Klasse Gegen Klasse Nr. 3

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Revolutionäre Internationalistische Organisation Trotzkistische Fraktion – Vierte Internationale www.klassegegenklasse.org Zeitschrift für marxistische Politik und Theorie von RIO – Nr. 3 – Mai-Juni 2012 2 Euro / 4 CHf – Solipreis: 4 Euro / 8 CHf ArbeiterInnenkontrolle Erste Erfahrungen in Griechenland als Antwort auf die Krise Krise und Klassenkampf In welcher Etappe der Eurokrise befinden wir uns? Eine Analyse Wahlen in Frankreich Bedeutet die Niederlage Sarkozys eine Epochenwende? Ein Kontinent im Aufruhr – ein Land als Ausnahme? Der deutsche Imperialismus nutzt die Krise, um seine Hegemonie über ganz Europa auszuweiten. Das sorgt für eine gewisse Ruhe im Hinter- land, während Proteste in ganz Europa toben. Doch dieser Prozess wird von vielen Widersprüchen – auch innerhalb der BRD – begleitet.

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Zeitschrift von RIO, der Revolutionären Internationalistischen Organisation, sympathisierender Sektion der Trotzkistischen Fraktion – Vierte Internationale

Transcript of Klasse Gegen Klasse Nr. 3

Page 1: Klasse Gegen Klasse Nr. 3

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R u b R i k

Revolutionäre Internationalistische OrganisationTrotzkistische Fraktion – Vierte Internationale

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w.klassegegenklasse.org

Zeitschrift für marxistische Politik und Theorievon RIO – Nr. 3 – Mai-Juni 2012

2 Euro / 4 CHf – Solipreis: 4 Euro / 8 CHf

ArbeiterInnenkontrolleErste Erfahrungen in Griechenland als Antwort auf die Krise

Krise und KlassenkampfIn welcher Etappe der Eurokrise befinden wir uns? Eine Analyse

Wahlen in FrankreichBedeutet die Niederlage Sarkozys eine Epochenwende?

Ein Kontinent im Aufruhr– ein Land als Ausnahme?Der deutsche Imperialismus nutzt die Krise, um seine Hegemonie über ganz Europa auszuweiten. Das sorgt für eine gewisse Ruhe im Hinter-land, während Proteste in ganz Europa toben. Doch dieser Prozess wird von vielen Widersprüchen – auch innerhalb der BRD – begleitet.

Page 2: Klasse Gegen Klasse Nr. 3

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i n h a l t

Trotzkistische Fraktion – Vierte Internationale

www.ft-ci.org

ArgentinienPartido de los Trabajadores Socialistas

www.pts.org.ar

MexikoLiga de Trabajadores por el Socialismo –

Contracorrientewww.ltscc.org.mx

BolivienLiga Obrera Revolucionaria por la Cuarta Internacional

www.lorci.org

BrasilienLiga Estrategia Revolucionaria –

Quarta Internacionalwww.ler-qi.org

ChilePartido de Trabajadores Revolucionarios

www.ptr.cl

VenezuelaLiga de Trabajadores por el Socialismo

www.lts.org.ve

Costa RicaLiga de la Revolución Socialista

lrscostarica.blogspot.com

Spanischer StaatClase Contra Clase

www.clasecontraclase.org

FrankreichMitglieder in der Courant Communiste

Révolutionnaire innerhalb der NPAwww.ccr4.org

Tschechien (sympathisierend)Mezinárodní Revoluční Organizace (RIO)

www.rio.cz.tc

Deutschland (sympathisierend)Revolutionäre Internationalistische Organisation

www.klassegegenklasse.org

Klasse Gegen Klasse: Nummer 3, Mai-Juni 2012; Chefredakteur: Stefan Schneider; Redaktion: Leon Feder,

Wladek Flakin, Chucho Kahl, Suphi Toprak, Mark Turm; In dieser Ausgabe schreiben außerdem: Markus Oliver,

Juan Chingo, Pierre Tellimer, Emilio Albamonte, Claudia Cinatti; Layout: Wladek Flakin; ViSdP: R. Müller, Hamburg.

klasse Gegen klasse Nr. 3Editorial: Mitten im schwarzen Fleck

Seite 3

Leser/innen/briefe: Was ist Bonapartismus?

Seite 4

DeutschlandVon Wulff zu Gauck

Seite 5

Fängt der schlafende Riese an, sich zu bewegen?

Seite 7

internationalArbeiterInnenkontrolle

als Antwort auf die KriseSeite 9

In welcher Etappe der Eurokrise befinden wir uns?

Seite 11

In welcher Etappe des Klassenkampfes befinden wir uns?

Seite 14

Wahlen in Frankreich: Eine Epochenwende?

Seite 17

Syrien zwischen der brutalen Repression und der imperialistischen Einmischung

Seite 30

Schwerpunkt: trotzkiTaktik und Strategie in der

Epoche des ImperialismusSeite 20

Für den Wiederaufbau der Vierten Internationale!

Seite 27

Aktualität der Permanenten RevolutionSeite 29

www. klasse gegen klasse .org➟ www.facebook.com/RevolutionaereInternationalistischeOrganisation

ArbeiterInnenkontrolle in Griechenland

Seite 9

Wahlen in Frankreich

Seite 17

Strategie und Taktik bei Trotzki

Seite 20

Kämpfe in Syrien

Seite 30

Repressionswelle im Spanischen Staat

aktuelle Infos auf www.klassegegenklasse.org

Page 3: Klasse Gegen Klasse Nr. 3

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von der Redaktion

Während der Fertigstellung dieser Ausgabe kam die Meldung, dass

der Ministerpräsident der Niederlande, Mark Rutte, zurücktreten musste, weil er ein Sparpaket nicht in seiner Regie-rungskoalition durchsetzen konnte. Am Tag zuvor war bereits die Regierungsko-alition in Tschechien geplatzt – eigent-lich wegen anhaltender Korruptionsaffä-ren, doch nicht zufällig direkt nach einer massiven Demonstration gegen Sozial-kürzungen. Wiederum am Tag davor ver-lor Nicolas Sarkozy die erste Runde der französischen Präsidentschaftswahlen. Das sich abzeichnende Ende der Ära Sar-kozy ging mit einem historischen Sieg der Front National einher, die sich in der Krise als „Anti-Establishment“-Partei pro-filieren konnte.

Seit Beginn der Krise sind acht na-tionale Regierungen der Euro-Zone gescheitert. Die britische Tageszeitung „The Guardian“ spricht bereits von einer Legitimitätskrise der Regierungen in ganz Europa.

Doch während Generalstreiks und Massenproteste Regierungen in ande-ren Ländern zu Fall bringen, herrscht in Deutschland eine unheimliche Ruhe – wie ein schwarzer Fleck auf einer Land-karte, die zunehmend rötlich aussieht.

Aber diese Ruhe ist trügerisch.Das aktuelle Wirtschaftswachstum in

Deutschland ist sehr stark von der Ent-wicklung der Weltwirtschaft abhängig. Die sich vertiefende Wirtschaftskrise in verschiedenen Ländern der Europäischen Union (aktuell besonders in Spanien) wird früher oder später auch in Deutsch-land eintreffen. Denn der deutsche Im-perialismus nutzt die Krise, um den Län-dern der europäischen Peripherie sein Diktat aufzuzwingen und somit seine Hegemonie in Europa zu verstärken. Die sozialen Angriffe auf die ArbeiterInnen und Jugendlichen werden quasi „expor-tiert“ und erstmal nicht in Deutschland durchgeführt. Das bildet die Grundlage für die relative Ruhe dieser Tage.

Aber das Programm der Angriffe durch die deutsche Bourgeoisie wird, wenn es in Griechenland, im Spanischen Staat, in Italien und anderen Ländern voll durch-gesetzt werden kann, mit voller Wucht auch gegen die ArbeiterInnen und Ju-gendlichen hierzulande angewendet werden. Ein Erfolg der herrschenden Klasse Deutschlands bedeutet also kei-ne Verbesserungen für die Arbeitenden hier (in Form von Gewinnbeteiligungen oder ähnlichem) sondern nur eine kurz-

zeitige Verschiebung der Angriffe. Jetzt schon fordern UnternehmerInnen einen härteren Sparkurs von der Regierung.

Deswegen brauchen wir eine klare und praktische Solidarität mit den Kämp-fen in anderen Ländern Europas. Beson-ders vom europäischen Aktionstag am 19. Mai in Frankfurt muss ein starkes Si-gnal des Widerstandes gegen die Pläne der deutschen Regierung ausgehen.

Währenddessen gibt es auch in Deutschland Anzeichen einer Legitimi-tätskrise: Es wächst die Unzufriedenheit mit den Institutionen, die den deut-schen Kapitalismus seit dem Zweiten Weltkrieg verwalten. Diese Unzufrie-denheit findet bislang nur verzerrten politischen Ausdruck – etwa durch die Occupy-Bewegung mit ihrer Losung „Wir sind die 99%!“ oder die Piratenpartei mit ihrer Vorstellung, dass der Kapitalismus demokratischer und transparenter ge-macht werden könnte.

Manche Streiks zeigen auch Unzu-friedenheit mit den herrschenden Zu-ständen in der Arbeitswelt – etwa der 13-wöchige Streik bei der Charité Facility Management (CFM) in Berlin oder der Streik der VorfeldarbeiterInnen am Frank-furter Flughafen. Doch die Warnstreiks im Öffentlichen Dienst, die die Gewerk-schaftsbürokratie mit einem schlechten Ergebnis beenden konnte, zeigen gleich-zeitig dass die massiven Apparate noch immer stark sind, wenn es darum geht, Kämpfe zu deckeln – auch wenn sie all-mählich ihre Basis verlieren.

In diesem Moment besteht die drin-gende Aufgabe darin, Solidarität zu organisieren: zwischen verschiedenen Kämpfen in Deutschland und vor allem international. Diese Solidarität muss gerade in die ArbeiterInnenbewegung hineingetragen werden – auch wenn die Gewerkschaftsbürokratie mit ihrem star-ken Standortpatriotismus kein Interesse daran hat, gemeinsame Kämpfe mit un-seren Klassengeschwistern in Griechen-land zu organisieren. Aber internationale Solidarität liefert gerade eine Grundlage für einen antibürokratischen Kampf in den Gewerkschaften.

Gleichzeitig müssen wir die wichtig-sten Lehren aus der 200-jährigen Ge-schichte der ArbeiterInnenbewegung wieder aufgreifen, um uns für kommen-de, harte Auseinandersetzungen zu wappnen. Die wichtigsten dieser Lehren sind im Programm der Vierten Inter-nationale aufgehoben, welches wir im Klassenkampf zu einer lebendigen und schlagkräftigen Bewegung wiederauf-zubauen versuchen.

Durch die Occupy-Bewegung ging eine Stimmung gegen das reichste 1% der Bevölkerung rund um die Welt. Diese Stimmung führt leicht zur Schlussfolge-rung, dass die 99% sich verbinden müs-sen. Doch wer sind diese 99% und was könnten ihre gemeinsamen Interessen sein? Leo Trotzki schrieb bereits 1931 zur Losung der „Volksrevolution“:

„Natürlich werden 95, wenn nicht 98 Prozent der Bevölkerung vom Finanzka-pital ausgebeutet. Aber diese Ausbeutung ist hierarchisch organisiert: es gibt Aus-beuter, Nebenausbeuter, Hilfsausbeuter usw. Nur dank dieser Hierarchie herrschen die Oberausbeuter über die Mehrheit der Bevölkerung. Damit sich die Nation tat-sächlich um einen neuen Klassenkern reor-ganisieren kann, muß sie ideologisch reor-ganisiert werden, und das ist nur möglich, wenn sich das Proletariat selbst nicht im ‘Volk‘ oder in der ‘Nation‘ auflöst sondern im Gegenteil ein Programm seiner prole-tarischen Revolution entwickelt und das Kleinbürgertum zwingt, zwischen zwei Regimen zu wählen.“1

Der Sturz des 1% geht also nicht durch eine Sammlung der 99% um ein diffuses Programm der Demokratie (egal, ob es sich „echte“ oder „direkte“ Demokratie nennt). Nur die ArbeiterInnenklasse hat das soziale Gewicht, den Kapitalismus zu überwinden, indem sie die Produktions-mittel den KapitalistInnen entreißt; nur die ArbeiterInnenklasse hat die politi-sche Macht, alle unterdrückten Sektoren gegen die 1%, ihre HelferInnen und ihre HelfershelferInnen zu vereinigen. Aus diesem Grund ist eine Perspektive, die auf die Gewinnung der ArbeiterInnen-klasse für ein revolutionäres Programm ausgerichtet ist, keine Spaltung der Pro-testbewegung, sondern im Gegenteil eine Voraussetzung, um auch andere Unterdrückte mit einer klaren Perspek-tiven zusammenzubringen. Wir denken, dass der Kampf für eine klare revolutio-näre Strategie der wichtigste Beitrag in diese Richtung in der jetzigen – noch viel zu ruhigen – Zeit ist.

1. Leo Trotzki Thälmann und die „Volksrevo-lution“. http://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1931/04/31-thael.htm

E D i t o R i a l

Mitten im schwarzen Fleck

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Antwort:Die historisch-materialistische Theorie

von Karl Marx geht davon aus, dass der Staat ein Instrument jener Klasse ist, die die Produktionsmittel besitzt, um andere Klassen niederzuhalten. Doch in bestimmten Ausnahmesituationen ent-stehen Gesellschaftsformationen, „wo die kämpfenden Klassen einander so nahe das Gleichgewicht halten, daß die Staatsgewalt als scheinbare Vermittlerin momentan eine gewisse Selbständigkeit gegenüber beiden erhält“1, wie Marx’ Mitstreiter Friedrich Engels es formulierte. Das berühmteste Beispiel hierfür war das Kaiserreich von Napoleon III. zwischen 1852 und 1870.

Die Zweite Französische Republik ent-stand nach der Februarrevolution von 1848. Bereits im Dezember desselben Jah-res wurde der Neffe von Napoleon Bona-parte, Louis Bonaparte, zum Präsidenten gewählt. 1851 ließ er sich mittels eines Staatsstreichs mit diktatorischen Vollmach-ten ausstatten und ein Jahr später krönte er sich zum Kaiser. Marx analysierte die-se Bewegungen 1852 in „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“. Er erklär-te, wie es dazu kam, dass die französische Bourgeoisie ihre eigene parlamentarische Vertretung zugunsten eines Diktators auf-lösen ließ, über den sie keine unmittelbare Kontrolle ausüben konnte. In dieser Situa-tion schien „sich der Staat völlig verselbstän-digt zu haben“2. Doch der Staat war nicht losgelöst von der Gesellschaft: Die Exeku-tive stützte sich auf einen starken Staats-apparat, der als Schiedsrichter zwischen den Klassen fungieren konnte, und auf die kleinbürgerlichen Parzellenbauern/-bäu-erinnen, die trotz ihrer Vereinzelung und ihrer daraus resultierenden politischen Bedeutungslosigkeit die große Masse der französischen Nation ausmachten.

Das bonapartistische Regime konnte entstehen, weil sich die Bourgeoisie in einer kritischen und innerlich zerstritten Lage befand. Sie brauchte einen „star-ken Mann“, um ihre internen Konflikte zu schlichten und ihre wirtschaftliche Macht vor anderen Klassen zu schützen: Die Bour-geoisie sah ein, dass „um ihre gesellschaftli-che Macht unversehrt zu erhalten, ihre poli-

1. Friedrich Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats. 1884. Kapitel 9.

2. Karl Marx: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 1852. Vorwort zur Zweiten Ausgabe.

tische Macht gebrochen werden müsse; (…) daß, um ihren Beutel zu retten, die Krone ihr abgeschlagen (…) werden müsse.“3 Dabei verteidigte und förderte dieses Regime bürgerliche Besitz- und Produktionsver-hältnisse, womit es weiterhin als ein bür-gerlicher Staat zu betrachten war und die Etablierung eines „normalen“ bürgerlichen Regimes zu einem späteren Zeitpunkt vor-bereitete4. Für Marx war auch der Bona-partismus Ausdruck der Unfähigkeit der ArbeiterInnenklasse, selbst die politische Macht zu übernehmen: Es gab eine Situ-ation, „wo die Bourgeoisie die Fähigkeit, die Nation zu beherrschen, schon verloren und wo die Arbeiterklasse diese Fähigkeit noch nicht erworben hatte.“5

Leo Trotzki analysierte die Regierungen der Weimarer Republik, die dem Faschis-mus vorangingen (Brüning, von Papen und von Schleicher), als bonapartistisch, weil der sich zuspitzende Kampf zwi-schen den Klassen eine solche Spannung erreichte, dass diese mittels ihrer Not-verordnungen „die Bedingungen für Herr-schaft von Bürokratie, Polizei, Soldateska“6 schufen und die Exekutive sich verselb-ständigte. Trotzki ergänzt aber auch, dass sich der Faschismus an der Macht zuneh-mend weniger auf seine soziale Basis im Kleinbürgertum und mehr auf den Staats-apparat stützt, was ihm ebenfalls einen bonapartistischen Charakter verleiht7. Schließlich verwendete er die Kategorie auch zur Analyse des Stalinismus, da die Sowjetbürokratie zwischen der Arbei-terInnenklasse, den Bauern/Bäuerinnen und dem Weltimperialismus balancierte8.

Im mexikanischen Exil entwickelte er eine theoretische Analyse des dortigen Cárdenas-Regimes und besonders der Verstaatlichung des mexikanischen Öls im Jahr 1938 und die darauffolgenden Versu-che der Regierung, die Gewerkschaften in die Verwaltung der staatlichen Unterneh-men einzubinden9. Nach der Analyse von Trotzki balanciert ein bonapartistisches Regime in einem entwickelten kapita-listischen Land zwischen der Bourgeoi-sie und dem Proletariat als den beiden Hauptklassen. Doch in den kolonialen

3. Ebd.: Kapitel 4.4. „indem er [Louis Bonaparte] ihre materiale

Macht beschützt, erzeugt er von neuem ihre politische Macht‘.“ In: Ebd.: Kapitel 7.

5. Karl Marx: Der Bürgerkrieg in Frankreich. 1871. Kapitel 3.

6. Leo Trotzki: Der einzige Weg. 1932. Kapitel 1.7. Leo Trotzki: Bonapartism and Fascism. 1934.8. Leo Trotzki: The Workers’ State, Thermidor and

Bonapartism. 1935.9. Leo Trotzki: „Nationalized Industry and Wor-

kers’ Management.“ 1939.

und halbkolonialen Ländern existiert ein weiterer gesellschaftlicher Pol: die impe-rialistische Bourgeoisie, die den Großteil der Produktionsmittel besitzt und damit die Entwicklung einer einheimischen Ka-pitalistInnenklasse verhindert:

„In den industriell rückständigen Ländern spielt ausländisches Kapital eine entschei-dende Rolle. Das ist der Grund für die relati-ve Schwäche der nationalen Bourgeoisie im Verhältnis zum nationalen Proletariat. (…) Die Regierung schwankt zwischen ausländi-schem und einheimischem Kapital, zwischen der schwachen nationalen Bourgeoisie und dem relativ starken Proletariat. Dies gibt der Regierung einen bonapartistischen Charak-ter sui generis, einer besonderen Art. Sie er-hebt sich, sozusagen, über die Klassen.“10

Aus dieser Lage heraus kann sich die Regierung zum Statthalter des imperia-listischen Kapitals machen, etwa in Form einer repressiven Militärdiktatur, oder sie kann die ArbeiterInnenklasse mittels Zu-geständnissen auf ihre Seite ziehen, um ei-nen gewissen Spielraum gegenüber dem imperialistischen Kapital zu gewinnen. Trotzki sah im Cárdenas-Regime die zweite Variante, die ihre höchste Form in der Ver-staatlichung der Eisenbahn und des Öls im Jahr 1938 erreichte. Die aktive Unterstüt-zung der ArbeiterInnenklasse brauchte Cárdenas, um imperialistisches Kapital aus diesen Bereichen zurückzudrängen.

Trotzki verneinte die Möglichkeit, dass solche Verstaatlichungen durch einen ka-pitalistischen Staat zum Sozialismus füh-ren könnten – das wäre nur durch eine Revolution der ArbeiterInnenklasse mit Unterstützung der Bauernschaft möglich. In den Verstaatlichungen sah er sowohl die Gefahr, dass die Gewerkschaftsführer-Innen als „administrative Agenten“ vom bürgerlichen Regime kooptiert werden könnten, wie auch die Möglichkeit, dass revolutionäre ArbeiterInnen diese „Aktivi-tätssphäre“ für einen Angriff gegen den bürgerlichen Staat verwenden könnten11. Für ihn war der einzige Schutz gegen eine Vereinnahmunsgefahr der Aufbau einer marxistischen ArbeiterInnenpartei.

Die Bonapartismustheorie ist nützlich, um verschiedenste politische Phänome-ne zu analysieren: vom stalinistischen Sy-stem auf Kuba unter Castro über das „bo-livarianische“ Regime in Venezuela unter Chávez bis hin zu den „technokratischen“ Regierungen in Griechenland und Italien unter Papademos und Monti12.

10. Ebd. Eigene Übersetzung.11. Ebd.12. Juan Chingo: Ein neuer bonapartistischer

Kurs in Europa. In: Klasse Gegen Klasse Nr. 2.

l E S E R / i n n E n / b R i E f

Was ist Bonapartismus?Frage:In eurer letzten Ausgabe war von „Bona-partismus“ die Rede. Was bedeutet das?

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D E u t S c h l a n D

von Stefan Schneider (RIO, Berlin)

Die herrschende Klasse in Deutschland und ihre politische Re-präsentanz in der Bundesregierung und dem Parlament befin-den sich in einer schwierigen Situation, denn die Krise der Euro-zone stellt sie vor große Herausforderungen, die mit enormen Möglichkeiten für die Expansion des deutschen Imperialismus, aber auch mit nicht zu verachtenden Risiken, Unsicherheiten und Widersprüchen verbunden sind. Gleichzeitig beginnt die Situation in Deutschland selbst unruhiger zu werden. Die Stille vergangener Jahre beginnt sich langsam zu verflüchtigen, ver-ursacht durch unterschwellige Bewegungen in der deutschen ArbeiterInnenklasse, der Jugend, und Teilen der Mittelklassen, die sich – mit großen inneren Widersprüchen und Beschrän-kungen – in Phänomenen wie Occupy, Stuttgart 21 und vor al-lem den Streiks der letzten Monate zu zeigen beginnen.

Allgemein muss gesagt werden, dass die Situation des bun-desrepublikanischen Regimes, besonders im Vergleich mit der aufgewühlten Situation in den südeuropäischen Ländern, weiter-hin äußerst stabil ist. Dennoch ist diese Stabilität, wie wir schon in früheren Ausgaben von Klasse Gegen Klasse geschrieben haben, fragil. Wir wollen an dieser Stelle analysieren, welche Elemente der Situation von möglichen Rissen in der Stabilität des Regimes zeugen. Das darf uns nicht zu einem grenzenlosen Optimismus führen, der davon ausgeht, dass der Zusammenbruch des Regi-mes kurz bevor steht. Gleichzeitig dürfen wir nicht blind sein für die ersten Zeichen der Veränderung, denn die sich möglicherwei-se zeigenden Risse können Ansatzpunkte für revolutionäre Inter-ventionen bieten. Und tatsächlich zeigen sich in der komplexen aktuellen Situation erste Risse im Regime der Bundesrepublik, die eng mit der aktuellen Eurokrise zusammenhängen: Es gibt Konflikte innerhalb der herrschenden Klasse über die Lösung der Krise, während gleichzeitig die Austragung dieser Konflikte sowie die bisherigen Lösungen von der Mehrheit der Bevölkerung mit einem langsam wachsenden Legitimitätsverlust der Regierung und Teilen des Regimes beantwortet werden.

Die Legitimitätskrise zeigt sich beispielhaft in der Affäre um den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff: Nie zuvor wurde die Immunität eines Bundespräsidenten aufgehoben, und nie zuvor gab es Kundgebungen vor dem Schloss Bellevue, die zum Rücktritt eines Bundespräsidenten aufgerufen haben (auch wenn die TeilnehmerInnenzahl relativ klein war)1. Die

1. Ein interessantes Detail dabei ist, dass die TeilnehmerInnen der Kund-

Wulff-Affäre ist indes nicht deshalb interessant, weil das Amt des Bundespräsidenten ein besonderes institutionelles Gewicht hätte, welches nun nicht mehr im Sinne der Krisenpolitik der Merkel-Regierung eingesetzt werden könne. Denn das Bundes-präsidentenamt ist ein repräsentatives Relikt aus der Zeit der Monarchie, welches keinerlei reale institutionelle Macht besitzt. Dennoch bedeutet das nicht, dass das Amt für die Herrschen-den ohne Nutzen wäre: Denn die Illusion eines über den poli-tischen Parteienkämpfen stehenden Staatsamtes strahlt eine Neutralität aus, die den tatsächlichen Klassencharakter des Staa-tes verschleiern soll. Somit fungiert die Figur des Bundespräsi-denten als ein Stabilitätsgarant für das Regime. Das ist letztlich der Grund, warum die Wulff-Affäre für die Merkel-Regierung so unangenehm war: In Mitten der Euro-Krise, in der die deutsche Bourgeoisie ein Bild der Einheit gegenüber den „Krisenländern“ und gegenüber der eigenen Bevölkerung ausstrahlen muss, um eine Atmosphäre der Unausweichlichkeit ihrer Vorstellung von Krisenpolitik zu projizieren, kommt eine Beschädigung des Mythos‘ der Neutralität des Staates, verkörpert durch den „Präsi-denten aller Deutschen“, zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt – zumal die xenophobe Argumentation der „korrupten Grie-chen“ angesichts der offensichtlich gewordenen Korruptheit der deutschen herrschenden Klasse nun nicht mehr so einfach ist. Wegen der sich ausweitenden Eurokrise braucht die deut-sche Bourgeoisie einen starken Präsidenten. Umso mehr, wenn in der Regierung selbst immer größere Konflikte auftauchen, die die Legitimation der Merkel-Regierung beschädigen.

Nichtsdestotrotz ist die Wulff-Affäre durch die Wahl Joachim Gaucks nicht zu einer Niederlage für die Merkel-Regierung ge-worden, ganz im Gegenteil. Denn Gauck stellt ein interessantes Paradox dar: Symbol der deutschen Einheit (und als solches „neutral“) und Paradebeispiel der konservativ-lliberalsten Ele-mente der deutschen Bourgeoisie. Gauck ist ein glühender Vorreiter des Antikommunismus, ein Verfechter des Neolibera-lismus, als Pfarrer ein Aushängeschild der „christlichen Wertege-meinschaft“, vertritt ein islamophobes Weltbild mit Anschluss an die Thesen Sarrazins, und kann trotz seines Bildes des „Bür-gerrechtlers“ mit heutigen Protesten wie bei Stuttgart 21 oder

gebung mittels eines Schuhs ihre Verachtung gegenüber Wulff ausdrü-cken wollten – ein Symbol, welches an die Proteste in der arabischen Welt gegen den damaligen US-Präsidenten George W. Bush angelehnt ist, und seitdem immer wieder, auch im Prozess des „arabischen Früh-lings“ in den westlichen Medien zu sehen war.

Von Wulff zu GauckDie herrschende Klasse zwischen Eurokrise, Wulff-Affäre und dem Niedergang der FDP

Joachim Gauck zeigt, was er von der Occupy-Bewegung hält

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Occupy rein gar nichts anfangen. Somit vermag er sehr viel ein-drucksvoller als Christian Wulff, das Bild der Überparteilichkeit mit schärfster Ablehnung sozialen Protestes zu verbinden.

