Jahresbericht 2005/06 Erzdiözese München und Freising e.V. · 2012-10-16 · Klaus Weißbach...
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Nächstenliebe, Solidarität und Zivilcourage
Jahresbericht 2005/06Caritasverband der
Erzdiözese München
und Freising e.V.
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Inhalt
Ab sofort finden Sie unseren aktuellen Jahresbericht 2005/06 auch im Internet zum Nachlesen
und Downloaden: www.caritasmuenchen.de
Vorwort des Vorstands Seite 3
Nächstenliebe, Solidarität und
Zivilcourage
Dr. theol. Elke Hümmeler Seite 4
Dritte Vorstandsposition wieder
besetzt und „Weil es mir
um den Menschen geht...“
Msgr. Hans Lindenberger Seite 8
Eine Ermutigung, eine Quelle
der Motivation
Dr. Thomas Steinforth Seite 11
Gerechtigkeit oder Liebe?
Dr. Hildegard Kronawitter Seite 14
Helfen macht reich
Wolfgang Obermair Seite 16
Christliche Verantwortung unter-
scheidet die Caritas von anderen
Zahlen - Daten - Fakten 2005 Seite 19
Wettbewerbsvorteile sichern
durch kontinuierliche Anpassung
von Strukturen und Standorten
Joachim Unterländer Seite 24
Die Aufgaben der Caritas im
Veränderungsprozess unserer
Gesellschaft sind vielschichtig
Viktor Münster Seite 26
Weil Liebe stets konkret sein muss...
Rosemarie Wechsler / Seite 28
Michaela Westermair
Amselgesang
Florian Preißer Seite 32
Christ sein in der Altenpflege
Susanne Pütz Seite 36
Im Mittelpunkt steht das sehende Herz
Barbara Nottebrock Seite 39
„Ich hole die Welt zu mir“
Monika Huber Seite 43
„Das Lächeln, das Du aussendest,
kehrt tausendfach zu Dir zurück“
Mechtild Noske / Gerhard Jäger Seite 46
Anfangs klingelt man überall...
Arme Schulschwestern Seite 48
Schwester Luitborg / Schwester Ancilla
„Herr, wir gehen für Dich und Du
musst schauen, dass es etwas wird“
Michael Tauchert Seite 50
Auf geht‘s
Astrid Benda Seite 52
„Wir wollen junge Familien
unterstützen!“
Renate Knüpffer Seite 54
„Im Prinzip ist meine
Arbeit ein Enzym“
Helmut Hopmann Seite 56
„Du musst teamfähig sein“
Jasmin Malina Seite 59
„Ich bin sicher, dass diese Arbeit
auf mich gewartet hat“
Walter Huber Seite 61
Sehen, was alles im
Verborgenen passiert
Alexa von Blumröder Seite 64
„Mut macht mir, dass ich mit
meiner Arbeit nie allein bin“
Josef Eixenberger Seite 66
Stimme für die am Rand
Stehenden sein
Monika Mayer Seite 68
„Weil ich nicht nur in der Kirche
Christin sein will“
3
Hans Lindenberger Wolfgang Obermair
Vorstand des Diözesan-Caritasverbands
Hans Lindenberger
Wolfgang Obermair
Vorwort des Vorstands
Nächstenliebe, Solidarität und Zivilcourage
Unsere Gesellschaft ist geprägt von einer zunehmenden Entfremdung. Gleichzeitig verschieben sich auf-
grund des demografischen Wandels die Verhältnisse zwischen den Generationen. Zusätzlich erschwert der
deutliche Rückgang öffentlicher finanzieller Mittel die Lage. In dieser Situation kommt dem Stichwort Bürger-
engagement eine hervorragende Bedeutung zu. Wer heute darüber besorgt ist, ob sich auch für die abseh-
bare Zukunft eine menschenwürdige Gesellschaft bewahren lässt, muss mutig-beherzt, zuversichtlich und
offensiv daran mitwirken.
Bürgerschaftliches Engagement, wie es heute heißt, kennen wir in der Kirche seit jeher als Ehrenamt. Schon
immer hat es Menschen gegeben, die es sich neben oder nach ihrer beruflichen Tätigkeit oder Familienarbeit
zur Aufgabe gemacht haben, für andere Menschen da zu sein, wenn diese Hilfe brauchen. Immer schon
auch waren die Ehrenamtlichen in der sozialen Arbeit die Basis, ohne die all die vielfältigen Angebote und
Hilfeleistungen praktisch kaum zu realisieren wären. Erst das gute Zusammenspiel zwischen ehrenamtlichen
und hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern macht aus einem Verband wie die Caritas das, was
er ist: ein Anwalt der Armen und Schwachen, eine Lobby für die Benachteiligten, ein Sprachrohr derer, die
ihre Stimme nicht selber erheben können.
Doch Caritas ist mehr: Als Wohlfahrtsverband der katholischen Kirche hat die Caritas ihre Wurzeln im Chris-
tentum, und ihre Aufgabe ist die tätige Nächstenliebe. Unsere professionelle soziale Arbeit würde nicht
greifen, wäre sie nicht gepaart mit dem ganz konkreten, unmittelbaren da-sein, dem-Anderen-nahe-sein
im eigentlichen christlichen Sinne. Das ist die Grundlage, auf der das Handeln jedes einzelnen Mitarbeiters
beruht – sei er nun hauptamtlich oder ehrenamtlich bzw. bürgerschaftlich-freiwillig engagiert. Selbstver-
ständliches Engagement für den anderen gehört originär zum Christentum dazu, auch wenn nicht jedes
soziale Engagement unbedingt eine christliche Motivation haben muss.
Das Woher und Warum, das sich Bekennen zu den eigenen Wurzeln spielt diesmal die Hauptrolle in unserem
Jahresbericht 2005/06. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der unterschiedlichsten Richtungen haben den
Mut bewiesen, sich in ganz individueller, persönlicher Weise zu den Motiven und den Formen ihres Engage-
ments zu äußern. Sie legen damit ein lebendiges und beredtes Zeugnis davon ab, was Menschen antreibt,
füreinander da und umeinander besorgt zu sein. Und auch zwei Politiker haben sich nicht gescheut, einen
Perspektivenwechsel vorzunehmen und damit deutlich Position zu beziehen.
Vor dem Morgen unserer Gesellschaft muss uns nicht bange sein, solange es Menschen gibt, für die Begriffe
wie Zivilcourage, Solidarität, Gerechtigkeit und Nächstenliebe nicht befremdende Worte, sondern Maßstab
und Motiv sind. Wir sind stolz darauf, Ihnen mit diesem ungewöhnlichen Jahresbericht eine bunte Vielfalt
spannender Bekenntnisse und beispielgebender Zeugnisse vorstellen zu können und wünschen dem – trotz
des Umfangs – viele interessierte Leser.
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Dr. theol. Elke Hümmeler
Dr. theol. Elke Hümmeler
Ordinariatsrätin
und Vorsitzende
des Caritasrats
Dritte Vorstandsposition wieder besetzt:
Klaus Weißbach übernimmt das Wirtschaftsressort
Klaus Weißbach
künftiger Vorstand
Ressort III
Mit Wirkung vom 1. Juli 2006 ist die eineinhalbjährige Vakanz im Vorstand des Diözesan-Caritasverbands
beendet: Friedrich Kardinal Wetter hat den 49jährigen stellvertretenden Finanzdirektor der Erzbischöflichen
Finanzkammer, Klaus Weißbach, Ende 2005 zum neuen dritten Vorstand berufen. Anfang Juli hat der ver-
sierte Finanz- und Verwaltungsfachmann sein Amt als Verantwortlicher für das Ressort Wirtschaft angetre-
ten. Seine offizielle Amtseinführung fand am 6. Juli statt. Die Berufung Weißbachs erfolgte knapp ein Jahr
nach dem Ausscheiden der beiden früheren Vorstandsmitglieder Dr. Albert Hauser und Joachim Wiedemann.
Klaus Weißbach wurde im oberbayerischen Murnau geboren. Nach seiner schulischen Laufbahn nahm er
ein Studium der Agrarwissenschaften an der Technischen Universität München-Weihenstephan auf, das er
im Oktober 1980 als Diplom-Agraringenieur abschloss. Von 1981 bis 1985 absolvierte er die Ausbildung
zum Verbandsprüfer des Genossenschaftsverbandes Bayern mit Schwerpunkten u.a. in Betriebswirt-
schaft, Betrieblichem Rechnungswesen, Bürgerlichem Recht, Wirtschafts- und Steuerrecht. Danach er-
warb er die Geschäftsleiterqualifikation Kreditinstitute gemäß Kreditwesengesetz.
Seit 1981 Angestellter des Genossenschaftsverbandes Bayern in München, war Weißbach zunächst für die
Prüfung und Beratung von Banken-, Großhandels- und Produktionsbetrieben in der lebensmittelverarbei-
tenden Industrie zuständig. Ab 1986 übernahm er beim Genossenschaftsverband Bayern die Position eines
eigenverantwortlichen Bezirksleiters, die neben der Beratung von Produktions- und Dienstleistungsunter-
nehmen Aufgaben wie Bilanzerstellung und Prüfung, Organisation von Mitgliederversammlungen, gutach-
terliche Stellungnahmen zu betrieblichen Investitionen, Erstellung von Sanierungsgutachten und Konzern-
prüfungen einschloss.
Seit 1993 ist Klaus Weißbach Mitarbeiter der Erzdiözese München und Freising, zunächst als Leiter des Fach-
bereichs Revision von Kirchenstiftungen, ab 1997 als Leiter der Abteilung Diözesanhaushalt und seit Mai
2000 als stellvertretender Finanzdirektor und Leiter des Gesamtbereichs Haushalt der Erzdiözese mit Ver-
antwortung für die Abteilungen Diözesanhaushalt, Kirchenstiftungshaushalt sowie Personalabrechnung.
Zu seinen Aufgaben gehörte die Gesamtverantwortung für den Jahresabschluss der Erzdiözese, die Leitung
des Einkaufs, Verantwortung für das Versicherungswesen, die Gesamtsteuerung der Mittelbewegungen
sowie Controlling und Gehälterabrechnung für die insgesamt 16.000 Mitarbeiter einschließlich Kirchen-
stiftungen und Kindertagesstätten der Erzdiözese. Daneben war Weißbach als Mitglied bzw. Leiter ver-
schiedener Ausschüsse, Kommissionen und anderer Gremien tätig.
Weißbach war nach einem intensiven Auswahlverfahren vom Caritasrat Kardinal Wetter vorgeschlagen
worden. Mit dem Votum für den erfahrenen Finanzexperten zum dritten Vorstand beweisen die Gremien
des Caritasverbands der Erzdiözese vorausschauende Weitsicht und wirtschaftliches Verantwortungsbe-
wusstsein. Denn in einer Zeit erkennbarer konjunktureller Veränderungen und Risiken, die auch die Diens-
te und Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände beeinflussen, wird es entscheidend darauf ankommen, wie
die finanzpolitischen Weichen gestellt werden, um ein großes Non-Profit-Unternehmen wie die Caritas in
eine sichere Zukunft zu steuern.
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IN VIA Kath. Mädchensozialarbeit e.V.Diözesanverband München u. Freising Goethestraße 33, 80336 MünchenTelefon: (089) 28 28 24 Telefax: (089) 28 84 [email protected]
Katholische Jugendfürsorge der Erzdiözese München u. Freising e.V. Adlzreiterstraße 22, 80337 MünchenTelefon: (089) 74 64 7-0 Telefax: (089) 74 64 [email protected]
Katholischer Männerfürsorgeverein München e.V.
Lindwurmstraße 75 (Rgb.), 80337 MünchenTelefon: (089) 5 14 18-0 Telefax: (089) 5 14 [email protected]
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Angeschlossene Fachverbände
Katholisches Jugendsozialwerk München e.V.
Forstenrieder Allee 10781476 MünchenTelefon: (089) 74 51 53-0 Telefax: (089) 74 51 [email protected]
Kreuzbund e.V.
Dachauer Straße 5/IV80335 MünchenTelefon: (089) 59 08 37 [email protected]
Malteser Hilfsdienst e.V.
Streitfeldstraße 181673 MünchenTelefon: (089) 4 36 08-0 Telefax: (089) 43 68 02 [email protected]
Sozialdienst katholischer Frauen e.V., München
Marsstraße 580335 MünchenTelefon: (089) 5 59 81-0 Telefax: (089) 5 59 [email protected]
St.-Elisabethenverein (KdöR)
Delpstraße 1381679 MünchenTelefon: (089) 98 26 91 Telefax: (089) 98 10 53 [email protected]
St.-Vinzentinus-Zentralverein (KdöR)
Oettingenstraße 1680538 MünchenTelefon: (089) 21 66 6-0 Telefax: (089) 21 66 6-55 [email protected]
Organigramm / angeschlossene Fachverbände
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Denke ich nach über die spezielle Motivation als
Christin zu sozialem Engagement, so fällt mir als
erstes auf, wie wenig solche Fragen in der Vergan-
genheit ein Thema waren – und wie stark sich dies
gerade in letzter Zeit geändert hat. Der christliche
Glaube gerät wieder ins öffentliche Blickfeld. Und
auch innerhalb der Caritas halte ich die stete Refle-
xion über den Glauben für absolut notwendig. Für
mich selbst steht im Zentrum meines Glaubens
ganz eindeutig der Mensch, menschliche Begeg-
nungen, der göttliche Auftrag, anderen Menschen
zum Leben zu verhelfen. Das klingt so konkret –
und dabei ist meine Tätigkeit doch oft überaus ab-
strakt. Deshalb versuche ich immer, hinter all den
Vorlagen, Akten, Papieren das konkrete Leben, die
unmittelbaren Auswirkungen auf die Wirklichkeit
zu erkennen. Das ist, Tag für Tag, eine große Her-
ausforderung.
Als Mitglied in zurzeit 28 Gremien organisiere und
entscheide ich laufend. Voraussetzung dafür sind
gute Gespräche, ein genauer Blick – und ausrei-
chend Zeit und Ruhe, um über die Dinge angemes-
sen nachdenken zu können. Aus dem Bewusstsein,
dass gerade die Entscheidungen, die „da oben“
getroffen werden, weit reichende Konsequenzen
für viele Menschen haben, halte ich nicht viel von
Ad-hoc-Entscheidungen. Kommunikation und kon-
struktiver Austausch, verschiedene Meinungen an-
hören und die Wahrheit suchen, auf die es an-
kommt: all das braucht seine Zeit. Ich vertraue
durchaus auf die Kraft des Heiligen Geistes, aber
man muss ihm auch Gelegenheit bieten, wirksam
werden zu können.
Wobei ich weiß:
„Organisieren, Probleme lösen, Dinge entscheiden – das sind genau meine Stärken. Das ist die Ebene, auf der ich den Menschen dienen kann. „
„Weil es mir um den Menschen geht...“Caritas als Kristallisationspunkt für ein besseres Miteinander,
eine bessere Gesellschaft
Was macht die soziale Arbeit der Caritas so einzigartig? Natürlich unsere hohe Professionalität, die flächen-
deckende Organisation und unser differenziertes Leistungsspektrum. Aber darüber hinaus auch ganz be-
sonders unsere Haltung, unser spezifisch christliches Menschenbild, unser Glaube. Für mich ist der Glaube
die Basis meiner Arbeit, er durchzieht jeden Tag. Er ist einfach da und wirkt – er beeinflusst mein Denken
und Handeln. Und gibt beidem Sinn. „Ora et labora“ ist dafür seit rund 1500 Jahren die einfache Formel.
Dass es nicht immer so einfach ist, ihr gerecht zu werden, macht sie nur umso wertvoller.
Und auch hier gibt es eine spirituelle Qualität. Das
ist mir recht überraschend deutlich geworden, als
ich vor einiger Zeit alte Caritas-Vorstandsprotokolle
aus den Dreißiger Jahren in die Finger bekam. Ver-
fasst von Pater Rupert Mayer. Dieser große Mensch
hat sich mit absoluter Akribie auch den kleinen
Dingen, alltäglichen Verwaltungs- oder Finanzfra-
gen gewidmet. Weil er ihre Bedeutung für das Le-
ben vieler Menschen erkannte. Sein Beispiel be-
deutet mir viel.
In einer Führungsposition erhält man nicht oft di-
rektes Feedback auf die Arbeit. Aber die Ergebnisse
meiner Planungen oder Entscheidungen bekomme
ich ja doch oft zu hören, zu lesen oder zu sehen.
Dr. theol. Elke Hümmeler
Dr. theol. Elke Hümmeler
Ordinariatsrätin
und Vorsitzende
des Caritasrats
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Und im Erfolgsfall gibt mir das durchaus auch Kraft.
Dennoch könnte ich in meiner Position auf Dauer
nicht durchhalten, wenn ich nicht in einer Gebets-
struktur leben würde, die mich durch den Tag
führt. Beten führt mich zu Gott und damit mitten
ins Leben. Glaube ist integraler Teil meines ganzen
Lebens, ich kann nicht sagen: Hier arbeite ich und
bin professionell, und hier bin ich jetzt gläubige
Christin. Glaube darf sich gerade in der Abstrakti-
on meiner leitenden Arbeit nicht verflüchtigen. So
konkret, wie ich die Wirklichkeit immer zu fassen
kriegen will, so konkret muss sich in meiner Tätig-
keit mein Glaube niederschlagen.
Im Kontext der Caritas wird auch deutlich, dass
gläubiges Handeln, weit über das Persönliche,
Private hinaus, schnell sozialethische Dimensionen
annimmt.
„Christi Auftrag zur tätigen Liebe – zur „Caritas“ - übersteigt in der Arbeit, die von den vielen
Tausend Mitarbeitern unseres Caritasverbands geleistet wird, den Charakter von Barmherzigkeit bei weitem. Hier geht es ganz klar auch um Gerechtigkeit, um Teilhabe, um Menschenwürde.„Das ist eine enorme Leistung unserer Mitarbeiter,
der aber auch auf der geistigen Ebene direkte An-
erkennung verheißen ist: „[wenn du] dem Hungri-
gen dein Brot darreichst und die gebeugte Seele
sättigst, dann wird dein Licht aufgehen in der Fins-
ternis, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag“,
heißt es in Jesaja 58,10. Wobei viele, die Liebe ge-
ben, auch lernen müssen, selbst Liebe zu empfan-
gen. Nicht zuletzt darauf hat Papst Benedikt XVI.
in seiner Enzyklika „Deus caritas est“ eindrücklich
hingewiesen. Dann bleibt „Caritas“ keine Ein-
bahnstraße, sondern wird zum Austausch der
Menschen untereinander und mit Gott. Und somit
Kristallisationspunkt für ein besseres Miteinan-
der, eine bessere Gesellschaft.
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Eine Ermutigung, eine Quelle der MotivationDie Enzyklika „Deus caritas est“
Msgr. Hans Lindenberger
Caritasdirektor
Vorstand Ressort I
Spitzenverband und
Fachqualität
Msgr. Hans Lindenberger
Papst Benedikt XVI. hat mit der Enzyklika „Deus caritas est“ der Kirche und ihrer Caritas ein beeindruckendes
Schreiben geschenkt. Das Rundschreiben lässt einen frischen Wind spüren. Die Sprache ist klar, direkt. Der
ganze Text hat einen einladenden, wertschätzenden Grundton, ist sympathisch und menschennah geschrie-
ben. Kardinal Lehmann schreibt zur Enzyklika: Sie „ermutigt uns, gerade auch in unseren Bemühungen um
Gerechtigkeit und Liebe, nicht zuletzt angesichts der heutigen Not des Sozialstaates. Die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter der vielfältigen Caritas werden dadurch ermutigt, ebenso alle politisch tätigen Frauen und
Männer ...“
Was sind konkret die Inhalte dieses päpstlichen
Rundschreibens, die uns motivieren können? Ich
will versuchen, die Enzyklika zu erschließen und
bin dabei davon geleitet, was für mich selbst als
Caritasdirektor eine Motivation für mein Handeln ist.
Natürlich kann ich nicht auf alle Inhalte eingehen.
Papst Benedikt öffnet in einem ersten grundsätz-
lichen Teil Augen und Herz für Gott, der selbst liebt.
Benedikt zeigt die Liebesgeschichte Gottes mit
dem Volk Israel auf. Eine leidenschaftliche Liebe,
die in Jesus Christus ein Gesicht bekommt, Hände
und Füße. In der Hingabe Jesu bis zum Kreuz kann
diese Wahrheit geschaut werden: „Gott ist Liebe“
(1 Joh 4,8). Von dieser Gotteserfahrung her „findet
der Christ den Weg seines Lebens und Liebens“ (12).
Bei diesem so positiven Ansatz wird uns die Grund-
melodie, der Takt unseres Glaubens gezeigt: Ich bin,
wir sind geliebt. Das als erstes zu hören, tut gut,
richtet spirituell auf, schenkt Glaubens- und Lebens-
freude, lädt ein und motiviert zum Christ sein.
Gott „hat uns zuerst geliebt und liebt uns zuerst;
deswegen können auch wir mit Liebe antworten.
... Er liebt uns, lässt uns seine Liebe sehen und
spüren, und aus diesem `Zuerst´ Gottes kann als
Antwort auch in uns die Liebe aufkeimen“ (17). Ein
ermutigender Satz. In uns kann die Liebe aufkei-
men. Sie lässt sich nicht verordnen. Da gilt kein
Muss und kein Gesetz. Hier verspüre ich Freiheit
und Zuversicht. Die Liebe kann in uns wachsen
und reifen.
Ein Ort, in dem das „Geliebtwerden und Weiterlie-
ben“ erfahrbar wird, ist die eucharistische Gemein-
schaft. „Eucharistie, die nicht praktisches Liebes-
handeln wird, ist in sich selbst fragmentiert“ (14),
ist Bruchstück, Torso. Am Ende der Messfeier wer-
den wir gesandt, die empfangene Liebe weiter zu
schenken. Papst Benedikt macht uns bewusst: Die
Feier der Eucharistie hat immer sozialen Charakter,
motiviert und sendet aus zur tätigen Liebe. Von
Papst Gregor dem Großen ist das Wort überliefert:
„Wenn ein Mensch in Rom des Hungers stirbt, ist
der Papst nicht würdig, die Messe zu feiern“.
Benedikt unterstreicht
„die unlösliche Verschränkung von Gottes- und Nächstenliebe.„Beide gehören so zusammen, dass die Behauptung
der Gottesliebe zur Lüge wird, wenn der Mensch
sich dem Nächsten verschließt oder gar ihn hasst“.
Uns wird gezeigt, und das empfinde ich als eine
geistliche Motivation, „dass die Nächstenliebe ein
Weg ist, auch Gott zu begegnen“. Also nicht nur
Gebet und Gottesdienst und spirituelle Versenkung
führen zu Gott. Der Weg zum Nächsten ist kein Um-
weg zu Gott. So erwähnt der Papst auch das große
Gleichnis vom letzten Gericht (vgl. Mt 25,31-46), in
dem sich Jesus mit den Notleidenden identifiziert.
„Gottes- und Nächstenliebe verschmelzen: Im Ge-
ringsten begegnen wir Jesus selbst, und in Jesus
begegnen wir Gott“ (15).
Welch ein hoher spiritueller Wert wird doch hier
dem mitmenschlichen Tun zugesprochen! Die Zu-
wendung zum Nächsten – eine Quelle der Inspira-
tion und Belebung im Glauben. Ich weiß von eh-
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renamtlich und beruflich Mitarbeitenden, die auf
diesem Weg (wieder) zum christlichen Glauben
fanden.
„In einem zweiten Teil der Enzyklika geht es um die praktische Caritas der Kirche, ihren diakonischen Auftrag. Gerade dieser Teil ist für alle beruflichen wie ehrenamtlichen Mitarbeitenden eine wahre Quelle der Motivation, sich aus christlichem Geist für Menschen zu engagieren.„
Die Caritas wird als Aufgabe der ganzen Kirche herausgestellt
„Die in der Gottesliebe verankerte Nächstenliebe
ist zunächst ein Auftrag an jeden einzelnen Gläu-
bigen, aber sie ist ebenfalls ein Auftrag an die ge-
samte kirchliche Gemeinschaft, und dies auf all
ihren Ebenen“ (20). Da finden wir den Satz: „Inner-
halb der Gemeinschaft der Gläubigen darf es keine
Armut derart geben, dass jemandem die für ein men-
schenwürdiges Leben nötigen Güter versagt blei-
ben“ (20). Würde das wirklich ganz ernst genom-
men, veränderte es radikal das kirchliche Leben.
Papst Benedikt stellt die praktizierte Nächstenliebe,
die Caritas, als ein entscheidendes Kennzeichen
der christlichen Gemeinde, der Kirche, dar (24).
Caritas-Engagement ist nicht an der Peripherie der
Kirche angesiedelt, sondern „ist unverzichtbarer
Wesensausdruck ihrer selbst“ (25a). „Die karitati-
ven Organisationen der Kirche stellen ... ihr opus
proprium dar, eine ihr ureigenste Aufgabe, in der
sie nicht mitwirkend zur Seite steht, sondern als
unmittelbar verantwortliches Subjekt selbst han-
delt und das tut, was ihrem Wesen entspricht“ (29).
Das heißt:
„Caritas ist keine Nebentätigkeit, die in Krisen und Zeiten der Geldknappheit wegfallen könnte. Der Ort der Caritas ist nicht irgendwo am Rande. Und so stehen auch alle Mitarbeitenden der Caritas in der Mitte der Kirche, ob sie es realisieren oder nicht.„
Diese Verortung der Caritas durch unseren Papst
ist Ermutigung und hebt den Selbstwert, prägt das
christliche Selbstverständnis aller Mitarbeitenden.
Im Leitwort unseres Caritasverbands steht, dass
wir uns an der Katholischen Soziallehre orientieren
mit ihren Prinzipien Personalität, Subsidiarität und
Solidarität. Es ist bestätigend und gibt Rückhalt,
dass der Papst sich ausdrücklich zu dieser Traditi-
on bekennt. Er sagt: In der schwierigen Situation
unserer Zeit „ist die Soziallehre der Kirche zu einer
grundlegenden Wegweisung geworden, die weit
über die Kirche hinaus Orientierungen bietet“ (27).
„Sie will schlicht zur Reinigung der Vernunft bei-
tragen und dazu helfen, dass das, was recht ist,
jetzt und hier erkannt und dann auch durchgeführt
werden kann“ (28a).
„Viele ehrenamtliche und berufliche Mitarbeiter der Caritas stehen an der Schnittstelle zwischen Staat und Kirche, indem sie in Politik und Gesellschaft für die Rechte von Benachteiligten eintreten.„Eine Schnittstelle, die Kraft und Einsatz abverlangt,
auch Nerven kostet. Auf diese Caritas-Aufgabe,
Anwalt für die Schwachen zu sein, geht Papst Be-
nedikt motivierend und bestärkend ein. Er zitiert
Augustinus und schreibt: „Ein Staat, der nicht durch
Gerechtigkeit definiert wäre, wäre nur eine große
Räuberbande“ (28a). Die Kirche jedoch „kann und
darf nicht sich an die Stelle des Staates setzen.
Aber sie kann und darf im Ringen um Gerechtig-
keit auch nicht abseits bleiben“ (28a). Hier wird
gerade der verbandlichen Caritas der Rücken ge-
stärkt, engagiert und mutig Anwalt zu sein.
Eine Ermutigung erhalten eigens die gläubigen
Laien in ihrer unmittelbaren Aufgabe, für eine ge-
rechte Gesellschaft zu wirken. „Als Staatsbürger
sind sie berufen, persönlich am öffentlichen Leben
teilzunehmen. Sie können daher nicht darauf ver-
zichten, sich einzuschalten“ zur Förderung des Ge-
meinwohls (29). Das gilt für überzeugte Christen
in der Politik, in Bereichen wie Wirtschaft, Soziales,
Gesetzgebung, Verwaltung, Kultur ...
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Die Sorge für den Notleidenden kennt keine Gren-
zen. Bei großen Katastrophen zeigt sich diese So-
lidarität gerade auch in Deutschland. Indirekt wird
die Arbeit des internationalen Caritas-Netzwerkes
gewürdigt, in dem auch wir als Caritasverband uns
besonders in Südosteuropa stark engagieren.
Eine Wertschätzung erfahren die zahlreichen „For-
men der Zusammenarbeit zwischen staatlichen und
kirchlichen Instanzen“ (30b), die entstanden und
gewachsen sind und sich als fruchtbar erwiesen
haben. Es haben sich „vielfältige Organisationen mit
karitativen oder philanthropischen Zielen gebildet,
die sich dafür einsetzen, angesichts der bestehen-
den politischen und sozialen Probleme unter dem
humanitären Aspekt zufrieden stellende Lösungen
zu erreichen“ (30b). Also: keine Berührungsängs-
te, sondern Kooperation um der Menschen willen.
Papst Benedikt kommt auf das spezifische Profil
der kirchlichen Caritas zu sprechen. Er fragt, was
sind die konstitutiven Elemente der kirchlichen
Liebestätigkeit? Er spricht von drei Elementen. Ich
erlebe sie wie einen Bewertungsmaßstab für die
gelebte Caritas, ob in einem Altenheim, im Fach-
dienst eines Caritas-Zentrums, in der Gemeinde-
caritas. Maßstab und Motivation zugleich.
