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    Johannes Tauler)ca. 1300 bis 16.6.1361(

    Das Reich Gottes in uns

    Johannes Tauler)ca. 1300 bis 16.6.1361(

    Das Reich Gottes in unsGott ruft und beruft uns

    Gottsucher sind Gottgesuchte

    Der Mensch - ein Tempel GottesVom rechten BetenDer Weg nach innen

    Hilfen auf dem inneren WegHinwendung zu Gott

    Erneuerung aus dem GeisteVom gttlichen ReifenFnffache Fesselung

    Das Gesetz des Ausgleichs

    Weisheit der AbgeschiedenheitVon der Dreieinigkeit des Menschen

    Vom SeelengrundSeelengrund und Gottesgrund

    Die gttliche Dreieinigkeit im SeelengrundRechte Nachfolge

    Stete WachsamkeitLeid weist lichtwrtsFreisein von Sorgen

    uere und innere Liebe

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    Vom inneren BetenMache Dich auf und werde licht!

    Rechte MeditationEntwerden des Ich

    Vom Nicht-IchAus dem Geiste leben

    Seligkeit der Gott-VerbindungVom Wirken Gottes in unsVom Aufnehmen Christi

    Vom geistigen Genieen GottesVom Gottesgrund

    Vorbereitung der Geburt Gottes in unsVon der Himmelfahrt

    Heimkehr in GottGottes Geburt im MenschenVom Wirken aus dem Geiste

    Die sieben Gaben des GeistesFest des ewigen Lebens

    DAS REICH GOTTES IN UNS

    "Trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes und nach seinerGerechtigkeit, so wird euch alles brige zufallen." Matth. 6; 33

    Im Evangelium des Matthus werden wir mit dem Hinweis auf dasBeispiel der Lilien und der Vgel zum Nichtsorgen ermahnt:Sorget nicht, was ihr essen und trinken und womit ihr euchkleiden werdet; denn Gott wei, da ihr des alles bedrfet.

    Sondern trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes; dann werdeneuch diese Dinge hinzugegeben.

    Niemand - heit es vorher - kann zwei Herren dienen: Gott undden ueren Dingen. Wenn er den einen liebt, wird er den

    anderen lassen. Und die Vergeblichkeit allen Sorgens wird mit den

    Worten angedeutet: Wer kann mit all seinem Sorgen seinemLeibe oder Leben mehr Lnge geben?

    Besinnen wir uns, wie viel Kraft und Zeit, Arbeit, Flei undHingabe wir Tag fr Tag dem widmen, das dem Ich dient, und wie

    wenig dem, das zu Gott fhrt; wie wenig wir Gott, der doch allesvermag und wirkt, zutrauen, sondern lieber uns sorgen undabmhen, als ob dieses Dasein von uns abhnge und ewig

    dauere.. .

    Das alles kommt aus dem Ich .

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    She man da recht hinein und hindurch, man wrde darbererschrecken, wie sehr der Mensch in allen Dingen und den

    anderen Menschen gegenber nur das Seine sucht - in Gedanken,Worten und Werken immer nur das Seine, sei es Lust oder

    Nutzen, Ehre oder Dienst -, immer nur fr sich, sein Ich.Diese Ichverhaftung und Ichsucht ist so tief eingewurzelt, danicht nur der uere, sondern auch der innere Mensch ganz aufdie irdischen Dinge gerichtet ist - gerade wie das krumme Weib,von dem das Evangelium spricht, das ganz zur Erde gebckt war

    und nicht mehr aufsehen konnte.. .

    Armer Mensch - warum traust Du Gott, der Dir so viel Gutesgetan, Dir so viele Gaben verliehen hat und der Dein Leben ist,

    nicht zu, da er Dir auch das bichen, das Du zum Leben

    brauchst, geben werde? Ist es nicht ein trauriger Anblick, zusehen, da selbst geistige und geistliche Menschen all ihre Liebeund all ihren Flei nur auf ihr Werk richten und so sehr sich, ihr

    Ich, meinen, da sie kaum noch an Gott denken und wenigVerlangen fhlen, sich mit ewigen Dingen zu befassen, wenn nur

    die irdischen Dinge, die sie bewegen, gut vonstatten gehen.. .

    Fr sie gilt das Wort doppelt, da man nicht zwei Herren dienenkann - Gott und den ueren Dingen -, sondern da es gilt, zuerst

    und vor allem nach dem Reiche Gottes zu trachten.

    Petrus mahnt uns mit Recht: Werfet alle eure Sorgen auf Gott,denn er sorgt fr euch.

    Denn das Sorgen um uere Dinge bewirkt dreifachen Schadenim Menschen:

    es blendet Verstand und Vernunft,

    es lscht das Feuer der Liebe aus und

    es verbaut den Weg nach innen, der zu Gott fhrt, zum ReicheGottes, das inwendig in uns ist.

    Darum gilt es, sorgsam darauf zu achten, wohin unser Denkenund Streben gerichtet ist, womit wir umgehen, solange wir in der

    Zeit wirken, also auf das Woher und Wohin unserer Neigungenund Gewohnheiten. Denn wenn einer ein oder zwei Jahre in einem

    Fehler beharrt, wurzelt dieser bereits so tief in ihm, da er ihnkaum noch zu berwinden vermag. Noch besser ist es darum,

    darauf zu achten, da kein Fehler im Gemt Wurzel schlgt,sondern sogleich ausgemerzt wird. Das ist am Anfang leicht.

    Das Wichtigste ist, da man der Lust an ueren, sinnenhaften

    Dingen Einhalt gebietet. Denn solange das Denken und Trachtennach auen gerichtet ist, bleibt man allen ueren Lockungen und

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    Ablenkungen geffnet und gelangt nicht nach innen, findet nichtzu sich selbst. Der innere Grund bleibt einem dann verschlossenwie etwas, das unendlich fern ist. Man ist sich selber fremd, und

    Ziel und Sinn des Lebens sind ungewi...

    Aber auch die Lust an geistigen Gaben und Werten gilt es zuberwinden. Diese Lust herrscht in vielen Menschen, die von ihrmehr angezogen werden als von Gott. Sie nehmen diese Lust fr

    Gott; und wenn sie ihnen genommen wird, vergeht auch ihr guterWille.

    Oft scheint etwas aus gttlicher Liebe zu kommen, und ist dochnur ein Reiz fr den ueren Menschen und eine Lockung fr das

    Ich. Hier gilt es zu erkennen: Wo man nicht Gott im Sinne hat,sondern irgendein anderes, mag es noch so hoch scheinen, da ist

    man noch fern der Wahrheit und dem Reiche Gottes.Dieses Reich mu man da suchen und finden, wo es verborgenist: im Grunde der Seele. Dazu gehrt freilich mancher Kampf;und es wird nicht gefunden, solange nicht aus dem sorgenden

    Haften und Hngen am ueren gelassenes Lassen geworden ist.

    Wie die ueren Gter mssen auch die inneren durch Liebe undbeharrliche Hingabe gewonnen werden. Und das wird nicht an

    einem Tage erreicht. Denn die Neigung, da der Mensch in allem,was er tut, das Seine sucht, wurzelt tief in seiner Natur; und diese

    Neigung geht so weit, da, wenn er sich Gott zuwendet, er zuerstetwas von ihm haben will: Trost oder Wohlgefhl, Befreiung vondiesem oder jenem, Erleuchtung oder andere Gaben. Und auch

    das Reich Gottes will er zuerst haben.

    Darum gilt es zu erkennen, da zuvor an die Stelle desHabenwollens das Lassen treten mu; dann erst wird uns das

    Reich Gottes zuteil - und alles brige dazu.

    Hten wir uns also vor dem ichhaften Streben, selbst geistigebungen und die Hinwendung zu Gott nur um der erhofften

    Gaben und Gewinne willen vorzunehmen! Denn Gott und seinReich verbirgt sich uns, solange wir ihn um solcher Dinge willen

    suchen. Wir sollen Gott suchen und nach seinem Reiche trachtenund nach nichts sonst.

    Das heit: wir sollen uns statt nach auen wirklich und gnzlichnach innen wenden, uns in den Grund unserer Seele einsenken

    und das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit dort suchen. Darumbitten wir doch im Vaterunser, da sein Reich komme. Aber die

    meisten sind sich nicht bewut, worum sie damit bitten. Gott ist

    sein eigenes Reich. Aus diesem Reich kommt alles, was Lebenhat, und alles strebt dorthin.

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    Das ist das Reich, um das wir bitten: Gott selbst in all seinemReichtum. Hier ist Gott unser Vater. Und dadurch, da er seineWohn- und Wirkstatt in unserer Seele bereitet findet, wird sein

    Name geheiligt: das ist sein Geheiligwerden in uns, da er in uns

    walten und wirken kann. Da geschieht sein Wille in uns, iminneren Leben, im Himmel, wie auer uns, im ueren Leben, inunserem irdischen Dasein.

    Damit das geschehe, mssen wir uns lassen, uns in rechterGelassenheit dem gttlichen Willen berlassen und der Kraft

    Gottes in uns, die alles vermag, rckhaltlos vertrauen. Wirmssen statt unserer eigenen seine Gerechtigkeit suchen, diedarin besteht, da er in und bei denen bleibt, die ihn innerlich

    suchen, nur ihn im Sinne haben und sich Ihm lassen undhingeben. In solchen Menschen herrscht und wirkt Gott. Von

    ihnen fllt alles uere Sorgen ab.

    Das heit nicht, da man Gott versuchen soll. Man soll weiterhinseine Aufgaben im ueren Leben mit Sorgfalt, Vorsicht und Fleierfllen, wie es sich, auch dem Nchsten gegenber, gebhrt - im

    Geiste liebender gegenseitiger Dienstleistung. Und man soll inallen ueren Dingen Ordnung und Weisheit walten lassen, alles,

    was man tut, bewut und gewissenhaft tun und sein Bestesgeben. Aber bei alledem soll man auf Gott blicken, nicht an den

    Dingen hngen und alles Sorgen Gott berlassen.

    Denn alles, was der Mensch tut oder lt, ob er schafft oder ruht:wenn er dabei nicht Gott im Sinne hat, bleibt es fruchtlos. Solangeer irgend einer Weise folgt, entfernt er sich von Gott, der weiselosist. Denn hinter jeder Weise steht das Ich; hinter dem Lassen und

    Entsinken in den innersten Grund, im Entwerden des Ich, stehtGott.

    Darum sagt Dionysius mit Recht: Man halte sich nicht an das Ich,sondern an das ,Nicht': man wolle nicht, erkenne nicht, begehre

    nicht, suche nicht, sei nicht, sondern lasse sich und alle Dinge undgebe sich gnzlich hin. Dann gelangt man aus allen Weisen ins

    Weiselose, aus dem Wesen ins berwesentliche, aus allemErkennbaren ins Unerkennbare, aus dem Ich zum gttlichen Nicht-

    Ich.

    In diesem unerkannten Gott suche Deinen Frieden und trachtedabei weder nach Empfindung noch nach Erleuchtung. Entsinke

    vllig in Dein lauteres Nichts, das in Wahrheit Dein Selbst ist. Undhalte Dich an nichts, was Dir einleuchtet oder Dich erleuchtet,

    sondern lasse auch das; halte Dich unten und entsinke weiter imNichtwollen und Nichtich - immer weiter in die Tiefen der Gottheit.

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    Das meint das gttliche Wort, das der Prophet Hesekiel vernahm:"Die da in das Allerheiligste eingehen, sollen kein Erbe haben,

    sondern Ich selber will ihr Erbe sein." Das gilt fr alle, die in dieVerborgenheit Gottes eingehen wollen: die sollen kein Erbe mit

    sich nehmen, sondern ihr Erbe und ihre Habe soll allein dasweiselose, namenlose Wesen Gottes sein. Zu nichts anderemsollen sie sich neigen als in das Nicht-Sein.

    Als Gott alle Dinge erschuf, hatte er nichts vor sich als das Nichts.Er machte kein Ding aus Etwas, sondern schuf alles aus dem

    Nichts. Wo er wirken soll, bedarf er dazu nichts als des Nichts.Willst Du darum ohne Unterla empfnglich sein fr Gottes

    Wirken, so entsinke aus Deiner Ichheit in Dein Nichts; denn DeinEtwas-Sein, Deine Ichhaftigkeit hindert Gott, in Dir zu wirken und

    sich durch Dich zu offenbaren. Das ist der Sinn des Wortes: Jeniedriger, desto hher; je weniger, desto mehr! Gott will den aller

    Ichheit entkleideten innersten Menschen haben. Darum lerne,Dich zu lassen, Deinen Seelengrund frei zu halten vom Haften und

    Hngen an Vergnglichem. Werde leer von allem, was nicht Gottist. Denn Gott will Dich allein und ganz.

