Kehlmann-Ich Und Kaminski

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Daniel Kehlmann Ich und Kaminski Roman Suhrkamp

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NOVELLE

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  • Daniel KehlmannIch und KaminskiRoman

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  • Daniel KehlmannIch und Kaminski

    Roman

    Suhrkamp Verlag

  • Suhrkamp Verlag Frankfurt amMain 2003Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der bersetzung,

    des ffentlichen Vortrags sowie der bertragungdurch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

    Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

    ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziertoder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielfltigt oder verbreitet werden.

    eISBNwww.suhrkamp.de

    ebook Suhrkamp Verlag Berlin 2010

    978-3-518-73731-6

  • fr Helena

  • Ich bin in der Tat ein einzigartiges Wesen.Werde ich nicht berall gut aufgenommen?Schenken mir nicht die bedeutendsten Kpfeganz besondere Beachtung? Ich habe eineedle Seele, die immer wieder zum Vorscheinkommt, ein gewisses Ma an Kenntnissen,alle mglichen Einflle, einen originellenHumor und eine ebensolche Ausdrucksweise;dazu, so glaube ich, eine bemerkenswerteMenschenkenntnis.

    James Boswell: Journal, 29. Dezember 1764

  • IIch wachte auf, als der Schaffner an die Abteiltrklopfte. Es sei kurz nach sechs, in einer halben Stundeseienwir amZiel.Ob ich gehrt htte? Ja,murmelte ich,ja. Mhsam richtete ich mich auf. Ich hatte quer berdrei Sitzen gelegen, allein im Abteil, mein Rcken tatweh, mein Nacken fhlte sich steif an. In meine Trumehatten sich hartnckig Fahrtgerusche, Stimmen aufdemGang undAnsagen auf irgendwelchen Bahnsteigengemischt; immer wieder war ich aus unangenehmenTrumen aufgeschreckt; einmal hatte jemand hustendvon drauen die Abteiltr aufgerissen, und ich hatteaufstehen mssen, um sie zu schlieen. Ich rieb mir dieAugen und sah aus dem Fenster: Es regnete. Ich zogmeine Schuhe an, holte meinen alten Rasierapparat ausdem Koffer und ging ghnend hinaus.Aus dem Spiegel der Zugtoilette betrachtete mich ein

    blasses Gesicht, die Haare unordentlich, auf der Wangedie Abdrcke der Sitzpolsterung. Ich schlo den Rasie-rer an, er funktionierte nicht. Ich ffnete die Tr, sahnoch den Schaffner am anderen Ende des Waggons undrief, da ich Hilfe bruchte.Er kam und blickte mich mit einem dnnen Lcheln

    an. Der Rasierer, sagte ich, funktioniere nicht, offenbargebe es hier keinen Strom.Natrlich gebe es Strom, ant-wortete er. Nein, sagte ich. Doch, sagte er. Nein! Erzuckte die Achseln, dann seien es vielleicht die Lei-tungen, er knne jedenfalls nichts machen. Aber dassei doch das mindeste, sagte ich, was man von einem

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  • Schaffner erwarte! Nicht Schaffner, sagte er, Zugbeglei-ter. Ich sagte, das sei mir egal. Er fragte, wie ich dasmeine. Egal, sagte ich, wie man diesen berflssigenBeruf nenne. Er wrde sich, sagte er, von mir nichtbeleidigen lassen, ich solle aufpassen, er knne mir auchin die Fresse hauen. Das mge er versuchen, sagte ich,ichwrdemich ohnehin beschweren, er solle mir seinenNamen nennen. Er dchte nicht daran, sagte er, und ichstnke und bekme eine Glatze. Dann wandte er sich abund ging fluchend davon.Ich schlo die Toilettentr und sah besorgt in den

    Spiegel. Natrlich war da keine Glatze; rtselhaft, wieder Affe darauf gekommen war. Ich wusch mir dasGesicht, ging insAbteil zurck und zogmein Jackett an.Drauen reihten sich immer mehr Gleisstrnge, Mastenund elektrische Leitungen aneinander, der Zug wurdelangsamer, schon war auch der Bahnsteig zu sehen:Wer-betafeln, Telefonzellen, Leute mit Gepckwagen. DerZug bremste und hielt.Ich schob mich den Gang entlang in Richtung Tr.