Ein dreifaches Profil soll also die in der Caritas Mitarbeitenden prägen
„Berufliche Kompetenz ist eine erste, grundlegende
Notwendigkeit, aber sie allein genügt nicht. Es geht
ja um Menschen, und Menschen brauchen immer
mehr als eine bloß technisch richtige Behandlung“.
„Sie brauchen die Zuwendung des Herzens“.
„Für alle, die in den karitativen Organisationen der Kirche tätig sind, muss es kennzeichnend sein, dass sie nicht bloß auf gekonnte Weise das jetzt Anstehende tun, sondern sich dem andern mit dem Herzen zuwenden, so dass dieser ihre menschliche Güte zu spüren bekommt.„
Deswegen brauchen die Helfer neben und mit der
beruflichen Bildung vor allem Herzensbildung“ (31a).
Dies berührt die Aufgabe und die Pflicht der Füh-
rung, für die MitarbeiterInnen Fort- und Weiterbildun-
gen zu ermöglichen. Herzensbildung und Bildung
der beruflichen Kompetenz. Ein Motivationsschub,
den wir im Alltagsbetrieb nicht vergessen dürfen.
Zum zweiten Element der kirchlichen Caritas: Das
christliche Liebeshandeln muss unabhängig sein
von Parteien und Ideologien. Unabhängig von Par-
teistrategien und -programmen gilt es, das Gute
zu tun. Wir sollen uns also nicht vor irgend einen
Karren spannen lassen. Papst Benedikt sagt: „Das
Programm des Christen – das Programm des barm-
herzigen Samariters, das Programm Jesu – ist das
„sehende Herz“ (31b). Dieses Herz sieht, wo Liebe
not tut und handelt danach“ (31b). Der Papst
spricht einmal auch vom „Blick der Liebe“ (18), mit
dem ich den anderen nicht mehr bloß mit meinen
Augen und Gefühlen ansehe, sondern aus der Per-
spektive Jesu Christi heraus. Sein Freund ist dann
mein Freund (vgl.18).
Das dritte Element, das das Profil der Caritas prä-
gen soll, zeigt sich in einer praktizierten Nächsten-
liebe, die nicht getan wird, „um damit andere Ziele
zu erreichen“. „Die Liebe ist umsonst“. Da ist es
selbstverständlich: „Wer im Namen der Kirche ka-
ritativ wirkt, wird niemals dem anderen den Glau-
ben der Kirche aufzudrängen versuchen. Er weiß,
dass die Liebe in ihrer Reinheit und Absichtslosig-
keit das beste Zeugnis für den Gott ist, dem wir
glauben und der uns zur Liebe treibt. Der Christ
weiß, wann es Zeit ist, von Gott zu reden, und wann
es recht ist, von ihm zu schweigen und nur einfach
die Liebe reden zu lassen“ (31c).
Ein dreifaches Profil soll also die in der Caritas Mit-
arbeitenden prägen: berufliche Kompetenz und das
Herz am rechten Fleck; Unabhängigkeit von Partei-
programmen und Ideologien; Liebe ohne Kalkül.
Um dieses Profil gewinnen zu können, müssen – so
der Papst – die Mitarbeitenden „zuallererst Men-
schen sein, die von der Liebe Christi berührt sind
... Ihr Leitwort sollte der Satz aus dem Zweiten Ko-
rintherbrief sein: „Die Liebe Christi drängt uns“
(5,14)“ (33). Dieser Satz steht im Pater-Rupert-
Mayer-Haus über dem Eingang zur Kantine. In die-
sem Leitwort zeigt sich uns die innerste Motivation
christlichen Engagements.
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Dr. Thomas Steinforth
Dr. Thomas Steinforth
Geschäftsführer
Caritas-Institut für
Bildung und Entwicklung
Gerechtigkeit oder Liebe?In der alltäglichen Caritas-Arbeit wird beides schon immer praktiziert
Ist Caritas-Arbeit (wie der Name „Caritas“ ja nahe
legt und wie es auch die Enzyklika betont) in erster
Linie oder sogar ausschließlich ein „Liebesdienst“
oder versteht sie sich als Dienst an der Gerechtig-
keit – oder ist sie irgendwie beides? Kommt man
über diese Frage mit Caritas-Mitarbeitern ins Ge-
spräch (zum Beispiel in Seminaren zu ethischen
Fragen unseres Instituts für Bildung und Entwick-
lung), benennen diese oft beides als Maßstab und
Motiv ihrer Arbeit: sowohl den Einsatz für die Ge-
rechtigkeit als auch und zugleich (bei aller Zurück-
haltung angesichts des großen Wortes) die christ-
liche Nächstenliebe.
Geschuldete Gerechtigkeit und geschenkte Liebe
Eine zunächst etwas theoretisch-abstrakt klingen-
de Unterscheidung kann meines Erachtens zur Klä-
rung beitragen und allzu schlichte „Entweder-Oder“
vermeiden helfen:
Die Gerechtigkeit verpflichtet uns zu Hand-
lungen und Leistungen anderen Menschen
In seiner Enzyklika über die Liebe beleuchtet Papst Benedikt an zentraler Stelle das Verhältnis von Gerechtig-
keit und Liebe. Die angemessene Bestimmung dieses Verhältnisses ist nicht nur eine spannende (= span-
nungsreiche!) und immer wieder neu zu stellende Frage für die theologisch-philosophische Theorie – sie
ist immer auch eine wichtige Frage für die Selbstverständigung der caritativen Praxis und für jeden, der für
die Caritas arbeitet.
gegenüber, auf welche diese „als Menschen“
einen Anspruch, ein „Recht“ haben, wobei
dieses Recht nicht ein Recht im juristischen
Sinne eines staatlich gesetzten und geschütz-
ten Rechtsanspruchs sein muss. Der Philosoph
Otfried Höffe nennt Gerechtigkeit deshalb
eine „geschuldete Sozialmoral“: jeder Mensch
„schuldet“ anderen Menschen je nach Situ-
ation ein bestimmtes Tun oder Unterlassen.
Die Liebe dagegen gebietet uns Handlungen
anderen Menschen gegenüber, auf welche
diese kein einklagbares oder einforderbares
Recht haben, sondern welche vom Liebenden
„geschenkt“ werden (ohne offene oder auch
versteckte Absicht, wie auch die Enzyklika
betont).
Dieser Unterschied lässt sich verdeutlichen an der
Art und Weise, wie wir spontan-affektiv reagieren,
wenn uns Gerechtigkeit oder eben Liebe verwei-
gert wird:
Werden wir in einem wichtigen Punkt unge-
recht behandelt, wird also ein uns zustehen-
des Recht verletzt, reagieren wir (zumindest
innerlich) in der Regel verärgert und empört.
Ungerechtigkeit weckt den „gerechten Zorn“.
Je nach Bedeutung und je nach Situation
protestieren wir und versuchen wir, die ver-
weigerte Anspruchserfüllung einzufordern.
Wird uns dagegen ein von uns erhoffter oder
erwünschter Akt der Liebe verweigert, rea-
gieren wir je nach Bedeutung und je nach Art
der Beziehung mit einem mehr oder weniger
großen Ausmaß an Enttäuschung.
12 13
Caritas als Liebesdienst und Dienst an der Gerechtigkeit
Wenn man diese, hier nur angedeutete und eigent-
lich viel genauer vorzunehmende Unterscheidung
von Gerechtigkeit und Liebe zu Grunde legt: Ist
Caritas-Arbeit dann Gerechtigkeit oder Liebe oder
beides?
Die genannte Enzyklika betont sehr, dass Gerech-
tigkeit Auftrag der Politik sei (in die sich die Kirche
nur mittelbar einmischen solle), während die Kirche
selbst bzw. ihre Caritas einen Liebesdienst prakti-
ziere. Diese Zuordnung bringt einen großen und
kirchengeschichtlich nicht selbstverständlichen Re-
spekt vor der Autonomie der Sphäre der Politik und
des Staates zum Ausdruck und weist jede Besser-
wisserei oder gar politische Bevormundung durch
die Kirche zurück. Tatsächlich ist Gerechtigkeit der
zentrale Maßstab der Politik, in der sich die von
Papst Benedikt ausdrücklich genannten „gläubi-
gen Laien“ tatkräftig und mit guten (= vernünftigen
und auch für Nicht-Christen nachvollziehbaren) Ar-
gumenten engagieren sollen. Allerdings scheinen
mir manche Formulierungen der Enzyklika (vor al-
lem, wenn man sie aus dem Zusammenhang reißt)
den Eindruck zu erwecken, man könne „Handeln
aus Gerechtigkeit“ von dem „Handeln aus Liebe“
sozusagen arbeitsteilig trennen: als ob einerseits
„die Politik“ für Gerechtigkeit und andererseits die
Kirche bzw. die Caritas für die Liebe zuständig sei.
Von der oben eingeführten und zumindest mir sehr
plausibel erscheinenden Unterscheidung von der
„geschuldeten“ Gerechtigkeit und der „geschenk-
ten“ Liebe her gesehen, ist die alltägliche Caritas-
Arbeit sowohl Einsatz für die Gerechtigkeit als
auch praktizierte Nächstenliebe, jedenfalls dem
Anspruch nach:
Caritas als Gerechtigkeit: Menschen in Not haben ein Recht auf Hilfe
Ein rat- und hilfebedürftiger Mensch, der mir oder
„uns“ (der Caritas) begegnet, hat „als Mensch“
(oder wie wir Christen sagen: als „Ebenbild Gottes“)
einen Anspruch, ein Recht darauf, dass ihm in sei-
ner Not geholfen werde, sofern es in meinen bzw.
unseren Möglichkeiten steht und mit meinen bzw.
unseren anderen Verpflichtungen verträglich ist.
Die konkrete Caritas-Arbeit in der Beratung, Unter-
stützung oder auch Pflege eines Menschen ist kein
wohltätiges Geschenk, das dem Bedürftigen ge-
macht wird oder auch vorenthalten werden könn-
te, selbst wenn sie unentgeltlich erfolgen würde.
Bereits der „Prototyp“ des Caritas-Mitarbeiters,
der sogenannte „Barmherzige Samariter“ ist eben
auch oder vielleicht sogar zuvor ein „gerechter
Samariter“ und der Levit und der Priester, die dem
Notleiden nicht helfen, sind nicht „nur“ lieblos,
sondern auch ungerecht.
Diese Betonung der notwendigen Orientierung der
Caritas (auch) an der Gerechtigkeit scheint mir sehr
wichtig, weil nicht nur Gerechtigkeit ohne Liebe
letztlich zu kurz greift (wie die Enzyklika zu Recht
betont), sondern auch Liebe ohne Gerechtigkeit
defizitär ist. Das gilt nicht nur für die „allgemeine
Nächstenliebe“, sondern auch für besondere, aus-
drückliche Liebesbeziehungen: So sehr eine Ehe
gescheitert ist, wenn die Ehepartner nur noch auf
ihre Rechte pochen, so gefährlich kann eine Part-
nerschaft sein, in der Rechte und Anspüche schein-
bar aufgegeben sind. Auch eine Caritas, die vor
lauter Liebe meint, sich den Ansprüchen der Ge-
rechtigkeit entziehen zu können, kann unmensch-
lich werden.
12 13
„Ein weiterer Grund, kirchliche Caritas auch als Einsatz für Gerechtigkeit zu verstehen, besteht in ihrer sozialanwalt- schaftlich-sozialpolitischen Aufgabe: Hier verbinden sich die Erfahrungen der Caritas, die sich aus dem tagtäglichen Werk der Gerechtigkeit und dem „Lie- besdienst“ speisen, mit dem Auftrag, sich sozialpolitisch für eine gerechtere Gesellschaft und zu Gunsten der Schwachen einzusetzen.„
Caritas als Liebe: Worin besteht das „geschenkte Mehr“?
Auch Caritas-Arbeit ist also praktizierte Gerechtig-
keit, freilich nicht nur: Zumindest dem ständigen
Anspruch nach sollte die Arbeit am und mit dem rat-
und hilfesuchenden Menschen über die Erfüllung
von Rechten und Ansprüchen hinaus ein „Mehr“
zu geben zu versuchen. Die Enzyklika spricht von
der besonderen „Zuwendung der Herzen“, die im
Namen der Liebe geboten sei. Worin genau aber
besteht dieses nicht einklagbare „Mehr“ der Liebe,
das in der alltäglichen Caritas-Arbeit geschenkt
werden soll – und zwar in jeder Caritas-Arbeit: der
unentgeltlich gestalteten Hilfe oder Beratung, aber
auch der „bezahlten“ Dienstleistung?
Ich denke, die Enzyklika ist ein sehr guter Impuls,
über diesen hohen, angesichts sowieso bedrücken-
der Rahmenbedingungen vielleicht auch erschre-
ckenden Anspruch ins Gespräch zu kommen, die-
ses so schwer benennbare „Mehr“ immer wieder
neu auszubuchstabieren.
Enzyklika als Gesprächsimpuls
Führungskräfte und Mitarbeiter der Caritas reagie-
ren verständlicherweise manchmal gereizt, wenn
von ihnen über die sowieso fachlich und mensch-
lich hochwertige Arbeit (scheinbar) hinaus auch
noch „Liebe“ abverlangt wird. Diese gereizte Re-
aktion ist in erster Linie eine Frage der Sprache!
Die Caritas und auch der Münchner Caritasverband
brauchen daher vielleicht mehr als bisher syste-
matische Orte, brauchen Gelegenheiten und brau-
chen eine allen verständliche Sprache, um den
hohen Anspruch der Liebe in die Alltagspraxis so
übersetzen zu können, dass er unter den real exis-
tierenden Bedingungen herausfordernd, aber leb-
bar erscheint.
Die Mitarbeitenden könnten dann nicht ohne Stolz
entdecken, dass in den vielfältigen Aktivitäten
(die zum Beispiel in diesem Jahresbericht geschil-
dert werden) immer schon versucht wird, diesen
hohen Anspruch der Enzyklika einzulösen, dass die
Orientierung an Gerechtigkeit und Liebe für sie
nichts Neues ist – aber doch der ständigen Erneu-
erung und Konkretisierung bedarf und niemals
perfekt erfüllt wird. Sie können dann entdecken,
dass die geforderte „Liebe“ oft gar nicht großartig
und emotional aufgeladen sein muss, sondern sich
in kleinen, aber glaubwürdigen Gesten und vor al-
lem in einem bestimmten, eben zuwendenden, lie-
bevollen „Stil“ realisiert und erfahrbar wird. Nicht
zuletzt die ganz konkreten Verhaltens- und Kom-
munikationsweisen, die wir mit der Kompetenzaus-
sage „Nah. Am Nächsten“ verbinden, bringen im
„Kleinen“ das zum Ausdruck, was mit dem großen
Wort „Liebe“ bezeichnet wird.
Die Enzyklika hat „naturgemäß“ einen Stil, der von
unserer Alltagssprache und auch der Alltagsspra-
che der Caritas-Mitarbeiter manchmal weit ent-
fernt ist.
„Vielleicht steckt jedoch gerade in dieser deutungs- und übersetzungs- bedürftigen Enzyklika-Sprache eine große Chance, den Anspruch der Enzyklika ins eigene Wort zu bringen, sich des eigenen Anspruchs und des eigenen Tuns bewusst zu werden und sich gemeinsam darüber zu verständigen,„in welchem Sinne wir im Diözesan-Caritasverband
in unserer alltäglichen Caritas-Arbeit Gerechtigkeit
und Liebe immer schon praktizieren und auch
künftig zum Maßstab der Arbeit machen können.
Solche das „Grundsätzliche“ nicht scheuende und
die konkrete Praxis immer im Blick habende Aus-
einandersetzungen wünsche ich der Caritas.
14 15
Dr. Hildegard Kronawitter
Dr. Hildegard Kronawitter
SPD, MdL
Diözesanrätin
der Katholiken
Helfen macht reichDie Caritas muss als Lobby in Gesellschaft und Politik hineinwirken
In meinem Leben habe ich viel Unterstützung bekommen, doch nicht nur deshalb war und ist es für mich
selbstverständlich, anderen zu helfen. Zugegeben, ehrenamtliche Arbeit konnte ich leichter leisten, weil ich
nicht Tag für Tag um meine wirtschaftliche Existenz ringen musste. Ich will aber auch betonen, dass Helfen
letztlich ein Geben und Nehmen ist. Wer anderen etwas gibt, bekommt positive Erfahrungen, Erkenntnisse
und oft Dankbarkeit zurück. Das schafft auch mir Befriedigung; in diesem Sinne macht Helfen reich.
Mein Verhalten ist sicherlich stark beeinflusst von
frühen Erfahrungen aus meiner katholisch gepräg-
ten Kindheit, in der Caritas als christliche Nächsten-
liebe selbstverständlich schien. Im ländlichen Le-
bensbereich, in dem ich aufgewachsen bin, waren
soziale Projekte meist mit der Caritas als Organisa-
tion verbunden. Als Politikerin weiß ich heute, wie
wichtig Caritas als Wert für unsere Gesellschaft ist
und wie notwendig es ist, im Helfen Verantwortung
für andere zu übernehmen. Die christliche Lehre
sagt uns, jeder Mensch ist in seiner Würde und
seinem Wert gleich. Diese Würde und die daraus
folgende Verpflichtung fordert die Caritas als Insti-
tution Tag für Tag ein. Wie schwer das manchmal
sein kann, zeigt sich beispielsweise im Alltag von
Pflegeheimen angesichts eingeengter Finanzaus-
stattung.
Ein Zweites füge ich gerne an:
„Mir gefällt die Grundmotivation der Caritas, nämlich helfen ohne Vorbedingung und aus Barmherzigkeit und im zweiten Schritt erst schauen, wie die Ursachen einer bestehenden Not behoben werden können.„
Für den Zusammenhalt der Gesellschaft ist es wichtig, dass die Caritas ihre Stimme erhebt
Wohlfahrtsverbände sind Anwälte der Schwachen
und Unterstützungsbedürftigen. Sie sind daher
aufgerufen, bei politischen Auseinandersetzungen
über das Soziale in unserer Gesellschaft öffentlich
Partei zu ergreifen. Als Lobby müssen sie für ihre
Klienten in die Gesellschaft und die Politik hinein-
wirken. Wohlfahrtsverbände als soziale Dienst-
leister sind nicht dem Markt und seinem Rendite-
denken verpflichtet, sondern dem Hilfegedanken.
Gleichwohl müssen sie wirtschaftlich handeln, um
überleben zu können und ihrem Auftrag nachhal-
tig gerecht zu werden. In der heutigen Zeit oft ein
schwieriger Balanceakt.
Ein Wohlfahrtsverband verbindet die Eigenschaf-
ten eines ökonomisch effizienten und solidarisch
handelnden Unternehmens. Er richtet seine Ent-
scheidungen am sozialen Auftrag aus und fragt
nicht, ob z.B. eine spezielle Tätigkeit wirtschaftli-
chen Überschuss verspricht. Dieses Handlungs-
prinzip muss meiner Meinung nach noch viel deut-
licher in die öffentliche Wahrnehmung gerückt
werden.
14 15
In einer Gesellschaft, die immer mehr Rechtferti-
gung für den steigenden Hilfebedarf verlangt, sind
die Auseinandersetzungen, die die Caritas im Na-
men ihrer Klienten führen muss, um die nötigen
Hilfen durchzusetzen, auch wichtig für den sozialen
Zusammenhalt. Denn Menschen, denen es gut
geht, denken zunehmend weniger an Notleidende
und Bedürftige; sozial verpflichtende Zusammen-
hänge werden schwächer. Dagegen muss die Cari-
tas mit ihrem katholischen Kontext die Stimme
erheben.
Oft nehme ich wahr, dass Menschen ihre Kirchen-
steuerzahlung williger leisten, wenn ihnen die viel-
fältigen Hilfen der Caritas als institutionalisierte
kirchliche Nächstenliebe vor Augen geführt werden.
Deshalb ist es wichtig, Einrichtungen und Projekte
der Caritas, von den Kindergärten bis zu den Alten-
heimen, von der Schuldnerberatung bis zur Ob-
dachlosenhilfe in ihrem kirchlichen Verbund in der
Öffentlichkeit zu betonen.
„Wenn die kirchlichen Wohlfahrts- verbände aus Geldmangel nicht mehr helfen können, wer hilft dann?„Die Caritas wird in der Politik sehr ernst genom-
men. Die politischen Entscheidungsträger wissen
um ihre Erfahrung als Anwalt und als Betreuer von
Menschen in Not, sie wissen und schätzen das
große uneigennützige Engagement der Caritas für
ihre Klienten, die praxisorientierte soziale Arbeit,
den kirchlichen Kontext und nicht zuletzt ihre
Transparenz.
Handeln aus „christlicher Barmherzigkeit“ – ich be-
nutze bewusst dieses „altmodische“ Wort – entwirft
ein Gegenkonzept zum modernen Egozentriker. Ein
Konzept, nach dem Menschen voraussetzungsfrei,
aus Solidarität und Verantwortung anderen helfen,
ihre eigene Stärke mit einem Gefühl der Dankbar-
keit einsetzend für jene, denen das Leben schwer
gemacht ist.
Aus Solidarität und Verantwortung anderen helfen
16 17
Wolfgang Obermair
Wolfgang Obermair
Vorstand Ressort II
Trägereinrichtungen
und Beteiligungen
Christliche Verantwortung unterscheidet
die Caritas von anderenWohlfahrtsverbände werden heute mit modernen betriebswirtschaftlichen
Methoden organisiert, geführt und gemanagt
Aus den Anfängen der in den Gemeinden praktizierten Nächstenliebe – so die wörtliche Übersetzung von
„Caritas“ – hat sich ein großer Wohlfahrtsverband entwickelt. Aber der Grundgedanke und der Impuls, der
unsere Arbeit leitet, ist immer der gleiche: Caritas Christi urget nos.
So steht es an der Tür zur Kantine im Pater-Rupert-
Mayer-Haus, der Zentrale unseres Verbands, die
gleichzeitig Gottesdienst- und Versammlungsraum
ist.
„Diese christliche Verantwortung, aus der heraus wir unseren Dienst am Menschen tun, unterscheidet die Caritas von anderen Wirtschaftsunternehmen mit vergleichbarer Größe und vergleich- baren Aufgaben und zieht sich wie ein roter Faden durch alle unsere Arbeits- bereiche.„Sie prägt unsere Verbandspolitik nach innen wie
nach außen, bestimmt unsere Schwerpunktsetzung
und leitet unsere sozialpolitischen Entscheidungen.
Nach innen bedeutet dies eine verantwortungs-
volle und fürsorgliche Politik gegenüber unseren
Mitarbeitern, sowohl ideell als auch finanziell. Wir
schätzen ihr soziales Engagement und wissen um
die alltäglichen Belastungen. Darum bieten wir
ihnen Führung und Unterstützung für die tägliche
Arbeit. Im Rahmen von Einführungstagen, durch
Weiterbildungen in allen für sie relevanten Berei-
chen, aber auch als ethische Begleitung, etwa in
der Form von Besinnungstagen oder Tagen zur Le-
bensorientierung.
Eine finanziell verantwortungsvolle Personalpolitik
zu führen heißt aber auch, dass wir uns frühzeitig,
nämlich schon heute, überlegen, wie wir mit der
demographisch bedingten Veränderung auf dem
Arbeitskräftesektor umgehen werden, und bereits
jetzt die Weichen für eine nachhaltig sichere Lohn-
politik stellen. Denn schon in 5 bis 10 Jahren wer-
den wir statt des heutigen guten Angebots einen
Mangel an jungen Arbeitskräften und Fachkräften
haben. Die Generation 50 plus, die heute beson-
ders von Arbeitslosigkeit betroffen ist, wird dann
gebraucht werden, um die entstandenen Lücken zu
schließen. Um diese älteren, qualifizierten und er-
fahrenen Arbeitskräfte einstellen zu können, müs-
sen wir unser Tarifsystem rechtzeitig verändern
und uns in Richtung einer Gleichstellung bei der
Bezahlung jüngerer und älterer Mitarbeiter orien-
tieren. Um diese Zielgruppe langfristig in die Orga-
nisation einbinden zu können, bedarf es der ver-
stärkten Gestaltung einer Integrationskultur für äl-
tere Mitarbeitende. Auch muss unser Vergütungs-
system dieser Herausforderung Rechnung tragen.
Voll und ganz ein Wohlfahrtsverband der katholischen Kirche
Als organisierte Caritas bieten wir unmittelbare Hil-
fe für Menschen, die ihre Probleme nicht alleine
lösen können, wecken Aufmerksamkeit für Men-
schen in Not und vertreten in Politik und Gesell-
schaft die Interessen derer, die sich selbst kein Ge-
hör verschaffen können. Um diese Aufgaben auch
in der Zukunft effizient und nachhaltig zu erfüllen,
müssen wir uns gleichzeitig kontinuierlich weiter
entwickeln und den äußeren, d.h. den sozialen wie
den wirtschaftlichen, Rahmenbedingungen anpas-
sen, indem wir den Wandel aktiv und innovativ ge-
stalten. Trotz aller notwendigen Entwicklungen sind
wir deshalb kein seelenloser Konzern, sondern eine
professionell gemanagte Organisation und zugleich
voll und ganz ein Wohlfahrtsverband der katholi-
schen Kirche – und das ist kein Widerspruch.
16 17
Im Gegenteil: wenn wir unsere gesellschaftliche
Rolle als Lobbyist der Armen und Benachteiligten
wahrnehmen wollen, müssen wir uns unserer Mög-
lichkeiten bewusst sein. Unserer ethischen ebenso
wie unserer wirtschaftlichen. Es ist eine in der Öf-
fentlichkeit weitgehend unbeachtete Tatsache, dass
Wohlfahrtsverbände volkswirtschaftlich von großer
Bedeutung sind. In Deutschland sind die Wohl-
fahrtsverbände Träger von rund einem Drittel aller
sozialen Dienstleistungseinrichtungen (über 100
Tausend an der Zahl). Die Wohlfahrtsverbände in
Deutschland erwirtschaften mit rund 1,3 Mio. Voll-
und Teilzeitkräften und einem geschätzten Jahres-
umsatz von rund 55 Milliarden Euro. Mit fast einer
halben Million hauptamtlicher Mitarbeiter ist die
Caritas einer der großen privaten Arbeitgeber in
Deutschland. Der Caritasverband der Erzdiözese
München und Freising – fast deckungsgleich mit
dem Regierungsbezirk Oberbayern – hat rund 6.700
Mitarbeiter und tätigt einen Jahresumsatz von ca.
280 Millionen Euro.
Tief greifende Reformen sorgten und sorgen für eine flächendeckende Professionalisierung
Wohlfahrtsverbände werden heute in der Regel mit
modernen betriebswirtschaftlichen Methoden or-
ganisiert, geführt und gemanagt. Unser Verband
hat in den letzten zehn Jahren tief greifende Refor-
men erfolgreich durchgeführt und seine Struktu-
ren, Organisation und Prozesse den gesamtwirt-
schaftlich schwierigen Zeiten angepasst. Manage-
ment und Mitarbeiterführung wurden und werden
professionalisiert. Ein wichtiges Ziel dieser Refor-
men war und ist die Transparenz der Strukturen,
Abläufe und vor allem der Zahlen.
Wir erreichen dieses Ziel mit einer ganzen Reihe
von Projekten und Methoden, die von uns entwi-
ckelt und flächendeckend in allen Einrichtungen
unseres Verbands durchgeführt werden. Zum Bei-
spiel das Caritas München Qualitätsmanagement
(www.cmqm.de), ein Prozess zur Verbesserung der
Organisationsstrukturen, in den inzwischen alle
Einrichtungen unseres Verbands eingebunden sind.
Das Projekt Zahlen soll zusammen mit dem ver-
bandsweiten Controllingsystem dazu beitragen,
dass alle entscheidungsrelevanten Daten und Zah-
len aus den Einrichtungen erhoben und zeitnah
ausgewertet werden können und die Führungs-
kräfte dadurch in die Lage versetzt werden, erfor-
derliche Entscheidungen qualifiziert zu treffen. Vor
allem aber die umfassenden Innovationen im IT-Be-
reich, MITIF (Migration IT-Infrastruktur) und C-PEP
(Caritas Produkt Evaluierung Pflege), die unseren
Einrichtungen einen wertvollen Wettbewerbsvorteil
erschließen und für den Gesamtverband zu einer
deutlichen Kostenreduktion führen werden. Damit
geht die Caritas neue Wege: wir sind einer der erst-
en Wohlfahrtsverbände, die eine zentrale und inte-
grierte IT-Struktur und Software umsetzen werden.
Viele Verbände, so auch die Münchner Caritas, ge-
hen in der Rechenschaft längst weit über die ge-
setzlichen Anforderungen hinaus. Dies wird übri-
gens von Seiten der Politik wie der Öffentlichkeit
gefordert – und in unserem Fall anerkannt und ho-
noriert.
Kooperationen und Netzwerke helfen, Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen
Die unmittelbare Zukunft mit ihrer belastenden
Kombination von ungünstiger demographischer
Entwicklung, zunehmender Schwächung der sozia-
len Sicherungssysteme – und damit einhergehend
der sukzessiven Einschränkung staatlicher Mittel
im sozialen Bereich – und der massiven Verände-
rung unserer Gesellschaftsstruktur ist eine große
Herausforderung für die Freie Wohlfahrt. Die Cari-
tas stellt sich dieser Herausforderung, indem sie
soziale Netzwerke knüpft – Kooperationen von Trä-
gern, Kommunen, Gemeinden, Vereinen etc., über
alle Grenzen hinweg, um Synergieeffekte zu nutzen,
Herausforderungen gemeinsam zu betrachten und
Lösungen gemeinschaftlich zu entwickeln. Wir ha-
ben im vergangenen Jahr eine ganze Reihe solcher
Netzwerke erfolgreich aufgebaut und setzen die
Schwerpunkte unserer Planung und unserer Ver-
bandspolitik in den Bereichen, in denen in Zukunft
der größte soziale Handlungsbedarf entstehen wird:
bei der Betreuung von Familien und Kindern, den
Angeboten für Senioren und der Gemeindeorien-
tierten Sozialen Arbeit in unseren Caritas-Zentren.