    Wenn Du eine Wunde hast, in der etwas Bses wuchert, lt DuDich, auch wenn es schmerzt, schneiden, damit nicht greres

    Unheil entstehe. So auch sollst Du alles, was an Schickungen berDich kommt, mit denen Gott Dich heimsucht und zu sich zieht,

    willig hinnehmen als etwas, das Dir hilft, das Bse und Unheilvolleaus Dir zu entfernen, damit Dein innerstes Wesen ganz rein und

    heil und gnzlich von Gott erfllt werde.

    Lerne, in diesem Sinne ein in Gott gelassener Mensch zu werden,der, mag geschehen, was will, ohne Furcht und Sorge im Frieden

    Gottes ruht, sich gnzlich Gott berlt und ihn machen lt.Dann gehst Du aus Deiner Ichheit heraus und in die Gottheit ein.

    Und dann geschieht der Wille Gottes auf Erden wie im Himmel,auen wie innen; denn dann bist Du selbst Gottes Reich, und Gott

    herrscht in Dir und wirkt durch Dich.

    Das Reich Gottes ist inwendig in uns, im Innersten desSeelengrundes:

    Wenn wir mit allen Krften den ueren Menschen in den innerenhineinziehen und der innere Mensch sich vllig hineinsenkt in

    seinen innersten Mittelpunkt und Seelengrund, in dieVerborgenheit des gttlichen Selbstes, in dem das wahre Bild

    Gottes liegt, und wenn sich dieses dann gnzlich in den gttlichenAbgrund schwingt, in dem der Mensch ewig in seiner

    Ungeschaffenheit war - alsdann, wenn Gott den Menschen so in

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    vlliger Entwordenheit und Hingabe sich gnzlich zugewendetund seinen Seelengrund aufgeschlossen findet, neigt sich derGottesgrund ihm zu und ergiet sich in den ihm offenen und

    gelassenen Seelengrund, berformt den geschaffenen

    Seelengrund mit der Flle seines Lichts und zieht ihn durch dieseberformung in die Ungeschaffenheit des Gottgrundes, so dader Geist ganz mit ihm eins wird.

    Knnte der Mensch sich hierin wahrnehmen, er she sich so edel,da er glauben wrde, Gott zu sein; er wrde sich als

    hunderttausendmal edler erkennen, als er aus sich selbst ist. Erwrde hier aller Gedanken und Gesinnungen, Worte und Werke,

    alles Wissens seiner selbst und aller Menschen inne; alles, was jegeschah, wrde er da von Grund aus erkennen, wenn er in diesesReich gelangt. Und in dieser Rckkehr zu seinem ursprnglichen

    Adel wrde alles Ungewisein und Sorgen fr immer von ihmabfallen.

    Das ist das Reich Gottes in uns, nach dem wir zuerst und vorallem suchen und trachten sollen, und die gttliche Gerechtigkeit,

    die wir dann suchen und finden, wenn wir in allen Schickungenund in allen Werken Gott als einziges Ziel unserer Gesinnung im

    Auge haben und ihm allein vertrauen.

    Hierauf zielt Paulus mit seinem Rat, sorgfltig "die Einigkeit des

    Geistes im Band des Friedens zu wahren." Denn in diesemFrieden, den man im Geiste und im innersten Seelengrund findet,empfngt man ja alles: das Reich und die Gerechtigkeit. Wer umdas Einssein seines Geistes mit Gott wei, der ist in allen Weisenund Werken und an allen Orten im Frieden Gottes. Ihm wird alles

    zur Erfahrung der Gegenwart Gottes in ihm.

    Diese Gewiheit gilt es hier und jetzt zu gewinnen. Denn wieAugustinus sagt: Nichts ist so gewi wie der Tod und nichts so

    ungewi wie die Stunde des Todes; darum ist es ntig, ohneUnterla bereit zu sein und vom Whnen zum Wissen und

    Gewisein zu gelangen. Dazu leben wir hier in der Zeitlichkeit -nicht um der Werke willen, sondern um Gottes und seines Reichesin uns gewi zu werden. Denn aus diesem Wissen erst entspringt

    das rechte Werk.

    Je gewisser uns Gottes Gegenwart wird, je inniger unser Gemtauf Gott gerichtet und von ihm erfllt ist, desto friedevoller und

    gelassener wird unser Tun, desto weniger knnen uns dieueren Dinge beirren und verwirren; denn dann ist nichts mehr

    in unserem Seelengrunde als Gott. Und wenn Gott Grund, Ursacheund Ziel aller Dinge und Werke ist, sind wir mit uns selbst und mit

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    allem in Frieden und ruhen mit unserem Seelengrund imGottesgrund.

    Da wir dazu gelangen und das Reich Gottes in uns finden, dazuhelfe uns Gott!

    GOTT RUFT UND BERUFT UNS

    "Ich, der in Gott Gebundene, bitte euch, wrdig zu wandeln in derBerufung, zu der ihr berufen seid, und die Einheit im Geiste zu

    wahren." Eph. 4; 1 f.

    In den Worten, mit denen Paulus uns bittet, unserer Berufung zufolgen, sind vier Dinge zu beachten:

    Das erste ist: Wer uns hier ruft und beruft.

    Das zweite: Wozu er uns ruft, wohin er uns haben will.

    Das dritte: Welches sein Ruf ist und wann er uns ruft.

    Und das vierte: Wie man dem Rufe wrdig folgt.

    Nun zum ersten: Wer uns ruft, das ist Gott, und er ruft uns mitallem, was er ist, hat und vermag. Er ruft und ldt uns zu sich:

    seine Gte, Liebe und Weisheit ldt und leitet uns zu ihm und inihn.

    In Wahrheit: Gott hat Verlangen nach uns, als ob seine Seligkeit in

    uns liege. Was immer seine Liebe und Weisheit im Himmel undauf Erden schufen, das geschah nur, da er uns damit in unserenUrsprung zurckrufe, und da wir heimkehren in sein Reich, das

    auf uns wartet.

    Das zweite ist: Wozu er uns ruft. Er ruft uns zu seinem Sohn,damit wir uns als seine Brder erkennen und als Miterben des

    Reiches. Er ruft uns, Christi Vorbild zu folgen; denn er ist der Weg,den wir gehen sollen, die Wahrheit, die uns leuchten soll, und das

    Leben, das unser Ziel sein soll.

    Das dritte: Welches der Ruf sei und wann er ruft. Der Ruf, mitdem Gott uns zu sich lockt, ist mannigfacher Art: innerlich, im

    Seelengrund, ruft Gott uns ohne Unterla, und ebenso im innerenMenschen Tag und Nacht, und uerlich mit allen Schickungen,die er uns zuteil werden lt, seien sie freudvoll oder leidvoll. In

    alledem ruft er uns.

    Wrden wir das erkennen und seinem Rufe folgen, bedrfte esoftmals nicht der drngenden Stimme in Gestalt leidvoller

    Schickungen.. .

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    Und das vierte: Wie wir dem Rufe wrdig folgen. Das geschiehteben durch Geduld und Hrbereitschaft, Sanftmut und gelassene

    Hingabe an seinen Ruf und seinen Willen.

    Damit erhebt sich die weitere Frage: Wen ruft Gott. Dreierlei

    Menschen ruft er: zunchst die Anfnger im Leben aus demGeiste, dann die Fortgeschrittenen und schlielich dieVollkommenen. Die einen werden auf die untere Stufe, die

    anderen auf die zweite Stufe und die letzteren auf die obersteStufe der Vollkommenheit gerufen.

    Das mge niemand miverstehen; denn wen Gott auch immerruft und auf welche Stufe er ihn beruft: wir sollen alle Christus

    gleichfrmig und vollkommene Kinder Gottes werden.

    Nun sagen zwar manche, Gott sei ihnen ber alles lieb. Aber in

    Wahrheit wollen sie die Dinge und Wesen nicht lassen, an denensie weit fester hngen als an Gott. Sie suchen in ihnen mehr Lust

    und Befriedigung als in Gott. Das sind die Ungelassenen. Wennsie das einsehen und lernen, Gott ber alles zu lieben und ihreNchsten wie sich selbst, haben sie die unterste Stufe erreicht,auf der sie dem Rufe Gottes folgen, und sind auf dem Wege, zu

    Gott zu kommen und von ihm berufen zu werden.

    Nun gibt es eine zweite Stufe, die hher ist; und jene, die auf ihrdem Ruf und Rat Gottes folgen, gelangen wesentlich weiter. Sie

    horchen auf die Stimme Gottes und gehen den Weg, den Gott sieweist, der ihrer gttlichen Berufung gem ist.

    Um den Rat Gottes zu vernehmen und seine Berufung zuerkennen, mu man sich oft nach innen wenden und schweigendnach innen lauschen. Aber wie wenige wenden sich einwrts und

    vernehmen den Ruf! Heute wollen sie dies, morgen tun sie jenes -je nach den Anrufen und Anreizen, die von auen kommen oder

    nach dem, was ihnen gerade in den Sinn kommt. Und so eilen siehierhin und dorthin und kommen von dem Wege ab, zu dem sie

    gerufen sind.. ....Darum die Mahnung, oft in uns selbst einzukehren und immer

    wieder zu prfen, womit wir umgehen und wohin wir gehen, dawir nicht von uns selber abkommen und den Weg verfehlen, zu

    dem wir berufen sind.

    Nur dann gelangen wir auf die obere Stufe und den hchsten Wegder Berufung, auf dem wir Christus nachfolgen, uerlich und

    innerlich, wirkend und lassend, bildlich und bildlos. Wer ihmnachfolgt und damit aus seiner Ichheit heraustritt, der erreicht

    das hchste Ziel.

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    Aber wie viele nennen sich Christen und sind doch keineNachfolger Christi. Von ihnen spricht Lukas in seinem Evangelium

    (14; 16 f.), wenn er von dem Herrn berichtet, der ein groesAbendmahl richtete und seine Diener zu den Geladenen

    sandte: ,Kommt, denn es ist alles bereit!' - Aber wie wenigekamen? Der eine hatte gerade einen Acker erworben und warunabkmmlich; der andere hatte einen Ochsen gekauft; der dritte

    hatte geheiratet und konnte deshalb der Einladung keine Folgeleisten.. .

    Von dieser Einladung sagt Gregorius, sie sei erstens ein Ruf zuminwendigen und unmittelbaren Erkennen des Seelengrundes, indem das Reich Gottes ist, und zum Fhlen und Miterleben, mit

    welcher Liebe Gott da wohnt und wirkt. Zweitens sei sie ein Rufzum heiligen Sakrament Christi. Und drittens sei sie eine

    Einladung zum Eintritt in das ewige Leben.

    Wer nun der ersten Einladung folgen will, der achte darauf, wannimmer er gerufen wird. Die Meister sagen mit Recht: Wer nicht in

    gewisser Weise einen Vorgeschmack hiervon hat, daraufeingestellt, dafr aufgeschlossen und hrbereit ist, der wird den

    Ruf berhren und die Einladung versumen.

    Nun werden sich allerdings manche guten Menschen ihr Lebenlang nicht bewut, eingeladen zu sein. Und doch sind sie dem

    Reiche Gottes in ihnen nher als jene, die den Ruf vernahmen,der Einladung bewut wurden, ihr aber wegen des Haftens anueren Dingen nicht zu ihrer Stunde folgten.. .

    ...Es gibt manche, die sich durch die ihnen gewordenenOffenbarungen und Erleuchtungen als Berufene und Eingeladeneausweisen, davon aber nicht den rechten Gebrauch machten und

    so nur bis zum Eingang des Reiches Gottes gelangen, jedoch nichteintreten und bewirtet werden. Denn Gott mit jedes Menschen

    Bereitschaft nach dem Mae seiner Liebe.. Wer in den Grundeinkehren und in das Reich Gottes eintreten will, der mu sein

    Herz und seine Liebe von allem gelst haben, das nicht Gott istoder nicht von Gott kommt.

    Die zweite Einladung ist das Sakrament Christi, von dem spter zusprechen sein wird. Auch dazu werden wir alle Tage gerufen und

    eingeladen, Gott wie Speise und Trank in uns aufzunehmen,damit er wie diese in uns aufgehen kann und wir dabei ganz in ihn

    verwandelt werden. Wir knnen von diesem Sakrament und derdadurch bewirkten Wandlung nie genug begehren und knnenuns nicht oft genug nach innen wenden und uns an das Lassen

    und Hingeben unserer selbst gewhnen. Und wir knnen uns nicht

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    oft genug der Andacht und Meditation berlassen und, stattueren Dingen nachzusinnen und nachzujagen, uns selbst auf

    den Grund gehen, uns auf das Reich Gottes in uns besinnen unduns ihm aufschlieen.

    Dazu aber mssen wir zuvor ,aus gypten ausgefahren sein', alsodas Reich der Finsternis verlassen haben, das Hngen amueren, wenn uns das Brot, das vom Himmel kommt, mundenund bekommen soll, von dem es heit: "Wer dies Brot isset, der

    wird leben in Ewigkeit".

