Teile gegliedert.Zum Auftakt werden in sieben anspruchs-vollen Kapiteln die Grundlagen dargestellt,zunächst die Geschichte der Gruppenpsy-chotherapie und die Gruppendynamik.Dann gibt es Ausführungen zur „Gruppeund Bindungstheorie“, zur Forschung, zurIndikationsstellung und zu therapeutischenBeziehungen in Gruppen.

Der zweite Teil behandelt die gruppen-psychotherapeutischen Veränderungstheo-rien. Für mich als eklektischen, in den 70er-und 80er-Jahren Gruppen-sozialisiertenTherapeuten sind die differenziert darge-stellten Veränderungstheorien spannend. Injedem Fach des „Werkzeugkastens Gruppe“fand ich wichtige Utensilien meines täg-lichen Handelns beschrieben: analytische,tiefenpsychologische, verhaltenstherapeu-tische, systemische und gesprächsthera-peutische, und zwar nicht für eine metho-den-, sondern für eine patientenorientierteBehandlung. Die Begründung liefert Bern-hard Strauß im Kapitel „Psychotherapeuti-sche und gruppenpsychotherapeutischeKompetenz“: „Gruppenleitung sollte letzt-lich flexibel sein, nicht abhängig von derTherapietheorie und der Theorie des The-rapeuten, sondern eingestellt auf die Pa-

somit auch nicht angewandt werden kann.Wie soll man in der ambulanten Praxis einehomogene Gruppe mit acht Patienten fürzwölf Sitzungen viermal im Jahr zusam-menstellen? Erhellender ist der Artikel„Psychodynamisch-interaktionelle Grup-pentherapie bei somatoformen Störungen“,in dem differenzierter dargestellt wird, wasin der – auch manualisierten – Therapie in-haltlich gemacht wird. Leider fehlt der Hin-weis, ob dieses Manual auch im ambulan-ten Rahmen – nicht aus einer Ambulanz ei-ner Klinik heraus – Anwendung findet. Auchder Artikel „Skillstrainig für Patienten mitBorderlinestörungen“ geht genauer daraufein, was denn nun gemacht wird. Diese Bei-träge sind mit auflockernden Illustrationenlebendig zu lesen.

Der anschließende Abschnitt beschreibtdie verschiedenen Anwendungsbereichevon Gruppen.

Erfreulich ist, dass die Herausgeber sichnicht nur auf die Richtlinienpsychotherapiebeschränken, sondern auch den Randge-bieten Raum geben: Gruppen mit Älteren,Gruppen in der Psychiatrie, in der forensi-schen Psychotherapie bis zu Körperpsy-chotherapie, in Selbsthilfegruppen und invirtueller Gruppenpsychotherapie.

Das letzte Kapitel befasst sich mit demThema Ausbildung. Vor dem Hintergrundihres Ausbildungscurriculums „Allgemeineund störungsspezifische Techniken derinstitutionellen Gruppentherapie“ (AstiG)stellen die Herausgeber die schwierige Aus-bildungssituation für Gruppenpsychothe-rapeuten dar. Es werden zwar viele Grup-pentherapeuten ausgebildet, aber nur we-nige nutzen diese Qualifikation dann auch.Supervision ist für Mattke und Strauß dasHerzstück ihrer Ausbildung.

Die Behandlungsmethode kann man an-hand des Lehrbuchs nicht lernen, dafür abervieles über Gruppenpsychotherapie. ___

tientencharakteristika, die aktuellen Pro-zesse in der Gruppe und die strukturellenVorgaben, also den Rahmen.“

Im Abschnitt „Gruppenpsychotherapie-forschung“ geben führende Forscher derGruppenpsychotherapie eine Einführungin die Thematik. Durch das ganze Buchzieht sich der immer wiederkehrende Hin-weis auf vorliegende und auch fehlendeEvidenz. Trotzdem zeigt das Resümee imAusblick: „Die Ergebnisse der Gruppen-psychotherapieforschung stützen die An-nahme, dass Gruppenpsychotherapiendurchaus effektiv sind, dass aber viele Fra-gen noch zu klären sein werden.“