18 19
Die fachlich qualifizierte und in der Kapazität aus-
reichende Betreuung von Kindern und Jugendlichen
ist Voraussetzung für eine wirkliche Unterstützung
von Familien. Wir haben deshalb unser Engagement
im Bereich der Kindertagesstätten konsequent ge-
stärkt. Vier neue Einrichtungen wurden bereits ge-
öffnet, andere sind für 2007 geplant. In enger Zu-
sammenarbeit mit der Kommune, der Pfarrgemein-
de, den Schulen und ehrenamtlichen Initiativen
entstand in Taufkirchen an der Vils ein Kinder- und
Jugendhaus, das vielfältige Angebote für die ganze
Familie unter einem Dach vereint. Die Caritas hat
die Betriebsträgerschaft übernommen.
Qualifizierte Betreuung setzt aber auch fachlich ge-
schulte Mitarbeiter voraus. Um die Anforderungen
des Bildungsplans konsequent umzusetzen und
wirklich Chancengleichheit für alle Kinder schon in
den Kindergärten zu realisieren, setzen die beruf-
lichen Schulen und Fachakademien der Caritas auf
hochwertige Ausbildungskonzepte für Erzieherin-
nen und Erzieher.
Das Netz der gelebten Nächstenliebe trägt und integriert überall, wo die Not groß ist
Die Pflege und Betreuung von alten und ältesten
Menschen ist ein weiterer Schwerpunkt unserer
Arbeit. Hier bereiten wir uns mit unserer Angebots-
Palette „Leben im Alter – Wohnen nach Maß“ früh-
zeitig darauf vor, den unterschiedlichen Lebens-,
Wohn- und Pflegebedürfnissen und -wünschen al-
ter Menschen mit entsprechenden Angeboten zu
begegnen.
Daneben bleibt die stationäre Pflege weiterhin
eine unserer zentralen Aufgaben. Derzeit betreiben
wir 29 Altenheime in ganz Oberbayern. In unse-
rem neuen St. Franziskus-Altenheim bieten wir
seit Ende 2005 für 77 alte Menschen moderne
Wohnräume und individuelle Betreuung und Pfle-
ge. Parallel dazu bauen wir das Altenheim St. Ni-
kolaus in Schwabing neu – und erhalten damit
dringend benötigten Lebensraum.
Der Sozialstaat vollzieht einen rasanten Wandel.
Die Hilfe für bedürftige Menschen aber darf diesem
Wandel nicht zum Opfer fallen.
„Damit wir trotz rückläufiger Finan- zierungen durch die öffentliche Hand dort helfen können, wo die Not groß ist, knüpfen wir soziale Netze. Mit Freiwilligen und Ehrenamtlichen. Mit Entscheidungsträgern in der Politik und in der Wirtschaft.„
Um überall da präsent zu sein, wo wir gebraucht
werden. Bei der Integration von Menschen mit Be-
hinderung und von Menschen aus aller Welt. Bei
der Unterstützung von Menschen ohne Arbeit. Bei
der Entwicklung von Konzepten für eine soziale
Gesellschaft der Zukunft, einem Netz, das alle
trägt. Dem Netz der Caritas – der gelebten Nächs-
tenliebe.
18 19
Zah
len
- D
aten
- F
akte
n 2
00
5
Zahlen - Daten - Fakten
Wettbewerbsvorteile sichern durch kontinuierliche
Anpassung von Strukturen und Standorten
2005 hat sich das insgesamt geringe Wachstum der deutschen Wirtschaft zwar verbessert, blieb jedoch
nach Angaben des Statistischen Bundesamts mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 0,9 %
deutlich unter den Zuwächsen des Vorjahres (2004: 1,6 %). Alle führenden Wirtschaftsinstitute sahen als
stimulierende Faktoren für das Wachstum vor allem starke Impulse aus dem Ausland, die Abwertung des
Euro gegenüber dem US-Dollar und den zeitweisen Rückgang der Weltmarktpreise an den Rohölmärkten.
Da die gesamtkonjunkturelle Lage durch die dadurch bedingte Situation der öffentlichen Haushalte mit-
telbaren Einfluss auf die sozialen Dienstleistungen hat, war – wie bereits in den Vorjahren – nicht mit einer
Verbesserung der Rahmenbedingungen zu rechnen, die das Handeln gemeinnütziger Verbände bestimmen.
Vor diesem Hintergrund ist es jedoch gelungen,
unsere Marktstellung als großer regionaler An-
bieter sozialer Dienstleistungen zu festigen. Aus-
schlaggebend hierfür war einerseits die hohe
Qualität der von uns erbrachten Leistungen und
die damit einhergehende hohe Anerkennung durch
die Leistungsbezieher, aber auch die bewusste
Zurückhaltung in der Preisgestaltung der Leis-
tungsentgelte, durch die mögliche Wettbewerbs-
nachteile vermieden werden konnten. Unterstützt
wurden diese Maßnahmen durch äußerst moti-
vierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die für die
Reputation der sozialen Einrichtungen von we-
sentlicher Bedeutung sind.
Ertragslage 2005
Das Geschäftsjahr 2005 konnte mit einem Jahres-
überschuss in Höhe von 716 T€ abgeschlossen
werden.
Im Berichtsjahr wurden Sonderabschreibungen in
Höhe von 2,3 Mio. € auf ein Pflegeheim erfolgs-
wirksam verbucht, da der Betrieb zum Jahresende
eingestellt wurde.
Während das Finanzergebnis im Vergleich zum Vor-
jahr um 1.293 T€ verbessert werden konnte, blieb das
Ergebnis im ideellen Bereich nahezu unverändert.
20 21
Veränderung
2005 2004 2003 2005 2004
T € T € T € T € %
Erträge aus Pflege und Betreuung 202.991 200.900 189.084 2.091 1,0
Zuweisungen und Zuschüsse 37.206 36.472 37.815 734 2,0
öffentlicher Haushalte
Kirchliche Zuweisungen 15.760 15.587 16.718 173 1,1
Erträge a. d. Auflösung v.
Investitionszuschüssen 1.240 1.200 1.094 40 3,3
Zinsen und ähnliche Erträge 3.173 2.949 2.623 224 7,6
Ideelle Erträge 7.084 7.485 7.476 - 401 - 5,6
Sonstige betriebliche Erträge 13.912 13.082 10.778 830 6,3
281.366 277.675 265.588 3.691 1,3
Personalaufwand 205.484 201.366 194.407 4.118 2,0
Sachaufwand 33.414 32.639 32.317 775 2,4
Unterstützungen 606 735 1.183 - 129 - 17,6
Instandhaltungen 6.247 7.211 6.401 - 964 - 13,4
Abschreibungen 13.898 11.047 12.044 2.851 25,8
Zinsen und ähnliche Aufwendungen 1.780 1.735 1.763 45 2,6
Sonstige betriebliche Aufwendungen 19.221 20.764 16.703 - 1.543 - 7,4
280.650 275.497 264.818 5.153 1,9
Jahresergebnis vor Verwendung 716 2.178 770 - 1.462
Die Entwicklung der Erträge und Aufwendungen über einen Dreijahreszeitraum
zeigt nachfolgende Übersicht:
Die Umsatzerlöse haben sich leicht um 1,0 % von
200.900 T€ auf 202.991 erhöht. Ursächlich hierfür
waren Entgeltanpassungen, durch die auch Aus-
lastungsprobleme in verschiedenen Einrichtungen
ausgeglichen werden konnten.
Bei den Zuweisungen und Zuschüssen war erfreu-
licherweise auch eine leichte Verbesserung zu
verzeichnen; nach einer anhaltenden Verschlech-
terung in den Vorjahren aufgrund veränderter
Zuschussrichtlinien.
Der Personalaufwand ist gegenüber dem Vor-
jahr leicht um 2,0 % gestiegen. 2005 betrug er
205.484 T€ (Vorjahr: 201.366 T€). Das entspricht
einer Aufwandsquote – bezogen auf die Gesamt-
leistung – von 73 % (Vorjahr: 72,5 %).
Die Sachaufwendungen erhöhten sich um 734 T€
und betragen 11,9 % der Gesamtleistung. Ursäch-
lich für die Erhöhung waren im Wesentlichen ge-
stiegene Energiekosten. Die sonstigen betriebli-
chen Aufwendungen konnten im Vergleich zum
Vorjahr um 1.543 T€ reduziert werden.
20 21
Zah
len
- D
aten
- F
akte
n 2
00
5
Europäische Ziele „mehr Beschäftigung“ und „mehr Wachstum“ vor „sozialem Zu-sammenhalt“
Wie bereits in den Berichten der Vorjahre ausführ-
lich dargestellt, sind die in Industrie- und Produk-
tionsunternehmen typischerweise auftretenden
Risiken im Bereich der Wohlfahrtspflege bedeu-
tungslos. Dagegen gewinnt die europäische Ebene
für die Entwicklung der Wohlfahrtspflege immer
mehr an Bedeutung.
Stellvertretend für viele sei hier nur auf die „Lissa-
bon-Strategie“ hingewiesen, durch die zukünftig
„mehr Beschäftigung“ und „mehr Wachstum“ er-
reicht werden soll. Das bisher gleichrangig vertre-
tene Ziel des „sozialen Zusammenhalts“ wird so
nicht mehr prioritär genannt. Dies ist deshalb von
Bedeutung, weil hierdurch die anstehenden Re-
formen maßgeblich beeinflusst werden.
Die bereits erkennbaren Veränderungen werden
nicht nur für die hilfebedürftigen Menschen, son-
dern auch für die Dienste und Einrichtungen der
Wohlfahrtsverbände Auswirkungen haben. Eine
Quantifizierung der sich daraus ergebenden Risiken
ist jedoch angesichts des schleichenden Prozesses
derzeit nicht möglich.
Die gesamtwirtschaftlichen Prognosen deuten zu-
mindest für 2006 auf einen leichten Aufschwung
der Wirtschaft in Deutschland hin. Gleichzeitig er-
geben sich jedoch auch konjunkturelle Risiken,
insbesondere durch die Entwicklung der Energie-
preise, aber auch durch nationale wirtschaftspoli-
tische Unsicherheiten.
Während das etwas freundlichere konjunkturelle
Klima die Rahmenbedingungen für die Unterneh-
men der Wohlfahrtspflege nur bedingt und zeit-
verzögert positiv beeinflusst, schlagen sich die
dargelegten Risiken unmittelbar und ohne zeit-
liche Verzögerung im Ergebnis nieder.
Frühzeitige Erkennung und Eingrenzung von Risiken durch neue Instrumente zur Über-wachung interner Geschäftsprozesse
Um den ständig wachsenden Anforderungen ange-
messen begegnen zu können, ist ein effizientes
Risikomanagement von entscheidender Bedeutung.
Neben der Bestimmung der maßgeblichen fach-
dienstspezifischen Parameter ist die zeitnahe Gewin-
nung entscheidungsrelevanter Daten unerlässlich.
Ausfluss dieser Überprüfung sind mehrere Pro-
zesse, die 2006 und 2007 im Diözesan-Caritasver-
band zum Tragen kommen. Zum einen wird eine
neue IT-Infrastruktur geschaffen, die durch die
Implementierung neuer Softwarepakete in den
stationären Einrichtungen und den ambulant-
pflegerischen Diensten ergänzt wird. Zum ande-
ren werden im Rahmen eines breit angelegten
Projektes „Zahlen“ die Erfassung, Überwachung
und Steuerung interner Geschäftsprozesse, aber
auch die Identifizierung anderer Geschäftsrisiken
neu definiert, so dass sowohl die frühzeitige Er-
kennung als auch die Eingrenzung mit adäquaten
Instrumenten ermöglicht wird.
Um die gewonnene Marktstellung zu sichern und
zu stärken, ist auch eine kontinuierliche Anpas-
sung unserer Strukturen und Standorte unerläss-
lich. So kommen zu den bereits begonnenen Neu-
bauten der Alten- und Pflegeheime in Haag und
„St. Nikolaus“ in München auch neue Standorte
für die Caritaszentren in Garmisch, Fürstenfeld-
bruck und Freising hinzu, die unser Erscheinungs-
bild in der Öffentlichkeit positiv beeinflussen wer-
den und somit auch zu Wettbewerbsvorteilen füh-
ren. Das gilt auch für den geplanten Neubau des
Heilpädagogischen Zentrums in Rosenheim.
Die in den vorhergehenden Lageberichten darge-
stellten Risiken, nämliche unklare Fortentwicklung
22 23
Arbeitsbereiche der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
im Bereich der AVR, Rückzug des Landes Bayern
aus der Finanzierung von notwendigen Investitio-
nen, laufende Kürzungen der öffentlichen Betriebs-
kostenzuschüsse und Ähnliches haben unmittel-
bar Einfluss auf das Planergebnis 2006 gefunden.
Nach derzeitiger Annahme beträgt die Steigerung
des Personalaufwands im Vergleich zu 2005 mit-
arbeiterbezogen 1,3 %. Da Entgelterhöhungen für
2006 unwahrscheinlich sind und mit weiteren Zu-
schusskürzungen zu rechnen ist, können evtl. stei-
gende Personal- und Sachkosten nur durch Redu-
zierung des Aufwandes und durch eine Erhöhung
der ideellen Erträge (Spenden, Erbschaften) und
der Vermögenserträge (Miet- und Kapitalerträge)
aufgefangen werden.
Für die Reputation sozialer Einrichtungen sind motivierte Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter von wesentlicher Bedeutung.
22 23
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5
Arbeitsbereiche – Jahresvergleich
Beschäftigungsumfang
24 25
Die Aufgaben der Caritas im Veränderungsprozess
unserer Gesellschaft sind vielschichtigWarum mir christlich-soziales Engagement in der Politik wichtig ist
Joachim Unterländer
CSU, MdL
Vorsitzender des
Arbeitskreises für Sozial-,
Gesundheits- und Familien-
politik der CSU-Landtags-
fraktion, stellvertretender
Vorsitzender des „gleich-
namigen Ausschusses“
im Bayerischen Landtag
und Vorsitzender der
CSU-Familienkommission
Als überzeugter und praktizierender Katholik fühle ich mich dem Denken der katholischen Soziallehre eng
verwurzelt und verbunden. Ich finde dort auf der Basis meines Glaubens die Motivation zu sozialem Enga-
gement und den besten Schlüssel zur Lösung menschlicher Probleme. Da auch die soziale Arbeit der Caritas
auf dem christlichen Auftrag zur Nächstenliebe fußt, gibt es schon „naturgemäß“ eine große Übereinstim-
mung zwischen dem Caritasverband und meiner persönlichen Überzeugung.
In meiner Überzeugung ist die christlich-soziale
Säule das Gerüst des bewährten Sozialstaates, mit
dem unser Land nach dem Zweiten Weltkrieg auf-
gebaut wurde. Die bieten auch der heutigen Welt
vollständige und anwendbare Lösungsansätze. Ich
halte es generell für erforderlich, dass erfahrene
und kompetente Wohlfahrtsverbände mit einem
christlich geprägtem Menschenbild und an der
christlichen Nächstenliebe ausgerichteten Zielset-
zungen – und ein solcher ist die Caritas – aktiv in
die gesellschaftliche Diskussion über den Wandel
des Zusammenlebens und des Sozialstaates ein-
greifen muss. Als Sozialpolitischer Sprecher der
CSU-Landtagsfraktion betrachte ich die Caritas als
wichtigen Partner und Ratgeber.
Die Aufgaben der Caritas im Veränderungsprozess
unserer Gesellschaft sind meines Erachtens viel-
schichtig. Da ist zum einen die Hilfe für den Einzel-
nen – eine Hilfe, die immer wichtiger werden wird,
wenn ich an die größer werdende Schere zwischen
arm und reich denke. Zum anderen liegt es in der
Verantwortung der Caritas, verlässliche und zu-
gleich flexible Strukturen für diejenigen anzubie-
ten, die Hilfe benötigen – da denke ich an Pflege-
bedürftige, an sozial schwächere Familien, an Men-
schen, die Schutz und Beratung bei Insolvenz su-
chen, an die Menschen mit Behinderung, die ins
Rentenalter kommen, aus dem Erwerbsleben und
damit aus den Werkstätten ausscheiden, aber kei-
ne Familien haben, in denen sie betreut werden
können, weil die Eltern einfach zu alt oder schon
tot sind.
Ich denke an die Begleitung der Integrationsbe-
mühungen bei Menschen mit Migrationshinter-
grund – auch hier hat die Caritas eine besondere
Verantwortung. Dann diejenigen ohne Schul- und
Ausbildungsabschluss. Sie brauchen Wege und
Möglichkeiten für eine existentielle Perspektive.
Schließlich ist es mir persönlich ganz besonders
wichtig, dass die Caritas im Zuge der Schwerpunkt-
setzung bei der Familienpolitik als ein schon heute
breit und qualitativ gut aufgestellter Träger von
Kindertagesstätten weiter Ressourcen bereitstellt
und sich parallel dazu intensiv sozialpolitisch für
die Interessen und Bedürfnisse von Familien mit
Kindern einsetzt.
Joachim Unterländer
Caritas als „Multifunktionär“ macht vielen erst deutlich, was die Kirche auf sozialem Gebiet leistet
Unsere Gesellschaft macht einen rasanten Verän-
derungsprozess durch. Hier stellt sich für mich die
Frage, wie ein tragbarer Wandel aussieht. Aus mei-
24 25
ner Sicht gibt es zwei wesentliche Veränderungen,
die durch die Politik nur begrenzt beeinflussbar
sind. Das ist erstens die Globalisierung mit einem
sich verschärfenden weltweiten wirtschaftlichen
Wettbewerb. Und das ist zweitens die innerdeut-
sche demographische Entwicklung. Ich bin der
Meinung, dass wir es hier in Deutschland mit einer
strukturellen Kinderfeindlichkeit zu tun haben, die
die Politik alleine nicht ändern kann. Deshalb ist es
zunächst erforderlich, dass die Gesellschaft ins-
gesamt kinderfreundlicher wird. Politik verfügt
zwar über gewisse Steuerungsinstrumente, z.B.
Steuererleichterungen für Familien, aber parallel
dazu muss sich die Gesellschaft ändern und Kinder
nicht nur akzeptieren, sondern wünschen.
Hier kann sich die Caritas verstärkt einbringen,
denn sie ist nicht nur ein Wohlfahrtsverband, son-
dern auch ein sozialpolitischer Verband! Sie könnte
sich noch aktiver in Gesprächsforen auf den ver-
schiedenen politischen Ebenen mit einem deutli-
Schwerpunktsetzung bei der Familienpolitik: Ein deutliches „Ja!“ zu Familie und Kinder
chen „Ja!“ zu Familie und Kind einbringen. Und
dieses Ja dann auch durch entsprechende Angebo-
te praktisch untermauern.
Trotz rückläufiger Kirchensteuermittel halte ich es
für wichtig, dass die Caritas als Wohlfahrtsverband
der katholischen Kirche solche Angebote als deut-
lich erkennbares Zeichen in den Mittelpunkt ihrer
Planungen stellt.
„Als engagierter Laienkatholik bin ich davon überzeugt, dass ein offensives Auftreten der Caritas Menschen in Notsituationen helfen kann, über die caritative Unterstützung einen Zugang zur Kirche zu finden.„Denn das Angebot der Caritas als „Multifunktionär“
im katholischen Bereich macht vielen erst deut-
lich, was die Kirche auf sozialem Gebiet leistet. Ich
ermuntere die Caritas, hier aktiver zu werden.
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Viktor Münster
Weil Liebe stets konkret sein muss...Im besten Fall gelingt es, hinter aller Professionalität die Präsenz Gottes
in der täglichen Arbeit spürbar zu machen
Viktor Münster
Geschäftsführer
Katholischer Männerfür-
sorgeverein München e.V.
Jedem Menschen sind ganz besondere Talente gegeben – oder besser: anvertraut worden. Sie zu entdecken,
sie zu fördern und mit ihnen zu wuchern, ist eine Aufgabe, die uns direkt aus der Bibel gestellt wird. Soziales
Engagement sehe ich zwar als allgemeine gesellschaftliche Notwendigkeit. Dennoch ist es mir sehr wichtig,
dabei meinem ganz individuellen Ruf zu folgen, mit meinen Stärken zu punkten – und mich stets persönlich
gemeint zu fühlen, wenn es gilt zu helfen. Erfolge motivieren natürlich. Aber die Quelle dauerhafter Kraft
sprudelt für mich viel tiefer ...
Als studiertem Theologen ist mir die Theorie mit
Sicherheit nicht fremd, und ich achte sie hoch. Aber
im Laufe meines Berufslebens habe ich für mich
immer mehr herausgefunden, dass ich ein Mensch
der Praxis bin. Und wenn ich mir die jüngste Enzy-
klika „Deus Caritas est“ von Papst Benedikt XVI.
ansehe, oder die Neujahrspredigt 2005 unseres
Erzbischofs, dann lese ich dort von der christlichen
Liebe als Mitmachen, Mitgehen, als Nähe, als „Dem-
Anderen-ins-Leben-gehen“, als „da-sein“. Und zwar
so, dass der andere Mensch es auch spürt. Ganz
konkret und unmittelbar. Echte Liebe ist immer kon-
kret. Wie es der Gründer unseres Katholischen
Männerfürsorgeverein München, Monsignore Adolf
Mathes, sinngemäß formuliert hat: Was nützen die
tollsten Ideologien, wenn der Mensch nicht merkt,
dass man ihn gern hat? Genau darum geht es!
Die Wohnungslosenhilfe berührt sehr viele heiße Eisen unserer Gesellschaft
Das Konkrete ist mir umso wichtiger, je mehr ich
heute als Geschäftsführer unseres Vereins aufs Ad-
ministrative verpflichtet bin. Wobei ich aus vielen
Jahren praktischer Erfahrung im direkten Umgang
mit den Menschen schöpfen kann. Ich war, nicht
zuletzt als Leiter, in unterschiedlichen Einrichtun-
gen tätig. Die Wohnungslosenhilfe berührt sehr
viele heiße Eisen unserer Gesellschaft: Psychische
Erkrankungen, Sucht in allen Spielarten, Behinde-
rungen, das Scheitern von Biographien... Maßge-
schneiderte Hilfe ist da nicht immer aus dem Hand-
gelenk zu schütteln.
Zumal einem in der täglichen Arbeit auch eine
Menge Zumutungen widerfahren. Denn man darf
die Menschen mit ihren Nöten ganz gewiss nicht
idealisieren –
„ein Leben im Elend gebiert oft auch Niedrigkeit. Aber Hilfe auf der Grundlage christlicher Liebe heißt genau dann: Einladung zur Partnerschaft, zur Beteiligung. Ich will dem Menschen das Gefühl geben, dass er selbst etwas kann, selbst etwas wert ist. So entsteht Persönlichkeit, so entsteht menschliche Würde.„
26 27
Professionalität sorgt für die richtigen „Werkzeu-
ge“, um mit Frustrationen und Zumutungen fertig
zu werden. Aber mein Glaube muss die Professio-
nalität als Haltung durchdringen.
Menschen konkret helfen, mich ihnen nähern, zu-
hören – ich habe erfahren: Das kann ich gut, das ist
meine Sache, meine Berufung. Und entsprechend
sehe ich es dann auch als Verpflichtung. Wobei ich
durchaus auch Profi aus Überzeugung bin, denn
Gut sein wollen allein reicht auch nicht. Mein Kön-
nen, Wollen, Tun und Sein in größtmöglichen Ein-
klang zu bringen – dabei hilft mir der Glaube.
Die Menschen haben feine Antennen für Wahrheit, Ehrlichkeit, Lauterkeit und Authentizität
Heute erlebe ich die Praxis kaum noch mit unseren
Menschen in den Einrichtungen, sondern mehr im
Umgang mit den Mitarbeitern. Aber auch hier ist
es die Unmittelbarkeit des christlichen Auftrags,
die mir hilft, die Mitarbeiter mit einfachen, klaren
und authentischen Worten und Gedanken immer
wieder zu motivieren. Im besten Fall gelingt es mir,
hinter aller Professionalität die Präsenz Gottes in
der täglichen Arbeit spürbar zu machen. Dafür be-
darf es keiner gewählten, sondern einfach der
passenden Worte. Denn unsere Mitarbeiter haben
genauso wie die Menschen, die wir betreuen, sehr
feine Antennen für Wahrheit, Ehrlichkeit, Lauter-
keit und Authentizität. Das bringt die tägliche Prä-
senz des Abgrunds so mit sich. Wenn ich merke,
dass ich dort verstanden werde,
„wenn ich mit meinen Worten und Taten ankomme – dann wird mir bewusst, dass mir mein Glaube ganz stark hilft, meine Pflicht zu tun.„Und das gibt mir immer wieder neue Kraft.
28 29
Rosemarie Wechsler / Michaela Westermair
AmselgesangEin Gespräch mit Rosemarie Wechsler und Michaela Westermair über
ihre ehrenamtliche Tätigkeit in der Sterbebegleitung
In früheren Zeiten waren die Sexualität und die
Geburt Themen, über die nur hinter vorgehalte-
ner Hand gesprochen wurde. Dagegen war der
Tod präsent. Heute, so scheint es, hat sich dies
umgekehrt. Ist der Tod ein Tabu?
R. Wechsler: Ich denke, es ist so. Es zeigt sich aller-
dings ein Wandel. Wenn ich mit Leuten ins Ge-
spräch komme und von meiner Arbeit erzähle, er-
lebe ich relativ oft, dass sie berichten, wie es war
als beispielsweise ihr Vater gestorben ist. Ich mer-
ke dann, es ist eine Erleichterung für sie, jeman-
den zu haben, der ihnen zuhört.
M. Westermair: Die Familienkonstellation war frü-
her anders. Es war immer jemand da; das Sterben
gehörte zum Leben. Heute haben wir kleinere Fami-
lien. Man geht weg von den Eltern, hat seine eigene
Familie, Wohnung. Man hat seinen Job, ist im Stress.
Dann werden die Eltern krank – die Arbeit kann
man deswegen nicht aufgeben – also, was macht
man? Opa und Oma kommen in ein Pflegeheim ...
R. Wechsler: Ich möchte noch zwei kleinere per-
sönliche Erlebnisse einbringen: Wir veranstalten
zweimal im Jahr Hospiz-Grundseminare, ohne groß
dafür zu werben. Es kommen immer so 18 bis 20
Teilnehmer. Das Interesse, die Bereitschaft, im
Hospizbereich mitzuarbeiten, ist da. Beim letzten
Seminar, im Februar, ging es auch um die Frage:
Tabu Tod. Abends komme ich müde heim und
schalte noch den Fernseher an, sehe dort in einer
Talk-Show zwei junge Schauspieler vom Tod ihrer
Großeltern erzählen. Und erst neulich hatte ein
Beerdigungsinstitut vor Ort „Tag der offenen Tür“.
Wir waren auch mit unserem Stand da. Den gan-
zen Tag herrschte Betrieb. Ein wenig Umdenken
ist im Gange.
Frau Westermair, wie kamen Sie
zur Hospizbewegung?
M. Westermair: Mein Schwiegervater erkrankte an
Leberkrebs, er hatte nur noch ein Vierteljahr zu
leben. Ich sagte zu meiner Schwiegermutter: Ich
kann dir helfen, aber es geht nur zusammen, wenn
wir ihn zu Hause pflegen wollen. Ich hatte zu der
Zeit 3 Jobs und die Familie zu versorgen. Ich habe
dann 2 Jobs gekündigt, um mich um meinen Schwie-
gervater kümmern zu können.
Nach seinem Tod habe ich eine Anzeige für das
Hospiz-Grundseminar gesehen. Ich wollte wissen:
habe ich alles richtig gemacht, hätte ich was bes-
ser machen sollen. Auch für die Zukunft. So bin ich
in den Hospiz-Vorbereitungskurs bei Frau Wechsler
gekommen und bin jetzt das dritte Jahr als ehren-
amtliche Helferin dabei. Früher, als meine Jungs
noch kleiner waren, war ich im Sportverein tätig.
Ich habe so ein schönes Leben, habe zwei gesun-
de Kinder, muss wenig arbeiten, jetzt kann ich
mich ehrenamtlich engagieren. Ich werde das auch
weiterhin tun.
Frau Wechsler, Sie sind als Geschäftsführerin
ebenfalls ehrenamtlich dabei?
R. Wechsler: Ja. Ich gehöre noch zu den letzten
Jahrgängen, die mit 60 ohne finanzielle Einbußen
in den Ruhestand gehen konnten. Ich wollte der
Gesellschaft etwas zurückgeben. Ich werde noch
gebraucht. Dazu kommt, dass ich jetzt als ehren-
amtliche Geschäftsführerin in der Hospiz meine be-
ruflichen Erfahrungen einbringen kann. Ich weiß
jedoch nicht, ob ich eine gute Hospizhelferin wäre.