    Dies Brot ward den von Gott Auserwhlten nicht zuteil, solangesie noch von dem Mehl zehrten, das sie aus gypten mitgebracht

    hatten, das heit: solange ihnen noch die ueren Dinge Genubereiteten und sie an diese hingegeben waren. ..Erst wenn der

    Mensch nicht mehr aus den Sinnen lebt, sondern aus dem Geistezu leben gelernt hat, wird ihm die gttliche Speise gereicht undder Hunger seiner Seele wird gestillt.

    Wohl denen darum, die auf den inneren Ruf achten, auch derzweiten Einladung folgen und in den Genu der gttlichen

    Nahrung kommen, damit sie nicht in den Tod fallen, d. h. in dieLiebe zu den geschaffenen Dingen zurckfallen und damit ihres

    Adels, Erben des Reiches Gottes zu sein, verlustig gehen.

    Denn so handeln viele der Gerufenen und Geladenen, deren

    Glaube klein und deren Hingabe gering ist: wenn der Ruf ergeht,nahen ihnen Zweifel und Anfechtungen. Sie denken: "Wozu mich

    ins Ungewisse wagen; es ist doch wohl besser, wenn ich in derWelt bleibe und sie, die Kreaturen und Gter der Welt, die ich

    habe, geniee, als wenn ich all das lasse".

    So bleibt mancher an der Schwelle des Reiches Gottes stehen undkehrt wieder um, weil er Gott nicht vertraut. Wer aber nicht ander Schwelle zurckblickt, sondern eintritt, der folgt damit derdritten Einladung und tritt in das Reich des ewigen Lebens ein.

    Hieran mge nun jeder ermessen, wie nah oder fern er Christusist. Er mu Ihm innerlich folgen und Ihn in sich suchen, wo Er im

    Grunde wesentlich und wirklich lebt. Er mu sich immer aufs neuein sich selber einsenken und in Stille und Schweigen ohne alle

    Werke und Bilder die Einheit im Geiste wahren, auf da, wiePaulus hierzu weiter sagt, ein Leib und ein Geist sei, ein Vater undein Gott in der berformung des geschaffenen Geistes durch den

    unerschaffenen Geist, nach der nicht mehr zwei sind, sondern nurnoch einer.

    Von da an gilt es, "wrdig in dieser Berufung zu wandeln", ausdem Geiste der Einheit zu leben. Und das heit: uerlich die

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    Eigenheit eines jeden zu achten, innerlich aber auf die Einheit inChristo achtzuhaben.

    Es bedeutet, da der Mensch, der die obere Stufe erreicht hat,sich zuweilen in dienstwilligen Liebeswerken bt, soweit es nottut

    und ihm zukommt, zu anderen Zeiten sich dem heimlich entziehtund sich in Gebet und Versenkung ganz nach innen wendet, undwieder zu anderen Zeiten keines von beiden tut, sondern dem Rat

    des Heiligen Anselmus folgt: "Entziehe dich der Mannigfaltigkeituerer Werke, entschlafe dem Bildermeer der Gedanken und

    sitze und ruhe und erhebe dich selbst ber dich selbst"!

    Denn wenn der Mensch gnzlich zu friedevoller Stille gewordenund alle Unruhe verklungen ist, dann kommt Gott in einem

    sanften stillen Wehen und Wispern und richtet seinen Blick in den

    Geist. Und wenn der Geist der Gegenwart Gottes inne wird,geschieht es ihm zuerst wie Elias, der ob des strahlenden Lichtsder gttlichen Gegenwart sein Haupt verhllte. Das heit: der

    Mensch entgleitet sich selbst, verliert seine Ichheit und entsinktallen Dingen und Kreaturen in sein lauteres Nichts.

    Wenn Gott sieht, da die Seele so gnzlich aus sich selbstherausgetreten ist in ihr Nichtsein, dann umfngt er sie mit der

    Kraft seiner Liebe und richtet sie auf. Diese Erhebung ist die Folgeder Erniedrigung. Aus der Nichtheit entspringt als Frucht der

    Einheit die Allheit.Da wir dieses gttlichen Rufes und unserer Berufung innewerden

    und das hohe Ziel erreichen, dazu helfe uns Gott!

    GOTTSUCHER SIND GOTT GESUCHTE

    Welches Weib ist, die zehn Groschen hat, von denen sie einenverlor, die nicht ein Licht anzndet, das Haus umkehrt und mit

    Flei sucht, bis sie ihn findet." Luk. 15; 8

    Dieses Gleichnis will - wie alle Gleichnisse - nicht uerlich undwrtlich, sondern innerlich und geistig verstanden werden:

    Die Frau ist die Gottheit. Das Licht, das sie entzndet, ist dasinnere Licht im Menschen. Der Groschen ist die Seele.

    Drei Eigenschaften hat der Groschen: sein Gewicht, seine Materie,die aus Gold oder Silber besteht, und seine Prgung, d. h. sein

    Bild.

    Das Gewichtder Seele ist unwgbar: sie wiegt mehr als Himmelund Erde und alles, was darin beschlossen ist. Denn Gott ist in ihr;

    darum wiegt sie soviel wie Gott.

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    Ihre Materie ist das Gold der gttlichen Wesenheit, die in sieeingesenkt ist, die sich mit der berwesentlichkeit ihrer gttlichen

    Liebe in den Geist, sich selbst, versenkt und ihn ganz mit sichverbunden, verschmolzen, vereint hat.

    Um das zu erkennen und den verlorenen Schatz zu finden, mutDu einen anderen Weg gehen als jene, die der uere Menschgeht, mgen es auch die edelsten Wege geistiger bung sein.

    Und welchen?

    Die Frau "entzndete ein Licht und kehrte das Haus um." Was hierentzndet wird, ist das Licht der ewigen Gottesweisheit. Und was

    sie entzndet, ist die Liebe.

    Sie mu das Licht zur Entflammung und zum Brennen bringen.

    Aber wie wenige wissen, was Liebe ist! Liebe ist nicht sinnlichesWohlgefhl und Wollust des Besitzes, sondern Liebe ist jenes

    unstillbare brennende Verlangen nach vlliger Hingabe seinerselbst, nach willigem Lassen und gelassenem Gott-Wirkens-

    Lassen: das ist es, wodurch das Licht entzndet wird.

    Und nun kehrt sie das Haus gnzlich um und sucht den gldenenGroschen. Wie geschieht dies Suchen? Es ist sowohl ein Tun wie

    ein Lassen.

    Das ttige Suchen findet statt, wenn der Mensch sucht, im

    lassenden Suchen wird er gesucht.Das ttige Suchen ist wiederum zweifach: uerlich und innerlich.Das uere Gottsuchen besteht in guten Werken und geistigenbungen, in Gewhnung an Sanftmut, Stille, Gelassenheit und

    alle anderen Tugenden, die man durch bung mehren kann.

    All das ist gut; aber hoch ber dem steht das innere Suchen: esist so hoch ber allem ueren Suchen wie der Himmel ber der

    Erde, und ihm ganz ungleich. Es besteht darin, da der Mensch inseinen eigenen Seelengrund eingeht, in sein Allerinnerstes, und

    dort Gott sucht gem dem Worte Jesu Christi: "Das Reich Gottesist inwendig in euch".

    Wer dieses innere Reim finden will - und das ist Gott mit allseinem Reichtum und seinem selbsteigenen Wesen -, der mu es

    da Suchen, wo es ist, nmlich im innersten Grunde seinesWesens, wo Gott der Seele weit nher und inwendiger ist, als sie

    sich selber ist.

    Dieser innerste Seelen- und Gottesgrund mu gesucht undgefunden werden. In diese Wohnstatt Gottes mu der Mensch

    eingehen und entsinken und sich allem, was sinnenhaft ist undseinem ueren Menschen zugehrt, allem, was an Bildern und

  • 8/9/2019 Johannes Tauler

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    Formen mit den Sinnen erfat wird, ebenso entziehen wie allem,was Phantasie und Vernunft innerlich an Bildern und Zielen

    gestalten.

    Wenn der Mensch in diesen Grund gelangt und Gott da sucht,

    wird, das Haus umgekehrt', und alsdann sucht nicht mehr er Gott,sondern Gott sucht ihn. So geschieht es diesem Menschen: wenner in diese Wohnsttte Gottes kommt und hier, im Seelengrund

    sucht, kommt Gott und sucht den Menschen und kehrt das Hausgnzlich um.. .

    Nun will ich etwas aussprechen, was nicht jeder versteht, auchwenn ich deutsch spreche. Einleuchten wird es nur dem, der

    schon vom inneren Licht berhrt ward:

    Das suchende Hineinsehen besteht nicht darin, da man zuweilen

    hineingeht und dann wieder herausgeht und sich wieder mit denKreaturen und der Welt zu schaffen macht. Sondern die rechte

    Einkehr und innere Umkehr, bei der aus dem Gottsucher einGottgesuchter wird, besteht eben darin, da, wenn der Mensch in

    dieses Haus, in den inwendigen Grund kommt, ihm alles, wasnicht Gott ist, gnzlich genommen und sein Innerstes so vllig

    umgekehrt und umgewandelt wird, wie er es noch nie erlebt hat,und zwar wieder und wieder. Alle Weisen und alle Lichter, alles,

    was der Mensch je erfahren und erkannt hat, wird in diesem

    Suchen gnzlich umgekehrt.In dieser Umkehrung und Umwandlung wird der Mensch, wenn er

    sich ihr gnzlich lt, berlt und hingibt, unaussprechlich vielweiter gefhrt als mit allen Werken, Weisen und bungen, die je

    erdacht wurden. Wer sich hier vllig lt, dem wird so licht undleicht, da, wenn er will, er in jedem Augenblick einkehren und

    sich ber alle Natur hinausschwingen kann.

    Diese Natur aber ist dem Menschen beraus anhnglich und willimmer etwas, daran sie haften und hngen und ihre Sttze haben

    kann. Sie bewirkt, da die meisten Menschen ungelassen sind,weil sie an ihrem Ich und an den Dingen haften, weder das einenoch das andere lassen wollen, so da es mancherlei Leiden

    bedarf, damit sie lassen lernen.. .

    ...Die gelassenen Menschen hingegen entsinken und entwerdenallem, woran die Natur sich halten mchte, und dringen ohne

    Anhaften und Anhalten und ohne sich auf irgend etwas zusttzen, in den Grund und halten sich dabei gnzlich gelassen und

    leer, so da Gott einziehen und die Wandlung vollziehen mu.

    Wer in solcher Weise einkehrt und sich innerlich umkehren lt,der berschreitet damit alle Werke und Weisen der Welt. Dies

  • 8/9/2019 Johannes Tauler

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    meint Christi Wort: "Wer zu mir kommen will, der verzichte aufsich selbst und wende sich ganz zu mir"!

    So mu der Mensch sich lassen und sich allem Festhalten an dementziehen, was ihn am wahren Fortschritt und Aufstieg hindert.

    Die Ungelassenen geraten indes in groe Anfechtungen undZweifel. Sie fhlen sich verlassen, weil sie sich nicht zu lassen

    vermgen, meinen, es sei alles verloren, geraten in wachsendeFurcht und jammern: "Herr, ich bin allen Lichts und aller Gaben

    beraubt." Das endet erst, wenn sie zum Lassen finden, nur nochGott suchen und sich von Gott suchen und finden lassen. .. Dann

    werden sie von Gott liebreich ber alle Dinge gefhrt.

    Eingangs sagten wir vom Groschen, da er sein Gewicht, seineSchwere haben msse. Das heit: die Seele mu infolge ihrer

    Gott-Gewichtigkeit immer wieder von selbst in den Grund fallenund entsinken, soweit sie da herausgefallen ist: in all der Reinheit

    und Lauterkeit, wie sie aus dem Lichtgrund ausgeflossen ist.

    Und schlielich mu der Groschen seine Prgung haben, sein Bild:die Seele mu nicht nur nach dem Bilde Gottes gebildet sein,

    sondern sie mu geradezu dasselbe Bild sein, das Gott selbst inseinem eigenen gttlichen Wesen ist.

    Denn in diesem Bilde liebt Gott, sucht Gott, erkennt und hat Gottsich selbst. Gott liebt und lebt und wirkt in ihm.

    Hierin wird die Seele vllig gottebenbildlich, gottfrmig, gottartig;sie ist all das von Gnaden, was Gott von Natur ist: in dem

    Hineinsinken in Gott, in der Vereinigung mit Gott wird sie bersich selbst hinaus in Gott zurck genommen. Und so vllig einsund gottfrmig ist sie da, da, wenn sie da sich selbst erblicken

    knnte, sie keinen Unterschied she zwischen Gott und sich. Oderwer sie so erblickt, der she sie in der gleichen Farbe und Weise

    wie Gott und wre selig in diesem Schauen; denn Gott und dieSeele sind in dieser Vereinigung vllig eins.