Während also die Wulff-Affäre selbst ein Zeichen der wach-senden Legitimitätskrise des Regimes war, wurde diese durch die Wahl Gaucks zumindest wieder ein Stück zurückgedrängt. Dennoch kann es nicht unbenannt bleiben, dass die Stimmung gegen eine Institution der Bundesrepublik nie so schlecht war wie heute. Die Wahl Gaucks zeigt aber noch etwas anderes: Sie ist ein Auftakt für eine neue Große Koalition. Wenn auch die No-minierung Gaucks von der SPD und den Grünen gegen Merkel durchgesetzt wurde, verkörpert Gauck die gleiche politische Ausrichtung wie Merkel. SPD und Grüne haben mit der Auswahl Gaucks gezeigt, wie kompatibel sie mit der Krisenpolitik Merkels sind. Es kann daher nicht überraschen, dass die SPD und die Grünen diejenigen waren, die am Lautesten für die Rettung der „Würde des Amtes“ und der Wahrung des Images der „Neutralität des Staatsoberhauptes“ geschrien haben. Ihr Angebot an Mer-kel, einen gemeinsamen Kandidaten aufzustellen, anstatt einen politischen Kampf gegen Schwarz-Gelb zu beginnen, zeigt, dass Merkels Strategie, wenn sie auch schärfer diskutiert wird, bisher immer noch für den einzig praktikablen Fahrplan gehalten wird.

In diesem Sinne ist es auch bemerkenswert, wie sehr sich die Linkspartei an die Parteien der herrschenden Klasse angebie-dert hat. Einmal mehr stellte sie ihre Unfähigkeit zur Konfron-tation mit der herrschenden Politik unter Beweis. Anstatt die Präsidentenwahl zu einem Symbol des Kampfes gegen die Kri-senpolitik der herrschenden Klasse zu machen und eine außer-parlamentarische (wenn schon nicht sozialistische) Alternative aufzuzeigen, war die Spitze der Partei geradezu beleidigt, dass sie nicht zu den einheitlichen Gesprächen über eine Kandidatur Gaucks (des Antikommunisten!) eingeladen wurde. Und selbst als dieser Zug abgefahren war, steuerten sie nicht auf politi-sche Auseinandersetzung zu, sondern nominierten mit Beate Klarsfeld eine Frau, die zwar in den bürgerlichen Medien für eine Antifaschistin gehalten wird, aber beispielsweise mit den ultrakonservativen Positionen Sarkozys sympathisiert und die unterdrückerische Politik Israels gegenüber den Palästinenser-Innen gutheißt. Statt ein Symbol des außerparlamentarischen Widerstands gegen die Krisenpolitik zu nominieren, stellen sie eine Antikommunistin gegen einen anderen.

Doch auch wenn die Herrschenden eine massivere Legitimi-tätskrise des Regimes gemeinsam abwenden wollten, indem sie die „Würde des Amtes“ betonten, kann dies nicht darüber hin-wegtäuschen, dass die Konflikte innerhalb der herrschenden Klasse in Deutschland über die Lösung der Eurokrise, insbeson-dere im Hinblick auf den Fiskalpakt und die Lage in Griechen-land, schärfer werden. Dieser Konflikt ordnet sich zudem noch in einen größeren Rahmen ein: Dem der Krise des neoliberalen Ak-kumulationsmodells insgesamt. Davon ist der Aufstieg der Grü-nen seit Beginn der Krise 2007/8 ebenso ein Ausdruck, wie der Niedergang der FDP, welcher sich in den letzten Monaten noch verschärft hat. Gleichwohl wird der Aufstieg der Grünen durch das Aufkommen der Piraten wieder gebremst, da diese einen Teil der „ProtestwählerInnenschaft“ anziehen, den sonst traditionell die Grünen mobilisiert hatten. Die Piraten sind ein weiteres Ele-ment der Legitimitätsprobleme der traditionellen Parteienland-schaft und drücken die Unzufriedenheit einiger Schichten über die Erstarrtheit des deutschen Parteiensystems aus. Indes heißt das nicht, dass die Piratenpartei automatisch eine progressive Entwicklung darstellen würde. Sie könnte auch dafür sorgen, dass die Sektoren, die die herrschende Politik ablehnen, letztlich wieder in das Regime integriert werden. Die kleinbürgerliche Programmatik der Piraten leistet dem Vorschub. Nichtsdestowe-niger sind sie ein Ausdruck der Unzufriedenheit.

In Bezug auf die Krise der FDP zeigt sich, dass, während sich die herrschende Klasse darüber einig ist, dass die ArbeiterIn-nenklasse und die Jugend die Folgen der Weltwirtschaftskrise

zahlen sollen, immer noch eine Orientierungslosigkeit darüber herrscht, wie dies am besten zu bewerkstelligen ist. Die FDP re-präsentiert einen kleinen, radikalen Teil der herrschenden Klasse und des gehobenen Kleinbürgertums, welcher der Meinung ist, dass die sozialpartnerschaftliche Herangehensweise der letzten Jahrzehnte – die, wenn auch seit der Schröder-Ära teilweise von ihr Abstand genommen wurde, seitens der herrschenden Klas-se auch während der Krise immer noch aufrecht erhalten wird – abgelöst werden sollte durch frontale Angriffe auf die Masse der Bevölkerung. Offensichtlich bedeutet der Niedergang der FDP, dass die herrschende Klasse in Deutschland als Ganzes bisher nicht die Notwendigkeit offener Konfrontation sieht, bzw. dass die wichtigsten Kapitalsektoren nicht dieser Meinung sind. Die FDP muss daher um ihr politisches Überleben kämpfen, spielt die Karte des nationalistischen Populismus und provoziert eine Regierungskrise nach der anderen. Die Regierungskrise ist aber nicht nur Ausdruck des Überlebenskampfs der FDP, sondern allgemein der tiefschürfenden Uneinigkeit der herrschenden Klasse über den Kurs in der Eurokrise. Der Widerstand der FDP gegenüber verschiedenen CDU-Maßnahmen ist zwar ein Ele-ment, kann aber nicht allein erklären, warum die Krisenpolitik Merkels beispielsweise in den bürgerlichen Massenmedien im-mer wieder kritisiert wird.

Denn in der Weltwirtschaftskrise und ihrem momentanen Epizentrum, der Eurokrise, offenbart sich die größte Möglichkeit für den deutschen Imperialismus seit dem Nationalsozialismus, seine Vorherrschaft über seine europäischen KonkurrentInnen auszudehnen. Die Politik Merkels gegenüber Griechenland, Ita-lien, Portugal, Spanien etc. zeigt bonapartistische Tendenzen2, getragen von dem doppelten Versuch der Schaffung der Bedin-gungen für eine Rückzahlung der Staatsschulden (zur Rettung der Interessen des europäischen Banken- und Finanzsektors) und der Umstrukturierung der Ökonomien Südeuropas im Interesse des deutschen und transnationalen Großkapitals3. Doch dieser Kurs ist nicht ohne Risiken, denn die Austeritätspolitik, die zu diesem Zweck vorangetrieben wird, könnte die südeuropäischen Wirtschaften zum vollständigen Bankrott und damit im Endeffekt zum Zerfall der Eurozone führen. Zudem steigt auch der Wider-stand gegen die Maßnahmen Merkels in diesen Ländern an.

Dieser Balanceakt – zwischen einer harten Hand in Europa und einem wachsenden Legitimitätsproblem ihrer Politik im In- und Ausland – ist die große Herausforderung für die herrschen-de Klasse in Deutschland. Die Regierungskrisen sind letztlich ein Ausdruck der Unsicherheit über die korrekte Balance, wenn auch verzerrt durch die Partikularinteressen einer langsam verschwindenden FDP. Das Glück für die Merkel-Regierung ist momentan, dass die Unentschlossenheit bisher nicht zu einer eindeutigen Entscheidung im Sinne schärferer Angriffe gegen die deutsche ArbeiterInnenklasse gedrängt wurde, da die Eu-rokrise – im Vergleich zum Beispiel zur Krise von 1929 – sehr langsam voranschreitet. Wenn die abwartende Haltung, für die Merkel des Öfteren kritisiert wurde, nicht länger möglich ist, werden sich die Regierungskrise und die Risse im Regime verschärfen. Zu diesen Konflikten in der herrschenden Klasse kommen, wie erwähnt, auch die beginnenden Legitimations-krisen. Glück ist für Merkel aber auch, dass der Klassenkampf in Deutschland bisher auf einem solch niedrigen Niveau verläuft, dass die Instabilität der Regierung nicht besonders problema-tisch ist. Wenn der Druck von außen steigt (zum Beispiel durch eine Verschärfung der Eurokrise), wird er indes auch von innen steigen, und der Klassenkampf in Deutschland an Fahrt aufneh-men. Auf diese Situation muss sich die ArbeiterInnenklasse und die Jugend in Deutschland vorbereiten und die sichtbar wer-denden Risse im Regime auszunutzen wissen.

2. Siehe Juan Chingo: Ein neuer bonapartistischer Kurs in Europa. In: Klasse Gegen Klasse Nr. 2.

3. Siehe den Artikel von Juan Chingo in diesem Heft.

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D E u t S c h l a n D

von Mark Turm (RIO, Saarbrücken)

Die Welt befindet sich im Umbruch. Es handelt sich um eine historische Zäsur, die die Wiederbelebung der ArbeiterIn-

nenbewegung ankündigt. Beflügelt vom arabischen Frühling beginnt die ArbeiterInnenbewegung in verschiedenen Teilen Europas, ihr Haupt zu heben. Die Schärfe der Wirtschaftskrise und die Möglichkeit, viele Errungenschaften zu verlieren, näh-ren den Widerstand. Die Streiks in Ägypten, Indien, Portugal, Spanien, u.a. zeigen die ersten – noch sehr widersprüchlichen – Schritte der ArbeiterInnenbewegung Richtung einer neuen Subjektivität. Dieser Prozess kündigt verschärfte Auseinander-setzungen zwischen den Klassen an.

Im Vergleich zu anderen Ländern scheint sich in Deutsch-land jedoch kaum etwas zu bewegen. Die Wirtschaftsinstitute der herrschenden Klasse vermitteln den Eindruck, als wäre die Krise spurlos an der Bundesrepublik vorbei gegangen. Es gibt höchstens die üblichen, ritualisierten Tarifrunden, die üblichen Kompromisse hinter dem Rücken der Beschäftigten, die übli-chen Manöver zwischen den Fraktionen im Parlament usw.

Doch es lassen sich Tendenzen hin zu einer Krise des Regi-mes beobachten. Mehrere Regierungskrisen hintereinander deuten auf zunehmende Schwierigkeiten der herrschenden Klasse in Deutschland, sich über ihre Strategie zu einigen und diese gegen das Proletariat im eigenen Land und in Europa durchzusetzen.

Heute drücken sich diese Tendenzen auf der Ebene der Be-ziehungen zwischen Kapital und Arbeit in Überlegungen aus, die Tarifeinheit per Gesetz zu etablieren. Denn die starke Zer-splitterung der Tariflandschaft hat ironischerweise dazu ge-führt, dass sich kleine aber für das Kapital wichtige Sektoren der ArbeiterInnenklasse eigenständig für ihre korporativen Interessen einsetzen (in den letzten Monaten waren es die Vor-feldarbeiterInnen am Frankfurter Flughafen). Das Kapital will verhindern, dass die Beschäftigten in diesen wichtigen Berei-chen der kapitalistischen Produktion eine Vorbildfunktion für andere Sektoren einnehmen könnten. Die Rufe nach Beschrän-kung des Streikrechts richten sich jedoch in ihrem Kern nicht nur gegen kleine Spartengewerkschaften sondern gegen alle Gewerkschaften, um die Verhandlungsposition der Beschäftig-ten zu schwächen.

Zersplitterung der Tariflandschaft 2011 gab es – nach einem drastischen und kontinuierlichen Rück-gang seit Beginn der Krise im Jahr 2008 – einen ersten Anstieg der Streiktage in der BRD. Das leicht gesteigerte Konfliktpotential ist Ausdruck des Willens von einigen Beschäftigten im Dienstleis-tungssektor, der sich vertiefenden Prekarisierung Einhalt zu ge-bieten. Dabei hat die Zersplitterung der Tariflandschaft, anders als vom Kapital gehofft, zu einem gewissen Anstieg der Arbeits-kämpfe geführt. Dies geschieht vor allem vor dem Hintergrund eines drastischen Mitgliederschwunds bei ver.di: Seit der Grün-dung im Jahr 2001 verlor die Gewerkschaft rund ein Viertel ih-rer Mitglieder. Bezeichnenderweise wurden die bedeutendsten Kämpfe der letzten Jahre von Sektoren getragen, die den DGB-

Gewerkschaften aufgrund ihrer Zähme den Rücken gezeigt hat-ten und zu direkten Konkurrenten wurden. So zum Beispiel die Gewerkschaft der Lokführer (GdL), die Vereinigung Cockpit (VC) der Piloten oder die Gewerkschaft der Fluglotsen (GdF).

2011 stiegen die Zahlen der Streikenden und der durch Ar-beitskämpfe ausgefallenen Arbeitstage gegenüber 2010 deut-lich an. Wie die WSI-Arbeitskampfbilanz1 zeigt, beteiligten sich 2011 circa 180.000 Beschäftigte an Streiks und Warnstreiks. 2010, als die Schockwellen der Krise noch stark zu spüren wa-ren, waren es rund 120.000 Streikende. Dennoch ist dieser An-stieg vor dem Hintergrund zu betrachten, dass die Kampfbe-reitschaft in den Jahren zuvor stark abgenommen hatte. Denn für die großen Massen schwebte in Anbetracht der Höhe der Arbeitslosigkeit die Gefahr der Entlassung und des sozialen Ab-sturzes, den viele Millionen Menschen in der BRD tagtäglich in Form von Hartz IV erleben.

Die Gewerkschaftsspitzen sehen sich angesichts einer stei-genden Kampfbereitschaft gezwungen, rhetorisch etwas radi-kaler aufzutreten. Ihre Strategie bleibt jedoch die gleiche: Ein bisschen Druck ausüben, um besser verhandeln zu können. ver.di-Boss Frank Bsirske drohte im Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst mit einem unbefristeten Streik und der Unmöglichkeit einer Schlichtung, ja sogar von einem gemeinsamen Streikauf-ruf von ver.di und IG-Metall und dem größten Ausstand seit 20 Jahren an. Vor der entscheidenden Verhandlungsrunde traten bundesweit rund 300.000 Beschäftigte in den Ausstand, nach-dem es in der Vorwoche etwa 130.000 waren. Viele „gingen von einer längeren Tarifauseinandersetzung aus. Es gab erste Anzei-chen und Absprachen, dass ver.di und IG Metall bereit waren, ge-meinsame Aktionen in den Tarifkämpfen zu organisieren.“2 Genau dort ließ die ver.di-Führung die Kernforderung einer Lohnerhö-hung von 200 Euro fallen und ging auf einen Kompromiss ein, der weit hinter dem lag, was sie selbst gefordert hatte.

Diese hinter dem Rücken der Beschäftigten ausgetragenen bürokratischen Manöver bedeuten jedoch Gesichtsverlust für die großen Apparate. Doch aufgrund des in den letzten zehn Jahren erlittenen Reallohnverluste, sind sich alle AnalystInnen einig, dass das von ver.di erzielte Ergebnis eine Signalwirkung für andere Sektoren der ArbeiterInnenschaft haben wird. „Die anderen Gewerkschaften stehen nun unter Druck, einen ähnlichen Abschluss wie der öffentliche Dienst zu erreichen“, sagt Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)3.

Gerade deshalb verschärft die herrschende Klasse in Deutschland den Klassenkampf von oben. Dem entsprechen aktuelle Diskussionen darüber, das ohnehin sehr restriktive Streikrecht in Deutschland weiter einzuschränken. Die der herr-schenden Klasse dienliche ProfessorInnen-Initiative der Carl Friedrich v. Weizsäcker-Stiftung plädiert für „gesetzliche Schran-ken für Arbeitskämpfe etwa im Luft- und Schienenverkehr, in der Gesundheitsversorgung, der Telekommunikation sowie

1. WSI-Arbeitskampfbilanz, 28. März 2012. 2. Netzwerk-Info Gewerkschaftslinke Nr. 41, April 2012.3. manager magazin online: Die neue Streikmacht, 16. April 2012.

Fängt der schlafende Riese an, sich zu bewegen?Notizen zu Tendenzen in der deutschen ArbeiterInnenklasse

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D E u t S c h l a n D

im Erziehungswesen“.4 Der Chef der sog „Fünf Wirtschaftswei-sen“, Wolfgang Franz, forderte ausdrücklich das Eingreifen der Bundesregierung, um „Warnstreiks per Gesetz einschränken“ zu können5. Berufsgewerkschaften im Besonderen sind für die Herrschenden ein Dorn im Auge, weil sie die strategische Aus-richtung der Gewerkschaftsführungen auf die Sozialpartner-schaft und den sozialen Frieden hinterfragen.

Kommende AuseinandersetzungenDer von der ver.di-Bürokratie erzielte Abschluss kann jedoch nicht mal die Inflation ausgleichen. Aufschwungzeiten wie die-se müssten dagegen von den Lohnabhängigen genutzt wer-den, um eine Arbeitszeitverkürzung zu erreichen, denn andern-falls wird die Steigerung der Produktivität zu einer strukturellen Erhöhung von Erwerbslosigkeit führen. Die Gewerkschafts-führungen haben die historische Forderung nach Arbeitszeit-verkürzungen jedoch komplett fallen gelassen.

Angetrieben von den guten Konjunkturdaten, welche das Gespenst der Arbeitslosigkeit und des Elends vorübergehend in weite Ferne gerückt haben, steigt die Kampfbereitschaft von einigen Beschäftigten, um einen Teil des Verlorenen zurückzuer-obern. Angesichts der anstehenden, großen Tarifrunden in die-sem Jahr6 und der stärkeren Streikbereitschaft im Vergleich zu vergangenen Jahren besteht die Möglichkeit, dass die Lohnab-hängigen in Deutschland wieder aus der Logik des Verzichts her-auskommen. Die gesellschaftliche Stimmung ist im Vergleich zu den letzten Jahren etwas anders, denn heute befürworten viele Menschen höhere Abschlüsse. Für viele Menschen im Land geht es nun darum – wie eine Zeitschrift für KapitalistInnen attestiert –,„Standards im Arbeitsleben zu setzen und etwas gegen die Preka-risierung der Arbeitsverhältnisse zu tun. Öffentliche Milliardenaus-gaben für Bankenrettung oder in der Eurokrise verstärken diesen Trend. Frei nach dem Motto: Wenn wir dafür so viel Geld ausgeben, sollen die Beschäftigten auch wieder mehr Geld verdienen.“7

Bisher hat sich die wieder etwas gesteigerte Kampfbereitschaft bei einigen Sektoren der ArbeiterInnenklasse jedoch nicht in der Etablierung von antibürokratischen Tendenzen innerhalb der Ge-werkschaften ausgedruckt, die den demobilisierenden Kurs der Gewerkschaftsbürokratie offen in Frage stellen würden. Dennoch: Mit jedem erneuten Verrat, wie kürzlich bei der Tarifauseinander-setzung von ver.di, kann der Unmut der KollegInnen steigen.

Um ihre Stellung zu sichern, vertiefen die BürokratInnen die Spaltungen in der ArbeiterInnenklasse und forcieren damit den Preisverfall der Ware Arbeitskraft. So hat ver.di, statt den Kampf der VorfeldarbeiterInnen der GdF zu unterstützen, offen dazu aufgerufen, diesen Kampf zu sabotieren. Statt gemeinsam mit der GdF für die Rechte der verschiedenen Sektoren eines und desselben Unternehmens zu kämpfen, trägt sie zur Untergra-bung der Kampfkraft der Beschäftigten bei.

Noch hat die herrschende Klasse die Kosten der Wirtschafts-krise auf die Lohnabhängigen in Griechenland, Spanien, Italien,

4. Junge Welt: Professoren wollen Streiks erschweren, 20. März 20125. WIWO: Warnstreiks per Gesetz einschränken, 21. März 20126. Im Banksektor stehen Tarifverhandlungen vor die Tür. Der Deutschen

Bank droht eine Auseinandersetzung mit den Beschäftigten bis hin zum Streik. Am 31. März lief die Laufzeit des Lohntarifvertrags für 3,6 Millionen Lohnabhängige in der Metall- und Elektroindustrie aus. Nun will sich die IG Metall in der laufenden Tarifrunde am Verhandlungs-ergebnis des öffentlichen Dienstes orientieren, wobei ein solcher Abschluss „sogar enttäuschend“ wäre, wie der Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Ferdinand Fichtner, sagte. Dabei ist der Ton zwischen den GewerkschaftsführerInnen und den VertreterInnen des Kapitals ebenfalls sehr rau. UnternehmerInnen-boss Kannegiesser beschreibt die jetzige Stimmung zutreffend, indem er die IG-Metall „auf einer düsteren Stimmungswolke“ reiten sieht. Bei Volkswagen läuft Ende Mai der Haustarifvertrag aus. Im Chemiesektor sowie im Bereich des Nahrungs- und Gaststättengewerbes stehen ebenfalls Tarifverhandlungen an.

7. manager magazin online: Die neue Streikmacht, 16. April 2012

usw. abgeladen. Noch war sie imstande, ihre eigene ArbeiterIn-nenklasse in weiten Teilen zu verschonen. Die Entwicklungen be-schleunigen sich. Die Rufe nach präventiven Maßnahmen gegen die ArbeiterInnenbewegung werden lauter. Deshalb haben die Bosse, wie die FAZ schreibt, die GewerkschaftsführerInnen erneut schätzen gelernt, „weil [der Flächentarifvertrag] zumindest eine Zeitlang für Ruhe sorgt. Auch wenn vielen Städten und Gemeinden der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst zu hoch ist – Guerilla-Streiks unzufriedener Splittergewerkschaften fürchten sie noch mehr.“8

Diese Welle der Sympathie von oben nutzen die Gewerk-schaftsbosse dazu, das Modell des „rheinischen sozialpart-nerschaftlichen Kapitalismus“ wieder zu beleben – wobei es offensichtlich ist, dass die objektiven Bedingungen, die dieses Modell ermöglichten, nicht mehr vorhanden sind. Die materi-elle Grundlage für den Aufstieg eines neuen Reformismus, der sich auf eine ausgedehntere und verbreitete soziale Schicht der ArbeiterInnenaristokratie in den imperialistischen Ländern wie Deutschland stützten würde, wurde durch das partielle Wachs-tum der Produktivkräfte nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs ermöglicht. Heute stagnieren die Produktivkräfte je-doch. Der Spielraum für weitgehenden Zugeständnisse an die ArbeiterInnenklasse ist nicht mehr wirklich vorhanden. Die re-formistischen Führungen sind dadurch weniger in der Lage, die Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung zu verteidigen.

Diese Situation begünstigt die Entstehung von kämpferi-schen Flügeln innerhalb der ArbeiterInnenbewegung, die die zersetzende Politik der Gewerkschaftsführungen offen in Frage stellen – sonst droht Demoralisierung und chauvinistische und xenophobe Lösungen auf die Krise.

Ein Programm für den KampfDiese Situation erfordert eine klare Perspektive von den Revo-lutionärInnen. Es reicht nicht zu sagen, dass der Kapitalismus der Grund des Übels ist und dass er überwunden werden muss. Genauso wenig reicht es zu erkennen, dass die Gewerkschafts-bürokratie den Kampf nicht aufnehmen will. Wir müssen einen revolutionären Flügel in der ArbeiterInnenbewegung aufbauen und die Gewerkschaften durch eine kühne Politik – besonders bei Arbeitskämpfen – von der Bürokratie zurückerobern und zu kämpferischen Organen der ArbeiterInnenklasse machen.

Die strategische Ausrichtung der Bürokratie auf eine illuso-rische Sozialpartnerschaft muss mit der Forderung nach der gleitenden Skala der Löhne und der Arbeitszeit entgegenge-treten werden. Angesichts von steigenden Preisen müssen wir die Forderung nach einem Mindestlohn aufstellen, der an die Preisentwicklung gekoppelt ist. Sollten die Unternehmen auf ihre schlecht laufenden Geschäfte hinweisen, um Entlassungen zu rechtfertigen (wie im Falle Schleckers), dann müssen wir die Forderung nach der gleitenden Skala der Arbeitszeit aufstellen und zu einer Enteignung dieser Betriebe ohne Entschädigung und unter Kontrolle der ArbeiterInnen vorantreiben.

Noch vor 10 Jahren wurden die Gewerkschaften als Sünden-böcke für so ziemlich alles verantwortlich gemacht, was in der BRD schief lief: Es hieß, die Gewerkschaften hätten Deutschland ins Krankenbett gebracht und die Medizin kam in sozialde-mokratischer Gestalt mit der Agenda 2010. Heute werden die Gewerkschaftsführungen von den KapitalistInnen hofiert. Wir wollen diese BürokratInnen umso stärker bekämpfen. Die Ar-beiterInnenklasse muss sie aus den Gewerkschaften jagen, um diese zu wahren Organen des Kampfes zu formen. Anstelle der Behauptungen von Sozialpartnerschaft und sozialem Frieden setzen wir die Parole des Klassenkampfs mit dem strategischen Ziel einer Regierung der ArbeiterInnen und der verarmten Mas-sen als des einzigen progressiven Auswegs aus der kapitalisti-schen Krise.

8. FAZ: Gewerkschaften im Aufwind, 03.04.2012

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von Markus Oliver (RIO, Potsdam)

Die Folgen der Weltwirtschaftskrise bekommt die lohnabhän-gige Bevölkerung Griechenlands in besonderem Ausmaß

zu spüren. Hunderttausende GriechInnen wurden in den letzten Jahren entlassen, und die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen liegt bei knapp 50%. Die Obdachlosigkeit steigt und Suppenkü-chen breiten sich im ganzen Land aus. Doch auch wenn viel von „Hilfe“ und „Solidarität“ die Rede ist, bieten bürgerliche und re-formistische PolitikerInnen keine Perspektive an, um aus diesem Elend wieder herauszukommen. Die Gewerkschaftsbürokratie ruft immer wieder zu eintägigen Generalstreiks auf, während die parlamentarische Linke über einen Ausstieg aus dem Euro disku-tiert. Doch auch diese scheinbar radikalen Lösungen bieten kei-nen Ausweg aus der Krise.

Die Einschnitte, die der griechischen Ar-beiterInnenklasse zugemutet werden, sind so groß, dass diese bald wirklich „nichts zu verlieren [hat], als ihre Ketten“ (wie Marx es im Kommunistischen Manifest formulierte). Dagegen haben griechischen KapitalistInnen ihre Euro-Milliarden längst auf Schweizer Konten transferiert. Doch während sich So-ziologInnen hierzulande noch über dessen bloße Existenz streiten, beweist das Proleta-riat eines Krankenhauses in der nordgriechi-schen Stadt Kilkis bereits das enorme Poten-tial seiner Klasse: Anfang Februar wurde das Krankenhaus offiziell unter ArbeiterInnen-kontrolle gestellt.

Im Rahmen der starken sozialen Angrif-fe in Griechenland werden auch massive Kürzungen im Gesundheitssystem durch-geführt. Der kühne Schritt der Kilkiser Kran-kenhaus-ArbeiterInnen ist ein erster Ansatz einer proletarischen Antwort auf die kapi-talistische Krise und gegen die bürgerli-chen „Lösungen“. Mit der Entscheidung, die Instandhaltung des Krankenhauses, die medizinische Versorgung der PatientInnen und damit die eigenen Arbeits- und Produktionsbedingungen unter die eigene Kontrolle zu nehmen, stellen die Beschäftigten die herrschenden Eigentumsverhältnisse offen in Frage.

Im Kapitalismus sind Milliarden von Menschen zur Lohnar-beit gezwungen. Obwohl sie in Form gesamtgesellschaftlicher Arbeitsteilung alle materiellen Reichtümer selbst produzieren, sichert das Privateigentum an Produktionsmitteln einer schma-len Klasse von KapitalistInnen alle Verfügungsgewalt über und fast allen Gewinn aus den erarbeiteten Waren. Während die Vorteile alle in privater Hand liegen, werden die Kosten jeder wirtschaftlichen Krise den Schultern der lohnabhängigen Be-völkerung aufgebürdet.

