Inhalt - pax christi Regensburg · 2019. 10. 30. · vaart in Flandern, zu Sonnenwendfeiern mit der...

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Titelbild: Brück, Jürgen F. AKZEPTIEREN Aus dem Zyklus: Blicke ins Jahr 2000 Aus: 73. Jahresschau 1999 des Kunst und Gewer- bevereins Regensburg e.V. IMPRESSUM: Herausgeber: Pax Christi Bistumsstelle Regensburg Internet: http://www.paxchristi-regensburg.de Sprecherin: Elisabeth Reinwald 93164 Laaber, Föhrenweg 3c Tel.: 09498/8954 Redaktion dieser Ausgabe: Dr. Evelinde Hutzler, Max Hutzler, Paul Reinwald, Otto Josef Zündorf (v.i.S.d.P.), Postanschrift: 93047 Regensburg Landshuterstr. 13 a, Tel.: 0941/563598 Inhalt „Odin unser Gott, Odin unser Führer“ ______ 3 „Wolf im Schafspelz“, Zweigesichtige Teutonia _________________ 5 Warum ich bei pax christi bin? ____________ 5 Aktuelles aus dem Bistum _______________ 6 „Fremde und Nächste“ Eine andere Predigt aus dem Alltag ________ 7 „Fremde und Nächste“ Gottesdienst in St. Jakob _________________ 8 Extrateil: Preisverleihung an Otto Schwerdt _________ 9 Begrüßungsrede _______________________ 10 Laudatio _____________________________ 13 Dankesrede __________________________ 16 Ehemalige Zwangsarbeiter in Tschechien ___ 18 Geschichte bekommt ein Gesicht Besuch in Weißrußland (Teil 2) ___________ 19 Embryonale Stammzellenforschung _______ 16 Für statt gegen – eine Wende in der Asylpolitik _____________________ 25 Palästina: Umkehr ist geboten ____________ 27 Rechtshilfefonds für Flüchtlinge: Bilanz ______________________________ 28 „Das letzte Mittel“ ____________________ 29

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  • Titelbild:

    Brück, Jürgen F.AKZEPTIERENAus dem Zyklus: Blicke ins Jahr 2000Aus: 73. Jahresschau 1999 des Kunst und Gewer-bevereins Regensburg e.V.

    IMPRESSUM:Herausgeber:Pax Christi Bistumsstelle RegensburgInternet: http://www.paxchristi-regensburg.deSprecherin: Elisabeth Reinwald93164 Laaber, Föhrenweg 3cTel.: 09498/8954Redaktion dieser Ausgabe:Dr. Evelinde Hutzler, Max Hutzler,Paul Reinwald,Otto Josef Zündorf (v.i.S.d.P.),Postanschrift: 93047 RegensburgLandshuterstr. 13 a, Tel.: 0941/563598

    Inhalt

    „Odin unser Gott, Odin unser Führer“ ______ 3

    „Wolf im Schafspelz“,Zweigesichtige Teutonia _________________ 5

    Warum ich bei pax christi bin? ____________ 5

    Aktuelles aus dem Bistum _______________ 6

    „Fremde und Nächste“Eine andere Predigt aus dem Alltag ________ 7

    „Fremde und Nächste“Gottesdienst in St. Jakob _________________ 8

    Extrateil:Preisverleihung an Otto Schwerdt _________ 9

    Begrüßungsrede _______________________ 10

    Laudatio _____________________________ 13

    Dankesrede __________________________ 16

    Ehemalige Zwangsarbeiter in Tschechien ___ 18

    Geschichte bekommt ein GesichtBesuch in Weißrußland (Teil 2) ___________ 19

    Embryonale Stammzellenforschung _______ 16

    Für statt gegen – eine Wendein der Asylpolitik _____________________ 25

    Palästina: Umkehr ist geboten ____________ 27

    Rechtshilfefonds für Flüchtlinge:Bilanz ______________________________ 28

    „Das letzte Mittel“ ____________________ 29

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    „Odin unser Gott,Odin unser Führer“Pseudoreligion und nordisches Herrenmenschen-tum

