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IZA DP No. 555 Keine Integration ohne Sprachkenntnisse? Zuwanderung und Spracherwerb in Kanada und Deutschland Don J. DeVoretz Holger Hinte Christiane Werner DISCUSSION PAPER SERIES Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit Institute for the Study of Labor August 2002

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IZA DP No. 555

Keine Integration ohne Sprachkenntnisse?Zuwanderung und Spracherwerb inKanada und DeutschlandDon J. DeVoretzHolger HinteChristiane Werner

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Forschungsinstitutzur Zukunft der ArbeitInstitute for the Studyof Labor

August 2002

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Keine Integration ohne Sprachkenntnisse? Zuwanderung und Spracherwerb in

Kanada und Deutschland

Don J. DeVoretz Simon Fraser University, RIIM and IZA Bonn

Holger Hinte

IZA Bonn

Christiane Werner Simon Fraser University, RIIM (bis 2001)

Associated Economic Consultants, Vancouver (seit 2001)

Discussion Paper No. 555 August 2002

IZA

P.O. Box 7240 D-53072 Bonn

Germany

Tel.: +49-228-3894-0 Fax: +49-228-3894-210

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IZA Discussion Paper No. 555 August 2002

Die englische Version dieser Studie ist unter ftp://ftp.iza.org/dps/dp555.pdf abrufbar. Eine kostenlose Druckversion kann bei [email protected] angefordert werden.

ABSTRACT

Keine Integration ohne Sprachkenntnisse? Zuwanderung und Spracherwerb in Kanada und Deutschland

Deutschland und Kanada befinden sich an entgegengesetzten Enden der Diskussion um sprachliche Integration und Einbürgerung von Zuwanderern. Seit Januar 2000 findet das Sprachkriterium explizit Erwähnung im deutschen Staatsangehörigkeitsrecht. Das voraussichtlich zum 1. Januar 2003 in Kraft tretende erste deutsche Zuwanderungsgesetz zielt neben den Kriterien der Begrenzung und Steuerung auch in Richtung eines Sprachkriteriums für die Zulassung zur Immigration. In Kanada hingegen ist keine der beiden Amtssprachen zwingende Voraussetzung für Zuwanderung oder Einbürgerung. Über die Bewertung von Sprachkenntnissen im Rahmen eines Punktesystems für die Auswahl von Zuwanderern hinaus geschieht das Erlernen der Landessprache(n) in Kanada weitgehend auf freiwilliger Basis und hängt meist von entsprechenden Arbeitsmarktanreizen ab. Welche gesetzliche Regelung bildet den besseren Rahmen für den Spracherwerb der Zuwanderer – das bislang (und in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit auch) staatlich geregelte deutsche System oder das Laissez-Faire-Modell Kanadas? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, werden in dieser Studie die gesetzlichen Grundlagen und Sprachförderungspro-gramme beider Länder vergleichend bewertet. JEL Classification: F22, I29, J60, J61 Keywords: Immigration, Integration, Spracherwerb, Zuwanderungspolitik, Punktesystem Don J. DeVoretz RIIM Simon Fraser University Burnaby, BC, V5A 1S6 Canada Tel.: +1 (604)-291-4575 Fax: +1 (604)-291-5336 Email: [email protected]

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IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 III

EXECUTIVE SUMMARY

Aufgrund des starken Zustroms von Ausländern und Aussiedlern insbesondere im vergangenen Jahrzehnt, ist Deutschland de facto zu einem Einwanderungsland geworden. Was Deutschland dabei von “klassischen” Einwanderungsländern wie Kanada unterscheidet, ist die Tatsache, daß es auf diese Entwicklung erst jüngst mit Initiativen zu einer umfassenden Immigrationsgesetzge-bung reagiert hat. Das Einwanderungsgesetz, das vom Deutschen Bundestag und Bundesrat (von diesem allerdings in einer verfassungsrechtlich umstrittenen Form) im März 2002 verabschiedet wurde und am 1. Januar 2003 in Kraft treten soll, könnte einen Wendepunkt in der deutschen Migrationsgeschichte bedeuten – selbst dann, wenn die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes vom Bundesverfassungsgericht in Abrede gestellt oder eine veränderte politische Mehrheit inhaltliche Korrekturen am Gesetz bewirken sollte.

I.

Im Fehlen einer systematischen Einwanderungsgesetzgebung ist ein wichtiger Grund für den bis-lang stark eher fragmentarischen Charakter der staatlichen Integrationsprogramme in Deutsch-land zu sehen. Eine in sich geschlossene, anreizwirksame Strategie zur Sprachförderung gilt es noch zu entwickeln. Dabei sind Vorstufen einer umfassenden Sprachförderung durchaus bereits existent. So müssen Aussiedler vor ihrer Einreise nach Deutschland einen Sprachtest bestehen. Dieser Test gilt allerdings nur für die Einreisewilligen selbst und nicht für ihre Familienmitglie-der. Für die weit größere Gruppe der nichtdeutschen Immigranten existiert bislang weder ein ob-ligatorischer Sprachtest vor der Einreise noch ein mit gezielten Lernanreizen versehenes Sprach-förderprogramm im Inland. Dieser Umstand trägt wesentlich zu der vielfach beobachtbaren Sprachbarriere zwischen Immigranten und Deutschen bei. Von ihr wiederum geht ein negativer Einfluß auf die Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt aus.

Eine fundamentale Veränderung dieser Konstellation ist jedoch mittelfristig zu erwarten.

Seit dem Jahr 2000 muß vor der Einlösung eines erworbenen Rechtsanspruches auf Einbürge-rung der Nachweis „ausreichender“ Sprachkenntnisse erbracht werden. Dies ist ein erstes Anzei-chen dafür, daß dem Spracherwerb eine zusehends größere Bedeutung als zentraler Integrati-onsaspekt zuerkannt wird. Darüber hinaus wird die deutsche Sprachförderpolitik mit der Einfüh-rung eines neuen „Gesamtsprachkonzepts“ einer Reform unterzogen werden, die die verschiede-nen Integrationsanstrengungen für Ausländer und Aussiedler, von denen in der vorliegenden Un-tersuchung die Rede ist, in einem Programm bündelt. Das Zuwanderungsgesetz enthält bereits erste entsprechende Bestimmungen. Noch wichtiger erscheint freilich die Tatsache, daß Kennt-nisse der deutschen Sprache als Auswahlkriterium und Integrationsaspekt im neuen Zuwande-rungsgesetz berücksichtigt wurden und insofern in bezug auf neu einreisende Immigranten von einem zukünftig größeren Anteil bereits hinreichend des Deutschen mächtigen Zuwanderern ausgegangen werden kann. Das neue Zuwanderungsgesetz sieht überdies vor, daß zukünftig auch Familienangehörige von Spätaussiedlern den Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse führen müssen, um eine Einreiseerlaubnis zu erhalten.

Diese Studie vergleicht die gegenwärtig vorhandenen Sprachprogramme in Kanada und

Deutschland vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklungen in Deutschland. Im

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Gegensatz zu Deutschland verfügt Kanada über eine umfassende Immigrationspolitik und eine Strategie zum Spracherwerb von Zuwanderern, die auf die kanadischen Interessen zugeschnitten sind. Es gibt guten Grund zu der Annahme, daß das kanadische Punktesystem, das zuletzt Mo-dell stand für die entsprechenden Regelungen im deutschen Zuwanderungsgesetz, den Weg zu einem erfolgreichen deutschen Sprachförderungsmodell ebnen könnte.

II.

Kanada wirbt bereits seit über 100 Jahren aktiv um Zuwanderer. Seit 1911 bestehen dafür aus-drückliche gesetzliche Regelungen. Gemäß der aktuellen kanadischen Einwanderungspolitik, die auf ein Gesetz aus dem Jahr 1967 zurückgeht und auf einem Auswahl-Punktesystem basiert, er-folgt die Auswahl von Immigranten insofern unabhängig von ihren Sprachkenntnissen, als die Zuwanderung auch dann nicht ausgeschlossen ist, wenn keine Sprachkenntnisse vorhanden sind. Vielmehr kann dieses Defizit an anderer Stelle des Auswahl-Punktesystems „wettgemacht“ wer-den. Zum Erwerb der kanadischen Staatsangehörigkeit sind nur geringfügige Kenntnisse einer der beiden Amtssprachen erforderlich. Kann Deutschland aus Kanadas Laissez-Faire-Politik Lehren für die eigene Politik in bezug auf den Spracherwerb von Immigranten ziehen? Dieser Frage wird in der vorliegenden Studie nachgegangen. Dazu werden Einwanderungsgeschichte und Sprachpolitik beider Länder verglichen und die unterschiedlichen Konzepte des Spracher-werbs auf ihre Wirksamkeit untersucht. Aus diesem Vergleich können positive und negative Lehren für die deutsche Politik gezogen werden.

Kanadas Einwanderungspolitik hat sich in den vergangenen dreißig Jahren dramatisch

gewandelt. Am Anfang stand ein Punktesystem, das Wirtschaftsimmigranten den Vorrang gab (1967-73), gefolgt von einem hauptsächlich auf Familienzusammenführung ausgerichteten Sy-stem (achtziger Jahre), bis hin zur heutigen Einwanderungspolitik, die beide Systeme in einem ausgewogenen Verhältnis kombiniert. Da sich im Falle Kanadas sowohl die Immigrantengrup-pen als auch die Herkunftsländer verändert haben, hat die Sprachkomponente im Auswahlverfah-ren an Bedeutung gewonnen. Die kanadische Politik hat mittlerweile erkannt, daß Immigranten, die mindestens eine der Amtssprachen fließend sprechen, leichter in die Gesellschaft zu integrie-ren und wirtschaftlich erfolgreicher sind. Derzeit verfügen rund 95 Prozent der erfolgreichen Bewerber in der Gruppe der qualifizierten Arbeitskräfte über Kenntnisse zumindest einer der Amtssprachen. Bewerber für die kanadische Staatsangehörigkeit müssen ein Minimum an Eng-lisch- oder Französischkenntnissen besitzen. Allerdings sind die Sprachanforderungen gering, und Bewerbern ist es sogar erlaubt, die Hilfe eines Übersetzers in Anspruch zu nehmen, um den Einbürgerungstest zu bestehen. Über die Honorierung von Sprachkenntnissen im Rahmen des Punktesystems hinaus finden während des Aufenthalts jedoch diverse – zumeist berufsbezogene – Überprüfungen der Sprachkenntnisse statt. Letztendlich basiert der Erfolg jedes Einwanderers im kanadischen Arbeitsmarkt auf seinen Kenntnissen der Landessprache.

III.

Im Gegensatz zu Kanada hat sich Deutschland bisher offiziell nicht als Einwanderungsland be-zeichnet und sich dieser Selbsterkenntnis auch in der aktuellen Debatte, die zum ersten Zuwan-derungsgesetz in der deutschen Geschichte geführt hat, nur zögerlich angenähert. Aufgrund des Mangels an Arbeitskräften in den 1950 Jahren wurden ausländische Arbeitnehmer als Gastarbei-

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ter angeworben. Als Folge lebt die Hälfte aller Ausländer seit über einem Jahrzehnt in Deutsch-land, 30 Prozent sogar seit über 20 Jahren. Mittlerweile existieren längst Gastarbeiterfamilien der zweiten oder gar schon der dritten Generation. Die ehemaligen Gastarbeiter bilden inzwischen nicht mehr die Mehrheit der ausländischen Bevölkerung in der Bundesrepublik. Ihre Kinder und die neuen Zuwanderer, besonders aus Osteuropa, gewinnen heute zunehmend an Bedeutung. Die Frage der Ausländerintegration stellt sich heute anders und aktueller denn je.

Die Situation der Ausländer in der deutschen Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt läßt

sich größtenteils mit der Situation der Aussiedler vergleichen. Auch die meisten Spätaussiedler aus Osteuropa sowie potentiell anzuerkennende Aussiedler, die noch in diesen Staaten leben, ge-hören mindestens der zweiten Generation an. Da sie nie in Deutschland gelebt haben, finden sie ähnliche „Startbedingungen“ in der neuen Heimat vor wie Ausländer. Der starke Zuzug von Einwanderern im letzten Jahrzehnt führte zu beträchtlichen Integrationsproblemen in Deutsch-land. Die entstandenen Schwierigkeiten im sozialen Umfeld lassen sich zumindest teilweise auf die existierenden Sprachbarrieren zurückführen und sind eine Ursache verstärkter Fremdenfeind-lichkeit. Im Hinblick auf die starke Zunahme der Antragstellung und Einreise von Aussiedlern wurden in den 1990er Jahren Sprachtests eingeführt, um die Plausibilität der Anträge besser be-urteilen zu können. Die Einführung dieser Tests hat deutlich gemacht, daß eine große Zahl der Aussiedler keine ausreichenden Deutschkenntnisse besitzt.

IV.

In Kanada verfügt ebenfalls ein großer Anteil der Immigranten über unzureichende Sprach-kenntnisse. Darauf reagierte der Privatsektor mit der Gründung von Fortbildungseinrichtungen, an denen English (French) as a Second Language (ESL/FSL) unterrichtet wird. Die Kurse basie-ren auf dem Canadian Language Benchmarks Assessment (CLBA), das die Regierung speziell zur Standardisierung von Sprachkursen entwickeln ließ. Die Kurse Language Instruction for Newcomers to Canada (LINC) werden von der Regierung gefördert und stehen allen neuen Zu-wanderern offen. Der zeitliche Rahmen der Sprachausbildung ist auf maximal drei Jahre be-schränkt. Nach dieser Zeit sollen die Absolventen in der Lage sein, ihren alltäglichen Verpflich-tungen, die ausreichende Kenntnisse der Amtssprache erfordern, nachzukommen.

Im Gegensatz zum kanadischen Ausbildungssystem wird die Sprachförderung in

Deutschland fast ausschließlich durch den Staat geregelt. Die deutsche Regierung finanziert Sprachkurse sowohl für Aussiedler als auch für Ausländer. Diese Kurse sollen dazu beitragen, die Immigranten wirtschaftlich und auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren, soziale Kontakte zu fördern sowie die politische und kulturelle Partizipation der Zuwanderer zu verbessern. Die Mit-tel für die jeweiligen Immigrantengruppen werden von verschiedenen Behörden bereitgestellt. Studien zum Erfolg dieser Programme kommen zu dem Ergebnis, daß ihre Effektivität sehr hoch eingeschätzt wird. Dabei muß allerdings beachtet werden, daß diese Umfrageergebnisse auf-grund von Selbstauskünften der Anbieter von Sprachkursen und Kursteilnehmern zustande ge-kommen sind und empirisch nicht überprüft wurden.

Die bis heute getrennt angebotenen Sprachförderungsprogramme für Aussiedler und Aus-länder sollen mittelfristig in einem „Gesamtsprachkonzept“ für alle Immigranten aufgehen. Die im Zuwanderungsgesetz getroffenen Regelungen machen deutlich, daß dabei die unterschiedli-

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che Behandlung von Aussiedlern (Sprachtest vor der Einreise plus Sprachkursangebot nach der Einreise) und Ausländern (Sprachkursangebot nach der Einreise) nicht grundsätzlich aufgegeben werden wird, wohl aber indirekt ein Anreiz zum Spracherwerb auch von Ausländern bereits vor Antragstellung bzw. Einreise geschaffen werden soll, indem eine Bewertung von Sprachkennt-nissen im Rahmen des Punktesystems erfolgt, der Rechtsanspruch auf Einbürgerung nach Be-such eines Integrationskurses ein Jahr früher eingeräumt wird und der ansonsten freiwillige Be-such von Sprach- und Integrationskursen für Neuzuwanderer dann obligatorisch wird, wenn kei-ne Verständigung „auf einfache Art“ in deutscher Sprache möglich ist.

V. Im Ganzen gesehen existieren in den beiden betrachteten Ländern zwei sehr unterschiedliche Spracherwerbsmodelle, die sich jedoch – berücksichtigt man die jüngsten gesetzgeberischen Ak-tivitäten in Deutschland und Kanada – auf dem Wege einer gewissen Angleichung befinden. Von der Einreise bis zur Einbürgerung verlangt Kanada von Zuwanderern grundsätzlich keine bzw. indirekt nur recht geringe Kenntnisse der Amtssprachen, sieht man vor der inzwischen strenge-ren Bewertung des Sprachniveaus im Punkteverfahren ab. In Kanada ist es vor allem dem Markt überlassen, den Spracherwerb von Immigranten optimal zu regeln. Deutschland hingegen ver-wendet Sprachkenntnisse seit 1996 explizit als Anerkennungs- und Einbürgerungskriterium für Spätaussiedler sowie seit 2000 als Einbürgerungsvoraussetzung für Ausländer. Das neue Ein-wanderungsgesetz schafft zudem innerhalb eines Punktesystems die rechtliche Grundlage zur Bewertung von Sprachkenntnissen vor der Einreise und sieht den verpflichtenden Sprachkursbe-such in bestimmten Fällen vor. Darüber hinaus bieten zahlreiche Regierungsbehörden im Rah-men verschiedenster Programme subventionierte Sprachkurse an, um die Integration der Zuwan-derer in die deutsche Gesellschaft zu erleichtern.

Die vorliegende Studie stellt einen theoretischen Rahmen vor, der es erlaubt, den optima-len Spracherwerb in unterschiedlichen Handlungsumfeldern (wirtschaftlich, sozial, politisch) zu messen. Die Quintessenz daraus: Kein Maß an Spracherwerb von Immigranten ist in jedem Um-feld optimal. Jeder Mensch wird – unabhängig von staatlichen Auflagen oder Subventionen – je nach seinen persönlichen Eigenschaften eine individuelle Mischung von Sprachkenntnissen er-werben. In einem freiwilligen Spracherwerbssystem ohne Subvention werden die Sprachkennt-nisse in den ökonomischen, politischen und sozialen Sphären zunächst nur aus minimalen münd-lichen Kenntnissen bestehen. Insbesondere ältere Immigranten der ersten Generation werden womöglich niemals funktionierende Kenntnisse der Landessprache entwickeln. Dieses große Manko könnte allerdings durch ein Kreditprogramm für den Spracherwerb ausgeglichen werden. Dazu würden beruflich qualifizierte Immigranten einen Kredit erhalten, den sie dazu nutzen könnten, ihre Sprachkenntnisse soweit zu verbessern, wie sie es unter sozialen, politischen und Arbeitsmarktaspekten für sinnvoll halten. Gerade auf dem Arbeitsmarkt müßte ein solches Kre-ditmodell allerdings großzügig genug sein, um Immigranten die Gelegenheit zu geben, die nöti-gen Sprachkenntnisse für die berufsbezogenen Zulassungsprüfungen zu erwerben.

VI.

Der Hauptvorteil des kanadischen Freiwilligkeitssystems besteht darin, daß junge und finanz-starke Immigranten einen optimalen Grad an Sprachbeherrschung erreichen, da sie den Spra-

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cherwerb als lohnenswerte Investition in ihre Zukunft auf dem Arbeitsmarkt betrachten. Sie wer-den ihre Sprachkenntnisse kontinuierlich weiterentwickeln, bis der Grenzertrag dieser Investition zu gering wird. Falls der Immigrant aufgrund von Diskriminierung oder ungünstigen makroöko-nomischen Arbeitsmarktbedingungen (Arbeitslosigkeit) die erwartete Rendite nicht erreichen kann, würde ein erfolgsabhängiges Rückzahlungsmodell jegliches Risiko ausschließen.

Sprachzeugnisse, berufsbezogene Sprachausbildung und Anerkennung der Zertifikate sei-

tens des Arbeitgebers sind notwendige Bestandteile des auf Freiwilligkeit basierenden Pro-gramms. Fehlt einer dieser Teile, werden einzelne Immigranten nicht optimal in den Spracher-werb investieren, da die erwarteten Erträge nicht erreicht werden können.

In Deutschland wäre das bislang praktizierte staatlich dominierte Modell des Spracher-

werbs insbesondere dann plausibel, wenn die Politik allein darauf abzielte, alle Zuwanderer – ob Aussiedler oder Ausländer – einzubürgern. Da das Ziel der deutschen Politik jedoch darüber hin-aus (vernünftigerweise)darin bestehen muß, die wirtschaftliche und soziale Integration sowohl von Aussiedlern als auch von Ausländern so frühzeitig wie möglich zu fördern und bereits ihre Einreise anhand von Auswahlkriterien zu steuern, wäre eine modifizierte deutsche Version des kanadischen Modells zu favorisieren.

Für Deutschland erscheint es in diesem Zusammenhang allerdings sinnvoll, nicht allein

auf Freiwilligkeit zu vertrauen, sondern auf den Erwerb eines Mindestmaßes an Deutschkennt-nissen zu einem frühen Zeitpunkt des Aufenthalts in der Bundesrepublik gezielt hinzuwirken. Während Kanada seine Laissez-faire-Politik auf den Umstand gründen kann, daß eine der beiden Amtssprachen zugleich Weltsprache ist und insoweit Immigranten mit einiger Wahrscheinlich-keit zumindest ein Minimum an Sprachkenntnissen mitbringen, verfügen die nach Deutschland einreisenden Immigranten mit ebenso hoher Wahrscheinlichkeit über keine Grundkenntnisse der Sprache ihres Ziellandes. Auch gibt es, wie die historische Erfahrung zeigt, nur geringe Anreize zum Erlernen der deutschen Sprache für den – im Zeitalter der Globalisierung zusehends wahr-scheinlicher werdenden – Fall, daß Deutschland mitunter lediglich als Zwischenstation auf dem Weg in eines der klassischen Einwanderungsländer gewählt wird.

Nicht zuletzt läßt es aber auch der im Vergleich zu Kanada stärkere Zuzug von Immi-

granten erforderlich erscheinen, den Integrationserfolg durch Sprachkompetenz so frühzeitig wie möglich anzustreben. Dies kann nicht ausschließlich durch freiwillige Sprachkurse in Deutsch-land gewährleistet werden, sondern bedarf offenkundig eines geeigneten „Flankenschutzes“. Vor diesem Hintergrund scheint die Bewertung von Sprachkenntnissen innerhalb des Punktesystems im neuen Zuwanderungsgesetz eine sinnvolle Lösung zu sein. Gleichzeitig ist bei einem solchen System jedoch zu beachten, daß die Bedeutung der Sprachkenntnisse nicht zu stark betont wird. Geschieht dies doch, steigt die Wahrscheinlichkeit, daß die „besten Köpfe“ ein anderes Einwan-derungsland wählen..

Nach der Ankunft in Deutschland können sowohl die individuellen Bedürfnisse der Zu-

wanderer als auch das allgemeine Interesse an ihrer sozialen Integration am ehesten durch ein freiwilliges Spracherwerbsmodell nach kanadischem Vorbild erfüllt werden. Ergänzt werden sollte dieses Modell jedoch durch wirksame positive Anreize zum Spracherwerb, die sich einem gelegentlich diskutierten Sanktionsmodell gegenüber als überlegen erweisen werden. Ein effek-

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tiver Anreizmechanismus könnte beispielsweise in einem Kautionsprinzip bestehen, wie es in Australien praktiziert wird. Diesem Prinzip zufolge wäre nach einem nicht bestandenen Ein-gangssprachtest eine Kaution zu zahlen, die nur dann zurückerstattet wird, wenn innerhalb einer bestimmten Zeit ein zweiter Test bzw. ein Sprachkurs erfolgreich bestanden wird.

Um den Erfolg des Sprachprogramms weiterhin sicherzustellen, könnten die Kursteil-

nehmer anteilig an den Kurskosten beteiligt werden. Werden die positiven Lernanreize eindeutig genug gesetzt, wird dies vertretbar sein. Ein Kautionssystem stellt in dieser Hinsicht lediglich einen Mindestschritt dar. Naheliegend mag es zunächst erscheinen, das Prinzip der obligatori-schen Sprachtests für Aussiedler vor der Einreise in die Bundesrepublik auch auf ausländische Zuwanderer auszudehnen. Von dem erheblichen organisatorischen Aufwand abgesehen, müßte dazu freilich ein schlüssiges Konzept entwickelt werden, das durch entsprechende Anreizmecha-nismen Deutschlands Attraktivität als wettbewerbsfähiges Zuwanderungsland nicht mindert, wohl aber die potentiellen Zuwanderer dazu ermutigt, bereits vor der Einreise ein gewisses Maß an deutschen Sprachkenntnissen zu erwerben, ohne sich der Zuwanderungsgenehmigung bereits sicher sein zu können. Es erscheint zweifelhaft, ob dieses Kalkül aufgehen könnte. Die Plausibi-lität des im neuen Zuwanderungsgesetz vorgesehenen obligatorischen Besuchs von Sprach- und Integrationskursen im Falle nicht vorhandener minimaler mündlicher Sprachkenntnisse erscheint insoweit fraglich. Sinnvoller dürfte es sein, für alle Zuwanderergruppen den Kursbesuch mit ent-sprechenden positiven Anreizen zu verbinden, wobei die Verkürzung der Mindestaufenthaltszeit bis zum Erwerb eines Rechtsanspruchs auf Einbürgerung um ein Jahr nicht ausreichend sein wird.

Eine reformierte deutsche Sprachförderung könnte das kanadische und das deutsche Mo-

dell zu einem Gesamtkonzept verknüpfen, das das Prinzip der Freiwilligkeit und die notwendi-gen Gestaltungsspielräume der Zuwanderer beläßt, zugleich aber durch eindeutige Anreizmecha-nismen dafür Sorge trägt, daß der Spracherwerb – zum Nutzen von Gesellschaft und Arbeits-markt – schneller und zuverlässiger als bislang erfolgt. Die gemeinsame Sprache ist der Schlüs-sel zum sozialen Zusammenhalt einer offenen Gesellschaft, die – im Falle Deutschlands – gerade erst behutsam damit begonnen hat, ihr Land als Einwanderungsland wahrzunehmen. Ausrei-chende Sprachkenntnisse sollten in einer Kombination aus verpflichtenden und freiwilligen Maßnahmen innerhalb eines attraktiven Integrationskonzepts erworben werden.

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung 1

A. Die kanadische Einwanderungspolitik nach 1945 5

B. Kanadas Staatsangehörigkeitsgesetz und seine Sprachanforderungen 12

C. Die geschichtliche Entwicklung der deutschen Zuwanderungspolitik 16

D. Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit 24

E. Sprachtests für Aussiedler 28

F. Marktorientierte Sprachtests und Sprachförderung in Kanada 33

G. Kanadas Sprach-Benchmarks 38

H. Sprachförderung in Deutschland 43

I. Bewertung des Spracherwerbs in Kanada und Deutschland 59

Resümee 66

Literaturverzeichnis 73

Anhang A Auszug aus dem Deutschen Grundgesetz 77

Anhang B Auszug aus den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Staatsangehörigkeitsrecht – StAR-VwV (Stand: 1. Januar 2000), Kabinettsbeschluß vom 18. Oktober 2000 78

Anhang C Auszug aus dem Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 20. Juni 2002 79 Anhang D Sprachförderungsprogramme für Aussiedler und Ausländer in Deutschland, Stand 2000 83

Anhang E Auszug aus Gesetzesvorlage C-11 (Kanadas Immigration and Refugee Protection Act) 84

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Tabellen und Schaubilder

Tabelle 1: Zuwanderer in Kanada nach Region des letzten Wohnsitzes, 1967-2000 7

Tabelle 2: Sprachkompetenz-Beurteilungshandbuch 9

Tabelle 3: Zu- und Abwanderung von Ausländern in Deutschland, 1991-1999 21

Tabelle 4: Ergebnisse der Sprachtests für Spätaussiedler 30

Tabelle 5: Sprachanforderungen in verschiedenen Phasen des Aufenthalts in Kanada 33

Tabelle 6: Allgemeiner Inhalt der Canadian Language Benchmarks 39

Tabelle 7: Anmeldungen von Spätaussiedlern für Deutschkurse, 1991-1997 46

Tabelle 8: Zeitspanne zwischen Einreise nach Deutschland und Eintritt in einen Sprachkurs des BMA 49

Tabelle 9: Zeitspanne zwischen Einreise nach Deutschland und Eintritt in einen GF-SB-Sprachkurs 51

Tabelle 10: Hauptgründe für die Teilnahme am Deutschkurs für Ausländer 56

Tabelle 11: Renditen der Sprachbeherrschung in Kanada 60

Schaubild 1: Netto-Migration, Zuwanderung, Abwanderung in Deutschland, 1955-2000 16

Schaubild 2: Zuzug von (Spät)Aussiedlern nach Deutschland, 1950-2000 18

Schaubild 3: Gesamtzahl der Aussiedler und Ausländer in Deutschland, 1951-1998 22

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IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 1

Einleitung

Mit einem Bevölkerungsanteil von gegenwärtig 7,3 Millionen Menschen stellen Ausländer in

Deutschland etwa 9 Prozent der Gesamtbevölkerung. Darüber hinaus findet seit vielen Jahren

eine erhebliche Zuwanderung deutschstämmiger Spätaussiedler aus Osteuropa1 statt. Es erscheint

somit nicht vermessen, Deutschland den Status eines de facto-Zuwanderungslandes zuzuschrei-

ben. Zwar werden ausländische Zuwanderer ohne und Spätaussiedler mit deutscher Staatsange-

hörigkeit vom Gesetzgeber unterschiedlich behandelt, doch ihre Integrationsprobleme sind

durchaus vergleichbar. Dazu zählt insbesondere die oftmals deutliche Sprachbarriere zwischen

einheimischer Bevölkerung und Immigranten. Diese Sprachprobleme tragen potentiell zur Ent-

stehung von sozialen und wirtschaftlichen Spannungen zwischen Deutschen und Zuwanderern

bei.