In Griechenland tritt dieses kapitalistische Übel gegenwärtig in krassester Form ans Tageslicht. Darauf antworten die Kilkiser Beschäftigten nun mit ihrer Initiative der ArbeiterInnenkont-rolle und einem kämpferischen Aufruf an die gesamte Arbei-

terInnenklasse, es ihnen gleich zu tun1. Damit treffen sie auf offene Ohren. So auch bei den Beschäftigten der Tageszeitung Eleftherotypia, die sich seit Dezember im Streik befinden. Mit der Zuspitzung der Auseinandersetzung zwischen den über 800 Beschäftigten und den EigentümerInnen einer der größten griechischen Tageszeitungen, entwickelte die Belegschaft re-gelmäßige Streikversammlungen als höchstem Entscheidungs-organ der untereinander gleichberechtigten Reinigungskräfte, JournalistInnen und DruckerInnen. Bei diesen Versammlungen wird ein 15-Köpfiger Rat mit festem und jederzeit widerruf-barem Mandat gewählt, um die getroffenen Entscheidungen durchzusetzen. Die wohl Wichtigste unter diesen war die Her-ausgabe einer Streikzeitung unter eigener Regie zur finanziel-len und politischen Unterstützung der Streikenden. Die erste Ausgabe von „Die ArbeiterInnen (von Eleftherotypia)“ verkaufte

sich ohne Nutzung der unternehmenseige-nen Werbestrukturen dafür aber dank So-lidaritätsnetzwerken öfter als jede andere Zeitung Griechenlands.

Seitdem erblickte nicht nur eine zweite Ausgabe das Tageslicht, sondern auch De-batten über die generelle Wiederaufnahme der Zeitungsproduktion unter ArbeiterIn-nenkontrolle. Dieses Vorgehen stand nicht etwa von vornherein fest, sondern führte innerhalb der Belegschaft zu intensiven Dis-kussionen, welche aber durch die extremen Erfahrungen der Krise und der Angriffe durch die Geschäftsführung einen immer radikale-ren Verlauf nahmen. Diese beiden Beispiele zeigen in kleinen Ansätzen, wie die Produk-tionsmittel in Griechenland im Interesse der Bevölkerung eingesetzt werden können – in-dem die Kontrolle der KapitalistInnen durch die demokratische Verwaltung der Beschäf-tigten ersetzt wird. ArbeiterInnenkontrolle kann auch bei partiellen Maßnahmen wie der

Kontrolle über die Arbeitsbedingungen oder der Öffnung der Geschäftsbücher beginnen, doch selbst diese partiellen Maßnahmen spitzen,die Frage zu, wer den gesamten Produktionsprozess kontrolliert.

Eine Perspektive für ganz EuropaUm frühere Versuche der ArbeiterInnenkontrolle in Europa zu finden, muss man nicht erst bis zur Oktoberrevolution von 1917 zurück gehen. Erst 2010 produzierten ArbeiterInnen einer Philips-Fabrik im französischen Dreux für zehn Tage unter Ar-beiterInnenkontrolle, bis die besitzenden KapitalistInnen und die französische Regierung ihren Widerstand brachen2. In der thüringischen Fahrradfabrik „Bike Systems“ wurden 2007 am

1. http://www.klassegegenklasse.org/arbeiterinnenkontrolle-in-einem-griechischen-krankenhaus/

2. http://www.klassegegenklasse.org/zehn-tage-arbeiterinnenkontrolle-in-frankreich/

ArbeiterInnenkontrolle als Antwort auf die KriseErste Erfahrungen mit Produktion unter ArbeiterInnenkontrolle in Griechenland

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Ende eines Arbeitskampfes von 115 Tagen 1.800 knallrote „Stri-ke Bikes“ unter Selbstverwaltung hergestellt3.

In Griechenland besitzen die jetzigen Versuche der Erkämp-fung von ArbeiterInnenkontrolle jedoch ein weitaus größeres Potential. Während Massendemonstrationen die großen Plätze der griechischen Städte wiederholt lahmlegen, stärken immer wiederkehrende Streiks der griechischen ArbeiterInnenklasse ihren Rücken. In dieser zugespitzten Situation, die am Ende von 30 Jahren bürgerlicher Restauration („Neoliberalismus“) stehen, bedeutet die Perspektive der ArbeiterInnenkontrolle einen enormen Sprung vorwärts in der ideologischen Bewegung des Proletariats. Dieser Sprung kam vor allem durch den steigen-den Druck zustande, dem die griechische ArbeiterInnenklasse nun seit mehreren Jahren der Krise ausgesetzt ist. Die Angst vor vollständiger Verelendung lässt auch radikale Maßnahmen als notwendig erscheinen. Völlig zurecht, denn nur die Enteignung der Produktionsmittel unter ArbeiterInnenkontrolle kann die wachsende Misere in Griechenland noch aufhalten. Dies muss aber auch mit der Verstaatlichung des Bankwesens und des Au-ßenhandels unter ArbeiterInnenkontrolle verbunden werden, also mit einer Perspektive der Übernahme und Verwaltung der kompletten Wirtschaft durch die ProduzentInnen, mit einer Re-gierung der ArbeiterInnen an der Spitze.

Nach unserer Meinung müssen revolutionäre AktivistInnen das enorme Potential der ArbeiterInnenkontrolle anerkennen und für diese Maßnahme im Rahmen eines Programms von Übergangsforderungen kämpfen. Als sympathisierende Sek-tion der Trotzkistischen Fraktion (FT-CI) verfolgen wir von RIO eine Politik, die wir als sowjetische Strategie4 bezeichnen, die die Selbstorganisierung der ArbeiterInnen als bestes Mittel einer politischen Bewusstseinssteigerung in den Mittelpunkt stellt. In Zeiten wirtschaftlicher Krise beginnen selbst die elementarsten Forderungen der ArbeiterInnen in Griechenland und anderen Wirtschaftsräumen Südeuropas an die Grenzen der kapitalis-tischen Eigentumsverhältnisse zu stoßen, wie es bereits der Revolutionär Leo Trotzki im 1938 verfassten „Übergangspro-gramm“ beschrieb, das eine Brücke zwischen den Tagesforde-rungen der ArbeiterInnenbewegung und dem Ziel der sozia-listischen Weltrevolution herstellen soll. Die Beschäftigten von Kilkis haben bereits einen großen Schritt getan, sollte jedoch eine so bedeutende Fabrik, wie Hellenic Steel – ein Stahlwerk, das sich seit sechs Monaten im Streik befindet – den Sprung zur Enteignung unter ArbeiterInnenkontrolle wagen, wäre dies ein weit ausstrahlendes Symbol einer fortschrittlichen (und auch realistischen) Perspektive. Oder wie es ein Stahlarbeiter dieser Fabrik bei einer Solidaritätsveranstaltung in Berlin formulierte: „Macht ganz Europa zu einem griechischen Stahlwerk!“.

Nur der erste SchrittEin bereits fortgeschritteneres Beispiel für proletarische Selbst-verwaltung ist die inzwischen zu weltweiter Berühmtheit ge-langte Fabrik Zanon in Argentinien. Wie viele andere Fabriken wurde auch sie während der revolutionären Tage der Wirt-schaftskrise von 2001 besetzt. Durch die kontinuierliche Inter-vention der argentinischen PTS (Partei sozialistischer Arbeiter-Innen, Schwesterorganisation von RIO), basierend auf dem Übergangsprogramm, entwickelte sich der Arbeitskampf in der Keramikfabrik jedoch in besonderem Maße weiter. So führte er über symbolische, juristische und physische Auseinanderset-zungen schließlich zur Enteignung des Unternehmers durch die Belegschaft. Heute gehört die Fabrik der GenossInnenschaft

3. http://www.revolution.de.com/revolution/0709/strike-bike/index.html4. „Sowjet“ ist das russische Wort für die demokratischen Rätestrukturen,

die sich während den revolutionären Prozessen von 1905 und 1917 im Kampf des Proletariats im zaristischen Russland herausbildeten. Eine sowjetische Strategie zielt auf Selbstorganisierung und den Aufbau von Rätestrukturen.

FaSinPat („Fabrica Sin Patrones“, Fabrik Ohne UnternehmerIn-nen). Die Arbeitsplätze konnten inzwischen bei steigenden Löhnen ausgeweitet werden. Das Einzige, was einen Rückgang erlebte, waren die Arbeitsunfälle5.

Doch allein ist sie trotz ArbeiterInnenkontrolle auf lange Sicht verloren, denn sie ist keine „sozialistische Insel“, die sich den Zwängen des Kapitalismus entziehen kann. Mit jedem neuen Einkauf von zu verarbeitenden Rohstoffen spürt die Belegschaft die allgemeine Teuerung. Mit der Verarmung anderer verringert sich auch für Zanon der Absatz. Früher oder später wird die kapi-talistische Konkurrenz dazu führen, dass auch den wöchentlichen Hauptversammlungen der Belegschaft nichts anderes übrig blei-ben wird, als sich selbst demokratisch den Lohn zu kürzen.

Die ArbeiterInnenkontrolle kann also nur ein erster Schritt auf dem Weg zu neuen Eigentumsverhältnissen sein. Die Gründung von Genossenschaften oder die Einrichtung partieller ArbeiterIn-nenkontrolle können richtige und notwendige Schritte auf die-sem Weg sein – aber sie dürfen keinesfalls stehen bleiben und riskieren, dass kämpferische Belegschaften sich wieder ins beste-hende System integrieren lassen. Jede eroberte Fabrik und jeder besetzte Betrieb muss stattdessen als eine Bastion im internatio-nalen Klassenkampf genutzt werden. Dieser Klassenkampf kann aber nicht durch eine rein quantitative Ausweitung von Arbei-terInnenkontrolle gewonnen werden. Die Wirtschaft wird nicht ohne direkte Konfrontation mit der Bourgeoisie übernommen werden können. Keine herrschende Klasse hat ihre Macht jemals friedlich abgegeben. Selbst der hochverschuldete Adel zwang das reiche Bürgertum zum blutigen Kampf. Als die ArbeiterIn-nenbewegung zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts zu re-volutionärer Reife gelangte, scheute die kapitalistische Reaktion nicht vor der Entfesselung des Faschismus zurück, um jegliche Formen der ArbeiterInnendemokratie zu zerschlagen.

Um der kapitalistischen Krise eine sozialistische Perspektive entgegen zu stellen, bedarf es einer Politik, die klassenkämpfe-rische Erfahrungen, wie die der ArbeiterInnenkontrolle, in Rich-tung der revolutionären Eroberung der politischen Macht wei-terentwickelt. Die Radikalisierung solcher Arbeitskämpfe wird unweigerlich auf den geballten Widerstand des kapitalistischen Staates treffen. Deshalb benötigt es einer politischen Perspek-tive, über die sich Fabrikkomitees in besetzten Fabriken zu Rä-ten weiterentwickeln können, die untereinander vernetzt eine kämpferische Grundstruktur einer neuen Gesellschaftsordnung bilden können: Einem rätedemokratischen ArbeiterInnenstaat, in dem die gesamte Wirtschaft unter die demokratische Kontrol-le der heute lohnabhängigen Bevölkerung gestellt wird. Diese Umgestaltung kann aber nicht in einem einzigen Land vollzo-gen werden, sondern nur als Teil der sozialistischen Weltrevolu-tion, also der Enteignung des Kapitals auf weltweiter Ebene.

Solche Politik kann nur verwirklicht werden, wenn der orga-nisierten und bewaffneten Reaktion eine ebenfalls organisierte Avantgarde der ArbeiterInnenklasse, bestehend aus den kämp-ferischsten und politisch bewusstesten Sektoren des Proletari-ats, entgegentritt. Diese Organisation muss sich in der Form ei-ner wiederaufgebauten Vierten Internationale niederschlagen. Zu diesem Aufbau wollen wir von RIO als sympathisierender Sektion der Trotzkistischen Fraktion einen Beitrag leisten.

5. Siehe die RIO-Broschüre: “Zanon gehört den Arbeiter-Innen!”

Griechenland: Streik bei Eleftherotypia (Interview)➟ www.klassegegenklasse.org/griechenland-streik

Zanon gehört den ArbeiterInnen! (Broschüre)➟ www.klassegegenklasse.org/broschure-zanon

Leo Trotzki: Das Übergangsprogramm (Kapitel „Das ‚Ge-schäftsgeheimnis‘ und Arbeiterkontrolle über die Industrie)➟ www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1938/uebergang

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von Juan Chingo (CCR, Paris)1

Die Krise der Eurozone und der EU ist ein Teil der wichtigs-ten weltweiten kapitalistischen Krise seit den 1930ern.

Dennoch entwickelt sich die aktuelle Krise – im Gegensatz zu der, welche zwischen 1929 und 1933 katastrophale Auswirkun-gen auf wirtschaftlicher und finanzieller Ebene hatte und eine schnelle Entwicklung umbruchartiger politischer Ereignisse provozierte – in einer anderen, langsameren Form. Der große Unterschied ist das Niveau staatlicher Intervention, welches die Umwandlung des brutalen wirtschaftlichen Abstiegs und der Finanzkrise von 2008/9 in eine große, verallgemeinerte De-pression verhinderte. Gleichzeitig ist der sprunghafte Anstieg der öffentlichen Schulden und die Staatsschuldenkrise, die alle großen imperialistischen Länder mehr oder wenig stark betrifft, eine spezifische Charakteristik der 2007 begonnenen Krise, des-sen Konsequenzen sich erst noch zeigen müssen. Diese zwei Elemente geben der aktuellen Krise eine geringere Schärfe im allgemeinen Vergleich mit der Krise der 1930er, aber sie verlän-gern sie zeitlich und verschieben so effektiv den Ausweg.

Strukturelle Fundamente der KriseDas grundlegende Fundament der Eurokrise ist die Tendenz zur relativen Deindustrialisierung der südeuropäischen Länder, in-klusive Frankreich, zum Vorteil des deutschen Imperialismus.

Deutschland war das Land, welches seine Produktions-kosten am Besten nach Osteuropa externalisieren konnte und dabei von der billigen, qualifizierten Arbeitskraft dieser Länder profitieren konnte. Wenn wir diese Realität einberechnen, sind die wirklichen Lohnstückkosten in Deutschland 20% geringer als die der anderen großen Länder der Eurozone (Frankreich, Italien, Spanien). Noch viel wichtiger ist aber die Tatsache, dass Deutschland einen großen Teil seiner hoch entwickelten Indu-strieproduktion in die Länder Mitteleuropas ausgelagert hat und einen großen Teil weniger komplexer Produktion in sei-nem eigenen Territorium behalten hat. Ein Beispiel davon ist die Automobilproduktion: Der Gigant Volkswagen produziert in Tschechien oder der Slowakei Modelle höherer Sparten und nicht die niedrigerer Sparten. Das erlaubte es Deutschland, sich die Produktionsressourcen anzueignen, die fehlten (qua-lifizierte IndustriearbeiterInnen mit einem Bildungsniveau, welches demjenigen der ArbeiterInnen Westeuropas in Nichts nachsteht), während gleichzeitig mehr Industriearbeitsplätze geschaffen wurden. Zweitens konzentriert Deutschland seine komparativen Vorteile bei Produkten hoher oder mittel-hoher Technologie, während im Rest der Länder der Eurozone die Pro-dukte mittlerer und niedriger Technologie mehr proportionales Gewicht in der Produktion haben2. Diese Produkte sind weni-

1. Wir veröffentlichen hier Auszüge aus einem sehr viel längeren Doku-ment von Juan Chingo. Die vollständige Fassung gibt es bald auf: www.klassegegenklasse.org.

2. Die OECD klassifiziert die industrielle Produktion in vier Kategorien: „Hochtechnologie“ (Informatik, Informationstechnologien, Pharmazie, optische und Präzisionsinstrumente etc.), „mittel-hohe Technologie“ (Chemie ohne Pharmazie, Produktionsgüter, Automobilproduktion,

ger Preisschwankungen unterworfen, während gleichzeitig der Fortschritt in der Wettbewerbsfähigkeit der sogenannten auf-strebenden Schwellenländer großen Einfluss auf die Marktan-teile der Länder hat, die im mittleren Bereich der Technologie-produktion angesiedelt sind.

Die Einführung des Euro verstärkte diese Vorteile des deut-schen Kapitals. Es erhielt unbeschränkten Zugang zu den Binnen märkten schwächerer Imperialismen, die nicht mehr mit Währungsabwertung antworten konnten.

Als Konsequenz aus diesen Veränderungen verloren die Län-der der Peripherie der Eurozone in den 2000er Jahren an Wett-bewerbsfähigkeit, entwickelten so ein Leistungsbilanzdefizit mit dem Kern (Deutschland und die Länder Nordeuropas) und akkumulierten große Schulden mit den Finanzinstitutionen dieser Länder. Diese Ungleichgewichte in Europa waren vor der Entwicklung der Schuldenkrise verdeckt von den geringen Zins-sätzen, von denen Deutschland profitierte. Mit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise zeigte sich die Beständigkeit ihrer „Wirtschaftswunder“ ohne Fundament, während sie gleichzeitig mit einer schweren öffentlichen und privaten Schuldenlast zu kämpfen hatten. Der Euro vertiefte die Teilung zwischen euro-päischem Zentrum und Peripherie und konsolidierte den Fort-schritt des deutschen Imperialismus auf Kosten letzterer.

Angesichts des Ausbruchs der Staatsschuldenkrise ist das Ziel der wichtigsten Staaten der Eurozone, die Interessen der Banken und der GläubigerInnen zu beschützen, indem sie eine Insolvenz vermeiden. Das ist das Ziel der Austeritätspolitiken, die versuchen, die Kosten der Krise zu sozialisieren und ein neu-es Kräfteverhältnis gegen die ArbeiterInnenklasse zu etablieren, welches es erlaubt, die Ausbeutungsrate zu erhöhen.

Diese Politik führt jedoch in die Rezession und erschwert so die Schuldenlast, wie die Verhandlungen um einen Schulden-schnitt in Griechenland zeigen. Diese Gespräche beweisen die Angst der wichtigsten europäischen AnführerInnen um eine „Ansteckungsgefahr“ der griechischen Schuldensituation für den ebenfalls verschuldeten und als instabil bewerteten Rest Europas.

Aber diese „Rettung“ Griechenlands hätte es nicht vermocht, die Ansteckungsgefahr – welche sich in einer brutalen „Liqui-ditätskrise“ der wichtigsten Finanzinstitutionen der Eurozone im letzten Herbst ausdrückte – zu verhindern, ohne dass die EZB massiv interveniert. Die Emission von einer Billion Euro im Wechsel für unverkäufliche Papiere der Privatbanken, und das bei einer Zinsrate von weniger als 1% jährlich, war eine beispiel-lose Maßnahme dieser Bank. Diese nie dagewesenen Maßnah-men haben für den Moment das europäische Finanzsystem gerettet und die Ängste vor einem bevorstehenden Kollaps des Euro, die Ende 2011 die Runde machten, beschwichtigt. Den-noch ist die Krise, obwohl damit Zeit gewonnen wurde, noch längst nicht beendet.

Diese radikale Aktion der EZB hat die strukturellen Probleme

Transportmaterial etc.), „mittel-niedrige Technologie“ (Kautschuk und Plastik, Metalurgie, Schiffbau und -reparierung, etc.) und „niedrige Tech-nologie“ (Textil, Leder und Schuhe, Zellulose und Papier, Nahrungsmit-tel- und Landwirtschaft, Getränke, Tabak).

In welcher Etappe der Eurokrise befinden wir uns?Eine ökonomische und geopolitische Analyse der Eurozone

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der Eurozone nicht verändert. Die Zinsraten der italienischen und spanischen Schulden sanken anfänglich, zeigten inzwi-schen jedoch Tendenzen eines erneuten Anwachsens. Diese Si-tuation wird durch drakonische Sparmaßnahmen, ein Aufleben der Klassenkämpfe und eine Abwärtsspirale der Wirtschaft zur „Schuldenfalle“.

Der Spanische Staat droht, sich in das nächste schwache Kettenglied der Eurozone zu verwandeln. Denn im Rahmen der niedrigen Wettbewerbsfähigkeit seiner Wirtschaft erleidet Spa-nien eine tiefschürfende Deflation. Diese ist das Resultat des Zahlungsfähigkeitsproblems des hoch verschuldeten privaten Sektors, welcher sich um die Immobilienbranche entwickelt hat, deren Preise stark gesunken sind und die noch weiter fallen werden, und der Existenz eines Finanzsektors, der fröhlich diese Schulden zugelassen hat, und sich in einem insolventen Stadi-um befindet. Noch schwerwiegender könnte die Gesundung seines insolventen Finanzsystems, welche momentan im gro-ßen Maße nach hinten verschoben wird, einen sprunghaften Anstieg der öffentlichen Schulden wie in Irland produzieren, welcher ihn im Rahmen des geringen Handlungsrahmens sei-ner Staatsfinanzen dazu zwingen könnte, ein „Rettungspaket“ von der EU zu erbeten.

Vor diesem ökonomischen Hintergrund, der sich schnell verschlechtert, ist die Regierung von Rajoy gefangen zwischen einer Europäischen Union, die die Erhöhung des Sparrhythmus‘ und die Verhinderung eines neuen Ausbruchs der Instabilität in der gesamten Eurozone fordert, und den wirtschaftlichen Konsequenzen, die dies mit sich bringt und die schon ihre ei-gene soziale Basis bedroht. Die Notwendigkeit des Sparens sorgt für Spannungen in den Beziehungen zwischen der Zen-tralregierung und den Regionen, und entblößt so immer mehr ein existenzielles Problem des postfranquistischen Spaniens, in dem das Gleichgewicht zwischen der Zentralregierung und den Regionen delikat ist. Denn wenn Madrid darauf hoffen will, die Ziele des Haushaltsgleichgewichts zu erreichen, muss es die Politik der Haushaltsautonomie der Autonomen Gemeinschaf-ten verändern, eines Eckpfeilers des paktierten Übergangs zur Demokratie in den 1980ern. Schließlich ist Spanien die europäi-sche Wirtschaft, deren Risikosituation derjenigen Griechenlands im Bezug auf die soziale Situation am meisten ähnelt. Wir könn-ten sagen, dass Spanien in einer ähnlichen Situation ist wie zum Zeitpunkt der Entstehung sozialer Unruhen in Griechenland vor nur ein paar Jahren – außer dass die Arbeitslosigkeit schon grö-ßer ist, als zu dem Zeitpunkt, als die griechische Krise begann3. Die wachsende Aktivität der SchülerInnen und Studierenden vor dem 29. März und im Generalstreik selbst und vor allem die

Aktivität der ArbeiterInnen könnte einen Wendepunkt und den Beginn einer Eskalation des sozialen Konfliktes markieren.

Portugal droht eine beschleunigte Version des Schicksals

3. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 23%, d.h. momentan sogar höher als in Griechenland. Aber mehr als die Hälfte der Jugendlichen (mehr als 51%) haben keine Arbeit, wodurch eine verlorene Generation entsteht, die von den wirtschaftlichen Problemen Spaniens am meisten getroffen wurde. Die Gesamtzahl der Arbeitslosen hat fünf Millionen überschritten, und bei den Unter-25-Jährigen hat sich die Arbeitslosen-quote fast verdreifacht, verglichen mit 18% vor vier Jahren.

Griechenlands, da letzteres den Weg zur Zahlungsunfähigkeit geebnet hat. Die Möglichkeit so plötzlicher Schulden-Umstruk-turierungen überfordert die Märkte mit ihren diesmal unvorbe-reiteten GläubigerInnen. Die portugiesischen Banken erleben eine enorme Einlagenflucht mit den deutschen Banken als dem Haupttransferziel. Diese Einlagenflucht ist eine Konsequenz daraus, dass die Einlagen europäischer Banken von nationalen Zentralbanken und Regierungen, anstatt von der EZB, garantiert werden. Als Reaktion haben die Euro-FinanzministerInnen Ende März eine nominale Erhöhung des „Europäischen Stabilitätsme-chanismus“ (ESM) beschlossen. Dieser Europäische Fonds sollte ursprünglich um Juli mit 500 Milliarden Euro aktiviert werden. Die Erhöhung ist mehr Finanz-Engineering als neues Geld. Die 800 Milliarden Euro sind in Wirklichkeit nur 700, von denen ein Teil schon ausgegeben ist4. Diese gemeinschaftlichen Rettungs-mechanismen zur Rekapitalisierung der Banken finden ihre Grenzen in den engen Verbindungen jener Banken zu den Natio-nalstaaten. Deren imperialistischer Charakter ist das ursächliche Hindernis für eine effektive Lösung der Staatsschuldenkrise.

Die aktuelle Krise hat diese elementare Wahrheit aufgedeckt, die nur von den MarxistInnen bemerkt wurde. Die Mängel des europäischen Aufbaus sind ein Resultat des freien Willens jeder Bourgeoisie, den größten Handlungsspielraum in ihren Händen zu behalten und die Europäische Union vor allem als gemeinsames Instrument der Liberalisierung und der Deregulierung der Märkte im Dienste des Großkapitals zu benutzen. Dieser begrenzte Cha-rakter der Krisenführung sorgt immer wieder für die Bedrohung des Zerfalls der Eurozone, welche immer nur im letzten Moment durch eine ad hoc-Übereinkunft angesichts der Angst vor dieser Perspektive verhindert wird. Daher müssen wir die Perspektiven der Eurozone nicht nur auf wirtschaftlicher Ebene sehen, sondern fundamental im Bereich der Beziehungen zwischen den Staaten, die sie ausmachen, insbesondere Deutschland.

Der deutsche Versuch, Europa zu hegemonisieren Die aktuelle Krise präsentiert eine in einer Generation einmalige Möglichkeit für die deutsche Bourgeoisie, in ihrer strategischen Ambition einer integrierteren Politik der EU unter ihrer Führung voranzuschreiten. Merkel versucht zu erreichen, dass die hoch verschuldeten Regierungen Südeuropas ihre Vorhaben akzeptie-ren, indem sie den BürokratInnen in Brüssel eine größere Kontrol-le über die nationalen Haushalte gewähren. Ihr Ziel ist es, neben der Schaffung von Bedingungen für die Zahlung der Schulden eine breite Umstrukturierung dieser Wirtschaften im Dienste des deutschen Kapitals und der stärksten transnationalen europäi-schen Kapitale oder durch Investitionen in diese durchzusetzen. Mit der Kontrolle der Staatsausgaben versucht sie, den Anteil dieser, der auf den Konsum und die Aufrechterhaltung sozialer Errungenschaften, die noch vom sogenannten Wohlfahrtsstaat übrig sind, und anderer unproduktiver Bereiche gerichtet ist, zu verringern, um die Investitionsbedingungen zu verbessern. Auch wenn es die deutsche Bourgeoisie ist, die am meisten auf einen Ausweg in diese Richtung drängt – als Ausdruck ihres wirtschaft-lichen und in immer größerem Maße politischen Gewichts –, wird diese qualitative Umwandlung der Beziehungen zwischen Ar-beit und Kapital in Europa von allen Sektoren der europäischen Großbourgeoisie und des transnationalen Kapitals mit Investiti-

4. Zu den 500 Milliarden Euro, die der Fonds schon hatte, kommt bereits versprochenes und noch nicht übergebenes Geld für Griechenland, Portugal und Irland – 200 Milliarden Euro – sowie 100 Milliarden Euro, die in Griechenland schon ausgegeben wurden. Daher kommt die Zahl von 800 Milliarden Euro, obwohl es frisches Geld für eine mögliche Ret-tung der ialienischen oder der immer sorgenerregenderen spanischen Wirtschaft nur im Umfang von 500 Milliarden Euro gibt, in jedem Fall nicht ausreichend, da Spanien und Italien zwischen 2012 und 2013 bis zu 1,2 Billionen Euro öffentlicher Schulden refinanzieren müssen.

Die Europäische Union war vor al-lem ein gemeinsames Instrument

der Deregulierung der Märkte im Dienste des Großkapitals.

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onen in Europa unterstützt. Durch offenen politischen Druck und Einmischung, und mittels der Peitsche der Finanzkrise, versucht die deutsche Regierung, den Regierungen dieser Länder harte Verpflichtungen aufzuerlegen.