Evidenz ist ein wiederkehrendes FragezeichenDas folgende Kapitel widmet sich den stö-rungsspezifischen und störungsorientiertenGruppenpsychotherapien. Im Abschnittüber die störungsspezifischen Anwendun-gen dominieren manualisierte Ansätze, vor-nehmlich aus der Verhaltenstherapie. Wenigergiebig ist der Artikel „Depressive Störun-gen“, in dem verschiedene verhaltensthera-peutische störungsspezifische Gruppen-konzepte dargestellt werden. Im Ausblickdes Kapitels beklagen die Autoren, dassGruppentherapien für depressive Patientenzwar in ihrer Effizienz und Effektivität gutbelegt seien, im ambulanten Setting abernicht ausreichend genutzt und nur unterschwierigen Verhältnissen durchgeführt wer-den können. Dies könnte ja auch als einHinweis darauf verstanden werden, dass dieEvidenz, die in experimentellen Studien-designs gewonnen wurde, die naturalisti-sche Versorgungspraxis nicht darstellt und

Bernhard Strauß,Dankwart Mattke (Hg.):

Gruppenpsycho-therapie: Lehrbuch fürdie Praxis

Springer Berlin HeidelbergAuflage: 2012522 SeitenISBN-10: 3642034969ISBN-13: 978-364203496149,95 Euro

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:24 Uhr Seite 30

Page 31: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

ProjektPsychotherapie

31

V E R A N S TA LT U N G E N

___ Südafrika ist ein Reiseland der Viel-falt in den verschiedensten Landschaftenund seinen Formationen. Wüsten wech-seln sich ab mit Buschland, Trockensavan-nen, Regenwäldern und Hochplateaus mitspektakulären, scheinbar ebenmäßig ge-meißelten Abbruchkanten von lang ge-streckten Tafelbergen, die mehrere 100 Me-

ter tief jäh in atemberaubende Schluchtenabfallen. Südafrika wird auch „Land desRegenbogens“ genannt wegen der ver-schiedenen Hautfarben und der vielenSprachen seiner Menschen. Neben demEnglischen und dem sich aus deutschen,niederländischen, malaiischen, portugie-sischen und einheimischen Sprachelemen-

ten zusammensetzenden Afrikaans gibt esmindestens neun verschiedene Sprachenund viele Dialekte der schwarzen Bevölke-rung.

Einen repräsentativen Teil Südafrikaskonnten wir auf unserer zehn Tage dau-ernden und kompakt mit Besichtigungenund Fachprogramm sehr gut organisier-

Am Kap der Vielfalt Im Land des Regenbogens gibt es alles: atemberaubende

Naturpracht, pulsierende Metropolen – und zugleich bitterste Armut.Auf der Reise durch Südafrika erlebten bvvp-Mitglieder ein

Wechselbad der Gefühle in intensiven Begegnungen und gewannen Einblicke in eine kontrastreiche Gesundheitsversorgung

Von Tilo Silwedel, Vorstandsmitglied des bvvp

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:24 Uhr Seite 31

Page 32: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

ProjektPsychotherapie

32

V E R A N S TA LT U N G E N

ten Reise kennenlernen und bewundern.Gleich nach der Ankunft am frühen Mor-gen starteten wir mit einer Stadtrundfahrtdurch das von der Architektur seiner Ge-bäude europäisch wirkende Johannesburg– der Stadt des Goldes mit mindestenssechs Millionen Einwohnern. Die Finanz-metropole mit ihren vielen gläsernenHochhäusern und rechteckig angelegtenStraßenschluchten ist das wirtschaftlicheZentrum des Landes; ihre Bevölkerung istnahezu ausnahmslos von schwarzer Haut-farbe – willkommen in Afrika!