Sie begleiten Sterbende in ihren letzten Tagen?
M. Westermair: Das kann man so nicht sagen. Kei-
ner von uns ist Gott und weiß, wann jemand stirbt.
Ein Beispiel: Eine alte Frau war im Krankenhaus,
ihr ging es sehr schlecht. Da sie keinen Besuch be-
kam, wurde eine Hospizhelferin gefragt. Sie ist
aber wieder gesund geworden. Soll ich jetzt zu der
alten Frau sagen: Weil‘s Ihnen jetzt besser geht,
komme ich nicht mehr?
Michaela Westermair
Ehrenamtliche Hospiz-
helferin beim Elisabeth-
Hospiz-Verein Dachau
Rosemarie Wechsler
Ehrenamtliche Geschäfts-
führerin des Elisabeth-
Hospiz-Vereins Dachau
28 29
R. Wechsler: Wir versuchen schon, eine Grenze
zwischen Besuchsdienst und Hospizbegleitung zu
ziehen. Die Grenze verschwimmt allerdings gera-
de im Altenheim.
M. Westermair: Es gab auch den Fall, dass wir eine
Nachtwache im Krankenhaus machen mussten, die
Frau lag laut den Ärzten im Sterben. Doch sie lebte
dann noch siebzehn Jahre! Wer kann sagen, wann
jemand stirbt? Durch die Zuwendung, dass die Frau
wusste, es kommt jemand, hat sie wieder Lebens-
qualität gewonnen.
Was sind die Unterschiede zwischen dem
Betreuen zuhause und im Altenheim?
M. Westermair: Zuhause ist so viel zu organisieren!
Da sind die Angehörigen häufig überfordert. Man
muss sich immer fragen: Ist die Betreuung zuhause
überhaupt zu machen? Brauche ich einen Pflege-
dienst? Ein Pflegebett? Sie müssen sich um jede
Windel kümmern. Das Problem habe ich im Pflege-
heim nicht. Da ist alles da.
Um noch einmal auf die Frage zurückzukommen,
ob der Tod ein Tabuthema ist. Ignorieren wir das
Thema, bis es nicht mehr zu ignorieren ist?
M. Westermair: Wir sind eine Fun-Gesellschaft,
wir wollen leben, wir wollen uns nicht mit Tod und
Sterben beschäftigen. Das ganze Leben verändert
sich, wenn ich einen Todkranken zuhause habe. Es
gibt aber einen Wandel. Gerade Elisabeth Kübler-
Ross ... die große US-amerikanische Psychiaterin
mit Schweizer Wurzeln, die fünf Phasen des Ster-
bens – Isolierung, Zorn, Verhandeln, Depression,
Zustimmung – definierte, ... hat dazu beigetragen.
Wir müssen uns auch ändern. Wer soll denn die
Pflegeheime alle bezahlen?
Auch im Angesicht des Todes sollten die
Menschen ihre Würde behalten. Sollten
alle Menschen zuhause sterben können?
M. Westermair: Das wäre schön.
R. Wechsler: Ich sehe das ein bisschen anders. Es
müsste möglich werden, dass man überall in Wür-
de sterben kann. Im Krankenhaus, im Altenheim,
zuhause. Die meisten Leute wünschen sich, daheim
zu sterben, aber es gibt auch Situationen, wo es
einfach nicht geht.
M. Westermair: Wenn die medizinische Versorgung
aufwendig ist, Ärzte Morphium spritzen müssen,
dann geht es nicht. Manche wollen auch nicht zu-
hause sterben, um ihre Angehörigen nicht zu be-
lasten. Viele gehen in ein Hospiz.
30 31
R. Wechsler: Wenn eine Familie sagt, sie möchte es
ihrem Angehörigen ermöglichen, zuhause zu ster-
ben, dann kann die Hospizbewegung sie darin be-
stärken.
Wie kommt man selbst zur Ruhe, wenn man
ständig mit diesen Themen konfrontiert wird?
R. Wechsler: Dadurch, dass ich nicht so nahe dran
bin, habe ich weniger Probleme damit, abzuschal-
ten. Ich merke aber, seit ich diese Arbeit mache,
dass ich eher den Mut finde, Leute anzusprechen,
von denen ich weiß, dass Angehörige gestorben
sind. Es tut denen gut, wenn sie davon erzählen
können. Das sind dann Gespräche, die einem
nachgehen.
M. Westermair: Da ist zum einen der Rückhalt in
meiner eigenen Familie. Dazu mache ich ja noch
eine Mittagsbetreuung für Erst- und Zweitklässler
in der Schule. Ich möchte immer mit Kindern arbei-
ten. Das ist mein Ausgleich. Wenn ich in den Schul-
raum reingehe, ist alles andere weg. Das gibt mir
Kraft. Man bekommt aber auch von den Leuten viel
zurück. Man tut für jemanden etwas, er bedankt
sich, das gibt einem auch Kraft.
Stichwort: Verdrängung.
Braucht es jemanden von außen, der mit den
Kranken oder mit den Angehörigen direkt und
offen über den Tod spricht?
R. Wechsler: Es gibt diese groteske Situation, von
der Hospizhelfer immer wieder erzählen. Ein Ehe-
paar, der Mann ist unheilbar erkrankt. Seine Frau
sagt zum Hospizhelfer: „Sagen Sie ihm nicht, dass
er sterben muss, er wird so traurig.“ Und der Mann
sagt: „Sagen Sie bloß nichts meiner Frau!“ Man
braucht dann soviel Kraft, um voreinander Theater
zu spielen, die man vielleicht besser nützen könn-
te. Zum Beispiel für liebevolle Gespräche, in denen
das zur Sprache kommt, was man sich noch sagen
wollte.
M. Westermair: Mein Schwiegervater hat immer
gesagt: „Lass mich in Ruhe, ich will nicht darüber
reden!“
Wenn man sich wie Sie so mit dem Thema
beschäftigt, wie denkt man selbst über
seine eigene Vergänglichkeit?
M. Westermair: Wir hatten im Vorbereitungssemi-
nar die Frage: Wenn Du jetzt noch eine Stunde zu
leben hättest, was würdest Du tun? Wir sollten
diese Stunde aufschreiben. Ich saß vor dem weißen
Blatt Papier. Das war brutal, wenn man sich vorher
noch nie damit beschäftigt hat. Ich habe so geheult
in dieser Stunde. Ich konnte gar nichts aufschrei-
ben ... Weil ich nicht wusste, was soll ich in dieser
Stunde tun? Soll ich zu meiner Familie, soll ich zu
meinen Eltern, soll ich mich verabschieden, soll ich
ihnen noch erklären, wie die Geschirrspüle oder
die Waschmaschine funktioniert? Aber wenn man
sich ein paar Jahre damit beschäftigt ... Also, im
Moment habe ich überhaupt keine Angst vorm
Sterben. Es kann jederzeit passieren.
R. Wechsler: Zwar bin ich vom Lebensalter näher
dran am Tod als Frau Westermair, aber als „Schreib-
tischtäterin“, die sich vor allem um die Finanzen
kümmert, dann doch nicht. Aber ich könnte die Tä-
tigkeit natürlich nicht machen, wenn ich mich von
dem Thema abschotten würde. Ich versuche, be-
wusster zu leben. Die Zeit ist begrenzt, und was
ich machen will, muss ich jetzt machen.
M. Westermair: Im Seminar damals hast Du ge-
sagt, das weiß ich noch gut: „Ich hab mal eine Zeit
gehabt, da war ich so mit mir im Reinen, da hätte
ich sterben können. Jetzt, im Moment, würde es mir
allerdings nicht passen, wenn ich gehen müsste.
Ich habe noch so viel zu erledigen.“
30 31
Die Einstellung ändert sich auch mit der Lebenssi-
tuation. Ich wollte nie sterben, als meine Kinder
noch klein waren. Keiner fragt dich: „Hallo? Hast
du jetzt Zeit?“ Alles erledigt wird man nie haben.
Vielleicht hilft uns auch die Hospiz-Arbeit, dass wir
auf den Boden zurückkommen. Zu sehen, aha, ir-
gendwann kommst du auch dahin.
Träumen Sie manchmal von den Toten?
M. Westermair: Von Fremden noch nicht, aber von
meinem Schwiegervater habe ich zweimal ge-
träumt. Das erste Mal war es eine Familienfeier, ich
hatte Geburtstag. Opa steht vor der Tür, er sieht
furchtbar aus, halb skelettiert. „Opa, ich kann
dich so nicht reinlassen!“, sagte ich. Das war ganz
schlimm. Das nächste Mal, mein Mann hatte Ge-
burtstag, habe ich wieder von ihm geträumt. Da
sah Opa super aus. Er saß bei meiner Mutter in der
Küche, hat gelacht und erzählt. Das war schön.
Jetzt hat er‘s geschafft, habe ich gedacht. Danach
habe ich nie mehr von ihm geträumt.
R. Wechsler: Ich habe nach dem Tod meiner Mutter,
mit der ich ein kompliziertes Verhältnis hatte, zwei
oder dreimal von ihr geträumt. Aber es waren sehr
versöhnliche Träume ... Es war mir aber vollkom-
men klar, es waren Träume. Es gibt ja Erfahrungen
von Angehörigen, dass Verstorbene sie besucht
haben sollen.
Wie kann man Menschen, die nicht religiös
sind, an kein Leben nach dem Tod glauben,
Trost spenden?
M. Westermair: Hier habe ich persönlich noch nicht
die Erfahrung gemacht. Begleiten kann man diese
Menschen trotzdem. Und erleichtern kann man es
sowieso niemandem. Das muss jeder mit sich selbst
ausmachen, den Weg muss ein jeder selbst gehen.
Gibt es nicht mehr Kraft, zu glauben, dass
das Leben mit dem Tod nicht zu Ende ist?
R. Wechsler: Ich weiß es nicht. Es gibt ein sehr
schönes Gedicht von Bert Brecht, da heißt es:
„Schon seit geraumer Zeit / Hatte ich keine To-
desfurcht mehr. Da ja nichts / Mir je fehlen kann,
vorausgesetzt / Ich selber fehle.“ Es ist eines sei-
ner letzten Gedichte, es endet mit dem Satz: „Jetzt
/ Gelang es mir, mich zu freuen / Alles Amselge-
sanges nach mir auch.“
Ich weiß aus Erzählungen von Hospizmitarbeitern,
dass manche Menschen auch sagen: Bitte nichts
von Gott. Doch eines kann man auf jeden Fall sa-
gen: Es wird alles gut sein. Es wird kein Kampf
mehr sein. Keine Schmerzen mehr.
M. Westermair: Wie gesagt, den Weg muss ein je-
der für sich selbst gehen. Aber wovor haben wir
eigentlich Angst?
R. Wechsler: Es gibt auch das andere, dass Men-
schen in eine religiöse Krise kommen. Ich sehe da
– immer ein bisschen spöttisch – vor allem dieje-
nigen, die den lieben Gott wie einen „Zigaretten-
automaten“ ansehen. Oben werfe ich meine Gebe-
te und meinen sonntäglichen Kirchgang rein, und
unten hat er für mich „Wohlergehen“ rauszugeben.
Diese Menschen sagen dann: Wieso kann mir un-
ser Herrgott das schicken? Ich habe doch immer
alles recht gemacht ... Auch religiöse Menschen
können in eine Krise kommen und sagen: „Warum
ich?“
M. Westermair: Es gibt da das Buch „Oskar und
die Frau in Rosa“. Ein kleiner Junge hat Krebs, die
Chemotherapie schlägt nicht an. Oskar merkt, wie
sich die Menschen um ihn herum verändern. Der
Arzt schaut ihm nicht mehr in die Augen, die Putz-
frau weint, die Krankenschwestern sind seltsam.
Jeder schleicht um ihn herum, und immer, wenn er
nachfragt, was eigentlich los sei, redet keiner mit
ihm. Das ist für Oskar das Schlimmste. Und dann
gibt es eine Betreuerin, die Frau in Rosa, die die
Kinder besucht und ihnen vorliest. Sie ist die ein-
zige, die mit ihm über das Sterben redet. Und das
hilft ihm unheimlich. Lesen Sie das Buch!
32 33
Florian Preißer
Florian Preißer
Leiter Caritas-Altenheim
St. Josef, Karlsfeld
Christ sein in der AltenpflegeDie Sorge um alte, gebrechliche, verwirrte, verunsicherte und
sterbende Menschen geschieht „um Gottes willen“
In den Alten- und Pflegeheimen des Caritasverbands gehören längst nicht mehr alle Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter einer christlichen Kirche an. Auch hier hat sich die Landschaft in den letzten Jahren verändert.
Die äußeren Kennzeichen gelebten Glaubens sind nicht mehr so leicht erkennbar. Müssen wir befürchten,
dass sich das katholische Bild unserer Einrichtungen verwischt oder der Glaube gar zu kurz kommt? Um es
gleich vorweg zu nehmen: Es gibt keinen Grund, sich darüber allzu große Sorgen zu machen. Aber wie sieht
eine Bezeugung unseres Glaubens in der heutigen Zeit aus?
Waren beispielsweise die Einrichtungen in der Ver-
gangenheit oft noch durch einen hohen Anteil von
Ordensschwestern, bis in die Heimleitung, gekenn-
zeichnet, sind heute nur noch in wenigen Häusern
Ordensangehörige im pflegerischen Dienst tätig.
Mit der Zunahme der Pflegebedürftigkeit unserer
Bewohnerinnen und Bewohner ist der Bedarf an
neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern stetig ge-
stiegen. Und wie überall in der Berufswelt werden
die Arbeitswege länger: Es wird immer seltener,
dass unsere Beschäftigten Gottesdienste und reli-
giöse Feiern im Altenheim selbst besuchen. Sie
sind in anderen Pfarrgemeinden zu Hause oder le-
bensweltlich verschieden engagiert.
Sich in einer jugendbetonenden Gesell-schaft dem Thema Alter und Tod zu stellen, ist für viele nicht einfach
Viele, die in den neuen Bundesländern und den
Staaten des sogenannten ehemaligen Ostblocks
aufwuchsen, wurden bei uns eingestellt. Sie hatten
durch ihre Sozialisation in der ehemaligen DDR
oder den anderen Ländern nicht leicht Kontakt zu
den christlichen Kirchen, und die wenigsten sind
getauft. Die christliche Gemeinschaft der Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter am Arbeitsplatz ist nicht
mehr so homogen wie früher. Glaube manifestiert
sich aber nicht nur durch äußere Kennzeichen. Diese
erleichtern zwar die innere Haltung und können hilf-
reich für die Orientierung sein, aber es muss auch
noch etwas anderes geben, wodurch unser Glaube
in den Alten- und Pflegheimen des katholischen
Caritasverbands weiter getragen und gelebt wird.
Wenn wir heute Jugendliche nach ihren Berufswün-
schen fragen, bekommen wir selten zur Antwort,
dass sich jemand für die Altenpflege entschieden
hat. Auch diejenigen, die bewusst eine Laufbahn
in einem Sozialberuf einschlagen wollen, nennen
diesen Bereich nicht unbedingt an erster Stelle.
Zunächst bietet diese Tätigkeit weniger persönli-
che Attraktion und verfügt über kein großartiges
soziales Renommé.
Sich in einer jugendbetonenden Gesellschaft dem
Thema Alter und Tod zu stellen, ist für viele nicht
einfach. Im Umgang mit alten und gebrechlichen
Menschen wird die eigene Endlichkeit und Ver-
gänglichkeit deutlich und bewusst. Nachdem wir
heute alle Symbole des memento mori erfolgreich
aus unserem Alltag verbannt haben, wollen wir
auch nicht mehr daran erinnert werden. Vielleicht
bemühen sich die Boulevardpresse und das auf
Öffentlichkeit getrimmte und an Einschaltquoten
orientierte Fernsehen deshalb so, die negativen
Seiten dieses Berufes isoliert und überbewertet
darzustellen. Eine Unterstützung für einen Berufs-
wunsch in diese Richtung bietet dieses Verhalten
nicht. Selbsternannte Sozialexperten schlagen in
die gleiche Kerbe und verunsichern die Öffentlich-
keit und Beschäftigte.
Wer wirklich helfen will, muss in der Lage sein, für den anderen Sorge zu tragen und Liebe zu empfinden
Dieses Phänomen ist hinlänglich bekannt und soll
hier nicht beklagt werden. Vielmehr stellt sich doch
32 33
die interessante Frage: Warum ergreifen trotzdem
viele junge und ältere Menschen bewusst einen
Beruf in der Altenpflege? Was motiviert die vielen
tätigen Altenpflegerinnen und Altenpfleger, sich
trotz der existierenden Vorurteile in ihrem Beruf
zu engagieren?
Viele haben ganz bewusst die Entscheidung ge-
troffen, als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter in der
Pflege, der Hauswirtschaft, Technik oder Verwal-
tung in einem Altenheim Auskommen und Erfül-
lung zu finden. Sie legen ein klares Zeugnis für
diesen Beruf entgegen dem allgemeinen Trend ab.
Für jeden, der länger in diesem Beruf bleibt, steht
irgendwann fest: Etwas motiviert ganz gehörig.
Schauen wir uns doch genauer an, was das ist: Ist
es das Helfen-Können?
Jemandem zu helfen, kann einen selbst glücklich
machen. Dieses Wissen wird gerade von populären
Lebensberatern wiederentdeckt. In Wirklichkeit ist
es viel älter, so alt wahrscheinlich wie die Mensch-
heit selbst. Helfen soll aber kein Heilmittel gegen
eigene depressive Weltschmerzstimmungen sein.
Nicht das schlechte Gewissen vor dem Elend der
Welt soll beruhigt, noch die eigene Gemütsstim-
mung durch Hilfstaten verbessert werden. Solche
hilflosen Helfer wären weniger in der Lage, dem
anderen wirklich Unterstützung zu bieten.
Wer wirklich helfen will, muss in der Lage sein, für
den anderen Sorge zu tragen und Liebe zu empfin-
den. Bereits Paulus hatte diesen Zusammenhang
im ersten Korintherbrief formuliert: „Und wenn ich
all meine Habe austeile und wenn ich meinen Leib
hingebe zum Verbrennen, doch Liebe nicht habe,
nützt es mir nichts.“ Es ist die Liebe zum Nächsten
und die ehrliche Sorge um den Anvertrauten, die
meine Hilfe erst wertvoll machen. Diese Liebesfä-
higkeit muss eng mit beruflichem Können ver-
knüpft sein. Diese Bestätigung gab auch unlängst
Papst Benedikt XVI. in seiner Enzyklika DEUS CA-
RITAS EST: „Was nun den Dienst an den Leidenden
betrifft, so ist zunächst berufliche Kompetenz nö-
tig: Die Helfer müssen so ausgebildet sein, dass
sie das Rechte auf rechte Weise tun und dann für
die weitere Betreuung Sorge tragen können.“(s. 45)
Viele betonen, dass sie durch ihre Tätigkeit auch etwas zurückbekommen
Fragt man Altenpflegerinnen und Altenpfleger nach
dem persönlichen Grund für ihre Entscheidung und
die Bereitschaft längere Zeit in dem Beruf zu blei-
ben, konzentrieren sich die Antworten recht bald.
Da hört man keine theologischen Begründungen
oder das sich Berufen auf sittliche Gebote nach
dem Muster „Man muss doch...“. Es ist wirklich
der Wunsch, dem anderen Menschen beizustehen.
Letztendlich kann man die schwere Arbeit mit alten
und pflegebedürftigen Menschen auf Dauer nur
dann machen, wenn dieser Wunsch tief verankert
ist und über manche Hürden im Pflegealltag hin-
weghelfen kann.
Viele betonen, dass sie durch ihre Tätigkeit auch
etwas zurückbekommen. Dankbarkeit, ein Lächeln,
menschliche Reaktionen. Das stärkt den einzelnen
in seiner Arbeit. Es ist aber nicht ein eigennütziges
Handeln nach dem Schema do ut des – ich gebe,
damit mir gegeben wird. Das wäre eine berech-
nende Herangehensweise, die schnell in die Sack-
gasse führen würde. Es ist vielmehr die Bestäti-
gung der Liebe für den Nächsten. Sigmund Freud,
der Begründer der Psychoanalyse, hat es einst tref-
fend benannt, indem er die Nächstenliebe als nur
dann möglich sah, wenn man sich auch selbst lie-
ben könne.
Jemandem zu helfen, kann einen selbst glücklich machen.
34 35
Nächstenliebe kann also nicht nur einseitig sein.
„Eine längerfristige Berufsaus- übung ist nur möglich, wenn die Welt als Mitwelt begriffen wird und wenn die Liebe zum Nächsten entwickelt werden kann.„Wer in egoistischer Selbstversperrung bleibt, ge-
rät sehr schnell an einen Endpunkt und kann auch
nicht mehr sinnvoll arbeiten.
Doch wo wird dabei Zeugnis für unseren Glauben
abgelegt? Wir sind bereits mitten drin.
Der bekannte Theologe Karl Rahner sagte dazu
ganz treffend:
In der Nächstenliebe steckt mehr als bloß die Liebe
zu eben diesem Nächsten. Im Nächsten wird be-
reits Gott selbst geliebt. Deutlich wird dies im be-
rühmten Jesuswort: Was ihr für einen meiner ge-
ringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir ge-
tan.“ (MT 25,40) Es ist wiederum Karl Rahner, der
in diesen Worten eine elementare Wahrheit sieht.
Zu oft hörte er diesen Satz seiner Aussage nach
als Bestandteil „frommer und erbaulicher Reden“
(ebda.). Das ist ihm aber zu wenig. Es geht ihm
nicht um eine juristische Fiktion nach dem Mecha-
nismus als – ob: wenn ich mich so und so verhalte,
dann bin ich gut. In diesem Moment begegnen wir
wirklich im anderen Menschen dem fleischgewor-
„Wir fangen nicht erst an mit Gott etwas zu
tun zu haben, wenn wir ihn rufen. ... Und
wenn ein Mensch in der Grundtat seines
Daseinsvollzugs sich liebend zu den Mit-
menschen verhält, ist diese Grundtat sei-
nes Lebens aus dem allgemeinen vergött-
lichenden Heilswillen Gottes, der auch
außerhalb der Kirche überall am Werk ist,
getragen von Gottes heiligem Geist, von
seiner Gnade und ist wenigstens unthema-
tisch und unausdrücklich, aber wirklich
auch ein Akt der Caritas, der Liebe Gottes.“
Karl Rahner: Glaube, der die Erde liebt, Freiburg 1971
denen Worte Gottes. Und der andere Mensch ist
elementar wichtig dabei. Denn wenn wir von ihm
nichts wissen, wissen wir letzten Endes nichts von
Gott.
In diesem Akt des Daseins für den Nächsten, in
meiner Entscheidung, auch professionell, dem
Nächsten zu helfen, begründe und bezeuge ich be-
reits meinen Glauben. Auch in seiner Enzyklika
DEUS CARITAS EST zitiert Papst Benedikt dieses
Jesuswort aus dem Matthäus-Evangelium. Hier ist
der Weg deutlich formuliert: „Im geringsten begeg-
nen wir Jesus selbst, und in Jesus begegnen wir
Gott.“ Das Zeugnis wird durch unsere Taten und
Werke abgelegt. Dadurch wird unsere Liebe zu Gott
lebendig.
Die Nächstenliebe und die Gottesliebe sind keine Themen für Einzelkämpfer
Schön und gut, könnte man sagen, das trifft ja auf
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus allen Alten-
und Pflegeheimen zu. Auf Heime in christlicher
Trägerschaft genauso wie auf die in nicht-christli-
cher Leitung. Was ist denn dann spezifisch an den
Häusern des Caritasverbands? Zunächst geschieht
diese Zuwendung zum Nächsten manchmal ganz
unbewusst. Wer sich noch nicht viel mit christli-
chen Inhalten beschäftigt hat, weiß womöglich
noch nicht viel um sein Bekenntnis. Aber um Zeug-
nis ablegen zu können, muss ich diesen Vorgang
zunächst einer Bewusstwerdung unterziehen.
Es ist schon richtig, dass die Liebe zu Gott überall
da gelebt wird, wo das Prinzip der Liebe zum
Nächsten ehrlich Anwendung findet. Dies ist oft ein
individueller Akt, der vom Einzelnen gelebt wird,
aber nicht unbedingt von außen begleitet wird. In
christlichen Häusern, insbesondere, in denen des
Caritasverbands, bleibt dies nicht auf der indivi-
duellen Ebene stehen. Die Nächstenliebe und die
Gottesliebe sind keine Themen für Einzelkämpfer.
Christus gibt es nicht für mich allein. Ich kann ihm
nur zugehören „in der Gemeinschaft mit allen, die
die seinigen geworden sind oder werden wollen.“
(Deus Caritas est s. 22). In den Häusern des Ca-
ritasverbands kann ich mich in dieser Gemein-
schaft bewegen. Ich werde darin unterstützt, das
34 35
christliche Menschenbild zu leben und weiterzu-
geben. Ich muss die Gemeinschaft nicht außer-
halb suchen.
Geschieht diese Begleitung, stellt sich interessan-
terweise oftmals ein Phänomen ein: Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter, die wegen ihrer Herkunft
noch nicht viel mit christlichen Glaubensinhalten zu
tun hatten, oder die sich innerlich wegen schlech-
ter persönlicher Erfahrungen von der Institution
Kirche abgewendet hatten, finden durch diese Be-
wusstwerdung zu Erkenntnissen, die sie zum Glau-
ben führen oder zurückführen. Bei den Ersteren ist
es das Erlebnis, dass es zwischen ihrem Tun und
den Glaubensinhalten bereits eine klare Entspre-
chung gibt. Diese wird nun auch bewusst und
kann formuliert werden. Die Letzteren sehen eine
positive Ebene des Glaubens, auf der sie nun wie-
der Zutritt finden. Negative persönliche Erlebnisse
früherer Art, die oft auf menschlichen Enttäuschun-
gen basieren, werden relativiert.
„Die Bewusstwerdung von und der positive Zugang zum Glauben müssen erst vollzogen sein. Dann kann auch jeder, der im Bereich der Altenpflege tätig ist, Zeugnis ablegen und durch die Sinnhaftigkeit seines Tuns überzeugen.„Wer im Gespräch mit anderen sich als jemand vor-
stellt, der in der Altenpflege arbeitet, erntet oft selt-
same Reaktionen. Mir selbst ist das mehr als ein-
mal passiert. Die deutlichste Reaktion war, als mir
jemand spontan ein „Um Gottes Willen!“ entgeg-
nete. Erstaunen und Schwierigkeiten der Akzep-
tanz kamen deutlich zum Ausdruck. Die bereits ge-
nannte gesellschaftliche Abwehr war klar zu spü-
ren. Aber geben wir dem impulsiven Ausruf die
eigentliche Wortbedeutung zurück: Diese Tätigkeit,
die Sorge um alte, gebrechliche, verwirrte, verun-
sicherte und sterbende Menschen geschieht wirk-
lich „Um Gottes willen“.
Wer wirklich helfen will, muss in der Lage sein, für den anderen Sorge zu tragen und Liebe zu empfinden. Diese Liebesfähigkeit muss
eng mit beruflichem Können verknüpft sein.
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Susanne Pütz
Susanne Pütz
Dipl.-Sozialpädagogin (FH)
Gemeindecaritas, Dachau
Im Mittelpunkt steht das sehende Herz Wer sozial denkt und fühlt, wird vom persönlichen Beispiel gläubiger Menschen
dadurch überzeugt, dass Botschaft und Handeln übereinstimmen
In unserer Gesellschaft brauchen wir Modelle für eine Kultur des Miteinanders und Füreinanders wider die
rücksichtslose Verfolgung von Eigeninteressen und die Macht des Stärkeren. Hier bietet das Christentum
Modell und Herausforderung. Als Caritas dürfen und müssen wir deutlich machen: Wir sind Caritas der Kir-
che! Wir missionieren nicht: Unsere Aufgabe ist die tätige Nächstenliebe. Aber wenn man uns fragt, sollten
wir auch bereit sein, zu erklären, woher wir unseren Antrieb und unsere Kraft nehmen. Wir müssen zu unse-
ren kirchlichen Wurzeln stehen (auch wenn wir, wie jeder mündige Christ, unsere kritischen Anmerkungen
machen dürfen) und durch unsere „Verkündigung der Tat“ (Kurt Marti) unseren Teil zur gesellschaftlichen
Verantwortung beitragen.
Die Caritas der Pfarrgemeinde und die tätige Nächs-
tenliebe ist – historisch gesehen – die erste Säule
der Caritas, nicht der Wohlfahrtsverband oder die
professionelle soziale Arbeit. Wir dürfen aber nicht
den Fehler machen, uns in eine Entweder-Oder-
Mentalität drängen zu lassen und Professionalität
gegen Ehrenamtlichkeit auszuspielen. Die Qualität,
die die heutige soziale Arbeit in ihrer Differenziert-
heit bietet, ist nicht einfach durch Ehrenamtlichkeit
zu ersetzen. Wir brauchen beides: Die Professio-
nalität schulden wir unseren heutigen Qualitäts-
standards und tätige Nächstenliebe ist Pflichtpro-
gramm eines jeden Christen! Ich darf hier auf die
jüngste Enzyklika „Deus Caritas est“ verweisen
(29).