    Selig jene, die in solcher Weise Gott suchen und sich von Gottfinden lassen, da Gott sie in den Seelen- und Gottesgrund

    hinabzieht und sich1 ihnen in unaussprechlicher Weise eint! Dasgeht ber alles hinaus, was sich mit Worten aussagen lt.

    Da wir alle diesen Weg gehen, dazu helfe uns Gott!

    DER MENSCH - EIN TEMPEL GOTTES

  • 8/9/2019 Johannes Tauler

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    ..Er ging in den Tempel und fing an, auszutreiben, die darinverkauften und kauften. Und sprach: Mein Haus ist ein Bethaus."

    Luk. 19; 45 f.

    Mit seinem Wort Mein Haus ist ein Bethaus" lehrte Christus die

    Seinen, die Kinder Gottes, was sie zu tun haben, damit ihr innererMensch eine Sttte der Hingabe an Gott sei; denn der Mensch istseinem Wesen nach ein Tempel Gottes.

    Damit unser innerster Seelengrund eine wrdige Heimstatt Gottessei, mssen zuerst die Hndler und Kufer hinausgetrieben

    werden, nmlich der Ungeist der Eigensucht und desHabenwollens, des Trachtens und Gierens nach ueren Gtern,und alles, was dem Eigenwillen des Ich dient. Dann, wenn alles,

    was nicht Gottes ist, was Gott ungem und ungleich ist,

    hinausgetrieben ist, wird die Seele wieder das, was sie ihremWesen nach ist: ein Tempel Gottes, in dem Gott in Wahrheitwohnt.

    Wer sind jene, die im Tempel verkaufen und kaufen? Es sind die,die ihre Liebe und Befriedigung in den Kreaturen und Dingen

    finden, jene, die, ehe sie einmal an Gott denken, vierzigmal vonueren Dingen trumen und so ihren inneren Menschen ganz

    nach auen ziehen und den Tempel Gottes entweihen.

    Denn daran ist kein Zweifel: Wer will, da Gott in ihm wohne und

    wirke, der mu alle Hindernisse, alles, was nicht seine Ursache inGott hat oder zu Gott hinfhrt, aus sich entlassen. Er mu sich

    darin ben, immer wieder von den Dingen weg und auf Gott hinzu blicken, bis ihm Gott lieber ist als alle Dinge... Dann erst ist der

    Tempel gereinigt, wenn alle Kreaturen und alle Befriedigungdurch sie ausgemerzt sind derart, da wir sie weder willentlich

    noch aus Neigung in uns aufnehmen und behalten.

    Alsdann sind wir wahre Kinder Gottes, also solche, die Gottwesentlich und gegenwrtig und wirkend in sich wissen - in ihrem

    innersten Seelengrund.Die dessen ungewi sind, die haben nur einen gedachten und

    gemachten Gott. Ihnen entgeht die lebendige Gegenwart Gottesin ihnen. Sie hngen mehr an den Dingen als an Gott.

    Die wahren Kinder Gottes lassen die ueren Dinge hinflieen,ohne sich tiefer mit ihnen einzulassen, als ihre Notdurft erfordert,

    whrend sie das, dessen sie nicht bedrfen, lassen, ohne sichdamit aufzuhalten. Sie suchen in allem nach Gott und dringendurch alle Schickungen, seien es gute oder bse, zu Gott. Sie

    sorgen sich nicht um das, was sie aufhlt, widerstehen ihm nicht,sondern blicken bei alledem auf Gott, suchen ihn allein und

  • 8/9/2019 Johannes Tauler

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    bleiben in aller Mannigfaltigkeit ihres Einsseins mit demlebendigen Gott in ihnen gewi.

    Wer sich solchermaen als Tempel Gottes fhlt und derGegenwart Gottes in ihm gewi ist, der wird nicht durch die Dinge

    und Weisen der ueren Welt verwirrt und zerstreut, was auchimmer geschehen mag, sondern er wei sich Gott im Gemt ganznahe und bleibt seiner inneren Gegenwart bewut. So kann ihn

    nichts ueres entfrieden.

    Wo aber ein Mensch von ueren Dingen und Geschickenentfriedet wird, zeigt das, da er seiner Gotteskindschaft und derGegenwart Gottes im Grunde seiner Seele noch unbewut ist und

    da sein Denken, Streben und Handeln mehr nach auen, mehrauf die Dinge, ihren Besitz und Genu gerichtet ist als auf Gott...

    ...Wenn der Mensch dessen gewahr wird, soll er sich wieder undwieder nach innen wenden, bis sein Gemt uneingeschrnkt auf

    Gott gerichtet ist und in allem ihn will und meint, nicht die Dinge,sondern ihn sucht und, was er tut, Gott zuliebe wirkt - nicht nach

    seinem Willen, sondern nach Gottes Willen.

    Denn solange der Mensch lebt und wirkt, ohne Gott in sich zuwissen, lebt und geht er unsicher und alles bleibt ungewi. Von

    ihm gilt das Wort der Schrift: "Wehe dem, der allein ist; fllt er, sohilft ihm niemand auf." Wenn aber Gott in seiner Seele wohnt,

    kann ihm nichts und niemand etwas anhaben; er wei sichjederzeit und allerorten gesichert und geborgen.

    Wenn es so mit uns steht, mssen die Krmer, wenn sie mit ihremKram hereinkommen, sogleich wieder hinaus, weil kein Verlangennach ihnen da ist. Und wenn sie versuchen, sich eine Weile ohne

    unseren Willen und ohne unsere Zustimmung im Tempelniederzulassen, knnen sie uns nicht schaden, sondern mssen

    zur selben Tr hinaus, durch die sie eindrangen. Und wenn sienoch etwas ihnen Gemes, das nicht gttlich war, in uns fanden,

    mssen sie das mit sich nehmen, so da der Tempel unsererSeele bei ihrem Gehen reiner ist denn zuvor.

    So mssen den guten Menschen, den Kindern Gottes, alle Dingezum Besten dienen.

    "Mein Haus ist ein Bethaus." - Gebet heit Andacht, heitHingabe. Es heit sich innerlich mit Gott verbinden und ganz dem

    Ewigen zugeneigt und hingegeben sein. Wenn Du Dichsolchermaen in schweigender Hingabe Gott verbindest, hast Du

    Andacht, wo Du auch weilst und was Du auch wirkst.

  • 8/9/2019 Johannes Tauler

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    Es ist nicht ntig, da Du stndig vor Seligkeit vergehst. Das istnur etwas Hinzukommendes, nur unwesentliches Beiwerk,

    whrend das Wesentliche im Lassen liegt, im Sich-berlassen undHingeben an Gott, in der Verbindung und Einswerdung, mit der

    wir das Reich Gottes betreten, das in uns ist.Nun schreibt Hilarius von drei Weisen und Wegen, die unmittelbarin das Reich Gottes hineinfhren und uns in einen lebendigen

    Tempel Gottes verwandeln. Es sind Glaube, Gotterkenntnis undGebet.

    Was ist Glaube? Ist jeder Christ schon an sich ein Glaubender?Nein. Wie es auf einem Friedhof viele Tote gibt, so sind - auch in

    der Christenheit viele, die lebendig scheinen, in Wahrheit aber totsind. Denn lebendiger Glaube ist ein immerwhrendes

    Hingewendet- und Hingeneigtsein zu Gott und zu allem, wasgttlich ist. Einerlei, was der Mensch von gttlichen Dingen hrt -immer ist es der lebendige Glaube in ihm, der ihm besser

    ausweist, was Gott ist, und ihm hhere Gewiheit verleiht, als alleMeister ihm vermitteln knnen. Denn der Glaube wurzelt im

    inneren Reiche Gottes, in dem das Leben aus seinem eigenenGrunde hervorquillt.

    Jene aber, die diesen lebendigen Glauben nicht haben, sindinnerlich lau und drr, kalt und tot, weil unaufgeschlossen fr

    alles, was von Gott kommt und zu Gott hinfhrt. Sie haben wederWeg noch Weise, in sich selbst zu kommen; sie wohnen nicht insich, sondern in den ueren Dingen, und sind sich selber fremd.. .

    Die wahrhaft Glaubenden hingegen wohnen und ruhen in sich,wurzeln im inneren Leben, und was ihnen uerlich Gttlichesbegegnet, das erweckt sogleich ihr inneres Leben und macht

    offenbar, da sie im Reiche Gottes in ihnen leben, das denen, dieim ueren aufgehen, verborgen bleibt.

    Das zweite ist Gotterkenntnis: die findet man eben hier, braucht

    sie also nicht drauen in allen Fernen zu suchen; denn sieoffenbart sich im Innern. Hier strahlt das gttliche Licht, hier trittman durch das rechte Tor ins Reich Gottes.

    Von solchen Menschen, die wissen, da sie Gottes Tempel sind,kann man mit vollem Recht sagen: "Das Reich Gottes ist in euch!"

    Sie finden die Wahrheit, die nur von denen erkannt wird, die inihrem Innersten daheim sind. Sie finden in sich, was ber alles

    Denken und Verstehen hinausreimt: das Licht im Licht.

    Sie brauchen keine ueren Bcher mehr, sondern lesen im

    lebendigen Buch von den wunderbaren Werken Gottes unddringen vor bis zur Erkenntnis der Dreieinigkeit Gottes: wie der

  • 8/9/2019 Johannes Tauler

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    Vater den Sohn ewig gebiert, wie das Wort ewig im vterlichenHerzen zugegen ist, wie der heilige Geist von beiden ausfliet und

    wie die gttliche Dreifaltigkeit sich in die Gott zugewandtenMenschen ergiet und in ihnen widerspiegelt, und wie sie sich in

    die Gottheit zurckergiet in namenloserSeligkeit.

    Hierin liegt, wie das gttliche Wort sagt, " das ewige Leben, dader Mensch in sich den Vater erkennt und Christus, den Sohn, den

    er gesandt hat," Das ist das wahre Leben im Tempel der Seele;hier ist Christus in seiner eigenen Wohnstatt; hier ist das Reich

    Gottes gefunden - die lebendige Gegenwart Gottes, die alles Leidund alle Leiden lst.

    Wer das empfunden hat, der wei es. Und wer dies in seinem

    Leben am innigsten empfindet, der ist im ewigen Leben, imReiche Gottes, Gott am nchsten.

    Das dritte ist das Gebet. Es ist zunchst Einwrtswendung,Hinneigung des Beters zu Gott und Eingang des Gemts in Gott.

    In einem hheren Sinne ist es eine vereinende Einkehr desgeschaffenen Geistes in den ungeschaffenen Geist Gottes, wenn

    der erstere sich lt und sich von der Ewigkeit Gottes bewegenund in die Abgeschiedenheit der Ungeschaffenheit ziehen lt.

    Das tun jene, die Gott mit Christus im Geiste und in der Wahrheitanbeten. In solchem Gebet wird verloren und gefunden. Verlorenwird der Tempel und der Geist und alles, was nicht Gott ist; es ist

    in Gott eingeflossen und entworden. Und ist ein Geist mit Gottgeworden, wie Paulus sagt: "Wer Gott anhngt, der wird ein Geist

    mit Gott." - Und gefunden wird die Einheit. Wie das geschieht, ltsich mit Worten nicht beschreiben, sondern nur erfahren. Denn

    was darber ausgesagt werden kann, ist der Wirklichkeit so fernund so gering wie ein Sandkorn gegenber dem Himmel.

    Da wir es selbst erfahren und erlangen, dazu helfe uns Gott!

    VOM RECHTEN BETEN

    Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden;klopfet an, so wird euch aufgetan." Luk.11;9

    Das Evangelium lehrt uns, wie wir beten sollen, und esunterscheidet dabei das Bitten, das Suchen und das Anklopfen:

    Das Bitten bedeutet, da wir mit einem gnzlich Gottzugewandten Gemt etwas von ihm erheischen.

  • 8/9/2019 Johannes Tauler

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    Das Suchen bedeutet, da unsere Aufmerksamkeit auf etwasBesonderes gerichtet ist, das wir vor allen anderen Dingen

    erlangen mchten.

    Und das Anklopfen bedeutet, da wir ausharren und nicht

    nachlassen, bis wir das Ersehnte empfangen haben.In dem Kapitel des Lukas-Evangeliums wird von einem Manne

    berichtet - dem Gemt des Menschen -, der um Mitternacht zuseinem Freunde - das ist Gott -geht, anklopft und um Brot bittet -

    das Brot der Liebe und des Lebens -. Der Freund entschuldigtsich, es sei Nacht, die Tre verschlossen, und er knne nichtaufstehen. Aber jener klopft so lange an, bis der Freund sich

    erhebt und ihm alles gibt, dessen er bedarf.

    Was dieses Gleichnis uns lehren will, ist, da die gttlichen Gaben

    nicht den Miggehenden und an die Welt Hingegebenen zuteilwerden, sondern nur den nach innen Gewandten und in der

    Hinwendung zu Gott Beharrenden.

    Es belehrt uns auch darber, um was und wie wir beten sollen.