Auf dem Weg zur Hauptstadt Pretoriabefindet sich ein monumentales nationa-les Denkmal, das an das Völkerschlacht-denkmal in Leipzig erinnert. Es doku-mentiert die Geschichte der vornehmlichaus Holland stammenden und seit dem 17. Jahrhundert in Südafrika siedelndenBuren und ihre kriegerischen Ausein-andersetzungen im 19. Jahrhundert mitden eingeborenen Völkern. Bei der Suchenach neuen Siedlungsgebieten stießen sieauf das Volk der Zulus, die sich den Burennicht unterwerfen wollten und sich den-noch in der Schlacht am Blood River ge-

schlagen geben mussten. Den Buren wiede-rum setzten die ihnen nachrückenden Eng-länder unerbittlich nach, die Anfang des20. Jahrhunderts die Burenrepubliken auf-lösten und 1910 die Südafrikanische Uniongründeten. Das nach dem Anführer derBurentrecks benannte Pretoria ist zwar we-niger aufregend als Johannesburg, bestichtaber durch seine im klassizistischen Stil er-bauten repräsentativen Regierungs- undParlamentsgebäude und Alleen des Regie-rungs- und Diplomatenviertels – gesäumtvon vielen wunderbar lila blühenden undzart duftenden Jacarandabäumen.

Patienten werfen Knochen aus, und Medizinmänner glaubenan verhexte Patienten

Je weiter man nach Osten kommt, destorascher verändert sich die Landschaft. Nachder flachen Hochebene, in der Johannes-burg und Pretoria liegen, erreicht man dieschroffe Bergwelt der Drakensberge, wosich ein jetzt als Museum gepflegtes altes

Goldgräbernest befindet: Pilgrims Rest. EinGoldgräber gelangte nach beschwerlicherReise mit einer voll beladenen Schubkarreseiner Habseligkeiten in diese Gegend, fandmehrere glänzende Klumpen Gold in ei-nem Bach und beschloss, der Pilger kön-ne bleiben und sich ausruhen. Die Ge-birgsabrisskante der Drakensberge war einspektakulärer landschaftlicher Höhepunktunserer Reise – mit einem atemberauben-den Blick hinunter in den schöne Schlei-fen bildenden Blyde River Canon und aufdie gerundeten Felsformationen, die an dietypischen Rundhütten (Rondawells) dereinheimischen Bevölkerung erinnern.

Noch weiter östlich ist eine weite Ebeneden Drakensbergen vorgelagert, in der sichder weltberühmte Krüger-Nationalpark be-findet. Auf einer Fläche von der Größe vonRheinland-Pfalz tummeln sich in üppiggrüner Landschaft viele wilde Tiere. Wirkonnten eine sich müde rekelnde Löwin,eine auf der Lauer liegende Leopardin,freudig badende Elefanten, anmutige Anti-lopen, wuchtige Büffel und bullige Nas-hörner sowie gesellige Giraffen und Zebrasin freier Wildbahn beobachten. In den Ge-wässern lauerten Flusspferde, und aufSandbänken kauerten kapitale Krokodilevon eindrucksvoller Größe. Paviane kreuz-ten unseren Weg mit dem Jeep durch denPark. Traurig fanden wir, dass einige Hun-dert Nashörner von Wilderern erlegt wur-den, weil Vietnamesen und Chinesen denHörnern eine potenzsteigernde Wirkungnachsagen. Angesichts der Größe und desdichten Bewuchses des Parks sei es schierunmöglich, eine lückenlose Kontrolle überden Park auszuüben, um die Wilderei wirk-sam einzudämmen.

