INTELLIGENZ, EMOTION, MOTIVATION Wie Lernen gelingt · Motivation zum Lernen und Fleiß sind wie...
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INTELLIGENZ, EMOTION, MOTIVATION
Wie Lernen gelingt
G. Roth, 2010
GERHARD ROTH
INSTITUT FÜR HIRNFORSCHUNG
UNIVERSITÄT BREMEN
• Persönlichkeit, Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit
des Lehrenden
• Aufbereitung des Stoffes durch den Lehrenden
• Persönlichkeitseigenschaften des Lernenden:
Intelligenz, Motivation und Fleiß
• Aufmerksamkeit
• Vorwissen und Anschlussfähigkeit des Stoffes
• Wiederholung des Stoffes
Folgende Faktoren bestimmen wesentlich den
Lernerfolg:
Wissensvermittlung ist eine Sache des Vertrauens in den
Lehrenden:
Soll ich mich darauf verlassen, dass das, was der Lehren-
de erzählt, stimmt?
Nur derjenige Lehrer, der vertrauenswürdig und kompetent
wirkt, ist ein guter Lehrer.
LEHRERPERSÖNLICHKEIT
Persönlichkeitseigenschaften des
Lehrenden:
• Fachliche Kompetenz
• Selbstvertrauen
• Gerechtigkeit
• Glaubwürdigkeit
• Feinfühligkeit
• Blick und Länge des Blickkontakts
• Augenstellung und Mundwinkelstellung
• Gestik
• Schulter- und Körperhaltung
• Stimme, Sprachmelodie und Sprachführung
Die Vertrauenswürdigkeit eines Menschen hängt von
wenigen, automatisierten und mehrheitlich unbewusst
wirkenden Faktoren ab:
(R. Adolphs, TICS
3, Dezember 1999)
Gesichtererkennung und
Einschätzung der
Vertrauenswürdigkeit (i.W.
rechtshemisphärisch):
FG: Fusiformer Gyrus
STS: Superiorer
temporaler Gyrus
AM: Amygdala, links
explizit
INS: Insulärer Cortex
Aktivierung des Motivationssystems
durch Blickkontakt mit einem freundlichen Menschen
Aron et al., J. Neurophysiol., 2005
Der Lernerfolg des Schülers hängt ab von:
• Intelligenz,
• Motivation,
• Aufmerksamkeit und
• Fleiß des Schülers;
• Anschlussfähigkeit des Stoffes
• Darbietung des Stoffes
• Wiederholung des Stoffes
DEFINITIONEN VON INTELLIGENZ
Stern und Neubauer (2007): „Intelligenz ist die Fähigkeit,
sich in neuen Situationen aufgrund von Einsicht zurecht-
zufinden, Aufgaben mithilfe des Denkens zu lösen, wobei
nicht auf eine bereits vorliegende Lösungen zugrück-
gegriffen werden kann, sondern diese erst aus der
Erfassung von Beziehungen abgeleitet werden muss“.
Oder kürzer: Kreatives Problemlösen unter Zeitdruck
Heute wird im Anschluss an Cattell eine „generelle Intelli-
genz“ (g-Faktor, „fluide Intelligenz“) und eine bereichs-
spezifische Intelligenz (Expertenwissen, „kristalline
Intelligenz“) unterschieden.
VERTEILUNG DER INTELLIGENZLEISTUNG (IQ)
Normal intelligent: IQ 85-115
(68%)
Hochbegabt: IQ > 115 (14%)
„Höchstbegabt“: IQ > 135 (1%)
Nach heutigen Erkenntnissen, vor allem der Zwillingsforschung, ist
Intelligenz in hohem Maße (50-60%) angeboren. Die Intelligenz
eineiiger, kurz nach der Geburt getrennter Zwillinge korreliert mit
einem Korrelationskoeffizienten zwischen 0,6–0,8. Andere
Persönlichkeitsmerkmale und Begabungen sind weniger deutlich
genetisch bedingt.
Die Entwicklung der Intelligenz stabilisiert sich schnell und ist mit ca.