    Ein Mann rempelte mich an, ich stie ihn zur Seite. DerSchaffner stand auf dem Bahnsteig, ich reichte meinenKoffer hinunter. Er nahm ihn, sah mich an, lchelte undlie ihn auf den Asphalt plumpsen. Entschuldigung!sagte er grinsend. Ich stieg aus, nahm den Koffer undging davon.Einen Mann in Uniform fragte ich nach meinem Ver-

    bindungszug. Er warf mir einen langen Blick zu, dannholte er ein zerknittertes Bchlein hervor, tippte be-dchtig mit demZeigefinger an seine Zunge und begannzu blttern.

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  • Haben Sie keinen Computer?Er sah mich fragend an.Egal, sagte ich, machen Sie weiter.Er bltterte, seufzte, bltterte weiter. ICE sechs Uhr

    fnfunddreiig Gleis acht. Dann umsteigen . . .Ich ging schnell weiter, ich hatte keine Zeit fr sein

    Geschwtz. Das Gehen fiel mir schwer, ich war es nichtgewhnt, um diese Zeit schon wach zu sein. Auf Gleisacht stand mein Zug, ich stieg ein, betrat den Waggon,drckte eine fetteDame zur Seite, arbeitetemich auf denletzten freien Fensterplatz zu und lie mich in den Sitzfallen. Nach ein paar Minuten fuhren wir los.Mir gegenber sa ein knochiger Herr mit Krawatte.

    Ich nickte ihm zu, er grte zurck und blickte woan-ders hin. Ich ffnete den Koffer, holte meinen Notiz-block hervor und legte ihn auf das schmale Tischchenzwischen uns. Fast htte ich sein Buch hinuntergesto-en, aber er konnte es gerade noch festhalten. Ichmutemich beeilen, der Artikel htte schon seit drei Tagen fer-tig sein sollen.Hans Bahring, schrieb ich, hat also seinen vielen . . .

    Nein! . . . zahlreichen Versuchen, uns durch Einblicke,nein, schlecht recherchierte Einblicke ins Leben bedeu-tender, nein, prominenter, schon gar nicht. Ich ber-legte. . . .historischer Persnlichkeiten zu Tode zu lang-weilen, jawohl, nun einen weiteren hinzugefgt. Seineeben erschienene Biographie des Knstlers, nein,MalersGeorges Braque als miraten zu bezeichnen wre wahr-scheinlich noch zu viel Ehre fr ein Buch, das . . . Ichschob den Bleistift zwischen meine Lippen. Jetzt muteetwas Treffendes kommen. Ich stellte mir Bahrings Ge-

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  • sicht beim Lesen des Artikels vor, trotzdem fiel mirnichts ein. Es machte weniger Spa, als ich erwartethatte.Wahrscheinlich war ich einfach mde. Ich rieb mir

    das Kinn, die Stoppeln fhlten sich unangenehm an, ichmute mich unbedingt rasieren. Ich legte den Bleistiftweg und lehnte den Kopf an die Scheibe. Es begann zuregnen. Tropfen schlugen auf das Glas und zogen ge-gen die Fahrtrichtung davon. Ich blinzelte, der Regenwurde strker, die Tropfen schienen im Zerplatzen Ge-sichter, Augen,Mnder zu bilden, ich schlo dieAugen,und whrend ich auf das Prasseln horchte, nickte ichein: Fr einige Sekunden wute ich nicht, wo ich michbefand; mir war, als schwebte ich durch einen wei-ten, leeren Raum. Ich schlug die Augen auf: ber dieScheibe zog sich einWasserfilm, die Bume neigten sichunter der Wucht des Regens. Ich schlo den Block undsteckte ihn ein. Mir fiel auf, in welchem Buch der Mannvor mir las: Picassos letzte Jahre vonHans Bahring. Dasgefiel mir nicht. Es kammir vor, als sollte ich irgendwieverspottet werden.Schlimmes Wetter! sagte ich.Er sah fr einen Moment auf.Nicht sehr gut, oder? Ich zeigte auf Bahrings