Als Teil unseres Fachprogramms be-suchten wir nach der Besichtigung desKrüger-Parks einen Sangoma – einen aus-gebildeten animistischen Naturheiler, indessen Behandlungsriten uns sein Sohnumfassend einführte. Die Behandlungdurch einen Sangoma ist in Südafrika weitverbreitet. Es sollen sich 84 Prozent derSüdafrikaner mehrmals im Jahr behandeln

Rege Diskussionen nachinformativem Vortrag

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:24 Uhr Seite 32

Page 33: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

ProjektPsychotherapie

33

V E R A N S TA LT U N G E N

lassen. Die vom Patienten ausgeworfenenSteine, Tierknochen, Löwenzähne, Mu-scheln und verschiedenste aus Säften vonAloepflanzen, Baumrinden und Wurzel-hölzern von vornehmlich weiblichen Fami-lienmitgliedern des Sangoma hergestelltePülverchen und zubereitete Heilkräuter-extrakte würden zur Diagnose und zurTherapie des Leidens der Patienten dienen.Wesentliche Annahme des Entstehens unddes Bestehens einer körperlichen und spiri-tuellen Erkrankung sei die unzureichendeVerbundenheit des verhexten Patienten mitseinen Ahnen und mit seinen älteren Fami-lienangehörigen, mit denen er sich aussöh-nen und denen er mit Respekt begegnenmüsse, um wieder gesunden zu können.Die von den – uns seltsam anmutenden –Heilmethoden des Sangoma nicht erreich-baren Patienten würden an westlich arbei-tende Mediziner weitergeschickt, mit denender Sangoma kooperieren würde.

Die verbleibenden Tage der Reise warenKapstadt und Umgebung gewidmet, dasam Fuß des weltberühmten Tafelbergslandschaftlich eindrucksvoll an einerBucht gelegen ist und über einen Natur-hafen verfügt. Der Ausblick vom meistensmit einem Wolkenband bedeckten Tafel-berg auf die die Stadt umsäumenden Ber-ge und Küstenformationen mit ihren weitgestreckten weißen Sandstränden ist spektakulär und bleibt unvergesslich.Glanzpunkte dieser Reiseetappe waren dassturmumtoste Kap der guten Hoffnung,das malerische Weinbaustädtchen Stel-lenbosch, das Weingut Neethlingshof –idyllisch inmitten von Weinbergen gelegen– und der mit vielen einheimischen Pflan-zen üppig bewachsene Botanische Gartenin Kirstenbosch.

Der fulminante Ausblick vom Tafelberg auf Kapstadt und den Atlantik bleibt unvergesslich

Im „Cape Mental Health“ erhielten wirdeinen Einblick in den Arbeitsalltag einespsychosozialen Zentrums für psychisch kran-ke Kinder und Erwachsene und geistig be-hinderte Menschen, die vor allem darin un-terstützt und gefördert werden sollen, ihrepsychosozialen Fähigkeiten zu erweitern undeinen sinnvollen Platz in der Gesellschaft zufinden. Die Einrichtung bietet Selbsterfah-rung im Sinne einer themenzentrierten Inter-aktion in der Gruppe und Einzelgesprächenan, um Regeln für ein friedvolles Zusam-menleben einzuüben und Stärken zur Selbst-entfaltung zu entwickeln. Die Finanzierungder Arbeit scheint allerdings eher schwierigzu sein. Die staatliche Unterstützung fließtspärlich, und die Einrichtung ist auf Spen-den von Wohltätigkeitsorganisationen auchaus Deutschland angewiesen.

Die krasse Kluft zwischenArm und Reich sorgt für sozialen SprengstoffDie Begegnung mit Torsten Lamb, einemniedergelassenen kognitiven Verhaltensthe-rapeuten mit deutschen Wurzeln, zeigte unsdie Bedingungen einer freien Praxistätig-keit auf und machte einiges über das Ge-sundheitsversorgungssystem in Südafrikadeutlich. Depressionen, Angststörungen undAnpassungsstörungen sind die häufigstenDiagnosen, die er behandelt. Die Prävalenz,an einer Depression zu erkranken, liegt mit30 Prozent ähnlich hoch wie in Deutsch-land. Es gibt eine gestufte Versorgung fürpsychisch Kranke, die sich in eine von derKrankenversicherung eher sparsam finan-zierte Primärversorgung und in eine privatzu finanzierende Sekundärversorgung auf-gliedert. Torsten Lamb arbeitet überwie-gend sechs bis acht Stunden mit den Pa-tienten, gelegentlich gibt es darüber hinausniederfrequente Begleitungen, die aber oftprivat bezahlt werden müssen. StationäreBehandlungen erfolgen nach Bewilligungdurch die Krankenkasse für drei Wochen.Der ambulant tätige Psychologe behandeltauch weiter stationär. Krankenhäuser wer-