„Ich bin davon überzeugt, dass es in Zukunft noch in weit größerem Maße als bisher auf ehrenamtliches Engagement ankommen wird. Dabei ist wichtig, dass das Ehrenamt kein Lückenbüßer für fehlende finanzielle Mittel ist!„Das Engagement für den Anderen gehört originär
zum Christentum dazu und muss Selbstverständ-
lichkeit sein.
Meine persönliche Haltung als Christin hat sich in
meiner Jugendzeit entwickelt. Ich ging auf eine
kirchliche Schule (den Salesianern Don Boscos sei
an dieser Stelle einmal mein persönlicher Dank ge-
widmet) und verbrachte ab zirka meinem 15. Le-
bensjahr fast meine gesamte Freizeit als sogenann-
te Externe in dem dort angeschlossenen Internat
mit seinen diversen Freizeitgruppen.
„Ich bin Christ, weil ich kein besseres Programm kenne“
Geprägt hat mich dort ein Pädagoge, der als Sale-
sianer sein ganzes Leben der Arbeit mit Heran-
wachsenden gewidmet hat. Verkündigung des
Glaubens in Wort und Tat ging bei ihm Hand in
Hand. Undogmatische Gespräche über Gott und
die Welt waren an der Tagesordnung und verknüpf-
ten sich immer mit dem konkreten Handeln und
Dasein für die ihm Anvertrauten, also mit dem ge-
36 37
lebten Beispiel. Seine Aussage: „Ich bin Christ, weil
ich kein besseres Programm kenne“, ist für mich
richtungsweisend geworden, und auch, wenn ich
mich mit anderen Weltanschauungen beschäftigt
habe, ist für mich das Beispiel des Evangeliums
immer das Überzeugendste geblieben.
Die Grundbotschaft auf die Frage nach gelingen-
dem Leben ist für mich im Gleichnis vom barmher-
zigen Samariter zu finden und lautet: Gott ist mir
im Nächsten nahe. Oder wie Heiner Geißler es in
seinem Buch „Was würde Jesus heute sagen“ aus-
drückt: „Die Liebe zum Nächsten hat gleichen Rang
wie die Liebe zu Gott. Die Liebe zu Gott ist ohne
Liebe zum Nächsten wertlos.
Die Liebe zum Nächsten ist ... keine Sache des Ge-
fühls. Sie bedeutet Pflicht zum Handeln für denje-
nigen, der in Not ist, auch für den Feind“ (S. 153).
Und das ist nun wirklich kein „Weichspüler-Chris-
tentum“, keine laue Sache, sondern eine immer
währende und knallharte Herausforderung im All-
tag. Dieses Christ-Sein muss sich in der ganzen
Haltung der Umwelt und dem Mitmensch gegenü-
ber ausdrücken. Dabei ist das Ganze Programm: ich
muss auf dem Weg bleiben und mir bewusst sein,
dass ich es nicht erreichen, sondern immer neu ver-
suchen muss,
liebevoll
aufmerksam
mutig
selbstkritisch
demütig und
mir selber gut zu sein.
Ich kann nicht im Straßenverkehr drängeln, rasen
und die anderen nur als Hindernis auf meinem Weg
betrachten. Ich kann nicht in der S-Bahn die ande-
ren als lästige Sitze-Beansprucher und Störer mei-
ner eigenen Ruhe betrachten. Ich kann nicht dem
Anderen – ob Nachbar, Kollege oder Klient – mein
eigenes Wertesystem überstülpen und erwarten,
dass er oder sie sich danach zu verhalten hat.
Ich muss den anderen in seiner eigenen Würde
achten und bestehen lassen.
Sich einmischen, sich nicht bequem raushalten, das ist auch eine Botschaft des Evangeliums
Das heißt nicht, dass ich alles toll finden oder be-
grüßen muss, was der andere macht. Im Gegenteil:
Sich einmischen, sich nicht bequem raushalten,
das ist auch eine Botschaft des Evangeliums. Oder
wie ein Kollege sagte: „Ich schätze den Anderen
ungemein wert, indem ich ihm einen Teil meiner
Energie schenke und mich mit ihm streite!“
Und zugleich brauche ich eine ordentliche Portion
Demut – ungerechter weise ein etwas aus der Mode
gekommenes Wort: Es kommt auf mich an, aber es
hängt nicht alles von mir ab. Gott-sei-Dank darf ich
auch Mensch sein, d.h. unvollkommen sein und
Fehler machen. Auch ich bin auf die Großzügigkeit
und das Vergeben anderer angewiesen. Und es
heißt auch: Auf meine eigenen Grenzen und Be-
dürfnisse achten dürfen und müssen. Ich kann nicht
immer und 100%ig für andere da sein, ohne in der
Selbstausbeutung zu landen! Wenn mir Kollegen
oder Ehrenamtliche sagen: „Du wirkst gestresst“,
dann weiß ich, dass ich ihnen und mir etwas schul-
dig geblieben bin.
Wenn ich Menschen berate, die ehrenamtlich ar-
beiten wollen, frage ich sie nicht nach ihrem Glau-
ben oder ihrer Kirchlichkeit, aber nach ihrer Moti-
vation, etwas für andere zu tun. Ich tue dies nicht,
um ihre korrekten Überzeugungen abzufragen, son-
dern um festzustellen, was sie selbst von ihrer Tä-
tigkeit erwarten, und wo sie gut hinpassen. Zum
Beispiel ist es für die Mitarbeit in der Nachbar-
schaftshilfe einer Pfarrei meistens besser, wenn er
oder sie mit dem dortigen „Milieu“ auch etwas an-
38 39
fangen kann, einfach, weil er/sie sich sonst nicht
wohl fühlt.
Manchmal kommt bei diesen abklärenden Gesprä-
chen ein kirchlicher Hintergrund oder eine christ-
liche Motivation zur Sprache, sehr oft eine im All-
tag zwar distanzierte, aber interessierte Haltung
der Kirche gegenüber, und selten – aber immerhin
kommt es vor – eine Überraschung, dass die Cari-
tas eine Einrichtung der katholischen Kirche ist.
„Hat Ihr soziales Engagement eine christliche Motivation?“
Ich frage die Leute, die helfen wollen, auch deswe-
gen nicht explizit nach einer christlichen Haltung,
weil zunächst einmal die Tatsache des Engage-
ments – das sehende Herz – im Mittelpunkt steht.
Ich möchte hier noch einmal den bereits erwähnten
„barmherzigen Samariter“ bemühen: Er hat sich
als Einziger als wahrer Nächster erwiesen, auch
wenn er nicht als Rechtsgläubiger galt! Als ich mich
mit der Fragestellung zu diesem Artikel beschäf-
tigte, kam mir aber der Gedanke, Ehrenamtliche
und Kollegen spontan danach zu fragen, ob ihr so-
ziales Engagement eine christliche Motivation
habe. Dabei machte ich bemerkenswerte Erfahrun-
gen, auch mit mir selbst: Kannst du das die Leute
fragen? Ist das nicht zu persönlich?
„Wir tun uns heute oft schwer, über unseren Glauben zu sprechen. Zu schnell klingt vieles abgehoben oder formelhaft, wenn es nicht durch das persönliche Beispiel hinterlegt ist! Gleichwohl – die von mir Befragten haben mir alle bereitwillig Auskunft gegeben!„Die Antworten reichten von „Auf jeden Fall“ bis
„überhaupt nicht“, wobei etwas Interessantes pas-
sierte: Einige, die spontan „überhaupt nicht“ ge-
antwortet hatten, hielten beim Nachhaken kurz
inne und stellten sich plötzlich die Frage: „Oder
vielleicht doch?“ Andere stellten fest, dass sie nicht
wirklich sagen konnten, was denn nun was genau
bewirkt habe: Hat das, was mich zu der oder dem
hat werden lassen, der ich heute bin, sowohl mei-
ne christliche wie auch meine soziale Haltung be-
stimmt, oder resultiert das eine aus dem anderen?
Was ich aber festgestellt und auch bei mir selber
wiedergefunden habe, ist Folgendes:
Nicht nur, weil Menschen glauben, sind sie im So-
zialen engagiert, sondern weil sie ein soziales Be-
wusstsein haben und sich anderen liebevoll zu-
wenden können und wollen, fühlen sie sich bei der
Caritas und den Menschen, die dort arbeiten, gut
aufgehoben. Oder anders ausgedrückt: Wer sozial
denkt und fühlt, wird vom persönlichen Beispiel
gläubiger Menschen dadurch überzeugt, dass Bot-
schaft und Handeln übereinstimmen.
Auch mich selbst überzeugt am Christentum das
Programm, die „gute Botschaft“, die nicht nur ver-
kündet, sondern durch das Leben Jesu bezeugte
Wirklichkeit geworden ist.
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Barbara Nottebrock
Barbara Nottebrock
Sozialbetreuerin in der
Gemeinschaftsunterkunft
Emma-Ihrer-Straße
„Ich hole die Welt zu mir“Ein Gespräch mit Barbara Nottebrock, Sozialbetreuerin in der Gemeinschafts-
unterkunft Emma-Ihrer-Straße über ihre Arbeit in der Migration
Frau Nottebrock, die Vielfalt menschlicher
Schicksale, denen Sie Tag für Tag in der
Flüchtlingshilfe begegnen, erfordert sicher
ein besonderes Maß an Kraft – woher nehmen
Sie diese seit Jahren?
B. Nottebrock: Ach, da kommen mehrere Punkte
zusammen. Der erste und wichtigste ist: ich mache
diese Arbeit einfach sehr gern. Der Umgang mit
Menschen, kreativ mit ihnen zu arbeiten, das ist
mein Antrieb, mein Motor. Ich denke, eine meiner
Stärken liegt in meiner kommunikativen Begabung,
der Fähigkeit, auf Menschen so zugehen zu können,
dass sie Vertrauen fassen, sich öffnen, sich mir an-
vertrauen.
Ja, das kann ich mir vorstellen, Sie strahlen auf
Anhieb viel mütterliche Wärme und Fürsorge
aus, wenn ich das sagen darf. Aber noch mal
nachgefragt: In einer Einrichtung, in der einer-
seits so viele unterschiedliche Nationen auf-
einander prallen, andererseits aber jeder
einzelne Fall mit all‘ seinen Problemen Ihre
ganze Aufmerksamkeit erfordert – wie machen
Sie das, wie halten Sie das aus?
B. Nottebrock: Natürlich gibt es immer wieder Mo-
mente, in denen man sich sagt: Ich kann es nicht
mehr ertragen, wie es gerade läuft – vor allem,
wenn es um die Kinder geht, um Opfer von Verge-
waltigung oder anderer Gewalt – oder um Benach-
teiligungen, um den zähen Kampf mit den Behör-
den, nur um ein Kind in eine besondere Schule zu
bekommen etwa, oder auch bei Konflikten der Be-
wohner untereinander, die natürlich in einer Unter-
kunft, in der 20 bis 25 Nationen miteinander leben
und zurecht kommen müssen, nicht ausbleiben.
Da muss ich dann meinen Verstand einschalten,
muss versuchen, wieder Distanz zu bekommen,
mich schlicht und einfach „ausbremsen“ in meiner
emotionalen Anteilnahme. Da hilft dann die Profes-
sionalität, dass man sein Handwerk gelernt hat,
weiß, warum die Leute so und nicht anders reagie-
ren, dass man sich ihre „Fremdheit“ erklären kann.
Was meinen Sie in diesem Fall mit „Handwerk“?
B. Nottebrock: Professionelles Handeln. Interkul-
turelle Kompetenz, gepaart mit den entsprechen-
den Kommunikationstechniken, sind Vorausset-
zung. Das bedeutet, man entwickelt Strategien im
Umgang mit unterschiedlichen Bildungsniveaus.
Mir begegnen Menschen mit zum Teil sehr hohem
und auch sehr niedrigem Bildungsniveau, dem ent-
sprechend muss das Hilfsangebot angesetzt wer-
den. Man kann Bildung nicht einfach als persönli-
ches Versagen des Einzelnen abtun, wenn die Ur-
sache in den geschichtlichen Wurzeln seiner Hei-
mat zu suchen ist. Unterschiedlichkeit ist das The-
ma unserer Arbeit. Hier treffen viele Nationen,
Religionen, Hautfarben etc. aufeinander, und man
braucht Fachwissen über bestimmte Volksgruppen,
über deren Normen- und Wertesysteme. Das Know-
how dazu erlernt man in Fortbildungen, durch Li-
teratur, durch Erfahrungen, durch den Austausch
mit Kollegen.
Und dann gibt es ja auch noch das
Verständigungsproblem: Wie machen Sie das
eigentlich, haben Sie Dolmetscher dabei?
B. Nottebrock: Ja, teilweise arbeiten wir mit Dol-
metschern, das geht gar nicht anders. Ich selber
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spreche nur Englisch, aber nach jahrelanger Arbeit
mit Flüchtlingen versteht man zumindest das eine
oder andere. Oder ganz praktisch, mit Händen und
Füssen. In vielen Fällen brauche ich aber jemanden
zum Übersetzen. Oft bringen sich die Flüchtlinge
hier sogar selber sozial ein, das finde ich sehr
schön – eine Form der Völkerverständigung und
der praktizierten Selbsthilfe.
Welche Nationen und Ethnien sind denn
bei Ihnen vertreten?
B. Nottebrock: Der Schwerpunkt liegt zur Zeit im-
mer noch auf dem Irak, und da gibt es dann ver-
schiedene ethnische Gruppen mit unterschiedli-
chen religiösen Glaubensrichtungen, z.B. die schii-
tischen und sunitischen Muslime, die chaldäischen
Christen, die Jessiden. Das ist alles sehr kompli-
ziert, und die Flüchtlinge bringen viele Probleme
und Traumata aus ihrer Heimat mit. Hier stoßen
dann zwei Erwartungshaltungen aufeinander: un-
sere Erwartungen an diese Menschen aus unserer
europäischen Sozialisation heraus und die Erwar-
tungen dieser Menschen an das Aufnahmeland.
Das ist der tägliche Spagat, den wir in der Flücht-
lingsbetreuung machen müssen, um das gegen-
seitige Verstehen, ein friedliches Miteinander und
den interkulturellen Dialog hinzubekommen.
Und die Iraker sind bestimmt nicht
die einzigen...
B. Nottebrock: Nein, dazu kommen Syrer, Chinesen,
bei den Afrikanern vor allem Togolesen, Nigerianer,
Somalier, Ruander und, und, und
Das christliche Gebot der Nächstenliebe findet
gerade in der Flüchtlingshilfe seine besonders
deutliche Entsprechung: hier geht es ganz direkt
darum, den Fremden, den Anderen, anzunehmen
und aufzufangen, ihm die Zuwendung zu geben,
die er braucht. Viele kommen in traumatisiertem
Zustand bei uns an und sind entsprechend
aggressiv oder unzugänglich; ist es da nicht oft
sehr schwer, für jeden immer die gleiche Form
der Nächstenliebe aufzubringen?
B. Nottebrock: In den seltensten Fällen erzählen
die Menschen, was ihnen widerfahren ist, aber ihre
ganze Haltung legt ein beredtes Zeugnis davon ab.
Eingreifen muss ich, wenn Traumata und Existenz-
ängste sich in Gewalt in der eigenen Familie nie-
derschlagen. Es geht auch darum, ihnen ein grobes
1 mal 1 für Deutschland beizubringen, ihnen Ori-
entierung zu geben und den Umgang mit öffentli-
chen Institutionen zu erleichtern, die Funktion von
Ämtern, Schulen, Kindergärten usw. zu erklären.
Das alles ist oft schwer, und man braucht im Asyl-
bereich einen besonders langen Atem und sehr viel
Geduld, um etwas zu erreichen. Das ist das Para-
dox, denn andererseits ist ja gerade in diesem Be-
reich alles so flüchtig, so vorübergehend...
Und es ist natürlich immer eine Gratwanderung,
wie weit ich mich einlasse, um mitfühlend beglei-
ten zu können, und wo ich mich abgrenze, weil ich
mir ja nicht jedes Schicksal zu eigen machen kann.
Aber ich muss auch ganz klar sagen, dass ich mich
moralisch verpflichtet fühle, diesen Menschen zu
helfen. Ich bin mir immer bewusst, dass ich einfach
Glück hatte, auf der „richtigen Seite“ der Welt ge-
boren worden zu sein, während diese Menschen
die schlechte Karte gezogen haben.
Den Ausgleich hole ich mir durch Inanspruchnahme
der Angebote, die der Caritasverband für uns vor-
hält: regelmäßige Supervision, Besinnungstage,
Exerzitien, – das bringt mir viel und ist mir sehr
wichtig. Auch meine Kinder geben mir sehr viel
Kraft, aber auch Freunde und Kollegen. Ja, wenn ich
darüber nachdenke, sind es vor allem auch die
Kollegen, das Miteinander im Kollegenkreis, der
Austausch, das Gefühl, ernst genommen zu wer-
den. Man fühlt sich nie allein gelassen, und das ist
sehr wichtig, denn allein kann man mit dieser An-
häufung von Problemlagen quer durch alle Lebens-
bereiche nicht fertig werden.
Ja, das ist, glaube ich, ein großer Unterschied
zu anderen Bereichen, in denen die Caritas tätig
ist: in der Migration begegnet man wirklich
jeder Form von Not, die Menschen betreffen
kann, gleichzeitig.
B. Nottebrock: Tatsächlich ist das so – das reicht
von der Kinderbetreuung bis zur Sterbebegleitung.
Gerade hatte ich einen afrikanischen Mann zu be-
treuen, der schwer krebskrank war, und den ich
dann noch bis zum Tod begleitet habe – und sogar
40 41
darüber hinaus, weil seine Verwandten gerne eine
Überführung in die Heimat wollten, was immer eine
ganz schwierige Sache ist. Letzten Endes wurden
Beerdigung, Trauerfeier und Leichenschmaus dann
doch hier organisiert, und es gab viele Details zu
regeln bis hin zu den landestypischen Ritualen.
Welch ein außergewöhnliches Engagement!
Ich könnte mir vorstellen, dass in manchen
Fällen schon fast so etwas wie familiäre Bin-
dung entsteht, besonders, wenn die Leute über
einen längeren Zeitraum in der Unterkunft
leben. Wovon ist die Verweildauer eigentlich
abhängig?
B. Nottebrock: In erster Linie davon, ob das Ver-
fahren zur Aufenthaltsgenehmigung abgeschlos-
sen ist oder nicht. Das kann sich u. U. jahrelang
hinziehen. Und dann auch davon, ob es überhaupt
Wohnraum gibt; und das ist in einer Stadt wie
München, in der bezahlbare Wohnungen Mangel-
ware sind, ein absoluter Glücksfall für Menschen
mit Flüchtlingshintergrund. Falls die Anerkennung
kommt und die Betreffenden dann eine Privatwoh-
nung beziehen dürfen, stoßen sie oft ganz schnell
an ihre Grenzen. Ich denke da z.B. an Heizkosten-
rechnungen, die sie finanziell nicht einkalkuliert
haben, an Gebühren für TV und Radio, an Hausauf-
gabenhilfe für ihre Kinder, die sie nun selbst orga-
nisieren müssen. Häufig finden sie dann nicht den
Weg in eine adäquate Beratung und wenden sich
wieder an uns, obwohl wir dann nicht mehr zu-
ständig sind.
Sie sagen, dass sich im Schnitt 230 Menschen in
Ihrer Unterkunft aufhalten, davon ca. 80 Kinder.
Wie schaffen Sie es, neben der Einzelberatung
und -betreuung auch noch so ein reichhaltiges
Betreuungsangebot, angefangen bei Deutsch-
kursen und Hausaufgabenbetreuung über
Kinderkonferenzen, Kunst- und Musiktherapie,
Konzertorganisation, Sprachprojekte bis hin zu
Freizeit- und Spielangeboten u.v.m. aufrecht zu
erhalten?
B. Nottebrock: Das funktioniert natürlich nur mit
einem engmaschigen Netz von Ehrenamtlichen, Zi-
vildienstleistenden und von Fall zu Fall Praktikan-
ten, die nach Möglichkeit mit einer gehörigen Por-
tion Humor ausgestattet sein sollten. Ob jemand
wirklich als Ehrenamtliche/r geeignet ist, versuche
ich in einem gemeinsamen Gespräch abzuklären.
Natürlich wird sich erst im Laufe der Zeit vor Ort
herausstellen, ob es wirklich „passt“. Und sicher
bringt jeder Sozialbetreuer seine eigene Persön-
lichkeit in Beratung und Betreuung mit ein ...
Zur Zeit arbeiten 18 ehrenamtliche Frauen und
Männer mit mir, wobei der Anteil der Frauen (11)
dominiert. „Meine Leute“ kommen aus den unter-
schiedlichsten Berufen, sind bereits in Rente oder
studieren. Manche kamen während ihrer Arbeits-
losenzeit und sind dann „hängen geblieben“. Seit
einiger Zeit habe ich auch ehrenamtliche Männer
und Frauen mit Migrationshintergrund in meinem
Team, die selbst Unterstützung durch Ehrenamtli-
che erfahren haben, und die sich jetzt, da es ihnen
besser geht, selber einbringen wollen.
Welche Aufgaben übernehmen die
Ehrenamtlichen?
B. Nottebrock: Je nach Neigung und Zeit helfen sie
den Kindern bei den Hausaufgaben, nehmen Kon-
takt zur jeweiligen Familie auf, begleiten Klienten
zu Behörden und Ärzten, sind behilflich bei der Ar-
beitsplatz- und Wohnungssuche und helfen auch
bei der Freizeit- und Festeorganisation in der Un-
terkunft.
In regelmäßigen Abständen treffen wir uns zum Ge-
dankenaustausch. Gemeinsam suchen wir nach
Lösungswegen in schwierigen Situationen, hinter-
42 43
fragen auch kritisch unsere Arbeit und sind dabei
oft mittendrin in hitzigen Diskussionen über „Gott
und die Welt“.
Spielte für Sie das Christsein bei der Auswahl
Ihres Berufsfeldes eine Rolle?
B. Nottebrock: Vielleicht unbewusst. Ich bin in ei-
nem katholischen Elternhaus aufgewachsen, in
dem der sonntägliche Gottesdienstbesuch nicht
hinterfragt wurde. Genauso selbstverständlich wur-
de aber auch die deutsche Geschichte, insbeson-
dere das dritte Reich, diskutiert.
Ein großes Vorbild war meine Musik- und Grund-
schullehrerin Frau Bröker. Sie hat mir über die Lie-
be zur Musik den Zugang zum Glauben und zur
Kirche eröffnet. Angesprochen wird man ja oft auf
der emotionalen Ebene, auch wenn es eine Selbst-
verständlichkeit ist, christliche Rituale zu leben.
Frau Nottebrock, bitte erklären Sie mir zum
Schluss doch noch mal, was genau es ist,
das Sie an dieser Arbeit so sehr fasziniert.
B. Nottebrock: Ich hatte immer Träume, Träume
vom Reisen in fremde Länder vor allem, denn ich
komme ursprünglich aus einem Dorf im Münster-
land. Da habe ich meinen Fokus auf die große weite
Welt gerichtet und auf die anderen Menschen, die
dort leben. Leider konnte ich es mir nie leisten,
diese Träume in die Tat umzusetzen. Also habe ich
mir die Welt zuerst lesend erschlossen, und nun
habe ich sie sogar zu mir hergeholt, so sehe ich
das, auch wenn die Welt eigentlich zu mir kommt.
Auf jeden Fall kann ich den Brückenschlag zwi-
schen den verschiedenen Kulturen, das Bunte, die
Vielfalt, die Lebendigkeit, die Offenheit und die
Neugierde täglich neu erleben – das gibt mir gro-
ße Hoffnung und Zuversicht für unsere multikultu-
relle Zukunft.
Kontakt
Alveni
Caritas Begegnungs- und
Beratungsstelle für Flüchtlinge
Schrenkstraße 9, 80339 München
Telefon: (089) 50 07 23-76
eMail: [email protected]
Spendenkonto:
Ligabank-Bank München,
Kto. 229 77 79, BLZ 750 903 00
Stichwort: Alveni Begegnungsstelle
42 43
Monika Huber
Monika Huber
Fachgruppenleitung
Fundraising
„Das Lächeln, das Du aussendest, kehrt
tausendfach zu Dir zurück“Warum sich Menschen als Sammler und Spender für die Caritas gewinnen lassen
„Menschen gewinnen“ steht als Motto über dem Spendenkonzept (Fundraisingkonzept) des Diözesan-Ca-
ritasverbands. Es gilt, Menschen zu gewinnen, die die Caritas unserer Kirche durch Worte und Taten, mit
Sachleistungen und Geldspenden unterstützen. Im Jahr 2005 sind nicht nur rund 10.000 Sammlerinnen und
Sammler ehrenamtlich für die Caritas auf die Straße gegangen, tausende Menschen in unserer Erzdiözese
haben auch ihr Herz und ihren Geldbeutel für Menschen in Not geöffnet. Allein bei der Caritassammlung
kamen so 5,5 Millionen Euro für die Caritas vor Ort zusammen. 40 Prozent der Gelder aus der Frühjahrs-
und Herbstsammlung bleiben in der Pfarrgemeinde, 60 Prozent im örtlichen Caritas-Zentrum.
Zutiefst dankbar sind wir für jeden Cent, den wir an
der Haustür, in der Sammelbüchse, durch Überwei-
sungen, Daueraufträge oder Schenkungen und Ver-
mächtnisse erhalten. Rund 10 Millionen Euro wa-
ren es im vergangen Jahr. Angesichts der Gesamt-
ausgaben von etwa 280 Millionen Euro mag dies
manchem als ein eher geringer Betrag erscheinen,
für den einzelnen Hilfebedürftigen jedoch, der
durch den Einsatz dieser Spendengelder wieder
Hoffnung schöpft und ganz konkrete Hilfe er-
fährt,
„ist jeder Cent unendlich wertvoll.„Natürlich, in unseren – internen – Augen gibt es vie-
le gute Gründe, die Caritas zu unterstützen. Doch
was bewegt Spenderinnen und Spender, gerade
uns ihr Geld anzuvertrauen? Diese Frage stellen
wir uns immer wieder. Denn nur, wenn wir erfah-
ren, was heute Menschen ermutigt oder hindert,
uns ihre Spende zu geben, können wir auch in Zu-
kunft Menschen für eine Spende gewinnen und
das Vertrauen der Spender in die Caritas bewahren.
Jede Spenderin und jeder Spender hat für seine Gabe, sei sie klein oder groß, meist ganz persönliche Beweggründe
Einige unserer Spenderinnen und Spender durfte
ich in den vergangen Jahren am Telefon oder per-
sönlich kennen lernen und konnte so Puzzleteile
Gesamt
Kirchenkollekte
6.000.000
5.000.000
4.000.000
3.000.000
2.000.000
1.000.000
0
Entwicklung der Caritassammlung 2001 - 2005 / Euro
2001 2002 2003 2004 2005 Haussammlung
Kuvertsammlung
Straßensammlung
Sonstiges (z.B. Überweisungen
direkt an den Caritasverband)
44 45
für eine Antwort auf die Frage nach den Beweg-
gründen sammeln. Deshalb bin ich auch so dank-
bar für jeden Kontakt mit unseren Spendern. Lob
und positive Anregungen helfen uns in unserer Ar-
beit ebenso weiter wie Hinweise auf Fehler und Kri-
tik. Die zahlreichen Gespräche zeigen: Jede Spen-
derin und jeder Spender hat für seine Gabe, sei sie
klein oder groß, meist ganz persönliche Beweg-
gründe. Lange zurückliegende Erfahrungen aus der
Kindheit, z.B. – „auch uns wurde in der Nachkriegs-
zeit geholfen“ – oder schwere Schicksalsschläge,
die mit Gottes Hilfe bewältigt werden konnten. Er-
innerungen an verstorbene Angehörige – „auch
meine Mutter hat immer schon der Caritas gege-
ben“ – können ebenso eine Rolle spielen wie gute
Erfahrungen mit einem Dienst der Caritas – „mein
Vater wurde im Caritas-Altenheim bis zuletzt sehr
gut umsorgt“ oder das Spendensiegel des DZI, das
uns jährlich neu den sorgsamen Umgang mit un-
seren Spenden bescheinigt.
Bei allen Spenderinnen und Spendern, mit denen
ich sprechen konnte, waren trotz aller individuel-
ler Gründe zwei verbindende Elemente für ihre
Spendenbereitschaft deutlich zu spüren: Nächs-
tenliebe und Herzenswärme: „Wir haben alles, was
wir brauchen, die Kinder sind aus dem Haus, ge-
sund und versorgt, jetzt können wir auch an die
denken, denen es nicht so gut geht.“ „Ich habe im
Leben so viel Glück gehabt, da möchte ich andere
daran teilhaben lassen.“ „Das Geld meiner Erb-
tante will ich nicht verprassen, wenn Kinder in Ru-
mänien hungern.“ „Ich habe leider keine Familie,
deshalb unterstütze ich gerne Kinder und Mütter,
die Hilfe brauchen.“ Ich habe selbst nicht viel,
aber wenn etwas übrig bleibt, helfe ich gerne.“
„Nächstenliebe gehört zum Christ sein, deshalb
spende ich gerne, wenn ich etwas übrig habe.“
„Wenn ich mir etwas Besonderes leiste, wie z.B.
einen teuren Ring, dann kaufe ich dies nur, wenn
ich auch in der Lage bin, den gleichen Betrag für
arme Menschen zu spenden.“
„Allen unseren Spenderinnen und Spendern möchte ich auch an dieser Stelle ganz, ganz herzlich danken und sie ermuntern bei Anregungen, Fragen, Wünschen oder Kritik mit mir Kontakt aufzunehmen.„ Ebenso wichtig wie die Spenderinnen und Spender
ist für uns eine gute Verbindung zu den Pfarrge-
meinden und die Unterstützung durch die ehren-
amtlichen Sammlerinnen und Sammler. Was Men-
schen bewegt, sich bei Wind und Wetter mit der
Sammelbüchse auf die Straße zu wagen, oder als
Bittsteller von Haustür zu Haustür zu ziehen, er-
fahren Sie in dem anschließenden Portrait über
zwei Haussammler und in dem Interview mit den
Armen Schulschwestern.