Um diesem Problem Rechnung zu tragen, vor allem jedoch um den Zustrom von Aus-

siedlern einzudämmen, wurde 1996 ein Sprachtest für Bewerber um den Spätaussiedlerstatus

eingeführt. Die Antragsteller – nicht jedoch bislang ihre Familienangehörigen – müssen seither

diesen Sprachtest bestehen, um den Status eines Spätaussiedlers und die Einreisegenehmigung zu

erhalten. Damit wurde erstmals ein Sprachkriterium als Auswahlmechanismus für eine große –

deutschstämmige – Zuwanderergruppe rechtlich verankert. Eine Grundsatzdebatte über die gene-

relle Überprüfung der Sprachkenntnisse auch von Ausländern blieb jedoch zunächst aus – der

Zusammenhang mit dem in Deutschland (zu) lange fehlenden umfassenden Zuwanderungsgesetz

ist offensichtlich. Im Rahmen der Diskussion um eine grundlegende Reform des deutschen

Staatsangehörigkeitsrechts wurde der Spracherwerb schließlich allerdings verstärkt auch als In-

tegrationsaspekt thematisiert. Diese politische Debatte resultierte im reformierten Staatsangehö-

rigkeitsrecht des Jahres 2000; darin findet sich erstmals ein Sprachkriterium als Voraussetzung

für einen erfolgreichen Antrag eines Ausländers auf Einbürgerung.

Nach 1998 ist Bewegung in die grundsätzlichen Erwägungen zur Sprachförderung bei

Migranten in Deutschland gekommen. Diese Überlegungen zielten auf eine Verschärfung der

1 Der rechtliche Terminus „Aussiedler“ wurde 1992 in „Spätaussiedler“ umgewandelt. Diese Studie verwendet beide Bezeichnungen synonym.

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Sprachtests für Spätaussiedler (und ihre Familienangehörigen), aber auch auf die Vereinheitli-

chung der Sprachkurse für alle Immigranten in Deutschland. Zwar weist die deutsche Sprachför-

derungspolitik zur Zeit noch einen eher fragmentarischen Charakter auf, doch zunehmend wird

erkannt, daß Sprache entscheidend zur sozialen und Arbeitsmarktintegration von Aussiedlern

und Ausländern in der Bundesrepublik beitragen kann.

Der von der Bundesregierung im November 2001 vorgelegte „Entwurf eines Gesetzes zur

Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integra-

tion von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz)“ wurde im Frühjahr 2002 nach

heftigem politischen Streit von Bundestag und Bundesrat verabschiedet. Das voraussichtlich zum

1. Januar 2003 in Kraft tretende Gesetz2 (die für diese Studie wichtigsten Bestimmungen sind in

Anhang C wiedergegeben) beabsichtigt nicht nur, die Einreise von Zuwanderern auf eine neue

rechtliche Grundlage zu stellen und erstmals ein systematisches Verfahren zur Immigration von

qualifizierten Arbeitskräften zu etablieren; es sieht auch vor, Sprachkenntnisse von Einwande-

rungsbewerbern im Rahmen eines Punktesystems nach kanadischem Vorbild zu bewerten und

zum Zulassungskriterium für die Einreise zu erheben.

Darüber hinaus verpflichtet das Zuwanderungsgesetz neu einreisende Zuwanderer, die

sich nicht „auf einfache Art“ in deutscher Sprache verständigen können, zum Besuch eines „In-

tegrationskurses“. Gleichzeitig modifiziert das Zuwanderungsgesetz die staatsangehörigkeits-

rechtlichen Vorschriften dahingehend, daß die erfolgreiche Teilnahme an einem solchen staatli-

chen Kurs einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung schon nach sieben, statt im Regelfall erst

nach acht Jahren einräumt. Im übrigen sieht das Zuwanderungsgesetz nunmehr auch für Famili-

enangehörige von Bewerbern um den Spätaussiedlerstatus den Nachweis genügender Sprach-

kenntnisse vor Erteilung einer Einreiseerlaubnis sowie einen Anspruch auf kostenfreie Teilnah-

me an einem Integrationskurs in Deutschland vor. Die Debatte um den Spracherwerb von Zu-

2 Vgl. Bundesgesetzblatt, Teil 1, Nr. 38, 25. Juni 2002, S. 1946-2000. Das Zuwanderungsgesetz wurde am 1. März 2002 vom Deutschen Bundestag und in einem verfassungsrechtlich bislang umstrittenen Abstimmungsverfahren am 22. März 2002 auch vom Deutschen Bundesrat verabschiedet. Unbeschadet der Unterzeichnung des Gesetzes durch den Bundespräsidenten am 20. Juni 2002 könnte in letzter Instanz eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Rechtmäßigkeit des Zustandekommens des Gesetzes herbeigeführt werden. Auch ein Regierungswechsel im Herbst 2002 könnte das Zuwanderungsgesetz noch vor seinem Inkrafttreten zum 1. Januar 2003 erneut zur Dis-position stellen.

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wanderern dürfte mit dem voraussichtlichen Inkrafttreten dieser Bestimmungen zum 1. Januar

2003 freilich nicht beendet sein.

Aus der bisherigen Praxis der Sprachförderung für Spätaussiedler und Ausländer ergeben

sich folgende Fragen: Sollte es einen einheitlichen Maßstab für Sprachkompetenz geben, der für

Aussiedler und Ausländer gleichermaßen Gültigkeit besitzt? Sollten die Sprachkenntnisse unmit-

telbar bei der Einreise überprüft werden, später im Rahmen der sozialen Integration oder erst

unmittelbar vor der Einbürgerung? Wie umfangreich müssen die Sprachkenntnisse überhaupt

sein? Sollte eine einheitliche Norm gelten, oder muß auf individuelle Bedürfnisse eingegangen

werden? Wie können Arbeitsmarktaspekte berücksichtigt werden? Sollte sich die Sprachnorm

am jeweiligen Einstiegspunkt in den Arbeitsmarkt orientieren?

Politik und Gesellschaft in Deutschland beginnen gerade erst, sich diese entscheidenden

Fragen zu stellen. Eine umfassende Handlungsstrategie existiert demzufolge noch nicht. Für die

nähere Zukunft ist jedoch ein neues „Gesamtsprachkonzept“ geplant (das neue Zuwanderungsge-

setz weist bereits in diese Richtung), das alle Bereiche der Sprachförderung umfassen und auf

diese Weise ein transparenteres und einheitlicheres Sprachkursprogramm ermöglichen soll. Der

Spracherwerb von Ausländern und Aussiedlern soll gleichermaßen von diesem Konzept erfaßt

werden.

Im Gegensatz zu Deutschland wirbt Kanada bereits seit über 100 Jahren aktiv um Zu-

wanderung. Seit 1911 bestehen dafür ausdrückliche gesetzliche Regelungen. Gemäß der aktuel-

len kanadischen Einwanderungspolitik, die auf ein Gesetz aus dem Jahre 1967 zurückgeht, er-

folgt die Auswahl von Immigranten insofern unabhängig von ihren Sprachkenntnissen, als die

Zuwanderung auch dann nicht ausgeschlossen ist, wenn keine Sprachkenntnisse vorhanden sind.

Vielmehr kann dieses Defizit an anderer Stelle des Auswahl-Punktesystems „wettgemacht“ wer-

den.3 Auch zum Erwerb der kanadischen Staatsangehörigkeit sind nur geringfügige Kenntnisse

einer der beiden Amtssprachen erforderlich. Kann Deutschland aus Kanadas Laissez-Faire-

Politik Lehren für die eigene Politik in bezug auf den Spracherwerb von Immigranten ziehen?

Dieser Frage soll in der vorliegenden Studie nachgegangen werden. Dazu werden Einwande-

3 CIC (1998), 56-59.

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rungsgeschichte und Sprachpolitik beider Länder verglichen und die unterschiedlichen Konzepte

des Spracherwerbs auf ihre Wirksamkeit untersucht.

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A. Die kanadische Einwanderungspolitik nach 19454

Kanada hat sich Immigration seit jeher als Wachstumslokomotive für Wirtschaft und Bevölke-

rung zu Nutze gemacht. Zur Besiedelung des kanadischen Westens wurden Farmer und landwirt-

schaftliche Arbeitskräfte zwischen 1890 und 1930 von der Regierung aktiv angeworben. Um ei-

ne möglichst homogene Kultur zu bewahren, konzentrierte sich das Einzugsgebiet auf Großbri-

tannien und die USA, später auch auf Nordwesteuropa. Eine Sprachausbildung war daher meist

nicht erforderlich.

Diese recht exklusive – und diskriminierende Einwanderungspolitik blieb unverändert,

bis nach dem Zweiten Weltkrieg die Arbeitskräfte knapper wurden und die Nachfrage nach

ausländischen Arbeitern anstieg. Als die Zuwanderung aus Großbritannien und den USA

abnahm, warb Kanada verstärkt um Immigranten aus Süd- und Osteuropa. Trotz dieser

Neuorientierung wurde eine strikte Beschränkung der Zuwanderung aus dem asiatischen Raum

aufrechterhalten.5 Zu einem entscheidenden Richtungswechsel kam es erst 1951, als die

kanadische Regierung „kleine, aber symbolisch wichtige“ Zuwanderungsquoten für farbige

Asiaten aus den Commonwealth-Staaten Indien, Pakistan und Ceylon einführte. Das

Einwanderungsgesetz von 1911 wurde 1952 offiziell überarbeitet. Damit verbunden war unter

anderem eine Erleichterung der Familienzusammenführung.6 Die neue Politik führte zu einem

deutlich erhöhten Angebot an Arbeitskräften mit hoher oder mittlerer Qualifikation, die

insbesondere im Rohstoffsektor, in der Bauindustrie und im Verarbeitenden Gewerbe zum

Einsatz kamen.7

4 Dieser Abschnitt beinhaltet lediglich einen kurzen Abriß der kanadischen Zuwanderungspolitik. Ein detaillierter Überblick findet sich bei Green/Green (1996) oder Chiswick (1992). 5 Vgl. dazu eine Äußerung des kanadischen Premierministers Mackenzie King vor dem House of Commons im Jahr 1947: “…There will, I am sure, be general agreement with the view that the people of Canada do not wish, as a re-sult of mass immigration, to make a fundamental alteration in the character of our population. Large-scale immigra-tion from the Orient would change the fundamental composition of the Canadian population…” [... Es herrscht, da bin ich mir sicher, allgemeine Übereinstimmung darüber, daß die Bürger Kanadas nicht wünschen, daß sich unsere Bevölkerungscharakteristik in Folge von Massenimmigration grundlegend wandelt. Ein hohes Maß an Zuwanderung aus dem Orient würde die elementare Zusammensetzung der kanadischen Bevölkerung verändern ... “]. (Green/Green 1996, 13). 6 Allerdings blieben gewisse Einschränkungen für asiatische Immigranten selbst in der Kategorie Familienzusam-menführung bestehen. Wie alle übrigen de facto rassistischen Bestandteile des Einwanderungsgesetzes von 1952 wurden auch diese Einschränkungen erst 1967 aufgehoben. 7 Green/Green (1996), 16.

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Aufgrund dieses starken Zustroms kam es im Zusammenhang mit einer Konjunkturab-

schwächung in den sechziger Jahren zu einer entscheidenden Wende in der Einwanderungspoli-

tik. Ab 1962 wurden alle unabhängigen Bewerber „nach ihren individuellen Fertigkeiten, oder

genauer gesagt, nach den Anforderungen des kanadischen Marktes“ bewertet.8 Sprachkenntnisse

spielten wiederum keine Rolle. Ebensowenig wurden die Anforderungen an die Immigranten

präzisiert, so daß diese vage Richtlinie die Entscheidung fast völlig ins Ermessen der Einwande-

rungsbeamten stellte.

Um diesem Mißstand Abhilfe zu schaffen, wurde 1967 ein „Punktesystem“ eingeführt,

durch das alle Bewerber nach objektiven Kriterien wie Alter, Bildung, Arbeitserfahrung und

Sprache bewertet wurden. Erstmals wurden Sprachkenntnisse nun explizit als Auswahlkriterium

benannt. Jeder Bewerber mußte eine Gesamtzahl von 50 Punkten erreichen, wobei bis zu 10

Punkte durch Kenntnisse einer oder beider Amtssprachen erzielt werden konnten. Durch diesen

Schwerpunkt auf Humankapitalaspekten wurden hochqualifizierte Immigranten bei der Auswahl

deutlich bevorzugt, während sämtliche Präferenzen für spezielle Nationalitäten praktisch wegfie-

len.

In der Folge kam es zu einer „neuen Zuwanderungswelle“9 und somit nach 1968 zu einer

drastischen Veränderung in der Nationalitätenzusammensetzung der Immigranten (siehe Tabelle

1). Vor 1968 stammten fast zwei Drittel aller Immigranten in Kanada aus Europa und den USA.

In den folgenden zwei Jahrzehnten sank der Anteil der Europäer und US-Amerikaner bis auf we-

niger als ein Viertel (1991-96). Gleichzeitig stieg der Zuzug aus Asien, Afrika und Lateinameri-

ka drastisch an. Die Zuwanderung aus Asien erhöhte sich von 13 Prozent (1968) auf 57 Prozent

(1996). Der Anteil der Immigranten aus der Karibik wuchs zwischen 1968 und 1986 von 5,5 auf

13 Prozent, ging jedoch in den neunziger Jahren wieder auf das ursprüngliche Niveau zurück.

Während Zuwanderer aus Lateinamerika 1968 noch weniger als 1 Prozent der Gesamtimmigrati-

on ausmachten, stellten sie 1986 bereits annähernd 9 Prozent. Im gleichen Zeitraum verdoppelte

sich der Anteil der Zuwanderer aus Afrika annähernd von 4 Prozent auf 7,3 Prozent.

8 Chiswick (1992), 33. 9 Simmons (1990), 141.

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Tabelle 1: Zuwanderer in Kanada nach Region des letzten Wohnsitzes, 1967-2000 JAHR Europa Afrika Asien Austra- USA übriges Karibik Süd- Ozea- k.A.a GESAMT

lien Nord-/ amerika nien, SUMME Mittel- übriger amerika Pazifik

1967 159.979 4.608 20.740 6.168 19.038 422 8.582 3.090 49 222.8761968 120.702 5.204 21.610 4.815 20.422 374 7.755 2.693 323 183.9741969 88.383 3.297 23.319 4.411 22.785 593 13.315 4.767 681 161.5311970 75.609 2.863 21.170 4.385 24.424 711 12.660 4.385 948 147.7131971 52.031 2.841 22.171 2.902 24.366 636 11.017 2.902 878 121.9001972 51.293 8.308 23.325 2.143 22.618 865 8.353 2.143 792 122.0061973 71.883 8.307 43.193 2.671 25.242 1.141 19.563 11.057 1.143 184.2001974 88.694 10.450 50.566 2.594 26.541 1.391 23.885 12.528 1.816 218.4651975 72.898 9.867 47.382 2.174 20.155 1.510 17.973 13.270 2.652 187.8811976 49.908 7.752 44.328 1.886 17.315 1.356 14.842 10.628 1.414 149.4291977 40.748 6.372 31.368 1.545 12.888 1.330 11.911 7.840 912 114.9141978 30.075 4.261 24.007 1.233 9.945 950 8.328 6.782 719 13 86.3131979 32.858 3.958 50.540 1.395 9.617 732 6.366 5.898 726 6 112.0961980 41.168 4.330 71.602 1.555 9.926 800 7.361 5.433 942 143.1171981 46.295 4.887 48.830 1.317 10.559 1.110 8.633 6.136 934 17 128.6181982 46.150 4.510 41.617 938 9.360 1.651 8.674 6.870 1.181 196 121.1471983 24.312 3.659 36.906 478 7.381 3.654 7.216 4.816 735 89.1571984 20.901 3.552 41.896 535 6.992 4.078 5.630 4.084 616 25 88.2391985 18.859 3.545 38.597 506 6.669 5.016 6.132 4.456 622 84.3021986 22.709 4.770 41.600 503 7.275 6.078 8.874 6.686 724 99.2191987 37.563 8.501 67.337 753 7.967 6.873 11.227 10.801 1.074 2 152.0981988 40.689 9.380 81.136 745 6.537 5.671 9.439 7.225 1.077 161.9291989 52.105 12.198 93.213 894 6.931 5.870 10.909 8.685 1.147 49 192.0011990 51.945 13.440 111.739 988 6.084 7.781 11.689 8.989 1.659 7 214.2301991 48.055 16.087 119.995 952 6.597 13.404 12.922 10.582 2.183 44 230.7811992 44.871 19.633 139.216 1.191 7.537 12.526 14.952 10.389 2.468 59 252.8421993 46.602 16.918 147.323 1.319 8.014 7.737 16.563 9.580 1.763 255.8191994 36.641 13.706 141.587 1.108 6.234 3.503 9.980 7.919 1.197 223.8751995 41.266 14.631 129.106 1.049 5.185 2.842 10.056 7.538 831 212.5041996 39.970 14.859 144.210 1.228 5.837 3.409 9.322 6.104 834 225.773

67-85 b 1.132.746 102.571 703.167 43.651 306.243 28.320 208.196 119.778 14.412 4.128 2.667.87886-96 b 462.416 144.123 1.216.462 10.730 74.198 75.694 125.933 94.498 14.957 161 2.221.07167-96 b 1.595.162 246.694 1.919.629 54.381 380.441 104.014 334.129 214.276 29.369 4.289 4.888.949

Jahr Europa/Groß-

britannien Afrika & Na-

her Osten Asien & Pazi-

fikSüd-/Mittel-

amerika USA k.A.a GESAMT SUMME

1997 38.670 37.792 117.064 17.422 5.028 38 216.0141998 38.516 32.567 84.125 14.031 4.768 152 174.1591999 38.912 33.441 96.370 15.188 5.514 391 189.8162000 42,875 40,779 120,491 16,939 5,809 316 227,209

97-00 b 158,973 144,579 418,050 63,580 21,119 897 807,19867-00 b 1,754,135 N/A N/A N/A 401,560 5,186 5,696,048

Quellen: Citizenship and Immigration Canada: Calendar Years 1967-1996; Citizenship and Immigration Canada: Facts and Figures 2000: Immigration Overview a keine Angaben b kumulierte Zahlen der jeweiligen Jahre

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Das Einwanderungsgesetz von 1978 legte erstmals eine jährliche Zuwanderungsquote

fest und definierte bestimmte Ziele, die durch Zuwanderung erreicht werden sollten. Dazu zählte

das Schließen wirtschaftlicher und demographischer Lücken ebenso wie Familienzusammenfüh-

rung und Kanadas Verpflichtung zur Aufnahme humanitärer Flüchtlinge. Durch das Einwande-

rungsgesetz von 1978 kam es erneut zu einer deutlichen Veränderung in der Zusammensetzung

der Immigrantengruppen. Zwischen 1968 und 1976 (unter dem Einwanderungsgesetz von 1953)

belief sich der Anteil der Wirtschaftsimmigranten und „Independents“ noch auf rund 70 Prozent.

Unter dem Einwanderungsgesetz von 1978 sank dieser Anteil zunächst auf weniger als 30 Pro-

zent (1975-82) und Mitte der achtziger Jahre auf rund 14 Prozent.10 Der rapide Rückgang der

Wirtschaftsimmigration ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß die jährliche Zuwande-

rungsquote ein Gesamtkontingent darstellte, das nicht zwischen den verschiedenen Immigran-

tengruppen (Familienmitglieder, Flüchtlinge und Wirtschaftsimmigranten) differenzierte. Stan-

den nicht genügend Wirtschaftsimmigranten zur Verfügung, weitete die kanadische Regierung

schlicht die Zahl der Einwanderungsvisa für Familienangehörige entsprechend aus.

In den neunziger Jahren wurde dieses System erneut überarbeitet, um die Zahl und die

Qualifikation der Wirtschaftsimmigranten zu erhöhen. Seit Januar 2000 muß ein Wirtschaftsim-

migrant etwa 70 von 107 möglichen Punkten erreichen. Die Punkte werden dabei wie folgt ver-

geben: Die Höchstpunktzahl für Sprachkenntnisse beträgt 15 – davon maximal 9 Punkte für

Kenntnisse einer der beiden Amtssprachen und weitere 6 Punkte für die zweite Amtssprache.

Das Gewicht der Kenntnisse einer Sprache liegt innerhalb des Punktesystems also bei unter 10

Prozent der maximal möglichen Gesamtpunktzahl. Jeder Bewerber bewertet seine Sprachkennt-

nisse selbst. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß in der Sprachkategorie nicht notwendi-

gerweise Punkte erzielt werden müssen, um eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung (landed

immigrant status) zu erlangen, sondern daß die hier gesammelten Punkte lediglich zum Errei-

chen der geforderten Gesamtpunktzahl beitragen. Die von den Bewerbern gemachten Angaben

zur Sprachkompetenz werden in Einzelgesprächen stichprobenartig auf Richtigkeit überprüft.

Die Behörden vor Ort beschäftigen dazu Prüfer, die diese Interviews in englischer oder französi-

scher Sprache durchführen.11 Darüber hinaus spielen die Sprachkenntnisse eine indirekte Rolle,

10 DeVoretz/Laryea (1997), 8. 11 Persönliches Gespräch von Don DeVoretz mit Lynda Joyce, Citizenship and Immigration Canada, 24. Mai 1999.

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IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 9

wenn sie als zweitrangiges Kriterium wiederum zur Beurteilung der Integrationsfähigkeit der

Bewerber herangezogen werden.

Damit bei der Beurteilung der Sprachkompetenz vergleichbare Ergebnisse erzielt werden

können, steht den Prüfern eine Art Beurteilungshandbuch zur Verfügung, dessen wichtigsten

Merkmale in Tabelle 2 dargestellt sind.

Tabelle 2: Sprachkompetenz-Beurteilungshandreichung

Niveau Sprechen Lesen Schreiben

Fließend Der Bewerber spricht und versteht verbale Kommunikation annä-hernd so mühelos wie ein Muttersprachler.

Der Bewerber liest und versteht Texte all-gemeinen oder berufs-spezifischen Inhalts, z. B. technische Anwei-sungen.

Der Bewerber ist in der Lage, zu den ver-schiedensten The-menbereichen korrekte Texte zu verfassen.

Gut Der Bewerber ist in der Lage, Gesprächen zu allgemeinen Themen zu folgen und sich effektiv daran zu beteiligen.

Der Bewerber versteht fast alle Dokumente allgemeiner bzw. nicht abstrakter Natur.

Der Bewerber kann einfache Zusammen-fassungen zu Themen schreiben, die mit seiner Bildung, Ar-beit oder sozialen Lage zu tun haben.

Mäßig Der Bewerber kann nur äußerst eingeschränkt kommunizieren.

Der Bewerber kann nur kurze, bekannte oder auswendig ge-lernte Texte lesen und verstehen.

Der Bewerber kann nur wenige erlernte Wörter oder Sätze des täglichen Ge-brauchs schreiben.

Keine Sprach-kennt-nissevor-handen

Der Bewerber kann das gesprochene Wort we-der verstehen noch selbst verwenden.

Der Bewerber kann die Schriftsprache nicht lesen bzw. ver-stehen.

Der Bewerber ist nicht in der Lage, ei-ne Aussage schrift-lich niederzulegen.

Quelle: CIC Overseas Processing Manual, Citizenship and Immigration Canada (internes Dokument).

Canada’s Overseas Processing Manual, eine Publikation der zuständigen kanadischen

Behörde Citizenship and Immigration Canada (im folgenden CIC), weist ferner darauf hin, daß

„die Sprachkenntnisse zwar in der Regel durch Interviews geprüft werden, daß aber auch andere

Faktoren berücksichtigt werden können. Dazu zählen Studien- oder Arbeitsaufenthalte in eng-

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lisch- oder französischsprachigen Ländern, Arbeitserfahrung bei einer englischen oder französi-

schen Organisation sowie der Nachweis von Sprachkursen. Die potentielle Eignung für die ange-

strebte Tätigkeit sollte ebenfalls in die Beurteilung einfließen.” Derzeit verfügen rund 95 Prozent

der erfolgreichen Bewerber in der Gruppe der qualifizierten Arbeitskräfte über Kenntnisse zu-

mindest einer der Amtssprachen. Unzufriedenheit mit der oben beschriebenen Methode zur Be-

urteilung von Sprachkenntnissen führte zu einem Alternativvorschlag. Dieser sieht vor, daß Be-

werber nicht mehr auf einen Interviewtermin warten müßten, sondern bereits in ihrem Heimat-

land einen offiziell anerkannten Sprachtest, z.B. den Test of English as a Foreign Language

(TOEFL), absolvieren und die Ergebnisse zusammen mit der Bewerbung einschicken könnten.

Bei einem zufriedenstellenden Testergebnis würde dann auf das Interview verzichtet. Der Be-

werber müßte für die Kosten des TOEFL selbst aufkommen. Diese variieren von Land zu Land,

liegen jedoch in der Regel bei umgerechnet etwa 100 US-Dollar.12 In Deutschland gibt es derzeit

neben vier permanenten TOEFL-Testzentren (Berlin, Frankfurt, Hamburg und München) zwei

weitere in Düsseldorf und Freiburg, die nur vorübergehend geöffnet sind.

Insgesamt hat sich Kanadas Einwanderungspolitik in den vergangenen dreißig Jahren

dramatisch gewandelt. Am Anfang stand ein Punktesystem, das Wirtschaftsimmigranten den

Vorrang gab (1967-73), gefolgt von einem hauptsächlich auf Familienzusammenführung ausge-

richteten System (achtziger Jahre), bis hin zur heutigen Einwanderungspolitik, die beide Systeme

in einem ausgewogenen Verhältnis kombiniert. Da sich im Falle Kanadas sowohl die Immigran-

tengruppen als auch die Herkunftsländer verändert haben, hat die Sprachkomponente im Aus-

wahlverfahren an Bedeutung gewonnen. Die kanadische Politik hat mittlerweile erkannt, daß

Immigranten, die mindestens eine der Amtssprachen fließend sprechen, leichter in die Gesell-

schaft zu integrieren und wirtschaftlich erfolgreicher sind.