    Unerwartet heftig drangen in den vergangenenJahren pseudoreligiöse Elemente in den alltags-kulturellen Bereich rechtsorientie rter/rechtsextre-mistischer Jugendlicher und junger Erwachsenerein. Einerseits von juvenilen Jägern und Sammlernselbständig aus dem Müllhaufen nationalsozialisti-scher Geschichte gegraben, andererseits von Ideo-logen und profitorientierten Händlern gleicherGesinnung geschickt platziert und gesteuert. Par-allel erfolgte die Aufnahme engagierter Christen inden Feindkodex, unmittelbar zusammenhängendmit deren öffentlichen Positionierung in der Phaseder Sozialen Bewegung gegen Ausländer (1991-94), die in den Pogromen von Hoyerswerda, Hün-xe, Mölln, Solingen und Rostock-Lichtenhagenkulminierte. Die Effizienz von Lichterketten undKirchenasyl mag unterschiedlich bewertet werden;dort, wohin diese Signale deuteten, wurde die Bot-schaft wohl verstanden. Es folgten die Verächt-lichmachung von Christen durch Bezeichnungenwie Muku-Freaks (Muku = multikulturell) oderMuku-Kaffern, Schmierereien an und in Kirchen,Telefonterror und wütende Internet-Attacken,Flugblattaktionen, Drohbriefe, Anmeldungen vonDemonstrationen vor Gemeindehäusern, Angriffeauf kirchliche Veranstaltungen (Eine-Welt-Feste)und Gewalttaten gegenüber Mitgliedern von jun-gen Gemeinden. Bösartige und obszöne Texteerschienen auf den Tonträgern. „Wotans Krieger“singen: ...die Nonnen sind am besten im Bett,/ einAnti-Christ, was ist der nett.“ Spreegeschwaderbeten ihren Konsumenten ein spezielles Vaterunservor:

    „Vater unser, der Du bist im Himmel,/deinefeuchten Gemäuer stinken nach Schimmel.Euer Glaube so alt, doch bestimmt nicht wei-se,/Geht endlich in Rente, Ihr Greise...Von mir aus könnt ihr tausend sauere Äpfel pflük-ken,/denn der Adam wollte die Eva sowieso nurficken.“

    Dem „Pfaffen“ wird entgegen gebellt:

    „Oh du kleines Arschgesicht,/Meine Seele kriegstdu nicht...Oh du selten dummes Schwein,/Ich scheiß dir aufden Heiligenschein.“

    Das Christentum, die „asiatisch-jüdische Jahweh-Religion“, wird im Wortsinne verteufelt: Es erzögeden Menschen zur Demut, statt ihn für den Le-benskampf zu stärken, erkenne das Blut- und Sip-penrecht nicht an, sei Schuld an der Prostitution(„Keine germanische Frau zur Zeit des Tacitushätte sich einem Römer für Geld hingegeben!“), ander Umweltzerstörung (die „Verchristung“ habedie Naturreligionen eliminiert), an der Herabset-zung und Reduzierung der Rolle der Frau (Hexen-verfolgung, Marienverehrung). Dem gegenüberwird eine „arteigene“, nordische Religion konstru-iert, ein buntes Konglomerat aus germanisch-altnordisch-keltischen Glaubenssequenzen, Welt-erklärungsansätzen, Symbolen, Mythen und Sagenvon Göttern und Heroen. Der gemeinsame Glaubean „die Höherwertigkeit der nordischen Rasse“ undder Wille zum ultimativen Kampf für Blut undBoden eint die hochbetagten bekennenden Heiden,die seit Jahrzehnten in dubiosen Stammesverbän-den und Orden ihre Rituale zelebrieren, und dieneugermanischen Kampfstiefelträger, welche mit„Odin statt Jesus“-Shirts und dem Schriftzug„Walhalla“ auf der getönten Autoheckscheibe aufder selben Wellenlänge senden. Gemeinsame Ver-anstaltungen finden kaum noch statt; der Generati-onswechsel innerhalb der Szene im Osten und derzunehmende Altersunterschied fordern ihren Tri-but. Vor zehn Jahren traf man sich noch zur Ru-nen- oder Rassekundeschulung, bei der Ijzerbede-vaart in Flandern, zu Sonnenwendfeiern mit derbelgischen Vlaamse Nationale Jeugd oder an denExternsteinen. Die Vorstellungen von heidenge-mäßer Fest- und Feiergestaltung gehen weit aus-einander. Sonnenwendfeiern werden zwar alljähr-lich im Juni und Dezember von rechtsextremisti-schen Cliquen und Kameradschaften durchgeführt,aber es sind politische Veranstaltungen, auf diebrauchtümliche Partikel gepfropft werden. In ent-sprechenden Polizeiprotokollen liest es sich dannso: ... verbotene Kennzeichen und Symbole ge-zeigt, verbotene Lieder gesungen oder abgespielt,volksverhetzende und NS-Parolen gegrölt.