    Machwerk.Ich finde es interessant! sagte er.Weil Sie kein Experte sind.Daran wird es liegen, sagte er und bltterte um.Ich lehnte meinenKopf an dieNackensttze, von der

    Nacht im Zug tat immer noch mein Rcken weh. Ichholte meine Zigaretten hervor. Der Regen lie allmh-

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  • lich nach, schon tauchten die ersten Berge aus demDunst. Mit den Lippen zog ich eine Zigarette aus derSchachtel. Als ich das Feuerzeug aufschnappen lie, fielmir Kaminskis Stilleben von Feuer und Spiegel ein: einzuckendes Gemisch heller Farbtne, aus dem, als wolltesie die Leinwand verlassen, eine spitze Flamme sprang.Aus welchem Jahr? Ich wute es nicht. Ich mute michbesser vorbereiten.Das ist ein Nichtraucherwaggon.Was?Der Mann zeigte, ohne aufzusehen, auf das Zeichen

    an der Scheibe.Nur ein paar Zge!Das ist ein Nichtraucherwaggon, wiederholte er.Ich lie die Zigarette fallen und trat sie aus, vor Wut

    bi ich die Zhne zusammen. Na schn, er wollte es so,ich wrde nicht mehr mit ihm reden. Ich holte Kome-news Anmerkungen zu Kaminski hervor, ein schlechtgedrucktes Taschenbuch mit einem unangenehmen Ge-strpp von Funoten. Es regnete nicht mehr, durchRisse in denWolken zeigte sich blauerHimmel. Ich warimmer noch sehr mde. Aber ich durfte nicht mehrschlafen, gleich mute ich aussteigen.Kurz darauf schlenderte ich frierend durch eine

    Bahnhofshalle, eine Zigarette zwischen den Lippen, inder Hand einen dampfenden Becher Kaffee. Auf derToilette schlo ich meinen Rasierapparat an, er funktio-nierte nicht. Also auch hier kein Strom. Vor einer Buch-handlung war ein Drehstnder mit Taschenbchern:Bahrings Rembrandt, Bahrings Picasso und in der Aus-lage, natrlich, einHardcoverstapel vonGeorges Braque

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  • oder Die Entdeckung des Kubus. In einer Drogeriekaufte ich zweiWegwerfrasierer und eine Tube Schaum.Der Regionalzug war fast leer, ich drckte mich in dieweiche Sitzpolsterung und schlo sofort die Augen.Als ich aufwachte, sa mir eine junge Frau mit roten

    Haaren, vollen Lippen und langen, schmalen Hndengegenber. Ich sah sie an, sie tat so, als bemerkte sie esnicht. Ich wartete. Als ihr Blick meinen streifte, lchelteich. Sie sah aus dem Fenster. Aber dann strich sie hastigihre Haare zurck, ganz konnte sie ihre Nervosittnicht verbergen. Ich sah sie an und lchelte. Nach einpaar Minuten stand sie auf, nahm ihre Tasche und ver-lie den Waggon.Dumme Person, dachte ich. Womglich wartete sie

    jetzt im Speisewagen, aber mir war es egal, ich hattekeine Lust aufzustehen. Es war schwl geworden: DerDunstschleier lie die Berge abwechselnd nahe und fernerscheinen, an den Felswnden hingen zerfaserte Wol-ken, Drfer flogen vorbei, Kirchen, Friedhfe, Fabri-ken, ein Motorrad kroch einen Feldweg entlang. Dannwieder Wiesen, Wlder, Wiesen, Mnner in Overallsschmierten dampfenden Teer auf eine Strae. Der Zughielt, ich stieg aus.Ein einziger Bahnsteig, ein rundes Vordach, ein klei-