44 45
Solidarität und Identifikation durch ehrenamtliches Engagement der Sammler
Die Büchsensammlung ist eine
gute alte Caritas-Tradition, die
leider vom Aussterben bedroht
ist. Dabei steht sie für Nähe zu
den Menschen und ist ein ganz
persönliches Bekenntnis in al-
ler Öffentlichkeit zur Hilfe am
Nächsten.
Caritas-Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, vom Vorstand über
die Abteilungsleitungen, Zen-
trumsleitungen bis hin zu den
Verwaltungskräften, werden bei
jeder Sammlung herzlich einge-
laden, „ehrenamtlich“ mit zu
sammeln.
„Es war eine echte Überwin-
dung, die Leute einfach anzu-
sprechen“, erklärte Personal-
chef Michael Schellenberger
Kontakt
Spendenbetreuung:Monika Huber Telefon: (089) 5 51 69-222
eMail: [email protected]
Caritassammlungen:Marion Müller-Ranetsberger Telefon: (089) 5 51 69-218
eMail: [email protected]
Mitgliederbetreuung:Angela PechelTelefon: (089) 5 51 69-465
eMail: [email protected]
Spendenkonto:Ligabank-Bank München, Kto. 229 77 79, BLZ 750 903 00
Jede Spende ist auch ein Zeichen des Vertrauens:
Vertrauen auf eine wirksame Hilfe für Men-
schen in Not und in einen sorgsamen und
verantwortungsbewussten Umgang mit
jedem Spendencent.
Dies bescheinigte uns auch für 2005 und
2006 wieder das Deutsche Zentralinstitut
für Soziale Fragen. Der Verwaltungskosten-
anteil betrug 2005 rd. 8 Prozent.
Neue Referentin für
das Sammlungswesen
in der Nachfolge von
Jakob Tyroller, der im
Juli 2005 in den Ruhe-
stand ging, ist Marion
Müller-Ranetsberger,
Bildmitte. von links: Dr. Ralf Orlich, Leiter der Fachabteilung, Erika Duncan, Verwaltungs-
mitarbeiterin Abt. Kommunikation und Sozialmarketing, Franz Schlund, Referent
Erziehungsberatung, Msgr. Hans Lindenberger, Michael Geiben, Referent GF
Behinderteneineinrichtungen, Marion Müller-Ranetsberger, Andreas Pfaffinger,
Geschäftsführer Behinderteneinrichtungen, Rainer Brunner, IT-Leiter, Vorstand
Wolfgang Obermair, Personalleiter Michael Schellenberger.
nach seinem ersten Büchsen-Einsatz in der Münchner City.
Caritasdirektor Msgr. Lindenberger ist dagegen schon „ein al-
ter Hase“ und sieht sein freiwilliges Engagement eher sport-
lich. „Ich gehe ein paar Meter mit und schaue den Leuten fest
in die Augen. Dann geben die meisten auch etwas“. Alle Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter, die bislang dabei waren, sind sich
einig: Das Geldsammeln für Menschen in Not ist eine gute Er-
fahrung, bei der man viel über sich selbst und andere lernen
kann. Und was alle noch prima und motivierend finden: das ge-
sammelte Geld kann jeder Sammelnde „seiner“ Caritas-Einrich-
tung, z.B. jeder Zentrumsleiter seinem Zentrum, gutschreiben.
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Mechtild Noske / Gerhard Jäger
Mechtild Noske
Langjährige Caritassammlerin
Anfangs klingelt man überall...Zunehmende Anonymität und Armut in der Großstadt erschweren
die Caritas-Haussammlungen
„Ach, Frau Noske, Sie waren doch gerade erst da“. So reagieren viele Menschen, wenn Mechtild Noske
wieder vor der Haustüre steht, bepackt mit Caritas-Prospekten, Sammellisten und Quittungsblöcken. Da-
bei ist es bereits über ein halbes Jahr her, dass die 74 jährige geklingelt und um eine kleine Spende für die
Caritas gebeten hat. Frau Noske bleibt freundlich, denn sie bekommt von denjenigen, die ihr überhaupt die
Haustüre öffnen, meistens einige Euro oder einen Geldschein. „Die Caritas sammelt zwar nur zweimal im
Jahr für Menschen in Not, aber trotzdem kommt es vielen so vor, als würden wir ständig klingeln“, sagt Frau
Noske und erklärt sich das damit, dass die Zeit, je älter man wird, so schnell vergeht, dass einem ein halbes
Jahr wie ein paar Wochen vorkommt.
Seit über 40 Jahren sammelt die ehemalige Buch-
händlerin für ihre Pfarrei St. Gertrud und die Ge-
meindecaritas im Münchner Stadtteil Harthof. Sie
hat sich bereits die silberne und die goldene Cari-
tas-Ehrennadel „ersammelt“. Aber das ist ihr nicht
wirklich wichtig. Ihr macht es zu schaffen, dass beim
Geldsammeln im Harthof-Viertel mit seiner wach-
senden Anzahl an sozial schwachen Familien die
Bedingungen zunehmend schwieriger werden. „Bei
vielen Leuten, z.B. in den Sozialwohnungen mit den
Großfamilien und ausländischen Mitbürgern, kling-
le ich gar nicht mehr, weil ich dort erfahrungsgemäß
kein Geld bekomme“. Dabei weiß Frau Noske, dass
es bei den Caritas-Sammlungen um mehr geht als
nur um Geld. Es geht auch darum, persönliche Kon-
takte zu knüpfen und Notlagen zu erkennen. Man-
ches Mal konnten die Sammlerinnen und Sammler
schon Hilfestellungen geben oder weiter an Caritas-
Beratungsstellen oder Pflegestationen im Viertel
vermitteln.
Not ist unabhängig von Religion, Klasse und Hautfarbe
Gerhard Jäger aus München-Schwabing tut es sich
mittlerweile nicht mehr an, bei Leuten zu klingeln,
wo er sich sicher ist, dass er kein Gehör findet. Er
sammelt seit 22 Jahren für die Caritas und seine
Pfarrei St. Josef. Seine Ehefrau ist noch um einiges
länger dabei. Die beiden gehen nicht gemeinsam,
ihnen sind unterschiedliche Schwabinger Straßen-
züge zugeteilt. Wie Sammlerkollegin Noske aus
Harthof geht der 71 jährige bevorzugt zu den Leu-
ten, die er seit vielen Jahren kennt und die sich
immer wieder freuen, ihn zu sehen. „In Schwabing
gibt es eine so große Fluktuation und so viele wech-
selnde Single-Haushalte, da kennt mich keiner und
da treffe ich niemanden an oder werde regelrecht
abgewiesen“, berichtet der ehemalige Bibliothekar
im Finanzministerium. „Wenn ich zu viele unfreund-
liche Menschen getroffen habe und etwas depri-
miert bin, dann schnaufe ich tief durch, gehe heim
zu meiner Frau, und wir motivieren uns gegensei-
tig, so dass wir am nächsten Tag wieder frohen
Mutes aufbrechen können.“
Gerhard Jäger
Langjähriger Caritassammler
46 47
Die Jägers erleben aber auch viel Gutes. Herr Jäger
besucht bei jeder Sammlung einen älteren Herrn,
der zunächst kein Geld geben wollte mit dem Argu-
ment, er sei schließlich evangelisch. Jetzt gibt er
einen sozialen Obolus für die Caritas. Ihm hat Herr
Jäger in vielen Gesprächen klar gemacht, dass Not
unabhängig ist von Religion, Klasse und Hautfarbe.
Schließlich hilft die Caritas nicht nur Katholiken in
Not. Das müssen viele Sammlerinnen und Sammler
immer wieder betonen, wenn sie in nicht-katholi-
schen Haushalten vorsprechen.
„Wenn ich es nicht tun würde, hätte ich ein schlechtes Gewissen“
Frau Noske trifft bei ihren Hausbesuchen regelmä-
ßig auf einen Witwer, der seine Frau vermisst, und
sie kann hinhören und trösten. „Es ist ein Vorteil,
wenn man durch die Pfarrei bekannt ist, das öffnet
auch manche Türe“, darüber sind sich die beiden
ehrenamtlichen Helfer einig und auch darüber, dass
es sich in manchen Stadtteilen und auf dem Land,
wo sich die meisten Menschen persönlich kennen
und keine so große Anonymität herrscht, leichter
sammelt. So, wie am Land die meisten Gottes-
dienste besser besucht sind, gibt es in den ländli-
chen Regionen auch noch mehr freiwillige Samm-
lerinnen und Sammler als in der Großstadt.
Das bestätigt auch Mechtild Noske. „Eine junge
Frau im Harthof hat nach einer Sammlung gleich
wieder aufgehört, weil sie von den vielen Absagen
so frustriert war. Es wäre sicher gut gewesen, wenn
wir ihr vorher unsere Strategie erklärt hätten“, so
Frau Noske zu den Schwierigkeiten, heutzutage ge-
nügend Sammlernachwuchs zu finden. Auch Ger-
hard Jäger hat Verständnis für die Anlaufschwierig-
keiten bei den wenigen neuen Sammel-Kollegen.
Er gibt zu, dass er sich manchmal vor der Samm-
lungswoche regelrecht fürchtet. „Im Vorfeld kommt
es mir unüberwindbar vor, erneut loszuziehen, aber
wenn ich mitten drin bin, macht es doch wieder
viel Spaß.“
Eigentlich hätten die beiden Ruheständler im Un-
ruhestand ihr Soll an guten Taten für dieses Leben
längst erfüllt und könnten sich beruhigt wieder an-
genehmeren Tätigkeiten widmen. „Darüber habe
ich noch keine Sekunde nachgedacht“, sinniert
Sammlerin Noske. „Aber wenn ich es nicht tun
würde, hätte ich ein schlechtes Gewissen“. Gerhard
Jäger ist sich ebenfalls sicher, dass er weitermacht,
solange er gesundheitlich fit ist. „Weil ich halt mei-
ne, dass ich damit anderen immer wieder etwas
Gutes tun kann“, sagt der Caritas-Sammler in aller
Bescheidenheit.
48 49
Schwester Luitborg / Schwester Ancilla
Schwester Luitborg Brandl
„Herr, wir gehen für Dich und Du musst schauen,
dass es etwas wird“Ein Interview mit den Armen Schulschwestern, die seit Jahren erfolgreich sammeln
Nicht nur bei den Haussammlungen gibt es immer weniger Ehrenamtliche, auch immer weniger Menschen
ziehen mit den traditionellen Caritas- Sammelbüchsen auf den Straßen und öffentlichen Plätzen umher
und „klappern“ um Geld. Warum das so ist, darüber lässt sich lediglich spekulieren. Die einen vermuten
unsere eher egozentrierte Spaßgesellschaft dahinter, die anderen meinen, dass heutzutage für Frauen,
Männer und Kinder einfach zu wenig Freizeit bleibt, um noch ehrenamtlich tätig zu werden. Aber womög-
lich ist es vielen nur peinlich und unangenehm, fremde Leute einfach so anzusprechen und um Geld zu
„betteln“.
Die Armen Schulschwestern in der Münchner In-
nenstadt gehen mit bestimmten Strategien ans
Werk. Das Gespräch mit Schwester Ancilla und
Schwester Luitborg, beide über 70 Jahre alt, im
Klostergarten am Unteren Anger, zeigt, wie fröh-
lich, heiter und gelassen man beim Spenden sam-
meln sein kann und dabei richtig gute Ergebnisse
erzielen. Fast 7.000 Euro haben sieben Schwestern
im Frühjahr am Sammel-Wochenende zusammen-
getragen.
Wie lange sammeln Sie schon mit der Büchse
für die Caritas?
Sr. Luitborg: Seit ich in München bin, seit 23 Jah-
ren also. Früher habe ich mit meinen Schülerinnen
sehr erfolgreich gesammelt, aber seit ich nicht
mehr im aktiven Schuldienst bin, hat das leider
aufgehört.
Sr. Ancilla: Ich sammle für die Caritas, seit ich 13
Jahre alt bin. Als Schülerin, hier an der Schule bei
den Armen Schulschwestern, habe ich damit ange-
fangen.
Wie viel Zeit investieren Sie am jeweiligen
Sammelwochenende?
Sr. Luitborg: Zwei volle Tage von 9 Uhr bis 18 Uhr
durchgehend, und da schaffe ich meistens drei
volle Büchsen. Das sind im Jahr rund 3.000 Euro.
Sr. Ancilla: Pro Tag etwa 5 bis 6 Stunden. Mehr
schaffe ich leider nicht mehr, und vor allem habe
ich seit einiger Zeit keine Kraft mehr, die volle
Sammelbüchse so lange zu halten.
Gibt es eine bestimmte Strategie,
mit der Sie sammeln?
Sr. Luitborg: Ich versuche mit meiner Büchse die
guten Seiten in jedem hervorzulocken. Die Büchse
als Einladung, zweimal im Jahr etwas Gutes zu tun.
Die beiden Tage sind für mich heilige Zeiten, wo ich
die Chance sehe, unmittelbar etwas für die Armen
tun zu können. Ich habe ja kein persönliches Geld
und kann nichts spenden, nur durch die Sammlun-
gen kann ich mit einem so hohen Geldbetrag hel-
fen. Da freue ich mich unendlich und kann sagen,
das habe ich jetzt gespendet. Und außerdem ist es
ja unser Grundauftrag und gehört zur Spiritualität
der Armen Schulschwestern. Ob materiell, geistig
oder seelisch arm, wir leben für die Armen. In mein
Frühgebet schließe ich alle ein, egal, ob sie mir
was geben oder nicht. Am Abend danke ich für alle
Begegnungen.
Sr. Ancilla: Zu Beginn muss ich mich erst mal über-
winden und einfinden in die Situation. Ich bin vom
Typ her eher zurückhaltend und stehe erst mal ein-
fach da und sage immer nur einen Satz: Bitte für die
Caritas. Ich spreche ununterbrochen, bis jemand
stehen bleibt. Dann schaue ich den Menschen
freundlich in die Augen und bedanke mich herz-
lich für eine Spende. Blickkontakt ist sehr wichtig.
Schwester Ancilla Huber
48 49
Foto (von links nach rechts):
Sr. Luitborg Brandl, Sr. Ancilla Huber, Sr. Dietburg Frey, Sr. Alice Karas, Sr. Rosina Meyer, Sr. Theresia Neudecker u. Sr. Lioba Meyrl
Außerdem sage ich jeden Morgen zu Gott: Wir ge-
hen jetzt für Dich und Du musst schauen, dass es
auch etwas wird.
Wovon hängt ein gutes Sammelergebnis ab?
Sr. Luitborg: Wenn es Negativ-Schlagzeilen im so-
zialen Bereich gibt, dann wirkt sich das extrem ne-
gativ auf die Spendenbereitschaft der Leute aus.
Ich merke aber, dass die Caritas in den letzten Jah-
ren wieder hoch im Kurs steht. Die Menschen ge-
ben gerne Geld für die Caritas. Besonders natürlich
diejenigen, die Angehörige in einer Caritas-Einrich-
tung, z.B. einem Pflegedienst, haben und damit
sehr zufrieden sind. Es muss einem auch liegen
das Sammeln, wenn man das nicht kann und sich
geniert, ist es besser, wenn man es nicht tut.
Sr. Ancilla: Ich muss sagen, dass auch das Wetter
eine entscheidende Rolle spielt. Wenn es regnet
oder sehr kalt ist, tun wir uns sehr schwer und die
Leute geben auch eher ungern. Ansonsten ist es
gut, wenn was los ist auf den Straßen und Plätzen,
aber keine Menschenmassen, da wird man dann
einfach übersehen.
Wie reagieren die meisten Menschen
auf Sie und Ihr Anliegen?
Sr. Luitborg: Ich gebe jedem Menschen einen gu-
ten Wunsch mit auf den Weg. Ich wünsche Gottes
Segen für die Kinder oder bekunde Freude am Son-
nenschein und ich habe den Eindruck, dass die
Menschen spüren, dass es mir nicht nur um die
Spende geht, sondern auch um den Spender. Mir
ist es schon passiert, dass Leute nach zehn Schrit-
ten zurückkommen, mich anstrahlen und mir noch
einen Geldschein in die Büchse stecken. Mich rüh-
ren viele Begegnungen, z.B. wenn ein altes Mut-
terl 50 Cent aus dem fast leeren Geldbeutel kramt
und mir die Münze in die Büchse wirft.
Sr. Ancilla: Viele gehen einfach vorbei, manche be-
danken sich für mein Engagement und am meisten
geben diejenigen, die gute Erfahrungen mit der
Caritas gemacht haben. Wir bekommen natürlich
auch hin und wieder Kommentare zu hören wie „ Ich
gebe kein Geld, damit der Papst sich wieder die-
ses und jenes kaufen kann“ oder „Soll doch der
Bischof mal selber sammeln gehen“.
Sammelt es sich als Ordensschwester leichter?
Sr. Luitborg: Ganz bestimmt ist das so, da herrscht
schon ein großer Vertrauensvorschuss. Ich erlebe
zunehmend positive Dinge. Die Menschen haben
Hunger nach Gesprächen. Manche Pfarrer sind in
ihrer Zeit sehr eingeschränkt, und wo findet man
sonst einen vertrauenswürdigen Ansprechpartner?
Sr. Ancilla: Viele sagen, dass sie an einer Ordens-
schwester nicht einfach so vorbeigehen können.
Ich habe auch den Eindruck, es herrscht mehr Ver-
trauen, dass das Geld wirklich da hinkommt, wo
es hin soll. Und Vertrauen ist beim Spendengeben
und beim Spendensammeln eine gute Sache.
50 51
Michael Tauchert
Michael Tauchert
Fachreferent für Soziale
Arbeit und Projektleiter
Schwerpunktgruppe
„Ehrenamtliches/Frei-
williges Engagement“
Auf geht‘sÜber die Situation ehrenamtlichen/freiwilligen Engagements
im Diözesan-Caritasverband
Auf Beschluss des Vorstands wurde Anfang des Jahres 2006 eine Projektgruppe gebildet, die den Auftrag
erhielt, zum Thema „Ehrenamtliches und freiwilliges Engagement im Diözesan-Caritasverband“ einerseits
eine Bestandsaufnahme der in der Vergangenheit gewachsenen Strukturen zu erarbeiten, zum anderen
aber auch ein Basiskonzept, das die unterschiedlichen und vielfältigen Aktivitäten bündelt und so mitein-
ander vernetzt, dass daraus tragfähige Visionen und Positionen für die Zukunft entwickelt werden können.
In einer Gesellschaft, die zunehmend darauf an-
gewiesen ist, dass ihre Bürgerinnen und Bürger
selber tatkräftig daran mitwirken, das soziale Ge-
füge aufrecht zu erhalten, das für ein menschen-
würdiges Miteinander notwendig ist, kommt es
insbesondere für einen Wohlfahrtsverband wie die
Caritas darauf an, seine traditionell gewachsenen
Strukturen in diesem Bereich zukunftsfähig zu ma-
chen (Lesen Sie dazu die Beiträge von W. Obermair,
J. Unterländer u. Dr. H. Kronawitter in diesem Heft).
Gerade beim ehrenamtlichen und freiwilligen En-
gagement hat sich in den vergangenen Jahren viel
bewegt und verändert.
„Nicht nur, dass die Politik die Bedeu- tung bürgerschaftlichen Engagements entdeckt hat, sondern auch das Wer und Wie hat neue Gesichter bekommen.„
Waren vor Jahren Formen von Ehrenamt speziell in
den Pfarrgemeinden und in Nachbarschaftshilfen
das Haupteinsatzgebiet von – in der Regel – Men-
schen, die sich nach ihrem Berufsleben oder neben
ihrer Familienarbeit dauerhaft sozialen Aufgaben
widmen wollten, so hat sich das Bild mittlerweile
dahingehend gewandelt, dass heute mehr und
mehr zeitbegrenzte Formen des Engagements ge-
wählt werden, die sich auf spezielle Aufgaben oder
Projekte beziehen.
Die Menschen wollen einen Sinn dessen erleben, was sie tun
Auch eine „Verjüngung“ des Ehrenamts ist zu be-
obachten: zunehmend engagieren sich Menschen
sozial, die noch im Berufsleben stehen, weil es ih-
nen nicht mehr genügt, „nur“ ihren Beruf auszuü-
ben und Geld zu verdienen. Sie wollen mehr: einen
Sinn dessen erleben, was sie tun, und hautnah
spüren, dass es etwas nutzt, wenn sie anderen
helfen, denen es nicht gut geht, weil sie alt, krank,
verarmt oder sonst wie in Not sind ((Lesen Sie dazu
die Berichte von H. Hopmann auf Seite 56 und von
J. Malina auf Seite 59).
Damit einher geht natürlich, dass Kapazität und
Ressourcen, die investiert werden können, über-
schaubar – also genau geplant und strukturiert –
sein müssen. Der Caritasverband der Erzdiözese hat
dem 2002 Rechnung getragen, als er im Geschäfts-
bereich Stadt und Landkreis München das so ge-
nannte f-net installierte, ein Netzwerk von und für
freiwillig Engagierte, in dem Koordination und Ver-
mittlung von Freiwilligen durch Hauptamtliche in
Einsatzorte und Aufgaben eine Hauptrolle spielt.
Dies geschieht konkret in den „Freiwilligenzentren“,
von denen es fünf im Einzugsgebiet München und
darüber hinaus zwei im Geschäftsbereich der Cari-
tas-Zentren Region Süd (Garmisch-Partenkirchen u.
Oberammergau) gibt (Auf S. 54 finden Sie den Bei-
trag v. R. Knüpfer, die das FWZ „Auf geht‘s“ leitet).
Die Palette der angebotenen Möglichkeiten, sich zu
engagieren und mit zu helfen, begeistert auch im-
mer mehr junge Menschen wie Monika Mayer, die
in diesem Heft auf S. 68 davon erzählt, wie sie dazu
kam, im Rahmen des „Generationsübergreifenden
Freiwilligendienst“, den der Bund der Katholischen
Jugend und Caritas gemeinsam 2003 ins Leben
riefen, mit behinderten Menschen zu arbeiten.
50 51
Daneben gibt es nach wie vor auch weiterhin das
große Engagement von Ehrenamtlichen in den Pfar-
reien, mit denen die Caritas eng im Bereich der Ge-
meindecaritas zusammenarbeitet. Nicht zuletzt soll
hierbei die Kooperation mit den Arbeitsgemein-
schaften für Caritas und Soziales betont werden.
Ohne Ehrenamtliche und Freiwillige wären viele soziale Angebote nicht zu realisieren
Nun kommt es darauf an, einerseits eine gute und
funktionierende Kooperation zwischen all‘ den ver-
schiedenen Gruppierungen und Gremien, die in-
nerhalb des gesamten Verbandes existieren, hinzu-
bekommen. Andererseits muss das Band zwischen
hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeitern immer noch enger miteinan-
der verknüpft werden. Denn ohne ehrenamtliches
Engagement ließen sich viele der sozialen Ange-
bote und Aufgaben gar nicht aufrecht erhalten.
Die Bedeutung und der Wert ehrenamtlichen und
freiwilligen Einsatzes als Basis und Unterbau jeg-
licher Aktivität im Diözesan-Caritasverband zeigt
sich, wenn man einmal die Bereiche, in denen die
Helferinnen und Helfer unterwegs sind, genauer
Vergleich Engagierte in den Caritas-Zentren
durchleuchtet. Eine der ersten Aufgaben, der sich
die Projektgruppe daher zu Beginn ihrer Arbeit un-
terzog, war die Erhebung der entsprechenden Da-
ten, Zahlen und Fakten. Inzwischen liegt das Ergeb-
nis dieser Befragungsaktion quer durch die Ge-
schäftsbereiche vor und fördert aufschlussreiche
Erkenntnisse zu Tage, auch wenn die auf einer Ein-
schätzung beruhende Umfrage keinen Anspruch
auf Vollständigkeit erhebt, sondern in erster Linie
Tendenzen beschreibt.
„Beeindruckend ist allein schon die Zahl der mit 3.679 Personen insgesamt ehrenamtlich Aktiven.„
Unbeantwortet bleibt dabei aber zunächst zum
Beispiel die Frage, wie viel Zeitkapazität hinter
dieser Kopfzahl und der Anzahl der insgesamt 417
Aktivitäten steckt. Oder auch, wie viel Schulung
und Qualifizierung der Ehrenamtlichen durch Haupt-
amtliche notwendig war und ist u.v.m.. In einem
nächsten Schritt müssen deshalb diese Ergebnisse
einer genaueren Analyse unterzogen werden, da-
mit daraus richtungsweisende Schlussfolgerun-
gen für eine Zukunftsstrategie des Diözesan-Cari-
tasverbands auf diesem Sektor abgeleitet werden
können.
Anzahl ehrenamtlich/freiwillig Tätiger nach Arbeitsfeldern
52 53
Astrid Benda
„Wir wollen junge Familien unterstützen!“Ehrenamtliches Engagement in der Kinder- und Jugendhilfe und
Engagementförderung im Landkreis Pfaffenhofen
Im gesamten Landkreis Pfaffenhofen entstanden im Rahmen der Gemeindecaritas des Caritas-Zentrums in
den letzten 20 Jahren viele verschiedene ehrenamtliche Angebote für Kinder und ihre Eltern. Die meisten
Aktivitäten haben ihren Anfang innerhalb einer der 19 Nachbarschaftshilfen. Gegenseitige Kinderbetreu-
ung und die Vernetzung innerhalb des Ortes führten zu einem Netz von Babysittern, regelmäßigen Betreu-
ungsangeboten für Kinder unter 3 Jahren in der Gruppe (Kinderpark), Notmüttern und Leihomas. Dabei
wurde auch der Wunsch nach gemeinsamen Treffen, zusammen mit den Kindern laut. Daraus entstanden
zahlreiche Mutter-Kind-Gruppen (inzwischen 106 Gruppen im Landkreis) und einzelne Still- und Frauen-
gruppen.
In den Mutter-Kind-Gruppen können junge Mütter
Erfahrungen und Informationen austauschen und
sich bei Unsicherheit und Einsamkeit gegenseitig
stützen. Nicht nur Kinder können erste Kontakte
schließen, sondern auch neu zugezogene Eltern:
Mamas, die vorher ganztags gearbeitet haben zum
Beispiel und niemanden Gleichgesinnten kennen.
Noch viel wichtiger für die Mamas ist jedoch der
rege Austausch, die Weitergabe von Erfahrungen
und Ratschlägen, Tipps zur Erziehung und zu den
Dingen des täglichen Lebens. Es wird sich gegen-
seitig geholfen, unbürokratisch, selbstverständlich
und doch wertvoll und hilfreich – von Mama zu
Mama, von Frau zu Frau.
Das hilft nicht nur Neuzugezogenen dabei, sich
einzugewöhnen und heimisch zu werden, sondern
allen Frauen, sich in der neuen Rolle als Mama zu-
rechtzufinden. Sie werden in ihren Fähigkeiten ge-
stärkt und geschult, indem sie sich z.B. in einer
Leitungsfunktion versuchen. Deshalb bieten wir
kostenlose Fortbildungen an, um die Position der
Leitungen zu stärken und zu qualifizieren. Es gibt
pädagogische Schulungen und Erziehungsthemen,
aber auch viele Anleitungen, wie die Stunde in ei-
ner Mutter-Kind-Gruppe gestaltet werden kann. Je
nach Wünschen und Bedürfnissen der Leiterinnen
wird das Fortbildungsprogramm gestaltet.
Die Vielfalt der Angebote wird ergänzt um das Netz für die Kindernotfallbetreuung
In Wolnzach und Pfaffenhofen konnten inzwischen
Mütter-Zentren eingerichtet werden, da es eine
große Anzahl an Mutter-Kind-Gruppen gibt und ein
tägliches Angebot der Kleinkinderbetreuung. Das
inhaltliche Gesamtangebot ist ähnlich dem Ange-
bot der einzelnen Gruppen in den anderen Nach-
barschaftshilfen; auf Grund der Größe wurde aber
eine andere Struktur geschaffen. Zudem gibt es
übergreifende Angebote: ganz aktuell z.B. eine
Selbsthilfegruppe für Mamas mit behinderten
Kleinkindern oder das Spielangebot „Wir reisen um
die Welt“ für 6 - 10 jährige Kinder. Auch Frauen-
gruppen oder – in den Jahren zuvor – eine Art Feri-
enprogramm für junge Eltern mit ihren Kindern,
eine Stillgruppe, einen offenen Familientreff.