Die Offensive der deutschen Vorherrschaft destabilisiert die komplexe europäische Struktur und eröffnet einen vielleicht unüberbrückbaren Riss zwischen den Ländern Nord- und Süd-europas mit unvorhersehbaren Konsequenzen.

Aber die deutsche Politik destabilisiert gleichzeitig den deutsch-französischen Motor. Seit ihren Ursprüngen war die französische Politik innerhalb der Eurozone und der EU von einem Hauptziel geleitet: Deutschland einzudämmen. Seit dem Beginn der Krise hat Frankreich sich selbst, gemeinsam mit Deutschland, als Co-Führer Europas gesehen, und in ge-wisser Weise hat die Staatsschuldenkrise dabei geholfen, dass Paris dieses Bild ausstrahlt. Durch den gemeinsamen Ruf nach Sparmaßnahmen mit Deutschland, hat Paris gezeigt, dass sei-ne Interessen sich mit denen Berlins deckten, wenn es um das Management der Finanzkrise in der Peripherie ging. Genau-so wichtig war, dass Frankreich es geschafft hat, eine Art der Kontrolle der Krisenführung von den Händen Deutschlands zu erlangen. Dennoch sind die Interessen der angeblichen Co-Führung Europas nicht so deckungsgleich, wie sie einmal wa-ren, wie die deutsche Ablehnung des Ziels von Hollande, den Fiskalpakt neu zu verhandeln, zeigt. Dieser wurde im Dezember 2011 von 25 Mitgliedsstaaten der EU adoptiert, um den Euro zu retten. Auch wenn ein plötzlicher Wechsel in der deutsch-französischen Beziehung unwahrscheinlich ist, werden sich die Unterschiede zwischen beiden immer offener zeigen.

Der letzte Grund, der eine schnelle und untraumatische Lö-sung der europäischen Krise verhindert, ist, dass diese die Vor-herrschaft des Nationalstaates wieder hervorgebracht hat. Die Existenz dieses großen Hindernisses, welches mit der Entwick-lung der Produktivkräfte kollidierte, die schon vor langer Zeit seinen Rahmen und seine Grenzen durchbrachen und im 20. Jahrhundert zu nicht weniger als zwei Weltkriegen führte, war und ist die Grundlage, warum die MarxistInnen immer gesagt haben, dass die europäische Vereinigung durch die imperialis-tische Bourgeoisie utopisch ist. Heute hat sich diese Idee leider in eine harte Realität verwandelt.

Die Schaffung der EU versuchte auf ihre Art und Weise, diesen Widerspruch zwischen dieser Reliquie der Vergangenheit, dem Nationalstaat, und den Produktivkräften zu überwinden. Wäh-rend die Fragen der Sicherheit weiterhin der NATO und den USA vorbehalten blieben, war das Ziel, vom wirtschaftlichen Reich-tum zu profitieren und den Markt zu regulieren, indem eine zen-trale Bürokratie etabliert wurde, die den Nationalismus über-winden konnte, ohne die nationale Identität zu unterdrücken. Dieses Projekt, welches immer voranstolperte und welches nach der imperialistischen Einigung Deutschlands mit der Schaffung der EZB und dem Euro neu ausgerichtet wurde, kollidiert heute mit der Notwendigkeit, in anderen Bereichen voranzuschreiten (Fiskal- und Haushaltspolitik, Wettbewerbsfähigkeit etc.), in de-nen niemand freiwillig Souveränität aufgeben will, da diese Be-reiche nicht nur für die Massen jeden Landes, sondern auch die nationalen Bourgeoisien dieser Länder Leben oder Tod bedeu-ten. Daher können wir sagen, dass mit dem Ende der Prosperität ein wichtiger Teil der Rechtfertigung der EU verdampfte, und dass daher die Konflikte wiedererstehen werden.

Ein Ausdruck des Gesagten ist, dass die politischen und geo-politischen Fundamente, die die Einführung des Euro und die Entwicklung der EU stützten, sich verändern. Die imperialisti-sche Wiedervereinigung Deutschlands 1990 verursachte eine dynamische Periode geopolitischer Veränderungen in Europa, vergleichbar vielleicht mit dem, was seinerseits die deutsche Ei-nigung unter Bismarck 1871 bedeutete. Nicht nur, weil Deutsch-land sich in die größte demographische und wirtschaftliche Macht der Region verwandelte, sondern auch, weil es eine

autonomere Außenpolitik begann. Zusammen damit ergeben sich andere Phänomene, wie eine Serie von Entwicklungen in Europa, wie die Schwächung der NATO nach dem Verschwin-den der UdSSR, die ihren Zusammenhalt stützte. Die Schwä-chung der politischen und geopolitischen Bindungen, die zur Schaffung der EU führten, können zu ihrer Auflösung führen.

Heute könnte der Fakt, dass es für Deutschland vielleicht wich-tiger ist, seine Verbindungen mit dem Zentrum der EU und Zen-traleuropas zu halten als die mit den peripheren Ländern wie Spanien5, Deutschland dazu veranlassen, einen regionalen Aus-weg zu suchen. All diese Widersprüche von großer Tragweite zeigen sich in der aktuellen Krise, besonders in der Unentschie-denheit Deutschlands, in der Auflösung der Ungleichgewichte zwischen Nord- und Südeuropa voranzuschreiten.

Für Deutschland ist die EU sowohl politisch wie wirtschaftlich überlebenswichtig. Auf politischer Ebene bestimmt die EU und die Kontinuität der Politik der Nachkriegszeit seine Beziehung mit Frankreich, während sie auch als ein Mittel wirkt, sicherzu-stellen, dass das nationale Interesse ähnliche Konflikte wie in der Vergangenheit generiert. Auf wirtschaftlicher Ebene exportiert Deutschland als zweitgrößter Exporteur der Welt zwar in viele Länder, aber Europa ist sein kritisch wichtiger Klient. Wie wir schon gezeigt haben, half die Einführung des Euro den deut-schen Exporten und Investitionen, außerdem gaben die Regu-lationen Brüssels dem deutschen Kapital Vorteile, die seinerseits durch seine Fortschritte in Osteuropa verstärkt wurden.

Die Europäische Union, so wie sie zwischen 1991 und 2008 existierte, war fundamental für Deutschland. Aber diese Funkti-onsweise der EU wird durch die Krise in Frage gestellt. Der Ver-such, eine verstärkte Hegemonie in der EU durchzusetzen, ist längst keine sichere Wette. In diesem Rahmen kann strategisch nicht ausgeschlossen werden, dass Deutschland nach möglichen schweren wirtschaftlichen und politischen Erschütterungen eine andere Variante wählt. Wir haben gesehen, wie die Semikoloni-sierung Osteuropas zu seinen Gunsten und dessen Integration in den deutschen Produktionszyklus ein großer Vorteil für den deutschen Imperialismus war. In diesem Sinn könnte der Sprung von Quantität zu Qualität in den momentanen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Rus-sland dem deutschen Imperialismus ein weites Feld eröffnen: Die Beziehung zwischen Deutschland und Russland existiert bereits und vertieft sich. Wenn die EU unhaltbar wird, könnte Deutschland eine Semikolonialisierung Russlands anstreben. Diese beiden Nationalstaaten und -Bourgeoisien könnten sich in ihren demographischen, technologischen, rohstofflichen und wirtschaftlichen Eigenschaften ergänzen. Die bereits existieren-den Versuche zur Schaffung jeweils eigener „Einflusszonen“ in Europa und und Zentralasien könnten gemeinsam einen Block stellen, der zunehmende Autonomie gegenüber dem US-Im-perialismus erlangen könnte.Wenn sich die EU stark schwächt, könnte Russland sich in den offensiven Fokus des deutschen Ka-pitals und des deutschen Imperialismus verwandeln.

5. Zum Beispiel ist allein der deutsche Handel mit Polen und Tschechien größer als der Handel mit Spanien, Griechenland, Irland und Portugal zusammen, zum Großteil aufgrund der Integration dieser beiden Län-der als Relokalisierungsbasis der deutschen Firmen.

Die MarxistInnen haben immer gesagt, dass die euro-päische Vereinigung durch die Bourgeoisie utopisch ist.

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von Juan Chingo (CCR, Paris)1

Die nie dagewesenen sozialen Angriffe, die die verschiede-nen europäischen Regierungen je nach ihrer Lage anwen-

den, führen zu einer ansteigenden und abwechslungsreichen Antwort der Massenbewegung, die ihre Avantgarde in den Län-dern der Peripherie der Eurozone hat, insbesondere die Arbei-terInnenklasse und die Jugend in Griechenland.

Griechenland und Spanien Griechenland steht zusammen mit anderen Ländern der euro-päischen Peripherie, wie Spanien, kurz davor, von einer tiefen Rezession in eine Depression wie in den 30iger Jahren einzutre-ten. Die Mobilisierungen der Massen haben verschiedene Pha-sen durchgemacht, die auf eine Tendenz zur Radikalisierung deuten. Wir können sagen, dass die erste Phase mit der Abstim-mung des ersten Memorandums beginnt und am 5. Mai 2010 mit dem politischen Generalstreik, der den Erstürmungsversuch des Parlaments vorsah, zu Ende geht. Es folgt eine Zwischen-Periode von September 2010 bis Frühling 2011, während derer die Aufrufe zum Generalstreik und die großen Demonstratio-nen nur einen mäßigen Erfolg zeigten. Die zweite Phase ist die der „Bewegung der Plätze“ von Mai-Juni 2011, die sich in vielen Städten entwickelt und als Epizentrum den Syntagma-Platz in Athen direkt gegenüber dem Parlament hatte. Stathis Kouvéla-kis analysierte: „Wir können sagen, dass sich die Krise ab der ‚Be-wegung der Plätze‘ zu einer systemischen Krise und somit zu einer Krise des Staates entwickelt. Eine ‚organische Krise‘, würde Gramsci insofern sagen, dass die Grundlagen des ‚Konsens‘ selbst betroffen sind und sich breite, bis dahin passive Massen in Bewegung setzen. Sie lösen sich von den ehemaligen Vertretungsformen.“

Mit dem historischen Generalstreik vom 19. und 20. Ok-tober, der wichtigsten sozialen Bewegung seit dem Fall der Diktatur der Obristen, gehen wir in eine dritte Etappe wach-sender Zeichen von Insubordination und direkten Aktionen gegen die bestehende Macht, die mit der Besetzung wichtiger öffentlicher Gebäude und Ministerien anfängt. Als Vertiefung dieser Etappe beobachten wir einen Sprung in der Krise der

1. Wir veröffentlichen hier Auszüge aus einem sehr viel längeren Doku-ment von Juan Chingo. Die vollständige Fassung gibt es bald auf: www.klassegegenklasse.org.

sozialdemokratischen PASOK (mit zwischen 8 und 15% in den Umfragen und dem Bruch mit Sektoren ihrer Basis). Ebenso zeigt sich zum ersten Mal eine Ausdehnung des Streiks auf den privaten Sektor. Der härteste Kampf, derjenige der Stahlarbei-terInnen von Elefsina, läuft bereits seit mehr als vier Monaten und hat eine bedeutende Auswirkung im wichtigsten Indust-riegebiet des Landes, wie die Solidaritätskundgebungen ver-deutlichen. Die ArbeiterInnen von der Zeitung Eleftherotypia, seit der Vorweihnachtszeit im Streik, haben bereits zwei Aus-gaben unter ArbeiterInnenkontrolle herausgegeben, welche bereits in allen Kiosken ausverkauft sind. Dasselbe geschieht mit den Beschäftigten des Fernsehsenders Alter, den sie seit drei Monaten besetzt halten. Es gibt Beschäftigte in Kranken-häusern, die sich in die selbe Richtung, bewegen – und nicht nur in Athen.

Der harte Generalstreik vom 29. März im Spanischen Staat, mit Massenmobilisierungen und Streikposten, in denen Arbeite-rInnen, Arbeitslose und Studierende zusammenkommen, stellt einen Wendepunkt im Kampf der Massen dar. Neben diesen objektiven Elementen ist es nötig, in Betracht zu ziehen, dass die ArbeiterInnen und Jugendlichen diesen Kampftag als Erfolg erlebt haben. Dies war seit Jahren nicht der Fall und stellt ein zentrales subjektives Element – den Beginn der Wahrnehmung der eigenen Stärke – für die Bewegung dar. Die bei den Streik-posten bzw. auf der Straße erreichte Einheit zwischen jungen AktivistInnen, gewerkschaftlich organisierten ArbeiterInnen und Arbeitslosen bzw. prekär Beschäftigten, die in vielen Fällen nicht streiken konnten, kann der Keim von neuen Organen der Massen oder der Umgruppierung von AktivistInnen sein, die den von der Bürokratie auferlegten Rahmen sprengen.

Alle diese Elemente beweisen, dass der 15. Mai – mit allen seinen Widersprüchen und seinen offensichtlichen Grenzen – ein Katalysator der angehäuften sozialen Wut war, die sich auf-grund der lakaienhaften Rolle der Gewerkschaften CCOO und UGT im Dienste der Regierung von Zapatero (2010 war ein Jahr mit einem Streiks auf sehr niedrigem Niveau) in keiner ande-ren Form ausdrücken konnte. Der Regierungswechsel und die Schärfe des Angriffs, der jeden Versuch der Wiederbelegung der Sozialpartnerschaft trotz der unterwürfigen Haltung der Gewerkschaftsführungen zerstört, ließen ihnen diesmal keinen Ausweg. Andererseits haben Kürzungen in den verschiedens-ten Bereichen Bevölkerungsgruppen in den Kampf gerissen, die bisher noch passiv waren.

Diese Kampflust hat Eindruck und Besorgnis bei der spani-schen, europäischen und internationalen Bourgeoisie verur-sacht. Die unerwarteten politischen Misserfolge der „Volkspar-tei“ PP bei den Wahlen in Andalusien und Asturien, der Erfolg des Generalstreiks vom 29. März und der steigende Druck der Eurogruppe haben hundert Tage nach Mariano Rajoys Wahlsieg mit absoluter Mehrheit zu einer neuen politischen Situation ge-führt. Sein Handlungsfeld verkleinert sich rasch, gleichzeitig erodiert seine soziale Basis während sich sich die Kampfkraft und der Kampfwille der Ausgebeuteten reaktivieren.

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In welcher Etappe des Klassen-kampfes befinden wir uns?Die Lage der europäischen ArbeiterInnenklasse und das Programm und die Strate-gie für einen Sprung im Klassenkampf in Europa

Der 15. Mai war – mit allen sei-nen Widersprüchen und seinen

Grenzen – ein Katalysator der angehäuften sozialen Wut.

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Italien und FrankreichBei diesem Widerstand der ArbeiterInnen und der Massen gegen das Europa der Sparmaßnahmen ist eines der zentralen Bataillo-ne abwesend: die kämpferische und mächtige italienische Arbei-terInnenklasse. Das ist die Konsequenz aus der unheilvollen Rolle, die die plötzliche Transformation der PCI – dann der PDS – zu ei-ner weiteren bürgerlichen Partei wie der Demokratischen Partei (PD) spielte. Die PD hat mit ihrer Mäßigung und ihrem liberalen Programm zuerst die Tore für die Rückkehr der populistischen Rechten Berlusconis geöffnet. Als sich dieser in ein absolutes Hindernis für die Reformnöte der italienischen Großbourgeoisie und der stärksten Regierungen der EU verwandelte, ebnete die PD der bonapartistischen Regierung Montis den Weg. Links da-von spielte Rifondazione Comunista eine ebenfalls schreckliche Rolle. Diese Transformationen der Organisationen, an die die ArbeiterInnen glaubten und die sie jahrzehntelang aufbauten, läuteten einen Rückgang der Kräfte der Massen und der italieni-schen Gesellschaft ein, die schon lange Jahre andauert.

Wird die Reform des Artikels 18 des „Status der ArbeiterInnen“ diese Dynamik brechen? Dieses Gesetz, welches die Arbeitsnor-men reguliert und während des Aufstiegs des Klassenkampfs der 1970er Jahre in Kraft trat, zwingt den Bossen und dem Staat einige Rechte der ArbeiterInnen auf. Mit ihrer Entscheidung, es in der Praxis zu eliminieren – eine Forderung der EU, der EZB und des IWFs – möchte die Regierung Monti Massenentlas-sungen erleichtern, die Höhe der Abfindungen verringern und prekäre Arbeitsbedingungen ausweiten. Die „Reform“ will der ArbeiterInnenklasse einen direkten Schlag versetzen.

Dieses Vorgehen kann die Regierung Zuspruch kosten. Die Initiativen der Basisgewerkschaften multiplizieren sich. Der wachsende Druck von unten und die Schwierigkeiten einer schnellen parlamentarischen Zustimmung, bei der die Unter-stützung der PD notwendig ist, führten Monti dazu, in einigen Punkten des Gesetzes „Kompromisse“ einzugehen.

Die europäischen Regierungen, besorgt durch die Situation von Rajoy, fürchten die politische Instabilität in Italien mehr als eine gewaltsame Durchsetzung des Gesetzes, die der Regie-rung die parlamentarische Unterstützung kosten und vor allem die italienische ArbeiterInnenklasse aufwecken könnte – eine ArbeiterInnenklasse mit einer Tradition großer Kämpfe.

In Frankreich erlaubte es die durch die sozialpartnerschaft-liche Gewerkschaftsbürokratie eingefahrene Niederlage im Kampf gegen die Rentenreform, den Wut und den Hass gegen die Regierung Sarkozys in parlamentarische Bahnen zu lenken. Das bedeutete nicht, dass sich die Zahl der Streiks und Kon-flikte verringerte. Sie stieg sogar an. Jedoch hatten diese nur eine lokale, regionale oder sektorale Ausdehnung. Die Sorge um Arbeitsplätze und Kaufkraft sind weiterhin Themen, die die Franzosen und Französinnen am meisten beschäftigen – und das trotz der Instrumentalisierung des xenophoben und rassis-tischen Diskurses seitens der Rechten und extremen Rechten, insbesondere nach den Attentaten von Toulouse.

Was können wir also in den nächsten Monaten erwarten? Wird ein Sieg Sarkozys zu einer neuen Bewegung, ähnlich der gegen die Rentenreform im Herbst 2010, führen? Andere soziale Ausei-nandersetzungen sind zu erwarten, wenn Hollande gewinnt. In diesem Szenario wird „Hollandreou“ ebenfalls versuchen, Kürzun-gen durchzusetzen, aber dabei einen sozialen Dialog aufrechter-halten und darauf hoffen, dass die Gewerkschaftsverbände sich nicht gleich im ersten Moment auf soziale Konflikte einzulassen.

Können wir also – auf einer breiteren und im Bezug auf die Ziele fortgeschritteneren Skala – eine Welle harter Konflikte vor-hersagen? Solche wie diejenigen, die Frankreich 2009 erschüt-terten und sich durch radikale Methoden wie der Entführung von Bossen auszeichneten und oftmals am Rande der Politik der großen Gewerkschaften statt fanden? Sie waren damals ein Vorbote der Massenkämpfe von 2010. Selbst wenn die Gewerk-schaftsbürokratien, trotz ihrer Erschöpfung, die ArbeiterInnen

momentan in Schach halten können, könnte dann nicht die Studierendenbewegung den Posten übernehmen und als Re-sonanzkörper des tiefgründigen Unbehagens auftreten, das in Frankreich seit Jahren existiert und durch die Krise nur ver-schlimmert wurde? Sicher ist, dass die französischen ArbeiterIn-nen und Studierenden von sich reden lassen werden.

Die Strategie der Bürokratie Die Mehrzahl der zuvor genannten Kämpfe gegen die Offen-sive der herrschenden Klasse werden zur Niederlage führen, wenn sie die Strategie der Gewerkschaftsbürokratie nicht über-winden. Den „sozialen Dialog“ und „echte Verhandlungen“ über die Kürzungspläne (mit dem Scheinargument der Verhand-lungsverweigerung seitens der Regierung) zu fordern, bedeu-tet von vornherein die Logik der Regierung und somit die der herrschenden Klasse zu akzeptieren.

So haben die zwei großen Gewerkschaftsverbände im spa-nischen Staat, UGT und CCOO, mit allen Mitteln versucht, eine Konfrontation mit der Regierung des Präsidenten Mariano Rajoy zu vermeiden – und zwar seit dieser im vergangenen Novem-ber die Regierung übernahm. Zwei Monate baten die Gewerk-schaften in Dreiergesprächen mit der „Volkspartei“ (PP) und den UnternehmerInnen um Zugeständnisse. Als klar wurde, dass es keine geben würde, haben sich die Gewerkschaftsführungen widerwillig zu Aktionen entschieden. Nach dem erfolgreichen Streik vom 29. März räumten sie der Regierung dann bis zum 1. Mai eine neue Frist für Verhandlungen ein, während diese am nächsten Tag einen wahren Kriegshaushalt verabschiedete.

Ein noch skandalöseres Beispiel ist die Haltung der portugiesi-schen Gewerkschaftszentralen. Angesichts der drakonischen An-passungsmaßnahmen hat die dortige UGT die Arbeitsreform ge-gen manche Zugeständnisse akzeptiert und hält weiterhin an der Idee eines Sozialvertrags mit der Exekutive und den Unterneh-merInnen fest. Die von der Kommunistischen Partei angeführte CGTP hat sich über ihren Generalsekretär Arménio Carlos mit den nach Portugal eingereisten Delegierten der Troika versammelt, um u.a. über die Notwendigkeit zu sprechen, „die Beträge des Rettungsplans zu erhöhen“. Der Aufruf zum Generalstreik vom 22. März stellt die Notwendigkeit „eines Politikwechsels“ fest, die „die Neuverhandlungen der Schulden (Raten, Interessen, Gesamtbe-träge) und die Verlängerung der Frist für die Defizitreduzierung“ fördert. Außerdem strebt sie die „Aufnahme einer Politik für die Förderung des wirtschaftlichen Wachstums, der Investitionen und der Dynamisierung des produktiven Sektors“ an.

Die unterschiedlichen Gewerkschaftsführungen halten ihren verräterischen Kurs auf Klassenversöhnung. Deshalb sind sie unfä-hig, sich einen Kampf vorzustellen, der die bestehende kapitalis-tische Ordnung stürzt. Jedoch ist das die einzige Perspektive, um unter den aktuellen Krisenbedingungen des Systems zu siegen.

Für einen Kampf bis zum EndeAlle bisher beschriebenen Aktionen haben die Beschränkung, dass sie lediglich Druckaktionen sind, die von den Gewerk-schaftsführungen kanalisiert werden. Ein wesentliches Element zur Überwindung dieses Stadiums ist die Notwendigkeit eines offensiven Programms gegen das Kapital. Die Gewerkschafts-bürokratien sind Feinde jeglicher Politisierung eines Konfliktes.

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Die unterschiedlichen Gewerkschaftsführungen halten ihren verräterischen Kurs auf Klassenversöhnung.

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Deshalb weigern sie sich, die breiteren Schichten des Proleta-riats in den Kampf zu ziehen, die dies nur im Angesicht einer echten Perspektive tun. Wie Trotzki sagte: „Um festzustellen, in welchem Maße die Massen zum Generalstreik bereit sind und um gleichzeitig die Kampfstimmung der Massen zu erhöhen, gilt es, ihnen ein revolutionäres Aktionsprogramm vorzulegen.“

Teillosungen (wie „Nieder mit den Kürzungsplänen!“ oder „Stoppt die Arbeitsreformen!“) bis hin zu einem System von Übergangslosungen sind notwendig, um die zentrale Aufgabe unserer Epoche, die Machteroberung durch die ArbeiterInnen-klasse, in Angriff zu nehmen. Anders gesagt, nur die Existenz einer glaubwürdigen Alternative zur kapitalistischen Offensive kann die Lohnabhängigen und ihre Organisationen von der Notwendigkeit überzeugen, ihre Aktionen zu verschärfen und den Weg zu politischen bzw. revolutionären Generalstreiks eb-nen. Die Mehrheit der Organisationen der radikalen Linken in Europa verweigert sich diesem Kampf – in Ländern wie Frank-reich manchmal mit links klingenden Argumenten wie: „Der Generalstreik kann nicht angeordnet werden“ – um sich in der Realität doch nur der Strategie der Bürokratie anzubiedern.

Jedoch ist es eine grundlegende Notwendigkeit, ein Pro-gramm und eine strategische Alternative zu entwickeln. Nur so kann vermieden werden, dass an den Kräften zehrende und perspektivlose Streiks dazu führen, dass keine ernsten Er-gebnisse erzielt werden. Solche Streiks können das Proletariat schwächen und im schlimmsten Fall erschöpfen. Die Lage in Griechenland ist der Beweis. Im Lauf der letzten Jahre haben Hunderttausende GriechInnen die Straßen besetzt. Somit zeig-ten sie einen enormen Kampfwillen bei den von ihren Gewerk-schaften zahlreich organisierten ein- bis zweitägigen General-streiks. Aber keine dieser Aktionen hat die ununterbrochene Abfolge von Kürzungsmaßnahmen verhindert.

Was die griechischen ArbeiterInnen brauchen, ist kein neuer befristeter und perspektivloser Generalstreik. Stattdessen ist der nun notwendige Schritt der Ausruf eines politischen und unbefristeten Generalstreiks, der die Regierung zu Sturz bringt. Jede andere Strategie droht die sich entwickelnden Radikali-sierungstendenzen in Demoralisierung und Niederlage zu er-sticken, denn: „Man darf jedoch auch nicht glauben, dass die Ra-dikalisierung der Massen von selbst und automatisch zunehmen werde. Die Arbeiterklasse erwartet von ihren Organisationen eine Initiative. Wenn sie merken wird, dass sie in ihren Erwartungen enttäuscht wurde – und diese Stunde ist vielleicht nicht so fern – dann wird der Radikalisierungsprozess abbrechen, in Mutlosigkeit und Erschlaffung und vereinzelte Verzweiflungsausbrüche um-schlagen. Am Rande des Proletariats werden sich zu den anarchis-tischen faschistische Tendenzen gesellen. Der Wein wird zu Essig geworden sein.“2

Ein Programm gegen das KapitalIn Europa, vor allem in den stärksten imperialistischen Mächten, ist die protektionistische Demagogie, die die Krise ausnutzt, mit Macht wieder erschienen. Die bürgerlichen Parteien versuchen, sowohl von rechts als auch von „links“, die Vorstellung im Kopf der ArbeiterInnen zu verankern, dass die Lösung im nationalen Rahmen zu suchen wäre. Nehmen wir Frankreich als Beispiel. Die radikale Rechte der FN ist zweifellos der extreme Fall mit ihrem nationalbornierten Diskurs, französische Produkte vorzu-ziehen und die „Schließung der Grenzen“ oder die „selektive Ein-wanderung“ wegen der „Bedrohung der nationalen Identität“ zu fordern. Das Ziel dieser Maßnahmen besteht nicht darin, die ArbeiterInnen vor den KapitalistInnen zu schützen. Es soll sie statt dessen gegen die Lohnabhängigen schwächerer Länder aufhetzen. Aber auch für die reformistische Linke von Mélen-chon ist „Frankreich“ der Ausgangspunkt, genauso wie für alle

2. Leo Trotzki: Wohin geht Frankreich? 1936. http://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1935/wohinfr2/03.htm

PolitikerInnen, die den französischen Kapitalismus schützen. Für RevolutionärInnen ist es eine elementare Pflicht, gegen re-aktionären Patriotismus und gegen den imperialistischen Staat zu kämpfen: „Ein ‚Sozialist‘, der die nationale Verteidigung predigt, ist kleinbürgerlicher Reaktionär im Dienste des faulenden Kapita-lismus. Während des Krieges sich nicht an den Nationalstaat ket-ten, sich leiten lassen nicht von der Kriegskarte, sondern der Karte des Klassenkampfes, kann nur die Partei, welche dem National-staat schon in Friedenszeiten unversöhnlichen Krieg erklärt hat. Nur wenn sie die objektiv reaktionäre Rolle des imperialistischen Staates vollauf begreift, kann die proletarische Vorhut gefeit sein gegen Sozialpatriotismus aller Art. Das bedeutet: Der wirkliche Bruch mit Ideologie und Politik der ‚nationalen Verteidigung‘ ist möglich nur vom Standpunkt der internationalen proletarischen Revolution möglich.“3

Wir RevolutionärInnen reden nie von der Verteidigung der Beschäftigung oder der Verteidigung des Lohns aus der Pers-pektive der Interessen der herrschenden Klasse – auch dann nicht, wenn es sich um die rückständigste Bourgeoisie handelt, die nicht ohne die Grenzen überleben kann. Unser Ausgangs-punkt ist ein anderer, er ist der Klassenstandpunkt der Verteidi-gung der einzigen progressiven Klasse der Menschheit. Trotz-ki benennt dies deutlich im Übergangsprogramm, wenn er rechtfertigt, wieso die ArbeiterInnen angesichts der auch heute wieder auftretenden Übel der chronischen Arbeitslosigkeit und der steigenden Lebenshaltungskosten die Forderung nach der „Gleitenden Skala der Löhne und der Arbeitszeit“ stellen müs-sen. Dort sagt er: „Es geht um Leben und Tod der einzig schöpfe-rischen und fortschrittlichen Klasse und damit um die Zukunft der Menschheit selbst. Wenn der Kapitalismus unfähig ist, die Forde-rungen zu befriedigen, die unausweichlich aus den Übeln hervor-gehen, die er selbst erzeugt hat, dann soll er untergehen!“4

Über diesen Punkt kann es nicht die kleinste Verwirrung ge-ben. Besonders nicht angesichts der Tendenzen zur Deindustri-alisierung vieler Länder Europas, insbesondere Frankreichs und den Ländern der Peripherie. Unser Programm ist das Programm der Verteidigung der Interessen der ArbeiterInnen und nicht das anderer Sektoren. Deshalb widersetzen wir uns kategorisch jeder Forderung wie der folgenden, die sowohl die Bosse als auch die Gewerkschaften erheben: „Wir müssen die industrielle Beschäftigung ankurbeln, um Arbeitsplätze zu erhalten“. Denn dies mündet in der Auffassung einer gewissen „nationalen Wirtschaft“, die harmonisch zwischen den unterschiedlichen Produktionszweigen des heimischen Kapitals, die der aktuellen Arbeitsteilung entgegengesetzt ist, stünde. Gegenüber diesem Mischmasch verteidigen wir die Beschäftigung und lehnen die Arbeitslosigkeit ab. Der aktuelle Wirtschaftskrieg zwischen den verschiedenen KapitalistInnen ist nicht unserer Krieg. Wenn das Kapital eine Lösung auf das von ihm geschaffene Übel nicht fin-det, dann soll es untergehen.