    Den Transport von Kenntnissen aus dem Bereichder germanischen Götter und Helden sowie kelti-scher Zeichen und Symbole übernehmen Jugendli-che selbst. Dabei spielt Musik eine dominierendeRolle. Bei der Auswahl der Namen von Bands undLiedermachern steht der Fundus „Germanenglau-be“ nach „Reich/Militär“ an zweiter Stelle: WotansKrieger, Walküren, Walhall, Munin, Yggdrasil,Sleipnir, Odins Erben, Lokis Horden, Mjöllnir,Legion of Thor, Asgard. Ebenso verhält es sich mitden Texten; Odin, Thor, Nordland und Walhalla

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    sind Chiffren, die für Blut, Boden, Opferbereit-schaft und eine „natürliche Hierarchie“ stehen. DieGruppe „Idee Z“ fordert: „Die alte Religion mussin euer Herz,/seid Odins starke Legion.“, mit ritu-eller Inbrunst werden die „Stimmen unserer Ah-nen“ beschworen. Musiker und Zuhörer verstehensich als reinkarnierte „nordische Krieger“, „SöhneWotans“, „Asgards Helden“ und „Weiße Ritter“.Stets den Heldentod für Rasse, Volk und Vaterlandvor Augen: „Wir stürmen und sterben und lachendabei“. Statt „Sieg oder Tod“ heißt es „Victory orValhalla“. Dort erwartet „Allvater“ Odin die ge-fallenen Recken mit Met und Maiden, denn derLiedermacher Veit Kaltenborn aus Thüringenweiß: „Wer Walhalla betritt, das ist gewiss,/schonfast ein Sohn von Odin ist.“Bei Odin landen jedoch nur die Krieger für Volkund Vaterland, die auch nach dem Tod ihrer Kraftund Genussfähigkeit nicht verlustig gehen. Die„minderwertigen“ Alten, Kranken, Behinderten,Schwachen scharen sich dagegen um die Todes-göttin Hel.

    Den politischen Kontext spiegelt die Bilderweltwider. Sie lebt von schlichten Dualismen:hell(häutig) = gut – dunkel(häutig) = böse. Dasdeutsche Volk erscheint als blonde, hellhäutige,kämpfende oder kampfbereite Frau, oft mit denAttributen einer Walküre versehen. Sie wehrt sichgegen das Dunkle, Fremde, das sie zu umschlingendroht. Die dazugehörigen Titel wie „Kulturzerstö-rung ist Völkermord“, „Hände weg vom deutschenVolk!“ betonen den vermeintlich herrschenden„Kampf der Kulturen“. Die Darstellungen ähnelnhäufig den Umschlägen von Fantasy-Romanen. Eswird gern zu den Arbeiten von bekannten Künst-lern aus dem Genre der Heroic fantasy art gegrif-fen; beliebtester Vertreter ist der Spanier LuisRoyo, der in die Titel rechter Politmagazine undCDs eingefügt wird.