Unterstützend zu den Gruppen wird versucht, das
Netz für die Kindernotfallbetreuung weiterhin auf-
Astrid Benda
Dipl.-Sozialpädagogin (FH)
Gemeindeorientierte Soziale
Arbeit und Zentrum für Ehren-
amtliche im Caritas-Zentrum
Pfaffenhofen
52 53
recht zu halten. So kann durch die Vernetzung mit
der Tagesmuttervermittlung oft schnell und unbüro-
kratisch geholfen werden. Viele der Tagespflegeper-
sonen sind bereit, in Notsituationen ehrenamtlich
einzuspringen, z. B. in überlasteten Familien, da-
mit sich die Situation stabilisiert, oder im Falle von
Krankheit und/oder Kuraufenthalten der Mutter.
In 10 Nachbarschaftshilfen gibt es in den Ferien-
zeiten verschiedene Angebote für Kinder aller Al-
tersklassen: „Boarisch tanzn“, Spiele aus Groß-
mutters Zeiten, Pfeiferl schnitzen, italienischer
Nachmittag, Ausflüge, Spiele mit dem Schwung-
tuch, Kasperltheater und vieles, vieles mehr.
Möglichkeiten, sich zu engagieren, gibt es mehr als genug
Nicht alle Menschen möchten sich einer Gruppe
bzw. einer Nachbarschaftshilfe anschließen. Trotz-
dem möchten sie sich ehrenamtlich engagieren
und kommen im Caritas-Zentrum vorbei, um sich
über ein mögliches Einsatzfeld zu informieren. Mit
Unterstützung einer Sozialpädagogin wird dann
versucht, einen geeigneten Einsatzort innerhalb
der großen Palette der Möglichkeiten zu finden:
Ein größeres Projekt, das für Grundschul-
kinder entstanden ist, ist. z. B. „Wir reisen
um die Welt“, bei dem zwei ehrenamtliche
Frauen ein Konzept für zwei mal vier Nach-
mittage erarbeitet haben, in dem sie mit den
Kindern die verschiedenen Kontinente er-
forscht haben. Eine Fortsetzung des Angebots
ist geplant mit dem Thema „Blaue Reiter und
schiefe Gesichter.“
Bei einer Ausstellung zum Thema „Alleiner-
ziehenden-Leben ist vielseitig“ wurde eine
Lesung für Kinder zum Thema angeboten.
Vorgestellt wurde das Buch „Wir teilen alles!“
Eine Musik-Mutter-Kind-Gruppe für Kinder
unter drei Jahren wurde initiiert.
Einzelbegleitung für Hausaufgabennachhilfe
Gemeinsames Lernen auf den Führerschein
Zusammen mit einer Praktikantin wurde 2004
ein Projekt für Aussiedlerkinder „Spielen und
Deutsch lernen“ eingeführt. Es wurde 2005
wieder aufgegriffen und mit Unterstützung
einer Ehrenamtlichen weitergeführt.
Frauen und Kinder des Aussiedlerheimes
wurden in die Vorbereitung des Eine-Welt-
Für-Alle-Marktes mit einbezogen. Für den
Markt konnte zudem ein ehrenamtliches
Kinderprogramm angeboten werden, mit
Schminken und Basteln von Gebetsfahnen.
Im Rahmen von Multiplikatorenarbeit haben in Zu-
sammenarbeit mit dem Zentrum für Ehrenamtliche
und den einzelnen Fachdiensten Fortbildungen für
Kinderpark-Mitarbeiterinnen stattgefunden:
„Mit Farben durch das Jahr“
„Phantasievolles Sinnerleben“
„Wir sind zwei Musikanten“
sowie Fortbildungen für Mutter-Kind-Gruppenlei-
terinnen und vierteljährliche Treffen der Mutter-
Kind-Gruppenleiterinnen im Familienzentrum:
„Zehn kleine Zappelmänner, Spielideen
für unsere Kleinsten“
„Was braucht mein Kind in den verschie-
denen Entwicklungsphasen“
„Kinderbücher selbst gemacht“
„Samstag für unsere Mutter-Kind-
Gruppenleiterinnen“
54 55
Renate Knüpffer
Renate Knüpffer
Mitarbeiterin des
Freiwilligen-Zentrums
„Auf gehts!“ der Arbeits-
gemeinschaft Lebenslust,
Garmisch-Partenkirchen
„Im Prinzip ist meine Arbeit ein Enzym“ Viele Freiwillige suchen neuen Sinn im Leben und neue Heimat
in einer Gemeinschaft
Wenn ich sehe, wie andere Menschen Nächstenliebe nicht nur empfinden oder artikulieren, sondern un-
mittelbar leben, dann ist das für mich ein Quell der Freude und der Kraft. Und Ansporn, weiter zu machen.
Denn mein eigenes soziales Engagement besteht letztlich darin, anderen zu helfen, sich sozial zu engagie-
ren. Im Prinzip ist meine Arbeit ein Enzym, das den guten Willen vieler Menschen zu sozialem Handeln ge-
lingen lässt. Aber weil ich weiß, dass ich dadurch zwar indirekt, aber nicht weniger konkret wirksam werde,
fühle ich mich auch immer denen nah, die Hilfe brauchen – und durch unsere Freiwilligen bekommen.
Zwar ist die Gegend von Garmisch-Partenkirchen
ein eher ländlicher Raum, aber für überraschend
viele Menschen ist es gar nicht die angestammte,
sondern eher eine zweite Heimat. Denn unsere Re-
gion gilt ja deutschlandweit als einer der begehr-
testen Altersruhesitze. Das hat Auswirkungen bis
hin in den Bereich der ehrenamtlichen Arbeit: Wir
haben nicht wenige Freiwillige, die im vorgerückten
Alter, oft nach dem Tod des Partners oder der Part-
nerin, zu unserem Freiwilligen-Zentrum stoßen. Sie
suchen eine Tätigkeit, bei der sie sich und ihr Kön-
nen für andere Menschen einbringen können. Und
sie suchen für sich neuen Sinn im Leben, und eine
neue Heimat in einer Gemeinschaft. Meine Aufgabe
im Freiwilligen-Zentrums „Auf geht‘s!“ ist es, Men-
schen, die sich ehrenamtlich engagieren möchten,
Orientierung zu geben. Ich informiere sie, suche für
sie die passenden Stellen und unterstütze sie da-
bei, sich für das richtige Angebot zu entscheiden.
Wie befriedigend bürgerschaftliches Engagement
auch selbst sein kann, weiß ich durch eigene Kurse,
die ich ehrenamtlich in einem Altenheim anbiete.
Der christliche Auftrag spielt für uns im Freiwilligen-Zentrum eine durchaus große Rolle
Für mich ist es immer wieder eine große Freude, auf
Menschen zu treffen, die sich selbst nicht genug
Hilfe durch soziales Engagement unserer MitarbeiterInnen in den Freiwilligen-Zentren.
54 55
sind. Für die soziales Engagement Ausdruck von
Nächstenliebe ist – und auch einfach von Nähe. Die
Bandbreite an Einsatzgebieten ist bei uns sehr groß,
denn unser Freiwilligen-Zentrum gehört zur Ar-
beitsgemeinschaft Lebenslust. Das ist ein Zusam-
menschluss verschiedener Träger und Organisati-
onen, wie beispielsweise der Caritas, dem Sozial-
dienst katholischer Frauen, der Diakonie und dem
Roten Kreuz, der den Bürgern über ein gemein-
schaftliches Netzwerk sich ergänzende Angebote
anbietet.
Für uns Mitarbeiterinnen im Freiwilligen-Zentrum
spielt dabei der christliche Auftrag eine durchaus
große Rolle.
„Wesentlich ist, dass Hilfe und Mitmenschlichkeit möglichst ziel- gerichtet zu den Menschen finden, die sie dringend brauchen. So geht es uns mit unserer Koordinations- arbeit auch stets um die Sache selbst. Dass wir immer wieder erleben, wie Menschen helfend zueinander finden, ist der schönste Lohn.„
Menschen haben mich schon immer interessiert.
Ich komme beruflich ursprünglich aus dem päda-
gogischen und musikpädagogischen Bereich. Viele
Jahre lang habe ich mit Kindern zusammengearbei-
tet, bis ich merkte: ich brauche eine Veränderung,
Perspektivwechsel, neue Impulse. So kam ich zur
Freiwilligenarbeit. Wenn ich mit Interessenten zu-
sammensitze, steht für mich das Zuhören an erster
Stelle. Es ist wohl auch meine Stärke, denn ich ma-
che immer wieder die Erfahrung, dass sich Men-
schen mir in hohem Maße offenbaren, zum Teil sehr
privat. Wenn es ums ganz Persönliche geht, ums
Grundsätzliche – dann kommt meist auch der Glau-
be ins Spiel.
Mein eigener Glauben schwingt mit Sicherheit stets
mit, wenn ich mit Menschen arbeite. Als Frau eines
evangelischen Pfarrers ist bei mir gelebtes Christen-
tum ohnehin sehr präsent. Und ich merke schnell,
ob im Anderen diese Schwingungen Resonanz fin-
den. Natürlich kann und will ich in meiner Arbeit
niemandem Religion aufdrängen. Aber ich signali-
siere Offenheit für den Glauben. Und möchte den
Menschen dieses wunderbare Grundgefühl vermit-
teln, dass Gott jeden einzelnen von uns trägt und
wir uns immer gut und sicher bei ihm aufgehoben
fühlen können. Was natürlich nicht bedeuten kann,
dass wir uns mit schlichtem Gottvertrauen treiben
lassen sollen. Im Gegenteil:
„Ich bin der festen Überzeugung, dass ein Leben in Gott heißt, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen.„
In Verantwortung vor Gott, vor sich selbst und vor
seinen Mitmenschen. Was das im besten Falle
heißt, sehe ich nicht zuletzt immer wieder bei un-
seren Freiwilligen!
56 57
Helmut Hopmann
Helmut Hopmann
Vorsitzender des Kuratoriums
Caritas-Zentrum Ramersdorf /
Perlach / Ottobrunn
„Du musst teamfähig sein“Ein Gespräch mit Helmut Hopmann über sein Engagement in der Caritas
Sie sind Ingenieur, ein anerkannter Spezialist
für Raumfahrtantriebe. Jetzt ist mir nicht ganz
klar, wo hier der Bezug zur Caritas liegt. Das
müssen Sie mir bitte erklären.
Als ich noch berufstätig war, hatte unser Gemeinde-
pfarrer hier in Ottobrunn schon mehrmals vergeb-
lich bei meiner Frau nachgefragt, ob ich mich nicht
engagieren wolle. Später, als ich im Ruhestand war,
standen Pfarrgemeinderatswahlen an. Da sagte ich
mir: Na, da könnte ich mich jetzt ja beteiligen. So
bin ich in den Pfarrgemeinderat gewählt worden.
Das war der kleine Finger.
Aha, ich verstehe.
Es ging weiter in den Dekanatsrat, in dessen Vor-
stand – und dann standen Wahlen für das Kurato-
rium der Caritas an. Heute bin ich Vorsitzender des
Caritas-Zentrum Ramersdorf/Perlach/Ottobrunn.
Vielleicht sollte man ein paar Worte dazu sagen,
weil es sich hier um einen Zusammenschluss han-
delt: Die Caritas war damals aufgrund von Budget-
kürzungen im Sozialwesen in Bedrängnis gekom-
men. Sie sah sich gezwungen, Effizienzmaßnahmen
zu ergreifen. Ursprünglich gab es ein Caritas-Zen-
trum in Ottobrunn und eines in Ramersdorf/Perlach.
Man musste neu strukturieren, es war eine schwie-
rige Zeit des Umbruchs.
Aber der Zusammenhang zwischen Luft-
und Raumfahrt und Budgetkürzungen im
Sozialwesen ist mir leider noch immer
nicht ganz klar ...
Ich bin zwar von Haus aus Techniker, habe aber
später als Manager in einem führenden Luft- und
Raumfahrt-Unternehmen gearbeitet. Nach dem
Krieg gab es in Deutschland und Europa eine Men-
ge Unternehmen in diesem Bereich. Zu viele. Also
musste fusioniert werden. Folglich verfügte ich, um
auf die damalige Caritas-Situation zurückzukom-
men, über gewisse unternehmerische Erfahrungen,
was strukturelle Veränderungen anbelangt.
Noch einmal nachgehakt: Auch die Caritas
muss wirtschaften. Aber die Caritas ist ja
weit mehr als ein Unternehmen. Der rein
ökonomische Aspekt war doch nicht der
einzige Berührungspunkt?
Wenn ich es von einem ganz anderen Blickwinkel
betrachte: Ich komme aus einer bürgerlichen Groß-
familie. Ich habe sieben Geschwister, einer meiner
Brüder ist Theologe. Mein Vater war Professor der
Medizin. Und wir waren ein aufgeschlossenes ka-
tholisches Haus in Köln. Meine Frau kommt von
einem großen Hof und hat acht Geschwister. Und
ist auch sozial fest verankert. Also, ich habe schon
ein christliches Leitbild vom Sozialen her. Mit vie-
len Geschwistern, und wenn die Eltern ein gutes
Vorbild sind, bleibt sozial sicher viel hängen und
es wird einem viel mitgegeben. Als ich mich vom
Beruf trennte, suchte ich eine neue Aufgabe. Für
mich lag der Pfarrgemeinderat nahe, zumal ich in
der Gemeinde nicht ganz unbekannt war. Das war
der erste Schritt. Dann kam schnell die Frage auf:
Welcher Ausschuss wird mit wem besetzt? Ich wur-
de als Dekanatsratdelegierter vorgeschlagen. Das
ist etwas Übergeordnetes, sagte ich mir, da kann
ich mich besser einbringen, als im Gemeinderat in
einem liturgischen Bereich tätig zu werden, wo ich
wenig Hintergrund habe. Dann ging es im Deka-
natsrat ganz schnell in den Vorstand und weiter
ins Kuratorium des Caritas-Zentrums.
Wir haben heute in Deutschland auf der einen
Seite eine große Zahl von Menschen, die auf
staatliche Leistungen angewiesen sind, Men-
schen, die sich mit mehreren Jobs über Wasser
zu halten versuchen. Auf der anderen Seite
ertönt der Ruf nach einer Bürgergesellschaft.
Wenn soziales Engagement gefordert wird, wen
will man damit erreichen, wen kann man damit
überhaupt erreichen?
In diesem sozialen Spannungsfeld zwischen den
Zwängen der Wirtschaft einerseits, und dem sozi-
alpolitischen Handlungsspielraum des Staates,
56 57
seinen finanziellen Einengungen andererseits, gibt
es Handlungsbedarf. Das betrifft diejenigen, die
nicht ganz zufrieden gestellt werden können, in
erster Linie wirtschaftlich, aber auch innerlich. Ich
denke beispielsweise an Jugendliche, die frustriert
sind. Um dem Staat jetzt zu helfen in seiner Fürsor-
gepflicht, werden Leute gesucht, die das können.
Ein mir nahe liegendes Beispiel aus dem Hospiz-
Bereich: Hier melden sich Leute, die sich verpflich-
tet fühlen, zu helfen. Zuvor sagt aber die Hospizbe-
wegung: Du musst dich ausbilden lassen. Es kann
nicht jeder ans Krankenbett. Das ist also ein Bei-
spiel dafür, dass man zuerst einmal bestimmte
Kompetenzen haben muss. Man sollte soziale Kom-
petenzen besitzen, gefestigt sein, über Zuneigungs-
eigenschaften verfügen. Aber du solltest auch über
fachliche Kenntnisse verfügen, zum Beispiel, wie
man einen Kranken umdreht, wie man erkennt,
dass er Atemnot hat. Und du musst teamfähig sein.
Das halte ich für sehr wichtig. Einzelgänger können
wenig für die Gesellschaft in diesem Spannungs-
feld bewirken. Man kann nur etwas bewirken, wenn
man Kräfte zusammenfasst.
Ist es nicht ein Missstand, dass im sozialen
Bereich nicht nur die Ehrenamtlichen, sondern
vor allem auch diejenigen, die hauptberuflich
dort arbeiten, weder die finanzielle noch die
gesellschaftliche Anerkennung erhalten, die
sie verdienten?
Diese Ansicht würde ich teilen. Wenn ich aus eige-
ner Erfahrung die Krankenhäuser betrachte, wie
sich dort die Menschen abrackern und sich bemü-
hen, dann bin ich schon der Meinung, die haben
einen schweren Beruf. Das gilt beispielsweise auch
für Kindergärtnerinnen oder Heilerziehungspfleger.
Da habe ich schon das Gefühl, dass die Gesellschaft
diesen Dienst nicht richtig bewertet. Und damit
auch die Honorierung nicht ganz in Ordnung ist.
Insbesondere, wenn ich andere Gehälter sehe.
Hat sich der soziale Zusammenhalt eher
verschlechtert?
Ich selbst erlebe, dass es eine große Zahl an Men-
schen gibt, die sich sozial engagieren. Es gibt aber
auch gerade bei den Älteren, bei den wohlsituier-
ten Rentnern, die es ja in Massen gibt, die Tendenz
des Ichs. Wellness, Reisen, Urlaub ... Da gibt es
viele, die sich von der Bürgergesellschaft zu sehr
absentieren. Die ihr Leben leben.
Aber wer unter Umständen 40 Jahre oder gar
mehr in die Rentenkasse eingezahlt hat, darf
doch jetzt auch davon profitieren. Die nach-
folgenden Generationen werden es da schon
schwieriger haben ...
Deshalb finde ich es ja auch nicht ganz fair. Ich
meine schon, dass diese ältere Generation durch-
aus eine Verantwortung trägt, mitzuhelfen, diese
Spannungen zu überwinden.
Ja, aber wenn diese Generation einfach sagt:
„Ich habe 40 Jahre gearbeitet, ich habe meinen
Beitrag geleistet - Jetzt ist Feierabend.“ Man
kann sie ja nicht zwingen.
Nein, zwingen kann man sie nicht. Ich mache ihnen
auch keinen Vorwurf. Ich sehe nur eine gewisse
Tendenz. Was sollen die Jüngeren, die unter hohem
Stress stehen, die nur mit Ach und Krach ihre Stelle
halten können, hochflexibel sein müssen, denken,
wenn sie nur ‚Wellness, Wellness, Wellness‘ sehen?
Da mache ich mir Gedanken, dass die ältere Gene-
ration dies auch sehen sollte. Ich spreche jetzt
nicht vom Arbeiter, der 40 Jahre eingezahlt hat.
Sondern von der reichen Generation, die manch-
mal auch nur wenige Kinder oder Angehörige zu
versorgen hat, von denjenigen, die über Vermögen
und Zeit verfügen.
58 59
Wenn Sie jetzt zwischen dem Arbeiter und dem
Vermögenden differenzieren, noch einmal der
Rückgriff auf die Frage: An wen richtet sich das
Ehrenamt eigentlich?
Man muss natürlich auch sagen, dass nicht jeder
den Weg zum Ehrenamt findet. Eine Handreiche,
Glück oder eine gewisse Konstellation gehören
vielleicht dazu. Nicht jeder ist beispielsweise in
einer Pfarrgemeinde. Manche sind eben nicht ein-
gebunden in die Gesellschaft, und denen kann man
auch relativ wenig Vorwürfe machen, die kennen es
einfach nicht. Die finden vielleicht nicht den Weg.
Versäumt man etwas, wenn man sich nicht
engagiert?
Durch meine Arbeit für die Caritas habe ich ge-
wonnen. In einem sozialen Netzwerk zu agieren,
das kannte ich bisher ja nicht. Man trifft dabei auch
interessante Persönlichkeiten. Und zu merken, dass
die Arbeit fruchtet, ist ein enormer Gewinn, be-
sonders, wenn auch der andere Gewinn von dieser
Arbeit hat. Das spürt man ja. Ich habe gerade einer
neu ausgebildeten Hospizgruppe die Zertifikate
übergeben. Ich habe es als einen Gewinn empfun-
den, dass diese Menschen zu diesem Verein ge-
kommen sind, sich dafür zur Verfügung stellen, und
dass ich merkte, deine Arbeit wird jetzt weiter ge-
tragen. Als ich sah, die können eigentlich besser
den Hospizdienst machen als du selbst. Ich, nein:
wir, haben sie gewonnen und festgestellt, dass
unsere Arbeit fruchtet. Das kommt den Menschen
zu Gute, die bettlägerig, die im Krankenhaus oder
zuhause mehr oder weniger alleine sind.
Sie haben den Hospizkreis hier in Ottobrunn
mit angeregt?
Ja. Im Dekanat hieß es eines Tages: Fehlt hier nicht
so was? Dann habe ich mich dahinter geklemmt
und den Hospizkreis Ottobrunn ins Leben gerufen.
Wie sieht es mit der Nachfrage aus?
Wir haben erst vor drei Jahren den aktiven Hospiz-
dienst begonnen. Zuerst haben wir ausgebildet.
Auf ehrenamtlicher Basis. Wir mussten dann auch
laut Gesetz eine Palliativ-Fachkraft einstellen. Eines
Tages hatte ich die Furcht, haben wir genug Helfer?
Der Widerhall in der Bevölkerung nahm zu. Wir ha-
ben auch Presse gemacht, Benefizveranstaltung
und so weiter, und wahrgenommen, die Bevölke-
rung nimmt das an. Wir sind in Krankenhäuser ge-
gangen und die Ärzte und Schwestern haben uns
ermutigt. Dann haben wir erneut ausgebildet. Jetzt
haben wir über 50 Hospizhelfer. Vor allem Frauen.
Die Nachfrage nach einer Begleitung ist gestiegen,
und das ist nachvollziehbar. Die Krankenkassen
möchten die unheilbaren Patienten aus den Kran-
kenhäusern möglichst nach Hause entlassen, sie
sind ‚austherapiert‘, ein schreckliches Wort. Das
Gleiche will der Gesetzgeber. Und auf der anderen
Seite ist es ja unser eigenes Ansinnen, zu Hause
sterben zu wollen. Und häufig fehlen dann die An-
gehörigen zur Betreuung. Dazu kommt die demo-
graphische Entwicklung. Das waren vor zwei Jahren
meine Überlegungen, die mich zur Einsicht brach-
ten: Die Nachfrage nach Hospizhelfern wird steigen.
Und so ist es auch eingetreten. Doch zum Glück
stimmt die Balance zwischen Angebot und Nach-
frage. Ohne die großartige Unterstützung der zahl-
reichen ehrenamtlichen Helfer überall ginge der
Zusammenhalt der Gesellschaft wohl verloren.
Wir haben jetzt über 50 Hospizhelfer.
58 59
Jasmin Malina
Jasmin Malina
Freiwilligen-Zentrum
München Innenstadt,
ehrenamtlich in der
Schuldnerberatung
„Ich bin sicher, dass diese Arbeit auf mich gewartet hat“Freiwilliges Engagement in der Schuldnerberatung führt Menschen
aus der Aussichtslosigkeit heraus
Manchmal sind die einfachen Dinge gar nicht so einfach zu realisieren. Wer ehrenamtlich anderen Menschen
helfen will, muss erst einmal herausfinden, wie sein Engagement auch sinnvoll eingesetzt werden kann.
Man muss die Zeit finden, Ehrenamt und Beruf unter einen Hut zu bringen. Und man braucht auch einige
Ausdauer, um bei der Stange zu bleiben, wenn es mal weniger Spaß macht. – Aber erst die genau umge-
kehrte Sicht ergibt für mich Sinn: Oft sind gerade die kompliziert aussehenden Dinge sehr einfach zu rea-
lisieren. Wenn man nur will.
Vieles, was auf den ersten Blick nach Zufall aus-
sieht, ist in Wirklichkeit gar keiner. Zum Beispiel
die Geschichte, wie ich zu meinem ehrenamtlichen
Dienst bei der Caritas geraten bin. Ich war neu in
München und habe mich in der Touristeninforma-
tion am Marienplatz umgesehen. Und da fiel mir ein
Flyer der Caritas-Freiwilligen-Zentren in die Hände.
Ich bin sicher, dass dieser Flyer dort nur auf mich
gewartet hat. Denn
„ich hatte, als ich die Touristen- information betrat, ganz bestimmt nicht erwartet, dass sich damit mein Leben ändern würde.„
Ich hatte eine gemütliche Wohnung, eine abwech-
selungsreiche Arbeit und eine wunderbare Bezie-
hung. Aber trotzdem war ich damals – halb be-
wusst, halb unbewusst – auf der Suche. Etwas
fehlte.
Und zwar eine wirklich sinnvolle Tätigkeit, die sich
nicht nur um mich und meine Bedürfnisse drehte.
So bin ich also ins Freiwilligen-Zentrum Innenstadt
der Caritas gekommen. Dort heißt ein Schwerpunkt
MoneyPenny und bedeutet, dass sich Freiwillige –
oder auch Unternehmen – ganz gezielt im Bereich
Schuldnerberatung engagieren. Ich engagiere mich
für Menschen in Geldnot und bin Teil eines Work-
shops „Gemeinsam gegen Schulden“. Als studierte
Diplomkauffrau und Angestellte bei einem Versi-
cherungsmakler bin ich routiniert im Umgang mit
Geld. Trotzdem musste ich mich am Anfang meiner
Tätigkeit als Freiwillige erst einmal in dieses Fach-
gebiet einarbeiten.
An den Workshops nehmen Menschen teil, die aus
unterschiedlichen Gründen in finanzielle Schwie-
rigkeiten geraten sind. Über mehrere Abende hin-
weg füllen unsere Klienten gemeinsam mit uns Hel-
fern den Antrag für die Privatinsolvenz aus. Es ist
nicht einfach für die Teilnehmer, ihre finanziellen
Verhältnisse offen zu legen, zu ordnen und den um-
fassenden Antrag auszufüllen. Die Menschen müs-
sen erst einmal Vertrauen entwickeln, denn bei
dieser Arbeit erhält man Einblick in viele private An-
gelegenheiten. Ich finde es toll, dass die Menschen
den Mut und die Kraft haben, um an den Work-
shops der Caritas teilzunehmen. Es freut mich, wenn
sich Geduld und Freundlichkeit auszahlen und mit
Vertrauen belohnt werden. Und letztlich spüre ich
bei allen auch Dankbarkeit für die Hilfe. Viele tun
sich schwer, Gefühle auszudrücken. Aber ich mer-
ke, dass sie froh sind, gemeinsam mit uns diesen
Schritt aus der finanziellen Krise gegangen zu sein.
60 61
Ich beschäftige mich intensiv mit dem Wichtigsten, das es gibt: mit Menschen.
Es ist immer schön, ein Danke zu hören oder Aner-
kennung zu bekommen – aber es ist nicht der Mo-
tor für meine ehrenamtliche Tätigkeit im Freiwilli-
gen-Zentrum. Anderen zu helfen gehörte schon
immer zu meinem Leben, war fester Bestandteil
meiner Erziehung. Meine Mutter hat da als prägen-
des Vorbild auf mich gewirkt. Nicht zuletzt die Tat-
sache, dass andere mir in meinem Leben in schwie-
rigen Situationen ebenfalls ganz entscheidend wei-
tergeholfen haben, motiviert mich dazu, diese Er-
fahrung an andere weiterzugeben. Wie auch mein
Anspruch, ein Leben nach christlichen Werten zu
leben. Denn der Glaube gehört für mich ganz un-
trennbar zu meinem Leben. In meiner Jugend war
ich in einer katholischen Mädchengruppe aktiv,
dann habe ich aber Glauben für viele Jahre sehr
persönlich und privat verstanden. Nicht zuletzt seit
der Wahl des neuen Papstes gewinnt jedoch auch
die Kirche für mich wieder stark an Bedeutung. Für
meine Arbeit in der Schuldnerberatung ist aller-
dings ausschlaggebend, dass ich viele positive
menschliche Erfahrungen sammle und eine Menge
über das Leben lerne.
„Ich beschäftige mich intensiv mit dem Wichtigsten, das es gibt: mit Menschen.„
Mit Menschen, die zwar in finanzieller Not sind –
mich aber ganz enorm bereichern.
Ein Workshops für Menschen in Geldnot: „Gemeinsam gegen Schulden“
60 61
Walter Huber
Walter Huber
Vorsitzender des Kuratoriums
Caritas-Zentrum München-
Ost / Land
Sehen, was alles im Verborgenen passiertEin Gespräch mit Walter Huber über die Kompliziertheit unserer Welt
Papst Benedikt XVI. schreibt in seiner Enzyklika
„Caritas deus est“, dass das „karitative Tun alle
Menschen und Nöte“ umfassen kann und muss.
Im Vergleich mit anderen Regionen leben wir in
Deutschland in einer friedlichen Wohlstandsoase.
Wie kann man eigentlich über seinen eigenen
Tellerrand hinaussehen?
Erstens muss es mir ein Anliegen sein, etwas von
der Welt zu erfahren. Zweitens: Man sollte auch ein
bisschen was verändern wollen. Der nächste, ent-
scheidende Schritt ist dann, dass ich mir authen-
tische Informationen beschaffe.
Kann ich als Einzelner etwas bewirken?
Tun heißt meistens, sich mit anderen zusammen-
zutun. Allein bewirkt man in der Regel wenig. Allein
kann man im Einzelfall helfen. Aber wenn man über
den Tellerrand hinaus und weltweit schaut, muss
man sich einen Weg suchen.
Zum Beispiel?
Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Ich kann zur
Caritas gehen, zu Misereor, Brot für die Welt. Diese
Organisationen, die überwiegend mit Spenden ar-
beiten, sind mir integer genug, um ihnen mein Geld
anzuvertrauen. Aber jetzt provoziere ich: Ich fürch-
te, viele Leute kaufen sich damit von Verantwor-
tung frei. Spenden ist okay, du hast dein Scherflein
beigetragen. Dies ist nicht zu kritisieren. Mein Weg
ist jedoch, irgendwo selbst einbezogen zu sein.