    nes Haus mit Fensterlden, ein schnurrbrtiger Bahn-wrter. Ich fragte nachmeinemZug, er sagte etwas, aberich verstand seinen Dialekt nicht. Ich fragte noch ein-mal, er versuchte es wieder, wir sahen uns hilflos an.Dann fhrte er mich zu der Wandtafel mit den Ab-fahrtszeiten. Natrlich hatte ich gerade den Zug ver-sumt, und der nchste fuhr erst in einer Stunde.

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  • Im Bahnhofsrestaurant war ich der einzige Gast.Dort hinauf?Das sei aber noch ein gutes Stck, sagte dieWirtin. Ob ich da Ferien machen wolle?

    Im Gegenteil, sagte ich. Ich sei auf dem Weg zuManuel Kaminski.Es sei nicht die beste Jahreszeit, sagte sie, aber ein paar

    schne Tage wrde ich wohl haben. Das knne sie ver-sprechen.Zu Manuel Kaminski, wiederholte ich. Manuel Ka-

    minski!Kenne sie nicht, sagte sie, sei nicht aus der Gegend.Ich sagte, er lebe seit fnfundzwanzig Jahren hier.Also sei er nicht von hier, sagte sie, sie habe es ja

    gewut. Die Kchentr flog auf, ein dickerMann stellteeine fettglnzende Suppe vor mich hin. Ich betrachtetesie unsicher, a ein wenig und sagte der Wirtin, wieschn ich es hier fnde. Sie lchelte stolz. Auf demLand,in derNatur, eben auch hier, in diesem Bahnhof.Weitabvon allem, unter einfachen Menschen.Sie fragte, wie ich das meine.Nicht unter Intellektuellen, erklrte ich, verknstel-

    ten Angebern mit Universittsabschlu. Unter Leuten,die noch ihren Tieren nahe wren, ihren Feldern, denBergen. Die frh schlafen gingen, frh aufstnden. Dielebten, und nicht dachten!Sie sah mich stirnrunzelnd an und ging hinaus; ich

    legte das Geld abgezhlt auf den Tisch. Auf der wunder-bar sauberen Toilette rasierte ich mich: Ich war noch niegeschickt darin gewesen, der Schaum mischte sich mitBlut, und als ich ihn abgewaschen hatte, zogen sichdunkle Streifen ber mein pltzlich rot und nackt ausse-

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  • hendes Gesicht. Eine Glatze? Unbegreiflich, wie er dar-auf gekommenwar! Ich schttelte den Kopf, mein Spie-gelbild tat das gleiche.Der Zug war winzig. Nur zwei Waggons hinter einer

    kleinen Lokomotive, hlzerne Sitze, keine Kofferab-lage. Zwei Mnner in groben Kitteln, eine alte Frau. Siesahmich an und sagte etwas Unverstndliches, dieMn-ner lachten, wir fuhren los.Es ging steil bergauf. Die Schwerkraft drckte mich

    gegen dasHolz, als sich der Zug in die Kurve lehnte, fielmein Koffer um, einer der Mnner lachte, ich warf ihmeinen wtenden Blick zu. Noch eine Kurve. Und nocheine. Mir wurde schwindlig. Neben uns ffnete sich dieSchlucht: ein steil abfallender Grashang mit bizarrenDisteln und in den Boden gekralltenNadelbumen.Wirfuhren durch einen Tunnel, die Schlucht sprang aufunsere rechte und, noch ein Tunnel, zurck auf die linkeSeite. Es roch nach Kuhmist. Ein dumpfes Druckgefhllegte sich auf meine Ohren, ich schluckte, und es ver-schwand, aber nach ein paarMinuten kameswieder undblieb. Nun gab es schon keine Bume mehr, nur um-zunte Almen und die Umrisse der Berge jenseits desAbhangs. Noch eine Kurve, der Zug bremste, meinKof-fer fiel zum letzten Mal um.Ich stieg aus und zndete eine Zigarette an. Das