    Wenn der Mensch sich dem Gebet hingeben will, mu er zuerstsein Gemt von jeglicher Weltzugewandtheit und Zerstreuung

    durch uere Dinge, Wesen und Wnsche, bei denen es weilte,zurckholen, sich alsdann ganz in den Grund einsenken, um die

    Gaben Gottes bitten, das Brot der Liebe und des Lebens im Augehaben und an das vterliche Herz klopfen. Denn wenn er auch

    alle Speise und alle Gter der Welt htte ohne das Brot der Liebe -sie wren ihm nutzlos.

    Und dann soll der Mensch bitten, da Gott ihm gebe und ihmhelfe, um das zu bitten, was ihm, Gott, am meisten gefllt und

    was dem Menschen am dienlichsten ist. Und was alsdann zu ihmkommt, das soll er als von Gott gegeben dankbar

    entgegennehmen.

    Und schlielich gilt es zu beachten, wie man Gott bittend angeht.Die meisten knnen nicht innerlich, im Geiste, beten, sondern tun

    es mit Worten. Nun, dann sollen sie es wenigstens mit so vielLiebe und Hingabe tun, wie sie nur immer aufzubringen

    vermgen, ihr Herz aufschlieen und Gott bitten, da er ihnensich selbst durch Christus gebe. Und wenn sie dabei eine Weisefinden, die ihnen am besten hilft, sich Gott ganz zu lassen, und

    wenn Gott sich ihnen mitteilt, sollen sie bei dieser Weise bleiben.Denn darin besteht das Suchen, da man den Willen Gottes, der

    immer der beste fr den Menschen ist, zu erkennen suche und

    beharrlich anklopfe; denn wer ausharrt, dem wird aufgetan.

  • 8/9/2019 Johannes Tauler

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    Denn weit mehr, als ein liebender Vater seinen Kindern gibt,worum sie bitten, gibt Gott denen, die ihn bitten, die allerbesten

    Gaben.

    Nun mag einer einwenden und fragen: Wenn Gott so milde und

    gtig ist und ber alle Maen gibt und vergibt, wie kommt esdann, da so mancher Mensch sein Leben lang bittet und dochdas lebendige Brot nicht empfngt?

    Darauf habe ich zu antworten, da dies nicht an Gott liegt,sondern an den Menschen: ihr Herz und ihr Seelengrund, ihre

    Liebe und ihre Gesinnung ist nicht auf Gott gerichtet undgesammelt und fr Gottes Wesen und Gaben empfnglich,

    sondern mit fremder Liebe behaftet, sei es zu Lebenden oderToten, zum eigenen Ich und zu dem, was es hat oder besitzen

    mchte...Dieses Begehren hat den Seelengrund so ausgefllt, da die

    gttliche Liebe nicht hineinkann.

    Achten wir also darauf, womit wir umgehen, was uns bewegt,worauf unser Denken und unsere Liebe gerichtet ist. Denn wenndie Liebe Gottes uns erfllen und segnen soll, mu die Liebe zu

    allem, was nicht Gott ist, notwendig hinaus.

    Das meint das Wort des Augustinus: "Gie aus, damit du vollwerdest!" Aber diese Menschen wollen nicht ausgieen und

    lassen; sie kommen mit einem weltzugewandten und welterflltenHerzen, mit einem von tausend Dingen angefllten Seelengrund;

    und dann kann ihnen das gttliche Brot nicht gegeben werden.

    Das ist nicht Gottes Schuld, sondern ihre eigene. Sie finden Steinestatt Brot, weil sie ein steinern Herz haben, hart und kalt, in demdie Glut der Andacht, Liebe und Hingabe erloschen ist. Sie lesen

    wohl eifrig und beten, aber sie empfinden nichts dabei; ihr Sinnenist nicht darauf gerichtet, es drstet sie nicht danach wie den

    Verschmachtenden in der Wste nach Wasser; und darum quillt

    nichts hervor...Und wenn sie meinen, genug gebetet zu haben, gehen sie

    schlafen und beginnen am anderen Morgen von neuem damit,ihre Gebete herzusagen, und meinen, damit genug getan zu

    haben. Dabei ist ihr Gemt so hart wie ein Mhlstein, da man sieweder biegen noch brechen kann.

    Vor solchem erstarrten und versteinerten Seelengrund hte Dich!Und mhe Dich auch nicht damit ab, so beschaffene Menschen zundern. Sie wrden Dich nur steinigen. Hte Dich aber auch, da

    Du sie nicht wieder steinigst und hart ber sie urteilst; sondern

  • 8/9/2019 Johannes Tauler

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    tue den Mund zu und Dein Herz fr Gott auf. Richte Dich selbstund niemanden sonst. Sei sanft und gtig gegen die, die wider

    Dich sind. Schweige und nimm alles, was Dich trifft, als von Gottkommend und trage es gelassen ihm wieder zu in den Grund. Und

    verlasse Dich nicht auf Deine guten Werke, sondern lasse Dichund la Gott wirken!

    Woher also kommt es, da Gott so vielen unter uns fremd undseine Gegenwart ihnen unbewut ist?

    Es liegt daran, da ihr Gemt so voll ist der Bilder der Kreaturenund Dinge, da fr Gott kein Platz ist. Es liegt daran, da sie nichtzur Andacht, zur Kontemplation und Hingabe bereit sind. Wrden

    sie ihr Gemt von den Bildern der Kreaturen und Dinge freimachen, sich lassen und sich Gott berlassen, so htten sie Gott

    ohne Unterla. Denn er mu ihren Seelengrund, wenn er ihn leerfindet, vllig erfllen. Solange aber andere Bilder und Strebungenden Seelengrund erfllen, ist er leer von Gott.

    Dies wird in einem spteren Kapitel des gleichen Evangeliums(18; 10) verdeutlicht:

    Dort wird berichtet, wie zwei Menschen in den Tempelhineingingen, um zu beten: ein Phariser und ein Zllner.

    Der Tempel, von dem hier die Rede ist, ist der inwendige Grundder Seele, in dem Gott wohnt und wirkt, weshalb niemand sagenkann, wie edel und wrdig dieser Tempel in Wahrheit ist. Dorthinsollen wir uns wenden, um zu beten; und zwar mssen es immer

    zwei sein, die hineingehen, d. h. ber alle Dinge und ber sichselbst hinaus und in ihr Selbst hinein: nmlich der uere Mensch

    und der innere Mensch, wenn das Gebet recht beschaffen seinsoll.

    Denn was der uere Mensch ohne den Inneren betet, taugtwenig oder nichts. Der uere Mensch gleicht dem Phariser: er

    blht sich auf und zhlt auf, was er alles an Guten getan hat. Der

    innere Mensch aber gleicht dem Zllner: er blickt in sein Nichtsund stellt sich vllig Gott anheim, da er ihn erflle; denn wohin

    Gott mit seiner Barmherzigkeit und Liebe kommt, dahin kommt ermit seinem ganzen Sein und mit sich selbst.

    Das ist gemeint mit dem Wort des Zllners, der sich abseits hielt -in der Abgeschiedenheit -, da Gott ihm in seiner Schwachheitund Nichtheit gndig sei: in der vlligen Hingabe seiner selbst

    ward er gerechtfertigt und selig.

    Nicht die groen Werke entscheiden und nicht das Gebet desueren Menschen, sondern die willige Hingabe des inneren, der

  • 8/9/2019 Johannes Tauler

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    alle Dinge und sich selbst lt, um ganz in Gott zu entwerden undmit ihm eins zu sein.

    Damit der Mensch auf den Gipfel der Vollkommenheit gelange, istihm nichts so ntig wie das Lassen und Entsinken in den

    allertiefsten Grund bis zu den Wurzeln der Hingabe. Denn wie desBaumes Hhe von der Tiefe seiner Wurzeln abhngt, so erflietalle Erhhung des Menschen in Gott aus der Tiefe seines

    Entsinkens in den Grund.

    Achte darum darauf, da Dein Seelengrund mit nichts erfllt istals allein mit dem Verlangen nach Gott und seinen Gaben. WennDu alsdann bittest und suchst und beharrlich anklopfest, wird Dirgegeben, dessen Du bedarfst. Du wirst die Erkenntnis finden, die

    Dich erleuchtet, die Wahrheit, die Dich frei macht, und die Tr

    wird Dir aufgetan, da Du eintretest, in die gttliche Liebeentsinkst und mit ihr eins werdest.

    Da wir alle solchermaen bitten und suchen, anklopfen undempfangen lernen, erkennen und eingelassen werden, dazu helfe

    uns Gott!

    DER WEG NACH INNEN

    Folge mir nach" - Und er verlie alles und folgte ihm nach." Luk.5; 27 f.

    Der Herr sprach zu Matthus: "Folge mir nach!" Und dieser liealle Dinge und folgte dem Ruf. Der Heilige war zuerst ein Snderund ward hernach einer der grten Gottesfreunde; denn als

    Christus ihn inwendig ansprach, lie er alle ueren Dinge undfolgte ihm.

    Hierin liegt alles: um Gott in Wahrheit zu folgen, ist vlligesLassen all der Dinge ntig, die nicht Gott sind, es sei, was es sei:

    was immer der Mensch um sich, an sich und in sich findet,Lebendes oder Totes, das Ich oder etwas vom Seinen.

    Denn Gott will unser Herz, und es ist ihm nicht zu tun um das,was wir uerlich wirken, sondern um die Hingabe unseresHerzens, um unser Bereitsein zu allem, was gttlich ist. Das ist

    mehr als alles Beten und ben und was man sonst noch uerlichtun kann.

    Dies meinte Christi Ruf: "Folge mir nach!" Diese Nachfolgegeschieht zumeist mit Hinwendung der Gedanken und mit Danken

    und Loben, bisweilen aber auch auf einem hheren Wege derNachfolge: nmlich ohne all dies, weder mit Gedanken noch

    irgendeinem anderen Tun, sondern nur mit einem inwendigen

  • 8/9/2019 Johannes Tauler

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  • 8/9/2019 Johannes Tauler

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    Wer diese vier Hindernisse vermeiden und nur Gott im Sinnehaben will, der be sich mit aller Hingabe auen wie innen ohne

    Eigenwollen in der Einfgung in den Willen Gottes in ihm.

    Dabei mag er die Weisen und Hilfen, die ihn innerlich wie

    uerlich am meisten zu gttlicher Liebe und zum Guttun reizen,ben, bis sie von selbst wegfallen.. .

    ...Und wrde ihm dabei auch etwas Hheres zu erkennengegeben, soll er doch vor seinem vierzigsten Lebensjahr allzugroem Frieden und Reichtum uerlich wie innerlich und zu

    groer Abgeschiedenheit nicht zu sehr vertrauen; denn dazu ist ernoch zu sehr der Natur verhaftet. Er soll sich statt dessen derttigen Liebe zuwenden, innerlich und uerlich, und zugleichseine Bedrfnisse stndig verringern. Gregorius sagt, da die

    Priester im Alten Bunde erst mit fnfzig Jahren Hter des Tempelswurden.. .

    ...Aber in welchem Alter auch immer der Mensch, als Fruchtstndiger Einwrtswendung und schweigenden Weiterschreitens

    auf dem Wege nach innen, sich in den inneren Frieden und dieliebende Hingabe an Gott einsenkt, in jedem Falle wird ihm im

    Einswerden der Reichtum der gttlichen Gaben zuteil.

    Aber alle diese Gaben sollen ihm immer nur Mittel sein, nochinniger und innerlicher Gottes Wohnung und Werkzeug zu werden

    und zu bleiben. Das meint Dionysius: Lat alle sinnlichen undbersinnlichen Werke und alles Erkennenwollen und berlat

    euch vllig dem Einssein mit Gott, das ber alles Verstehenhinausgeht".

    Erst wenn der Mensch alle Dinge und sich selbst in allen Dingengelassen hat, kann er Gott folgen - mit dem ueren Menschen in

    allen bungen und Tugenden und in gleicher Liebe zu allenWesen, und mit dem inneren Menschen im Lassen seiner selbst

    und aller Dinge, als ob er sie nie erhalten htte.

    Das werde recht verstanden: Auf dem Wege nach innen sindetliche Dinge zu tun und etliche zu lassen. Man soll die Dinge

    weder haben noch an ihnen haften mit dem Gefhl, sie zubesitzen. Nun ist aber aller Menschen Natur geneigt, zu haben, zuwissen und zu wollen. Da helfen nun sechs Krfte, von denen drei

    zu den unteren gehren: Demut, Sanftmut und Geduld, und dreizu den oberen: Glaube, Zuversicht und Liebe.

    Nun geht der Glaube hin und entzieht der Vernunft all ihr Wissenund macht sie blind, damit sie dem Wissen entsage. Dann kommt

    die Zuversicht und nimmt die Sicherheit und das Haben. Und

  • 8/9/2019 Johannes Tauler

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    endlich kommt die Liebe und beraubt den Willen allesSelbstgefundenen und alles Besitzes.