Das dringende Problem der FührungDer fortgeschrittene Klassenkampf in Griechenland erfordert eine revolutionäre Organisation, die sich durch ein Programm auszeichnet, das die Zahlungen der Auslandsschulden verwei-gert, die Enteignung der Banken und der bedeutendsten Teile der griechischen Produktion unter einer ArbeiterInnenregie-rung anstrebt und auf ein Außenhandelsmonopol abzielt. Eine solches Programm kann das kämpfende Proletariat in Griechen-land zum Sieg auf nationaler Ebene führen und so einen revolu-tionären Impuls durch ganz Europa senden, um den Kampf auf die schließlich entscheidende internationale Ebene zu tragen.

3. Leo Trotzki: Krieg und die Vierte Internationale. 1934. http://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1934/kriegvi/teil1.htm

4. Leo Trotzki: Das Übergangsprogramm. 1938. http://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1938/uebergang/ueberg1.htm

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von Pierre Tellimer und Victor Jalava (RIO, Berlin)

Die Ergebnisse des ersten Wahlgangs der französischen Prä-sidentschaftswahlen sind da: Bei einer relativ hohen Betei-

ligung (80%) liegt François Hollande, der Kandidat der sozial-liberalen Parti Socialiste (PS) mit rund 29% vorn, während der Amtsinhaber Nicolas Sarkozy mit 27% auf den zweiten Platz kommt. Diese Wahl ist eine klare Niederlage für Sarkozy, denn zum ersten Mal in der Geschichte der Fünften Republik lag ein amtierender Präsident beim ersten Wahlgang nicht in Führung.

Die größte Überraschung ist aber das historische Ergebnis der rechtsextremen Front National (FN), die 18% der Stimmen, sprich 6,5 Millionen WählerInnen, erreicht hat. Obwohl die Kan-didatin Marine Le Pen im Gegensatz zum FN-Kandidaten Jean-Marie Le Pen im Jahr 2002 die Stichwahl nicht erreicht hat, hat sie das Ergebnis ihres (politischen und biologischen) Vaters überholt, da dieser selbst in der zweiten Runde fast eine Million Stimmen weniger erreichte. Wir werden weiter unten versu-chen, die Bedeutung des Erfolges der Rechtsextremen zu erklä-ren. Zuerst jedoch im Hinblick auf die zweite Stichwahl: Was ist das für eine Wahl zwischen „Merkozy“ und „Hollandreou“?

Sarkozy wird aus guten Gründen von ArbeiterInnen gehasst. Der konservative Präsident war vor allem wegen seiner Renten-reform ein offener Feind der Massen, die im heißen Herbst 2010 gegen seine Regierung kämpften. Sarkozy steht für aggressive Sparprogramme, Repression und Rassismus, ebenso für Steu-ergeschenke an die Reichsten, zu denen er teilweise (z.B. zu Lagardère oder Bolloré) ein enges persönliches Verhältnis hat, was einige politische Affären nach sich zog (Karachi-Affäre, Be-tancourt-Affäre usw.). Auf europäischer Ebene ist der Wunsch-kandidat der französischen Bourgeoisie der unterwürfige Juniorpartner des deutschen Kapitals und unterstützt dessen Vorherrschaft, weswegen sein Name mit dem der deutschen Kanzlerin verschmolzen wird.

Der Glaube, François Hollande wäre eine Alternative, ist aber Augenwischerei. Letztlich ist der Sozialliberale, der von seinem Kontrahenten von der reformistischen „Linksfront“1, Mélenchon, zurecht den Spitznahmen „Hollandréou“ (in Anlehnung an den ehemaligen griechischen Premier Papandreou) bekommen hat, die zweite Patrone im Gewehr der Bourgeoisie. Hollande, der durch eine taktische Wahl gegen Sarkozy in den Élysée-Pa-

1. Die „Linksfront“ besteht aus der Linkspartei (PG) und der stalinistischen Kommunistischen Partei (PCF).

last einziehen könnte, vertritt genau wie Papandreou ein Pro-gramm, das „ethisch“ kürzt, das die schlimmsten Reformen mit Entschuldigungen durchsetzt, während Sarkozy lieber auf Kon-frontationen und Knüppel setzte. Sein Diskurs im Wahlkampf ist zwar relativ links (so fordert er eine 75%ige Steuer für Haushalte mit einem Einkommen von mehr als einer Million Euro im Jahr), doch diese Positionierung ist eine rein taktische Reaktion auf die Stimmung der ArbeiterInnen, die sich auch in den Umfragen für die Front de Gauche („Linksfront“) aussprachen.

Obwohl deren Kandidat Mélenchon sein Ziel, Marine Le Pen zu überholen, nicht erreicht hat (er erreichte nur die vierte Pos-tion mit 11,1 %, weit entfernt von den 17,9% der FN), ist der Auf-schwung der Linksfront während des Wahlkampfes bemerkens-wert. Mélenchon sprach vor mehreren Massenversammlungen mit jeweils mehr als hunderttausend TeilnehmerInnen. Seine radikale Rhetorik und deren Erfolg stellt dabei für uns Revoluti-onärInnen die Frage, was mit der NPA (Neue Antikapitalistische Partei) los ist, deren Gründung 2009 für Begeisterung in großen Teilen der radikalen Linken Europas sorgte. Die Wahlniederla-gen der NPA bei den Regionalwahlen, den europäischen Wah-len und jetzt bei der Präsidentschaftswahl (diesmal mit 1,15%) verursachten eine massive Krise in der Partei, da diese antikapi-talistische Organisation stark auf Wahlen orientiert ist.

Krise der NPAHatte die Gründung der NPA in Frankreich in einem Kontext erfolgreicher Massenproteste (wie der Bewegung gegen das CPE-Gesetz 2006, mit dem das Arbeitsrecht liberalisiert werden sollte) und der Krise des Kapitalismus euphorische Züge, ist die Euphorie heute längst vorbei und die NPA in eine offene politi-sche Krise geraten – eine Krise, die sich noch dadurch verschärft hat, dass einige Führungsmitglieder der NPA zur Wahl des Kan-didaten der Linksfront, Mélenchon, aufriefen, obwohl die NPA zahlreiche undemokratische Hürden überwinden musste, um einen eigenen antikapitalistischen Kandidaten bei der Präsi-dentschaftswahl aufstellen zu dürfen: Philippe Poutou, Arbeiter in der Automobilindustrie.

Dabei wurde die NPA mit hohen Erwartungen gegründet. Nach den wiederholten Wahlerfolgen ihres Kandidaten Olivi-er Besancenot in den Präsidentschaftswahlen 2002 und 2007 (4,25% bzw. 4,08%) entschied sich die LCR (Revolutionär-kom-munistische Liga, französische Sektion des Vereinigten Sekreta-riats der Vierten Internationale), sich aufzulösen, um eine breite antikapitalistische Partei zu gründen. 17

Wahlen in Frankreich: Eine Epochenwende?

Niederlage für Sarkozy, Aufschwung der Front National, Halberfolg der Linksfront und Krise der NPA – Bedeutung

und Perspektiven der Präsidentschaftswahlen in Frankreich

Die Kandidaten Sarkozy (Spitzna-me: Rolex) und Hollande (Spitz-name: Pudding)

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Das Projekt der Neuen Antikapitalistischen Partei war von An-fang an sehr elektoralistisch, d.h. auf Wahlen fixiert. Pierre François Grond, Führungsmitglied der NPA, erklärte 2009, dass die Wahler-folge der LCR ein Zeichen dafür wären, dass es einen „politischen Raum“ für eine breite antikapitalistische Partei gäbe. Die andert-halb Millionen WählerInnen Besancenots wurden als potenzielle Mitglieder einer solchen Partei gesehen. Um dieses Potenzial voll auszuschöpfen, ging die LCR mit ihrer Auflösung einen großen Schritt voran in der Liquidation des revolutionären Erbes des Trotzkismus (seit vielen Jahren hatte sich die LCR vom Trotzkis-mus distanziert, bekannte sich aber formell noch zu ihm).

Die programmatischen Eckpunkte der NPA, „Unsere Ant-worten auf die Krise“, positionierten sich nicht deutlich für eine revolutionäre Strategie. Stattdessen enthielten sie verschwom-mene Forderungen wie „eine Regierung im Interesse der Be-völkerung“ und verweigerten jeden Bezug zum Trotzkismus. Unsere GenossInnen der Trotzkistischen Fraktion (FT-CI) in Frankreich hatten schon während des Gründungsprozesses der NPA 2008-2009 diese elektoralistische und zentristische2 Aus-richtung scharf kritisiert3. Sie entschlossen sich aber, die Erfah-rung der NPA als Mitglieder zu begleiten, um in einer Partei mit Tausenden neuen AktivistInnen für eine revolutionäre Strategie anstelle des Kamikaze-Kurses der Führung zu kämpfen.

Bei ihrer Gründungskonferenz 2009 zählte die NPA 10.000 Mitglieder in zahlreichen Komitees. Seitdem ist die Zahl auf 3.500-4.000 geschrumpft und viele Komitees haben aufgehört zu existieren. Wie kann man dieses Ausbluten der Mitglied-schaft erklären?

Der „französische Herbst“ 2010, die Bewegung von Streiks und Demonstrationen gegen die Rentenreform von Sarkozy, war die größte Protestwelle in Frankreich seit 1995. Die Mitglie-der der NPA waren zwar stark im Kampf engagiert, aber die NPA insgesamt konnte sich nicht als Alternative zur Gewerkschafts-bürokratie positionieren, während die BürokratInnen diese millionenstarke Bewegung in eine Niederlage führten. Die in-teressantesten Versuche der Selbstorganisierung, die interpro-fessionellen Versammlungen (Interpros) wurden nur von einem Teil der NPA aktiv unterstützt. Der Französische Herbst war eine

2. MarxistInnen verwenden den Begriff Zentrismus, um all jene Strömun-gen, zu beschreiben, die zwischen revolutionärem Marxismus und reformistischen Utopien schwanken. Dabei kann die politische Bewe-gungsrichtung zwischen den Polen höchst unterschiedlich sein. Viele Organisationen beklagen sich über die Zersplitterung und propagieren dagegen in verschiedener Form das „zentristische Prinzip der Einheit um jeden Preis“ (Trotzki).

3. Cinatti, Claudia: „Welche Partei für welche Strategie?“ http://www.ft-ci.org/article.php3?id_article=1544?lang=de.

weitgehend verpasste Gelegenheit für die NPA als antikapitalis-tische Kraft, die vorher viel Zeit und Energie auf die regionalen und europäischen Wahlen verschwendet hatte – um dort große Niederlagen einzufahren4.

Aber der Hauptgrund für die Krise der NPA ist nicht einmal die verpasste Gelegenheit im Herbst 2010, sondern ihre utopische Konzeption, eine Partei ohne klare Strategie sein zu können. Die Krise der NPA zeigt, dass eine Partei sich den Luxus nicht gönnen kann, sich in der strategischen Frage nach Sozialreform oder Re-volution nicht zu entscheiden. Dieser Versuch, RevolutionärIn-nen und ReformistInnen in einer diffusen politischen Synthese zu vereinigen, ist die Grundursache für die Krise der NPA.

Diese Krise (die sich beim ersten Kongress oder während der Konferenz zur Präsidentschaftswahl im Juni 2011 gezeigt hat) ist nämlich nicht ein Problem von persönlichen Streitigkeiten oder ein Ausdruck des niedrigen Klassenbewusstseins in Frank-reich, sondern ein Produkt von zentrifugalen Kräften innerhalb der NPA, die die Partei zerreißen.

Was kann die NPA retten, bzw. was hätte sie retten können? Die Wahlen zeigen, dass der politische Raum, für den die NPA gegründet wurde, jetzt von der Linksfront besetzt wird. Die Linksfront ist eindeutig reformistisch (obwohl ihr Diskurs für ei-nige sogar revolutionär klingen kann) – gegen sie kann die zen-tristische NPA mit ihrem „unehrlichen“, unklaren Reformismus nicht ankommen. Die NPA kann deshalb nur als revolutionäre Partei existieren – Zentrismus bringt sie zum Zerreißen, Refor-mismus zur Auflösung. Deshalb ist es nötig, innerhalb der NPA für eine revolutionäre Strategie zu kämpfen.

Mitglieder der NPA, die dem opportunistischen Inhalt des Projekts widersprechen und stattdessen ein revolutionäres Pro-gramm und seine Umsetzung fordern, haben sich als Courant Communiste Révolutionnaire (Revolutionär-kommunistische Strö-mung) innerhalb der NPA konstituiert. Die Mitglieder der FT-CI (Trotzkistische Fraktion – Vierte Internationale) in Frankreich sind ein Teil der CCR. Die GenossInnen der CCR bekämpfen die elekto-ralistische Ausrichtung der Parteiführung und die Degradierung der ArbeiterInnenbewegung zu einem von vielen „Feldern“ der antikapitalistischen Politik. Demgegenüber vertreten sie die Po-sition, dass die NPA nur mit einem revolutionär-marxistischen Programm, orientiert auf die Macht der ArbeiterInnen, überle-ben und sich zu einer Kraft entwickeln kann, welche die Masse der Lohnabhängigen dazu befähigt, die Angriffe des kapitalisti-schen Regimes zurückzuschlagen und die revolutionäre Offensi-

4. Für eine genauere Einschätzung des Französischen Herbstes und der Rolle der NPA, siehe unsere Broschüre „Frankreich brennt!“ http://www.klassegegenklasse.org/frankreich-brennt/.

Philippe Poutou, Arbeiter in der Auto-

mobilindustrie und Kandidat der NPA

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ve vorzubereiten, die an die Stelle der Diktatur der Bourgeoisie die Diktatur des Proletariats setzt. Die CCR stellt dabei eine kleine Minderheit in der NPA dar – einen kleinen, aber prinzipienfesten Pol, der für revolutionär-marxistische Einheit kämpft, während VertreterInnen der Mehrheitsfraktionen, welche die strategisch diffuse Einheit aller AntikapitalistInnen propagieren, angesichts des ausbleibenden Erfolges nach rechts zur „Linksfront“ Jean-Luc Mélenchons schielen und die Spaltung der NPA vorbereiten.

Die LinksfrontWas erklärt die Dynamik der Linksfront? Sie passt einfach bes-ser zum bestehenden Bewusstsein eines Großteils der Arbeite-rInnen als die NPA. Die Linksfront kommt aus der etablierten Parteienlandschaft (als Bündnis der lange reformistisch gewor-denen Kommunistischen Partei und einer Linksabspaltung von der Sozialistischen Partei) und ihr Kandidat Mélenchon könn-te vielleicht als „französischer Lafontaine“ bezeichnet werden: Als ehemaliger Staatssekretär in der sozialliberalen Regierung Jospin (1997-2002) idealisiert er die Präsidentschaft Mitterands (1981-95), was ihn jedoch nicht daran hindert, äußerst radikale Reden zu schwingen: Er forderte gleich 100% Einkommens-steuer für die Haushalte, die mehr als eine Million Euro jährlich verdienen, versprach einen Beschäftigungsplan im öffentlichen Sektor, die Rückkehr zur Rente ab 60 und einen Mindestlohn von 1700 Euro brutto direkt nach den Wahlen, um bis zum Ende der Legislaturperiode 1700 Euro netto zu erreichen. Da-bei spricht er von einer „révolution citoyenne“ („Revolution der StaatsbürgerInnen“) für eine Sechste Republik.

Mit seinem offensiven Reformismus hat er die Unterstützung vieler GewerkschaftsbürokratInnen hinter sich. Die Ergebnisse und die massiven Wahlkampfveranstaltungen zeigen, dass Mé-lenchon es schon geschafft hat, einen großen Teil der Protes-tierenden des französischen Herbstes anzuziehen. Sein vierter Platz weit hinter der FN zeigt aber die Grenzen seiner reformisti-schen Strategie und seiner Nähe zur PS. Folgende Fragen müs-sen aber noch beantwortet werden: Warum hat die Linksfront die Front National nicht überholt, und was wird die Linksfront mit der dennoch hohen Unterstützung anfangen?

Die WahlenDie Wahlen in Frankreich bekräftigen unsere Analyse der aktu-ellen historischen Periode als eine neue Zeit von Krisen, Kriegen und Revolutionen5. Hollande wird wahrscheinlich in der zwei-ten Runde zum Präsidenten gewählt werden, aber die Bedeu-tung der Wahl liegt nicht in seinem Erfolg (der in hohem Maße der taktischen Wahl gegen Sarkozy und Le Pen geschuldet ist), sondern eher im Erfolg der Front National. Dabei wird die wahrscheinliche Zersplitterung der konservativen Partei UMP nach der Niederlage Sarkozys auch zu einer politischen Neu-zusammensetzung der Rechten führen, mit einer nationalisti-schen und bonapartistischen Rechten neben der FN einerseits und einer eher liberalen Rechten andererseits. Die autoritären Tendenzen in Europa vor dem Hintergrund des sich verschär-fenden Klassenkampfes auf europäischer Ebene bekommen so auch in Frankreich einen schärferen Ausdruck6.

Hollande ist alles andere als der Inbegriff des sozialen Wan-dels, obwohl sein Slogan lautet: „Der Wandel kommt jetzt!“ Man sollte sich von der Hollande‘schen Wende nichts erhoffen: Er wird, wie es in seinem Programm steht, ein Sparprogramm durchsetzen und weder willens noch fähig sein, einen Gegen-pol zur heutigen deutschen Führung Europas aufzubauen.

Für die ArbeiterInnenklasse besteht deshalb in der zweiten

5. Siehe dazu Albamonte, Emilio: „An den Grenzen der „bürgerlichen Restauration“. Zur Aktualität des Erbes von Leo Trotzki und der Vierten Internationale“ Klasse gegen Klasse Nr. 1.

6. Siehe dazu Chingo, Juan: „Ein neuer bonapartistischer Kurs in Europa“ Klasse gegen Klasse Nr. 2

Runde keine Wahl: Sarkozy wählen bedeutet noch weitere fünf Jahre aggressive Sparpolitik, Korruption, imperialistische Krie-ge und staatlicher Rassismus. Hollande zu wählen bedeutet das Gleiche – außer, dass er sich öfter dafür entschuldigen wird. Die taktische Wahl gegen Sarkozy macht deswegen keinen Sinn.

Und die FN kann nicht bei den Wahlen zerschlagen werden,

sondern nur auf der Straße. Die Linksfront und ihre Sympathi-santInnen müssen diese Lehre endlich ziehen.

Warum entscheiden sich eigentlich immer mehr kleine Beamt-Innen, abgestiegene Angehörige der Mittelschicht und sogar ein Rand der ArbeiterInnen für die Front National? Im Wesentlichen deshalb, weil die sozialdemokratischen Parteien (die diese Schich-ten gewöhnlich wählen) durch die aggressive neoliberale Politik massiv an Vertrauen verloren haben, und weil die reformistischen Parteien wie die Linksfront wegen ihrer sofortigen Unterstützung der PS gleich am Abend nach der ersten Runde nicht als Alterna-tive zum Regime angesehen werden. Durch die Anbiederung der Linksfront an die PS erscheint die FN als „einzige oppositiopnelle Kraft“. Das ist für die ArbeiterInnenklasse verheerend.

Aus diesem Grund hat die CCR die Kampagne von Philippe Poutou, der für die NPA zu den Präsidentschaftswahlen antrat, unterstützt: als Arbeiter der Automobilindustrie hat er sich seine Orden im Klassenkampf erworben, und nicht in den politischen Apparaten wie Mélenchon. Er ist der Kandidat der Revolutionär-Innen, der immer gesagt hat, dass die ArbeiterInnenklasse nie durch Wahlen gesiegt hat, sondern immer im direkten Klassen-kampf. Gleichwohl beugte auch er sich dem Druck der zentris-tischen Führung der NPA, Hollande indirekt zu unterstützen, indem er nicht direkt zu einer ungültigen Wahl im zweiten Wahl-gang aufrief (was die Notwendigkeit eines Kampfes für eine re-volutionäre Politik innerhalb der NPA nur noch verdeutlicht).

Die Stichwahl, mit Sarkozy und Hollande, kann nur der Bour-geoisie und der FN dienen. Daher müssen wir ungültig wählen, und uns für einen „dritten Wahlgang“ auf der Straße vorberei-ten! Nur eine revolutionäre Politik kann, in Frankreich wie in Eu-ropa, effektiv Sarkozy, seine Hollande‘sche Wiederholung, und die Front National bekämpfen!

Claudia Cinatti: Welche Partei für welche Strategie? ➟ www.ft-ci.org/article.php3?id_article=1544?lang=de

RIO: Für eine Neue revolutionäre ArbeiterInnenpartei!➟ www.klassegegenklasse.org/neue-revolutionare

Frankreich brennt!Broschüre zum Französischen Herbst: Blockaden, Betriebsbesetzungen, Massen streiks – aus dem Klassenkampf in Fra nkreich lernen!32 Seiten – auf unserer Website lesen

Website der CCR (auf Französisch)➟ www.ccr4.org

Die Front National kann nicht bei den Wahlen zer-schlagen werden, sondern nur auf der Straße.

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Übersetzung: Stefan Schneider (RIO, Berlin)

V om 18. bis 21. Februar wurde im Hauptsaal des unter Arbeiter-Innenkontrolle stehenden Hotels Bauen in Buenos Aires unter

der Leitung von Emilio Albamonte das Seminar „Die Konzeption der Strategie im Marxismus von Leo Trotzki“ veranstaltet, an dem mehr als 200 Kader der PTS (Partei Sozialistischer ArbeiterInnen, argenti-nische Sektion der Trotzkistischen Fraktion – Vierte Internationale, FT-CI) aus ganz Argentinien und Delegationen der PTR (Partei Re-volutionärer ArbeiterInnen) aus Chile und der LER-QI (Liga Revo-lutionäre Strategie) aus Brasilien teilnahmen. Die Grundlagenlite-ratur für die Diskussion bildete das Buch von Trotzki mit dem Titel „Die Dritte Internationale nach Lenin“ von 1928, sowie „Die Lehren des Oktobers“ und „Die ‘Dritte Periode’ der Irrtümer der Kommunis-tischen Internationale“. Wir haben Emilio Albamonte, ein führendes Mitglied der PTS und der FT-CI, über die wichtigsten Debatten, die diese vier Tage des Seminars durchzogen haben, befragt.

Das Seminar begann mit der Frage dar-über, was der Marxismus überhaupt ist. Könntest du uns kurz erzählen, worin dieser Punkt bestand?

Wir gingen von einer analytischen Definition des Marxismus auf der Grundlage von vier Komponenten aus. Erstens ist der Marxismus eine „Weltanschauung“, dessen allgemeineres Fun-dament die materialistische Dialektik ist. Das heißt, die Dialek-tik, die Marx aus seiner idealistischen Gefangenschaft befreit und in Richtung der Welt der Materie gedreht hat, mit der we-der Gott, noch der Weltgeist, noch irgendein Halbgott der Ge-schichte etwas zu tun hat. Innerhalb dieser marxistischen Welt-anschauung ist der historische Materialismus die Anwendung der materialistischen Dialektik auf die menschliche Gesellschaft und ihre Entwicklung.

Zweitens ist der Marxismus eine kritische Wissenschaft der politischen Ökonomie und dadurch der Fundamente des Kapi-talismus, deren erste Systematisierung durch Marx im Kapital durchgeführt wurde. Aber er ist auch eine Kritik der politischen Theorie, im Gegensatz zu denen, die meinen, dass der Marxis-mus sich nur die Arbeit früherer Philosophen wie Rousseau angeeignet hätte. Er enthält eine Kritik der Politik, des Rechts und des bürgerlichen Staates, die nicht nur die wichtigsten Werke der politischen Analyse Marx‘ und Engels‘ durchzieht, sondern Das Kapital selbst, und die später, genau wie die Kri-tik der politischen Ökonomie, von den „klassischen MarxistIn-nen“ des 20. Jahrhunderts bereichert und weiterentwickelt wurde, insbesondere von Leo Trotzki mit seinen Analysen des Faschismus, der UdSSR, der Bonapartismen sui generis der halb-kolonialen Länder, mit der Regierungen wie die von Cárdenas

Taktik und Strategie in der Epoche des ImperialismusInterview mit Emilio Albamonte über das Seminar „Die Konzeption der Strategie im Marxismus von Leo Trotzki“ in Buenos Aires

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oder Perón etc. verstanden werden können. Zugleich ist der Marxismus eine Theorie der Revolution, die – ausgehend von den fortgeschrittensten Schlussfolgerungen der Epoche seiner Entstehung in der Mitte des 19. Jahrhunderts – die historische Erfahrung von mehr als 160 Jahren des Kampfes der modernen ArbeiterInnenklasse zusammenfasst. Eine theoretische Synthe-se der fundamentalen strategischen Lehren des Kampfes des Proletariats.

Und in diesem Sinn ist der Marxismus drittens auch, wie Le-nin sagte, „eine Anleitung zum Handeln“. Das bedeutet nicht, dass er eine „Bedienungsanleitung“ beinhaltet, die uns sagen würde, wie wir in jeder Zeit und an jedem Ort zu handeln hätten, sondern dass die Kenntnis der vorigen Erfahrung uns erlaubt, nicht immer wieder von null anzufangen, wenn wir mit einer be-stimmten Situation des Klassenkampfes konfrontiert sind.