Und mit meinem Geld so umzugehen, dass ich so-
ziales, ethisches Investment unterstütze.
Ethisches Investment?
Ja. Ich bin Vorstandsvorsitzender des Fördervereins
Bayern für Oikocredit. Das ist eine international
tätige Kreditgenossenschaft, die das Ziel verfolgt,
benachteiligte Menschen und kleinere Unterneh-
men in Entwicklungsländern durch eine faire Kredit-
vergabe zu fördern. Das ist jetzt ein ganz wichtiger
Satz für mich: Ich kämpfe darum, dass auch die
Kirchen ihr Vermögen ethisch sorgsam anlegen.
Einer unser letzten Erfolge war, dass die Deutsche
Bischofskonferenz Oikocredit beigetreten ist. Zwar
mit einer relativ kleinen Einlage, aber auch dies
zeigt, dass die Bischofskonferenz unsere Anliegen
unterstützt.
Im aktuellen Dokumentarfilm „We feed the
world“ spricht Jean Ziegler, der UN-Sonder-
beauftragte für das Recht auf Nahrung, davon,
dass bereits heute die Weltlandwirtschaft
12 Milliarden Menschen ernähren könnte.
Tatsache ist aber, dass weltweit mehr als 800
Millionen Menschen an Hunger leiden. Geraten
solche Aspekte hierzulande nicht allzu häufig
in Vergessenheit?
Meine Erfahrung mit meinen Mitchristen ist, dass
es sehr geteilte Lager gibt. Für manche ist es aus
ihrem Menschenbild heraus selbstverständlich,
sich mit dieser Problematik zu beschäftigen. Die
sagen, es kann mir einfach nicht gleich sein. Aber
es gibt leider auch die andere Seite: Geiz-Ist-Geil-
Mentalität, das ist das Stichwort. Obwohl die Giro-
kontenbestände so hoch wie noch nie sind, eben-
so die Sparbestände. Wir leben in einer Erbenge-
neration!
62 63
Noch ein Beispiel aus dem Film: In Wien wird
jeden Tag so viel Brot weggeworfen, wie die
Stadt Graz an einem Tag verbraucht ...
Es gibt eine gewisse Gleichgültigkeit. Es kann doch
nicht sein, dass wir für eine Semmel, für ein Ei, das-
selbe ausgeben wie vor 20 Jahren. Aber viele Men-
schen möchten nicht aufgeschreckt und gestört
werden. Sie möchten es gemütlich und ruhig ha-
ben. Es ist meine feste Meinung ist, dass dieses
Hunger-Haben, dieses Hunger-Leiden noch zu we-
nige haben.
Weltweit?
Bei uns.
In Deutschland?
Ja. Zu erkennen, was es heißt, nichts zu haben. Da
gibt es nicht so viele, die das wie meine Generation
nach dem Krieg mitgemacht haben. Doch auch aus
dieser Generation sagen manche: „Jetzt haben wir‘s
endlich geschafft! Ich will mit Hunger nichts mehr
zu tun haben.“ Sie schotten sich ab, sie schauen
weg, sie lassen nichts an sich rankommen. Da muss
man dann sticheln. Mundpropaganda ist durch
nichts zu ersetzen. Zwei Ohren und einen Mund hat
der Mensch, das ist es, was ich immer sage. Zuhö-
ren, nachdenken und Mund aufmachen. Das geht
überall, im Freundeskreis, über das Herstellen von
Öffentlichkeit, über die Kirchen.
In seiner Enzyklika schreibt Papst Benedikt XVI.:
„Die unmittelbare Aufgabe, für eine gerechte
Ordnung in der Gesellschaft zu wirken, kommt
dagegen eigens den gläubigen Laien zu. Als
Staatsbürger sind sie berufen, persönlich am
öffentlichen Leben teilzunehmen.“
Das kann man nur unterschreiben.
Papst Benedikt schreibt weiter, dass Nächsten-
liebe kein von außen auferlegtes Gebot sein
sollte, sondern die Folge des Glaubens ...
Des Glaubens oder des Nachdenkens, das kann
beides sein.
Stichwort: Bürgergesellschaft. Wo sehen Sie
gesellschaftlichen Zusammenhalt denn bereits
am Wirken?
Zum Beispiel bei den vielen Bürgerinitiativen. Es
gibt natürlich auch diejenigen, die stänkern, die
gegen alles sind. Aber das Achten auf die Umwelt
und auf soziale Verhältnisse hat in der Tendenz zu-
genommen. Es gibt einen zunehmenden Anteil von
mündigen, nachdenklichen Bürgern.
Es würde sozial kälter werden, hört und liest
man überall ...
Wenn ‚soziale Kälte‘ meint, dass in Zeiten der Bör-
senorientiertheit das Wirtschaftleben härter ge-
worden ist, stimme ich dem zu. Die alte bundes-
deutsche Sozialkompetenz gibt es so heute nicht
mehr. Es kommen mehr amerikanische Praktiken
auf. Hire and fire. Das ist das eine. Ich persönlich
denke, dass wir weniger regeln sollten. Ich bin ein
Mensch, der eher liberale Ansichten hat. Weil man
über den Preis viel machen kann. Es wird aber im-
mer versucht, schon vorab sozial zu sein. Mir wäre
es lieber, man wäre manchmal weniger regelwü-
tig, aber hätte dann ein Auffangbecken für alle, die
durch das Netz gefallen sind. Und dann hilft man
denen. Aber so gibt es das Wohngeld, da eine Hilfe
und noch eine Hilfe. Tausend Gesetze! Darum ist
unsere Welt so kompliziert. Sie ist komplexer orga-
nisiert als es sein müsste. Viele meinen, Gerechtig-
keit lässt sich durch möglichst viele Regelungen
herstellen. Aber was ist mit den Menschen, die kom-
plizierte Regelwerke nicht durchschauen? Und eine
Welt, die kompliziert ist, ist sozial arm. Die Vermei-
dung sozialer Kälte durch Arbeitsbeschaffungs-
maßnahmen in der Verwaltungsbürokratie ist der
falsche Weg.
Und wenn man soziale Kälte als fehlendes
Miteinander im privaten Raum begreift ...
Sie meinen, ob die Leute egoistischer geworden
sind?
Ja.
Also, die Rücksichtslosigkeit oder Beliebigkeit ist
gewachsen. Aber sehen Sie auch, was alles im Ver-
62 63
borgenen passiert! Im sozialen Bereich, in Verei-
nen, in den Gemeinden, auch bei nicht-kirchlichen
Organisationen, Nachbarschaftshilfen, Kranken-
besuchsdienste ... Die hängen das ja nicht an die
große Glocke. Wenn alles nicht passieren würde,
was passiert, wäre die Welt um vieles, vieles är-
mer. All das hat es früher so nicht gegeben. Das
soziale Engagement hat zugenommen, der Egois-
mus aber auch.
Nächstenliebe geht alle an. Wie sieht in der
Praxis der Zusammenhalt, die Zusammenarbeit
zwischen Christen und Nicht-Christen aus? Gibt
es Nicht-Christen mit der Einstellung: Mit den
Christen möchte ich nichts zu tun haben?
Möglicherweise ja. Ich sehe es aber eher umge-
kehrt: Sie möchten miteinander zu tun haben. Ein
Beispiel: Leute, die völlig abseits vom Christentum
stehen, wollen ihre Kinder in einen christlichen
Kindergarten schicken, damit sie ein Wertesystem
kennenlernen. Dort werden Lieder gesungen, auch
mit geistlichem Inhalt, da wird auch mal gebetet.
Das ist ein anderes Milieu als in einem städtischen
wertfreien Kindergarten. Da gibt es ein festes Ge-
füge.
Ein zweites Beispiel: Kinderkrippe. Das Familien-
bild hat sich gewandelt. Selbstbewusste Mütter
gehen ihrem Beruf nach. Nicht nur diejenigen, die
aus finanziellen Gründen müssen. So entsteht ein
Markt für Krippen. Hier springt – neben anderen
Organisationen auch – die Caritas ein. In diesem
Bereich unternimmt die Caritas jetzt sehr viel. Der
Staat zieht sich immer mehr zurück – Wer soll es
denn dann tun? Die Kirchen sind gefordert, und die
Kirche ist jetzt auch auf einem guten Weg, gerade
durch die Caritas. Sie kümmert sich sowohl am Le-
bensanfang, als auch am Lebensende ganzheitlich
um ein werteorientiertes System der Betreuung.
Altenheime gab es immer schon, aber nicht spezi-
fiziert auf die Ansprüche des 21. Jahrhunderts.
Dass das auch ein „Markt“ ist, schadet nicht. Denn
diese Einrichtungen werden eben auch von jeman-
dem betrieben, der zusätzlich noch Wertvorstellun-
gen vermittelt.
64 65
Alexa von Blumröder
Pfarrgemeinderätin von
St. Joachim in München und
ehrenamtliche Mitarbeiterin
der Arbeitsgemeinschaft
Wohnungslosenhilfe
„Mut macht mir, dass ich mit meiner
Arbeit nie allein bin“Unser Foyer-Treff hat sich unter den Wohnungslosen
der ganzen Stadt herumgesprochen
Für mich ist Christentum im tiefsten Wesen Nächstenliebe. Und meinen Glauben zu leben heißt für mich,
ihn auch zu zeigen: Indem ich meinem Nächsten helfe – so viel wie nötig und so gut wie möglich. Denn Jesu
Worte „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ verstehe ich als
ganz konkrete Aufforderung zum Engagement. Da kann ich mich nicht drücken oder so tun, als sei ich nicht
gemeint. Es gibt sicher viele verschiedene Formen christlichen Lebens. Die meine ist es, hinauszugehen und
zu handeln.
Mein Weg zum ehrenamtlichen Engagement war
von vornherein vorgezeichnet. Das beginnt mit der
Herkunft, prägt sich durch die Erziehung und bildet
sich im Lebensweg Schritt für Schritt aus. In meiner
Familie gehört christlich motiviertes Engagement
für den Nächsten seit Generationen dazu. Und inte-
ressanterweise ebenfalls bereits seit Generationen
in durchwegs ökumenischen Beziehungen, bis hin
zu meiner eigenen Ehe. Was ich als glückliche und
bereichernde Fügung betrachte. Als ich vor über 20
Jahren in die Pfarrgemeinde St. Joachim kam, dau-
erte es nicht lange, bis die Gemeindeschwester
mich für die Caritassammlung rekrutierte – und ich
mich gerne rekrutieren ließ. Heute bin ich als Mit-
glied des Pfarrgemeinderats oft Feuerwehr für viele
unterschiedliche Projekte.
Ganz besonders am Herzen liegt mir unser monat-
licher Foyer-Treff für Wohnungslose. Als Gruppe von
etlichen Ehrenamtlichen und zwei hauptamtlichen
Alexa von Blumröder
Mitarbeitern geben wir uns immer viel Mühe, für
die Besucher ein angenehmes Erlebnis zu gestal-
ten. Gutes Essen, schön gedeckte Tische, je nach
Festen und Jahreszeiten passend. Und ich denke,
das gelingt uns immer wieder. Zumindest hat sich
der Foyer-Treff unter den Wohnungslosen der gan-
zen Stadt herumgesprochen. Zu erleben, dass sich
bei diesen Zusammenkünften Menschen wohl füh-
len, ist für mich der schönste Lohn für die Mühen.
Der Sinn ergibt sich aus der Sache selbst – und ist in sich der Lohn der Sache
Bedingt durch ihre Lebenssituation können die
meisten Wohnungslosen nur schwer aus sich her-
ausgehen und Dankbarkeit artikulieren – oft nicht
einmal empfinden. Und darauf darf es auch gar
nicht ankommen bei unserer Arbeit.
Zu wissen, dass wir bedürftigen Menschen zu Mo-
menten verhelfen, in denen sie ihr Leben mehr als
sonst genießen, das schenkt mir Freude und gibt
mir Kraft zu weiterer Arbeit. Nicht anders ist es in
der ökumenischen Nachbarschaftshilfe der Ge-
meinden St. Joachim und Passionskirche. Der Sinn
ergibt sich aus der Sache selbst – und ist in sich der
Lohn der Sache. Oder meine jährlichen, vom Mal-
teser-Orden veranstalteten Fahrten nach Lourdes:
Zu erfahren, wie der Glaube andere, leidende Men-
schen stärkt und tröstet, das ist auch für mich als
Begleiterin eine tiefe Glaubenserfahrung.
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Aber natürlich ist für mich auch die Bestätigung
durch die vielen Gleichgesinnten, mit denen zu-
sammen ich meine ehrenamtlichen Dienste ver-
richte, eine Quelle der Motivation.
„Die Zusammenarbeit mit dem Caritas-Zentrum Sendling, zu dem unsere Pfarrei gehört, ist enorm gut. Dort läuft alles sowohl menschlich als auch fachlich so perfekt, dass es immer eine Freude ist, mit dem Zentrum zusammenzuarbeiten.„
Das ist für uns Ehrenamtliche schon deshalb so
wertvoll, weil doch die Caritas-Zentren vielfach die
Rahmenbedingungen für unsere Arbeit definieren.
Anerkennung und Zuspruch von dieser Seite ist für
mich natürlich genauso wohltuend wie aus den Rei-
hen meiner Pfarrgemeinde. Aber letztlich muss ich
immer selbst wissen, warum ich meinen Dienst am
Nächsten verrichte. Den Sinn meines Tuns können
andere nicht stiften. Er kommt von Gott und ich
muss ihn für mich selbst immer wieder entdecken.
Mut macht mir auch die Tatsache, dass ich mit
meiner Arbeit nie allein bin. Immer wieder finden
sich bei uns in der Gemeinde, oder auch darüber
hinaus, Menschen, die sich für andere Menschen
sozial engagieren. Bedingt durch die Möglichkei-
ten, die bestimmte Lebensabschnitte eröffnen, sind
es bei uns in der Regel etwas ältere Menschen, so
wie auch ich. In der Regel können wir einfach freier
über unsere Zeit verfügen. Und dass wir im Prinzip
alle unseren christlichen Glauben teilen, stärkt und
verbindet uns umso mehr. Aber letztlich geht es mir
schon ums Grundsätzliche. Die Worte des Bamber-
ger Erzbischofs Ludwig Schick sind mir in diesem
Zusammenhang ganz besonders ans Herz gewach-
sen: „...was wir sind und sein können vor Gott: Ver-
antwortungsbewusste Menschen, die zu seiner Ehre
und zum Wohl der Allgemeinheit wirken können.“
Willkommen im Foyer – der etwas andere Obdachlosentreff
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Josef Eixenberger
Josef Eixenberger
Diakon im Pfarrverband
Schnaitsee und
Vorstand Kuratorium
Caritas-Zentrum Traunstein
Stimme für die am Rand Stehenden seinEin Interview mit Diakon Josef Eixenberger über die Arbeit in seiner Gemeinde
Über „soziale Kälte“, die sich in Deutschland
zunehmend ausbreiten würde, wird häufig
geklagt. Ist auf dem Land die Welt noch in
Ordnung?
Allgemein gesprochen: Das christliche Abendland
droht, seine religiösen Wurzeln zu verlieren. In der
modernen Welt scheint der christliche Glaube kei-
ne Rolle mehr zu spielen. Die Gotteshäuser leeren
sich, die Volkskirche schwindet, ehrenamtliche
Helfer und Mitarbeiter in den Pfarreien zu finden
und zu motivieren, wird immer schwieriger.
Ich kann mir vorstellen, dass gerade heute in
Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und wirtschaftli-
cher Zukunftsängste viele Menschen sagen:
„Ein Ehrenamt? Soziales Engagement?
Ich bin doch schon froh, wenn ich meine Miete
zahlen kann. Ich habe meine eigenen Sorgen.“
Erreicht man heute die Menschen schwieriger?
Ziehen sich viele in ihre „eigene Welt“ mit ihren
„persönlichen Problemen“ zurück?
Ja, auch auf dem Land ist diese Entwicklung immer
mehr festzustellen. Ehrenamtliche Helfer und Mit-
arbeiter findet man noch am ehesten für kurzfris-
tige Projektarbeit oder nach langwieriger und
schwieriger Motivationsarbeit. Man muss auch
„betteln“. Ich sehe bei der Mehrheit aber den
Grund nicht in den angesprochen Problemen, son-
dern einfach in der fehlenden Bereitschaft mitzu-
arbeiten, und in einer gewissen Lustlosigkeit, die
geprägt wird von unserer heutigen Gesellschaft.
Wie kann man Gemeindemitglieder in die
karitative Arbeit miteinbinden?
Wie geschieht dies konkret in Ihrer Gemeinde?
Durch persönliche Ansprache der Gemeindemit-
glieder. Predigten zu diesen Thema. Veröffentli-
chungen in der Presse und im Gemeindeblatt. Vor-
bild sein. Die bestehenden ehrenamtlichen Mitar-
beiter im sozialen und karitativen Bereich beglei-
ten und fördern und dies in der Gemeinde positiv
publik machen.
Welche Rolle spielt dabei Ihre Stellung
als Diakon?
Als Diakon gilt es, die besondere Sorge und Auf-
merksamkeit den Kranken, älteren Menschen, Ein-
samen, von einer Notlage Heimgesuchten, den am
Rande der Gesellschaft und Kirche Stehenden, zu
schenken. Als Seelsorger die Mitmenschen immer
wieder auf die eigene Arbeit aufmerksam machen.
Man muss die Gläubigen motivieren und darauf
hinweisen, dass wir alle in unserer weithin ent-
christlichten Zeit vor der großen Aufgabe stehen,
auch den Menschen von heute Christus zu verkün-
den und ihn zu bezeugen, indem wir an den Pro-
blemen, Sorgen und den Nöten der Menschen teil-
nehmen. Alle sind berufen, Glaubenszeugen zu
sein und in der Nachfolge Jesu Christi die Nächsten-
liebe zu praktizieren. Sicher eine schwierige Aufga-
be. Wir dürfen uns ihr aber nicht entziehen, denn
gemeinsam, so glaube ich, schaffen wir es.
Welche Resonanz erfahren Sie von Gemeinde-
mitgliedern, die sich in sozialen Bereichen
ehrenamtlich engagieren?
Diese Gemeindemitglieder bestreiten ihre ehren-
amtliche Arbeit im karitativen und sozialen Bereich
mit großem Engagement und großer Freude. Sie
sind dankbar für die seelsorgerische Begleitung
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und erzählen immer wieder von positiven Erleb-
nissen und Erfahrungen – trotz der Not, die sie oft
sehen.
Sie sind Diakon im Hauptberuf, also ein stän-
diger Diakon. Diakon heißt übersetzt „Helfer“
oder „Diener“, und eines Ihrer Aufgabengebiete
ist die Seelsorge in der Gemeinde. Sie werden
dadurch mit dem Leid und den Problemen vieler
Menschen in Ihrer täglichen Arbeit konfrontiert.
Was war Ihr persönlicher Antrieb, diesen beruf-
lichen Weg zu gehen?
Nun, da müsste ich Ihnen meine ganze Lebensge-
schichte erzählen. Aber vielleicht ganz kurz: Mein
persönliches Engagement und meine ehrenamtli-
che Mitarbeit in meiner Heimatpfarrei, sowie einige
mir bekannte Diakone gaben mir den Anstoß und
den Wunsch, diesen Beruf auszuüben. Als haupt-
amtlicher Diakon habe ich mehr und bessere Mög-
lichkeiten, Stimme für die am Rand Stehenden zu
sein. Und als Christ in der Nachfolge von Jesus
Christus zu wirken. Da Jesus gleichsam modellhaft
christliches Leben vollzogen hat und seinen Jün-
gern sein Beispiel ans Herz legte, ist er der Aus-
gangspunkt für den christlichen Grundvollzug der
Diakonie – der Nächstenliebe.
Jesus begegnete allen Menschen, Frauen und Män-
nern, Kindern und Alten, Reichen und Armen, Ge-
sunden und Kranken, Etablierten und Randexisten-
zen ohne Berührungsängste. Er begegnete ihnen
offen und ohne Vorbehalte. Er suchte dabei nicht
die Masse, sondern vielmehr steht die Einzelbe-
gegnung, die Einzelhilfe im Vordergrund. Seine Ver-
kündigung ist Frohbotschaft, Heilsbotschaft vom
Anbruch, vom Kommen des Reiches Gottes. Be-
reits in seiner ,,Antrittspredigt“ in Nazareth legt er
dar, mit welchem Verständnis er auftritt. Er ist ge-
sandt, den Armen die Heilsbotschaft zu bringen,
den Gefangenen Befreiung zu verkünden, den Blin-
den neues Augenlicht, Geknechtete in Freiheit zu
setzen und ein Gnadenjahr des Herrn auszurufen.
Wie wirkt sich dies auf Ihren Beruf aus?
Als Seelsorger im Pfarrverband und als Vorstand
vom Kuratorium des Caritas-Zentrums Traunstein
sehe ich es als meine Aufgabe, den diakonischen
Auftrag und die Option für die Armen in der Nach-
folge Jesus Christus zu verwirklichen und die Dia-
konie, Caritas bzw. die christliche Nächstenliebe
als eine der Hauptvollzüge gemeindlichen und mit-
menschlichen Lebens wieder ins Bewusstsein der
Menschen zu bringen und zu verstärken.
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Monika Mayer
Monika Mayer
Freiwillige Helferin in den
Wendelsteinwerkstätten
für Behinderte in Raubling
im Rahmen des Generations-
übergreifenden Freiwilligen-
dienstes des BDKJ
„Weil ich nicht nur in der Kirche Christin sein will“Die Einblicke in andere Arten zu leben, zu denken, zu fühlen
vermitteln wertvolle Erfahrungen
Meine Arbeit in der Pfarrjugend von St. Michael in Götting bei Bruckmühl steht für mich von Anfang an ganz
klar unter dem Motto: Wenn du ein christliches Leben führen willst, dann tu was für die anderen – für die,
die deine Hilfe brauchen. Mir wird immer mehr bewusst, wie wertvoll es ist, mit solchen Grundsätzen ein-
fach aufzuwachsen. Man muss dann nicht immer so ausgiebig darüber nachdenken, was richtig und falsch
ist. Dass es auch um mich geht, wenn es mir um andere geht, ist schon klar. Aber in erster Linie sollte es
einfach selbstverständlich sein, zu geben. Dann kommt immer auch was zurück.
Das Nachdenken über meinen Glauben und über
soziales Engagement hat bei mir erst jetzt so rich-
tig angefangen, wo ich mitten drin stecke in der
Arbeit. Denn eigentlich haben Glaube und Kirche
für mich einfach zum Leben dazugehört, solange
ich denken kann. Ich bin da hineingewachsen, das
war für mich immer da, ganz selbstverständlich.
Bestimmt hat dabei eine Rolle gespielt, dass ich
nicht in der Großstadt aufgewachsen bin. Aber die
Nähe zur Kirche ist natürlich auch auf dem Land
heute nicht mehr zwingend. Da hatte ich schon
Glück. Auf diese Weise war mein Glaube schon im-
mer ganz praktisch: In der Pfarrei, der Pfarrjugend,
im Bund der deutschen katholischen Jugend BDKJ.
Ein Höhepunkt war dabei mit Sicherheit vergange-
nes Jahr der Weltjugendtag in Köln. Da haben
auch wir uns sehr reingehängt – und der Erfolg war
einfach überwältigend.
Jetzt arbeite ich seit rund einem dreiviertel Jahr in
den Wendelsteinwerkstätten für Behinderte in
Raubling. Und zwar im Rahmen des neuen Gene-
rationsübergreifenden Freiwilligendienstes, den der
BDKJ in unserer Erzdiözese München und Freising
zusammen mit dem Caritasverband anbietet. Nach-
dem ich im vergangenen Jahr mein Abitur gemacht
hatte, wusste ich überhaupt nicht, wie es nun mit
meinem Leben weitergehen sollte. Studieren? Und
wenn ja, was?
„Ich wollte erst einmal über mich und meine Zukunft nachdenken. Aber auch nicht einfach herumgammeln und meine Zeit vertrödeln. Über meine Pfarrei kam dann der Kontakt zum Freiwilligendienst zustande.„
Es ist einfach ein gutes Recht, Unterstüt-zung zu bekommen, wenn man sie braucht
In die Behindertenarbeit bin ich mehr oder weniger
so reingerutscht. Und ich hab am Anfang schon
auch Ängste gehabt: Wie wird das mit den Leuten?
Schaffe ich das alles? Aber nach den Erfahrungen
der letzten Monate hat sich meine Einstellung sehr
verändert. Was am Anfang nicht gerade einfach
aussah, macht mir heute richtig Spaß. Wobei es
natürlich schon oft ziemlich anstrengend ist. Aber
die Menschen geben mir soviel zurück. Auch wenn
sie teilweise ganz extrem auf Hilfe angewiesen
sind, bereichern sie mein Leben. Und zwar nicht
einfach mit Dankbarkeit – das wäre mir auch nicht
angenehm, denn ich finde, es ist einfach ein gutes
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Recht, Unterstützung zu bekommen, wenn man sie
braucht. Nein, es sind vielmehr die Einblicke in an-
dere Arten zu leben, zu denken, zu fühlen, die mir
so wertvolle Erfahrungen vermitteln. Abgesehen
von dem guten Wissen, Menschen zu helfen, die
meine Hilfe brauchen. Das gibt halt auch meinem
Glauben genau die praktische Qualität, die mir so
wichtig ist.
„Die Leute, die ich hier in der Einrichtung kennen gelernt habe, betrachten ihre Arbeit nicht nur als Beruf, sondern schon eher als Berufung, als echte Lebensaufgabe.„
Schwer beeindruckt hat mich auch das enorme
Engagement all der Kollegen, die diese manchmal
schon sehr anspruchsvolle Arbeit hauptberuflich
machen. Da braucht es nämlich schon oft ganz
schön viel Idealismus. Denn was an Anerkennung
aus der Gesellschaft und der Öffentlichkeit kommt,
reicht nicht unbedingt immer zur Motivation. Und
das Geld ist auch nicht wirklich die treibende Kraft.
Das hat mich jetzt auch inspiriert – und auch mei-
ne Grundfrage, wegen der ich die Arbeit angefan-
gen habe, beantwortet. Jetzt weiß ich, was die
nächsten Schritte im Leben sein sollen: Sobald die
Arbeit in den Wendelsteinwerkstätten beendet ist,
möchte ich an der Katholischen Fachhochschule in
München oder in Benediktbeuern den neuen Stu-
diengang „Soziale Arbeit“ mit Schwerpunkt Ju-
gend- und Behindertenarbeit beginnen. Das ist
eine Fachrichtung, auf die ich ohne meinen Frei-
willigendienst nicht unbedingt gekommen wäre.
Aber die jetzt vielleicht meinem ganzen künftigen
Leben eine Richtung gibt.
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Einrichtungen in Trägerschaft des DiCV Zahl der Einrichtungen
Fachschulen und -akademien 5
Werkstätten für behinderte Menschen 4
Wohnheime für behinderte Menschen 4
Heilpädagogische Tagesstätten 5
Förderschule 1
Sonstige Angebote (Kontaktstellen etc.) 2
Frühförderstellen 2
Alten- und Pflegeheime 29
Erziehungsberatung 15
Kindertagesstätten 34
Kinder-/Jugendbetreuung 29
Altenhilfe 8
Pflegerische Dienste 32
Familienpflege 7
Suchtbereich 18
Behindertenhilfe 4
Sozialpsychiatrische Dienste 29
Gemeindecaritas 35
Ausländerberatung 12
Betreuungsarbeit 6
Essen auf Rädern/Mobile Dienste 11
Wohnprojekte 12
Schuldnerberatung 16
Kurzzeit-/Tagespflege 1
Jugendwohnheime 3
Arbeitsprojekte 8
Freiwilligenzentren 8
Asylbetreuung 13
Stationäre Jugendhilfe 4
Angehörigenarbeit 14
Alten-/Servicezentren 11
Projekte der Gemeindeorientierten Sozialen Arbeit 40
Aussiedlerbetreuung 7
Sonstige Dienste 7
Einrichtungen in Trägerschaft des DiCV
70
Verbreitungsgebiet des Diözesan-Caritasverbands
71
Region München Stadt/Land
1 CZ Au/Haidhausen/Giesing
2 CZ München Ost/Land
3 CZ Innenstadt
4 CZ Laim/Sendling
5 CZ München Nord
6 CZ München West und Würmtal
7 CZ Neuforstenried
8 CZ Neuhausen/Moosach
9 CZ Ramersdorf/Perlach/Ottobrunn
10 CZ Schleißheim/Garching
11 CZ Schwabing/Milbertshofen
12 CZ Taufkirchen
Region Süd
CZ Miesbach
CZ Garmisch-Partenkirchen
CZ Bad Tölz/Wolfratshausen
CZ Rosenheim
CZ Bad Aibling
CZ Wasserburg
CZ Prien
CZ Traunstein
CZ Berchtesgadener Land
CZ Mühldorf
Region Nord
CZ Dachau
CZ Ebersberg
CZ Erding
CZ Fürstenfeldbruck
CZ Freising
CZ Pfaffenhofen
Jahresbericht 2005/06Caritasverband der Erzdiözese Münchenund Freising e.V.Hirtenstraße 480335 MünchenTelefon: (089) 5 51 69-0
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Fotos: Bildarchiv der Caritas
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Juli 2006
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