Die neuesten Regelungen für die Einreise nach Kanada unter dem System des „unabhän-

gigen Zugangs“ (independent gateway system) wurden im November 2001 verabschiedet (siehe

Anhang E). Darin findet sich auch eine recht subtile, aber doch strategische Anpassung der

Punktezahl, die für Sprachkenntnisse von Immigranten vergeben werden kann. Indem die

12 Detaillierte Informationen zum TOEFL sind in den jeweiligen Testzentren und auf der Homepage http://www.toefl.org erhältlich. Die in dieser Studie angegebenen TOEFL-Werte beziehen sich auf die Druckversion des Tests, der mit anderen Punktezahlen jedoch auch als computerbasierte Version angeboten wird.

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Höchstpunktzahl von bislang 15 auf 20 Punkte heraufgesetzt wurde, kommt den Sprachkenntnis-

sen – bei unveränderter Gesamtpunktzahl – nunmehr höhere Gewicht zu. Der Ausgleich fehlen-

der Punkte im Bereich Sprachkenntnisse durch Fähigkeiten und Kenntnisse in anderen Bereichen

wird erschwert. Darüber hinaus wurden die Sprachanforderungen nach Qualität der Kenntnisse

umstrukturiert, so daß die Höchstpunktzahl nur noch durch sehr gute praktische Kenntnisse in

einer der beiden Amtssprachen Kanadas erreicht werden kann. Das bedeutet, daß geringe sprach-

liche Grundkenntnisse nicht mehr mit Punkten belohnt werden.

Mit dieser neuen Gesetzgebung hat Kanada seine Überzeugung akzentuiert, daß Sprach-

kenntnisse für den Erfolg von unabhängigen Einwanderern von zentraler Bedeutung sind. Formal

ist der Mangel an Sprachkenntnissen noch kein Hinderungsgrund für die Einreise, doch faktisch

ist dies annähernd der Fall.

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B. Kanadas Staatsangehörigkeitsgesetz und seine Sprachanforderungen

Zwar ist die Zuwanderung nach Kanada kein neues Phänomen, wohl aber der Erwerb der kana-

dischen Staatsangehörigkeit. Auch nach der Gründung Kanadas im Jahre 1867 galt die Bevölke-

rung noch bis 1947 als britisch. Vor 1914 mußten laut Einbürgerungsgesetz (Naturalization Act,

auch bekannt unter dem Begriff Local Act) alle männlichen Ausländer „beim jeweiligen Gericht,

in dessen Zuständigkeitsbereich sie sich niederließen, vorstellig werden und das Gericht davon

überzeugen, daß sie alle notwendigen Qualifikationen für den Erwerb der britischen Staatsange-

hörigkeit besaßen.“13 Dieser sogenannte „British subject status“ galt jedoch nur für den Aufent-

halt in Kanada und erlosch bei der Ausreise. Bis 1932 nahm jede Frau ungeachtet ihrer ursprüng-

lichen Nationalität automatisch die Staatsangehörigkeit ihres Ehemannes an, so daß also selbst

eine Britin zur Ausländerin wurde, sobald sie einen Ausländer heiratete. Die geographische Be-

schränkung wurde 1915 aufgehoben; fortan konnte der „British subject status“ auch nach der

Ausreise aus Kanada beibehalten werden.

Am 1. Januar 1947 trat das erste kanadische Staatsangehörigkeitsgesetz (Canadian Citi-

zenship Act) in Kraft. Darin wurde erstmals die Bezeichnung „kanadischer Staatsbürger” für im

Land ansässige Briten verwendet. Die kanadische Staatsangehörigkeit galt unter diesem Gesetz

als „Privileg nach amtlichem Ermessen.“14 Erst nach dem zweiten Staatsangehörigkeitsgesetz,

das am 15. Februar 1977 in Kraft trat, wurde die Staatsangehörigkeit für jeden zugänglich, der

die gesetzlichen Anforderungen erfüllte. Sämtliche diskriminierenden Untertöne bezüglich ethni-

scher Herkunft, Geschlecht, Familienstand oder Nationalität wurden gestrichen. Das Gesetz von

1977 ist nach wie vor gültig, allerdings mit einigen bedeutenden Änderungen aus dem Jahre

1999. Um heute kanadischer Staatsbürger werden zu können, muß man volljährig sein (minde-

stens 18 Jahre alt) und während der letzten sechs Jahre mindestens drei Jahre lang „physisch“ im

Lande gewesen sein.15 Das neue Ortsansässigkeitskriterium hat potentiell eine indirekte Auswir-

13 CIC (1999b). 14 CIC (1999b). 15 Vor dem 25. November 1999 reichte der Besitz von Wohn- oder Geschäftseigentum als Nachweis der Ortsansässigkeit aus.

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IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 13

kung auf die Verbesserung der Sprachkenntnisse von Immigranten, bevor diese die Staatsange-

hörigkeit erlangen.

Zusätzlich zu den Anforderungen an Alter und Ortsansässigkeit müssen die Staatsange-

hörigkeitsanwärter ein Mindestmaß an mündlichen Sprachkenntnissen (englisch oder franzö-

sisch) vorweisen können und sowohl mit dem Land Kanada als auch mit den Rechten und Pflich-

ten, die sich aus der Staatsangehörigkeit ergeben, hinlänglich vertraut sein.16 Letzteres wird

durch einen schriftlichen Multiple-Choice-Test (in einer der Amtssprachen) überprüft. Erwäh-

nenswert ist hier, daß diese Staatsangehörigkeitsprüfungen vom Zentrum für angewandte

Sprachwissenschaften der Carleton University entwickelt wurden und auf einem Studienhand-

buch mit dem Titel A Look at Canada basieren. Eine Kopie dieses Handbuchs wird zusammen

mit der Antragsbestätigung an alle Bewerber versandt. Sämtliche Fragen und Antworten des

Tests beruhen auf A Look at Canada, wobei die Fragen in leicht verständlichem Englisch (oder

Französisch) gestellt werden und Vokabeln aus diesem Buch verwenden.

Hintergrund dieses Tests ist, daß Immigranten ein Mindestmaß an Kenntnissen der kana-

dischen Sprache und Kultur entwickeln sollten, um die Integration und Identifikation mit denka-

nadischen Werten zu erleichtern. Um die Sprachanforderungen zu erfüllen, müssen die Kandida-

ten beweisen, daß sie einfache gesprochene Äußerungen/Fragen in einer der Amtssprachen ver-

stehen und mündlich oder schriftlich darauf antworten können. Als Nachweis der landeskundli-

chen Kenntnisse müssen die Bewerber ein Grundverständnis der aus der Staatsangehörigkeit re-

sultierenden Rechte und Pflichten sowie der kanadischen Geschichte, Geographie, Kultur und

Regierungsstruktur demonstrieren. Ältere Bewerber (über 60 Jahre) müssen diese Anforderung

nicht erfüllen.

Nach dem derzeitigen System wertet ein „Staatsbürgerschaftsrichter“ (citizenship judge)

die Testergebnisse aus und bestimmt, ob der Bewerber die notwendigen sprachlichen und kultu-

rellen Kenntnisse besitzt. Bewerber, die den schriftlichen Test in einer der Kategorien nicht be-

stehen, werden in der Regel zu einem mündlichen Prüfungsgespräch beim Staatbürgerschafts-

richter geladen. Diese Möglichkeit wird gewährt, weil die Fähigkeit, lesen und schreiben zu kön-

nen, keine offizielle Voraussetzung für die Staatsangehörigkeit ist und somit Bewerber nicht von

16 CIC (1999a), 4.

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DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? 14

vornherein wegen Lese- oder Schreibschwächen von der Einbürgerung ausgeschlossen werden

können.

Sobald das Ortsansässigkeitskriterium von drei Jahren erfüllt ist, kann die Staatsangehö-

rigkeit beantragt werden. Die Bearbeitungszeit vom Datum der Antragstellung bis zur Gewäh-

rung oder Ablehnung beträgt 10-12 Monate. Der Staatsangehörigkeitstest erfolgt etwa 8-9 Mona-

te nach Eingang des Antrags, wobei das Prüfungsdatum dem Bewerber mindestens zwei Wochen

im voraus bekanntgegeben wird. Unmittelbar vor dem Test überprüfen Mitarbeiter des CIC die

persönlichen Angaben auf den Anträgen, indem sie den Bewerbern Fragen stellen wie z.B. Wo

wohnen Sie? Wie lange sind Sie schon in Kanada? Können Sie mir Ihren Führerschein zeigen?

Durch dieses erste Interview sollen sowohl die Identität der Bewerber bestätigt als auch deren

aktive und passive Sprachkenntnisse einer ersten Prüfung unterzogen werden.17 Falls sich im

Laufe dieses Interviews herausstellen sollte, daß der Bewerber selbst einfachste Fragen nicht

versteht und/oder den schriftlichen Staatsangehörigkeitstest im Anschluß an das Interview nicht

besteht, wird der Staatsbürgerschaftsrichter informiert, der den Bewerber daraufhin zu einer for-

mellen Anhörung vorlädt.

Dabei werden erneut die Landes- und Sprachkenntnisse des Bewerbers geprüft, wobei die

politischen und kulturellen Fragen wiederum auf dem Buch A Look on Canada basieren und die

Sprachfragen sich an Bereichen des täglichen Lebens orientieren, z.B. Welche Art von Arbeit

verrichten Sie? Sind Sie verheiratet? Haben Sie Kinder?18

Laut CIC19 erfüllen etwa 95 Prozent der Bewerber die Sprach- und Wissensanforderun-

gen. 90 Prozent bestehen den schriftlichen Test (ohne die Hilfe eines Dolmetschers) und weitere

5 Prozent bestehen das Prüfungsgespräch durch den Staatsbürgerschaftsrichter mit Hilfe eines

Dolmetschers.20 Ist der Bewerber erfolgreich, wird seinem Antrag stattgegeben, und er wird

schriftlich über das Datum der Einbürgerungszeremonie informiert, die meist zwei bis vier Wo-

17 Die Bewerber haben 30 Minuten Zeit für den Test, benötigen jedoch in der Regel nur einen kürzeren Zeitraum. 18 Die Bewerber müssen nicht grammatikalisch korrekt sprechen, sondern durch ihre Antworten lediglich zeigen können, daß sie die Fragen verstehen. 19 Persönliche Kommunikation zwischen Don DeVoretz und Susan Nicholson, CIC, Ottawa. 22. September 1999. 20 Der Dolmetscher darf jedoch ausschließlich für die Wissensprüfung, nicht für den Sprachtest verwendet werden. Dolmetscher werden zugelassen, da einige Bewerber keine ausreichenden Sprachkenntnisse besitzen, um die kom-plizierteren Wissensfragen adäquat beantworten zu können.

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IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 15

chen später stattfindet. Anträge von Bewerbern, die beim Prüfungsgespräch durchfielen, werden

hingegen grundsätzlich abgelehnt. Der Antragsteller hat jedoch die Möglichkeit, gegen das Urteil

des Richters Berufung einzulegen.

Angesichts der langen Bearbeitungszeit für Einbürgerungsanträge und der Kosten, die

durch die hohen Zuwanderungszahlen der neunziger Jahre entstanden sind, untersucht das CIC

derzeit „einige Langzeitinitiativen mit dem Ziel, das eigenen Beurteilungsverfahren für die

Sprachkompetenz der Bewerber zu verbessern. Neben einem separaten Sprachtest erwägt die

Behörde auch die Einführung von ‘Kernkompetenz-Zertifikaten’ als Nachweis für Sprach- und

Landeskenntnisse ohne gesonderte Prüfung. Das würde im Grunde bedeuten, daß Bewerber zu-

sätzlich zu ihrem Antrag auf Staatsangehörigkeit ein Dokument einreichen könnten, aus dem ihre

Eignung auf sprachlichem und/oder landeskundlichem Gebiet hervorgeht.“21

21 Persönliche Kommunikation zwischen Don DeVoretz und Susan Nicholson, CIC, Ottawa. 22. September 1999.

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DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? 16

C. Die geschichtliche Entwicklung der deutschen Zuwanderungspolitik

Im Gegensatz zu Kanada bezeichnet Deutschland sich bislang nicht offiziell als Zuwanderungs-

land. Auch in der aktuellen Debatte um das Zuwanderungsgesetz wird dieser Begriff eher zöger-

lich verwendet. Doch aufgrund seiner wirtschaftlichen Stärke, seines ausgeprägten Sozialsystems

und seiner zentralen Lage in Europa erlebt Deutschland de facto einen erheblichen Zuzug von

Immigranten und Asylbewerbern. Das Ausmaß des Zuzugs überstieg in den ersten Jahren des

vergangenen Jahrzehnts die Summe aller Einreisen in die USA, Kanada und Australien zusam-

mengenommen. In der ersten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts kamen jährlich bis zu 1,5 Mil-

lionen Zuwanderer nach Deutschland, dies entsprach einer Netto-Zuwanderung von bis zu

800.000 Menschen jährlich (siehe Schaubild 1).

Schaubild 1: Netto-Migration, Zuwanderung und Abwanderung in Deutschland, 1955-2000

-400000

-200000

0

200000

400000

600000

800000

1000000

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1400000

1600000

1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000

Zuwanderung Abwanderung Netto-Migration

Quelle: Statistisches Bundesamt

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IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 17

Die größte Gruppe der Immigranten machen Ausländer aus, die in Ermangelung eines Zu-

wanderungsgesetzes auf Grundlage diverser rechtlicher Regelungen (Familiennachzug, Anwer-

bestopp-Ausnahmeverordnung, Asyl, Bürgerkriegs- und Kontingentflüchtlinge etc.) nach

Deutschland eingereist sind. Die zweitgrößte Gruppe stellen anerkannte deutschstämmige

Spätaussiedler und ihre Familien.

Die Geschichte der Aussiedler begann im 18. Jahrhundert, als Deutsche in großem Um-

fang nach Osteuropa auswanderten.22 Diese Deutschstämmigen in den Ostgebieten des Deut-

schen Reiches erhielten im Zuge der unter Reichskanzler Bismarck Ende des 19. Jahrhunderts

begonnenen „Germanisierung“ die deutsche Staatsangehörigkeit. Nach den territorialen Verlu-

sten Deutschlands infolge des verlorenen Ersten Weltkriegs wurden viele dieser Deutschen zu

Ausländern. Schließlich siedelte Deutschland im Dritten Reich zahlreiche Deutsche in die er-

oberten Ostgebiete um. Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurden aus rund 15 Millionen Deut-

schen Flüchtlinge oder Vertriebene. Die erste westdeutsche Volkszählung nach dem Krieg beleg-

te, daß 1950 fast 10 Millionen Vertriebene aus den ehemaligen Ostgebieten in Deutschland leb-

ten und somit nahezu 20 Prozent der Gesamtbevölkerung stellten. Seit den fünfziger Jahren han-

delte Deutschland mit einer Reihe der betreffenden Länder Abkommen aus, nach denen ein Teil

der dort verbliebenen Deutschstämmigen nach Deutschland übersiedeln durfte. Dennoch leben

weiterhin Hunderttausende gebürtige Deutsche und insbesondere deren Nachkommen außerhalb

des vereinigten Deutschland. Ihre genaue Zahl läßt sich nur schätzen und hängt von den jeweili-

gen Anerkennungskriterien ab. Artikel 116 des Grundgesetzes garantiert Aussiedlern nach wie

vor das Recht auf Wiedereinbürgerung (siehe Anhang A). Das Bundesvertriebenen- und Flücht-

lingsgesetz (BVFG) beschreibt die entsprechenden Anerkennungskriterien im Detail. So muß der

Bewerber ein gewisses „Bekenntnis zum Deutschtum“ nachweisen können, das sich in Abstam-

mung, Sprache und Kultur widerspiegelt. Dasselbe Gesetz regelt Regierungsmaßnahmen zur

Förderung der Integration von Aussiedlern, wie etwa niedrig verzinste Kredite oder Sprachkur-

se.23

22 Der folgende Abschnitt basiert auf Zimmermann (1999), 2-8. 23 Die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung von Aussiedlern basiert hauptsächlich auf dem Lastenaus-gleichsgesetz (LAG, 1952), dem Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetz (BVFG, 1953) und dem Garantiefonds (1954).

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DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? 18

Anfang der neunziger Jahre wurde eine wachsende Ghettoisierung von Aussiedlern in

Deutschland festgestellt. Neuankömmlinge zogen bei früheren Aussiedlern ein, unter denen sich

häufig Freunde und Familienangehörige fanden. Zwar bot diese Netzwerkbildung den Aussied-

lern kurzfristige wirtschaftliche Vorteile, doch das davon ausgehende negative Integrationssignal

und die entstehenden Spannungen zwischen Aussiedlern und der übrigen deutschen Bevölkerung

stellten sich als weitaus gravierender heraus. Der Gesetzgeber reagierte auf diese Entwicklung

mit dem Wohnortzuweisungsgesetz. Dieses seit 1996 gültige und 2000 novellierte Gesetz ge-

währt Spätaussiedlern nur dann Sozialleistungen, wenn sie für bestimmte Zeit an einem zuge-

wiesenen Wohnort gemeldet bleiben. Die Folge war eine Dezentralisierung der Aussiedler auf

Kosten ihrer Mobilität.

Schaubild 2: Zuzug von (Spät)Aussiedlern nach Deutschland, 1950-2000

Quelle: Bundesministerium des Innern

Während der vergangenen zwanzig Jahre war der Zuzug von Aussiedlern starken

Schwankungen unterworfen (siehe Schaubild 2). Vor 1989 reisten durchschnittlich nicht mehr

als 50.000 Aussiedler pro Jahr in die Bundesrepublik ein. Doch nach der Aufhebung von Freizü-

0

50000

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2000

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IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 19

gigkeitsbeschränkungen und dem wirtschaftlichen Zusammenbruch Osteuropas stieg dieser

Durchschnitt in den Jahren 1989 und 1990 auf fast 400.000 Personen an. Bis Mitte der neunziger

Jahre pendelten sich die Zahlen bei rund 200.000 Spätaussiedlern pro Jahr ein. Seither ist der Zu-

strom stark gesunken und umfaßte zwischen 1998 und 2000 nur noch rund 100.000 Personen

jährlich. Für diesen Rückgang gibt es drei Hauptgründe. Erstens ist das Anerkennungsverfahren

strenger geworden. Zweitens wurde Ende 1992 der jährliche Zustrom auf 200.000 Aussiedler

(+/-10%) kontingentiert. Angesichts der sinkenden Zahl von Aussiedlungsanträgen wurde diese

Quote 1999 nochmals auf 100.000 gesenkt. Diese Regelung kann in Verbindung mit den sonsti-

gen Regelungen für Spätaussiedler durchaus als de facto-Einwanderungsgesetz für eine spezielle

Personengruppe betrachtet werden. Drittens wurde 1996 ein Sprachtest eingeführt, den die Be-

werber bereits in ihrem „Heimatland“ vor der Einreise in die Bundesrepublik absolvieren müs-

sen. Diese Hürde hat den Rückgang der Aussiedler-Immigration maßgeblich mitbewirkt.

Die Zu- und Abwanderung von Ausländern war in den letzten Jahrzehnten gleichfalls

deutlichen Schwankungen ausgesetzt. Im Zeitraum zwischen 1955 und 1973 warb Deutschland

Gastarbeiter aus Italien, Spanien, Portugal, Griechenland, Jugoslawien, Marokko und der Türkei

an, um so den enormen Arbeitskräftemangel in Industrie und Handwerk auszugleichen. Zwar

ging die ursprüngliche Konzeption entsprechend dem „Gast“-Arbeiter-Gedanken von einem nur

befristeten Aufenthalt aus, doch viele Gastarbeiter ließen sich in Deutschland dauerhaft nieder.

Ein wesentlicher Grund für ihren Verbleib in Deutschland war die deutsche Einwanderungspoli-

tik. Nachdem die Anwerbung von Gastarbeitern 1973 offiziell für beendet erklärt wurde, hätten

diese nach dem Verlassen Deutschlands keine Einreisegenehmigung mehr erhalten. So entschie-

den sich viele dafür, „für immer“ in Deutschland zu bleiben und ihre Familien nachziehen zu las-

sen. Die Folge war eine weitere Zunahme der ausländischen Wohnbevölkerung.

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs änderte sich die Situation grundlegend, und der

Zuzug von Ausländern erhöhte sich deutlich. In den Jahren 1991-92 kamen netto über eine Mil-

lion Zuwanderer nach Deutschland, die meisten von ihnen aus Jugoslawien, Polen und Rumäni-

en. Zwischen 1993 und 1996 kamen weitere 800.000 Ausländer hinzu. Ihre Zahl ging erst 1997-

98 zurück, als sogar mehr Ausländer das Land wieder verließen als neu einreisten. Doch 1999

stieg die Netto-Zuwanderung von Ausländern wiederum auf über 100.000 an. Diese Entwicklung

ist auf verschiedene kurzfristige Gründe zurückzuführen. So wurde das Ausländergesetz, in dem

die eingeschränkten Rechte von Ausländern in Deutschland geregelt sind, verschärft. Zudem

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DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? 20

wurde durch die Änderung des Asylrechts im Grundgesetz die Einreise von Ausländern er-

schwert.24 Darüber hinaus begannen Bürgerkriegsflüchtlinge aus Ex-Jugoslawien in ihre Heimat-

länder zurückzukehren.25 Schließlich verringerte sich die Zahl der potentiellen Immigranten

durch die Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse in Ost- und Mitteleuropa.

24 In der Asylpolitik kam es 1993 zu einer Kehrtwende. Fortan durften Asylsuchende in Deutschland kein Asyl mehr beantragen, wenn sie dies auch in einem Nachbarland hätten tun können. Gleichzeitig wurden die Sozialleistungen für Asylbewerber reduziert. 25 Von insgesamt 345.000 Bürgerkriegsflüchtlingen sind mittlerweile über 300.000 in ihr Heimatland zurückgekehrt.

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IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 21

Tabelle 3: Zu- und Abwanderung von Ausländern in Deutschland, 1991-1999

Herkunftsland 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999

Zuwan-derung

Griechenland 28.305 23.631 18.267 18.902 20.263 18.829 16.439 15.957 17.469Italien 35.441 30.055 31.658 38.678 47.998 45.821 38.996 35.074 34.540Jugoslawien 1) 221.034 382.763 278.650 153.888 130.712 71.303 31.227 59.853 87.770Bosnien-Herzegowina - 75.403 107.040 68.335 55.173 11.127 6.901 8.397 10.333

Polen 128.387 131.726 75.117 78.646 87.238 77.405 71.214 66.106 72.210Rumänien 61.413 109.816 81.606 31.380 24.814 17.069 14.247 17.032 18.803ehemalige So-wjetunion 38.973 62.372 98.521 100.949 97.928 91.236 78.023 70.443 81.107

Türkei 81.901 80.568 67.778 63.946 73.592 73.224 55.981 47.958 47.097übrige Länder 325.037 311.268 228.235 219.205 254.983 301.940 302.270 284.680 304.544Gesamtsumme 920.491 1.207.602 986.872 773.929 792.701 707.954 615.298 605.500 673.873

Abwan-derung

Griechenland 15.443 16.234 17.519 19.155 19.343 20.060 21.758 19.854 19.284Italien 36.371 32.727 30.945 32.172 33.969 36.841 37.937 36.837 35.496Jugoslawien 1) 52.957 129.494 112.285 115.105 86.154 85.041 44.479 45.057 48.250Bosnien-Herzegowina - 4.202 10.343 16.525 15.726 27.237 83.943 97.466 33.346

Polen 115.325 109.542 101.755 65.758 70.694 71.661 70.171 60.673 58.572Rumänien 30.208 51.864 101.863 43.996 25.159 16.620 13.558 13.571 14.618ehemalige So-wjetunion 12.095 13.252 22.946 34.410 39.349 35.092 32.285 30.794 29.247

Türkei 36.134 40.316 46.286 46.363 43.221 43.534 45.978 45.142 40.944übrige Länder 198.943 217.116 266.298 247.933 233.826 222.978 286.957 289.561 275.881Gesamtsumme 497.476 614.747 710.240 621.417 567.441 559.064 637.066 638.955 555.638Herkunftsland 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999

Netto-Migration

Griechenland 12.862 7.397 748 -253 920 -1.231 -5.319 -3.897 -1.815Italien -930 -2.672 713 6.506 14.029 8.980 1.059 -1.763 -956Jugoslawien 1) 168.077 253.269 166.365 38.783 44.558 -13.738 -13.252 14.796 39.520Bosnien-Herzegowina - 71.201 96.697 51.810 39.447 -16.110 -77.042 -89.069 -23.013

Polen 13.062 22.184 -26.638 12.888 16.544 5.744 1.043 5.433 13.638Rumänien 31.205 57.952 -20.257 -12.616 -345 449 689 3.461 4.185ehemalige So-wjetunion 26.878 49.120 75.575 66.539 58.579 56.144 45.738 39.649 51.860

Türkei 45.767 40.252 21.492 17.583 30.371 29.690 10.003 2.816 6.153übrige Länder 126.094 94.152 -38.063 -28.728 21.157 78.962 15.313 -4.881 28.663Gesamtsumme 423.015 592.855 276.632 152.512 225.260 148.890 -21.768 -33.455 118.235 1) 1991 Sozialistische Bundesrepublik Jugoslawien (SBRJ), seit 1992 SBRJ ohne Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Slowenien, seit 1993 Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro) Quelle: Statistisches Bundesamt

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DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? 22

Schaubild 3 veranschaulicht die langfristige Entwicklung der Zuwanderung von Aussied-

lern und Ausländern zwischen 1951 und 1998.

Schaubild 3: Gesamtzahl der Aussiedler und Ausländer in Deutschland, 1951-1998

Quelle: Statistisches Bundesamt, Bundesanstalt für Arbeit

Fast die Hälfte aller Ausländer lebt seit über einem Jahrzehnt in Deutschland, 30 Prozent

sogar seit über 20 Jahren. Mittlerweile existieren längst Gastarbeiterfamilien der zweiten oder

gar schon der dritten Generation. Die ehemaligen Gastarbeiter bilden inzwischen nicht mehr die

Mehrheit der ausländischen Bevölkerung in der Bundesrepublik. Ihre Kinder und die neuen Zu-

wanderer, besonders aus Osteuropa, gewinnen heute zunehmend an Bedeutung. Die Frage der

Ausländerintegration stellt sich heute anders und aktueller denn je.

Die Situation der Ausländer in der deutschen Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt läßt

sich größtenteils mit der Situation der Aussiedler vergleichen. Auch die meisten Spätaussiedler

aus Osteuropa sowie potentiell anzuerkennende Aussiedler, die noch in diesen Staaten leben, ge-

hören mindestens der zweiten Generation an. Da sie nie in Deutschland gelebt haben, finden sie

ähnliche „Startbedingungen“ in der neuen Heimat vor wie Ausländer.

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1995

1997

J a h r

Ges

amtz

ahl

A u s lä n d e r

A u s s ie d le r

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IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 23

Der starke Zuzug von Einwanderern im letzten Jahrzehnt führte zu beträchtlichen

Integrationsproblemen in Deutschland. Die entstandenen Schwierigkeiten im sozialen Umfeld

lassen sich zumindest teilweise auf die existierenden Sprachbarrieren zurückführen und sind eine

mögliche Ursache verstärkter Fremdenfeindlichkeit.