    Danach kommen die drei unteren Krfte: die Demut lt das Ichso vllig in den Seelengrund entsinken, da es seinen Namen

    verliert und in seiner Nichtheit nichts mehr von Demut wei. DieSanftmut hat die Liebe allen Eigenwillens beraubt, so da ihr alleDinge gleich sind und sie sich nicht mehr bewut ist, Tugend zu

    haben. Sie ist mit allen in Frieden. Die Tugend hat hier ihrenNamen verloren und ist Wesen geworden. Und ebenso ist es mit

    der Geduld: der Mensch liebt und lt in Gelassenheit und ist sichseiner Geduld nicht mehr bewut.

    In dieser Gelassenheit mag es ihm dennoch geschehen, da ereinmal ungelassen wird und ihm ein harsches Wort entfhrt.

    Darber soll er nicht erschrecken, sondern soll noch tiefer in seinNichts entsinken. Jede erkannte Schwche soll ihn in sein Nichts

    weisen und ihm Anla sein, den Weg nach innen nochbeharrlicher bis in den tiefsten Grund hinab zu gehen - dorthin,

    wo der Pfad immer steiler und finsterer wird.

    Das meint Christi Wort: "Folge mir nach, gehe unberhrt durchalle Dinge, denn alles das bin ich nicht. Gehe vorwrts, folge mir,gehe vorwrts!" Und wenn der Mensch fragen wrde: "Herr, wer

    bist Du, da ich Dir so in die Tiefe und Einsamkeit folgen soll?", so

    wrde er antworten: "Ich bin Mensch und Gott".Knnte ihm nun das, was im Menschen noch ,Mensch' ist, hierauf

    in seinem tiefsten Grunde antworten: "So bin ich nichts undweniger als nichts", dann knnte der Durchbruch geschehen.

    Denn die namenlose Gottheit hat ihre ureigene Wirkungsstttenur im Grunde des Nichtseins, wo das Ich entwird.

    Darauf zielt das Wort der Meister: Wenn eine neue Form werdensoll, mu die alte zerbrechen.

    Neues Leben entsteht nur aus dem Tode des alten. Soll der innereMensch berformt werden mit dem berwesentlichen Wesen

    Gottes, so mu der uere Mensch mit allem, was er ist und wei,will und wirkt, notwendig entwerden. Alle Zweiheit, aller

    Gegensatz zwischen Objekt und Subjekt, alles Auenwesen muverschwinden. Als Paulus nichts sah, da schaute er Gott.

    Wenn alles uere, alles Gewordene entworden ist, dann - miteinem Blick - wird der Mensch verwandelt. In dieser Weise mutDu einwrts und vorwrts gehen. Darum spricht Gott: "Du sollstmich Vater nennen und nicht aufhren, hineinzugehen" - immer

    vorwrts, hinein und aufwrts auf dem steilen Pfad! Je hher,

  • 8/9/2019 Johannes Tauler

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    desto tiefer entsinkst Du in den unermelichen Abgrund Gottesund verlierst ber alle Weisen, Bilder und Formen hinaus Dich

    selbst und entbildest Dich hier vllig.

    Alsdann bleibt in dieser Ungewordenheit nichts als der

    Gottesgrund, der in sich selber ruht - ein Wesen, ein Leben, einAllsein. Von diesem Zustand kann man wohl sagen, man werdeerkenntnislos und ichlos, liebelos und werklos - nicht aus sichselbst, sondern durch die Wandlung, die der Geist Gottes im

    geschaffenen Geiste wegen seiner Gelassenheit vollzieht. In ihmerkennt und liebt Gott sich selbst.

    Der Weg nach innen, der zu diesem Ziele fhrt, geht berChristus: Er ist das Tor, durch das man schreiten mu, um die

    Schranken der Natur zu durchbrechen. Er ist der Weg, den man

    gehen soll, die Wahrheit, die auf diesem Wege leuchten soll, unddas Leben, zu dem man gelangen soll.

    Wer diesen Weg geht, der gelangt zur hchsten Freiheit.

    Paulus sagt von solchen Menschen: "Die vom Geiste Gottesgetrieben oder gefhrt werden, die sind unter keinem Gesetz."Das kann man nicht sagen von denen, die die Welt lieben. Die

    aber diesen Weg gehen, die sind mit ihrem obersten Teile, ihreminneren Menschen, ber der Zeit, in ihrem unteren Teil, ihrem

    ueren Menschen, frei und gelassen:

    Wie auch immer die Dinge kommen, sie leben aus dem Geisteund stehen in einem gelassenen Frieden. Sie nehmen alle Dinge

    von Gott, tragen sie lauter wieder zu ihm empor und bleiben inFrieden, wie auch immer Gott die Dinge fgt und wie sehr der

    uere Mensch davon betroffen sein mag. Diese Menschen sindselig zu nennen. Aber sie sind dnn gest.

    Da wir alle den Weg nach innen gehen und ihnen gleich werden,dazu helfe uns Gott!

    HILFEN AUF DEM INNEREN WEG

    "Habe deine Freude am Herrn; und er wird dir geben, was DeinHerz begehrt. Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn; erwird's wohl machen, und wird deine Gerechtigkeit hervorbringen

    wie ein Licht." Ps. 37; 4 f.

    Vom Wege nach innen und der rechten Hinwendung zu Gotthandeln die Worte im Psalter, die uns sagen, was wir tun sollen,

    um zum gttlichen Leben zu kommen.

    Drei Dinge sind dazu dienlich: Fasten, Wachen und Schweigen.

  • 8/9/2019 Johannes Tauler

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    Was heit Fasten? Es heit - uerlich -, da wir uns in derNahrungsaufnahme beschrnken, morgens nur das Notwendige

    essen und abends nur wenig: das ist das Beste zur Meisterung derNatur und zur Entfaltung des Geistes.

    Man gehe zeitig schlafen, um so frh wie mglich wach und bereitzu sein, sich zuerst und vor allem Gott zuzuwenden und sich ihm -im Sinne der Worte des Propheten - offen zu halten.

    Und tagsber achte man darauf, da man in allen Dingen und beiallen Aufgaben, wie sie auch kommen, stets in Frieden bleibt und

    sein Herz und seinen Seelengrund

    fr Gott bereitet hlt.

    Wenn man sich mde fhlt, setze oder lege man sich hin,entspanne sich, wende den Geist nach innen und ffne sein

    Gemt Gott, suche Frieden in Gott, befehle ihm seine Wege, lassesich ihm und verlasse sich gnzlich auf ihn; dann wird alles wohl

    gehen.

    Um unsere Wege, unsere Vorhaben und Sorgen Gott anheim zugeben, mssen wir uns selbst klar werden, welches eigentlich

    unsere Wege sind. Wir werden dabei einsehen, wie unzulnglichund mangelhaft alles ist, was aus dem Ich kommt, und wie

    ungewi und unbestimmt die Ziele des Ich sind. Alles das gilt esGott anheim zu geben und zu vertrauen, da er alles besser

    machen und zum Besten wenden wird.

    Dabei knnen wir Gott nie genug vertrauen. Wenn zwei MenschenGott um etwas bitten - der eine um etwas Groes, das dem Ich

    unmglich scheint, aber mit uneingeschrnktem Vertrauen; derandere um etwas Kleines und Wertloses, aber mit geringerem

    Vertrauen -, so wird der, der um das Unmgliche bat, wegenseines vlligen Vertrauens eher und vollkommener erhrt als der

    andere, der nur um wenig bat.

    Dem Glubigen, sagt Christus, sind alle Dinge mglich. Glaube, d.h. hoffe und vertraue auf Gott -und er wird's wohl machen! Wie

    niemand Gott genug lieben kann, so kann ihm auch niemand zuviel vertrauen.

    Statt anderen Leuten Dein Leid zu klagen, bergib und berlassees gnzlich Gott - und er wird Dir aus Liebe das fr Dich Beste

    zufgen, und zwar hunderttausendmallieber, als Du esentgegennimmst. Willst Du von Deinen Snden und Schwchen

    frei sein, dann bergib und berlasse sie und Dich selbst Gott,vertraue auf seine Hilfe und wende Dich - in diesem Vertrauen -

  • 8/9/2019 Johannes Tauler

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    dem rechten Handeln zu. Dadurch werden die Tugendengewonnen und die Untugenden schwinden.

    Doch geschehe all dies ohne Eigensucht! Wenn Gott einen nachinnen zieht, soll man ihm sofort folgen. Zieht Gott einen noch

    tiefer ins Allerinnerste, so soll man nicht mit den Sinnen forschenund ergrbeln wollen, was da geschieht und wie, sondern mansoll seine Wege Gott befehlen und berlassen, sich auf ihn

    verlassen und ihn wirken lassen.

    Das ist der tiefere, innere Sinn des Fastens. Es bedeutet, da Dunicht ber den Grund der Welt und des Daseins und die

    Beschaffenheit der hheren Welten grbelst, sondern wachenGeistes Dir selber auf den Grund gehst und lernst, Dich selbst zu

    erkennen.

    Es bedeutet, da Du nicht nach den Geheimnissen Gottes fragst,nach dem Anfang und Ende allen Werdens, nach dem Etwas imNichts, nach dem Wesen des Gottfunkens im Seelengrund und

    nach tausend anderen Dingen, sondern da Du Dich mit Deinemganzen Denken und Fhlen, Wollen und Glauben nach innen

    wendest und innerlich auf Gott und seinen Willen achtest und aufdas Wort, mit dem er Dich ruft.

    Und wenn Du nicht weit, was Gottes Wille ist, so folge denen, dievom Heiligen Geiste mehr als Du erleuchtet sind. Und steht Dir

    kein solcher zur Verfgung, dann achte bei Zweifeln darauf, wozuDeine Natur am wenigsten geneigt ist, um dann eben dies zu tun

    und dabei zu lernen, die Dinge zu lassen; dann werden Dir alleDinge zuteil - nmlich die Dinge, die Dir ntig sind zu einem

    wahren gttlichen Leben und zur Erkenntnis der Wahrheit, dieDich frei macht.

    Und la bei alle dem niemals Schwermut ber Dich kommen;denn sie hindert Dich in allem Guten. Sei stets frohgemut und

    zuversichtlich, habe Freude an der Gegenwart Gottes in Dir und

    vertraue ihm in allem; dann wird er's wohl machen. Und sorgeDich nie, sondern berlasse es Gott. Und leuchtet Dir dabei etwasein, so lasse es gleichfalls und berlasse es Gott. Habe nichts imSinn als Gott und gib Dich ihm vllig hin. Dann wirst Du aus dem

    Innenreich des Friedens in den Alltag zurckkehren mit Frieden imHerzen, mit erhhter Gelassenheit und mit neuen Krften, die Dirhelfen, Dein Werk recht zu vollbringen und an allem zu wachsen.

    Wenn Du bei Deiner Nach-Innen-Wendung und Versenkung gegenDeinen Willen einschlfst, so wehre Dich nicht. Eine

    schlummernde Einkehr ist oft besser als viel uere bung imWachen. Wenn Du wieder wach bist, fange einfach von neuem an,

  • 8/9/2019 Johannes Tauler

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    wende Dich mit ungemindertem Vertrauen zu Gott und befiehlihm Deine Wege. Senke Dich aufs neue in Deinen Seelengrund

    und ffne ihn ganz Gott. Wenn so Dein innerster Grund sich Gottdarbietet, schenkt sich der namenlose Gott wiederum im

    Seelengrund dem Menschen und erfllt ihn mit seinem Geiste,seinem Wesen und Willen.

    Dazu ist unerllich, da der uere Mensch in Ruhe sei, daKrper und Gedanken entspannt sind und der innere Mensch ganz

    Schweigen geworden ist. Um dieses Schweigens willen gibt Gottdem inneren Menschen sein Reich und sich selbst. Und dann

    erleuchtet er ihn und "bringt seine Gerechtigkeit hervor wie einLicht."

    Worin besteht diese Gerechtigkeit? Sie besteht zuerst und vor

    allem darin, da wir uns selbst erkennen, wie der HeiligeBernhard sagt: "Die hchste, beste und unmittelbar in die NheGottes fhrende Erkenntnis ist, da wir uns selbst erkennen".

    Unsere ,Gerechtigkeit', die Gott mit seinem Licht erleuchtet, wirdgemessen an unserem Schweigen. Darum sollen wir uns im

    Schweigen ben zu allen Zeiten und an allen Orten, und sollenuns abgeschieden halten von den Kreaturen und Dingen, wo

    immer dies mglich ist, insbesondere von denen, die ganz nachauen gewendet sind und uns mit sich nach auen ziehen wollen.

    Mit denen sollen wir freundlich umgehen, innerlich aberabgeschieden bleiben.

    Wird uns das bel genommen, sollen wir das gelassen hinnehmenund niemanden in uns hineinlassen, dessen Gesinntheit wir nicht

    kennen.