    Zum alltagskulturellen Kontext gehören Schmuck-stücke wie Thorshämmer und Triskelkreuze, dieaußerdem als Ersatzkennzeichen für das Haken-kreuz verwendet werden, ebenso wie Gürte l-schnallen mit Götterdarstellungen, Poster, Buttons,Aufnäher und Anstecker mit Runen und Codes.Der Zahlencode „14“, auch als „Odins Gesetz“bezeichnet, steht für eine Losung des amerikani-schen Rechtsextremisten David Lane: Wir müssenden Fortbestand unserer Rasse bewahren und auchdie Zukunft arischer Kinder sicherstellen.“ Ju-gendliche vermitteln einander in Szenepublikatio-nen („Fanzines“) die Bedeutung der „arischen Far-ben“ Blau und Gold, Felix Dahn, der Stammvater

    des pathetischen Historienromans und Autor dick-leibiger Werke zur nordischen Mythologie, istauferstanden. Tattoos lassen Körper sprechen:Wikinger, Drachenboote, Götter und Walküren,Namenszüge, Runen, großformatige Schlachten-darstellungen oder ein Rücken in einen giganti-schen Thorshammer verwandelt, die Wirbelsäulebildet den Stiel, die Schulterblätter den Hammer-kopf. Runenorakel und Runenyoga bedienen esote-rische Wünsche. Vorschulkinder können mit„Jung-Wikingers Knobel-, Mal- und Bastelbuch“beglückt werden, für die Älteren gibt es Germa-nencomics. Websites im Internet bieten die Mög-lichkeit, sich Runenlehre, Fraktur- und Runen-Schrifttypen, Symbole und Ornamente (keltischeKnoten und Schlingen) Bilddarstellungen vonGöttern und Helden herunterzuladen. Kürzlich ist„Das Buch der deutschen Sinnzeichen“ von Walt-her Blachetta als Reprint der Ausgabe von 1941erschienen. Im Vorwort heißt es bezeichnend: „Eskann keiner behaupten, dass der deutsche Volks-genosse von heute ein anderer sei als sein Großva-ter, sein Urahn. Die Zeitgeschehnisse verschiebennicht die innere Struktur der Rasse und des Blutes.Sie decken nur höchstens gewisse Teile der Gei-steshaltung zu, verdunkeln sie und verwirren dieSicherheit des Urteils. Selbst in der Zeit der größ-ten Vergewaltigung durch das Christentum, imMittelalter, leuchtete die germanisch-deutscheSeele doch durch den Wust des Aberglaubens, derHeiligenmätzchen, der Gnaden- und Bußtränen.“(Schütz-Verlag Coburg, o.J., S. 7) Jugendliche undjunge Erwachsene jonglieren mit Schlagwortenund vermeintlich nordischen Werten wie Rassen-und Volksgemeinschaft, Ahnensinn und Ahnener-be, Sippengesinnung, Heimat- und Volkstreue,Artgefühl. Ein Rechtsrocker gab seinen Kinder dieNamen „Sven-Odin“ und „Saskia-Ostara“.Odin/Wotan und Thor/Donar haben wieder unterdeutschen Dächern eine missbräuchliche Heimstattgefunden. Passende Segmente germanischer undkeltischer Kulturgeschichte und Lebensweise wer-den – wie in der völkischen und nationalsozialisti-schen Bewegung - willkürlich aus ihrem histor i-schen Zusammenhang herausgelöst und selektiv inein rechtsextremistisches Weltbild eingefügt. DieIkonografie der Gewalt und die Idolatrie der Götterund Heroen ist ein deutliches Menetekel: Offenbarist diese Gesellschaft nicht mehr in der Lage, jun-gen Menschen Leitbilder und Visionen zu vermit-teln. Sie suchen sie in der Vergangenheit. So istder Essay „Wotan“ von C.G. Jung aus dem Jahr1936 heute wieder „brand“aktuell, beschreibt dieEntwicklung des vergangenen Dezenniums miterschreckender Genauigkeit: „Dass in einem ei-

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    gentlichen Kulturlande, das schon geraume Zeitjenseits des Mittelalters gewähnt wurde, ein alterSturm- und Rauschgott, nämlich der längst imhistorischen Ruhestand befindliche Wotan wieder,wie ein erstorbener Vulkan, zu neuer Tätigkeiterwachen könnte, das ist mehr als kurios; es istgeradezu pikant. Er ist, wie man weiß, in der Ju-gendbewegung lebendig geworden und wurdegleich zu Beginn seiner Wiedererstehung mit ein i-gen blutigen Schafopfern gefeiert.“ (Zivilisation imÜbergang, Walter-Verlag, Solothurn und Düssel-dorf, Sonderausgabe, 1. Auflage 1995, S. 204)