den meist im Sinne von Belegkrankenhäu-sern durch niedergelassene Ärzte bezie-hungsweise Therapeuten betreut. In denletzten Jahren hat die gesundheitliche Ver-sorgung der Bevölkerung an Qualität ein-gebüßt. Während es in staatlichen Kran-kenhäusern an moderner Ausrüstung undPersonal fehlt, ist die Versorgung im priva-ten Gesundheitssektor gut bis hervorragend.Jedoch können sich nur die wenigsten Süd-afrikaner eine solche Behandlung leisten,und der größte Teil der Bevölkerung ist nichtkrankenversichert.

Der größte Teil der stetig wachsendenschwarzen Bevölkerung lebt in bitterer Ar-mut. In den Randbereichen der Städte be-finden sich die Elendsquartiere aus dicht andicht stehenden Blech- und Pappbehau-sungen ohne ausreichende Sanitäranlagen,Strom und Wasser, die im krassen Gegen-satz zu den eingezäunten und gesichertenVillen der reichen, meist weißen südafrika-nischen Bürger oder den riesigen Farman-lagen der Weinbauern in der Kapregion ste-hen. Auch nach dem Ende der Apartheid1994 sorgt die dramatische Diskrepanzzwischen Arm und Reich weiterhin für so-zialen Sprengstoff innerhalb der südafrika-nischen Gesellschaft, in der die Kluft zwi-schen der weißen, wirtschaftlich sehr pro-sperierenden Minderheit und der hiervonhermetisch abgeschotteten schwarzen, zu-meist völlig besitzlosen Mehrheit immergrößer wird. Nicht nur in den Diamanten-minen, sondern auch auf den idyllischenWeingütern werden die schwarzen Arbeiterbis auf die Knochen ausgebeutet, sodass sienichts mehr zu verlieren haben. Der Psycho-analytiker Mark Solms hat als Ergebnis ei-ner „Psychoanalysis by Surprise“ mit Unter-stützung von Archäologen und Historikerndie Eigentumsrechte an seinem Weingut zu50 Prozent über eine Stiftung auf seineschwarzen Angestellten und Weinbauernüberschreiben können. Wenn er nicht sofortgehandelt hätte, wäre es wahrscheinlich zuschwersten Auseinandersetzungen mit un-absehbaren Folgen für den Fortbestand sei-nes Weingutes gekommen. ___

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:24 Uhr Seite 33

Page 34: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

T E R M I N E

ProjektPsychotherapie

34ProjektPsychotherapie

L I T E R AT U R

A U S B L I C K

M A R K T P L AT Z

Meinung · Wissen · Nachrichten

Das Magazin des Bundesverbandes der Vertragspsychotherapeuten e.V.

ProjektPsychotherapie02/2013

AUSBLICK AUF DAS NÄCHSTE HEFT Die Vergangenheit hat den Psychotherapeutin-nen und Psychotherapeuten gezeigt, dass sie zurDurchsetzung angemessener Arbeitsbedingungenund Honorare die Unterstützung der Gerichteund der Politik brauchen. Die Einführung derextrabudgetären Vergütung für unsere wichtigs-ten Leistungen und auch die Festlegung der Bedarfsplanung mit einer sehr begrenzten Zahlneuer Niederlassungsmöglichkeiten belegen dieBedeutung der politischen Entscheidungen.Gleichzeitig weisen alle aktuellen Studien undUntersuchungen der Psychotherapie eine beson-dere Wirksamkeit zu und unterstreichen einenerhöhten Behandlungsbedarf vor dem Hinter-grund hoher volkswirtschaftlicher Kosten durchArbeitsunfähigkeitstage und Frühberentungen.Wie soll die Zukunft der psychotherapeutischenVersorgung aus Sicht der politischen Parteien aus-sehen? Diese Frage stellen wir den gesundheits-politischen Sprechern im Wahljahr 2013.