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DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? 24

D. Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit

Einbürgerung von Ausländern

Während es in Deutschland voraussichtlich erst im Jahr 2003 eine Zuwanderungsgesetzgebung

geben wird, kann das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht bereits auf eine lange Geschichte zu-

rückblicken. Zunächst war die deutsche Staatsangehörigkeit durch das Reichs- und Staatsange-

hörigkeitsgesetz (RuStAG) geregelt. Nach seiner Einführung im Jahre 1914 wurde das Gesetz

mehrfach novelliert, bevor 2000 einige bedeutende Elemente hinzukamen. Bis 1999 konnte die

deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt erworben werden (sofern ein Elternteil Deutsche/r

ist), durch Legitimierung (bei unehelichen Kindern) oder durch Heirat mit einem/einer Deut-

schen. Das Ausländergesetz (§ 86) sah eine Anspruchseinbürgerung nach 15 Jahren Aufenthalt

in Deutschland vor; Anträge konnten nicht abgelehnt werden, sofern der Bewerber bestimmte

gesetzliche Voraussetzungen erfüllte. Jeder erwachsene Antragsteller mußte vorstrafenfrei und

unbeschränkt geschäftsfähig sein, eine gesicherte Unterkunft nachweisen sowie den Lebensun-

terhalt für sich und seine Familie selbst bestreiten können. Ausländische Jugendliche hatten ei-

nen Anspruch auf Einbürgerung, wenn sie mindestens acht Jahre in Deutschland gelebt hatten,

wobei sie sechs Jahre lang eine deutsche Schule besucht haben mußten (§ 85 Ausländergesetz).

Bis Januar 2000 waren deutsche Sprachkenntnisse keine Voraussetzung für die An-

spruchseinbürgerung. Wer hingegen vor 2000 eine Ermessenseinbürgerung beantragte, was in

der Regel nach zehn Jahren Aufenthalt in Deutschland möglich war, mußte deutsche Sprach-

kenntnisse nachweisen können. Diese waren allerdings äußerst vage definiert. Die Einbürge-

rungsrichtlinien forderten eine „freiwillige und dauerhafte Hinwendung zu Deutschland” und

legten ferner fest, daß der Bewerber „die deutsche Sprache in Wort und Schrift in dem Maße be-

herrschen soll, wie dies von Personen seines Lebenskreises erwartet wird. Bei älteren Einbürge-

rungsbewerbern können Bildungsstand und gewisse Schwierigkeiten, die deutsche Sprache zu

erlernen, berücksichtigt werden; das gilt vor allem, wenn die übrigen Familienangehörigen die

deutsche Sprache hinreichend beherrschen und die Einbürgerung der gesamten Familie wün-

schenswert erscheint.”26

26 Einbürgerungsrichtlinien (3.1.1.).

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IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 25

Laut dieser Richtlinie mußte der Einwanderungsbeamte durch ein Prüfungsgespräch klä-

ren, ob ausreichende Sprachkenntnisse vorlagen. Die öffentliche Debatte und der politische

Druck infolge der Einwanderungswelle nach 1991 führte zu einer bedeutenden Erweiterung des

Staatsangehörigkeits- und Einbürgerungsrechts. Das am 1. Januar 2000 in Kraft getretene Staats-

angehörigkeitsgesetz (StAG) setzte die Mindestaufenthaltsdauer von 15 auf 8 Jahre herab. Wich-

tiger noch: Zusätzlich zum Abstammungsprinzip (ius sanguinis) wurde das Geburtsortsprinzip

(ius soli) eingeführt. Dadurch qualifizieren sich Kinder ausländischer Eltern nun automatisch für

die deutsche Staatsangehörigkeit, sofern ein Elternteil in Deutschland geboren wurde oder seit

wenigstens acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Die

Staatsangehörigkeit der Eltern darf zunächst beibehalten werden, doch müssen sich die auf die-

sem Wege Eingebürgerten vor ihrem 23. Geburtstag für eine der beiden Nationalitäten entschei-

den, so daß eine permanente doppelte Staatsangehörigkeit ausgeschlossen ist.

Die Anspruchseinbürgerungen können nach der Neufassung des Ausländergesetzes (§

85-86) seit Januar 2000 bereits nach acht Jahren erfolgen. Zugleich wurde allerdings neben dem

Kriterium der „Verfassungstreue“ als neue Voraussetzung der Nachweis „ausreichender“ Kennt-

nisse der deutschen Sprache geschaffen. Das neue Gesetz erwähnt unzureichende Sprachkennt-

nisse explizit als Ausschlußgrund für Einbürgerungsanträge. Die Allgemeine Verwaltungsvor-

schrift zum Staatsangehörigkeitsrecht (StAR-VwV, siehe Anhang B) fordert, daß sich „der Ein-

bürgerungsbewerber im täglichen Leben einschließlich der üblichen Kontakte mit Behörden in

seiner deutschen Umgebung sprachlich zurecht zu finden vermag. [...] Die Fähigkeit, sich auf

einfache Art mündlich verständigen zu können, reicht nicht aus.“

Diese Verwaltungsvorschrift nennt darüber hinaus Sprachzertifikate, entsprechende

Schulbildung, Studienabschluß oder eine abgeschlossene Berufsausbildung als Nachweise für

ausreichende Sprachkenntnisse, aufgrund derer eine gesonderte Prüfung durch die Einbürge-

rungsbehörde in der Regel entfallen kann. Im Zweifelsfall liegt es jedoch im Ermessen der Be-

hörden, einen zusätzlichen Sprachtest anzuordnen. Bewerber können das in der Vorschrift er-

wähnte Zertifikat Deutsch in Volkshochschulen und anderen Einrichtungen auf eigene Kosten

erwerben.

Für die individuelle Überprüfung der Sprachkenntnisse bei den Einbürgerungsbewerbern,

die zum persönlichen Erscheinen aufgefordert werden, wurde bislang noch kein einheitlicher

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DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? 26

Beurteilungsmaßstab entwickelt. Die Durchführung dieser Sprachtests variiert gegenwärtig je

nach Bundesland. Einige Länder delegieren die Prüfung an die Volkshochschulen vor Ort. Diese

Tests dauern 45 Minuten, sind relativ preiswert und können bei Bedarf wiederholt werden. An-

dere Länder schreiben ein persönliches Gespräch mit einem Einbürgerungsbeamten vor. Wäh-

rend manche Bundesländer den Schwerpunkt bei den mündlichen Sprachkenntnissen setzen,

wird anderswo besonderer Wert auf schriftliche Fähigkeiten gelegt – abgesehen von Analphabe-

ten und schulpflichtigen Kindern. In der Praxis zeigt sich jedoch, daß die große Mehrzahl der

Bewerber, die ihre Einbürgerung nach dem neuen Staatsangehörigkeitsgesetz beantragen, die

geforderten Dokumente vorlegen können. Bislang gibt es allerdings noch keine verläßlichen In-

formationen über die Effektivität der Sprachprüfungen.27

Anerkennung und Einbürgerung von Aussiedlern

Während des Zweiten Weltkriegs erhielten im Rahmen von sogenannten Sammeleinbürgerungen

alle Deutschstämmigen in den besetzten Gebieten die deutsche Staatsangehörigkeit. Viele dieser

Deutschstämmigen hatten nach dem Krieg unter Diskriminierung, Abschiebung, Unterdrückung

und Verfolgung zu leiden. Die deutsche Staatsangehörigkeit wurde ihnen entzogen, und sie muß-

ten die Staatsangehörigkeit des Landes annehmen, in dem sie sich aufhielten. Diesem Umstand

wurde im Bundesvertriebenengesetz (BVFG) Rechnung getragen. Nach dem Grundgesetz der

Bundesrepublik Deutschland, Art. 116, Abs. 1 (siehe Anhang A) gilt die deutschstämmigen Per-

sonen in diesen Staaten als „Deutsche ohne deutsche Staatsangehörigkeit“. Aufgrund dieses

Sonderstatus erhalten Deutschstämmige dieselben Rechte wie alle übrigen deutschen Staatsan-

gehörigen, sobald sie sich entschließen (bzw. es ihnen erlaubt wird), nach Deutschland einzu-

wandern.

Um als Aussiedler anerkannt zu werden, müssen die Bewerber neben ihrer deutschen Ab-

stammung auch nachweisen, daß sie sich durch die Pflege der deutschen Sprache und Traditio-

nen noch immer mit der deutschen Kultur identifizieren. 1996 wurde zu diesem Zweck ein

Sprachtest eingeführt. Wird dem Anerkennungsantrag zugestimmt, so kann der Bewerber unmit-

telbar die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen und muß im Gegensatz zu Ausländern nicht

27 Informationen des Freistaats Bayern, der mündliche und schriftliche Prüfungen vorschreibt, deuten auf eine relativ geringe Durchfallquote von 20 Prozent hin.

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IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 27

die übliche langjährige Wartezeit einhalten. Dieser Verzicht auf eine Mindestaufenthaltszeit liegt

in dem besonderen Status begründet, den Spätaussiedler nach geltendem deutschen Recht genie-

ßen. Anträge müssen entweder persönlich vom Aufenthaltsland aus oder durch die dortige deut-

sche Botschaft bzw. das zuständige Konsulat an das Bundesverwaltungsamt (BVA) in Köln ge-

richtet werden. Eine dritte Option besteht darin, einen Vertreter in Deutschland (meist einen

Verwandten) mit der Antragstellung zu beauftragen. Zwischen dem Datum der Antragstellung

und der Ausstellung der Spätaussiedlerbescheinigung kann eine Bearbeitungszeit von bis zu vier

Jahren liegen.

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DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? 28

E. Sprachtests für Aussiedler

Angesichts der hohen Bewerberzahl und der damit verbunden öffentlichen Diskussion führte

Deutschland, wie oben bereits erwähnt, 1996 einen Sprachtest ein, um die Deutschkenntnisse der

Aussiedler genauer überprüfen zu können. Der Begriff Test ist in diesem Zusammenhang aller-

dings etwas irreführend, da es sich nicht um eine Prüfung im eigentlichen Sinne handelt, sondern

vielmehr um eine Art Anhörung, die zur Einstufung des Bewerbers dient. Die Prüfung darf nicht

wiederholt werden, denn sie soll zeigen, ob der Bewerber die deutsche Sprache bereits während

der Kindheit vermittelt bekam (eine Voraussetzung für die Anerkennung als Spätaussiedler) und

nicht, ob er Deutschkurse belegt hat. Für die Durchführung des Sprachtests vor Ort sind entwe-

der Mitarbeiter des Bundesverwaltungsamtes (in Rußland und Kasachstan) oder Botschafts- bzw.

Konsulatsangehörige zuständig.28 Nach der Einführung des Sprachtests hat das BVA die Öffent-

lichkeit eingehend über die wichtigsten Merkmale informiert. So wurde vor allem darauf hinge-

wiesen, daß ein Bestehen der Prüfung für die erfolgreiche Antragstellung von entscheidender

Bedeutung ist und daß der Test für jeden Hauptantragsteller verpflichtend ist.

Nach Antragseingang verschickt das BVA eine Einladung zum Sprachtest an den Antrag-

steller bzw. seinen Vertreter in Deutschland. Bis der Brief den Empfänger erreicht hat, wird eine

Frist von einem Monat eingeräumt. Der Bewerber hat dann einen weiteren Monat Zeit, sich bei

der deutschen Botschaft anzumelden.

Dieses Bewerbungsverfahren mag zwar auf den ersten Blick recht starr erscheinen, doch

eine gewisse Flexibilität zeigt sich in der Gestaltung der Tests. Zwei Alternativen stehen zur

Verfügung: ein einfacher Test und ein qualifizierter Test. Während der einfache Test bislang nur

für den Hauptantragsteller gedacht ist, können die übrigen Familienangehörigen auf Wunsch den

sogenannten qualifizierten Test ablegen. Mit diesem gesonderten Text wurde erstmals ein gewis-

ser Anreizmechanismus in die deutsche Sprachförderung integriert. Spricht die gesamte Familie

gut deutsch (besser als für den einfachen Test erforderlich), dann wird das Aufnahmeverfahren

28 In Rumänien und Polen wurden die Sprachtests an den Botschaften durchgeführt. Aufgrund des großen Ansturms konnten jedoch die Botschaften in Rußland und Kasachstan die vielen Bewerbungen nicht mehr alleine bearbeiten. Daher wurden Mitarbeiter des BVA entsandt, um die Tests vor Ort durchzuführen. Die Testergebnisse wurden bis 1996 nicht offiziell erfaßt.

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IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 29

beschleunigt. Bei einer durchschnittlichen Bearbeitungszeit von vier Jahren besteht also ein deut-

licher Anreiz, den qualifizierten Test erfolgreich zu absolvieren.

Aus Tabelle 4 geht allerdings hervor, daß der Anteil der Familien, die den qualifizierten

Test bestehen, nicht besonders hoch ist. Das läßt sich darauf zurückführen, daß unter den poten-

tiellen Spätaussiedlern immer weniger Bewerber zu finden sind, die noch die deutsche Sprache

und Kultur pflegen. Während die Zahl der Deutschstämmigen abnimmt, wächst der Anteil der

dazugehörigen Familienmitgliedern stetig. Die meisten von ihnen besitzen keinerlei deutsche

Sprachkenntnisse. Die Politik hat auf diese Entwicklung erst im Rahmen des Zuwanderungsge-

setzes reagiert. Es sieht vor, daß künftig auch sämtliche Familienmitglieder von potentiellen

Aussiedlern bereits in ihrem Heimatland den Nachweis ausreichender Deutschkenntnisse erbrin-

gen müssen, um die Einreisegenehmigung zu erhalten (siehe Zuwanderungsgesetz, Artikel 6,

Nummer 5, dokumentiert in Anhang C).29

Der bislang praktizierte Test selbst ist recht unkompliziert und wird mündlich durchge-

führt. Vor allem werden dabei Fragen zu Themen des alltäglichen Lebens – wie Haushalt, Ar-

beit, Freizeit etc. – gestellt. Da die Antragsteller häufig einen altdeutschen Dialekt sprechen,

können sie das Prüfungsgespräch auf Wunsch in diesem Dialekt absolvieren. Zu diesem Zweck

wurden die Prüfer speziell in alten Dialekten ausgebildet.

Im Rahmen des Tests soll herausgefunden werden, ob eine einfache Kommunikation

zwischen dem Prüfer und dem Bewerber möglich ist. Dazu werden die Fragen und Antworten

auf Standardformularen notiert. Ist eine Unterhaltung problemlos möglich, so wird der Test ver-

kürzt und für bestanden erklärt. Treten hingegen Kommunikationsprobleme auf, so wird das Ge-

spräch im Wortlaut protokolliert. Hier gliedert sich der Test in zwei Teile. Der erste Teil besteht

aus dem Gesprächsprotokoll und wird von Prüfer und Bewerber unterschrieben. Im zweiten Teil

kommentiert der Prüfer das Gespräch und bewertet die Sprachkenntnisse des Bewerbers. Dieser

Teil wird nur vom Prüfer und, sofern erforderlich, vom Dolmetscher abgezeichnet. Wenn trotz

fehlerhafter Grammatik und Syntax oder mangelndem Sprachfluß eine Unterhaltung möglich

war, gilt der Test als bestanden. Wenn hingegen kein Gespräch zustande kam und der Bewerber

die Fragen kaum zu verstehen schien, gilt die Prüfung als nicht bestanden.

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Tabelle 4: Ergebnisse der Sprachtests für Spätaussiedler

Einfacher

Test Qualifizierter

Test

Einfacher Test bestanden,

qual. Test nicht bestanden Summe

1996

Gesamtzahl Tests 5.629 2.567 8.196 Bestanden

Anzahl in %

3.901 69,3

1.386 54,0

+ 688

5.975 72,9

Nicht bestanden Anzahl

in %

1.728 30,7

1.181 46,0

- 688

2.221 27,1

1997

Gesamtzahl Tests 46.727 10.583 57.236 Bestanden

Anzahl in %

29.610

62,9

4.176 39,5

+ 2.772

36.558

63,9 Nicht bestanden

Anzahl in %

17.043

36,5

6.407 60,5

- 2.772

21.678

36,1 1998

Gesamtzahl Tests 51.607 7.322 58.929 Bestanden

Anzahl in %

30.064

58,3

1.888 25,8

+ 2.088

34.040

57,8 Nicht bestanden

Anzahl in %

21.543

41,7

5.434 74,2

- 2.088

24.889

42,2 1999 (bis 31.07.)

Gesamtzahl Tests 12.918 2.017 14.935 Bestanden

Anzahl in %

7.141 55.3

431 21.4

+ 613

8.185 54.8

Nicht bestanden Anzahl

in %

5.777 44.7

1.586 78.6

- 613

6.750 45.2

Quelle: Statistik des Bundesverwaltungsamts Köln vom 31.07.1999

29 Vgl. Zuwanderungsgesetz, Artikel 6, Nummer 5b (Bundesgesetzblatt, 1990); Anhang C dieser Studie dokumen-tiert den Wortlaut der Bestimmungen.

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Im Zweifelsfall – wenn der Prüfling keine zusammenhängenden Sätze formulieren konn-

te, jedoch die Fragen zu verstehen schien – stellt der Prüfer Fragen zu deutschen Bräuchen, die

im Hause des Bewerbers gepflegt werden. Diese Fragen werden in einer dem Bewerber

verständlichen Sprache gestellt. Gelangt der Prüfer daraufhin zu der Ansicht, daß deutsche

Bräuche und Traditionen im Hause des Antragstellers ausreichend gepflegt werden, um die

Bedingungen des §6 (2) BVFG zu erfüllen, kann er den Test für bestanden erklären.30

Wie aus Tabelle 4 hervorgeht, hat der Anteil der bestandenen Tests seit 1996 kontinuier-

lich abgenommen. Diese Entwicklung ist zum einen auf das oben angeführte „Problem der zwei-

ten Generation“ zurückzuführen. Zum anderen entstand durch das beschleunigte Aufnahmever-

fahren für Bewerber mit fließenden Deutschkenntnissen aber auch eine Art „Abschöpfungsef-

fekt“.

Selektion erfolgreicher Kandidaten

Abhängig vom Ergebnis des Sprachtests und der Gültigkeit der Dokumente kann das BVA den

Antrag genehmigen, ablehnen oder eine weitere Untersuchung anordnen. Entscheidet das BVA

positiv, so fehlt noch die Zustimmung eines der Bundesländer (gemäß § 28 (2) BVFG), bevor

der endgültige Aufnahmebescheid verschickt werden kann.

Um diese notwendige Zustimmung einzuholen, leitet das BVA den Antrag je nach fami-

liärer Bindung und Verteilungsschlüssel (gemäß § 8 (3) BVFG) an das zuständige Bundesland

weiter. Das Land stellt daraufhin seine eigene Untersuchung an und gelangt unabhängig vom

BVA zu einer Entscheidung. Sind sich beide Behörden einig, erhält der Bewerber den endgülti-

gen Aufnahmebescheid. Kommt das Bundesland zu einem negativen Ergebnis, so wird der An-

trag abgelehnt. Gegen diese Entscheidung kann der Antragsteller Berufung einlegen.

Nach Vorlage des Aufnahmebescheids erhält der Bewerber in der zuständigen Botschaft

ein Visum, das ihn zur Einreise nach Deutschland berechtigt. Dort werden seine Dokumente

durch die Erstaufnahmestelle erneut geprüft. Erfüllt der Bewerber sämtliche Voraussetzungen, so

30 Da Deutschstämmige in den Ländern, in denen sie lebten, häufig stark benachteiligt waren oder sogar verfolgt wurden, standen sie stets unter dem Druck, sich bis zu einem gewissen Grad zu assimilieren. Da sich ihre Herkunft am ehesten an der Sprache erkennen ließ, sorgten viele Eltern dafür, daß ihre Kinder die Landessprache sprachen. In Polen war die Verwendung der deutschen Sprache nach dem Zweiten Weltkrieg sogar einige Jahrzehnte lang verbo-ten. Passive Sprachkenntnisse blieben jedoch oft erhalten.

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wird er (gegebenenfalls zusammen mit seiner Familie) registriert und darf auf Wunsch seinen

Namen eindeutschen. Anschließend muß er sich bei der Landesaufnahmestelle des ihm zugewie-

senen Bundeslandes melden. Werden seine Dokumente für ungültig befunden, so wird der Be-

werber abgeschoben.

Bei seiner Ankunft am Bestimmungsort werden die Dokumente einer weiteren Prüfung

unterzogen. Erst dann erhält der Bewerber seine Spätaussiedlerbescheinigung. Selbst während

dieses letzten Schritts kann der Antrag noch abgelehnt und die Ausstellung einer Spätaussiedler-

bescheinigung abgelehnt werden. Dagegen kann der Antragsteller Berufung einlegen, muß je-

doch mit einer Abschiebung rechnen, falls ihm das Visum entzogen wird.

Angesichts der Komplexität dieses Verfahrens ist es nicht verwunderlich, daß nur eine

begrenzte Zahl von Anträgen pro Jahr bearbeitet werden kann. Doch aufgrund des Antragsrück-

gangs, der nicht zuletzt auf die Einführung von Sprachtests zurückzuführen ist, wird sich das

Verfahren in Zukunft voraussichtlich beschleunigen lassen.

Wenn es um die Beurteilung der Sprachkenntnisse von Aussiedlern geht, stehen die bei-

den Ziele der Selektion und Integration häufig in Konflikt miteinander. Der derzeit praktizierte

Sprachtest für Aussiedler reicht in der Regel nicht aus, um ein brauchbares Vokabular zu ge-

währleisten, da auch veraltetes Deutsch, wie es von vielen Aussiedlern gesprochen wird, zuge-

lassen ist. So ergeben sich für Aussiedler ähnliche Kommunikationsprobleme wie für Ausländer,

obwohl für beide Gruppen nach deutschem Recht völlig unterschiedliche Aufnahmeverfahren

gelten.

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F. Marktorientierte Sprachtests und Sprachförderung in Kanada

Zwar spielt die Sprachkompetenz der Einwanderer zum Zeitpunkt der Entscheidung über die

Einreise nur eine geringe Rolle, doch steht sie während des Aufenthalts in Kanada kontinuierlich

auf dem Prüfstand. Bei dieser informellen Bewertung nimmt der kanadische Arbeitsmarkt eine

aktive Rolle ein. So hängt der Arbeitsmarkterfolg des einzelnen letztlich davon ab, in welchem

Umfang er sich die Sprache des Landes angeeignet hat. Tabelle 5 veranschaulicht, inwieweit die

Sprachkenntnisse des Immigranten von der Einreise bis zur Einbürgerung von Bedeutung sind.

Dadurch soll vor allem die wichtige Rolle des Privatsektors in der Sprachförderung unterstrichen

werden. In der Matrix wird die Sprachkompetenz in unterschiedliche sprachwissenschaftliche

Aspekte aufgegliedert (Hörverstehen, Sprechen, Lesen und Schreiben) und mit der jeweiligen

Integrationsphase in Verbindung gebracht. Um als Immigrant anerkannt zu werden (landed im-

migrant status), muß der Bewerber bei der Einreise de facto keine formellen Sprachanforderun-

gen erfüllen. Doch durch den Nachweis von Sprachkenntnissen erhöhen sich seine Anerken-

nungschancen wesentlich.

Tabelle 5: Sprachanforderungen in verschiedenen Phasen des Aufenthalts in Kanada

anerkannter Immigrant*

Beschäftigung (verschiedene)

Staatsangehörig-keit

Hörverstehen/Sprechen Nein Ja Nein Leseverstehen Nein Ja Ja Schreiben Nein Ja Nein

�� Die Angaben zur Sprachkenntnis erfolgen durch Selbsteinschätzung. In den meisten Fällen wird der Bewerber zu einem Prüfungsgespräch geladen, in dem seine Angaben mündlich überprüft werden. Diesen Test kann der Antragsteller jedoch durch Vorlage des TOEFL-Testergebnisses umgehen.

Daß sich der Erwerb der Landessprache(n) in Kanada unter Arbeitsmarktaspekten weitgehend

selbst regelt, wird am Beispiel der hochqualifizierten Berufsgruppen besonders deutlich. In eini-

gen Berufen müssen Immigranten zunächst einen formellen Sprachtest bestehen, bevor sie zur

Prüfung der beruflichen Qualifikationen überhaupt zugelassen werden. So verlangt etwa das Col-

lege of Physicians and Surgeons (Ärzte und Chirurgen) der Provinz British Columbia, daß aus-

ländische Ärzte mündliche und schriftliche Englischkenntnisse „zur Zufriedenheit der Zulas-

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sungsstelle“31 vorweisen können, bevor eine Zertifizierung in Kanada überhaupt erst erwogen

wird. Eine Teilvoraussetzung für die Approbation ist ferner, daß die Bewerber eine zweijährige

Postgraduiertenausbildung an einer akkreditierten und anerkannten Institution erfolgreich abge-

schlossen haben müssen, wobei ausländische Bewerber mindestens eines dieser beiden Jahre in

Kanada absolviert haben müssen.32 Zwar verlangt das Royal College of Physicians and Surgeons

of Canada keinen formellen Sprachtest, doch für die Teilnahme am Postgraduiertenprogramm

sind ausreichende Englischkenntnisse erforderlich, zum Teil sogar eine Mindestpunktzahl von

60033 beim TOEFL-Test.34 Ausländische Mediziner müssen für ihren Abschluß (L.M.C.C.) au-

ßerdem die Prüfung durch das Medical Council of Canada ablegen.35 Da diese Prüfungen nur in

englischer und französischer Sprache durchgeführt werden, sind ausreichende Sprachkenntnisse

eine Grundvoraussetzung für das Bestehen.

Ein weiteres Beispiel für diesen selbstregelnden Spracherwerbsprozeß auf dem kanadi-

schen Arbeitsmarkt ist der Sprachtest für ausländische Krankenschwestern. Zusätzlich zu den

notwendigen beruflichen Qualifikationen verlangt die Registered Nurses Association of British

Columbia, daß alle Krankenschwestern, deren Muttersprache nicht Englisch ist, entsprechende

Kenntnisse durch mindestens 550 Punkte im TOEFL-Test und mindestens 50 Punkte im Test of

Spoken English (TSE) nachweisen können. In den übrigen Provinzen Kanadas finden sich ähnli-

che Regelungen.

Um in Ontario Pharmazie praktizieren zu dürfen, muß jeder Anwärter eine entsprechende

Lizenz vom Ontario College of Pharmacists erwerben. Dieses College schreibt wiederum vor,

daß ausländische Pharmazeuten die englische oder französische Sprache in Wort und Schrift be-

herrschen müssen. Dazu muß der Bewerber den TSE (mind. 50 Punkte), TOEFL (mind. 580

Punkte) und den Test of Written English (TWE, mind. 5 Punkte) oder einen anderen anerkannten

31 College of Physicians and Surgeons of British Columbia (1997), Section 73 (c), 1. 32 Ibid. 33 Die hier angegebenen Zahlen beziehen sich auf den paper-based TOEFL. Eine Tabelle zum Vergleich mit den entsprechenden Ergebnissen beim computer-based TOEFL liegt in der TOEFL-CBT-Informationsbroschüre vor (erhältlich unter www.toefl.org). 34 Dr. D. H. Blackman, Deputy Registrar, College of Physicians and Surgeons of British Columbia, persönlicher Schriftverkehr mit Don DeVoretz, 22. Juli 1999. 35 Das L.M.C.C. (Licentiate of the Medical Council of Canada) ist Voraussetzung für die Zulassung zum Post-graduiertenprogramm.

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Test wie z. B. den CanTEST (je mind. 5 Punkte im Hörverstehen, Leseverstehen, Schreiben und

Sprechen) absolviert haben. Für die französische Sprache gelten der CanTEST (gleiche Mindest-

punktzahl wie im englischen Test) oder der Test of Business French (mündlich: 7; schriftlich: 2).

Bewerber müssen darüber hinaus 48 Wochen praktische Ausbildung nachweisen und die Quali-

fikationsprüfung des Pharmacy Examination Board of Canada (PEBC) sowie die Jurisprudenz-

Prüfung des Ontario College of Pharmacists bestehen.36 Beide Prüfungen werden ausschließlich

in englischer oder französischer Sprache abgehalten.