    Schwindelgefhl lie nach.Hinter demBahnhofwar dieDorfstrae, dahinter ein zweistckiges Haus mit ver-witterter Holztr und offenen Fensterlden: PensionSchnblick, Frhstck, gute Kche. Ein Hirschkopf sahmich trb aus einem Fenster an. Nichts zu machen, hierhatte ich reserviert, alles andere war zu teuer.

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  • AnderRezeption standeinegroeFraumit aufgesteck-ter Frisur. Sie sprach langsam und gab sich Mhe, trotz-dem mute ich mich konzentrieren, um sie zu verstehen.Ein zotteliger Hund beschnffelte den Boden. BringenSie den Koffer auf mein Zimmer, sagte ich, dann brau-che ich noch ein zustzliches Kissen, eine Decke undPapier! Viel Papier.Wie komme ich zuKaminski?Sie legte zwei Wulsthnde auf den Rezeptionstisch

    und sah mich an. Der Hund fand irgend etwas und fraes geruschvoll auf.Er wartet auf mich, sagte ich. Ich bin kein Tourist.

    Ich bin sein Biograph.Sie schien nachzudenken.DerHund drckte dieNase

    gegen meinen Schuh. Ich widerstand dem Wunsch, ihnzu treten.Hinter demHaus, sagte sie, denWeg hinauf. Eine

    halbe Stunde, das Haus mit dem Turm. Hugo!Ich brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, da

    das demHund gegolten hatte. Es fragenwohl oft Leutenach ihm?Wer?Ich wei nicht. Urlauber. Bewunderer. Irgend je-

    mand.Sie zuckte die Achseln.Wissen Sie berhaupt, wer dieser Mann ist?Sie schwieg. Hugo grunzte und lie etwas aus dem

    Maul fallen; ich bemhte mich, nicht hinzusehen. EinTraktor tuckerte am Fenster vorbei. Ich bedankte michund ging hinaus.Der Weg begann hinter dem Halbrund des Haupt-

    platzes, hob sich in zwei Windungen ber die Dcher

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  • und fhrte durch ein brunliches Schotterfeld. Ich holtetief Luft und ging los.Es war schlimmer, als ich erwartet hatte. Schon nach

    wenigen Schritten klebtemir dasHemd amKrper. Ausden Wiesen stieg warmer Dampf, die Sonne brannte,Schwei lief mir ber die Stirn. Als ich keuchend ste-henblieb, hatte ich gerade zwei Serpentinen geschafft.Ich zog das Jackett aus und legte es mir um die Schul-

    tern. Es fiel zu Boden; ich versuchte, mir die rmel umdie Hften zu binden, Schwei geriet mir in die Augen,ich wischte ihn weg. Ich schaffte wieder zwei Serpenti-nen, dann mute ich rasten.Ich setzte mich auf den Boden. EineMcke sirrte, ein

    hoher Ton, der abrupt aufhrte, um meinen Kopf;Sekunden spter begann meine Wange zu jucken. DieNsse des Grases drang durch meine Hose. Ich standauf.Es kam wohl vor allem darauf an, den richtigen

    Rhythmus zwischen Schritten und Atemzgen zu fin-den. Aber es gelang nicht, immer wieder mute ich Pau-sen machen, bald war ich am ganzen Krper na, meinAtem ging kurz und rasselnd, die Haare klebten mir imGesicht. Etwas brummte, ich sprang erschrocken zurSeite, ein Traktor berholte mich. Der Mann im Fahrer-sitz sah mich gleichgltig an, sein Kopf wippte mit denSten des Motors.Kann ich mitfahren? brllte ich. Er beachtete mich

    nicht. Ich versuchte Schritt zu halten, fast htte ich esgeschafft, aufzuspringen.Doch dann fiel ich zurck undkonnte ihn nicht mehr einholen, ich sah zu, wie erdavonkletterte, schrumpfte und um die letzte Biegung