15 Jahren weitgehend abgeschlossen. Die Intelligenz einer Person
mit sechs und mit vierzig Jahren korreliert mit einem Korrelations-
koeffizienten von 0,6, was relativ hoch ist.
Man nimmt an, dass Umwelteinflüsse eine maximale Auswirkung im
Bereich von 20 IQ-Punkten haben.
INTELLIGENZ, GENE UND UMWELT
Bedeutet dies, dass die Umwelt einen nur geringe Rolle spielt?
Nicht unbedingt, da die Intelligenz von ca. 2 Dritteln der Bevölke-
rung im Bereich eines IQ von 85 und 115 eng beieinander liegt
und deshalb geringfügige Unterschiede einen großen Effekt
haben können:
Beispiel: Ein „angeborener“ IQ von 100 kann sich unter optimalen
Bedingungen zu einem IQ von 110 entwickeln (ca. Abiturienten-
durchschnitt) oder unter negativesten Bedingungen auf 90 zurück
fallen.
DER ZUSAMMENHANG ZWISCHEN INTELLIGENZ
UND LEISTUNG BZW. ERFOLG
Der Intelligenzgrad ist der beste Prädiktor für schulischen Erfolg
(gemessen an den Schulnoten). Schulnoten sind wiederum der
beste Prädiktor für den Studien- und Berufserfolg.
Allerdings liegt der Einfluss des Intelligenzgrades auf den schuli-
schen Erfolg ´“nur“ bei 36-50% und sinkt bei höheren Ausbil-
dungsstufen auf 20-30%, hat aber immer noch die relativ beste
Vorhersagekraft.
Mozart-Effekt (Rauscher et al., 1993): Steigerung der I. durch
10-minütiges Hören einer Klaviersonate von Mozart (KV 488).
Nicht reproduzierbar.
Pygmalion-Effekt (Rosenthal & Jacobson, 1966, 1968:
Steigerung der Leistung von Schülern über die Falsch-
information der Lehrer, die Schüler seien hochbegabt. Nicht
reproduzierbar.
Kaugummi-Effekt (Wilkinson et al., 2002; Allen et al., 2004):
Steigerung von I. und Leistung durch Kaugummi-Kauen. Nicht
reproduzierbar.
POPULÄRE FÖRDERMASSNAHMEN
SPEZIELLE TRAININGSPROGRAMME
Denk- und Intelligenztrainings haben einen mäßigen Effekt von
wenigen IQ-Punkten. Dieser Zugewinne verschwinden in der
Regel nach Beendigung des Programms
Vorschulprogramme für benachteiligte Kinder wie „Sesam-
straße“ haben nur dann einen messbaren Effekt im Bereich
von ca. 5 IQ-Punkten, wenn sie vielstündig (täglich 6 Stunden)
über mehrere Jahre andauern und in der Grundschule mindes-
tens 3 Jahre lang fortgesetzt werden.
Bei der kompensatorischen Erziehung scheint überdies der
psychosoziale Effekt weitaus größer zu sein als der kognitive.
AB WANN FÖRDERT MAN?
D. Rost: Im Säuglings- Kleinkind- und frühen Kindergartenalter
spielen sich bedeutsame qualitative Veränderungen und Um-
strukturierungen kognitiver und emotionaler Art ab.
Es ist deshalb kaum möglich, bei Säuglingen und Kleinkindern
aufgrund von Entwicklungstests brauchbare Aussagen über die
spätere intellektuelle Lernfähigkeit zu machen. Erst ab einem Alter
von etwa vier bis fünf Jahren kann für das Grundschulalter eine
befriedigende Prognose gestellt werden, und ab dem 3. Schuljahr ist
eine sehr gute Prognose für die weitere Entwicklung möglich.
Daraus folgt, dass eine systematische Frühförderung im Kleinkind-
alter aufgrund von Testergebnissen problematisch oder sogar
gefährlich ist. Experten raten deshalb zu einer flexiblen und indivi-
duellen Förderung aller Kinder.