Für Berufe außerhalb des Gesundheitswesens existieren ähnliche Sprachanforderungen.

So untersucht beispielsweise das National Committee on Accreditation die Berechtigungsnach-

weise von ausländischen Juristen und verlangt gegebenenfalls entsprechende Zusatzkurse, bevor

sie das Certificate of Qualification erteilt, ohne das eine Zulassung als Rechtsanwalt in Kanada

nicht erfolgen kann. Das Zertifikat bescheinigt dem Bewerber/der Bewerberin eine Qualifikation,

die dem abgeschlossenen Jurastudium an einer anerkannten kanadischen Universität entspricht.37

Je nach Unterrichtssprache an der Heimatinstitution des Bewerbers/der Bewerberin kann das

Komitee einen entsprechenden Nachweis über die Beherrschung der englischen Sprache verlan-

gen. Darüber hinaus werden die notwendigen Zusatzkurse nur an Universitäten angeboten, die

den TOEFL-Test als Eingangsvoraussetzung verlangen.

Weitere Beispiele für derartige Sprachanforderungen finden sich in Kanada zuhauf. Der

Verband der Ingenieure und Geowissenschaftler von British Columbia etwa schreibt für alle an-

gehenden Ingenieure eine „Professional Practice Examination“ vor, die nur in englischer Spra-

che angeboten wird. Auch hier müssen im Ausland ausgebildete Ingenieure entsprechende

Sprachkenntnisse besitzen, um den Test bestehen zu können. In den übrigen Provinzen Kanadas

gelten ähnliche Bestimmungen.

Als Physiotherapeut muß man in Ontario neben den fachlichen Voraussetzungen entwe-

der Englisch oder Französisch fließend beherrschen. Die Mindestvoraussetzungen sind hier ein

TOEFL-Resultat von 585 und zusätzlich ein TSE-Ergebnis von 45 oder eine Mindestpunktzahl

36 Diese Informationen stammen vom 1997 Occupational Fact Sheet for Foreign Trained Pharmacists, http://www.ocpharma.com/Registration/putprov.asp 37 National Committee on Accreditation, Evaluation of Legal Credentials of Accreditation, http://www.flsc.ca/english/cm-nca.htm

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von 85 bei der Michigan English Language Assessment Battery (MELAB). Alternativ genügt ein

Mindestdurchschnitt von 3 beim CanTEST (Englisch oder Französisch) bzw. 7 im International

Language Testing System (IELTS) als Nachweis angemessener Sprachkenntnisse.

Auch für im Ausland ausgebildete Ernährungswissenschaftler schreibt das College of

Dietitians in Ontario die fließende Beherrschung einer der Amtssprachen vor. Als Nachweis

werden hier TOEFL-Test (mind. 550 Punkte) und der TSE (mind. 5) anerkannt.

Selbst in Berufen ohne formale Ausbildung wird die Sprachbeherrschung häufig über-

prüft. So muß man beispielsweise als Taxifahrer in British Columbia nicht nur verschiedene Ta-

xiHost-Kurse wie den TaxiHost Basic Geography Test belegen und ein einwandfreies Führungs-

zeugnis besitzen, sondern darüber hinaus nachweisen, daß man „gedruckte Angaben in engli-

scher Sprache in ein Formular übertragen kann, einen Englischkurs mindestens der Stufe 8 an

einer beliebigen Sprachschule absolviert hat, oder den TaxiHost English Proficiency Test be-

steht“38, wobei 78 Prozent bei der mündlichen Kommunikation, 71 Prozent bei der Aussprache

und 67 Prozent beim Lesen erreicht werden müssen. Der TaxiHost English Proficiency Test wur-

de konzipiert, um unabhängig vom Herkunftsland der Bewerber möglichst faire und objektive

Aussagen über deren Englischkenntnisse zu treffen. Der Test wurde am Vancouver Community

College im Auftrag von TaxiHost entwickelt und soll sicherstellen, daß alle Taxifahrer die nöti-

gen aktiven und passiven Sprachkenntnisse besitzen, um in ihrem Gewerbe professionell arbeiten

zu können.

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die kanadische Regierung zwar von Immi-

granten letztlich keinerlei Sprachkenntnisse zwingend als Vorausbedingung für Einreise, Auf-

enthalt oder Einbürgerung verlangt, daß jedoch viele Immigranten auf dem Arbeitsmarkt äußer-

ste strenge Sprachmaßstäbe vorfinden. Daraus ergibt sich ein Paradox: Ein Immigrant darf zwar

aufgrund entsprechender fachlicher Qualifikationen ohne Sprachkenntnisse ins Land einreisen,

doch um dort seinen Beruf ausüben zu können, ist häufig die fließende Beherrschung einer der

Amtssprachen notwendig.

Die unübersichtliche Bandbreite der verschiedensten Sprachanforderungen und Tests in

den einzelnen Berufen führte zu einer öffentlichen Diskussion über Sprachstandards. Infolgedes-

38 TaxiHost Centre, New Driver Application Procedures, Justice Institute of B.C., (Stand: 4. Januar 1999), 1.

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sen begann man in Kanada mit der Entwicklung eines Benchmark-Standards für Sprachkompe-

tenz. Dieses einheitliche Bewertungssystem soll helfen, Immigranten besser über die für ihren

Beruf notwendigen Sprachkenntnisse zu informieren.

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G. Kanadas Sprach-Benchmarks

In Kanada verfügt ein großer Anteil der Immigranten über unzureichende Sprachkenntnisse.

Darauf reagierte der Privatsektor mit der Gründung von Fortbildungseinrichtungen, an denen

English (French) as a Second Language (ESL/FSL) unterrichtet wird. Für diese privaten Institu-

tionen gilt jedoch meist kein nationaler Standard.39 Somit gestaltet es sich gerade für potentielle

Arbeitgeber schwierig, die Absolventen der verschiedenen Sprachkurse zu vergleichen und ihren

tatsächlichen Kenntnisstand realistisch einzuschätzen.40 Darüber hinaus ist der Umfang der

Sprachförderung in den meisten ESL-Kursen zu begrenzt, um „die Bandbreite und die Qualität

des Sprachgebrauchs, der für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben in Kanada grundlegend

ist, widerzuspiegeln.“41 Zwar weist das Bildungssystem eine allgemeine Tendenz zu besserer

Überprüfbarkeit und ergebnisorientierteren Lehrplänen auf, doch mangelt es den ESL-

Programmen an Informationen und empirischen Nachweisen über das tatsächliche Sprachniveau

der Absolventen.42 Vor diesem Hintergrund war die Entwicklung des CLBA (Canadian Langua-

ge Benchmarks Assessment) eine Reaktion auf die begrenzten Ausbildungs- und Bewertungs-

möglichkeiten der Sprachförderung im Rahmen von ESL-Kursen für Erwachsene.43 Im folgen-

den wird die Entwicklung der Canadian Language Benchmarks dargestellt.

Die staatliche Behörde, die dem CIC vorausging, nannte 1991 in ihrem jährlichen Bericht

an das Parlament die Sprachförderung für erwachsene Zuwanderer, einschließlich einer Verbes-

serung der Bewertungsmethoden, als Hauptziel. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde 1993 eine

nationale Arbeitsgruppe (National Working Group on Language Benchmarks) eingerichtet, die

die Gestaltung, praktische Erprobung und Überarbeitung von Sprach-Benchmarks überwachen

sollte. Durch diese Benchmarks sollte die „Fähigkeit des einzelnen, die englische Sprache zur

39 Kurse finden beispielsweise in Schulen, Colleges, Gemeindezentren, Universitäten, Fabriken, Büros, Hotels, Kel-lerräumen von Kirchen, Bibliotheken etc. statt. Sie werden als Voll- oder Teilzeitkurse angeboten und setzen sich aus Teilnehmern mit den unterschiedlichsten kulturellen und beruflichen Hintergründen zusammen. 40 CIC (1996a), 1. 41 Cumming, zitiert in Norton/Stewart (o.J.), 3. 42 Ebd. 43 Ebd.

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IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 39

Bewältigung verschiedener Aufgaben anzuwenden“ 44, eingeordnet werden können. Zu den Mit-

gliedern der Arbeitsgruppe zählten rund 20 Sprachlehrer, Administratoren und Teilnehmer von

Sprachkursen aus ganz Kanada. Aus dieser Zusammenarbeit entstand 1995 eine Publikation mit

dem Titel Canadian Language Benchmarks: English as a Second Language for Adults.

Die kanadischen Sprach-Benchmarks bestehen aus zwölf Vergleichsmaßstäben (in den

drei Bereichen Sprechen/Hörverstehen, Lesen und Schreiben), anhand derer die Sprachkenntnis-

se von ESL-Kursteilnehmern eingestuft werden können.45 Jeder Benchmark beschreibt das Ni-

veau der Sprachbeherrschung, das die Kursteilnehmer in der jeweiligen Phase erreicht haben

sollten. Die Benchmarks für die einzelnen Teilbereiche untergliedern sich dabei in vier Stufen

der Sprachkompetenz (siehe Tabelle 6).

Tabelle 6: Allgemeiner Inhalt der Canadian Language Benchmarks

Hörverstehen/Sprechen

A. Anweisungen geben und befolgen B. Soziale Interaktion C. Informationsaustausch D. Überzeugungskraft

Lesen

A. Anweisungen lesen B. Formatierte Texte lesen C. Unformatierte Texte lesen D. Informative Texte lesen: Analyse und Information

Schreiben

A. Informationen abschreiben, reproduzieren B. Formatierte Texte: Ausfüllen, Erstellen C. Unformatierte Texte: Beschreibungen, Informationsweitergabe D. Ideen ausdrücken: Analyse, Bewertung, Überzeugung

Quelle: Canadian Language Benchmarks, Einleitung/S. 2. http://language.ca/clb/intro.html

Nach Fertigstellung dieses Dokuments beauftragte das CIC einen Bildungsausschuß in

Ontario mit der Entwicklung von Bewertungsinstrumenten für die einzelnen Benchmarks. Fol-

gendes sollte im Rahmen dieses Projekts entwickelt werden:

44 CIC (1996a), 1. 45 CIC (1996b).

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DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? 40

��Aufgaben, die auf die Benchmarks abgestimmt sind; ��Aufgaben, durch die Sprachschüler/innen in ein Kontinuum eingeordnet werden können; ��Aufgaben ohne Benachteiligung einzelner Rassen oder Kulturen; ��Aufgaben, die realistisch und fair sind; ��getrennte Instrumente für Hörverstehen/Sprechen, Lesen und Schreiben; ��Instrumente für die Einstufung zu Kursbeginn und die Beurteilung nach Kursende; ��Bewertungsinstrumente, die wirksam, verläßlich und kosteneffizient angewendet und ausge-

wertet werden können; ��Bewertungsinstrumente, die für den Bereich Erwachsenenbildung transparent sein müssen.46

Das daraus entstandene Canadian Language Benchmarks Assessment (CLBA) ist eine

handlungsorientierte Prüfung, durch die „erwachsene Sprachschüler landesweit den für ihre Vor-

kenntnisse angemessenen Sprachförderungsprogrammen zugeordnet und ihre Fortschritte im

Rahmen dieser Programme gemessen werden können.”47 Testinstrumente wurden entwickelt, die

die Benchmarks 1 bis 8 abdecken.48 (Eine detaillierte Beschreibung der Canadian Language

Benchmarks ist im Internet unter http://www.language.ca abrufbar.)

Für Kinder und Jugendliche sind die ESL-Kurse innerhalb des kanadischen Schulsystems

einheitlich. Darüber hinaus erlernen Zuwandererkinder durch die Interaktion mit anderen Kin-

dern die in ihrer Region vorherrschende Sprache (Englisch oder Französisch) recht schnell. Dies

gilt nicht notwendigerweise auch für Erwachsene. Um die soziale, wirtschaftliche und kulturelle

Integration von erwachsenen Immigranten zu erleichtern, richtete das CIC ein Programm mit

dem Titel Language Instruction for Newcomers to Canada (LINC) ein.49 Das LINC-Programm

wird landesweit von beauftragten Institutionen durchgeführt. Dazu zählen Unternehmen, ge-

meinnützige Einrichtungen, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Gemeindegruppen, Bil-

dungsinstitute, Einzelpersonen sowie die Verwaltungen der jeweiligen Provinzen, Territorien

und Kommunen.

Um sich für LINC-Kurse zu qualifizieren, muß der Anwärter älter als 19 Jahre und im

Besitz einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung sein bzw. diese erfolgreich beantragt haben.

Der Unterschied zwischen LINC und früheren Sprachförderungsprogrammen der Regierung liegt

46 Norton/Stewart (o.J.), 4. 47 Ebd., 2. 48 Tests für die Benchmarks 9 bis 12 sind geplant. 49 LINC entspricht ELSA (English Language Services for Adults) in der Provinz British Columbia.

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IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 41

darin, daß der potentielle Teilnehmer nicht auf dem Arbeitsmarkt aktiv sein muß, um zum

Sprachkurs zugelassen zu werden. Zuvor gab es drei größere Programme, die von der kanadi-

schen Regierung finanziert wurden: das Language Training Program der Canada Employment

and Immigration Commission (CEIC), Sprachförderungsprogramme des Außenministeriums (die

Finanzierung dieser Programme wurde mit dem Haushalt 1989 eingestellt) und das vom CEIC

finanzierte Settlement Language Training Program (SLTP) für Immigranten, die nicht aktiv am

Arbeitsmarkt teilnehmen.

Das Language Training Program richtete sich ausschließlich an Erwerbstätige. Potentiel-

le Teilnehmer mußten den Nachweis erbringen, daß englische bzw. französische Sprachkenntnis-

se für ihre Beschäftigung zwingend erforderlich waren. Das Programm des Außenministeriums

richtete sich speziell an einbürgerungswillige Immigranten und wurde nach dem „Total Immer-

sion“-Prinzip (vollständiges „Eintauchen“ in die Sprache) einsprachig durchgeführt. Dieses Un-

terrichtsmodell wirkte jedoch auf viele Teilnehmer – insbesondere jene mit unzureichender Lese-

und Schreibfähigkeit – eher abschreckend und behinderte den Lernprozeß. Ferner wurde oft kri-

tisiert, das Programm sei wenig „kulturell einfühlsam“ und gehe nicht ausreichend auf Alltagssi-

tuationen ein.

Das aktuelle LINC-Programm soll erwachsenen Immigranten in erster Linie Basiskennt-

nisse der englischen bzw. französischen Sprache vermitteln. Dies soll möglichst früh geschehen,

um die gesellschaftliche Integration zu erleichtern. Der zeitliche Rahmen der Sprachausbildung

ist auf maximal drei Jahre beschränkt. Nach dieser Zeit sollen die Absolventen in der Lage sein,

ihren alltäglichen Verpflichtungen, die ausreichende Kenntnisse der Amtssprache erfordern,

nachzukommen. Um den ungehinderten Zugang zu den LINC-Programmen zu gewährleisten,

haben die Teilnehmer weiterhin Anspruch auf staatliche Unterstützung, Kinderbetreuung und

Fahrtkostenzuschüsse, so daß jeder Sprachschüler regelmäßig an den Kursen teilnehmen kann.

Die LINC-Kurse basieren auf einem landesweit einheitlichen Lehrplan und setzen sich

aus drei Komponenten zusammen. Zunächst werden die Vorkenntnisse des Sprachschülers an-

hand der oben angeführten Benchmarks (CLBA) eingestuft. Der Prüfer empfiehlt daraufhin eine

Sprachförderungseinrichtung, die am besten auf die Bedürfnisse des Anwärters zugeschnitten ist.

Diese Empfehlung ist jedoch nicht bindend. Bei der Anforderung von Mitteln des CIC muß jeder

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DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? 42

Sprachkursträger angeben, welche zusätzlichen Leistungen den Kursteilnehmern zur Verfügung

stehen, z. B. Kinderbetreuung oder behindertengerechte Räumlichkeiten.

Die zweite Komponente besteht aus dem Sprachkurs selbst. Um eine vergleichbare

Qualität der verschiedenen Kurse zu gewährleisten, sollen die Fortschritte der Teilnehmer

ebenfalls anhand der CLBA-Benchmarks verfolgt werden. Alle Träger des LINC-Programms

müssen in der Lage sein, auch Sprachschüler der Stufe 1 (gemäß CLB) auszubilden.

Der dritte Teil beinhaltet die Verbesserung und Verbreitung von Sprachkursen und

Sprachprüfungen im Rahmen des LINC-Programms.50 Dazu sollen der Sprachförderungsbedarf

der Immigrantengruppen vor Ort untersucht und die Effektivität des LINC-Programms beurteilt

werden. Aufgrund der Ergebnisse sollen entsprechende Verbesserungsvorschläge entwickelt

werden.

50 CIC (1997), 5.

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IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 43

H. Sprachförderung in Deutschland

Im Gegensatz zum kanadischen Ausbildungssystem wird die Sprachförderung in Deutschland

zur Zeit fast ausschließlich durch den Staat geregelt. Die deutsche Regierung finanziert Sprach-

kurse sowohl für Aussiedler als auch für Ausländer (siehe Überblick in Anhang D). Diese Kurse

sollen dazu beitragen, die Immigranten wirtschaftlich und auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren,

soziale Kontakte zu fördern sowie die politische und kulturelle Partizipation der Zuwanderer zu

verbessern. Die Mittel für die jeweiligen Immigrantengruppen werden von verschiedenen Be-

hörden bereitgestellt. Sprachförderung für Spätaussiedler wird vom Bundesministerium für Fa-

milie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), dem Bundesministerium für Arbeit und Sozia-

lordnung (BMA) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert.

Darüber hinaus bieten das Auswärtige Amt (AA) und das Bundesministerium des Innern (BMI)

in der Russischen Föderation und Kasachstan Sprachkurse an, durch die potentielle Aussiedler

noch im Herkunftsland ihre deutschen Sprachkenntnisse auffrischen bzw. verbessern können.

Staatlich finanzierte Sprachkurse für Ausländer finden hingegen nur in Deutschland

selbst statt. Sie fallen in den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und So-

zialordnung (BMA). Die Mittel für die Sprachausbildung beider Immigrantengruppen beliefen

sich zuletzt auf 340-350 Mio. DM51 jährlich. Davon entfielen über 90 Prozent auf Sprachkurse in

Deutschland, der Rest auf Sprachkurse für Aussiedler in deren Herkunftsländern. Für die Jahre

2001 und 2002 sind im Bundeshaushalt Mittel in Höhe von rund 320 Mio. DM (ca. 165 Mio. Eu-

ro) vorgesehen. Der folgende Abschnitt gibt einen kurzen Überblick über die angebotenen

Leistungen und die in der Praxis beobachtete Wirksamkeit dieser Programme.

Sprachförderung für Aussiedler

Im Jahr 2000 wurde die Sprachförderung für Aussiedler von der Bundesregierung mit insgesamt

rund 310 Mio. DM unterstützt. Die verschiedenen geförderten Programme werden im folgenden

näher erläutert.

51 Da in dieser Studie auch Werte aus der zurückliegenden Jahren vergleichend herangezogen werden, sind die An-gaben durchweg in DM statt in der seit Jahresbeginn 2002 gültigen neuen Euro-Währung angeführt. Ein Euro entspricht 1,95583 DM.

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DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? 44

a) Sprachförderung in den Herkunftsländern

Die Sprachkurse, die von der deutschen Regierung in der Russischen Föderation und in

Kasachstan angeboten werden, richten sich in erster Linie an Bleibewillige. Indem interessierten

Bürgern dieser Staaten die Teilnahme an Deutschkursen angeboten wird, soll der Gebrauch der

deutschen Sprache in der Region gefördert werden. Dadurch will man den interkulturellen Aus-

tausch fördern und die Akzeptanz der verbliebenen Deutschstämmigen in der Russischen

Föderation und Kasachstan erhöhen. Diejenigen von ihnen, die sich doch zur Übersiedlung nach

Deutschland entscheiden, können die Sprachkurse zur Auffrischung bzw. Verbesserung ihrer

Deutschkenntnisse nutzen und so ihre Integration in Deutschland erleichtern. Schätzungen zufol-

ge leben derzeit rund eine Million Deutschstämmige und deren Verwandte in der Russischen Fö-

deration sowie weitere 300.000 in Kasachstan.52

Das Auswärtige Amt (AA) fördert verschiedene Deutschkurse für Aussiedler. Dazu zäh-

len insbesondere die Kurse der deutschen Botschaft in Kasachstan, Kurse und Arbeitsgruppen

des Vereins für das Deutschtum im Ausland (VDA) sowie eine Reihe indirekter Maßnahmen.

Der Rat der Deutschen in Kasachstan sieht das Ziel dieser Kurse darin, den Ausreisewilligen ei-

ne sprachliche Grundlage mitzugeben und den Unentschlossenen eine Entscheidungshilfe anzu-

bieten. Die Sprachschüler können kostenlos an bis zu drei Kursen von je 160 Stunden teilnehmen

und müssen am Ende jedes Kurses schriftliche und mündliche Prüfungen ablegen. Mit rund 2,1

Mio. DM förderten das AA und das Bundesministerium des Innern (BMI) 1998 insgesamt 750

dieser Kurse, in denen etwa 15.000 Teilnehmer ausgebildet werden konnten.

Der Verein für das Deutschtum im Ausland (VDA) bietet seit 1993 in Kasachstan und der

Russischen Föderation sogenannte „integrierte Sprachkurse“ an. In diesen Kursen lernen die

Teilnehmer die deutsche Sprache nicht nur im Rahmen von strukturierten Unterrichtseinheiten,

sondern auch durch gemeinschaftliche Aktivitäten wie Kochen, Tanzen und Chorproben. Das

Hauptziel dieser Aktivitäten besteht darin, die deutsche Sprache und Kultur in der Region auf-

rechtzuerhalten. Neben den Deutschstämmigen können auch die Landsleute des jeweiligen Staa-

tes teilnehmen. Von diesem Angebot wird reger Gebrauch gemacht: Nicht-Deutschstämmige

52 Dormann et al. (1998), 26.

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IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 45

stellen immerhin rund die Hälfte der Teilnehmer. Bis zu vier aufeinanderfolgende, dreimonatige

Kurse à 40 Stunden können besucht werden. Die „Arbeitsgruppen“ verteilen sich in der Regel

auf 32 Stunden pro Monat und schließen ebenfalls mit einem Sprachtest ab.

Häufig fehlt es bei den Sprachkursen in dieser Region an Unterrichtsmaterialien, geeigne-

ten Räumlichkeiten oder qualifizierten Lehrkräften. Um diese Lücken zu füllen, stellt das AA

Mittel und Ausbildungsmöglichkeiten für Sprachlehrer bereit.

Das Bundesministerium des Innern (BMI) betreibt eine umfangreiche Sprachförderung

für Familienangehörige der deutschstämmigen Minderheiten in der ehemaligen Sowjetunion. In-

dem auf diese Weise die deutsche Identität und das Gemeinschaftsgefühl der Deutschstämmigen

gefördert werden, sollen potentielle Aussiedler einen Anreiz zum Bleiben erhalten. Sprachkurse

sind ein wichtiger Teil der angebotenen Programme. Darüber hinaus richtet das BMI Begeg-

nungsstätten ein, in denen Deutschstämmige und interessierte Mitbürger zusammenkommen und

zum deutsch-russischen Kultur- und Sprachaustausch beitragen können. Seit diese sogenannte

Breitenarbeit 1996 begonnen wurde, konnten bereits über 200.000 Interessenten gewonnen wer-

den. Die Sprachkurse sind kostenlos und in der Regel offen für jedermann, sofern ein gewisser

Anteil an deutschstämmigen Teilnehmern gewährleistet ist. Bis 1999 umfaßten die Kurse 80 Un-

terrichtsstunden (über drei Monate), eine Aufstockung auf 160 Stunden ist geplant. Im Gegensatz

zu den zuvor beschriebenen Kursen sind bei den Sprachkursen im Rahmen der Breitenarbeit kei-

ne Abschlußprüfungen vorgeschrieben. Statt dessen erhalten die Absolventen eine Teilnahmebe-

stätigung. Dieser Bereich wurde 1999 mit rund 16 Mio. DM gefördert.

Insgesamt existiert somit zwar eine Fülle von Sprachförderprogrammen, es fehlt aller-

dings jede Information über ihre Effektivität . Dies liegt zum Teil daran, daß die Sprachförde-

rung in den Herkunftsregionen darauf abzielt, die Deutschstämmigen vom Umsiedeln abzuhal-

ten. Allerdings sind ebensowenig Informationen darüber verfügbar, ob diese Art der Sprachför-

derung für diejenigen Deutschstämmigen von Nutzen ist, die dennoch den Spätaussiedlerstatus

beantragen.

b) Sprachförderung in Deutschland

Wie bereits erwähnt, wird die Sprachförderung für Aussiedler in Deutschland von ver-

schiedenen Behörden finanziert: dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA),

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DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? 46

dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und dem Bundes-

ministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Diese Kurse sind wesentlich strukturierter, und

die Anforderungen sind strenger als bei den Sprachkursen in den Herkunftsländern.

Für ältere Aussiedler bietet das BMA über die Bundesanstalt für Arbeit (BA) in den re-

gionalen Arbeitsämtern Sprachkurse an. Diese Kurse richten sich nach dem Bedarf der lokalen

Arbeitsmärkte. Für die ersten sechs Monate werden die Kursgebühren vollständig übernommen,

wobei auch die Kosten für notwendige Fahrten und Kinderbetreuung bis maximal 120 DM mo-

natlich erstattet werden. Tabelle 7 zeigt, wie viele der neu eingereisten Spätaussiedler zwischen

1991 und 1997 an einem Sprachkurs teilnahmen. Dieser Prozentsatz blieb während des gesamten

Zeitraums relativ stabil (um die 50%), was darauf schließen läßt, daß die Regierung ihr Engage-

ment für dieses Programm kontinuierlich fortgeführt hat.

Tabelle 7: Anmeldungen von Spätaussiedlern für Deutschkurse, 1991-1997

Jahr Neu eingereiste Spätaussiedler

Anmeldungen Anteil in Prozent

1991 221.995 118.733 53,5 % 1992 230.565 109.359 47,4 % 1993 218.888 121.900 55,7 % 1994 222.591 120.139 54,0 % 1995 217.898 107.478 49,3 % 1996 177.751 89.774 50,5 % 1997 134.419 77.515 57,7 % 1991-1997 1.424.107 744.898 52,3 % Quelle: Social Consult, 1998

Die Kurse des BMA erfordern eine regelmäßige Teilnahme an 35 Wochenstunden, verteilt auf

fünf Tage. Das Niveau dieser Kurse wird nicht nur durch die Beschäftigung qualifizierter

Deutsch-als-Fremdsprache-Lehrer gewährleistet, sondern durch die Überprüfung der Vorkennt-

nisse und die Kontrolle des Lernerfolgs anhand von regelmäßigen Zwischentests und Abschluß-

prüfungen. Die Teilnehmer können den Kurs frühzeitig verlassen, insbesondere um ein Stellen-

angebot anzunehmen, sofern sie ausreichende Deutschkenntnisse nachweisen konnten. Um einen

qualitativen Mindeststandard garantieren zu können, arbeiten die Sprachkursträger bei der Aus-

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IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 47

wahl des Lehrplans und der Unterrichtsmittel eng mit den Kultusministerien der Bundesländer

zusammen. Die staatlichen Mittel für die BMA-Kurse pendelten sich in den letzten Jahren bei

etwa 240-250 Mio. DM ein; aufgrund der abnehmenden Aussiedlerzahlen bedeutet dies einen

leichten Anstieg der Pro-Kopf-Ausgaben.

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) bietet

Sprachkurse an, um vor allem die jüngeren Spätaussiedler in die deutsche Gesellschaft zu inte-

grieren. Die Mittel dafür werden vom sogenannten „Garantiefonds“ bereitgestellt, der aus zwei

Komponenten besteht: dem Schul- und Berufsbildungsbereich (SB) sowie dem Hochschulbe-

reich (H).