Niedergel. PP kauft Ihren KV-Sitz (TP, VT,PA) in Köln – unkompliziert, solvent.Ersparen Sie sich Schwierigkeiten mit Bewerbern durch eine vertragliche Regelung.Rückruf unter Tel. 0221/9434396oder [email protected]

Das Trauma-Institut Mainz bietet Seminarezu Opferentschädigung (27.4.2013) und juristischen Grundlagen für Psychotherapeuten(9.11.2013) an. Informationen und Anmel-dung unter www.traumainstitutmainz.de

Ihre Kleinanzeige auf dem Marktplatz in Projekt Psychotherapie

Bis 200 Zeichen 40 Euro.Schicken Sie Ihren Anzeigentext an:[email protected] per Fax an: 030 39 835 188-5Chiffre-Anzeigen werden derzeit nicht angeboten.

Portofrei bestellen:www.beltz.de

NEU

Traumatische Erfahrungen hinterlas-sen seelische Wunden – und können unbewusst an die nächste Generation weitergegeben werden. Häu�g führen elterliche Traumatisierungen, die nicht in das Seelenleben der Kinder integ-riert sind, zu problematischen Mustern in der Eltern-Kind-Beziehung und können die kindliche Entwicklung früh beeinträchtigen.

� Psychodynamische Ansatzpunkte� Behandlungs- und

Präventionsmöglichkeiten� Zahlreiche Fallbeispiele

Marianne Rauwald (Hrsg.)Vererbte WundenTransgenerationale Weitergabe traumatischer Erfahrungen2013. 192 Seiten. Geb. € 34,95 DISBN 978-3-621-27932-1Auch als E-Book erhältlich

Vererbte WundenVererbte WundenVererbte Wunden

I M P R E S S U M Projekt Psychotherapie, das bvvp-Magazin

Herausgeber: Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten (bvvp) e.V.Schwimmbadstr. 22 · 79100 Freiburg Tel.: 0761/79 102 45 · Fax: 0761/79 102 [email protected] · www.bvvp.de

Redaktionsleitung: Martin Klett (ViSdP)

Redaktion: Birgit Clever

Verantwortlich für den Schwerpunkt:Norbert Bowe

Autoren: Norbert Bowe, Birgit Clever, Franz Dick,Peter Geißler, Peter Joraschky, Gerald Mackenthun,Hermann Mezger, Tilmann Moser, Ariadne Sarto-rius, Tilo Silwedel, Peter Stimpfle, Christian Willnow

Verlag: Medienanker Marketing & Kommunikation e.K.

Chausseestraße 11, 10115 BerlinFon: 030.39 835 188-0 · Fax: 030.39 835 188-5

Textchef: Britta PeperkornProjektleitung: Nicole SuchierArtdirektion: Le Sprenger

Anzeigen: [email protected] gilt die Anzeigenpreisliste vom 01.01.2012

ISSN: 2193-3766Einzelverkaufspreis/Schutzgebühr 9,80 Euro

Periodizität: Quartal

Copyright: Alle Rechte vorbehalten. Zitate nur mit Quellenangabe. Nachdruck nur mitGenehmigung der Redaktion. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers oder der Redaktion wieder. Bei Einsendungenvon Manuskripten wird, sofern nicht anders vermerkt, das Einverständnis zur Veröffentlichung vorausgesetzt.