Hier gelangen wir zu einem vierten Aspekt des Marxismus, der mehr mit der Kunst als mit der Wissenschaft zusammen-hängt. Eine Kunst, die im Gegensatz zu anderen nicht mit leb-loser Materie arbeitet, sondern mit den menschlichen Bezie-hungen, indem sie die Zerstörung bestimmter Beziehungen und die Erschaffung neuer zum Ziel hat. Wir meinen die Kunst der Strategie. Wie Trotzki es einmal sagte: „Die Kunst der Taktik und Strategie, die Kunst des revolutionären Kampfes, kann man nur aus Erfahrung, durch Kritik und Selbstkritik lernen.“1 Diese vier Bestandteile, der Marxismus als Weltanschauung, als Kritik der politischen Ökonomie und der politischen Theorie, als Theo-rie der Erfahrung des Proletariats, und als Kunst der Strategie, bilden für unsere Definition des Marxismus eine untrennbare Einheit. Wir sagen das Gegenteil von dem,was die Neokantia-nerInnen über die ersten zehn „Thesen zu Feuerbach“ sagen, nämlich dass diese wissenschaftlich wären, während die These XI (in der Marx die „Veränderung der Welt“ forderte) nur ein mo-ralischer Imperativ wäre. Für uns ist der Marxismus aber gerade diese Einheit, er ist eine Theorie der Praxis und eine Kunst der Strategie, gegründet auf einer wissenschaftlichen Basis (wobei wir diese aber nicht in ihrer engen und vulgär-positivistischen Auslegung verstehen).

Im Seminar hast du auch davon gespro-chen, dass es notwendig wäre, einen Marxismus mit strategischem Schwer-punkt zu entwickeln. Worauf beziehst du dich dabei?

Die Notwendigkeit der Entwicklung eines Marxismus mit stra-

1. Leo Trotzki: Die Schule der revolutionären Strategie. In: Ebd.: Europa und Amerika. Essen 2000. S. 55.

tegischem Schwerpunkt (welcher natürlich untrennbar mit dem Programm verbunden ist) geht gerade von der Einheit der Elemente, die ich vorhin benannte, aus, die dazu führen, den Marxismus als eine Theorie für die Revolution zu verstehen.

Bis zur Dritten Internationale war das Konzept der Strategie im Marxismus praktisch nicht vorhanden. Man diskutierte in Be-griffen der Taktik, es gab keine Unterscheidung zwischen dem einen und dem anderen Konzept. Über diesen Punkt möchte ich einige Zitate anführen, die wir im Seminar benutzten. In „Die Dritte Internationale nach Lenin“ beschreibt Trotzki, wie in der Epoche der Zweiten Internationale: „die strategische Aufgabe verschwand und […] sich in der alltäglichen ‚Bewegung‘ mit ih-ren partiellen Taktiken auf[löste], die den Tagesfragen gewidmet waren. Erst die Dritte Internationale stellte die Rechte der revolu-tionären Strategie des Kommunismus wieder her und ordnete ihr die taktischen Methoden vollständig unter.“2 Das war kein Zufall, sondern hatte mit dem Eintritt in die von Lenin so genannte „Epoche von Krisen, Kriegen und Revolutionen“ zu tun und mit der enormen Erfahrung, die mit der Oktoberrevolution und im Allgemeinen mit den großen Zusammenstößen zwischen Re-volution und Konterrevolution gesammelt worden war.

Trotzki betonte das, um sich einer der fundamentalsten Kri-tiken zuzuwenden, die er dem Programmentwurf von Bucharin für den sechsten Kongress der Kommunistischen Internationale machte. Trotzki begann damit, Bucharin anzuerkennen, dass er unter dem Titel „Der Weg zur Diktatur des Proletariats“ zumin-dest einen Teil in das Programm einfügte, welcher sich mit der Strategie auseinandersetzt. Aber dann warf er ihm vor: „Was die strategischen Probleme im eigentlichen Sinn des Wortes betrifft, so

beschränkt sich der Programmentwurf auf solche Elementarweis-heiten wie: ‘Die Ausdehnung ihres Einflusses auf die Mehrheit ihrer eigenen Klasse’“3. Das heißt allgemeine Phrasen für jede Zeit und jeden Ort.

Daraufhin fügte er hinzu, dass „ganz trocken und knapp das zentrale Problem des Programms abgehandelt [wird]. Die Strate-gie des revolutionären Umsturzes, die Bedingungen und die Wege zum bewaffneten Aufstand selbst und die Eroberung der Macht, all

2. Leo Trotzki: Die Dritte Internationale nach Lenin. Essen 1993. S. 90.3. Ebd. S. 90-91.

Taktik und Strategie in der Epoche des ImperialismusInterview mit Emilio Albamonte über das Seminar „Die Konzeption der Strategie im Marxismus von Leo Trotzki“ in Buenos Aires

Bis zur Dritten Internationale war das Konzept der Strategie im Marxismus praktisch nicht vorhanden.

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das wird abstrakt und pedantisch dargelegt (…) die großen Kämp-fe des Proletariats werden nur als objektive Ereignisse, als Ausdruck der ‚allgemeinen Krise des Kapitalismus‘, nicht aber als strategische Erfahrung des Proletariats aufgefaßt.“4

Das heißt, während Trotzki der Meinung war, dass die Strate-gie (die Bedingungen und die Methoden) für die Machterobe-rung das fundamentale Problem des Programms ist, welches nur im Licht der Lehren der wichtigsten Schlachten der Arbei-terInnenklasse analysiert werden kann, waren diese Schlach-ten für Bucharin nur ein Ausdruck der allgemeinen Krise des Kapitalismus. Das führt uns zur Beziehung zwischen Strategie und Programm. Trotzki gibt der Strategie eine fundamentale Bedeutung, die er als etwas versteht, das nicht nur auf die Ziele und Zwecke des Programms reduzierbar ist. Der Unterschied liegt darin, dass die Frage „Was wollen wir erobern?“ eine cha-rakteristische Frage des Programms ist, und „Wie wollen wir es erobern?“ eine der Strategie.

Dass dies zwei verschiedene Elemente sind, bedeutet für Trotzki nicht, dass sie voneinander trennbar wären. Ganz im Gegenteil: Eine Strategie ohne Programm reduziert sich auf irgendeine Technik, aber ein Programm, welches die Strategie nicht betrachtet, ist ein „diplomatisches Dokument“. Trotzki bezieht sich gerade auf die tiefgründige Beziehung dieser Ele-mente, wenn er sagt, dass die Betrachtung der Probleme der Strategie eines der fundamentalen Teile jedes Programms ist, das revolutionär sein soll.

Aus diesem Grund haben wir im Seminar die fundamentalen Probleme der Taktik und Strategie untersucht.

Ist das heute nicht klar? Worin besteht die Aktualität der Debatte?

Perry Anderson hatte Recht, als er in seinem Buch „Über den West-lichen Marxismus“5 schrieb, dass eines der fundamentalen Prob-leme des Marxismus nach dem Zweiten Weltkrieg die strukturelle Trennung zwischen Theorie und Praxis war. Anderson entwickel-te seine Kritik an dem, was er „westlichen Marxismus“ nannte, wo er nicht nur auf die Zurückgezogenheit der TheoretikerInnen in den Universitäten hinwies, während die Kommunistischen Partei-en die politische Arena dominierten, sondern auch die Verschie-bung der Themen weg von der Ökonomie und der Politik und hin zur Philosophie und der Ästhetik oder dem kulturellen Überbau. Zusammengenommen blieben in diesem Szenario die Probleme der Strategie außerhalb des Bereichs des Denkbaren.

Aber es ist auch wichtig, die Schwäche anzumerken, die die Strömungen, die sich auf den Trotzkismus beriefen, unter diesem Gesichtspunkt hatten. Der allgemeine Trend bestand darin, die theoretische Weiterentwicklung des Marxismus auf-zuschieben, und es wurden keine wichtigen Werke produziert. Man möge von ihren Werken halten, was man will, aber es gab zumindest Ausnahmen wie Isaac Deutscher, Román Rosdols-

4. Ebd. S. 91.5. Perry Anderson: Über den westlichen Marxismus. Frankfurt am Main

1978.

ky oder Ernest Mandel. Aber selbst sie standen nicht auf den Schultern von Trotzki als Strategen, um eine neue Synthese zu formulieren, die zu einer Weiterentwicklung der marxistischen Strategie fähig wäre. Was stattdessen vorherrschte, waren die Strömungen, die zwar das revolutionäre Programm im Allge-meinen hochhielten, aber die Strategie schwer unterschätzten und so die Einheit von Programm und Strategie zerbrachen. Das Resultat war die Anpassung an andere Strategien wie zum Beispiel die Guerilla-Strategie, die das Produkt von Revolutio-nen waren, in denen das Gewicht des Halbproletariats und der Bauernschaft vorherrschte, die von Partei-Armeen geführt wur-den; siegreiche Revolutionen, die die Bourgeoisie enteigneten und neue ArbeiterInnenstaaten errichteten, die aber von ihrer Gründung an bürokratisiert waren.

Der Internationalismus, der die revolutionäre Strategie der Dritten Internationale in ihren ersten Jahren beherrschte, wur-de in der Peripherie durch „Dritte Welt“-Ideologien verdrängt, im Zentrum durch die Anpassung an die Kommunistischen Parteien, und im Fall der ArbeiterInnenstaaten hat sich das aus-gedehnt, was Trotzki in seiner Kritik am Programmentwurf der Kommunistischen Internationale im Jahr 1928 formulierte: „Die neue Lehre verkündet, daß der Sozialismus auf dem Boden eines nationalen Staates aufgebaut werden kann, wenn nur keine In-tervention dazwischenkommt. Daraus kann und muß sich un-geachtet aller Erklärungen im Programmentwurf eine Politik der Kollaboration mit der ausländischen Bourgeoisie ergeben.“6

Die Niederlage des Aufstiegs des Klassenkampfes, der 1968 begann, und die imperialistische Offensive der folgenden drei Jahrzehnte tat nichts als die allgemeine Abwesenheit einer strategischen Denkweise im revolutionären Marxismus zu ver-stärken. Die Entwicklung der Probleme der Strategie, die für Trotzki eine der wichtigsten Erfolge der Dritten Internationale war, scheint heutzutage, selbst für die Strömungen, die sich trotzkistisch nennen, irgendwie exzentrisch zu sein.

Diese Art von Haltung kann mit der von Trotzki gar nicht stärker kontrastieren, wenn man sich mit seinen Werken be-schäftigt. Zum Beispiel, wenn er erzählt: „Im Jahr 1924 wurde von einem großen Personenkreis, der sich um die Militärwissen-schaftliche Gesellschaft gruppierte, eine kollektive Arbeit zur Aus-arbeitung eines Handbuchs mit Anweisungen für den Bürgerkrieg, d.h. eine marxistische Anleitung zu den Fragen des offenen Zusam-menstoßes der Klassen und des bewaffneten Kampfs für die Dikta-tur, begonnen. Diese Arbeit stieß jedoch bald auf Widerstand von seiten der Komintern – dieser Widerstand war Teil des allgemeinen Systems im Kampf gegen den sogenannten Trotzkismus; die Arbeit wurde später vollständig liquidiert. Man kann sich schwer einen leichtsinnigeren und verbrecherischeren Schritt vorstellen.“7

Im Kontext der historischen Krise, die das kapitalistische System momentan durchzieht, und ausgehend von der histori-schen Schwäche des Marxismus in der Entwicklung dieser Pro-bleme seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis heute, ist es nicht nur unerlässlich, sondern auch immer dringender, einen Marxismus mit strategischem Schwerpunkt zu entwickeln.

Im letzten Jahr hast du ein Seminar koordiniert, das sich mit dem Studium des preußischen Strategen Karl von Clausewitz und seinem Hauptwerk „Vom Kriege“ befasste. Jetzt war das Thema die Konzeption der Strategie im Marxis-

6. Leo Trotzki: Die Dritte Internationale nach Lenin. Essen 1993. S. 77. Hervorhebung im Original.

7. Ebd. S. 152.

Trotzki war der Meinung, dass die Strategie für die Macht-

eroberung das fundamentale Problem des Programms ist.

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mus von Trotzki. Was ist die Verbindung zwischen beiden Seminaren?

Dieses Seminar ist eine Ergänzung zu dem, was wir im letzten Jahr gemacht haben. Über diese Debatten schreiben wir gerade ein Buch, in dem wir einige der wichtigsten Konzepte der Theo-retikerInnen der Militärstrategie diskutieren, und insbesondere Clausewitz, genauso wie die wichtigsten Strategie-Debatten, die es innerhalb des Marxismus gab, wo zweifelsohne die Figur von Leo Trotzki als Stratege des Proletariats einen fundamenta-len Platz einnimmt.

Wie Trotzki in einem der Zitate, die wir vorhin gelesen haben, anmerkte, war die Aneignung bestimmter Konzepte der Mili-tärtheorie für die Dritte Internationale sehr wichtig. Gleichzeitig gibt es, sowohl von Lenin als auch von Trotzki, eine tiefgründige Aneignung insbesondere von vielen Elementen des Denkens von Clausewitz, angefangen mit den Definitionen von Strategie und Taktik. Aber es ist selbstverständlich, dass diese Aneignung sich im Rahmen tiefgründiger Differenzen ereignete.

Als Beispiel: Auch wenn Clausewitz die Revolution als Fun-dament des Epochenwechsels im militärischen Bereich und der Macht der napoleonischen Armee sah, waren der Staat als politische Einheit und der „zivile Frieden“ in dessen Inneren die Basis all seiner strategischen Überlegungen. Die Konzeptuali-sierung über den Aufbruch des Volkes „mit eigenem Gewicht“ unterscheidet ihn qualitativ als Strategen und Interpreten der napoleonischen Kriege. Dennoch sah er diesen Aufbruch immer nur als eine Manövriermasse an, die fähig ist, eine „feindselige Absicht“ im Gleichklang mit der Politik der Regierung zu entwi-ckeln. Unser Ausgangspunkt ist radikal anders. Die Politik ist für uns nicht „die Intelligenz des personifizierten Staates“, wie Clau-sewitz anmerkte, sondern sie ist untrennbar mit dem Klassen-kampf im Inneren der staatlichen Grenzen verbunden und hat gleichzeitig einen internationalen Charakter. Und fundamental ist folgende Ansicht, wie Trotzki schrieb: „Die Geschichte der Re-volutionen ist für uns vor allem die Geschichte des gewaltsamen Einbruchs der Massen in das Gebiet der Bestimmung über ihre ei-genen Geschicke.“8 Im Unterschied zum „Volk“, welches die dritte Komponente der „Dreifaltigkeit“ ist, die Clausewitz entwickelte, gemeinsam mit der „Regierung“ und den „Generälen und ihren Armeen“, kann die ArbeiterInnenklasse für den revolutionären

8. Leo Trotzki: Geschichte der Russischen Revolution. Februarrevolution. Essen 2010. S. 1.

Marxismus nie als eine „Manövriermasse“ angesehen werden. Die Geschichte des revolutionären Kampfes der ArbeiterInnen-klasse hat sich dagegen eher durch ihre Fähigkeit ausgezeich-net, Organismen der Selbstorganisation sowjetischen Typs zu entwickeln. Diese sind, genauso wie die Beziehungen zwischen diesen Organen und der revolutionären Partei, die großen Un-terschiede zwischen der „Dreifaltigkeit“ von Clausewitz und derjenigen von „Klasse, Partei und Führung“, die Trotzki zum Beispiel insbesondere in der Arbeit „Klasse, Partei und Führung: Warum wurde das spanische Proletariat besiegt?“9 entwickelt.

Es ist aufschlussreich, dass Trotzki über diesen Punkt schrieb: „Die Massen müssten in der Aktion fühlen und begreifen, daß der Sowjet ihre Organisation ist, daß er ihre Kräfte zum Kampf, zur Ge-genwehr, zur Verteidigung und zur Offensive zusammenschließt. Aufgrund der Aktion eines einzigen Tages oder überhaupt in einer Einzelaktion können sie dies nicht spüren und begreifen, sondern nur im Laufe der – ständigen und unterbrochenen – Erfahrung

mehrerer Wochen, Monate und vielleicht sogar Jahre.“10

Ich möchte diese Punkte hier nicht in aller Tiefe ausbreiten, weil ich verstehe, dass sie das Ziel des Interviews übersteigen, aber von diesen Punkten leitet sich eine ganze Reihe von Dif-ferenzen ab, die gerade ausmachen, warum der revolutionäre Marxismus unter keinen Umständen auf einen bloßen Militaris-mus reduziert werden kann.

Über diesen letzten Punkt, und in der Betonung der Unter-schiede zwischen dem konventionellen militärischen Denken und dem revolutionären Marxismus, schrieb Trotzki: „Indessen ist die Armee eine Zwangsorganisation. Jeder, der geschickt wird,

9. Leo Trotzki: „Klasse, Partei und Führung: Warum wurde das spanische Proletariat besiegt? In: SAV und SLP: Der Spanische Bürgerkrieg 1936-1939. Berlin 2006.

10. Leo Trotzki: Die Dritte Internationale nach Lenin. Essen 1993. S. 203. Hervorhebung im Original.

Für den revolutionären Marxismus kann die Arbeiter-Innen klasse nie als eine „Manö-vriermasse“ angesehen werden.

Trotzki als Kom-mandant der Roten Armee während des Russischen BürgerInnenkrieges

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muss in den Kampf gehen. Gegen die Zuwiderhandelnden werden harte Maßnahmen angewandt, sonst kann eine Armee nicht be-stehen. Aber die wichtigste bewegende Kraft der revolutionären Armee ist das politische Bewusstsein, der revolutionäre Enthusi-asmus, der Sinn der Majorität der Armee für die ihr bevorstehen-de Aufgabe und die Bereitwilligkeit, diese Aufgabe zu erfüllen. Wie viel mehr hat all das auf die entscheidenden revolutionären Kämpfe der Arbeiterklasse Bezug! Hier kann von einem Zwang zur Revolution nicht die Rede sein. Hier fehlt der Apparat der Zwangs-maßnahmen. Der Erfolg kann nur auf der Bereitwilligkeit der Ma-jorität der Werktätigen basieren, am Kampfe direkt oder indirekt teilzunehmen, und seinen glücklichen Ausgang zu fordern.“11

„Die Dritte Internationale nach Lenin“ war der Haupttext des Seminars, aus dem du während des Interviews ver-schiedene Dinge zitiert hast, aber war-um sollte man sich für das Seminar auf einen Text von 1928 beziehen?

Auch wenn es stimmt, dass Trotzki viele der Elemente, die in diesem Buch benannt sind, in späteren Werken sehr viel mehr ausbaute, ist es dennoch sehr interessant, das Werk Trotzkis die-ser Jahre zu studieren. Es ist eine Epoche voller historischer Phä-nomene großer Bedeutung, nicht nur wegen der Existenz der UdSSR und der Prozesse in ihrem Inneren, sondern auch wegen der vielen revolutionären Prozesse, die sich entwickelten. Das Buch von Trotzki nimmt als Ausgangspunkt die Niederlage der deutschen Revolution von 1923, und die fünf folgenden Jah-re sind voll von strategischen Lehren. Mit der bürokratisierten Dritten Internationale war Trotzki der einzige, der sich der tief-gründigen Bilanz dieser Prozesse annahm, und so das strategi-sche Arsenal des Marxismus enorm bereicherte.

Es ist sehr interessant, die komplexe Beziehung zu sehen, die Trotzki zwischen dem Politischen und dem Ökonomischen, zwischen dem Objektiven und dem Subjektiven, zwischen der kapitalistischen Krise, den Momenten der Stabilisierung und der Rolle, die die Niederlagen der ArbeiterInnenklasse darin spielen, etabliert. Zum Beispiel sagt er: „‚Es gibt keine absolut ausweglose Lage!‘ [Lenin] Einen dauerhaften Ausweg aus ihren tiefsten Wider-sprüchen können der europäischen Bourgeoisie nur Niederlagen des Proletariats und Fehler der revolutionären Führung eröffnen. Aber auch der umgekehrte Schluss ist richtig. Es wird keinen neuen

Aufstieg des Weltkapitalismus (…) geben, wenn das Proletariat ei-nen revolutionären Ausweg aus dem gegenwärtigen labilen Gleich-gewicht zu finden weiß.“12 Es ist offensichtlich, dass Trotzki nicht weiter entfernt sein könnte von diesen Karikaturen, die man sich vom Marxismus macht, in denen die Krisen dafür sorgen, dass der Kapitalismus „von alleine zusammenbricht“.

Während der Periode, auf die sich das Buch bezieht, ereignen

11. Leo Trotzki: Die Schule der revolutionären Strategie. In: Ebd.: Europa und Amerika. Essen 2000. S. 86-87.

12. Leo Trotzki: Die Dritte Internationale nach Lenin. Essen 1993. S. 80-81.

sich fundamentale Prozesse wie die deutsche Revolution von 1923, der Generalstreik in Großbritannien von 1926 und die chi-nesische Revolution von 1925-27.

Der Kampf gegen die Ultralinken hatte es ermöglicht, im Aufbau einer starken Partei in Deutschland voranzuschreiten, dennoch zeigte die Revolution von 1923, dass die Führung der deutschen Partei unfähig war, sich von der Routine zu lösen, und auf diese Art verdrängte die Taktik schließlich die Strategie. Trotzki kritisierte dieses Problem sehr scharf, als er sagte: „Der Tageskampf um die Massen verschlingt die gesamte Aufmerksam-keit, schafft seine eigene taktische Routine und lenkt den Blick von den strategischen Aufgaben ab, die sich aus den Veränderungen der objektiven Situation ergeben.“13

In England hörte die Taktik der Einheitsfront auf, der Stärkung der eigenen Kräfte der KommunistInnen und der Gewinnung von Verbündeten für die proletarische Avantgarde zu dienen, und verwandelte sich stattdessen in ihr Gegenteil. Das Anglo-Russische Komitee mit den Führungen der Gewerkschaften hörte auf, ein temporäres Bündnis zu sein, um sich in eine stra-tegische Übereinkunft zu verwandeln, die die wichtigste Streik-bewegung in England im 20. Jahrhundert zur Niederlage führ-te. Etwas Ähnliches geschah in der chinesischen Revolution mit der Entscheidung der Komintern, dass sich die Kommunistische Partei Chinas politisch und organisatorisch Chiang Kai-shek und dann Wang Jingwei unterordnen sollte. Die katastrophale Folge daraus war das Massaker an den chinesischen Kommu-nistInnen durch die Kuomintang. Trotzki entwickelt seine Kritik anhand dieses Kurses, wo die Taktik die Strategie schließlich unterwirft, wo die situationsbedingten Übereinkünfte wie das Anglo-Russische Komitee sich in strategische Allianzen verwan-deln. Dennoch hat dieser opportunistische Kurs die Bürokratie der Komintern nicht daran gehindert, ihn mit ultralinken Zick-zacks zu kombinieren. Nachdem sie die revolutionäre Situation in Deutschland ohne Kampf vorbeiziehen ließen, warfen sie sich in ultralinke Aktionen hinein wie das Attentat in der Kathe-drale von Sofia im Jahr 1924. Dasselbe in China: Nachdem die Avantgarde schwere Schläge erlitten hatte, die das Resultat der Politik der Unterordnung unter die Kuomintang waren, und um die Konsequenzen dieser Politik zu verdecken, wurde in Kanton der Aufstand begonnen, welcher – zur Unzeit gestartet – in ei-ner neuen Niederlage endete.

Ein typischer Kurs des Zentrismus, der eine rechte Politik auf-recht erhält, die zur Niederlage führt, und – wenn dieser Kurs einmal konkretisiert wurde und die Kräfteverhältnisse dadurch verschlechtert wurden – ultralinke Abenteuer unternimmt, um die Konsequenzen seiner eigenen Handlungen zu verdecken.

Dies sind einige der Punkte, warum jedeR ernsthafte Akti-vistIn diesen Text von Trotzki studieren sollte, den er später in seinen Analysen über den Aufstieg des Faschismus in Deutsch-land, über die spanische Revolution etc., weiterentwickelte.

Diese Ausarbeitungen sind von großer Wichtigkeit, da sie klar zeigen, dass Trotzki ein Stratege war, der von einem großen Teil der Organisationen, die sich auf den Trotzkismus beziehen, oft auf eine Art von Scholastiker reduziert wurde.

Und gleichzeitig zeigen sie die Oberflächlichkeit der „Rekon-struktionen des Marxismus“ im 20. Jahrhundert, wie sie José Aricó in seinen Lektionen eines Kurses in Mexiko von 1977 auf-wies, die kürzlich unter dem Titel „Neun Lektionen über Ökono-mie und Politik im Marxismus“ publiziert wurden, wo es scheint, als ob Trotzki mit Lenin gestorben wäre und 1924 aufhörte, Teil der Geschichte des Marxismus zu sein, was – es braucht eigent-lich nicht erwähnt zu werden – jede theoretische Ernsthaftig-keit vermissen lässt.

13. Ebd. S. 103.

Die tiefgründige Bilanz revo-lutionärer Prozesse konnte

das strategische Arsenal des Marxismus enorm bereichern.

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Im Seminar hast du, in einer Parallele mit bestimmten Diskussionen von The-oretikerInnen der Militärstrategie, von „gefechtszentrierten“ Theorien gespro-chen. Glaubst du, dass dieses Konzept für die Theorie der Permanenten Revo-lution benutzt werden kann? In anderen Worten, ist die Theorie der Permanen-ten Revolution „gefechtszentriert“?

Der Begriff „gefechtszentriert“ entstand in Wirklichkeit, um die Art des strategischen Denkens, welches Karl von Clausewitz entwickelt hat, zu beschreiben. Einer derjenigen, der ihn ver-wendet, ist ein Intellektueller des US-amerikanischen Imperi-alismus, der sich auf Clausewitz spezialisiert hat und behaup-tet, dass „so wie das System von Kopernikus als heliozentrisch beschrieben wird, müssen wir auch das System von Clausewitz als gefechtszentriert (combat-centric) beschreiben (…). Wenn wir den Kampf oder die Gewalt aus dem System von Clausewitz entfernen würden, würde es zusammenbrechen.“14

Ausgehend von diesem Konzept können wir sagen, dass die Theorie der Permanenten Revolution als Theorie-Programm, welches mit der Strategie verbunden ist, einerseits gefechtszen-triert ist und andererseits nicht.

In welchem Sinne ist sie es? Als Theorie-Programm, welches mit der Strategie, die für die imperialistische Epoche ausgear-beitet wurde, verbunden ist. Sie ist es in dem Sinne, dass sie da-von ausgeht, dass die eroberten Positionen in Gewerkschaften, Parlamenten etc. genauso wie die eigenen Verbündeten und der Typus revolutionärer Organisationen, die aufgebaut werden sollen, im Hinblick auf ihre Nützlichkeit für den Kampf gedacht werden sollen. In diesem Sinn darf uns die Routine der Taktik dieses Element nicht aus den Augen verlieren lassen. Die Bour-geoisie zwingt das Proletariat dazu, im Rahmen eines Marxis-mus diesen Typs zu denken, um sich monumentalen Massakern wie den zwei Weltkriegen, faschistischen Konterrevolutionen, unerhörten Leiden als Resultat von Krisen wie derjenigen der 30er Jahre (welche in ihrer Tiefe nicht nur von uns mit der ak-tuellen Krise verglichen wird, sondern auch von vielen bürger-

14. Antulio J. Echevarria II.: Clausewitz and Contemporary War. Oxford 2007. (Eigene Übersetzung.)

lichen DenkerInnen) entgegenzustellen. In „Die Dritte Internati-onale nach Lenin“ entwickelt Trotzki zum Beispiel detailgenau die Beziehung zwischen einer „Position“, wie zum Beispiel die Eroberung der Macht in einem Land, und der Notwendigkeit, diese Position in den Dienst der internationalen Revolution zu stellen. Dennoch darf man das nicht mit einem permanenten Gefecht verwechseln. Genausowenig darf man die Theorie der

Permanenten Revolution so verstehen, dass die Revolution zu jeder Zeit und an jedem Ort an der Tagesordnung wäre, oder sie als eine Art von Voluntarismus interpretieren.