LANGFRISTIG WIRKSAME MASSNAHMEN
BZW. FAKTOREN
Positive frühkindliche Bindungserfahrung und frühe senso-
rische, kognitive und kommunikative Erfahrungen.
Psychosozial und sensorisch vernachlässigte Kinder (z.B. russische
oder rumänische Waisenhauskinder) lagen in ihrem IQ um durch-
schnittlich 20 Punkte unter dem IQ normal aufgewachsener Kinder.
Diese Beeinträchtigung ist später nur schwer oder gar nicht kompen-
sierbar.
Langjähriger Schulbesuch verbunden mit vielseitiger kognitiver,
musischer und körperlicher Anregung und nachhaltigem Üben.
Jeder einzelne Schulmonat erbringt einen Intelligenzzuwachs von
ca. einem drittel IQ-Punkt, zumindest im mittleren IQ-Bereich.
MOTIVATION UND FLEISS
Neben Intelligenz sind Motivation und Fleiß die wichtigsten
Bedingungen für den Lernerfolg.
Motivation zum Lernen und Fleiß sind wie Intelligenz teils abhän-
gig von der Persönlichkeit (Gewissenhaftigkeit, Ausdauer,
Zielorientierung, Belohnungserwartung), teils sind sie umwelt-
abhängig, insbesondere von prägenden Faktoren in Kindheit und
früher Jugend wie einem lernbegünstigenden und intellektuell
offenem Familienklima, dem Vorbild der Eltern, Ermutigung und
frühen Lernerfolgen. Dies erklärt, warum Motivation und Fleiß
signifikant mit dem Bildungsgrad der Eltern korrelieren.
Die Einstellung zum Fleiß ist in Deutschland deutlich geschlechts-
spezifisch ausgeprägt: bei Mädchen wird Fleiß „toleriert“, bei
Jungen gilt er als „uncool“. Dies drückt signifikant die Schulleis-
tung der Jungen.
AUFMERKSAMKEIT
Aufmerksamkeit besteht in einer Hervorhebung bestimmter
neuronal-kognitiver Prozesse im Gehirn gegenüber einem
semantisch unerwünschten oder irrelevanten Hintergrund.
Aufmerksamkeit erhöht hierdurch sehr stark die neuronale
Informationsverarbeitung und die Verankerung im Lang-
zeitgedächtnis.
ORGANISATION DES GEDÄCHTNISSES
DEKLARATIVES
(EXPLIZITES)
GEDÄCHTNIS
EMOTIONALES
GEDÄCHTNIS
PROZEDURALES
(IMPLIZITES)
GEDÄCHTNIS
Positiv Negativ
Episodisches
G.
Vertrautheits-G.
Wissens-G.
G.-Module
Autobio-
grafisches G.Quellen G.
Fertigkeiten
Auswendig-
lernen
Gewohnheiten Klassische
Konditionierung
Priming
Lernen geschieht primär über das episodisch-kontextuelle
Gedächtnis, d.h. über Inhalte, die mit mir und meiner Umge-
bung zu tun haben. Abstraktes Wissen ist kontextlos und
deshalb schwer direkt zu vermitteln.
Abstraktes Wissen entsteht normalerweise über eine Filterung
episodischen Wissens durch zunehmenden Fortfall des
Kontextes.
Dies ist der Grund, warum es gut ist, Inhalte „lebensnah“ und
kontextreich darzubieten.
Lerninhalte werden umso besser im Langzeitgedächtnis
verankert, je anschlussfähiger sie an Vorwissen sind, und je
mehr sie mit unterschiedlichen Inhalten des Gedächtnisses
sie vernetzt werden.
Dies ermöglicht einen vielfachen Zugang und erleichtert den
Abruf.
Dies bedeutet, dass es gut ist, einen Lerninhalt in unter-
schiedlicher Weise und in unterschiedlichen Kontexten
darzustellen.
ZEITSTRUKTUR DES DEKLARATIVEN
GEDÄCHTNISSES
AUGENBLICKSGEDÄCHTNIS: Spanne 1-2 Sekunden. Kapazität
extrem begrenzt (ca. 2 Items), sehr störanfällig. Nicht wesentlich
verbesserbar.