    Besser als der Umgang mit solchen Menschen ist der mit Bchern,soweit sie nicht nur schne Worte enthalten und uns zerstreuen,

    sondern uns helfen, bei uns selbst zu bleiben, mit unsereminneren Menschen eins zu sein, uns Gott im Stillesein offen zu

    halten, schweigend auf sein Licht und sein Wort zu warten undbereit zu sein, Gott in uns und durch uns wirken zu lassen.

    Hierzu noch ein Wort des Heiligen Augustinus: "Erblickst Du einenguten Menschen, einen Engel oder den Himmel, so zieh den

    Menschen ab, zieh den Engel und den Himmel ab - und was dannbleibt, das ist das Wesen des Guten, das ist Gott; denn er ist alles

    in allen Dingen und zugleich weit ber allen Dingen".

    Alle Kreaturen haben wohl Gutes, haben wohl Liebe; sie sind abernicht das Gute, die Liebe an sich; sondern das Wesen des Guten,

    der Liebe ist Gott. Ihm soll der Mensch sich zukehren und in ihmentsinken mit allen seinen Krften in wirkender und lassender

  • 8/9/2019 Johannes Tauler

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    Weise, so da seine Nichtigkeit ganz erfllt und erneuert werdeund im gttlichen Wesen, das allein Wesen, Leben und Wirken in

    allen Dingen ist, Wesen annehme.

    "Wahrlich, Du bist ein verborgener Gott", sagt Moses. Er ist in der

    Tat verborgener, als irgendein Ding oder Wesen sich selbst imGrunde der Seele ist, verborgen allen Sinnen und im Grundeunerkennbar und unerkannt. Dorthin dringe mit allen Krften,

    ber alles Denken, ber den ueren Menschen hinaus, der sichselbst und seinem inneren Wesen so fern und fremd ist wie ein

    Tier, das ganz den Sinnen lebt.

    Dorthin, in den gttlichen Grund, senke Dich hinein und entwerdein der Verborgenheit Gottes allem Ichsein und Kreatursein, nicht

    nur in gedanklicher oder bildlicher Weise, sondern in wesentlicher

    wirkender Weise - mit allen Krften und Strebungen in vlligemLassen.

    Sodann magst Du die Eigenschaft der gttlichen Einde in derstillen Einsamkeit anschauen, in der nie ein Wort dem Laut nach

    gesprochen noch ein Werk gewirkt ward: so still ist es da, soheimlich und einsam. Da ist nichts als lauter Gott. Dahinein kam

    nie etwas Fremdes, keine Kreatur, kein Bild, keine Weise.

    Diese Einde meinte Gott, als er durch den Propheten sprach: "Ichwill die Meinen in die Einde fhren, und da will im zu ihren

    Herzen sprechen." In diese Stille und Einsamkeit der Gottheitfhrt er alle die, die fr die Stimme Gottes empfnglich werden

    sollen, nun und in der Ewigkeit. In diesen einsamen, stillen, freienGottesgrund trage Deinen einsamen, von allem, was nicht Gott

    ist, vllig geleerten Seelengrund.

    Dann wird die gttliche Finsternis, die vor lauter Lichtheit fr DeinErkennen Finsternis ist, sich in die Leere und Dunkelheit DeinesSeelengrundes ergieen und die Helle des gttlichen Lichts wird

    darin aufbrechen.

    Da wir zu solcher Hinwendung und Einswerdung gelangen, dazuhelfe uns Gott!

    HINWENDUNG ZU GOTT

    "Und er sprach zu Simon: Fahre auf die Hhe und werfet eureNetze aus, da ihr einen Zug tut." Luk. 5; 4

    Lukas berichtet in seinem Evangelium, wie Jesus das Schiff betratund ihn bat, er mge das Schiff vom Ufer wegfhren. Und er sa

    und lehrte das Volk vom Schiff aus. Danach sprach er zu Simon:"Fahre das Schiff auf die Hhe".

  • 8/9/2019 Johannes Tauler

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    Von diesem Schiff wollen wir sprechen: es ist nichts anderes alsder innere Mensch, sein Gemt, seine Gesinntheit. Das Schifffhrt in dem strmenden Meer der angsterregenden ueren

    Welt, die in stetem Wandel und Wechsel begriffen ist: bald inLust, bald in Leid. Wie schlecht es um die steht, deren Herz mitseiner Liebe ganz den wandelbaren, vergnglichen uerenDingen und Gestalten verhaftet ist - wahrlich, dem, der das

    erkannt hat, mchte das Herz vor Leid erstarren! Wie es ihnenhernach geht, daran denken die Menschen in ihrer Blindheit nicht.

    Darum die Mahnung: "Fahre das Schiff hinauf auf die Hhe."Damit ist der erste Weg gemeint, der allen nottut: da das

    Gemt, die Gesinnung aus allem herausgezogen werde, wasKreatur und Dinglichkeit, also nicht Gott ist, und hinaufgefhrt

    werde zur Hhe, zur Hinwendung zu Gott. Wer nicht im Meer derVergnglichkeit untergehen und ertrinken will, dessen Gemt,dessen innerer Mensch mu notwendig erhoben sein ber den

    ueren Menschen und ber alles Haften am ueren undKreatrlichen.

    Nun antwortete Simon Petrus: " Wir haben die ganze Nachtgearbeitet und nichts gefangen." Das entspricht der Wahrheit:

    Alle, die mit ueren Dingen umgehen, an ihnen hngen und sichum sie sorgen, arbeiten gleichsam in der Nacht und gewinnennichts.

    Aber auf Jesu Gehei warfen sie das Netz erneut aus und fingenso viele Fische, da das Netz zerri.

    Was ist dieses Netz, das ausgeworfen werden soll und mit dem soviel gefangen wird? Es ist das Bewutsein, das nach innen

    gewendet und im Gebet ,ausgeworfen' werden soll, in so tieferSelbstversenkung, da die Liebe und Hingabe an Gott Gemt undBewutsein mit solcher Freude durchstrmt, da der Mensch die

    Seligkeit kaum ertragen kann.

    Aber dieses Fahre das Schiff auf die Hhe!" ist erst der untersteGrad. Es mu weit hher hinaufgefahren werden. Soll der Mensch

    auen und innen ein gelassener und der innere Mensch einverklrter und gottfrmiger werden, mu das Schiff des inneren

    Menschen so weit hinauf zur Hhe gefahren werden, da alles vonihm abfllt, was den unteren Krften, dem ueren Leben

    zugehrt...

  • 8/9/2019 Johannes Tauler

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    ...Ja, selbst die erhabensten Gedanken und die beglckendstenGewinne seiner geistigen bungen und alle die Gaben, die Gott

    ihm schenkte, werden dem inneren Menschen dann unzulnglicherscheinen, so da er sich vllig von ihnen lst und nach dem

    Hheren verlangt, das ihm aber noch nicht gewi ist.

    So ist er mit seinem Schifflein ,auf die Hhe gefahren', hat denGipfel erreicht - und sieht sich zugleich in hchster Verlassenheit.

    Alle Bedrngnisse, Versuchungen und Mngel, die er lngstberwunden und hinter sich gelassen hatte, scheinen sich nun

    abermals gegen ihn zu erheben; der Sturm beginnt zu wten undsein Schifflein zu gefhrden.. .

    Aber er braucht sich nicht zu frchten. Wenn sein Schifflein festund sicher im Gott-Grund verankert ist, knnen ihm auch die

    wildesten Wogen nichts anhaben.

    Er sollte Hiob gleichen: "In der Finsternis erhoffen wir das Licht"und ganz bei sich selber bleiben, nicht nach auen blicken und

    nicht nach uerer Hilfe Ausschau halten, um der Not zuentkommen, auch nicht auf irgendwelche Lehrer und Ratgeber

    hren und sich so von sich selber weglocken lassen, sondern desKommens des inneren Lichts gewi bleiben. Denn gerade dann ist

    Christus ihm nahe und wird in ihm geboren werden.

    Glaube mir: Alle Bedrngnis und Not dient dazu, da diese GeburtChristi in Dir geschehe! Keine Macht der Welt, weder Leben nochTod, kann diese Geburt verhindern. Htten auch alle Menschen

    und alle bsen Mchte sich gegen einen solchen Gottesfreundverschworen - je feindlicher sie ihm wren, desto hher wrdensie sein Schifflein emporfhren. Dadurch, da der Mensch sich

    hier vllig lt und willig Gott machen lt, kommt er hher alsmit allen ueren und geistigen bungen.

    Um auf die Hhe, zu Gott, zu gelangen, mu er sich von allemlsen, was nicht Gott ist oder unmittelbar zu Gott hinfhrt. Und ermu bei allem Tun darauf achten, da er nicht geistige Gter um

    materieller Gter willen hingibt. Denn was der Mensch nicht umGottes willen und mit Gott tut, das ist wesenlos und fhrt ins

    Dunkel.

  • 8/9/2019 Johannes Tauler

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    Lernen wir darum, mit unserem Schiff ,auf die Hhe zu fahren', d.h. unser Gemt und alle Krfte ber den inneren Menschen

    hinaus in die Hhe zu erheben; denn Gott ist nur auf der Hhe.Wenden wir uns mit unseren oberen Krften ber alle Zeitlichkeit

    hinaus in den ewigen Grund; denn da ist Gott in Wahrheit, daspricht er sein Wort. Das Wort aber soll man in schweigenderHingabe empfangen und ihm in sich Raum geben, dann wird man

    von ihm ber alles hinaus, was die Sinne erfassen knnen,erleuchtet. Der Reichtum, der sich hier darbietet, ist

    unvorstellbar.

    Wenn Gott sein Wort in uns spricht und wir es recht empfangen,wird das Ich von der Furcht ergriffen, es msse gnzlich zugrunde

    gehen. Alsdann gilt es, nicht dieser Furcht nachzugeben und umHilfe nach auen zu blicken und zu laufen, sondern innerlich

    gelassen und besonnen zu bleiben und sich gnzlich hinzugeben.

    Denn wenn das gttliche Licht aufgeht, mu das geschaffeneLicht untergehen. Wenn das ungeschaffene Licht zu scheinen und

    zu strahlen beginnt, werden notwendig alle ueren Lichter desVerstandes und der Welt unscheinbar und dunkel, wie das Licht

    der aufgehenden Sonne das Lichtlein einer Kerze unscheinbar undtrbe macht.

    Wer dieses gttlichen Lichts in sich gewahr wird, der empfngt

    mehr Seligkeit, als die Welt mit ihren Lichtern und Freuden ihmgeben kann. Denn in diesem Lichte wird er in seinem innerstenWesen berformt und verwandelt.

    Dies ist der krzeste und nchste Weg zur Geburt Gottes imSeelengrund.

    Ist der Mensch ganz Gott zugewandt, von Ichheit leer und vonGott erfllt, knnen keine ueren Mchte und Kreaturen sein

    Schifflein, seinen inneren Menschen von der Fahrt zur Hhe

    ablenken oder es zum Untergehen bringen. Denn Gott erfllt deninneren Menschen mit solcher Freiheit, solchem Frieden und

    solcher Festigkeit, da sie niemand begreift, der sie nicht besitzt.

    Es mag vorkommen, da im Sturm der Welt die Wogen von auengegen sein Schifflein schlagen, als wollten sie es berschwemmen

    und in die Tiefe ziehen; aber alles Anstrmen von auen vermagnichts gegen die Sicherheit und den Frieden des Innern.

    Aber dieser Friede, den die wahren Gottesfreunde besitzen, istnicht genug: es bewegt sie, da sie Gott noch nicht so viel sind,

  • 8/9/2019 Johannes Tauler

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    wie sie sein mchten. Sie wollen ber die erreichte Hhe hinauszu noch greren Hhen hinauffahren. Und wahrlich: Wenn sich

    das Unnennbare, das Namenlose, das in der Seele ist, derSeelengrund, vllig in Gott kehrt, so kehrt sich damit der ganze

    Mensch in Gott; und auf diese Einkehr antwortet alles, wasnamenlos ist in Gott, das Unnennbare, der Gottesgrund, und dasgttliche Wort und Licht gebiert sich im Menschen.

    Alsdann kann der Mensch sagen: "Ich will hren, was Gott in mirspricht." So handeln jene Gottesfreunde, die Dionysius

    gottfrmige Menschen nennt. Dieses gnzliche Eingesenktseindes Seelengrundes in den Gottesgrund vermag kein Verstand zu

    begreifen. Es ist in seiner Abgrndigkeit ber alles sinnlichErfabare hinaus.

    Diese Wirklichkeit offenbart sich nur solchen, bei denen der

    uere Mensch gelutert und der innere Mensch verklrt ist undvllig in sich selber ruht. Diesen Menschen sind Himmel und Erde,Kreaturen und Dinge nichts als ein Schatten des Lichts, in dem sie

    selbst sind. Sie sind zur Wohnstatt und zum Reiche Gottesgeworden, in dem Gott allezeit gegenwrtig ist.