Die imperialistische Epoche mit ihren Krisen und Kriegen zeigt die Aktualität der proletarischen Revolution. Innerhalb der Dritten Internationale selbst gab es ultralinke Sektoren, die die „Aktualität“ der proletarischen Revolution in der neuen Epoche als Synonym der „Unmittelbarkeit“ interpretierten, als Fundament der Theorie der permanenten „revolutionären Of-fensive“. Einer groteskeren Variation dessen musste sich Trotzki mit dem Beginn der „Dritten Periode“ entgegenstellen, die die ultralinke Orientierung der „Sozialfaschismusthese“ zur offiziel-len Politik machte.

Wie Trotzki sagte: „Der revolutionäre Charakter der Epoche besteht nicht darin, daß er es in jedem gegebenen Augenblick ge-stattet, die Revolution durchzuführen, d.h. die Macht zu ergreifen, sondern in starken Schwankungen und abrupten Übergängen“15. Diese Charakteristiken waren natürlich in jeder einzelnen der Etappen, in die sich die Epoche von Krisen, Kriegen und Re-volutionen aufteilt, in mehr oder weniger großem Ausmaß vorhanden. Dennoch hörte das Verständnis der Etappen nie auf, fundamental zu sein. Trotzki schreibt in dem selben Buch: „Ohne ein umfassendes, allgemeines dialektisches Verständnis der gegenwärtigen Epoche als einer Epoche jäher Wendungen ist eine wirkliche Erziehung der jungen Parteien, eine richtige strategische

15. Leo Trotzki: Die Dritte Internationale nach Lenin. Essen 1993. S. 94-95.

Die Routine der Taktik darf uns das Element der Strategie nicht aus den Augen verlieren lassen.

Trotzki wurde später von der stalinistischen Bürokratie aus diesem Bild gelöscht

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Führung der Klassenkämpfe, eine richtige Kombination der Takti-ken und vor allem eine schnelle, kühne und entschlossene Neube-waffnung bei jeder Wendung der Situation unmöglich.“16

In welchem Sinn ist die Theorie der Permanenten Revoluti-on nicht gefechtszentriert? In dem Sinne, dass sie eine Theorie der internationalen sozialistischen Revolution ist, und insofern den militärischen Aspekt miteinschließt (BürgerInnenkrieg, Aufstand etc.), aber dieser Aspekt ist nur Teil eines Ganzen, in dem die Politik das Primat hat. Die Theorie der Permanenten Revolution geht vom Klassenkampf auf nationaler Ebene aus, entwickelt sich auf dem internationalen Terrain, und kulminiert erst in der Zentralisierung der Produktivkräfte auf internatio-naler Ebene, mit dem Absterben des Staates, der Klassen, der Ausbeutung und der Unterdrückung. In diesem Sinne können wir sagen, indem wir Pierre Naville in seinem Vorwort zur fran-zösischen Ausgabe von „Vom Kriege“ paraphrasieren, dass sie eine Theorie der „absoluten Politik“ als Antithese zu Clausewitz‘ Konzept des „absoluten Krieges“ ist. Sie ist eine Theorie, die das Ende aller Gründe für Kriege zum Ziel hat.

Kannst du uns zum Schluss noch etwas zu den Schlussfolgerungen des Semi-nars sagen?

Während wir, wie ich sagte, mit einer analytischen Definition des Marxismus begonnen haben, haben wir versucht, zum Ende des Seminars eine synthetische Definition dessen, was ein Marxismus mit strategischem Schwerpunkt bedeutet, zu erar-beiten. Wir wollen den Marxismus ausdrücklich als eine Strö-mung verstehen, die die theoretisch-praktische Erfahrung des Proletariats der letzten anderthalb Jahrhunderte synthetisiert. Ein Marxismus, der als strategische Mittel die Zerschlagung des bürgerlichen Staates und übergangsweise die Schaffung von ArbeiterInnenstaaten vorschlägt, das heißt Diktaturen des Pro-letariats, die auf Organen sowjetischen Typs basieren, bis die Zentralisierung und Planung der Produktivkräfte auf Weltebene als materielles Fundament für die Schaffung einer Gesellschaft freier und assoziierter ProduzentInnen erreicht sind. Das heißt, um zu beginnen, den Kommunismus zu konkretisieren.

In unserer Definition sind die strategischen Mittel (Diktatur des Proletariats) und der Zweck oder das „politische Ziel“ (Kom-munismus), welches mit dem Absterben des Staates, der Klas-sen und der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen einhergeht, untrennbar miteinander verbunden.

Im Jahr 2010 hat Paidós ein Buch in spanischer Sprache über das Symposium „Über die Idee des Kommunismus“17 veröffent-licht, welches von Badiou und Žižek ein Jahr zuvor organisiert worden war. Wir stehen auf der entgegengesetzten Seite des-sen, was der französische Philosoph Alain Badiou behauptet: „Die Kommunistische Idee ist die imaginäre Operation, durch die eine individuelle Subjektivisierung ein Fragment des politisch Re-

16. Ebd. S. 98.17. Ein Buch zu diesem Symposium gibt es auch auf Englisch: Costas

Douzinas / Slavoj Žižek [Hrsg.]: The Idea of Communism. London 2010.

ellen in die symbolische Erzählung einer Geschichte projiziert (…). Heute ist es essentiell, klar zu verstehen, dass ‚kommunistisch‘ kein Adjektiv mehr sein kann, welches eine Politik beschreibt.“18

Wenn wir betonen, dass die Theorie der Permanenten Re-volution eine Theorie der „absoluten Politik“ ist, wollen wir die konkrete Verbindung zwischen unserem Programm und un-serer Strategie mit dem „politischen Ziel“ des Kommunismus hervorheben. Damit wollen wir uns nicht an die idealistischen Visionen im Stil Toni Negris annähern, die den Kommunismus „hier und jetzt“ fordern und die sich schließlich an die „progres-siven“ Varianten der Bourgeoisie anpassen, sondern uns ganz im Gegenteil von ihnen abgrenzen.

Unsere Konzeption ist mit den Konzepten der Taktik und Strategie verbunden. Sowohl für Trotzki als auch für Clausewitz ist die Taktik die Führung isolierter Kämpfe, während es die Stra-tegie ist, die diese Kämpfe an das „politische Ziel“ bindet. Für uns repräsentiert der Kommunismus weder eine Idee,noch ein leeres Wort, sondern unser höchstes „politisches Ziel“. Genau daher behaupten wir, dass der revolutionäre Marxismus dieses Ziel im Eifer des Gefechts und der partiellen Errungenschaften nicht aus den Augen verlieren darf.

Das ist für uns keine abstrakte Überlegung, sondern Teil un-serer Bilanz der Anpassung nach dem Zweiten Weltkrieg, durch diejenigen Strömungen, die sich auf den Trotzkismus bezogen, aber dennoch jenen strategischen Rahmen vertraten, der für die Etappe charakteristisch war, und nach welchem sich der Sozia-lismus durch „irgendwelche Revolutionen“ mit „irgendwelchen Führungen“ ausbreiten würde. Der große Wert der Theorie der Permanenten Revolution ist für uns genau dieser Punkt: Theorie-Programm zu sein, welches mit der Strategie verbunden ist und das die partiellen Errungenschaften, z.B. die Machtergreifung in einem Land, in den Dienst des Ziels der Weltrevolution und des Prozesses des sozialen, politischen und kulturellen Wandels stellt, der nach der Machteroberung auf das Absterben des Staates, der Klassen, der Ausbeutung und der Unterdrückung, und sogar des Marxismus selbst abzielt. Wie Terry Eagleton in dem selben Band schreibt: „Der Sozialismus ist ein Projekt, welches sich selbst aufhebt. Dies ist einer der Gründe, warum Sozialist-Sein nichts mit Jude-Sein oder Muslim-Sein zu tun hat. Der Marxismus selbst gehört der Epoche der Vorgeschichte an. In einer kommunistischen Gesellschaft ist es seine Aufgabe, so schnell, wie es der Anstand erlaubt, zu verschwinden.“19

18. Ebd. S. 15. (Eigene Übersetzung.)19. Ebd. S. 111. (Eigene Übersetzung.)

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Leo Trotzki: Die Dritte Internationale nach Lenin. Essen 1993.

Leo Trotzki: Die Lehren des Oktobers.➟ www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1924/lehren

Leo Trotzki: Die Schule der revolutionären Strategie( ➟ Leo Trotzki.: Europa und Amerika. Essen 2000.)

Leo Trotzki: Die „Dritte Periode“ der Irrtümer der Kommunistischen Internationale.( ➟ Alexander Losovski: Die rote Gewerkschaftsinternationale. Frankfurt am Main 1978. S. 195-235.)

Wir wollen den Marxismus als eine Strömung verstehen, die die theoretisch-praktische Erfahrung

des Proletariats synthetisiert.

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von Wladek Flakin (RIO, Berlin)1

Die Vierte Internationale wurde am 3. September 1938 in ei-nem Haus außerhalb von Paris gegründet. Die Bedingun-

gen dafür hätten nicht schwieriger sein können.Die drei vorhergehenden Internationalen waren natürlich auch

schwierigen Bedingungen ausgesetzt. Doch die 1864 gegründete Erste Internationale etablierte sich am Vorabend der Pariser Kom-mune, als Aufstände gegen feudale Herrschaft in Italien und Po-len tobten. Die 1889 gegründete Zweite Internationale entstand zur Zeit des Aufstiegs der ersten politischen Massenparteien der ArbeiterInnenklasse. Die 1919 gegründete Dritte Internationale stützte sich auf die erste erfolgreiche proletarische Revolution der Geschichte, die Oktoberrevolution in Russland.

Doch die Vierte Internationale musste in einer Zeit der über-wiegenden Niederlagen gegründet werden: Der deutsche Fa-schismus hatte bereits die bestorganisierteste ArbeiterInnenbe-wegung der Welt zerschlagen und Francos faschistische Truppen waren im Spanischen BürgerInnenkrieg im Vormarsch. Impe-rialistische Angriffskriege in Äthiopien und China deuteten auf den heranrückenden Weltkrieg hin. Der ArbeiterInnenstaat, der aus der Oktoberrevolution hervorgegangen war, war unter einer konterrevolutionären Bürokratie, deren bekanntester Vertreter Stalin hieß, degeneriert: Diese Bürokratie kämpfte nicht mehr für die Weltrevolution, sondern für ihre eigene „Stabilität“ und erdrosselte für ihre eigenen Privilegien revolutionäre Prozesse. Der Stalinismus bekämpfte die revolutionäre ArbeiterInnenbe-wegung unter dem Deckmantel einer angeblichen Verteidigung der Oktoberrevolution – und dabei besonders die Kräfte, die die wirkliche Tradition von 1917 hochhielten, nämlich die Bolschewi-ki-LeninistInnen, deren bekanntester Vertreter Leo Trotzki hieß.

Gründung der Vierten InternationaleDer stalinistische Repressionsapparat bekämpfte die trotzkisti-sche Opposition mit allen Mitteln. Unter den 21 Delegierten aus 11 Ländern, die die Vierte Internationale im Jahr 1938 gründe-ten, war ein Agent des stalinistischen Geheimdienstes NKWD. Mark Zborowski, bekannt unter dem Namen Étienne, war schon ein halbes Jahr vorher in der Ermordung von Trotzkis Sohn, Leo Sedow, verwickelt. Auf der Konferenz vertrat er die größte Sek-tion der neuen Vierten Internationale, die in der Sowjetunion. Doch konnten die KonferenzteilnehmerInnen nicht ahnen, dass Zehntausende sowjetischen Bolschewiki-LenninistInnen von denen viele Veteranen der Oktoberrevolution waren, die gegen den Stalinismus gekämpft hatten und bereits seit Jahren in Gu-lags gefangen waren, im Winter 1937/38 erschossen wurden. Die stalinistische Bürokratie hatte die revolutionäre Avantgarde

1. Bereits im April 2011 entschied sich die Revolutionäre Internationalis-tische Organisation (RIO), dass wir für den Wiederaufbau der Vierten Internationale eintreten. Diese Entscheidung fiel im Rahmen eines Diskussionsprozesses mit der Trotzkistischen Fraktion – Vierte Interna-tionale, der wir mittlerweile als sympathisierende Sektion beigetreten sind. Die Entscheidung damals begründeten wir mit einem kurzen Artikel („Entwicklungen in RIO“, http://www.onesolutionrevolution.org/?p=737&language=de), müssen aber noch tief gehender auf diese Frage eingehen. Der vorliegende Artikel ist das Ergebnis einer Diskus-sion mit GenossInnen der unabhängigen SchülerInnengruppe „Red Brain“, die von Wladek Flakin zusammengefasst wurde.

physisch ausgerottet. Auch Rudolf Klement, der mit den Vor-bereitungen der Konferenz beauftragt war, verschwand am 12. Juli in Paris – zwei Wochen später tauchte seine enthauptete Leiche am Ufer der Seine auf. Am Rand der Konferenz bewegte sich auch der stalinistische Spitzel Ramon Mercader, der zwei Jahre später Trotzki selbst ermordete.

Angesichts all dessen wäre es leicht gewesen, das gesamte Projekt als hoffnungslos – als ein Hirngespenst eines alten, ge-scheiterten Revolutionärs – abzuschreiben.

Doch die Vierte Internationale konnte – als einzige ArbeiterIn-nenorganisation weltweit – eine internationalistische Position gegen den imperialistischen Krieg aufzeigen und aufrechter-halten. Während der Stalinismus jeden revolutionären Anspruch aufgab und einen „großen vaterländischen Krieg“ unter dem Ban-ner des russischen Nationalismus (oder des französischen, grie-chischen, jugoslawischen usw. Nationalismus) führte, konnten die Kräfte der Vierten Internationale für die weltweite Einheit der ArbeiterInnenklasse eintreten und zum Beispiel mit der Zeitung „Arbeiter und Soldat“ illegale revolutionäre Zellen innerhalb der Wehrmachtstruppen in Frankreich organisieren. Dieses Beispiel zeigt wie viele andere auch, dass die Vierte Internationale die re-volutionäre Tradition, die durch den Verrat der Sozialdemokratie und des Stalinismus abzureißen drohte, bewahrte.

Degeneration nach dem KriegDie Vierte Internationale war mit der Prognose gegründet wor-den, dass der imperialistische Krieg und die kapitalistische Bar-barei bislang unbekannte Ausmaße erreichen würden – aber auch, dass ähnlich wie nach dem Ersten Weltkrieg revolutionä-re Erhebungen auf der ganzen Welt stattfinden und die konter-revolutionären Apparate (Sozialdemokratie und Stalinismus) wegfegen würden. Diese Erhebungen fanden durchaus statt, vor allem in der kolonialen Welt. Doch die Apparate waren nicht geschwächt sondern gestärkt aus dem Krieg hervorge-gangen. Die Militärmacht der Roten Armee im Osten und der Nachkriegsboom im Westen stärkten die konterrevolutionäre Ordnung auf dem gesamten Planeten, die „Jalta Ordnung“.

Anstelle, der Entwicklung zu einer Massenkraft, verblieb die Vierte Internationale samt ihrer Kader – viele davon wurden schon während des Krieges vom Faschismus und Stalinismus hingerichtet – in Isolation. Durch ihre politische Desorientierung gingen diese Kräfte dazu über, sich verschiedenen konterrevo-lutionären Führungen anzupassen: Den reformistischen Parteien im Westen wie der SPD in Deutschland oder der Labour Party in Großbritannien, in die sich die TrotzkistInnen auflösten; und die stalinistischen Regime von Tito in Jugoslawien (das sich mit Sta-lin überworfen hatte aber trotzdem stalinistisch blieb), von Mao in China oder von Castro auf Kuba. Schließlich hat die Vierte In-ternationale 1952 bei der Revolution in Bolivien, wo sie auf wirk-lichen Masseneinfluss in der ArbeiterInnenbewegung zählen konnte, nur ein bürgerlich-nationalistisches Regime kritisch un-terstützt, anstatt für die Macht der ArbeiterInnen und der Bauern und Bäuerinnen zu kämpfen. Insgesamt übernahm die Führung der Vierten Internationale eine Perspektive, die darin bestand, die bestehenden konterrevolutionären Organisationen der Ar-beiterInnenbewegung nach links zu rücken, anstatt ihnen eine

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Für den Wiederaufbau der Vierten Internationale!

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unabhängige, revolutionäre Organisation entgegenzusetzen2. Diese Anpassungen bedeuteten, dass die trotzkistische Be-

wegung in der Nachkriegszeit zentristisch – d.h. zwischen revo-lutionär und reformistisch schwankend – wurde. Auch als die konterrevolutionäre Periode nach 20 Jahren zu Ende ging und die ArbeiterInnenklasse weltweit wieder in die Offensive schritt (was mit dem symbolträchtigen Datum 1968 verbunden ist) war die trotzkistische Bewegung noch in ihrer zentristischen Anpas-sung befangen. Aus dieser Bewegung können wir viele positive Lehren ziehen, aber insgesamt gab es keine Strömung, die eine revolutionäre Kontinuität verkörperte. Gerade heute können wir beobachten ,wie die größten Strömungen der trotzkistischen Bewegung sich weltweit vor dem Hintergrund der tiefsten Krise des Kapitalismus seit 80 Jahren – noch mehr von ihrem revolu-tionärem Erbe entfernen. So erklärt das „Vereinigte Sekretariat der Vierten Internationale“ (wahrscheinlich die organisatorisch größte Strömung) die revolutionäre Strategie Trotzkis für über-holt und tritt für die Sammlung aller linksradikalen AktivistInnen um ein diffuses, irgendwie antikapitalistisches Programm ein.

Aktuelle SituationDie heutigen zentristischen Anpassungen der trotzkistischen Bewegung sind selbst nur ein Ausdruck von einem größeren Phänomen: dem Widerspruch zwischen den objektiven Be-dingungen für die Revolution – der weltweite Kapitalismus, der an seine Grenzen stößt und eine neue Periode der Kriege, Krise und Revolutionen einleitet – und den subjektiven Bedin-gungen – die weltweite ArbeiterInnenklasse, die drei Milliar-den Menschen umfasst aber ein niedrigeres Bewusstsein ihrer Lage besitzt, als irgendwann in den letzten 200 Jahren. Heißt das nicht, dass die Aufgabe der Stunde darin bestehen müss-te, erstmal „irgendeine“ Organisation mit „irgendeinem“ linken oder „irgendwie“ antikapitalistischen Programm aufzubauen?

In Wirklichkeit machen verschiedene Momente der Krise deutlich, dass das Programm, mit dem die Vierte Internationale gegründet wurde, weiterhin aktuell ist (wie wir in unseren an-deren Publikationen aufzuzeigen versuchen). Ihr historisches Programm zeigt den Weg, um die tagtäglichen Forderungen der Massen mit dem Ziel der sozialistischen Weltrevolution zu verbinden. In jedem Kampf muss die Selbstorganisierung der Massen im Hinblick auf das schließliche Ziel des Aufbaus von Rä-testrukturen entwickelt werden. Die Aktualität dieses 74 Jahre al-ten Programms liegt nicht einfach daran, dass Trotzki ein beson-ders genialer Revolutionär war, sondern daran, dass in diesem Programm die Lehren der wichtigsten Kämpfe der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung – vom Sieg der Oktoberrevolution bis zur Niederlage des Zweiten Weltkrieges – in der Frische der gerade erlebten Praxis aufgehoben sind.

Darüber hinaus gewinnt dieses Programm eine neue Relevanz: Das sieht man am Beispiel Ägyptens, wo die Forderungen der Re-volution gegen Mubarak nach demokratischen Rechten und so-zialer Gerechtigkeit sich nicht im Rahmen der halbkolonialen Ab-hängigkeit – Wie man an der repressiven Politik des Militärrats und den ernüchternden Realitäten der „Demokratisierung“ sehen kann – sondern nur mittels des konsequenten Vorantreibens der Revo-lution hin zur Enteignung des Kapitals und der Vertreibung des Imperialismus erfüllt werden können3. Das Programm der perma-nenten Revolution erscheint notwendiger denn je. Das sieht man ebenfalls am Beispiel von Fabrikschließungen, von denen es in den letzten Jahren in Europa viele gegeben hat. Auch sehr kämp-ferische Streiks können Schließungen nicht verhindern, wenn sie

2. Für eine ausführliche Behandlung der trotzkistischen Bewegung in der Nachkriegszeit, siehe: http://www.klassegegenklasse.org/an-den-grenzen-der-burgerlichen-restauration/

3. Siehe hierzu unsere Analysen zu den revolutionären Prozessen in Ägypten: http://www.klassegegenklasse.org/agypten-die-revolution-in-vollem-gang/

nicht mit dem Ziel der Besetzung und der Verstaatlichung unter ArbeiterInnenkontrolle verbunden werden4. Auch hier wirkt das Übergangsprogramm in der aktuellen Periode sehr aktuell.

Warum die Vierte?Was bedeutet der „Wiederaufbau der Vierten Internationale“ genau? Existiert sie überhaupt? Ja und nein. Organisatorisch existiert die Vierte Internationale nur in Form von zersplitterten Strömungen, von denen die meisten das historische Programm der Vierten in unterschiedlichen Punkten ablehnen. Aber poli-tisch existiert die Vierte Internationale in Form ihres Programms. Wir verstehen uns als „Trotzkistische Fraktion – Vierte Internatio-nale“, weil wir dafür kämpfen, diesem Programm einen konkre-ten politischen Ausdruck zu geben.

Die Führung der Vierten Internationale wurde vor mehr als 60 Jahren zentristisch und nicht mehr revolutionär. Wäre es nicht langsam an der Zeit, die Vierte für tot zu erklären und eine „neue“ oder eine „Fünfte Internationale“ auszurufen? Diese Frage sollte nicht organisatorisch beantwortet werden, denn die Reihenfol-ge der vier Internationalen war immer eine politische Frage.

Als die Zweite Internationale im Jahr 1914 am Beginn des Er-sten Weltkrieges zerbrach, weil die meisten ihrer Parteien sich auf die Seite ihrer Bourgeoisie schlugen, gab es auch Rufe nach einer Neugründung der Internationale. Lenin und seine Gesinnungsge-nossInnen erklärten jedoch die Notwendigkeit einer neuen, Drit-ten Internationale. Denn das Konzept der Zweiten Internationale, die Sammlung der gesamten ArbeiterInnenbewegung in einer Partei, war an seine Grenzen gestoßen: Ein Konzept, das in der vorherigen Epoche revolutionär war, war in der neuen Epoche des Imperialismus in sein Gegenteil verkehrt worden. Die Konti-nuität der revolutionären Bewegung erforderte also einen Bruch vom alten Konzept und eine strikte Trennung zwischen Revolu-tionärInnen und ReformistInnen. Deswegen war eine dritte Inter-nationale nötig, die gleichzeitig die positiven Erfahrungen ihrer Vorgängerinnen aufhob und über ihre Grenzen hinaus ging.

Genauso wurde die Vierte nicht deswegen gegründet, weil es keine Internationale gegeben hätte. Im Jahr 1938 existierten die Zweite, Sozialdemokratische Internationale genauso wie die Dritte, Stalinisierte. Eine neue, revolutionäre Internationale war nötig, um die Lehren aus der Degeneration der Russischen Re-volution zu ziehen. Also war auch die Vierte eine Weiterentwick-lung des marxistischen Programms in einer neuen Periode.

Welche Weiterentwicklung des Programms würde heute die Gründung einer neuen Internationale rechtfertigen? Anders gefragt, welche Elemente aus dem Programm der Vierten In-ternationale müssten verworfen werden, um ein revolutionäres Programm für heute zu entwickeln? Wenn auch das trotzkisti-sche Programm eine Aktualisierung angesichts der Erfahrun-gen der letzten 70 Jahre bedarf, so sind wir überzeugt, dass die wesentlichen Schlussfolgerungen weiterhin korrekt sind.

Das Eintreten für eine „neue Internationale“ oder eine politisch undefinierte „Arbeiterinternationale“ oder eine „Fünfte Interna-tionale“, wie verschiedene Strömungen der trotzkistischen Be-wegung heute vertreten, ist zwangsläufig mit einer Anpassung an jene nicht revolutionäre Kräfte verbunden, mit denen man so eine Internationale aufbauen will. Am Beispiel der Fünften Inter-nationale bedeutet es eine Anpassung an den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez, der zur Gründung einer Fünften Inter-nationale aufrief. Diese würde aber nicht für die Interessen der internationalen ArbeiterInnenklasse sondern für die Interessen verschiedener bürgerlicher, „anti-imperialistischer“ Staaten ein-treten. Wir sind der Meinung, dass eine solche bürgerliche Inter-nationale, selbst wenn sie gegründet werden könnte, ein Hinder-nis im Befreiungskampf des Proletariats darstellen würde.

4. Siehe das Beispiel der besetzten Keramikfabrik Zanon in Argentinien: http://www.klassegegenklasse.org/broschure-zanon-gehort-den-arbeiterinnen/

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von Leon Feder (RIO, München)

Im Rahmen des diesjährigen Lieb-knecht-Luxemburg-Lenin-Weekends

veranstaltete RIO eine Schulung über die Theorie der Permanenten Revolution, eine der theoretischen Hauptvermächt-nisse Leo Trotzkis. In der Diskussion wurde deutlich, warum es gerade heut-zutage wichtig ist, sich mit dieser Theo-rie zu befassen. Nicht nur wird die Kritik sowohl am Stalinismus wie auch an der damaligen Sozialdemokratie deutlich, sondern auch für revolutionäre Prozesse in der heutigen Welt bietet die Theorie der Permanenten Revolution fundamen-tale Einsichten, um eine Perspektive aus dem Elend der Massen aufzuzeigen.

Die Unmöglichkeit der bürgerlichen Demokratie, ihre eigenen Versprechen von Brüderlichkeit, Gleichheit und Frei-heit einzuhalten, wurden an verschiede-nen geschichtlichen Beispielen wie auch an der Gegenwart der BRD illustriert. Vor allem in halbkolonialen Ländern, in de-nen die Produktivkräfte nicht so weit ent-wickelt sind wie in den entwickelten ka-pitalistischen Zentren, wird dies deutlich. So wie Russland vor der Revolution noch weitestgehend ein Agrarland war, sind es

heute sogenannte „Schwellen“- oder „Ent-wicklungsländer“. Die einheimischen, sich entwickelnden Bourgeoisien dieser Län-der sind selbst zu schwach, um sich ge-genüber der imperialistischen Bourgeoisie zu behaupten. Durch ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von den imperialistischen Staaten sind die herrschenden Klassen in den Halbkolonien nicht fähig, die Aufga-ben der bürgerlichen Revolution durch-zuführen. Eine wirkliche Revolution, die demokratische Rechte verwirklicht, z.B. in Ägypten, ist unter solchen Bedingungen nur durch eine sozialistische Revolution möglich, die die einheimische wie vor allem die imperialistische Bourgeoisie entmachtet und die Produktionsmittel vergesellschaftet.

Auch die oppositionelle Haltung Trotz-kis gegenüber des stalinistischen Konzep-tes des „Sozialismus in einem Land“ wird in den Kernaussagen deutlich, wobei er auf die Notwendigkeit einer revolutionä-ren Außenpolitik der Sowjetunion und letztlich einer Weltrevolution aufmerksam macht. Denn die Revolution kann erst vollendet werden, wenn die Bedingungen zum Absterben des Staates gegeben sind. Damit wird eine sozialistische Revolution auf weltweiter Ebene notwendig. Deshalb ist der revolutionäre Internationalismus, wie Trotzki ihn propagierte, nicht nur eine moralische Aufgabe, sondern eine unab-dingbare Notwendigkeit.