Die Sprachkurse über den Garantiefonds Schul- und Berufsbildungsbereich (GF-SB)

richten sich speziell an junge Spätaussiedler wie auch an ausländische Jugendliche (bis 27 Jahre)

mit oder ohne Schulabschluß, deren Sprachkenntnisse als unzureichend für eine Weiterbildung

eingestuft werden. In den Kursen sollen den Jugendlichen ausreichende Sprachkenntnisse für

eine weiterführende schulische oder berufliche Ausbildung bzw. für das Erreichen eines deut-

schen Schulabschlusses vermittelt werden. Es werden verschiedene, teils berufsorientierte

Sprachkurse in Kombination mit Schulunterricht oder einer Internatsunterbringung angeboten.

Abhängig von den Berufswünschen der einzelnen Teilnehmer variiert die Kurslänge zwischen 10

und 12 Monaten (40 Wochenstunden). Der Fortschritt der Schüler wird durch Zwischen- und

Abschlußprüfungen kontrolliert. Die Zuschüsse für die Kursgebühr liegen in der Regel bei 630

bis 820 DM monatlich. In Härtefällen kann darüber hinaus Nachhilfe oder Internatsunterbrin-

gung finanziell gefördert werden, sofern dies für die soziale Integration des Jugendlichen als

notwendig erachtet wird. Die Höchstförderdauer beträgt für jeden Teilnehmer 30 Monate, wobei

nach 60 Monaten Aufenthalt in Deutschland der Förderungsanspruch erlischt. Durch den GF-SB

wurden 1997 insgesamt 71.886 Jugendliche gefördert, davon waren 96 Prozent Aussiedler. In

diesem Bereich der Sprachförderung beliefen sich die Staatsausgaben im Jahr 2000 auf etwa 45

Mio. DM.

Die Sprachkurse, die durch den Garantiefonds Hochschulbereich (GF-H) finanziert wer-

den, sollen jungen Spätaussiedlern (bis 30 Jahre) die notwendigen Qualifikationen für ein Hoch-

schulstudium vermitteln. Die Kursdauer beträgt in der Regel sechs Monate (32 Wochenstunden).

Vor Kursantritt werden die Deutsch-Vorkenntnisse der Teilnehmer überprüft. Der Lernerfolg

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wird regelmäßig durch Zwischentests, Studienarbeiten und eine Abschlußprüfung kontrolliert,

wobei letztere nur einmal wiederholt werden darf. Um aktive Sprachbeherrschung zu vermitteln,

orientieren sich die Kursinhalte am soziokulturellen Umfeld der Teilnehmer. Aufgrund des „In-

tegrationscharakters“ dieses Programms erlischt der Förderungsanspruch nach 60 Monaten Auf-

enthalt in Deutschland bzw. 30 Monate nach Kursantritt. Zusätzlich zu den Kursgebühren und

Arbeitsmaterialien kommt der GF-H für die notwendigen Fahrtkosten auf. Falls der Teilnehmer

für die Dauer des Programms nicht bei seinen Eltern wohnen kann, werden unter Umständen

auch die Unterbringungs- und Lebenshaltungskosten übernommen. Im Jahr 2000 konnten mit 23

Mio. DM aus dem GF-H Sprachkurse für etwa 4.000 Teilnehmer finanziert werden, davon waren

90 Prozent Aussiedler.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) stellt die Mittel für das so-

genannte „Akademikerprogramm“ (AKP) bereit. Dieses Programm wurde 1985 eingerichtet, um

Akademikern unter den Spätaussiedlern die Wiederaufnahme ihres Berufs zu ermöglichen.

Durch das Programm sollen Wissenslücken der Teilnehmer aufgrund von systemspezifischen

Bildungs- und Qualifikationsunterschieden geschlossen werden. Für das AKP werden Spätaus-

siedler und Kontingentflüchtlinge im Alter zwischen 30 und 50 Jahren zugelassen, deren im

Herkunftsland erworbene Qualifikationen (Hochschulabschluß oder vergleichbare Ausbildung)

in Deutschland nicht ohne weiteres anerkannt werden. Die AKP-Teilnehmer können Deutsch,

Fachdeutsch oder Englisch lernen, an einer deutschen Universität studieren und an beruflichen

Fortbildungsmaßnahmen teilnehmen. Die Kurse erstrecken sich über drei Monate (35 Wochen-

stunden). Finanzielle Unterstützung für dieses Programm steht nicht automatisch zur Verfügung,

sondern muß vom Aussiedler innerhalb eines Jahres nach Ankunft in Deutschland beantragt

werden. Der Staat trägt die Kosten für die sprachliche (und berufsorientierte) Ausbildung, die

Lebenshaltungskosten und gegebenenfalls auch die Heilfürsorge für die Dauer des Programms.

In den letzten Jahren betrugen die Staatsausgaben für das AKP durchschnittlich etwa 10 Mio.

DM, von denen allerdings weniger als 10 Prozent auf die Sprachkurse selbst entfielen.

Effektivität der Sprachförderung für Aussiedler

Im Auftrag des Bundesministeriums für Frauen, Senioren, Familie und Jugend (BMFSFJ) hat die

Social Consult GmbH 1998 eine umfangreichen Studie zur Effektivität der Sprachkurse für

Spätaussiedler erstellt. Darin untersuchte das Bonner Beratungsunternehmen, wie die unter-

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schiedlichen Programme von der Theorie in die Praxis umgesetzt werden, wie sie ineinandergrei-

fen und welche Aspekte des Programms sich verbessern ließen. Im folgenden werden die Ergeb-

nisse der Untersuchung zusammengefaßt dargestellt.

Die Befragung erfaßte 378 Träger von Sprachprogrammen mit einer Gesamtteilnehmer-

zahl von 14.032 Personen, davon 82,3% Aussiedler (einschließlich Familienangehörige), 13,4%

Kontingentflüchtlinge und 3,9% asylberechtigte Personen. Fast ein Viertel der Teilnehmer

(23,4%) war höchstens 28 Jahre alt. Wie aus Tabelle 8 hervorgeht, begann die überwiegende

Mehrheit der Teilnehmer die Sprachausbildung innerhalb des ersten Jahres nach der Einreise,

83,7% sogar innerhalb der ersten sechs Monate. Dieser durchweg frühe Zeitpunkt des Kursan-

tritts trägt zur Integration bei und belegt die starke Motivation der Teilnehmer, möglichst schnell

die deutsche Sprache zu erlernen.

Tabelle 8: Zeitspanne zwischen Einreise nach Deutschland und Eintritt in einen Sprachkurs des BMA

Teilnehmer

Absolut in %

bis 1 Monat 2 927 20,9

1 - 6 Monate 8 819 62,8

6 - 12 Monate 1 397 10,0

1 - 2 Jahre 229 1,6

mehr als 2 Jahre 130 0,9

keine Angabe 530 3,8

Quelle: Social Consult Trägerbefragung, 1998

Etwa 85 Prozent der Sprachkursträger stufen die Vorkenntnisse der Teilnehmer vor Kursbeginn

ein. Von diesen Trägern verfügen rund 80 Prozent über spezielle Testinstrumente. Diese Vielzahl

verschiedener Einstufungstests schließt einen einheitlichen Bewertungsmaßstab aus und macht

somit Vergleiche zwischen den Ergebnissen der verschiedenen Kurse unmöglich. Die Träger be-

nötigen also standardisierte Tests, um die Kursergebnisse auswerten zu können. Der Studie zu-

folge priorisierten die Kursträger die Ziele der BMA-Sprachkurse wie folgt:

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1. Vermittlung von Sprechfertigkeit 35,9% 2. Vermittlung grundlegender Deutschkenntnisse in Wort und Schrift 31,3% 3. Trainieren von Selbstlernfähigkeiten 12,2% 4. Vermittlung von Wissen über das Schul- und Berufssystem in Deutschland 11,1% 5. Vermittlung berufsbezogener sprachlicher Fertigkeiten 9,5% Quelle: Social Consult Trägerbefragung, 1998

Fast 93 Prozent der Kursträger stellen den Lernerfolg anhand einer Abschlußprüfung fest.

Die Durchfallquote fällt dabei mit rund 15 Prozent relativ gering aus. Es existieren jedoch keine

einheitlichen Abschlußprüfungen, so daß direkte Vergleiche ausgeschlossen sind. Darüber hin-

aus liegen keine Informationen über den Schwierigkeitsgrad dieser Prüfungen vor.

Etwa 5,5 Prozent der Teilnehmer (767 Personen) hatten bereits in ihrem Herkunftsland

einen Deutschkurs belegt. 57 Prozent von ihnen schnitten in den Sprachkursen des BMA besser

ab als die übrigen Teilnehmer. Das deutet zwar darauf hin, daß sich der Besuch eines Sprachkur-

ses vor der Einreise nach Deutschland lohnt, doch der geringe Umfang der Stichprobe läßt keine

endgültige Schlußfolgerung zu.

Nach Ansicht der befragten Kursträger beginnen die meisten Teilnehmer den Sprachkurs

mit einem hohen Maß an Motivation. Daher überrascht es nicht, daß die Mehrheit der Träger

(65,8%) der Meinung ist, die Sprachkurse leisteten einen (sehr) hohen Beitrag zur wirtschaftli-

chen und sozialen Integration der Spätaussiedler. Bei den Verbesserungsvorschlägen wird häufig

die Kursdauer genannt: Die meisten Kursträger (77,3%) waren der Meinung, daß eine Ausdeh-

nung der Kurse über die üblichen sechs Monate hinaus zur Qualitätssteigerung beitragen wür-

de.53

Tabelle 9 zeigt Ergebnisse einer Studie zur Sprachförderung für Aussiedler, die von So-

cial Consult für das BMFSFJ erstellt wurde. Die Befragung erfaßte 114 Sprachkursträger mit

insgesamt 5.166 Teilnehmern, darunter 89,3 Prozent Spätaussiedler (einschließlich Familienan-

gehörige), 5,3 Prozent Kontingentflüchtlinge und 1.7 Prozent asylberechtigte Personen. Der An-

teil der Teilnehmer, die nach weniger als sechs Monaten Aufenthalt in Deutschland einen

53 Es gilt jedoch zu bedenken, daß die Träger schon aus eigenen wirtschaftlichen Erwägungen an einer Verlängerung der Kursdauer interessiert sind, da in dem Falle auch die Mittel aufgestockt werden müßten.

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Sprachkurs aufnahmen, lag bei lediglich 44,2 Prozent, während immerhin rund 75 Prozent inner-

halb eines Jahres in einen Kurs eintraten. Als problematisch sind die restlichen fast 25 Prozent zu

werten, die erst nach einem Jahr oder später einen Kurs besuchten, wodurch sich der Integrati-

onsprozeß gerade der jungen Spätaussiedler verzögert.

Tabelle 9: Zeitspanne zwischen Einreise nach Deutschland und Eintritt in einen GF-SB-Sprachkurs

Teilnehmer

Absolut in %

bis 1 Monat 282 5,5

1 - 6 Monate 1 998 38,7

6 - 12 Monate 1 629 31,5

1 - 2 Jahre 1 034 20,0

mehr als 2 Jahre 156 3,0

keine Angabe 67 1,3

Quelle: Social Consult Trägerbefragung, 1998

Laut dieser Befragung sehen die meisten Sprachkursträger das Hauptziel der GF-SB-

Sprachkurse in der Vermittlung von Grundkenntnissen in Sprache und Schrift, gefolgt von der

Sprechfertigkeit und den Selbstlernfähigkeiten. Die Ergebnisse der Abschlußprüfungen belegen

geringe Durchfallquoten von rund 18 Prozent in den Intensivsprachkursen bzw. 12 Prozent in

den berufsorientierten Sprachkursen. Die Kursträger gaben ferner an, daß rund 40 Prozent der

Teilnehmer mit einem hohen Maß an Motivation beginnen, da sie äußerst bestrebt sind, ihre Ar-

beitsmarktchancen zu erhöhen. Allerdings hat das Niveau der von den Spätaussiedlern mitge-

brachten Deutschkenntnisse, wie bereits erwähnt, in den letzten Jahren insgesamt abgenommen.

Nicht zuletzt deshalb wird der Beitrag der Sprachkurse zur beruflichen und sozialen Inte-

gration der Aussiedler von den meisten Trägern (rund 70%) als sehr hoch oder hoch einge-

schätzt. Zu den genannten Verbesserungsvorschlägen zählten die Intensivierung und Individuali-

sierung der Sprachbeschulung und eine Verringerung der Mindestteilnehmerzahl. Des weiteren

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DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? 52

forderten einige Träger eine verstärkte regionale Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen

im Bereich der Aussiedlerintegration tätigen Institutionen, um die einzelnen Aktivitäten besser

aufeinander abstimmen zu können.

Die dritte Befragung richtete sich an alle zwölf Träger von GF-H-Sprachkursen (Garan-

tiefonds Hochschulbereich). Sie erfaßte Kurse mit insgesamt 1.547 Teilnehmern, davon 80,9

Prozent Spätaussiedler, 15,8 Prozent Kontingentflüchtlinge und 3,3 Prozent asylberechtigte Per-

sonen. Etwa 72 Prozent der Teilnehmer traten innerhalb eines Jahres nach ihrer Ankunft in

Deutschland einen Kurs an.

Auf der Grundlage eines schriftlichen Einstufungstests werden die Teilnehmer je nach

Vorkenntnissen auf drei verschiedene Kursstufen verteilt. Fast 30 Prozent der Teilnehmer konnte

in Stufe 2 oder höher eingestuft werden, was auf ein allgemein recht hohes Niveau der Vor-

kenntnisse schließen läßt.

Bei der Priorisierung der Lernziele vergaben die Träger die höchste Punktzahl (50%) an

die Vermittlung grundlegender Deutschkenntnisse in Wort und Schrift – gefolgt von Wissen über

deutsche Kultur, Wirtschaft und Politik sowie Vermittlung von Selbstlernfähigkeiten (jeweils

18%). Kenntnisse über das deutsche Hochschul- und Berufssystem rangierten auf Platz vier.

Zur Lernerfolgskontrolle geben sämtliche Träger Hausaufgaben auf und führen Zwi-

schen- und Abschlußprüfungen durch. Die meisten Teilnehmer (77 Prozent) bestehen die Ab-

schlußprüfung beim ersten Versuch, während 15 Prozent mindestens eine Prüfung wiederholen

müssen und fast 29 Prozent nach einer nicht bestandenen Prüfung den Kurs abbrechen. Mit stei-

gendem Schwierigkeitsgrad nimmt auch die Zahl der „Abbrecher“ kontinuierlich zu.

Die meisten Träger (73%) schätzen die Motivation der Spätaussiedler hoch ein. Ebenso

beurteilen die meisten Träger (mehr als 80%) den Beitrag der Sprachkurse zur beruflichen und

sozialen Integration der Aussiedler als (sehr) hoch. Zu den häufig genannten Verbesserungs-

vorschlägen zählen längere Sprachkurse und geringere Mindestklassenstärken.

Die Politik verfolgt inzwischen mit Nachdruck das Ziel, Aussiedlern bereits vor ihrer

Einreise nach Deutschland bessere Deutschkenntnisse zu vermitteln. Wie bereits erwähnt, ist un-

ter anderem beabsichtigt, in Zukunft – im Rahmen des Zuwanderungsgesetzes – auch von Fami-

lienangehörigen den Nachweis von Deutschkenntnissen zu verlangen. Darüber hinaus soll allen

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IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 53

Aussiedlern nach Einreise ins Bundesgebiet ein Anspruch auf kostenfreie Teilnahme an den für

alle Immigranten vorgesehenen „Integrationskursen“ gewährt und damit die bisherige Sprach-

förderung für Aussiedler im Inland abgelöst werden. Ungeachtet der bezweifelbaren Praktikabili-

tät einer solchen Zusammenfassung von Sprachkursen für eine sehr heterogen zusammengesetzte

Gruppe von Immigranten, dokumentiert sich in diesen Bemühungen ein wachsendes Bewußtsein

über den integrationspolitischen Stellenwert ausreichender Sprachkenntnisse.

Sprachförderung für Ausländer

Sprachkurse für in Deutschland lebende ausländische Arbeitnehmer und deren Familienangehö-

rige werden in Deutschland vom Sprachverband Deutsch für ausländische Arbeitnehmer e. V.

geregelt. Dieser Verband wurde 1974 auf Initiative des Bundesministeriums für Arbeit und So-

zialordnung (BMA) gegründet und wird von diesem vollständig finanziert. Die Sprachförderung

für Ausländer schlug 1997 mit 24,95 Mio. DM zu Buche. Seither sind die zur Verfügung gestell-

ten Mittel auf 32 Mio. DM (1999) bzw. 34 Mio. DM (2000) aufgestockt worden. Während der

vergangenen Jahre nahmen durchschnittlich 68.000 Personen pro Jahr, davon zwei Drittel Frau-

en, an Sprachkursen teil. Die Kurse sollen zur sozialen und beruflichen Integration der Ausländer

beitragen, indem durch handlungsorientiertes Sprachtraining Alltagssituationen simuliert wer-

den. Der Sprachverband entwickelt inhaltliche und qualitative Richtlinien, die für die Sprachkur-

sträger verpflichtend sind. Im Gegensatz zu den Sprachkursen für Aussiedler, die in der Regel

komplett finanziert werden, können die Träger von Ausländer-Sprachkursen von den Teilneh-

mern Beiträge in Höhe von bis zu 2 DM pro Unterrichtsstunde erheben.

Förderungsfähig im Rahmen der Sprachverbandskurse sind nur ausländische Arbeitneh-

mer (und deren Familien) aus der Europäischen Union (EU) und aus den ehemaligen Anwerbe-

staaten.54 Spätaussiedler, Flüchtlinge und asylberechtigte Personen dürfen ebensowenig wie aus-

ländische Jugendliche unter 15 Jahren an diesen Kursen teilnehmen.

Es werden vier Kurstypen angeboten, die sich im wesentlichen in der Zahl der Unter-

richtsstunden unterscheiden:

54 Türkei, Jugoslawien, Marokko, Tunesien, Südkorea, Philippinen und die Anwerbeländer der ehemaligen DDR: Angola, Mozambique und Vietnam.

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DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? 54

a. Allgemeine Sprachkurse richten sich an Teilnehmer, die höchstens an drei Tagen (bzw.

9 Stunden) pro Woche zum Unterricht erscheinen können. Die Kurse bestehen aus vier aufeinan-

der aufbauenden Einheiten (à 60-80 Stunden), so daß sich ein Gesamtumfang von bis zu 320 Un-

terrichtsstunden ergibt.

b. Alphabetisierungskurse richten sich an Teilnehmer, deren Lese- und/oder Schreibfer-

tigkeiten nicht für einen normalen Deutschkurs ausreichen. In diesen Kursen sollen die Teilneh-

mer zunächst Lesen und Schreiben lernen (gegebenenfalls auch in der Muttersprache), bevor ih-

nen grundlegende deutsche Sprachkenntnisse vermittelt werden. Die Höchstförderdauer beträgt

240 Unterrichtsstunden, die in drei Blöcke von je 60-80 Stunden gegliedert sind. Die Wochen-

stundenzahl darf dabei 20 nicht überschreiten.

c. Intensivsprachkurse umfassen 10-20 Stunden pro Woche und verfolgen definierte Zie-

le, wie etwa einen Zertifikatsabschluß, die Vorbereitung für eine Berufsausbildung, eine Be-

schäftigung oder eine berufliche Bildungsmaßnahme. Die Kurse bestehen aus drei Blöcken von

je 60-240 Stunden, so daß sich ein maximaler Gesamtumfang von 640 Stunden ergibt.

Alle Kurstypen können auch als reine Frauenkurse mit stärker handlungsorientiertem Un-

terricht und frauenspezifischen Themen durchgeführt werden. Kinderbetreuung wird finanziell

gefördert, sofern im Haushalt der teilnehmenden Person mindestens fünf Kinder vorhanden sind.

Die Teilnehmer können nicht zwei Kurse gleichzeitig belegen und dürfen einen nicht bestande-

nen Kurs nur einmal wiederholen.

Im Anschluß an einen Allgemein- oder Intensivsprachkurs können die Teilnehmer einen

sogenannten Grundbaustein-Kurs belegen, der zur gezielten Vorbereitung auf die international

anerkannte Grundbaustein-Prüfung dient. Die Kursdauer beträgt 60 Stunden (maximal 20 Wo-

chenstunden). Angeboten werden diese Kurse insbesondere von Volkshochschulen, die mehr als

ein Drittel aller Sprachkurse stellen und derzeit bundesweit rund 2.400 Lehrkräfte beschäftigen.

Die Social Consult GmbH, die Infratest Burke Sozialforschung GmbH und der Fachbe-

reich Deutsch als Fremdsprache der Universität Essen haben 1999 im Auftrag des BMA eine

umfangreiche Studie zum Thema Sprachförderung für Ausländer erstellt, in deren Rahmen unter

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IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 55

anderem eine Befragung ehemaliger und derzeitiger Teilnehmer der verschiedenen Programme

durchgeführt wurde. Im folgenden werden die Ergebnisse zusammenfassend dargestellt.55

Die Befragung erfaßte 344 Sprachkursträger. Die meisten von ihnen bieten zusätzlich

Kurse an, die nicht vom Sprachverband gefördert werden. Insgesamt ist daher ihre finanzielle

Abhängigkeit vom Sprachverband relativ gering. Die meisten Träger finanzieren sich durch Ei-

genmittel, Kursgebühren oder andere Subventionen. Ein Großteil der Kurse (etwa 40%) beginnt

auf sehr niedrigem Niveau, was darauf schließen läßt, daß die von den meisten Teilnehmern mit-

gebrachten Deutschkenntnisse gering sind. Fast alle Träger (96,4%) stellen am Ende der Kurse

Teilnahmebescheinigungen aus, doch nur 6,8% vergeben einfache Zeugnisse. Darüber hinaus

verwenden nur 21 Prozent der Träger standardisierte Tests zur Lernerfolgskontrolle, während die

meisten sich auf eine informellere Bewertung beschränken, wie z. B. die Einschätzung des Kurs-

leiters oder schlicht die erfolgreiche Bearbeitung eines bestimmten Kapitels im Lehrbuch.

Nach Einschätzung der meisten Träger leisten ihre Kurse einen wichtigen Beitrag zur so-

zialen (72,7%) und beruflichen (57,4%) Integration der Ausländer. Zu den genannten Verbesse-

rungsvorschlägen zählt vor allem die Erweiterung der Zielgruppe, da viele potentielle Sprach-

schüler nicht vom Sprachverband gefördert werden. So hat die Zahl der förderungsfähigen Teil-

nehmer abgenommen, obwohl die Gesamtnachfrage gestiegen ist. Neben einer Zielgruppener-

weiterung fordern die meisten Träger daher mehr Unabhängigkeit bei der Verwendung der Mit-

tel, um das Kursangebot breiter fächern und flexibler gestalten zu können.

Eine Teilnehmerbefragung zeigte, daß ihre Hauptmotivation für die Teilnahme am

Deutschkurs darin bestand, besser im Alltag zurechtzukommen. Das zweithäufigste Motiv war

die Erhöhung der Arbeitsmarktchancen, gefolgt vom Wunsch nach besseren Kontakten zu Deut-

schen. Tabelle 10 enthält eine Auflistung der von den Teilnehmern genannten Gründe für den

Besuch eines Sprachkurses.

55 Für eine detaillierte Analyse vgl. Dorfmann et al. (1999).

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DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? 56

Tabelle 10: Hauptgründe für die Teilnahme am Deutschkurs für Ausländer

Wichtigster Grund

Teilnehmer (Befragungs-zeitpunkt)

Ehemalige Teilnehmer

Um im Alltag besser zurechtzukommen 45 % 51 %

Um einen Arbeitsplatz zu finden 22 % 11 %

Um die Kontakte mit Deutschen zu verbessern 18 % 12 %

Um am Arbeitsplatz besser zurechtzukommen 11 % 5 %

Um meinen Arbeitsplatz zu behalten 1 % 0 %

Sonstiges 4 % 21 %

Quelle: Infratest Burke Sozialforschung (in: Social Consult, 1998)

Darüber hinaus wurden die ehemaligen Kursteilnehmer befragt, ob die Deutschkurse zur

Zielerreichung beigetragen hätten. Etwa 90 Prozent sagten aus, der Kurs habe entweder viel oder

zumindest etwas geholfen. Von den Teilnehmern zum Befragungszeitpunkt glauben 47%, daß

sich ihre Deutschkenntnisse während des Kurses sehr verbessert haben und 49%, daß sie etwas

besser geworden sind. Ähnliches gilt für die ehemaligen Teilnehmer (43%: sehr verbessert, 48%:

etwas verbessert).

Nur 20 Prozent der Teilnehmer gaben an, eine Einstufungsprüfung absolviert zu haben.

Die meisten waren jedoch der Meinung, daß der Kursträger durch solche Tests eine bessere Ein-

teilung der Teilnehmer in Kurse mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden vornehmen könne.

Ferner wurden höchst selten Abschlußprüfungen durchgeführt, obwohl die überwiegende Mehr-

heit der Teilnehmer (etwa 75%) glaubte, eine Abschlußprüfung solle vorgenommen werden, zu-

mindest auf freiwilliger Basis.

Ähnlich wie in Kanada ist auch in Deutschland für einige Berufe eine gewisse Sprach-

kompetenz zur Zulassung von ausländischen Bewerbern erforderlich. So müssen etwa Ärzte, um

in Deutschland ihre Approbation zu erhalten, unter anderem „ausreichende” Deutschkenntnisse

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IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 57

nachweisen können, sofern sie nicht aus einem EU-Mitgliedsstaat stammen.56 Um das geforderte

Sprachzertifikat zu erhalten, müssen sie die Mittelstufenprüfung bestehen. Zur Prüfungsvorberei-

tung müssen in der Regel die begleitenden Sprachkurse, die vom Goethe-Institut und an Volks-

hochschulen angeboten werden, für eine Dauer von sechs Monaten belegt werden. Die anfallen-

den Gebühren müssen vom Bewerber selbst entrichtet werden. Da hingegen EU-Bürger ohne

jegliche Deutschkenntnisse zugelassen werden, ist es beispielsweise möglich, daß ein hochquali-

fizierter iranischer Arzt nicht unmittelbar in Deutschland praktizieren darf, während ein nach-

weislich geringer qualifizierter Arzt aus Italien sofort zugelassen wird.

Deutsch ist an allen deutschen Universitäten und Fachhochschulen die gängige Unter-

richtssprache. Daher müssen ausländische Studierende nicht nur die sogenannte Feststellungs-

prüfung ablegen, um die formalen Zulassungsvoraussetzungen zu erfüllen, sondern auch die

Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang ausländischer Studienbewerber (DSH) beste-

hen.57 Wer bereits zu einer anderen anerkannten Hochschule mit Deutsch als Unterrichtssprache

zugelassen ist oder ein entsprechendes Sprachdiplom58 (meist vom Goethe-Institut ausgestellt)

besitzt, ist von der DSH befreit.

Da die DSH Bestandteil der Feststellungsprüfung ist, werden im Rahmen von Studienkol-

legs zur Prüfungsvorbereitung auch Sprachkurse angeboten. Um zum Studienkolleg zugelassen

zu werden, muß der Bewerber ausreichende Deutschkenntnisse (Mittelstufe II) nachweisen.59

Die Studienkollegs dauern in der Regel zwei Semester (ein Jahr) und enden mit der Feststel-

lungsprüfung. Die Kurswochen beinhalten 10-12 Stunden Sprachunterricht und etwa 20 Stunden

fachbezogenen Unterricht. Die DSH kann jederzeit abgelegt werden und besteht aus einem

schriftlichen und einem mündlichen Teil. Bewerber, die den Prüfungsteil Deutsch nicht bestan-

den haben, werden automatisch abgelehnt – eine Wiederbewerbung ist nur einmal möglich.