    Wenn der Mensch ganz in diesen Grund und das Wesen Gottesentsinkt, mu das Netz notgedrungen zerreien, das heit: seine

    uere Natur wird darunter leiden und schwach werden. DieseSchwachheit kommt nicht von uerer bung, sondern von demberflieen der Gottheit, die einen solchen Menschen so mit ihrer

    Kraft berstrmt, da sein irdischer Leib es nicht zu ertragenvermag. Denn Gott hat diesen Menschen so in sich gezogen, da

    er ganz durchlichtet und gottfarben wird und Gott seine Werkewirkt.

    Ein solcher Mensch hat sein Schifflein zur hchsten Hhegefahren, sein Netz wohl ausgeworfen und das Hchste

    gewonnen. Wenn aber das Schifflein auf die Hhe kommt, zerreitdas Netz und das Schiff versinkt: die Ichheit zerreit, die Eigenheitzerbricht, der uere Mensch entwird. Leib und Seele entsinken

    im grundlosen Meer der Gottheit. Dabei fllt der Mensch so in seinunergrndliches Nichtsein, da er allem entwird - auch dem, was

    er je von Gott empfing - und es lauter in Gott zurckwirft, alshtte er es nie gewonnen und besessen.

    So entsinkt das geschaffene Sein ins ungeschaffene Nicht-Sein.

    Aber darber kann man mit Worten nichts aussagen. Hier wirddas Wort des Propheten im Psalter wahr: "Der Abgrund leitet sich

  • 8/9/2019 Johannes Tauler

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    in den Abgrund. Der geschaffene Seelengrund ergiet sich in denungeschaffenen Gottgrund - und beide werden eins: ein lauteres

    gttliches Wesen.

    Da uns solche Hinwendung und Auffahrt zur Hhe Gottes

    gelinge, dazu helfe uns Gott!

    ERNEUERUNG AUS DEM GEISTE

    Erneuert euch im Geiste eures Gemts und zieht den neuenMenschen an, der nach Gott geschaffen ist in Gerechtigkeit und

    Heiligkeit." Eph. 4; 23 f.

    In seinem Brief an die Epheser lehrt Paulus uns, wie wir zurErneuerung aus dem Geiste gelangen.

    Nun hat aber der Geist des Menschen viele Namen je nach seinerWirksamkeit und nach dem Standort des Betrachters:

    Manchmal heit der Geist Seele, nmlich sofern er dem LeibeLeben gibt und dergestalt in jedem Gliede zugegen ist und ihn

    bewegt und zum Wirken bringt.

    Und zuweilen heit die Seele Geist; dann hat sie so nahe

    Verwandtschaft mit Gott, da es mit Worten nicht ausgesprochenwerden kann. Denn Gott ist Geist und die Seele ist Geist; daherhat sie ein ewiges Hinneigen und Zurckschauen in den Urgrund,

    aus dem sie entsprang. Infolge dieser Gleichheit neigt sich derGeist wieder in den Ursprung, in die Einheit. Dieses Zurckneigen

    ist ohne Ende.

    Weiter heit der Geist Gemt: in ihm sind alle Krfte vereint,Vernunft und Wille. Aber damit erschpft sich sein Wesen nicht:

    ber alle Krfte hinaus hat es einen berwesentlichen Grund, undwenn es diesem Grunde ganz zugekehrt ist, dann ist ihm wohlund dann wird es vom Grunde her durchlichtet und erneuert.

    Endlich heit der Geist auch Mensch: In ihm ist das wahre Bild dergttlichen Dreieinigkeit verborgen. In dieser Dreiheit nennt man

    den Geist bald den Grund, bald den Gipfel der Seele. Aber sowenig man Gott mit Namen umschreiben kann, so wenig auch

    den Geist. Wer zu erkennen vermchte, wie Gott hier im Grunde

    wohnt, der wrde von diesem Schauen selig. Die Nhe und

  • 8/9/2019 Johannes Tauler

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    Verwandtschaft, die Gott da zum Geiste hat, ist sounaussprechlich, da Worte hier nur verwirren.

    Nun mahnt Paulus uns: Erneuert euch in dem Geiste euresGemts." Das heit: Wenn das Gemt sich in rechter Verfassung

    befindet, gnzlich nach innen gewendet ist, so neigt es sich in denGrund, in dem das ber alle ueren Krfte und Vermgenerhabene Bild Gottes ruht. Hier- im Geistgrund des Gemts - soll

    man sich erneuern, indem man stndig in den Grund entsinkt undsich Gott unmittelbar, in liebendem Lassen, hingibt. Dieses

    Vermgen ist dem Gemt eigen: es ist zu stndiger Hingabe anGott fhig. Nur der uere Mensch besitzt dieses Vermgen steter

    Hingabe nicht.

    Und so soll diese Erneuerung aus dem Geiste statthaben:

    Da Gott Geist ist, soll der geschaffene Geist sich in denunerschaffenen Geist Gottes mit unbeschwertem Gemt gelassen

    einsenken und sich mit ihm vereinen. So wie er ewig in Gott warund in seiner Ungeschaffenheit Gott war, so soll er mit seiner

    Geschaffenheit sich gnzlich wieder in Gott hineintragen. In dieserHingabe vollzieht sich die wahrste und lauterste Erneuerung, die

    es geben kann.

    "Heute habe ich dich neu geboren": Wenn der Geist vllig einsinktund mit seinem innersten Sein in Gottes innerstes Obersein

    eingeht, wird er von Grund auf erneuert und neugebildet. Und soweit und so oft der Geist diesen Weg williger Hingabe geht, soweit und so oft wird er vom Geist Gottes erfllt, berflutet und

    erneuert.

    Gott ergiet sich in ihn, wie der Sonne Licht die Luft durchdringtund so hell macht, da man Luft und Licht nicht mehr

    unterscheiden kann. So sind auch Geist und Gott in diesemlichten Einssein, da der Geist in seinen Ursprung zurckgekehrt

    ist, nicht voneinander zu scheiden.

    In dieser Einkehr und Erneuerung schwingt der Geist sich bersich selbst hinaus und ber alle Erleuchtung in die berlichtheitder gttlichen Finsternis, in der der Geist ber allem ist, was er

    vorher war: namenlos, formlos, bildlos, ber alle Weisen undWesen.

    Zu solcher Einkehr ist die Nacht und ihre Stille sehr frderlich.Darum soll der Mensch sich oft, wenn alles Auen dunkel und stillund seinen Sinnen fern ist, nach innen wenden, sich allen Sinnenund Krften entziehen, sich gnzlich in sich selbst hineinsenken,

    ber alle Bilder, Vorstellungen und Krfte hinaus. Und er soll sichin dieser Dunkelheit seiner Unerkanntheit Gott gelassen

  • 8/9/2019 Johannes Tauler

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    hingeben, nichts fragen, nichts fordern und erwarten, sonderneinzig und allein Gottim Sinne haben und lieben, und dabei alles,was er ist, hat und vorhat, was ihm lieb und leid ist an Tugendenoder Schwchen, der Liebe Gottes berlassen und anheimgeben

    und sich ganz in Gottes Willen lassen.Er soll also erkannte Mngel nicht auf menschliche Weise, durchWiderstehen, bekmpfen, sondern auf geistige Weise: durch

    Lassen. D. h. er soll diese wie sich selbst Gott berlassen, ohneden nichts vollendet werden kann. Wer sich so lt, dem mag

    geschehen, was Hiob erfuhr: da der Geist Gottes ihn imVorbergehen berhrt. Von dieser Berhrung des Geistes entsteht

    eine groe Bewegung und Erneuerung im inneren Menschen.

    Je klarer und wahrer diese Berhrung ist, desto rascher, strker

    und vollkommener ist die Umwandlung des Menschen und seinWerk, desto deutlicher erkennt er die Unzulnglichkeit undNichtheit des Ich und desto williger und inniger lt er sich Gott;und dann kommt Gott mit einem schnellen Blick und leuchtet in

    den Grund, um daselbst Wohnung zu nehmen und zu wirken.

    Wenn man dieser Gegenwart Gottes inne wird, soll man ihm dasWerk berlassen, selbst zu schweigender Stille werden und nichts

    tun, sondern Gott wirken lassen. Und wenn danach der Menschwieder sich selbst berlassen wird und Gottes Wirken im Innern

    nicht mehr erkennbar ist, soll er wieder selbst wirken und seineirdischen Aufgaben mit aller Hingabe erfllen.

    So soll er zu Zeiten wirken und zu Zeiten lassen, wie der GeistGottes ihn mahnt und treibt, und sich immer dem zuwenden, von

    dem er fhlt, da es ihn am strksten zu Gott hinzieht undhinfhrt - sei es Wirken oder Stillesein.

    Dem innersten Seelengrund ist nichts so nahe wie Gott: wer ihnda sucht, der findet ihn auch. Er mu sich nur dem gegenwrtigen

    Gott innerlich mit allen Krften hingeben und berlassen, dannwird ihm in der Erhebung und Erneuerung des Gemts ber alle

    Bilder und Formen die Freiheit des Geistes gegeben.

    Und wenn er ganz in diesem inneren Wirken stnde - und Gottgbe ihm auf, die Seligkeit der Hingabe zu lassen undhinzugehen, um einem Kranken zu dienen oder einem

    Notleidenden zu helfen, soll er das in Frieden und Gelassenheittun. Dann mag es geschehen, da Gott ihm in solchem Werk

    gegenwrtiger ist und mehr Gutes zufgt als in der tiefstenGottschau.

  • 8/9/2019 Johannes Tauler

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    Im brigen aber sollen die edlen Menschen, wenn sie sich nachtsund morgens in der Frhe in solcher Einkehr gebt haben,

    tagsber in Frieden ihre Geschfte erledigen - jeder, wie Gott esihm fgt -, und sollen in ihren Werken achtgeben, da darin

    Gottes Wille geschieht und nicht der ihre.Das sind die ,geistlich Armen', von denen die Bergpredigt spricht,die sich selbst und das Ihre lassen, sich Gott berlassen und sich

    von ihm leiten lassen - sei es zum Tun oder zum Nicht- Tun.

    Anfnger auf dem Wege nach innen brauchen viel Zeit, bis siewesentlich werden, da sie von Natur dazu neigen, sich nach

    auen zu wenden; aber wenn sie sich gewhnen, mehr und mehrsich und alle Dinge Gott zu berlassen, werden sie durch solches

    Lassen rascher voranschreiten als durch ihr Tun.

    Es ist unglaublich, wie rasch oft das innere Wachstum vor sichgeht: mit jedem Gedanken, jedem Wort und Werk, wie klein es

    auch sei, wenn sie damit nur auf Gott abzielen. Solchen Menschenist es dienlich, wenn sie lange leben; denn ihr Wachsen und

    Neuwerden geht unaufhrlich weiter, wenn sie nur auf ihremWege nicht stehen bleiben, sondern unentwegt weiterschreiten.

    Zumeist wissen solche Menschen es gar nicht, da sie so gutdaran sind; deshalb leben sie bescheiden und einfach dahin. Gott

    verbirgt ihnen ihr Zunehmen, damit das Ich sich nicht aufblhtund alles verdirbt. Je bescheidener und williger, desto tiefer sinkt

    ihr Geist in den Grund.

    Nun mag es sein, da ein solcher Mensch von denen, die in derWelt viel gelten und grotun und gerne weise und heilig scheinen,

    gescholten und zurechtgewiesen wird. Sie werden ihm sagen, erhabe Unrecht; sie htten mehr gelesen und wten besser

    Bescheid.. .

    ...Alsdann handelt er recht, wenn er sich lt, zu ihren Redengelassen schweigt und inwendig spricht: "Gott, Du weit, ich habenichts als Dich im Sinn!" Dann wird er von innen her erneuert und

    zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist inGerechtigkeit und Heiligkeit.

    Da wir uns alle so in Gelassenheit Gott zuwenden, aus demGeiste Gottes erneuert und mit Gott geeint werden, dazu helfe

    uns Gott!

    VOM GTTLICHEN REIFEN

  • 8/9/2019 Johannes Tauler

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    Das Himmelreich ist gleich einem Hausvater, der am Morgenausging, Arbeiter zu dingen in seinen Weinberg." Matth. 20; 1 f.

    Das Evangelium vergleicht das Reich Gottes einem Weinberg undChristus einem Hausvater, der ausgeht, Arbeiter fr den Weinberg

    zu gewinnen. Es heit mit Recht, da er ,am Morgen', also frh,ausging', da er in der ewigen Geburt vom vterlichen Herzen,ausgegangen' und doch allezeit darin geblieben ist.

    In einem anderen Sinne ist er frh in die menschliche Naturausgegangen, damit er uns fr das Reich Gottes wiedergewinne.

    Es heit in dem Gleichnis, da er Werkleute um die dritte, die

    sechste und die neunte Stunde dang und abermals um die elfteStunde: da sah er Leute mig stehen, die ihm auf seine Frage,warum sie mig stnden, antworteten: Es hat uns