Integration durch Sport – Ein quartiersbezogener Ansatz
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Integration durch Sport – Ein quartiersbezogener Ansatz
Petra Gieß-Stuber, Berndt Tausch und Juliane Baumgartner
Das Aufwachsen in einer kulturell he-
terogenen Gesellschaft gehort zu den
sozialen Herausforderungen, zu deren
Losung dem Sport ein zentraler Bei-
trag zugeschrieben wird. Im Freizeit-
und Breitensport werden humanitare
und wohlfahrtsorientierte sozialpoliti-
sche Ziele verfolgt, die eine gesamt-
gesellschaftliche Integration durch die
Teilhabe am Sport anstreben. Gleich-
berechtigte Partizipation von Migran-
ten ist jedoch nicht selbstverstandlich.
Der Kinder- und Jugendgesundheits-
survey (KiGGS) zum Gesundheitssta-
tus von Kindern und Jugendlichen in
Deutschland zeigt, dass Kinder und
Jugendliche mit Migrationshinter-
grund geringere motorische Fahigkei-
ten haben, seltener korperlich aktiv
und seltener Mitglied in einem Sport-
verein sindwie Gleichaltrige ohneMi-
grationshintergrund (Starker et al.,
2007). Besonders eklatant ist die ge-
ringe Partizipation von Madchen und
Frauen mit Migrationshintergrund.
Auch soziale Schicht und Bildungs-
gang stellen Selektionsmechanismen
dar (Brinkhoff und Sack, 1999; Hart-
mann-Tews und Luetkens, 2003). Zu-
gleich neigen Kinder und Jugendliche
aus sozial schwacheren Milieus und
aus zugewanderten Familien vermehrt
zu Adipositas und zu einem nicht
gesundheitsorientierten Lebensstil
(Brandl-Bredenbeck et al., 2009).
Diese Ergebnisse unterstreichen die
Bedeutung stadtteilbezogener Inter-
ventionen fur die Kinder und Jugend-
lichen, die vom organisierten Sport
kaum erreicht werden. So verweisen
Gieß-Stuber und Grimminger (2012)
in ihrem Ubersichtsartikel zu Sport
und Integration darauf, dass Sportver-
eine aufgrund der Logik ihrer Entste-
hung und ihrer Struktur- und Funk-
tionsprinzipien den Anspruchen an
zielgruppengerechte Umsetzung nur
begrenzt gerecht werden konnen. So-
ziale Integration ist ein komplexes Ge-
schehen, das interkulturelle Kompe-
tenz, aufsuchende padagogische Ar-
beit und strukturelle €Offnung im
Sinne von Diversity Management vo-
raussetzt (Stuber, 2009).
Im Rahmen der kommunalen Sport-
entwicklungsplanung wurden Hand-
lungsempfehlungen erstellt, um ,,In-
tegration durch Sport‘‘ in einem nach-
haltigen Netzwerk mit Schulen,
Vereinen und anderen Partnern umzu-
setzen (Gieß-Stuber et al., 2004). Mit
demMadchenfußballprojekt ,,kick for
girls‘‘ im Freiburger Raum werden
diese Handlungsempfehlungen spezi-
fisch fur Schulerinnen aufgegriffen
und umgesetzt (www.kick-for-girls-
de).
Ein Hauptanliegen des Projekts ist es,
sportpadagogisch reflektierte Sportan-
gebote fur Madchen bereitzustellen,
die aufgrund sozialer, kultureller
oder anderer Benachteiligungen
kaumZugang bekommen zu der sozial
und gesundheitlich wichtigen Res-
source Sporttreiben. Einen zentralen
Baustein bilden Madchenfußball-
AGs, die gezielt an Hauptschulen ini-
tiiert werden, die sich in Stadtteilen
mit einem hohen Anteil an Kindern
und Jugendlichen mit Migrationshin-
tergrund befinden (Stadt Freiburg,
2012) und wo die Ubergangsquoten
zum Gymnasium niedrig sind. Schu-
le-Vereins-Kooperationen beziehen
sich bisher fast ausschließlich auf
Gymnasien und richten sich primar
an bereits sportlich sozialisierte Kin-
der und Jugendliche. Fur die Arbeit
mit kulturell heterogenen Trainings-
gruppen und sportunerfahrenen Mad-
chen fehlen Sportvereinen interkultu-
relle Kompetenzen und personelle
Ressourcen. ,,Kick for girls‘‘ uber-
nimmt diese Aufgabe, fur die bundes-
weit bisher keine uberzeugende struk-
turelle Losung gefunden wurde – trotz
der intensiv gefuhrtenDiskussion uber
Sport in der Ganztagesschule.
Das Kooperationsprojekt zwischen
dem Arbeitsbereich Sportpadagogik
der Universitat Freiburg und der step
stiftung startete 2009 mit einer ersten
Madchenfußball-AG. Das kommuna-
le Netzwerk umfasst inzwischen
Schulen, Vereine, Verbande, Migran-
tenorganisationen, Sozialarbeit, Ju-
gendzentren und den Lokalen Stif-
tungsverbund aus acht Stiftungen.