MÄRZ 2013

8.-9. Märzbvvp-Bundesdelegiertenversammlungwww.bvvp.deOrt: Fulda

SEPTEMBER 2013

26.-29. Septemberbvvp-Bundesdelegiertenversammlungmit öffentlicher Veranstaltung am Frei-tagabendwww.bvvp.deOrt: Bochum

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:24 Uhr Seite 34

Page 35: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

TAN

GE

NTE

Jetzt 100 Euro für Ärzte ohne Grenzen: Mit zwei limitierten Sondermodellen desKlassikers Tangente – einmal größer, einmal kleiner – unterstützt NOMOS Glashüttedie medizinische Nothilfeorganisation. Je 1000 Mal gibt es die schlichten Uhren mitroter Zwölf, Manufakturwerk, Saphirglasboden und kleinem Hinweis auf Ärzte ohneGrenzen. Schön: Sie kosten dennoch nicht mehr als sonst. 1240 respektive 1360 Euro.

Diese NOMOS-Fachhändler helfen beim Helfen: Augsburg: Bauer & Bauer; Berlin: Christ KaDeWe, Lorenz; Bielefeld: Böckelmann; Bonn: Hild; Bremen: Meyer; Darmstadt: Techel;Dortmund: Rüschenbeck; Dresden: Leicht; Düsseldorf: Blome; Erfurt: Jasper; Hamburg: Becker; Koblenz: Hofacker; Köln: Berghoff, Kaufhold; Ludwigsburg: Hunke; Lübeck:Mahlberg; München: Bucherer, Fridrich, Kiefer; Münster: Freisfeld, Oeding-Erdel; Ulm: Scheuble. Und überall bei Wempe. www.nomos-store.com und www.nomos-glashuette.com

NOMOS_AeOG_ProjektPsychotherapie_ET01032013.indd 1 08.02.13 16:23

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:24 Uhr Seite 35

Page 36: Körper im Spiegel der Seele - vvpn.de · mäß unserer föderalen Struktur auch die Landesspezifika gut aufgehoben waren. Das klappte Das klappte alles wunderbar, und unsere Mitglieder

springer.com

Wissen bewegt, gestaltet, verändert.

2012. 206 S. 15 Abb.in Farbe. Brosch.7 € (D) 39,95€ (A) 41,07 | sFr 50,00978-3-642-28198-3

2013. 200 S. 7 Abb.Geb.7 € (D) 49,95€ (A) 51,35 | sFr 62,50978-3-642-31276-2

2. A. 2013. 164 S.9 Abb. Mit Extras imWeb Geb.7 € (D) 39,99€ (A) 41,11| sFr 50,00978-3-642-32576-2

2013. 209 S. 39 Abb.Geb.7 € (D) 29,99€ (A) 30,83 | sFr 37,50978-3-642-28216-4

4. A. 2013. 149 S. 51Abb. Brosch.7 € (D) 19,95€ (A) 20,51 | sFr 25,00978-3-642-29008-4

2013. 269 S. 5 Abb.Geb.7 € (D) 49,99€ (A) 51,39 | sFr 62,50978-3-642-31747-7

2013. 198 S. 3 Abb.Brosch.7 € (D) 34,95€ (A) 35,93 | sFr 43,50978-3-642-28243-0

2012. 132 S. 2 Abb.Brosch.7 € (D) 19,95€ (A) 20,51 | sFr 25,00978-3-642-24642-5

2013. 226 S. Geb.7 € (D) 39,95€ (A) 41,07 | sFr 50,00978-3-642-03253-0

Topaktuelle Neuerscheinungen.

Jetzt bestellen!

€ (D) sind gebundene Ladenpreise in Deutschland und enthalten 7% MwSt; € (A) sind gebundene Ladenpreise in Österreich und enthalten 10% MwSt. sFr sind unverbindliche Preisempfehlungen. Preisänderungen und Irrtümer vorbehalten.

130058x_210x279_4c

pp_01_2013_lektorat.qxp 18.02.2013 11:24 Uhr Seite 36