56 Vgl. auch Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (1994), 782. 57 Vgl. Deutscher Akademischer Austauschdienst/Fachverband Deutsch als Fremdsprache (1998). 58 Deutsches Sprachdiplom, Stufe II der Kultusministerkonferenz, Kleines deutsches Sprachdiplom, Großes deutsches Sprachdiplom, Zentrale Oberstufenprüfung. 59 Ferner bieten die meisten Universitäten Sprachkurse zur Vorbereitung auf die Studienkollegs und die DSH an. Im Gegensatz zu den Kursen des Goethe-Instituts sind diese Angebote kostenlos. Die Teilnehmerzahl ist begrenzt, und die erforderlichen Vorkenntnisse variieren. Die Universitäten raten daher den Bewerbern dringend, sich bereits im Heimatland durch Kurse des Goethe-Instituts eine gewisse Sprachkompetenz anzueignen.

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DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? 58

Zwischenfazit

Die bislang getrennt behandelten Sprachförderungsprogramme für Aussiedler und Ausländer sol-

len mittelfristig in dem bereits mehrfach erwähnten „Gesamtsprachkonzept“ aufgehen. Die im

Zuwanderungsgesetz getroffenen Regelungen machen deutlich, daß dabei die unterschiedliche

Behandlung von Aussiedlern (Sprachtest vor der Einreise plus Sprachkursangebot nach der Ein-

reise) und Ausländern (Sprachkursangebot nach der Einreise) nicht grundsätzlich aufgegeben

werden wird, wohl aber ein Anreiz zum Spracherwerb auch von Ausländern bereits vor Antrag-

stellung bzw. Einreise geschaffen werden soll, indem eine Bewertung von Sprachkenntnissen im

Rahmen des Punktesystems erfolgt, die erfolgreiche Teilnahme an Integrationskursen mit einer

verkürzten Einbürgerungsfrist honoriert wird und der ansonsten freiwillige Besuch von Sprach-

und Integrationskursen für Neuzuwanderer obligatorisch wird, wenn keine Verständigung „auf

einfache Art“ in deutscher Sprache möglich ist. Das Augenmerk sollte in diesem Zusammenhang

allerdings verstärkt auch den schon lange in Deutschland lebenden Ausländern gelten, deren

Sprachkenntnisse nicht selten defizitär sind.60

60 Die mitunter völlig unzureichenden Sprachkenntnisse insbesondere von Angehörigen der ersten Zuwanderer-generation in Deutschland werden in der aktuellen Diskussion zumeist übersehen. Das Zuwanderungsgesetz enthält für diese Gruppe keine entsprechenden Angebote. Vgl. dazu Frick/Wagner (2001).

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I. Bewertung des Spracherwerbs in Kanada und Deutschland

Nach diesem Einblick in die kanadischen und deutschen Sprachprogramme für Zuwanderer stellt

sich die Frage, welcher Ansatz der effektivere ist. In den beiden betrachteten Ländern existieren

zwei sehr unterschiedliche Spracherwerbsmodelle, die sich jedoch – berücksichtigt man die

jüngsten gesetzgeberischen Aktivitäten in Deutschland und Kanada – auf dem Wege einer ge-

wissen Angleichung befinden. Von der Einreise bis zur Einbürgerung verlangt Kanada von Zu-

wanderern grundsätzlich keine bzw. indirekt nur recht geringe Kenntnisse der Amtssprachen,

sieht man vor der inzwischen strengeren Bewertung des Sprachniveaus im Punkteverfahren ab.

In Kanada ist es vor allem dem Markt überlassen, den Spracherwerb von Immigranten optimal

zu regeln. Deutschland hingegen verwendet Sprachkenntnisse seit 1996 explizit als Anerken-

nungs- und Einbürgerungskriterium für Spätaussiedler sowie seit 2000 als Einbürgerungsvoraus-

setzung für Ausländer. Das neue Einwanderungsgesetz schafft zudem innerhalb eines Punktesy-

stems die rechtliche Grundlage zur Bewertung von Sprachkenntnissen vor der Einreise und sieht

den verpflichtenden Sprachkursbesuch nach der Einreise in bestimmten Fällen vor. Darüber hin-

aus bieten zahlreiche Regierungsbehörden im Rahmen verschiedenster Programme subventio-

nierte Sprachkurse an, um die Integration der Zuwanderer in die deutsche Gesellschaft zu er-

leichtern. Wie läßt sich die Wirksamkeit der verschiedenen Ansätze messen?

DeVoretz und Werner (1999) bieten einen theoretischen Rahmen an, der es erlaubt, den

optimalen Spracherwerb in unterschiedlichen Handlungsumfeldern (wirtschaftlich, sozial, poli-

tisch) zu messen. Die Quintessenz daraus: Kein Maß an Spracherwerb von Immigranten ist in

jedem Umfeld optimal. Jeder Mensch wird – unabhängig von staatlichen Auflagen oder Subven-

tionen – je nach seinen persönlichen Eigenschaften eine individuelle Mischung von Sprach-

kenntnissen erwerben. Anhand der empirischen Daten aus Kanada und Deutschland lassen sich

die relativen Erträge des Sprachzuerwerbs auf den jeweiligen Arbeitsmärkten messen.

Tabelle 11 faßt die Ergebnisse ausgewählter Studien zusammen, die während der vergan-

genen beiden Jahrzehnte in Kanada durchgeführt wurden, um den Zusammenhang zwischen dem

Sprachzuerwerb von Immigranten und ihrer Leistung auf dem Arbeitsmarkt zu untersuchen. Die

Studien belegen einen durchweg positiven Effekt auf das Einkommen und die Beschäftigung-

schancen der Zuwanderer. Unabhängig von der erlernten Sprache (Französisch oder Englisch),

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DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? 60

dem Geschlecht und der ethnischen Abstammung sind die Renditen des Spracherwerbs für alle

Immigranten enorm hoch. So stiegen die Einkünfte für männliche und weibliche Immigranten

um 12,2 bzw. 17,1 Prozent in jedem Jahr, nachdem der Immigrant die Landessprache erlernt hat-

te.

Tabelle 11: Renditen der Sprachbeherrschung in Kanada

Autoren Erhebungs-

zeitraum Einkommens-effekt (in %)

Beschäftigungs-effekt (in %)

Chiswick und zweispr. nur englisch nur französisch nur Muttersprache Miller (1988) 1981 QUE ROC QUE ROC N/A

+ 18 + 7.8 +

12.1 + 4.5 + 17.9 Chiswick und Miller (1992)

1981 (nur Männer)

+ 12.2 N/A

Boyd (1990)

1986 (nur Frauen) + 17.1 + 4.6

DeSilva (1997) 80er Jahre + 25 + 26 - 3

1991 Zen-sus

Pendakur und Pendakur (1997)

Montreal Toronto Vancouver

+ 4 + 3 - 1

N/A - 1 + 6 - 2

- 17 - 16 - 9

Diese Renditen sind Durchschnittswerte für sämtliche Qualifikationsstufen und fallen für

hochqualifizierte Zuwanderer zweifellos noch höher aus.61 Pendakur und Pendakur (1997) stel-

len ferner fest, daß in Kanada „ausschließliche Kenntnisse der Muttersprache mit schlechteren

Arbeitsmarktresultaten korrelieren”, da „die große Mehrheit der Menschen, die Nichtamtsspra-

chen sprechen, der ethnischen Sprachgemeinschaft angehören.“ Dies wird durch die Beobach-

tung unterstützt, daß die ausschließliche Beherrschung einer Nichtamtssprache in Toronto und

Montreal die Einkünfte der Immigranten um 16 bzw. 17 Prozent reduziert. Insgesamt läßt sich

also feststellen, daß der kanadische Arbeitsmarkt das Erlernen der Landessprache belohnt und

die Einsprachigkeit von Immigranten bestraft.

61 DeVoretz/Werner (1999),

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IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 61

Für Deutschland findet sich ein empirischer Nachweis des Zusammenhanges zwischen

Deutschkenntnissen und der Einkommensleistung bei Dustmann (1997) und Schmidt (1997) do-

kumentiert. Schmidt zeigt, daß die Einkünfte von Aussiedlern mit denen von gebürtigen West-

deutschen auf einer Höhe liegen, da beide Gruppen über eine vergleichbare Ausstattung mit Hu-

mankapital verfügen. Da Ausländer jedoch im Durchschnitt eine geringere Bildung aufweisen,

verdienen sie deutlich weniger als Aussiedler. Aus den Auswirkungen der unterschiedlichen

Sprachkenntnisse auf die Einkommensdifferentiale zwischen gebürtigen Westdeutschen und

Aussiedlern schließt Schmidt, daß „landesspezifisches Humankapital“ auf die Dauer keine Ren-

dite abwirft. Mit anderen Worten: Durch die Vertiefung der deutschen Sprachkenntnisse nach

der Einreise können Aussiedler ihre Einkünfte relativ zu denen der gebürtigen Westdeutschen

nicht erhöhen.

Noch interessanter ist jedoch Schmidts Beobachtung, daß die Einkommensdifferentiale

zwischen Ausländern und Aussiedlern verschwinden, wenn für die Variable Bildung kontrolliert

wird. Daraus folgt, daß das Erlernen der deutschen Sprache für Ausländer mit minimalen Erträ-

gen verbunden ist. Allerdings verhalten sich Bildung und Fremdsprachenerwerb komplementär,

und Schmidts Studie bestätigt indirekt, daß der gleichzeitige Erwerb von Bildung und Sprache

des Einreiselandes potentiell hohe Renditen für Ausländer mit sich bringt. Dustmann (1997) be-

stätigt diesen Aspekt ebenfalls, indem er zeigt, daß die elterliche Erziehung sich bei Ausländern

positiv auf das Erlernen der deutschen Sprache auswirkt. Insgesamt belegen beide Studien, daß

Sprache und Bildung sich als Bestandteile des Humankapitals gegenseitig ergänzen und so die

Löhne ausländischer Arbeitnehmer in Deutschland steigen lassen.

Soziale Sphäre

Im Hinblick auf die soziale Umgebung stellen DeVoretz und Werner (1999) weiter fest, daß

Kenntnisse der Landessprache deutliche Netzwerkeffekte herbeiführen und die Integration der

Immigranten fördern. Dies gilt insbesondere für jugendliche Immigranten, die sich in einer wich-

tigen Phase der Sozialisierung und der Auswahl eines potentiellen Heiratspartners befinden. Das

Erlernen der Sprache erhöht die Wahrscheinlichkeit der sozialen Integration durch Heirat und

senkt die Wahrscheinlichkeit anhaltender „Kettenmigration“ zur Erleichterung der Heirat. Im

kanadischen Zusammenhang wurde festgestellt, daß männliche Immigranten mit geringen

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Kenntnissen der Landessprache weit eher dazu neigen, eine Heiratspartnerin zu „importieren“ als

in der kanadischen Gesellschaft zu suchen.

Diese Konstellation stellt sich in Deutschland ganz ähnlich dar. Netzwerkeffekte und

Sprachdefizite sorgen dafür, daß zu geringe Anreize zum Erlernen der deutschen Sprache und

zum Aufbau sozialer Kontakte zum deutschen Umfeld bestehen. So ist es beispielsweise mög-

lich, in den türkischen Vierteln der Großstädte ausschließlich in türkischer Sprache zu kommuni-

zieren. Gleiches gilt mitunter für Zuwanderer anderer ethnischer Herkunft. Diese sprachliche

Isolation kann zu einer „Ghettoisierung“ verschiedener Kulturen führen, in deren Verlaufdie aus-

ländische Gemeinschaft weitgehendvon der deutschen Mehrheitsgesellschaft abgekapselt wird.

Soziale Integration ist dann nur schwer zu erreichen.

Darüber hinaus besteht ein negativer Zusammenhang zwischen der Länge des Aufenthalts

in Deutschland und dem Grad der Sprachbeherrschung. Je länger sich Immigranten in Deutsch-

land aufhalten, ohne einen Sprachkurs zu belegen, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, daß sie

ihre deutschen Sprachkenntnisse weiterentwickeln werden. Ohne formale Ausbildung haben sie

ihre geringen Deutschkenntnisse zumeist „auf der Straße“ gelernt. Diese Kenntnisse reichen häu-

fig nicht aus, um sie in einem breiteren sozialen Kontext anwenden zu können. Die Kinder der

Zuwanderer befinden sich in einer anderen Situation, da sie Deutsch in der Schule lernen und oft

wichtige bilinguale und bikulturelle Kompetenzen besitzen. Dennoch haben auch einige junge

Immigranten (besonders diejenigen, die als Kinder eingereist sind und nur kurze Zeit an deut-

schen Schulen verbracht haben) aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse mit Integrationspro-

blemen zu kämpfen. Häufig bleibt der Spracherwerb unvollständig, da in den Familien an dem

vagen Ziel festgehalten wird, eines Tages ins Heimatland zurückzukehren. In anderen Fällen ist

die sprachliche und soziale Ghettoisierung der ausländischstämmigen Jugend möglicherweise

auch eine Folge der halbherzigen deutschen Integrationspolitik gegenüber diesen jungen Men-

schen, die „zwischen zwei Welten“ leben.62

62 Eine allgemeine Beschreibung der Situation von ausländischen Jugendlichen und Erwachsenen in der deutschen Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt findet sich im Bericht zur Lage der Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland, herausgegeben von der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen (verfügbar unter www.bundesauslaenderbeauftragte.de/publikationen/index.stm).

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IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 63

Ökonomische Sphäre

Wie bereits zuvor erwähnt, verlangen sowohl der kanadische als auch der deutsche Arbeitsmarkt

ein gewisse Sprachkompetenz als Zulassungsvoraussetzung für bestimmte Berufsgruppen. In

Deutschland sind umfangreiche Sprachkenntnisse jedoch nur in hochqualifizierten Berufen er-

forderlich. Für geringqualifizierte Tätigkeiten werden nur geringe Deutschkenntnisse vorausge-

setzt. So reichen grundlegende Sprachkenntnisse in Deutschland für eine Stelle als Reinigungs-

kraftvöllig aus, nicht aber für die soziale Integration. Da ausländische Ärzte hingegen umfang-

reiche Deutschkenntnisse in Wort und Schrift benötigen, stehen ihrer erfolgreichen Integration

vergleichsweise geringe Schwierigkeiten entgegen.

In diesem Zusammenhang stellen sich daher folgende Fragen: Sollten für beide Perso-

nengruppen dieselben Sprachstandards bei der Zulassung als Immigranten gelten? Sollte ein be-

stimmtes Maß an Sprachbeherrschung verpflichtend sein, um soziale Integration sicherzustellen?

Oder sollte das jeweils notwendige Sprachniveau vom Markt bestimmt werden?

Politische Sphäre

In Kanada wie in Deutschland sind bestimmte Mindestkenntnisse der Landessprache Vorausset-

zung für die Einbürgerung und damit für den Erwerb der vollständigen staatsbürgerlichen Rech-

te. Einen Sonderfall stellen in Deutschland derzeit noch die Spätaussiedler dar, denen zwar im

Vorfeld ihrer Anerkennung und Einreise ein Sprachtest abverlangt wird, die jedoch im Anschluß

an ihre Einreise automatisch eingebürgert werden, obwohl bislang gerade die nicht vom Sprach-

test betroffenen (jüngeren) Familienangehörigen kaum deutsche Sprachkenntnisse mitbringen.

Insofern werden hier die staatsbürgerlichen Rechte, vor allem das aktive und passive Wahlrecht,

nicht an die ausreichende Beherrschung der deutschen Sprache geknüpft.

Für Ausländer, die nicht die Einbürgerung anstreben, waren Deutschkenntnisse bislang

nicht verpflichtend. Die voraussichtliche Realisierung des lange umstrittenen Zuwanderungsge-

setzes wird diesbezüglich zumindest für Neuzuwanderer eine fundamentale Änderung eintreten

lassen. Für den überwiegenden Teil der ausländischen Wohnbevölkerung wird sich jedoch nichts

daran ändern, daß unabhängig vom Niveau ihrer Sprachkenntnisse eine politische Teilhabe je-

denfalls dann nicht gegeben ist, wenn aus eigenem Entschluß auf die Einbürgerung verzichtet

wird oder sie rechtlich noch nicht möglich ist. Mit Ausnahme des aktiven wie passiven kommu-

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DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? 64

nalen Wahlrechts, das Bürger der Europäischen Union kraft Unionsbürgerschaft an ihrem

Wohnort innerhalb der EU ausüben können, ist die Einbürgerung Grundvoraussetzung für das

Wahlrecht und die Kandidatur für einen Parlamentssitz. Demgegenüber haben die verbreiteten

Ausländerbeiräte bestenfalls geringe politische Anhörungs- und Mitwirkungsrechte. Langjährig

in Deutschland lebende Nicht-EU-Bürger mit womöglich guten Sprachkenntnissen fühlten sich

in der Vergangenheit deshalb oftmals vom politischen Prozeß ausgeschlossen, während andere

ihre mangelnde Sprachkompetenz auch mit den fehlenden Partizipationsmöglichkeiten begründe-

ten.

Auch der bislang nicht offen artikulierte Status der Bundesrepublik als Einwanderungs-

land hat wesentlich dazu beigetragen, daß unter den Zuwanderern selbst das Bewußtsein über die

Dauerhaftigkeit des Aufenthalts in Deutschland noch nicht immer ausreichend entwickelt und

die Bereitschaft zum Erlernen der deutschen Sprache keineswegs selbstverständlich ist. Die rela-

tive Zurückhaltung von Zuwanderern bei der Einlösung eines Einbürgerungsanspruchs (der nach

deutschem Recht im Regelfall die Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit erfordert) ist auch

auf diesen Umstand zurückzuführen. Eine gewisse „politischen Apathie“ in Teilen der ausländi-

schen Wohnbevölkerung Deutschlands hat ihre Ursache nicht zuletzt in der subjektiv empfunde-

nen Inkonsequenz des gesellschaftlichen Integrationsangebots und fehlenden Lobbying-

Strukturen. Seit der Reduzierung der Mindestaufenthaltszeit für den Erwerb der deutschen

Staatsangehörigkeit von 15 auf 8 Jahre treten diese Klagen allerdings zusehends in den Hinter-

grund. Vielmehr sind seitdem nicht nur die Einbürgerungszahlen deutlich gestiegen, sondern

auch die politischen Parteien bemühen sich verstärkt um die Klientel der eingebürgerten Zuwan-

derer.

Auch in Kanada setzt die aktive Teilnahme an der Politik voraus, daß die kanadische

Staatsangehörigkeit erworben wird, also zumindest minimale Sprachkenntnisse vorhanden sind.

Die Kandidatur für einen Parlamentssitz erfordert darüber hinausgehende Kenntnisse der Amts-

sprache(n). Ethnisch homogene Wählerblöcke oder gar Parteien spielen in Kanada keine nen-

nenswerte Rolle; aussichtsreiche Kandidaturen sind nur in den großen Mainstream-Parteien mög-

lich. Diese wiederum haben im Wettbewerb um die entsprechenden Wählerklientel ein durchaus

erhebliches Interesse an der Aufstellung eingebürgerter Kandidaten. Im Ergebnis sind Zuwande-

rer verschiedenster ethnischer Herkunft in den kanadischen Parteien vergleichsweise stark reprä-

sentiert. So bestand etwa in der kanadischen Provinz British Columbia in den neunziger Jahren

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IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 65

die gesamte Parlamentsfraktion der Regierungspartei aus eingebürgerten Abgeordneten ur-

sprünglich ausländischer Herkunft.

Dieser selbstverständliche Umgang mit eingebürgerten politischen Kandidaten und Wäh-

lern fehlt Deutschland bislang. Das modifizierte Staatsangehörigkeitsrecht und die Perspektive,

im Rahmen Zuwanderungsgesetzes konsequentere Integrationsanreizen zu setzen, könnte die

deutsche freilich der kanadischen Situation schrittweise angleichen. Je nachdrücklicher der Spra-

cherwerb durch solche Anreize gefördert wird, um so unbegründeter erscheint jedenfalls die

Sorge, „übertriebene“ Sprachanforderungen könnten eine politische Ghettoisierung bewirken

und das Ziel der Integration gefährden.

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DEVORETZ / HINTE / WERNER - KEINE INTEGRATION OHNE SPRACHKENNTNISSE? 66

Resümee

Diese vergleichende Studie zum Thema Sprachförderung in Kanada und Deutschland stellt zwei

mögliche Sprachförderungsmodelle für Zuwanderer vor. Das bislang staatlich dominierte deut-

sche Modell beinhaltet formale Sprachprüfungskriterien bei der Einreise von Spätaussiedlern und

der Einbürgerung von Ausländern. Im Falle der tatsächlichen Realisierung des bereits verab-

schiedeten Zuwanderungsgesetzes im Jahr 2003 kommen eine Bewertung von Sprachkenntnis-

sen ausländischer Zuwanderungsbewerber im Rahmen eines Punktesystems, zusätzliche Lernan-

reize durch (geringfügig) verkürzte Einbürgerungsfristen, eine Pflichtteilnahme an Sprach- und

Integrationskursen für zuwandernde Ausländer ohne „einfache“ Sprachkenntnisse sowie der

Einbezug der Familienangehörigen potentieller Spätaussiedler in die Sprachprüfung vor der Ein-

reise hinzu. Sonstige Sprachanforderungen gelten für bestimmte Berufsgruppen oder individuell

gewählte Bildungslaufbahnen.

Im kanadischen Modell nimmt der Staat zwar einen über den Zeitverlauf in seiner Bedeu-

tung gewachsenen, aber dennoch eher geringen Einfluß auf den Spracherwerb von Immigranten.

Auch wer keine der beiden Amtssprachen in Wort und Schrift beherrscht, aber eine ausreichende

Bewertung innerhalb des Punktesystems erreicht, darf einreisen und sogar die kanadische Staats-

angehörigkeit annehmen. Die Zuwanderer erlernen die Landessprache in Kanada überwiegend –

wenn sie sich durch den prophylaktischen Spracherwerb nicht Vorteile im Punktesystem erhof-

fen – auf freiwilliger Basis und in Abhängigkeit von sozialen, Bildungs- und Arbeitsmarktanrei-

zen. Nur durch die Subventionierung der Sprachförderung und die partielle Vorgabe von Bewer-

tungsmaßstäben greift der kanadische Staat indirekt lenkend ein.

Der freiwillige und individuell motivierte Spracherwerb in Kanada weist zunächst einen

Nachteil auf, der erstmals von DeVoretz und Werner (1999) theoretisiert wurde. In einem frei-

willigen Spracherwerbssystem ohne Subventionierung werden die Sprachkenntnisse in den öko-

nomischen, politischen und sozialen Sphären zunächst nur aus minimalen mündlichen Kenntnis-

sen bestehen. Insbesondere ältere Immigranten der ersten Generation werden womöglich niemals

funktionierende Kenntnisse der Landessprache entwickeln. Dieses große Manko könnte aller-

dings durch ein Kreditprogramm für den Spracherwerb ausgeglichen werden. Dazu würden be-

ruflich qualifizierte Immigranten einen Kredit erhalten, den sie dazu nutzen könnten, ihre

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Sprachkenntnisse soweit zu verbessern, wie sie es unter sozialen, politischen und Arbeitsmark-

taspekten für sinnvoll halten. Gerade auf dem Arbeitsmarkt müßte ein solches Kreditmodell al-

lerdings großzügig genug sein, um Immigranten die Gelegenheit zu geben, die nötigen Sprach-

kenntnisse für die Zulassungsprüfungen zu erwerben.

Der Hauptvorteil des kanadischen Freiwilligkeitssystems besteht darin, daß junge und

finanzstarke Immigranten einen optimalen Grad an Sprachbeherrschung erreichen, da sie den

Spracherwerb als lohnenswerte Investition in ihre Zukunft auf dem Arbeitsmarkt betrachten. Sie

werden ihre Sprachkenntnisse kontinuierlich weiterentwickeln, bis der Grenzertrag dieser Inve-

stition zu gering wird. Falls der Immigrant aufgrund von Diskriminierung oder ungünstigen ma-

kroökonomischen Arbeitsmarktbedingungen (Arbeitslosigkeit) die erwartete Rendite nicht errei-

chen kann, würde ein erfolgsabhängiges Rückzahlungsmodell jegliches Risiko ausschließen.63

Worin bestehen die Nachteile des Freiwilligkeitsprinzips? Sprach-Benchmarks müssen

existieren und potentiellen Arbeitgebern oder anderen Interessenten bekannt sein, damit das Ni-

veau der Sprachkenntnisse ohne große Schwierigkeiten überprüft werden kann. Sprachzeugnisse,

berufsbezogene Sprachausbildung und Anerkennung der Zertifikate seitens des Arbeitgebers

sind notwendige Bestandteile des auf Freiwilligkeit basierenden Programms. Fehlt einer dieser

Teile, so werden einzelne Immigranten nicht optimal in den Spracherwerb investieren, da die

erwarteten Erträge nicht erreicht werden können.

Würde dieses Modell auch in Deutschland funktionieren, oder sollte die Bundesrepublik

sich eher darauf konzentrieren, einheitliche Sprachförderprogramme für Aussiedler und Auslän-

der zu entwickeln und unmittelbar nach deren Ankunft in Deutschland durchzuführen? In

Deutschland wäre das bislang praktizierte staatlich dominierte Modell des Spracherwerbs insbe-

sondere dann plausibel, wenn die Politik allein darauf abzielte, alle Zuwanderer – ob Aussiedler

oder Ausländer – einzubürgern. Da das Ziel der deutschen Politik jedoch darüber hinaus (ver-

nünftigerweise)darin bestehen muß, die wirtschaftliche und soziale Integration sowohl von Aus-

siedlern als auch von Ausländern so frühzeitig wie möglich zu fördern und bereits ihre Einreise

anhand von Auswahlkriterien zu steuern, wäre eine modifizierte deutsche Version des kanadi-

schen Modells zu favorisieren.

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Für Deutschland erscheint es in diesem Zusammenhang allerdings unabdingbar, nicht al-

lein auf Freiwilligkeit zu vertrauen, sondern auf den Erwerb eines Mindestmaßes an Deutsch-

kenntnissen zu einem frühen Zeitpunkt des Aufenthalts in der Bundesrepublik gezielt hinzuwir-

ken. Während Kanada seine Laissez-faire-Politik auf den Umstand gründen kann, daß eine der

beiden Amtssprachen zugleich Weltsprache ist und insoweit Immigranten mit einiger Wahr-

scheinlichkeit zumindest ein Minimum an Sprachkenntnissen mitbringen, verfügen die nach

Deutschland einreisenden Immigranten mit ebenso hoher Wahrscheinlichkeit über keine Grund-

kenntnisse der Sprache ihres Ziellandes. Auch gibt es, wie die historische Erfahrung zeigt, nur

geringe Anreize zum Erlernen der deutschen Sprache für den – im Zeitalter der Globalisierung

zusehends wahrscheinlicher werdenden – Fall, daß Deutschland mitunter lediglich als Zwischen-

station auf dem Weg in eines der klassischen Einwanderungsländer gewählt wird. Nicht zuletzt

läßt es aber auch der im Vergleich zu Kanada stärkere Zuzug von Immigranten erforderlich er-

scheinen, den Integrationserfolg durch Sprachkompetenz so frühzeitig wie möglich anzustreben.

Dies kann nicht ausschließlich durch freiwillige Sprachkurse in Deutschland gewährleistet wer-

den, sondern bedarf offenkundig eines geeigneten „Flankenschutzes“.