Bei der Schulung konnten nicht zu-letzt auch Missverständnisse aufgeklärt werden, die öfter auftauchen, wenn von

der „Permanenten Revolution“ gespro-chen wird. So ist nicht die Permanenz als endlose Reihe von Aufständen gemeint – vielmehr ist es eine Gegenthese zur „Etappentheorie“, wie sie von der Sozial-demokratie und später vom Stalinismus vertreten wurde. Nach dieser Etappen-theorie ist die Voraussetzung für eine sozialistische Revolution eine überreif entwickelte, kapitalistische Gesellschaft. Weniger entwickelte Länder sollten hier-nach zunächst einmal eine Revolution unter Führung der Bourgeoisie durchlau-fen. Der Theorie der Permanenten Revo-lution zufolge kann aber in einer Epoche, die von einer imperialistischen Dominanz weniger Länder geprägt ist, nur eine Revolution unter Führung der Arbeite-rInnenklasse auch die Ziele einer demo-kratischen Revolution durchsetzen. Vor dieser Aufgabe stehen seit Januar 2011 auch die Massen in Ägypten, deren Bour-geoisie offensichtlich keine Demokratie schaffen kann. „Permanent“ heißt damit also: von bürgerlich-demokratischen zu proletarisch-sozialistischen Aufgaben übergehend – genauso wie von nationa-ler zu internationaler Ebene dringend.

In der Theorie der Permanenten Revo-lution kommt die wechselseitige Dyna-mik zwischen revolutionären Prozessen in den Zentren und in der Peripherie zum Ausdruck. Damit findet sie ihre Synthese im Wiederaufgreifen des Marx-schen Aufrufes: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“

Die Aktualität der Permanenten Revolution

S c h w E R p u n k t : t R o t z k i

PerspektivenWir orientieren also auf den Wiederaufbau der Vierten Internatio-nale auf der Grundlage ihres historischen Programms. Das bedeu-tet weder eine Zusammenführung der „trotzkistischen Familie“, deren meisten Strömungen dem Zentrismus näher stehen als dem revolutionären Marxismus, noch ein langsames und lineares Wachstum von kleinen Gruppen. Stattdessen bedeutet es, dass wir mit der revolutionären Linken und den fortschrittlichsten Sektoren der ArbeiterInnen und Jugend nach gemeinsamen revolutionä-ren Schlussfolgerungen aus den wichtigsten Fragen des interna-tionalen Klassenkampfes suchen. Das entspricht auch unserem Verständnis von der Methode Trotzkis beim Aufbau der Vierten

Internationale, die Strömungen einband, die von Sozialdemokratie oder Stalinismus brachen und nach einer revolutionären Perspek-tive suchten. Entsprechend ist unsere Methode auf internationaler Ebene gestaltet, d.h. die permanente Auseinandersetzung mit an-deren Strömung, wie auch auf Landesebene, wo wir mit verschie-denen Projekten die kämpferischsten Sektoren aus den Bewegun-gen zu gruppieren versuchen. Dabei sind wir uns bewusst, dass wir selbst kein irgendwie „abgeschlossenes“ revolutionär-marxi-stisches Bewusstsein besitzen. Revolutionärer Reife können sich AktivistInnen nur mit der ernsthaften Aufarbeitung der Lehren der ArbeiterInnenbewegung, praktischer Selbstkritik und vor allem Er-fahrungen gesellschaftlicher Bewegungen annähern.

Leo Trotzki, W.I. Lenin und Lew Kamenew

Page 30: Klasse Gegen Klasse Nr. 3

30

i n t E R n a t i o n a l

von Claudia Cinatti (PTS, Buenos Aires)1

Ein Jahr nach dem Beginn der Mobilisierungen gegen die Dik-tatur von Bashar al-Assad begann die syrische Armee mit einer

brutalen Offensive gegen oppositionelle Städte. Währenddessen versuchen die imperialistischen Mächte und die reaktionären ara-bischen Monarchien weiter, die Situation zu ihren Gunsten zu ma-nipulieren. Die pro-imperialistische Führung, die im Syrischen Na-tionalrat (SNC) vereint ist, agiert weiter als interner Agent dieser reaktionären Strategie. Die ArbeiterInnen und die Massen leiden nicht nur unter dem konterrevolutionären Angriff Assads, son-dern auch unter der Drohung einer imperialistischen Invasion.

Das Assad-Regime hat eine brutale Repressionswelle losge-treten, um seine Herrschaft wieder zu festigen und seine Infra-gestellung durch wichtige Sektoren der Bevölkerung zu been-den, die seit einem Jahr in verschiedenen Städten protestieren – vor allem die sunnitische Bevölkerungsmehrheit – jedoch ohne die wichtigsten urbanen Zentren wie Damaskus oder Aleppo zu erreichen.

Assads Politik, jedes Fünkchen der Rebellion mit Gewalt zu unterdrücken, zeigt, dass er noch die Kontrolle über den Groß-teil der Streitkräfte und die Unterstützung der regierenden ale-vitischen Elite innehat. Mit dieser internen Basis versucht Assad, das Regime mit einer Mischung aus Repression und falschen Reformversprechen zu retten, wie die Verfassungsreform, die bei einem gefälschten Referendum Ende Februar gebilligt wur-de, während die Armee die Stadt Homs bombardierte. Für den Fall, dass er sich nicht an der Macht halten kann, hofft Assad auf ein für ihn besseres Kräfteverhältnis, durch das er einen poli-tischen Ausweg aushandeln kann, der ihm und seiner Familie Vorteile verschafft.

Wie wir in früheren Artikeln analysiert haben2, steht das sy-rische Regime, im Gegensatz zu anderen pro-imperialistischen Diktaturen, die durch die Prozesse des arabischen Frühlings gestürzt wurden, im Widerspruch zu den USA und ist der wich-tigste Verbündete des iranischen Regimes. Deswegen üben die USA, die Europäische Union, die reaktionären Monarchien des Golfes wie Katar und Saudi-Arabien und jetzt auch die Türkei, die von einem Verbündeten zu einem Gegner Assads wurde, durch wirtschaftliche Sanktionen und die Finanzierung von

1. Zuerst veröffentlicht in „La Verdad Obera“ Nr. 466, 15. März 2012. Eine längere Version dieses Artikels sowie eine Antwort des syrischen Botschafters in Venezuela und eine erneute Antwort von Claudia Cinatti sind in spanischer Sprache auf http://www.aporrea.org zu lesen.

2. Eduardo Molina: Syrien: In Richtung entscheidender Tage. http://www.klassegegenklasse.org/syrien-in-richtung-entscheidender-tage/.

Syrien zwischen der brutalen Repression und der imperialistischen Einmischung

Oppositionsgruppen Druck aus, um einen „Regimewechsel“ zu erreichen, aber ohne eine direkte Militärintervention und mit dem „humanitären“ Deckmantel der Vereinten Nationen und dem Stempel der Arabischen Liga. Dafür können sie auf die Zu-sammenarbeit der pro-imperialistischen Führung der Opposi-tion zählen, deren wichtigste Organisation (der SNC) geradezu nach einer ausländischen Intervention schreit, in der Form einer Flugverbotszone oder in der Form der Bewaffnung der opposi-tionellen Kräfte wie der Freien Syrischen Armee.

Auch wenn die Intervention in Libyen als Sieg für den Imperi-alismus galt, will die Obama-Regierung nicht vor den Wahlen in einen weiteren Krieg ziehen. Die Pläne für eine Intervention in Syrien verkomplizieren sich wegen der regionalen Situation, in der jede Aggression vom Iran beantwortet werden könnte. Dann droht ein regionaler Konflikt, der auch den Staat Israel einbezie-hen könnte. An der internen Front ist der SNC kein wirklich über-zeugender Verbündeter für die USA, die sich nicht sicher sind, ob dieser wirklich soziales Gewicht hat. Diese Spannungen haben sich schon beim Treffen der sogenannten „Freunde Syriens“ klar gezeigt, das in Tunesien abgehalten wurde und mit einem Fiasko endete, auf das später der Rücktritt prominenter Figuren folgte. Dazu kommt, dass der SNC bis jetzt keine Mitglieder der alevi-tischen oder kurdischen Minderheit einbinden konnte. Diese Ausschlüsse könnten für zukünftige Kämpfe um die Kontrolle sorgen, falls der SNC die Macht übernehmen sollte.

Doch diese Widersprüche bedeuten nicht, dass die imperia-listischen Mächte ihre heuchlerische Politik aufgegeben hätten, sich als „Freunde des syrischen Volkes“ zu präsentieren, um die Situation in ihrem Interesse zu manipulieren.

Gegen die offizielle Darstellung, die von einer externen Ver-schwörung zur Destabilisierung des Regimes spricht, die be-schämenderweise vom venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez und populistischen Strömungen, die das Assad-Regime für „antiimperialistisch“ halten, wiederholt wird, begannen die Mobilisierungen in Syrien als Teil des allgemeineren Prozesses des „arabischen Frühlings“ mit ähnlichen Motoren: die Wut auf ein unterdrückerisches und totalitäres Regime, das sich auf den Assad-Clan und eine Einheitspartei stützt, in Verbindung mit der Verschlechterung der Wirtschaftslage vor allem für die Sekto-ren, die von den Machtstrukturen der letzten Jahrzehnte ausge-schlossen waren. Trotzdem benutzt die Führung des SNC und der Freien Syrischen Armee die Mobilisierung als Druckmittel im Dienst einer reaktionären Strategie des „Regimewechsels“ in Übereinstimmung mit den imperialistischen Mächten, um das Assad-Regime durch ein anderes zu ersetzen, das ihren Interes-sen besser dient. Während Assad seine Politik der Zerquetschung jeglicher Opposition gegen das Regime fortsetzt, will der SNC eine Intervention des Imperialismus. Der einzige fortschrittliche Ausweg für die ArbeiterInnen, die Bauern/Bäuerinnen und die unterdrückten Sektoren Syriens kann nur in einem unabhängi-gen Kampf gegen das Assad-Regime mit der Perspektive einer Regierung der ArbeiterInnen und der Massen bestehen.

DemonstrantIn-nen gegen das Assad-Regime in der Provinz

Homs im Januar

Page 31: Klasse Gegen Klasse Nr. 3

31

Nr 2. Neue Bewegungen und alte Gespenster Schwerpunkt: Trotzki und Gramsci – ein posthumer Dialog

56 Seiten – 2,50 €Nr 1. Eine Zeit von Krisen, Kriegen und Re-volutionen Schwerpunkt: An den Grenzen der bür-

gerlichen Restauration60 Seiten – 2,50 €Zanon gehört den ArbeiterInnen!Broschüre über eine Fab-

p u b l i k a t i o n E n

klasse gegen klasse... ist die Zeitschrift von RIO, der Revo-lutionären Internationalistischen Or-ganisation, sympathisierende Sektion der Trotzkistischen Fraktion – Vierte Internationale (FT-CI) in Deutschland.

Den Namen klasse gegen klasse verstehen wir als eine Kampfansage an die Gewerkschaftsbürokratie in Deutschland und ihre Ideologie der „Sozialpartnerschaft“. Die ArbeiterIn-nen und Jugendlichen in Deutschland können ihre Interessen nur dann durchsetzen, wenn sie sich unabhän-gig von allen Flügeln der Bourgeoisie organisieren.

Das bedeutet einerseits, dass wir für die breiteste Einheit aller ArbeiterInnen im Kampf für ihre gemeinsamen Interessen eintreten – denn nur vereint können wir uns den Angriffen der Ka-pitalistInnen entgegensetzen. Das be-deutet andererseits, dass wir innerhalb der ArbeiterInnenbewegung für ein revolutionäres Programm kämpfen – denn die wirkliche Einheit unserer Klas-se kann nur zu Stande kommen, wenn wir die bestehenden Führungen aus SozialdemokratInnen und Reformist-Innen verschiedenster Couleur, die auf Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie setzen, gestürzt haben.

(Für uns hat klasse gegen klasse nichts mit der KPD zur Zeit des Stali-nismus zu tun, die manchmal diese Losung verwendete, um jegliche Zu-sammenarbeit mit der „sozialfaschisti-schen“ SPD abzulehnen. Genausowe-nig hat es mit der autonomen Gruppe aus den 90er Jahren zu tun, die ein Konzept des individuellen Terrorismus verfolgte.)

Es fällt auf, dass diese Losung immer öfter auf linken Demonstratio-nen und auf Wänden auftaucht (falls jemand fragt: Wir waren es nicht!). Das zeigt, mitten in einer historischen Krise des Kapitalismus, dass einige Sektoren der Jugend nicht nur den Klassengegensatz wiederentdecken, sondern auch auf dieser Grundlage Politik machen wollen.

Mit dieser Zeitschrift wollen wir die wichtigsten Lehren aus der Geschichte und aus dem internatio-nalen Klassenkampf aufarbeiten. Auf der Grundlage eines Programms, das diese Lehren aufhebt, wollen wir uns mit den fortschrittlichsten Sektoren der ArbeiterInnenklasse und der Jugend fusionieren und damit zum Aufbau einer großen revolutionären ArbeiterInnenpartei beitragen, als Teil einer Weltpartei der sozialistischen Revolution, der Vierten Internationale.

1

www. KLASSE GEGEN KLASSE .orgwww. KLASSE GEGEN KLASSE .org

Revolutionäre Internationalistische Organisation

Trotzkistische Fraktion – Vierte Internationale

ww

w.klassegegenklasse.org

Broschüre Nr. 6 – Dezember 2011

1 Euro / 2 CHf – Solipreis: 2 Euro / 4 CHf

Zanongehört den

ArbeiterInnen!Eine Belegschaft in Argentinien übernimmt ihre Fabrik und

verwaltet sie seit zehn Jahren unter ArbeiterInnenkontrolle

Red Brain ★ redbrain.blogsport.de ★ www.facebook.com/redbrain.jlg

Nach der Präsidentschaftswahl vom

18. März heißt der neue Präsident

der BRD Joachim Gauck. Nachdem sich

CDU/CSU, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grü-

nen und Otto Rehhagel einig waren und

lediglich Die Linke sich gegen ihn aus-

sprach, hat Gauck die Wahl mit 911 von

1228 Stimmen solide gewonnen. Seit-

dem scheint Gauck der neue Superstar im

Politik-Business zu sein. In den neusten

Spiegel-Umfragen kletterte Gauck auf der

Beliebtheitsskala vorbei an Wowereit und

Merkel auf Platz eins,. Allet Dufte, könnte

man doch denken. Aber ist Gauck wirk-

lich so ein guter Präsident, wie er zur Zeit

in den meisten Medien gehypt wird?

Joachim Gauck stammt aus einer gut

bürgerlichen Familie, sein Vater war Ober-

leutnant in der Handelsmarine. Gauck gilt

als Anti-Kommunist, als Freiheitskämpfer

und als Meister in Sachen Lobbyarbeit.

Genau das scheint der Riesenkoalition

aus fast allen Parteien auch so gut zu ge-

fallen.Der gelernte Pfarrer predigt in Zeiten

der Krise von Freiheit, freier Marktwirt-

schaft und Patriotismus – genau das was

gerade gebraucht wird, um „empörten“

Menschen den Wind aus den Segeln zu

nehmen. Albrecht Müller zieht in seinem

Buch „Der falsche Präsident“ den Vergleich

mit Stephane Hessel heran, der in seinem

Buch „Empört Euch“ zum Protest aufruft

– Joachim Gauck verkörpert genau das

Gegenteil. Gaucks Devise wäre eher ein

großes „Empört Euch nicht!“

Wenn es nach Gauck ginge, sollten

die Menschen in Deutschland endlich

wieder anfangen, ihr Land zu lieben und

sich nicht immer wieder auf die schlech-

ten Dinge zu beziehen. Er gibt dabei ein

re�ektiertes Bild ab, als Freiheitskämpfer,

der in der DDR Widerstand geleistet hat.

Jedoch scheint er im Laufe er Zeit verges-

sen zu haben, womit Veränderung be-

Nr. 10 April 2012

☛ Fortsetzung auf Seite 2...

Linke Zeitung für SchülerInnen

vorm John-Lennon-Gymnasium

In dieser Ausgabe...Freier Software in einer unfreien Welt ★

Wer schreibt die Geschichtsbücher? ★

Was passierte am 1. Mai? ★ Was ist der

Staat? ★ und einiges mehr...

Der super GAUck

Vollversammlung der Streikkomitees

Die seit mehreren Jahren in halbjährlicher Regelmäßigkeit

statt�ndenden bundesweiten Bildungsstreiks brachten

zwar in Berlin jedes Mal mehrere Tausend Lernende auf die

Straßen – wirkliche Verbesserungen im Bildungssystem al-

lerdings bisher nicht. Im Zuge des letzten Bildungsstreiks im

November 2011 hat sich deshalb das Bündnis Streikkomitee

Berlin (BSKB) gegründet, welches die Basisarbeit an Schulen

in Streikkomitees vorantreiben will. Darum ruft das BSKB zu

einer Vollversammlung der Bildungsbewegung in Berlin auf.

Unter anderem werden wir über die Perspektive dieser Bewe-

gung sprechen. Deshalb ho�en wir auf jede/n Interessierte/n

und auch Dich am 21. April im KuBiZ (Bernkasteler Str. 78)!

Neuer SchülerInnenraum am JLG!

Unsere Schule hat einen SchülerInnenraum! Im Raum 008

(rechts hinter der ersten linken Treppe) können sich von

nun an alle SchülerInnen tre�en, ihre Pausen verbringen,

einen Ka�ee trinken, sich unterhalten und diskutieren. Bald

wird auch das selbstverwaltete Schülercafé nach Lennon-

grad, wie der Raum heißt, ziehen. Dieser Raum gehört uns

allen und soll ein Freiraum von SchülerInnen für SchülerIn-

nen sein. Wir ho�en, dass wir diesem Raum zu einem gemüt-

lichen Tre�punkt machen werden. Jeder, der mitmachen und

-helfen will, ist gerne gesehen. Montag und Freitag um 16

Uhr werden dort auch die Tre�en des Aktionskomitees bzw.

von Red Brain statt�nden.

WAFFENDERKRITIKMarxistisches Flugblatt für Studierende und Beschäftigte an der Uni

WAFFENDERKRITIK.WORDPRESS.COM Herausgegeben von und unabhängigen Studierenden

»Die Wa�e der Kritik kann allerdings die Kritik der Wa�en nicht ersetzen, die materielle Gewalt muß gestürzt werden

durch materielle Gewalt, allein auch die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift.« (Karl Marx)

Der 1. Mai wurde 1889 zum internationalen

Kampftag der ArbeiterInnenbewegung. Das Da-

tum sollte an den Generalstreik der amerikani-

schen ArbeiterInnen für den Acht-Stunden-Tag

erinnern, der nur drei Jahre zuvor in der Arbeite-

rInnenhochburg Chicago blutig von der Polizei

niedergeschlagen wurde.

Heute steht das Proletariat in Griechenland

wieder dem kapitalistischen Repressionsappa-

rat gegenüber, um historische Errungenschaf-

ten der ArbeiterInnenbewegung, wie eben den

Acht-Stunden-Tag, gegen die Spardiktate des

griechischen und deutschen Kapitals zu vertei-

digen. Deshalb hat der 1. Mai auch nach über

hundertjährigem Bestehen nicht an Bedeutung

eingebüßt.Am Dienstag, dem 1. Mai, gilt es, ein Zeichen

zu setzen: Gegen die sozialen Angri�e in Grie-

chenland und Südeuropa, gegen den dahinter

stehenden deutschen Imperialismus und für in-

ternationale Solidarität.

In der Ho�nung, die zunehmende wirt-

schaftliche Destabilisierung im Rest Europas

aufzuhalten und Grundlagen für noch höhere

Ausbeutungsraten zu legen, werden der lohn-

abhängigen Bevölkerung Griechenlands mit al-

ler Gewalt die Kosten einer Krise aufgeladen, die

sie selbst nicht verursacht hat. Entgegen der ras-

sistischen Propaganda der deutschen Konzern-

Medien, rühren die Schulden Athens keinesfalls

von irgendeiner „faulen Mentalität“ oder einem

„ausuferndem Sozialstaat“ her, sondern durch

die vom deutschen Kapital erzwungene und

von den nationalen, bürgerlichen Regierungen

gegen „monetäre Anreize“ gewährte De�zitkon-

junktur Südeuropas zu Gunsten der besitzenden

Klasse des europäischen Nordens.

In diesem Licht erscheinen dann auch „Hilfs-

pakete“, Kürzungen und Privatisierungen we-

niger als Krisen-Lösung denn als bürgerliche

Sozial-O�ensive.In den Städten und Betrieben Griechenlands

beginnt sich dagegen eine progressive Lösung

zu etablieren. In einigen Betrieben, wie dem

Krankenhaus der Stadt Kilkis oder auch der be-

streikten Tageszeitung Eleftherotypia, manifes-

tiert sich die Perspektive der ArbeiterInnenkont-

rolle. Das heißt, Produktion durch und unter der

demokratischen Kontrolle der ArbeiterInnen-

schaft ohne und gegen die BesitzerInnen.

Diese Perspektive muss von den anderen Ar-

beiterInnen in Griechenland und ganz Europa

aufgenommen werden. Denn nur die Enteignung

der Produktionsmittel und ihre Stellung unter Ar-

beiterInnenkontrolle kann die wachsende Misere

noch aufhalten. Dies muss aber auch mit der Ver-

staatlichung unter ArbeiterInnenkontrolle des

Bankwesens und des Außenhandels verbunden

werden, also mit einer Perspektive der Übernah-

me und Verwaltung der kompletten Wirtschaft

durch die ProduzentInnen selbst, mit einer Re-

gierung der ArbeiterInnen an der Spitze.

Der deutsche Imperialismus schlägt nicht in

Griechenland zu, um die „eigene“ ArbeiterIn-

nenklasse zu verschonen. Bedeutende Teile des

deutschen „Export-Wunders“ wurden auch auf

den Rücken einer zunehmend prekarisierten Ar-

beiterInnenschaft vor Ort ausgetragen. Die Spar-

diktate in Griechenland stehen der lohnabhän-

gigen Bevölkerung der BRD in Formen wie der

Schuldenbremse und anderem gleichsam bevor.

★ Hoch die internationale Solidarität!

★ ArbeiterInnenkontrolle statt Entlassungen!

★ Klassenkampf statt Sozialpartnerschaft!

Wer wir sind„Die Geschichte aller bisherigen Gesell-

schaft ist die Geschichte von Klassenkämp-

fen.“ (Karl Marx)Und das wird sie auch noch eine Weile

sein. Mit der neuen Flugschrift WAFFEN

DER KRITIK wollen wir unter den Studie-

renden und Beschäftigten der Universitä-

ten eine klassenkämpferische Perspektive

verbreiten. Denn auch erstere werden nach

ihrem Studium zum allergrößten Teil zur

ArbeiterInnenklasse oder einer zuneh-

mend proletarisierten Mittelklasse gehö-

ren. Wir treten für eine Perspektive der

praktischen Solidarität zwischen Studie-

renden und ArbeiterInnen ein. Wir wollen

auch die Ideologie der herrschenden Klas-

se entgegentreten: Genauso wie die bür-

gerliche Universität die DienerInnen der

herrschenden Klasse ausbilden soll, so soll

eine marxistische Hochschulgruppe die

KämpferInnen der unterdrückten Klassen

ausbilden.Mit dieser Perspektive startet WAFFEN

DERKRITIK an gleich zwei Universitäten

und knüpft an der FU Berlin an die Publi-

kation für Universitätsbeschäftigte „Unser

Werkblatt“ und an der Uni Potsdam an die

Flugschrift „TheseXI“ an.

Wir werden über eine Spannweite von

Themen berichten, die sich von internatio-

naler Politik über Arbeitskämpfe vor Ort bis

hin zu linken Aktionen an der Universität

erstreckt. Dabei bietet unser Blatt Raum für

interessierte Beschäftigte und Studieren-

de, selbst kürzere und längere Artikel zu

publizieren. In o�enen Tre�en wollen wir

gemeinsam mit Euch weitere Ausgaben

erstellen, politische Diskussionen führen

und praktische Aktionen von Demo-Besu-

chen und Info-Veranstaltungen bis hin zu

Streik-Solidelegationen organisieren.

Wenn ihr interessiert seid, kommt zu

unseren Tre�en oder kontaktiert uns.

Internationalismus statt Krise!Nr. 0 24. April 2012

1. Mai-Demos in Berlin:

9 Uhr Hackescher Markt / 18 Uhr Lausitzer Platz

WAFFENDERKRITIKregelmäßiges Flugblatt von RIO und unabhän-gigen Studierenden an der FU Berlin und der Uni Potsdam

Red Brainlinke, antikapitalistische SchülerInnenzeitung von einer unabhängigen Gruppe am John-Lennon-Gymnasium

Grecia: Contra el nuevo plan de ajustes

Nuevas huelgas y jornadas de protesta

La posición de los marxistas frente a

la policía y las fuerzas de represión

por la reconst rucc ión de la cuar ta in ternac iona l / órgano de

Ni diálogo ni paz social, plan de lucha y huelga general

ESTE ES EL “DIÁLOGO”

QUE PROPONE EL GOBIERNO

Manifestaciones en lasprincipales ciudades del Estado español contra los recortes y la represión policial desatada en alencia

Manifestaciones en las

HAY FUERZAS PARA DERROTAR EL ATAQUE

DVD + Periódico: 5€

SARKOZY, HOLLANDE

LES DEUX VISAGES DE L'AUSTÉRITÉ

POUR UN VOTE ANTICAPITALISTE,

PHILIPPE POUTOU

MARS - AVRIL

2012

N°04

RÉVOLUTION PERMANENTERevue du Courant Communiste Révolutionnaire du NPA / www.ccr4.org / 3€

AU SOMMAIRE ÉGALEMENT...

SYRIE,La révolte prise en étau entre

la menace impérialiste et la

répression du régime

GRÈCE,Chroniques de la résistance sociale

MÉLENCHON,Le pouvoir aux travailleurs ou le

bulletin dans l'urne?

FÉMINISME ETMARXISME

Estrategia InternacionalZeitschrift für marxisti-sche Politik und Theorie (erscheint einmal im Jahr auf Spanisch)

Révolution PermanenteZeitschrift der Courant Communiste Révolution-naire innerhalb der NPA (auf Französisch)

ContracorrienteZeitschrift von Clase con-tra Clase im Spanischen Staat (auf Spanisch)

abos: Unterstütze Klasse Gegen Klasse mit einem Abo! So bekommst du alle zwei bis drei Monate die neuste Ausgabe per Post – und wir bekommen regelmäßige Einnah-men für unsere politische Arbeit, die sich nicht auf diese Zeitschrift beschränkt.Vier bis fünf Ausgaben im Jahr inklusive Porto kosten nur:normales Abo: 15 Euro; Solidaritätsabo: 30 Euro

kontakt: [email protected]@klassegegenklasse.org; [email protected]; [email protected];

[email protected]; [email protected]; [email protected]

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Revolutionäre Internationalistische Organisation

Trotzkistische Fraktion – Vierte Internationale

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Broschüre Nr. 6 – Dezember 2011

1 Euro / 2 CHf – Solipreis: 2 Euro / 4 CHf

Zanongehört den

ArbeiterInnen!Eine Belegschaft in Argentinien übernimmt ihre Fabrik und

verwaltet sie seit zehn Jahren unter ArbeiterInnenkontrolle

www. klasse gegen klasse .org➟ www.facebook.com/RevolutionaereInternationalistischeOrganisation

Spenden!Für unsere Arbeit brauchen wir Geld! („Die Revolution wird gegen das Elend ge macht, und dann kostet sie noch Geld!“ – Bertolt Brecht.) Also bitten wir um eine Spende – entweder per PayPal (auf unserer Website) oder per Banküberweisung (Daten auf Anfrage).

Page 32: Klasse Gegen Klasse Nr. 3

32

R u b R i k

Revolutionäre Internationalistische OrganisationTrotzkistische Fraktion – Vierte Internationale

ww

w.klassegegenklasse.org

Zeitschrift für marxistische Politik und Theorievon RIO – Nr. 3 – Mai-Juni 2012

2 Euro / 4 CHf – Solipreis: 4 Euro / 8 CHf

Vierte InternationaleWarum ist der Wiederaufbau der Vierten Internationale notwendig?

Taktik und StrategieWas bedeutet das Konzept der Strategie für den Marxismus?

Kämpfe in SyrienZwischen brutaler Repression und imperialistischer Einmischung

TrotzkisMarxismusDer russische Revolutionär Leo Trotzki entwickelte den Marxismus weiter – zum Beispiel die Beziehungen von Taktik, Strategie und Programm. Welche Bedeutung hat sein politisches Erbe heute?