Mehr als 80 Schulerinnen in sieben
Freiburger Projektschulen, die aus
der Turkei, Rumanien, Mazedonien,
Albanien, Serbien, Irak, Russland,
Griechenland, Italien, aus christli-
chen, nicht-religiosen oder muslimi-
schen Elternhausern kommen, neh-
men an den wochentlichen Angeboten
teil. An den Hauptschul-AGs haben
fast 80% einen Migrationshinter-
grund. Die Fußballpraxis in den Ar-
beitsgemeinschaften wird flankiert
durch erlebnispadagogische Aktivita-
ten. Stadionbesuche, Schulturniere
und Ausfluge werden organisiert, um
die Mobilitat der Schulerinnen zu un-
terstutzen und bildungsgangubergrei-
fend Kontakte zu fordern. Um neue
Wege zwischen Sportvereinen und
den jungen Migrantinnen zu suchen,
werden interessierte Schulerinnen ge-
zielt motiviert und Vereine fur inter-
kulturelle €Offnung sensibilisiert, fach-lich beraten und Schnuppertrainings-
einheiten durchgefuhrt.
In der Projektarbeit wird darauf ge-
achtet, dass kulturelle und religiose
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Biographien nicht hervorgehoben und
damit stigmatisiert werden, sondern
dass den Madchen Kontakte jenseits
kultureller und stadtteilbezogener
Grenzen ermoglicht werden. Partizi-
pation, Inklusion und Mobilitat sind
die konzeptionellen Leitziele. Eine
zentrale Bedingung fur erfolgreiche
Integration liegt in der didaktischen
Gestaltung der Sportangebote und
der aktiven Beziehungsarbeit der Trai-
nerinnen (Baumgartner et al., 2012;
Baumgartner und Gieß-Stuber, 2012;
Sobiech und Gieß-Stuber, 2012). Erst
in einer vertrauensvollen Atmosphare
konnen eher sportabstinente Madchen
begeistert werden. Sie erfahren Aner-
kennung und Zugehorigkeit und erle-
ben Erfolge. Hier sind besondere pa-
dagogische und didaktische Fahigkei-
ten der AG-Leiterinnen erforderlich,
die sowohl im Projektteam (Supervi-
sion) als auch in Fortbildungsveran-
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staltungen furMultiplikatoren (Studie-
rende, Sportlehrlehrkrafte, Ubungslei-
ter und Padagogen) evaluiert,
thematisiert und weiterentwickelt
werden.
Die Verknupfung von Praxis mit
Theorie sowie Aus- und Fortbildung
ist ein zentrales konzeptionelles Ele-
ment der Projektstruktur. Viele
Sportstudierende, und damit kunfti-
ge Lehrkrafte, arbeiten in dem Pro-
jekt und schaffen auf diese Weise
verlassliche und nachhaltige Struktu-
ren. Mit der Evaluation solcher we-
nig formalisierten, auf Innovation
und Erprobung angelegten padagogi-
schen Settings wird Neuland betre-
ten. Bei allen erkenntnistheoreti-
schen, methodischen und feldbe-
dingten Grenzen wird versucht,
sich der Frage der Wirkungen sport-
padagogischer Arbeit uber unter-
schiedliche vornehmlich qualitative
Methoden anzunahern. Der formati-
ve Evaluationsprozess befruchtet
die Projektentwicklung, die sportdi-
daktische Kompetenzentwicklung
der Projektmitarbeiterinnen und die
theoretische Auseinandersetzung mit
dem Anliegen ,,Integration durch
Sport‘‘.
Die korrespondierende Autorin erklart, dasskein Interessenkonflikt vorliegt.
Literatur siehe Literatur zum Schwerpunkt-thema.http://journals.elsevier.de/pubhef/literatur
http://dx.doi.org/10.1016/j.phf.2013.03.005
Prof. Dr. Petra Gieß-StuberUniversitat FreiburgInstitut fur Sport und SportwissenschaftArbeitsbereich SportpadagogikSchwarzwaldstr. 17579117 Freiburg i. [email protected],[email protected]
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Einleitung
Im Freizeit- und Breitensport werden humanitare und wohlfahrtsorientierte sozialpolitische Ziele verfolgt, die eine
gesamtgesellschaftliche Integration durch die Teilhabe am Sport anstreben. Gleichberechtigte Partizipation vonMigranten
ist jedoch nicht selbstverstandlich. Soziale Integration ist ein komplexes Geschehen, das interkulturelle Kompetenz,
aufsuchende padagogische Arbeit und strukturelle €Offnung voraussetzt. Die Bedeutung stadtteilbezogener Intervention
und gezielter padagogischer Maßnahmen sowie deren Umsetzung werden anhand des Freiburger Madchenfußballprojekts
,,kick for girls‘‘ aufgezeigt.
Summary
Sport is considered as a powerful tool for health, well-being and integration in the german society. However, there are
interpersonal and structural barriers to the successful integration of people from migration backgrounds. Sport does not
itself encourage constructive interaction with strangeness. Thus, organized sport providers need to promote intercultural
and interpersonal skills among their trainer and staff. Furthermore, sport clubs should implement diversity management in
order to facilitate openness and participation. It is shown that a community based approach like ‘‘kick-for- girls – a local
girls football program -, which fosters trusting relationships and intercultural teaching skills can have sustainable benefits
for young people in terms of their intercultural living together.
Schlusselworter:
Integration durch Sport = Integration through sport, Soziales Lernen und Madchenfußball = social learning and girls
football, interkulturelle Kompetenz = intercultural competence, Stadtteilbezug = community-based approach, Netzwerk =
network
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