KURZZEITGEDÄCHTNIS/ARBEITSGEDÄCHTNIS: Spanne von 2 –
30 Sekunden. Kapazität sehr begrenzt (ca. 7 Items). Störanfällig.
Verbesserbar durch Wiederholung und einfache Assoziationen.
INTERMEDIÄRES GEDÄCHTNIS: Spanne von 30 Sekunden bis 30
Minuten. Kapazität begrenzt. Kann durch Mnemotechniken verbessert
werden.
LANGZEITGEDÄCHTNIS: Spanne von 30 Minuten bis Jahrzehnte.
Kapazität unbegrenzt. Kann durch Mnemotechniken wesentlich
verbessert werden.
Kurzzeitgedächtnis beruht auf physiologischen Verän-derung
der synaptischen Übertragungseigenschaften („frühe LTP“). Das
Kurzzeitgedächtnis ist deshalb generell instabil.
Langzeitgedächtnis beruht auf strukturellen Verände-rungen
der synaptischen Übertragungseigenschaften, d.h. der Bildung
neuer und der Veränderung oder dem Abbau vorhandener
Synapsen („späte LTP“). Es ist deshalb relativ stabil.
Beide Gedächtnisse können unabhängig voneinander ausfallen.
Den Übergang zwischen ihnen nennt man Konsolidierung.
Diese Konsolidierung ist zu Beginn sehr störungsanfällig
Der „Flaschenhals“ der Gedächtnisbildung ist das Arbeits-
gedächtnis / Kurzzeitgedächtnis. Es ist in seinen Ressour-
cen und seiner Geschwindigkeit hochgradig beschränkt und
anfällig für Störungen.
Allgemeine Intelligenz korreliert am besten mit der Effek-
tivität des Arbeitsgedächtnisses. Untersuchungen zeigen,
dass intelligente Menschen ein effektiver arbeitendes
Arbeitsgedächtnis haben als weniger intelligente.
Das Arbeitsgedächtnis selbst lässt sich nicht verbessern,
jedoch sind intelligente Personen besser in der Lage, mit
den typischen Beschränkungen des Arbeitsgedächtnisses
besser umzugehen (intuitive oder erlernte Tricks, Denk- und
Merkhilfen sowie Routinisierung.)
Kurze Einführung in den Inhalt und Überprüfen des Vorwissens.
Unterteilung des Stoffes in kurze, inhaltlich zusammenhängen-
de Abschnitte von maximal 5 Minuten. Dann eine „Denkpause“,
in der kurz geklärt wird, ob alles verstanden wurde. Dann erst
weiter.
Zum Schluss Zusammenfassung des Vorgetragenen bzw.
gemeinsam Erarbeiteten
Wiederholung in kürzeren und längeren Abständen ist wichtig,
z.B. nach 6 Stunden, 24 Stunden, 2 Wochen und 6 Wochen.
Nichts wird mit einem Mal gelernt.
„HIRNGERECHTE“ DARBIETUNG DES STOFFES
MASSNAHMEN ZUR VERBESSERUNG DES
SCHULISCHEN ZUR LERNERFOLGES
• Eingangstests zur Überprüfung der Persönlichkeit und kogni-
tiven Leistungsfähigkeit des Schülers.
• Bildung von Lehrerteams, die nicht nur organisatorische Pro-
bleme, sondern auch Fragen der Unterrichtsinhalte, insbeson-
dere in Hinblick auf einen fächerübergreifenden Unterricht,
sowie die Leistungen der Schüler miteinander bereden
• Stundenblöcke von 1,5-2 Zeitstunden oder gar länger, die sich
in 30 Minuten Frontalunterricht, gefolgt von Gruppenarbeit
bzw. Einzelarbeit und einer Zusammenfassung gliedern.
• Ganztagsschule, in der nachmittags das vormittags Gelernte in
anderer, meist praktischer Form wiederholt wird, kombiniert
mit Sport und Spiel.
• Externe Evaluation aller Reformmaßnahmen.