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  • verschwand. Noch eine ganze Weile hing sein Dieselge-ruch in der Luft.Eine halbe Stunde spter stand ich oben, atmete

    schwer und hielt mich benommen an einem Holzpfahlfest. Als ichmich umdrehte, schien derHang in die Tiefeund der Himmel in die Hhe zu schnellen, alles kipptevornber, ich klammerte mich an den Pfahl und war-tete, bis der Schwindelanfall vorberging. Ummichwarschtteres Gras, durchmischt mit Schotter, vor mir fielder Weg sachte ab. Ich folgte ihm langsam, nach zehnMinuten endete er in einem kleinen, nach Sden offenenFelskessel mit drei Husern, einem Parkplatz und einerins Tal fhrenden Asphaltstrae.Tatschlich: Eine breite, geteerte Strae! Ich hatte

    einen gewaltigen Umweg genommen; auerdem htteich mit dem Taxi herauffahren knnen. Ich dachte anmeine Wirtin: Das wrde ihr noch leid tun! Auf demPlatz parkten, ich zhlte nach, neun Autos. Auf demersten Trschild standClure, auf dem zweitenDr. Gn-zel, auf dem dritten Kaminski. Ich betrachtete es eineWeile. Ichmutemich an denGedanken gewhnen, daer wirklich hier wohnte.Das Haus war gro und unschn: zwei Stockwerke

    und ein spitzer Zierturm in klobig nachgeahmtemJugendstil. Vor dem Gartentor parkte ein grauer BMW;ich betrachtete ihn neidisch, so einen Wagen htte ichgerne einmal gefahren. Ich strich meine Haare zurck,zog das Jackett an und betastete den Mckenstich aufmeiner Wange. Die Sonne stand schon niedrig, meinSchatten fiel schmal und lnglich vor mir auf den Rasen.Ich lutete.

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  • II

    Schritte nherten sich, ein Schlssel wurde herumge-dreht, die Tr sprang auf, und eine Frau in einer drecki-gen Schrze sah mich prfend an. Ich sagte meinenNamen, sie nickte und schlo die Tr.Gerade als ich noch einmal luten wollte, ging die

    Tr wieder auf: eine andere Frau, Mitte vierzig, grogewachsen und mager, schwarze Haare und fast asia-tisch schmale Augen. Ich sagte meinen Namen, miteiner knappen Handbewegung bedeutete sie mir, her-einzukommen. Wir haben Sie erst bermorgen erwar-tet!Ich habe es frher geschafft. Ich folgte ihr durch

    einen mbellosen Flur, an dessen Ende eine Tr offen-stand; von dort hrte ich durcheinanderredende Stim-men. Ich hoffe, das macht keine Umstnde. Ich gabihr Zeit, damit sie beteuern konnte, es mache keine, abersie tat es nicht. Das mit der Strae htten Sie mir abersagen knnen! Ich bin einen Feldweg heraufgekommen,ich htte abstrzen knnen. Sie sind die Tochter?Miriam Kaminski, sagte sie khl und ffnete eine

    andere Tr. Warten Sie bitte!Ich ging hinein. Ein Sofa und zwei Sthle, auf dem

    Fensterbrett ein Radio. An der Wand hing das lbildeiner dmmrigen Hgellandschaft; vermutlich Kamin-skis mittlere Periode, frhe fnfziger Jahre. ber derHeizung war die Wand ruig verfrbt, an ein paar Stel-len hingen Staubfden von der Decke, bewegt voneinem nicht sprbaren Luftzug. Ich wollte mich setzen,

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