Je eher Zuwanderer grundlegende Sprachanforderungen erfüllen, desto schneller kann die

soziale Integration erfolgen. Insofern drängt sich ein Sprachkriterium innerhalb eines Punkteka-

talogs zur Bewertung von Zuwanderungsanträgen förmlich auf. Bei der Gewichtung der Punkte

wäre darauf zu achten, für das gewünschte Ziel einer beschleunigten Integration nicht einen zu

hohen Preis zu zahlen und die „Besten“ abzuschrecken.

Nach der Ankunft in Deutschland können sowohl die individuellen Bedürfnisse der Zu-

wanderer als auch das allgemeine Interesse an ihrer sozialen Integration am ehesten durch ein

freiwilliges Spracherwerbsmodell nach kanadischem Vorbild erfüllt werden. Ergänzt werden

sollte dieses Modell jedoch durch wirksame positive Anreize zum Spracherwerb, die sich einem

gelegentlich diskutierten Sanktionsmodell gegenüber als überlegen erweisen werden. Ein effek-

tiver Anreizmechanismus könnte beispielsweise in einem Kautionsprinzip bestehen, wie es in

Australien praktiziert wird. Diesem Prinzip zufolge wäre nach einem nicht bestandenen Ein-

63 Bei den erfolgsabhängigen Krediten richtet sich die Rückzahlungsverpflichtung (null bis 100 Prozent des Kredits) nach der Einkommensentwicklung im Anschluß an den Spracherwerb.

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gangssprachtest eine Kaution zu zahlen, die nur dann zurückerstattet wird, wenn innerhalb einer

bestimmten Zeit ein zweiter Test bzw. ein Sprachkurs erfolgreich bestanden wird.

Der Bericht der „Unabhängigen Kommission Zuwanderung der Bundesregierung“ hat die

hohe Bedeutung der Sprachkenntnisse von Ausländern nachdrücklich unterstrichen.64 Darüber

hinaus wurden zuletzt mehrere Vorschläge veröffentlicht, die die Sprachdebatte vorangetrieben

haben. So kritisiert der Sprachverband Deutsch für ausländische Arbeitnehmer, frühere Sprach-

förderungsprogramme der Regierung hätten nicht alle Immigranten einbezogen, sondern viel-

mehr eine Trennlinie zwischen Ausländern und Aussiedlern gezogen. Deshalb schlägt der

Sprachverband vor, allen dauerhaften Zuwanderern – einschließlich derer, die bereits in Deutsch-

land leben – ein Anrecht auf 600 Stunden Sprachausbildung zu geben.65 Ferner argumentiert der

Verband, die Teilnehmer sollten sich an der Finanzierung der Sprachkurse beteiligen. Die

Schwierigkeit wird jedoch darin liegen, Personen mit einem eindeutigen Mangel an Sprach-

kenntnissen zur Teilnahme zu bewegen. Positive Anreize im Rahmen des deutschen Arbeitser-

laubnis- und Einbürgerungsrechts dürften notwendig sein, um die Effektivität eines solchen Pro-

gramms zu gewährleisten.

In diesem Zusammenhang hat die Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen

vorgeschlagen, „Integrationsverträge“ zwischen Zuwanderern und den deutschen Behörden zu

schließen.66 Dieses Modell sieht unter anderem vor, Zuwanderern einen „Integrationsscheck“

auszustellen, den sie für Sprach- und Integrationskurse verwenden können. Durch ausreichende

Flexibilität sollen dabei die individuellen Bedürfnisse berücksichtigt werden können. Wer diese

Schecks innerhalb von drei Jahren einlöst, soll leichter in den Genuß von Aufenthalts- und Ar-

beitsgenehmigungen kommen bzw. schneller eingebürgert werden. Ein vergleichbares Konzept

wurde bereits in den Niederlanden erfolgreich implementiert und sollte auch in der deutschen

Diskussion stärkere Beachtung finden. Zwar liegen die geschätzten Kosten mit rund 315 Mio

Euro pro Jahr fast doppelt so hoch wie die bisherigen Etatansätze, dennoch ist dem Konzept eine

hohe Plausibilität zu eigen. Vor allem wäre damit ein transparenter, positiver Anreizmechanis-

mus verbunden, an dem es der deutschen Sprachförderung bislang mangelt.

64 Vgl. Unabhängige Kommission Zuwanderung (2001). 65 Vgl. auch Sprachverband Deutsch für ausländische Arbeitnehmer e. V. (1999).

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Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, daß der alleinige Erwerb von Sprachkennt-

nissen nicht ausreicht, um die Einkommenssituation ausländischer Beschäftigter auf dem deut-

schen Arbeitsmarkt relativ zu den Einkommen einheimischer Arbeitnehmer zu erhöhen. Die

Verbesserung der Sprachkenntnisse muß vielmehr mit einer Verbesserung auch des

(Aus)Bildungsniveaus einhergehen, um diesen Effekt zu erzielen. Spracherwerb und Bildung

verhalten sich komplementär zueinander – eine Politik zur Sprachförderung sollte dies angemes-

sen berücksichtigen.

Ob das geplante, im neuen Zuwanderungsgesetz bereits antizipierte Gesamtsprachkon-

zept zur organisatorischen und inhaltlichen Vereinheitlichung der Sprachförderung für Ausländer

und Spätaussiedler die Sprachkenntnisse der Immigranten tatsächlich nennenswert verbessern

wird, kann noch nicht abgeschätzt werden. Einerseits wird die neue Struktur der Sprachförderung

voraussichtlich dazu führen, daß mehr Zuwanderer in den Genuß von Sprachkursen kommen.

Nach Schätzungen der Bundesregierung werden zu dem bisherigen Jahresdurchschnitt von

96.000 weitere 14.000 Teilnehmer hinzukommen. Andererseits sollen die Staatsausgaben auf

dem bisherigen Niveau gehalten werden. Darüber hinaus wird eine äußerst heterogene Gruppe

von Aussiedlern und Ausländern mit einem einheitlichen Sprachstandard konfrontiert sein, wäh-

rend das neue Gesamtsprachkonzept gleichzeitig darauf abzielt, homogenere Teilnehmergruppen

je nach Vorkenntnissen, beruflichem Hintergrund und schulischer Bildung zusammenzusetzen.

Mehrfachförderung nach dem bislang recht verwirrenden Ausbildungssystem soll vermieden

werden. Eine organisatorische Reform soll außerdem Synergieeffekte mit sich bringen. Nach

dem Gesamtsprachkonzept soll die Sprachförderung in Deutschland künftig in den gemeinsamen

Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (BMA) und des

Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) fallen. Während das

BMA die Sprachförderung für alle Zuwanderer über 27 Jahren regeln wird, soll das BMFSFJ für

die jüngeren Immigranten zuständig sein. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt läßt sich noch nicht ab-

schätzen, ob dieses neue Konzept die Sprachkenntnisse der Immigranten tatsächlich nennenswert

verbessern wird. Immerhin ist eine intensive Qualitätsbewertung Bestandteil des Gesamtsprach-

66 Vgl. auch Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen (2000c).

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konzepts und könnte ihrerseits bereits zu einer insgesamt effektiveren Sprachförderung beitra-

gen.67

Um den Erfolg des Sprachprogramms weiterhin sicherzustellen, könnten die Kursteil-

nehmer anteilig an den Kurskosten beteiligt werden. Werden die positiven Lernanreize eindeutig

genug gesetzt, wird dies vertretbar sein. Das neue deutsche Zuwanderungsgesetz sieht diese

Möglichkeit grundsätzlich vor; eine solche Kostenbeteiligung ließe sich mit einem Kautionsprin-

zip sinnvoll verknüpfen. Beides hätte einen unmittelbaren Erfolgsanreiz zur Folge, auf den nicht

verzichtet werden sollte. Naheliegend mag es zunächst erscheinen, das Prinzip der obligatori-

schen Sprachtests für Aussiedler vor der Einreise in die Bundesrepublik auch auf ausländische

Zuwanderer auszudehnen. Von dem erheblichen organisatorischen Aufwand abgesehen, müßte

dazu freilich ein schlüssiges Konzept entwickelt werden, das durch entsprechende Anreizmecha-

nismen Deutschlands Attraktivität als wettbewerbsfähiges Zuwanderungsland nicht mindert,

wohl aber die potentiellen Zuwanderer dazu ermutigt, bereits vor der Einreise ein gewisses Maß

an deutschen Sprachkenntnissen zu erwerben, ohne sich der Zuwanderungsgenehmigung bereits

sicher sein zu können. Es erscheint zweifelhaft, ob dieses Kalkül aufgehen könnte. Die Plausibi-

lität des im neuen Zuwanderungsgesetz vorgesehenen obligatorischen Besuchs von Sprach- und

Integrationskursen im Falle nicht vorhandener minimaler mündlicher Sprachkenntnisse erscheint

insoweit fraglich. Sinnvoller dürfte es sein, für alle Zuwanderergruppen den Besuch entspre-

chender Kurse bzw. die private Initiative mit entsprechenden positiven Anreizen zu verbinden.

Ein solches Anreizsystem dürfte einer Sanktionsdrohung überlegen sein - die im Zuwanderungs-

gesetz geregelte Verkürzung der Mindestaufenthaltszeit bis zum Erwerb eines Rechtsanspruchs

auf Einbürgerung um ein Jahr im Falle der erfolgreichen Teilnahme an einem Integrationskurs

erscheint dabei allerdings eher unzureichend.

Erst aus einem konsequenten Anreizmechanismus wird im übrigen auch eine überzeu-

gende Wirkung des von der Politik inzwischen nach kanadischem Vorbild gewählten Verfahrens

resultieren können, die Auswahl von Immigranten im Rahmen eines umfassenden deutschen

Zuwanderungsgesetzes anhand eines Punktesystems vorzunehmen, das neben der Arbeits-

67 Diese Informationen über das geplante „Gesamtsprachkonzept“ stützen sich auf die Stellungnahme der Bundesre-gierung zu den Studien zur Sprachförderung, BMFSFJ/BMA, 12. Oktober 2000, die dem Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages vorgelegt wurde (bis dato nicht veröffentlicht).

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markteignung auch die etwaigen Sprachkenntnisse der Bewerber honoriert (Vorlage von Be-

scheinigungen), ohne sie in Relation zu anderen Qualifikationsmerkmalen überzubewerten. Eine

konsequente Anreizstrategie zur Beschleunigung und Verbesserung des Spracherwerbs im Inland

ist dabei unerläßlich.

Eine reformierte deutsche Sprachförderung könnte so gesehen das kanadische und das

deutsche Modell zu einem Gesamtkonzept verknüpfen, das das Prinzip der Freiwilligkeit und die

notwendigen Gestaltungsspielräume der Zuwanderer beläßt, zugleich aber durch eindeutige An-

reizmechanismen dafür Sorge trägt, daß der Spracherwerb – zum Nutzen von Gesellschaft und

Arbeitsmarkt – schneller und zuverlässiger als bislang erfolgt. Die gemeinsame Sprache ist der

Schlüssel zum sozialen Zusammenhalt einer offenen Gesellschaft, die – im Falle Deutschlands –

gerade erst behutsam damit begonnen hat, ihr Land als Einwanderungsland wahrzunehmen.

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Anhang A

Auszug aus dem Deutschen Grundgesetz (Stand: 3. November, 1995)

Artikel 16 Staatsangehörigkeit, Verbot der Auslieferung

(1) Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehö-rigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintre-ten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.

(2) Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden.

Artikel 116 Begriff „Deutscher“, Wiedereinbürgerung

(1) Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicherRege-lung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deut-scher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deut-schen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.

(2) Frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen wor-den ist, und ihre Abkömmlinge sind auf Antrag wieder einzubürgern. Sie gelten als nicht ausge-bürgert, sofern sie nach dem 8. Mai 1945 ihren Wohnsitz in Deutschland genommen haben und nicht einen entgegengesetzten Willen zum Ausdruck gebracht haben.

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Anhang B

Auszug aus den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Staatsangehörigkeitsrecht (StAR-VwV, Kabinettsbeschluß vom 18.10.2000)

II. Ausländergesetz

86 Zu § 86 Ausschlussgründe

86.1 Zu Nummer 1 (keine ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache)

86.1.1 Begriffsbestimmung

Ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache liegen vor, wenn sich der Einbürge-rungsbewerber im täglichen Leben einschließlich der üblichen Kontakte mit Behör-den in seiner deutschen Umgebung sprachlich zurecht zu finden vermag und mit ihm ein seinem Alter und Bildungsstand entsprechendes Gespräch geführt werden kann. Dazu gehört auch, dass der Einbürgerungsbewerber einen deutschsprachigen Text des alltäglichen Lebens lesen, verstehen und die wesentlichen Inhalte mündlich wie-dergeben kann. Auf Behinderungen, die dem Einbürgerungsbewerber das Lesen oder Sprechen nachhaltig erschweren, ist Rücksicht zu nehmen.

Die Fähigkeit, sich auf einfache Art mündlich verständigen zu können, reicht nicht aus.

86.1.2 Nachweis der Sprachkenntnisse

Der Ausschlussgrund nicht ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache ist von der Einbürgerungsbehörde zu prüfen. Die erforderlichen Sprachkenntnisse sind in der Regel nachgewiesen, wenn der Einbürgerungsbewerber

a) das Zertifikat Deutsch oder ein gleichwertiges Sprachdiplom erworben hat,

b) vier Jahre eine deutschsprachige Schule mit Erfolg (Versetzung in die nächsthöhe-re Klasse) besucht hat,

c) einen Hauptschulabschluss oder wenigstens gleichwertigen deutschen Schulab-schluss erworben hat,

d) in die zehnte Klasse einer weiterführenden deutschsprachigen Schule (Realschule, Gymnasium oder Gesamtschule) versetzt worden ist oder

e) ein Studium an einer deutschsprachigen Hochschule oder Fachhochschule oder eine deutsche Berufsausbildung erfolgreich abgeschlossen hat.

Sind die erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache nicht oder nicht hinrei-chend nachgewiesen, soll das persönliche Erscheinen des Einbürgerungsbewerbers zur Überprüfung der Sprachkenntnisse angeordnet werden, vergleiche Nummer 91.1. Die Anforderungen des Zertifikats Deutsch (ISBN 3-933908-17-5) sind dafür ein ge-eigneter Maßstab. [...]

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IZA DISCUSSION PAPER NO. 555 79

Anhang C

Auszug aus dem Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsge-setz) – 20. Juni 2002

Artikel 1: Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Aus-ländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz – AufenthG)

Kapitel 2: Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet

Abschnitt 4: Aufenthalt zum Zweck der Erwerbstätigkeit

§ 20 Zuwanderung im Auswahlverfahren

(1) Eine Niederlassungserlaubnis wird zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erteilt, wenn ein Ausländer erfolgreich am Auswahlverfahren teilgenommen hat. Dies gilt auch für Ausländer, die sich bereits rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.

(2) Das Auswahlverfahren erfolgt im wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Interesse der Bun-desrepublik Deutschland und dient der Zuwanderung qualifizierter Erwerbspersonen, von denen ein Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung und die Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland zu erwarten sind. Die Auswahl erfolgt durch ein Punktesystem un-ter besonderer Berücksichtigung von Staatsangehörigen der Länder, mit denen die Verhandlun-gen über den Beitritt zur Europäischen Union eröffnet sind.

(3) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates die Bedingungen für die Teilnahme an dem Auswahlverfah-ren, die allgemeinen Kriterien für die Auswahl der Zuwanderungsbewerber sowie die Bewertung durch ein Punktesystem und Einzelheiten des Verfahrens festzulegen. Als Mindestbedingungen für die Teilnahme sind die gesundheitliche Eignung, ein guter Leumund, die Sicherung des Lebensunterhalts und eine Berufsausbildung vorzusehen. Für die Auswahl der Zuwanderungsbe-werber ist zumindest die Bewertung der folgenden Kriterien vorzusehen:

1. Alter des Zuwanderungsbewerbers; 2. schulische und berufliche Qualifikation sowie die Berufserfahrung des Zuwanderungsbewer-bers; [...] 3. Familienstand des Zuwanderungsbewerbers; 4. Sprachkenntnisse des Zuwanderungsbewerbers; 5. Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland; 6. Herkunftsland.

Bei der Auswahl der Zuwanderungsbewerberinnen und Zuwanderungsbewerber ist ein den Be-werbungen entsprechender Anteil von Frauen und Männern auszuwählen.

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(4) Das Auswahlverfahren wird nur durchgeführt, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die Bundesanstalt für Arbeit nach Beteiligung des Zuwanderungsrates (§ 76) gemeinsam eine Höchstzahl für die Zuwanderung im Auswahlverfahren festgesetzt haben. [...] Kapitel 3: Förderung der Integration

§ 43 Integrationskurs und -programm

(1) Die Integration von rechtmäßig auf Dauer im Bundesgebiet lebenden Ausländern in das wirt-schaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben in der Bundesrepublik Deutschland wird ge-fördert.

(2) Eingliederungsbemühungen von Ausländern werden durch ein Grundangebot zur Integration (Integrationskurs) unterstützt. Der Integrationskurs umfasst Angebote, die Ausländer an die Sprache, die Rechtsordnung, die Kultur und die Geschichte in Deutschland heranführen. Auslän-der sollen dadurch mit den Lebensverhältnissen im Bundesgebiet so weit vertraut werden, dass sie ohne die Hilfe oder Vermittlung Dritter in allen Angelegenheiten des täglichen Lebens selb-ständig handeln können.

(3) Der Integrationskurs umfasst einen Basis- und einen Aufbausprachkurs von jeweils gleicher Dauer zur Erlangung ausreichender Sprachkenntnisse sowie einen Orientierungskurs zur Ver-mittlung von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte in Deutschland. Die erfolgreiche Teilnahme wird durch eine vom Sprachkursträger auszustellende Bescheinigung nachgewiesen. Die Teilnahme am Basissprachkurs ist in der Regel Voraussetzung für die Teil-nahme am Aufbausprachkurs. [...] Für die Teilnahme am Integrationskurs kann unter Berück-sichtigung der Leistungsfähigkeit ein angemessener Kostenbeitrag erhoben werden. [...]

§ 44 Berechtigung zur Teilnahme an einem Integrationskurs

(1) Einen Anspruch auf die einmalige Teilnahme an einem Integrationskurs hat ein Ausländer, der erstmals eine Aufenthaltserlaubnis 1. zu Erwerbszwecken [...] 2. zum Zweck des Familiennachzugs [...], 3. aus humanitären Gründen [...] oder 4. ohne Bindung an einen Aufenthaltszweck [...] erhält, wenn er sich dauerhaft im Bundesgebiet aufhält. [...] Einen Anspruch [...] hat auch, wer eine Niederlassungserlaubnis [...] erhält. Ausgenommen sind Kinder, Jugendliche und junge Er-wachsene, die eine schulische Ausbildung aufnehmen oder ihre bisherige Schullaufbahn in der Bundesrepublik Deutschland fortsetzen. [...]

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§ 45 Verpflichtung zur Teilnahme an einem Integrationskurs

(1) Ein Ausländer, der nach § 44 einen Anspruch auf Teilnahme an einem Integrationskurs hat, ist zur Teilnahme verpflichtet, wenn er sich nicht auf einfache Art in deutscher Sprache münd-lich verständigen kann.

(2) Die Ausländerbehörde stellt bei der Ausstellung des den Teilnahmeanspruch begründenden Aufenthaltstitels fest, ob der Ausländer zur Teilnahme verpflichtet ist.

(3) Ein Ausländer ist von der Teilnahmepflicht nach Absatz 1 ganz oder teilweise zu befreien, wenn 1. er sich im Bundesgebiet in einer beruflichen oder sonstigen Ausbildung befindet, 2. er die Teilnahme an vergleichbaren Bildungsangeboten im Bundesgebiet nachweist oder 3. seine Teilnahme auf Dauer unmöglich oder unzumutbar ist. [...]

Artikel 5: Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes Das Staatsangehörigkeitsgesetz [...] wird wie folgt geändert: [...] 7. Nach § 9 werden folgende §§ 10 bis 12b eingefügt: § 10 (1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, ist auf Antrag einzubürgern, wenn er 1. sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepu-blik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keineBestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Be-stand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind [...]. 2. freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger oder gleichgestellter Staatsangehöriger eines EWR-Staates ist [...]. 4. seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert [...]. (3) Hat ein Ausländer erfolgreich an einem Integrationskurs nach § 43 des Aufenthaltsgesetzes teilgenommen, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. § 11 Ein Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 besteht nicht, wenn 1. der Ausländer nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt, [...].

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Artikel 6: Änderung des Bundesvertriebenengesetzes Das Bundesvertriebenengesetz [...] wird wie folgt geändert: [...] 3. § 9 wird wie folgt geändert: a) Es wird folgender neuer Absatz 1 eingefügt: (1) Spätaussiedler [...] sowie deren Ehegatten oder Abkömmlinge, welche dieVoraussetzungen [...] erfüllen, haben, sofern sie der allgemeinen Schulpflicht nicht unterliegen, Anspruch auf ko-stenlose Teilnahme an einem Integrationskurs, der einen Basis- und einen Aufbausprachkurs von gleicher Dauer zur Erlangung ausreichender Sprachkenntnisse sowie einen Orientierungskurs zur Vermittlung von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte in Deutschland umfasst. Der Sprachkurs dauert bei ganztägigem Unterricht (Regelfall) längstens sechs Monate. [...] 5. § 27 Abs. 1 wird wie folgt geändert: [...] b) Die Sätze 2 bis 4 werden wie folgt gefasst: Der im Aussiedlungsgebiet lebende nichtdeutsche Ehegatte, sofern die Ehe seit mindestens drei Jahren besteht, oder nichtdeutsche Abkömmling [...] werden [...] in den Aufnahmebescheid der Bezugsperson nur dann einbezogen, wenn [...] sie ausreichende Kenntnisse der deutschen Spra-che besitzen und in ihrer Person keine Ausschlussgründe [...] vorliegen; [...].

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Anhang D

Sprachförderprogramm für Aussiedler und Ausländer in Deutschland, Stand 2000

Förderprogramm SGB III Garantiefonds-

Schul- und Berufs-bildungsbereich

Sprachverband Garantiefonds-

Hochschulbereich

Akademiker-programm

Förderberechtigte Spätaussiedler, Asylberechtigte, Kontingent-flüchtlinge

Spätaussiedler, Asylberechtigte, Kontingentflüchtlin-ge unter 27

Ausländische Ar-beitnehmer aus EU u. ehem. An-werbestaaten und ihre Familienange-hörigen

Spätaussiedler, Asylberechtigte, Kontingent-flüchtlinge unter 30

Spätaussiedler, Kontingent-flüchtlinge

Integrationsziel Gesellschaftlliche Integration (einschl. Arbeits-markt)

Schulische/berufliche Ausbildung

Allgemeine und berufliche Integra-tion

Integration in Richtung Hoch-schule

fachberufliche Integration

Stunden insgesamt 903 Zeitstunden bis zu 2000 Unter-richtsstunden

bis zu 640 (durchschn.400) Unterrichtsstunden

800 Unterrichts-stunden

bis zu 420 Unter-richtsstunden

Fördermonate 6 bis zu 12 - 6 3

Stunden pro

Woche

35 bis zu 40 4 – 20 32 bis zu 36

Teilnehmer bis zu 25 15 – 20 8 – 20 20 20

Sozialpädagogische Betreuung

14 Stunden insge-samt

bis zu 50 % bis zu 50 % (auch als Teamteaching)

bis zu 15 % Nach Bedarf

Testverfahren freiwillig freiwillig freiwillig ja ja

Fahrtkosten ja ja nein ja ja

Kinderbetreuung ja nein ja nein nein

Einheitliche Lehr-materialien

nein nein nein nein nein

Sprachkursträger 788 348 445 9 4

Mittelansatz 2000 240 Mio. DM 45 Mio. DM 34 Mio. DM 11 Mio. DM 0,65 Mio. DM

Ressort BMA BMFSFJ BMA BMFSFJ BMBF

Durchführung Bundesanstalt für Arbeit

Länder Sprachverband Otto Benecke Stif-tung

Otto Benecke Stiftung

Förderung Individualbeihilfe, Trägerabrechnung, Unterrichtsgelder

Individualbeihilfe und Zuwendung an den Sprachkursträger

Vertrag und Ab-rechnung mit dem Träger

Individualbeihilfe und Zuwendung an den Träger

Individualbeihilfe, Trägerabrechnung

Kosten durchschnittlich 722,-DM pro Teilnehmer/Monat

630,-; 800,-; und 820,- DM pro Teil-nehmer/Monat

35,- pro Kursstun-de

Durchschnittlich 900,-DM pro Teil-nehmer/Monat

durchschnittlich 750,-DM pro Teilnehmer/Monat

Quelle: Stellungnahme der Bundesregierung zu den Studien zur Sprachförderung, BMFSFJ/BMA 12.Okt 2000.

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Anhang E

Auszug aus Gesetzesvorlage C-11 (Kanadas Immigration and Refugee Protection Act)

Vorgeschlagenes Punktesystem

Alter max. 10 Punkte

21-44 10 Punkte

zwei Punkte weniger für jedes Lebensjahr über 44

(Aus)Bildung max. 25 Punkte

Promotion oder Magisterabschluß 25 Punkte

Bachelor 20 Punkte

High School Abschluß 5 Punkte

Sprache max. 20 Punkte

Sehr gute Kenntnisse in einer Amtssprache 16 Punkte

Gute Kenntnisse in einer Amtssprache 8 Punkte

Grundkenntnisse in einer Amtssprache 0 Punkte

Sehr gute Kenntnisse in der zweiten Amtssprache 4 Punkte

Quelle: Citizenship and Immigration Canada, Bill C-11 Immigration and Protection Act. www.cic.gc.ca/english/about/policy/c-11-regs.html – Nov. 2001

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IZA Discussion Papers No.

Author(s) Title

Area Date

540 G. S. Epstein A. Kunze M. E. Ward

High Skilled Migration and the Exertion of Effort by the Local Population

1 08/02

541 B. Cockx M. Dejemeppe

Do the Higher Educated Unemployed Crowd Out the Lower Educated Ones in a Competition for Jobs

2 08/02

542 M. Frölich

Programme Evaluation with Multiple Treatments

6 08/02

543 J. Darby R. A. Hart

Wages, Productivity, and Work Intensity in the Great Depression

5 08/02

544 P. Portugal A. R. Cardoso

Disentangling the Minimum Wage Puzzle: An Analysis of Worker Accessions and Separations

3 08/02

545 M. Fertig C. M. Schmidt

The Role of Background Factors for Reading Literacy: Straight National Scores in the PISA 2000 Study

6 08/02

546 A. M. Stiglbauer F. Stahl R. Winter-Ebmer J. Zweimüller

Job Creation and Job Destruction in a Regulated Labor Market: The Case of Austria

2 08/02

547 G. S. Epstein I. N. Gang

Government and Cities: Contests and the Decentralization of Decision Making

3 08/02

548 M. Frölich

What is the Value of Knowing the Propensity Score for Estimating Average Treatment Effects?

6 08/02

549 E. Wasmer Interpreting Europe and US Labor Markets Differences: The Specificity of Human Capital Investments

2 08/02

550 D. Clark The Impact of Local Labour Market Conditions on Participation in Further Education in England

5 08/02

551 T. Bauer G. Epstein I. N. Gang

Herd Effects or Migration Networks? The Location Choice of Mexican Immigrants in the U.S.

1 08/02

552 R. Fahr U. Sunde

Estimations of Occupational and Regional Matching Efficiencies Using Stochastic Production Frontier Models

6 08/02

553 S. Machin P. A. Puhani

Subject of Degree and the Gender Wage Differential Evidence from the UK and Germany

2 08/02

554 W. Koeniger

Employment Protection, Product Market Competition and Growth

3 08/02

555 D. J. DeVoretz H. Hinte C. Werner

Keine Integration ohne Sprachkenntnisse? Zuwanderung und Spracherwerb in Kanada und Deutschland

1 08/02

An updated list of IZA Discussion Papers is available on the center‘s homepage www.iza.org.