    Margitta-Sybille Fahr

    Zur Autorin:Margita-Sybille Fahr ist Diplom-Ethnologin undHistorikerin und wohnt in Berlin. Die Freiberufle-rin hat ihren Forschungsschwerpunkt seit 1987 imBereich von Rechtsradikalisms und Jugendkultur.Im Juni hielt sie einen vielbeachteten Vortrag zudiesem Thema beim Katholischen Bildungswerk.

    „Wolf im Schafspelz“Die zwei Gesichter der Regensburger Burschen-schaft „Teutonia“

    Seit zwei Jahren bereits macht die Burschenschaft„Teutonia“ an der Universität Regensburg mitFlugblättern rechtsextremen Inhalts von sich reden.Beispiel: „Deutschland droht durch massenhafteZuwanderung der Untergang“, so heißt es. Außer-dem zieht sie in ihren Versammlungen immermehr Vertreter aus NPD- und Skinhead-Kreisenan. Jüngstes Beispiel: Der Aufmarsch von Mitglie-dern der „Teutonia“ bei einer Ausstellung gegenRechtsextremismus im Studentenhaus der Univer-sität. Die Teutonen waren „rein zufällig“, wie siesagen, mit einem DVU-Anhänger in das Studen-tenhaus eingefallen. Dieser hat sich dann lautstarküber die ausländische Mafia“ ausgelassen. Undwas taten die Burschenschaftler. Sie sollen sich„köstlich amüsiert“ haben, so die übereinstimmen-den Angaben von Augenzeugen. Das war dennauch der Hochschulleitung zuviel. Rektor HelmutAltner sprach ein offizielles Verbot aus. Das heißt.In Zukunft darf die Teutonia ihre Flugblätter an derUniversität nicht mehr verteilen. Begründung: DieBurschenschaft stört den Universitäts-Frieden.Ganz anders dagegen Teutonia-Sprecher SvenBeckendorf. Der 26 jährige Jura-Student ausSchwandorf spielt die Karte des Unschuldslammes.„Alles Unterstellungen und Verleumdungen“, so

    verteidigt er – rhetorisch sehr geschickt- den Vor-wurf, die Burschenschaft sei von Rechtsextremenunterwandert. Skinheads kämen nicht ins Vereins-Haus in der Regensburger Landshuterstraße, versi-chert er. Die hätten schließlich kein intellektuellesNiveau und seien außerdem Saufbrüder Und aufdie Frage, ob es in der Teutonia derzeit noch Mit-glieder der NPD, der DVU oder der Republikanergebe, beteuert Beckendorf: „Im Moment nicht.“Dass die Flugblätter provokant formuliert seien, seibeabsichtigt. „Weil man nur so die Studenten ausihrer Passivität reißen und sie zu politischem En-gagement bewegen kann“, meint Beckendorf. Imübrigen werde man gegen das Flugblatt-Verbot derUni-Leitung gerichtlich vorgehen, das sei ein kla-rer Verstoß gegen das Recht auf freie Meinungs-äußerung. Die Justiz wurde auch aktiv, allerdingsanders als es sich die Teutonia gedacht hatte. Nurwenige Tage nach den Unschuldsbeteuerungen desBurschenschaftssprechers meldete sich nämlich dieMünchner Staatsanwaltschaft zu Wort. Es besteheein dringender Verdacht, dass ein Helfershelfer derTeutonia den mutmaßlichen Haupttäter eines bru-talen Skinhead-Überfalls auf einen 31jährien Grie-chen bei der Münchner Burschenschaft Danubiaversteckt habe, so der Münchner OberstaatsanwaltManfred Wick. Und wieder wiegelt der eloquenteTeutonia-Sprecher ab: Man könne dazu nichtssagen, der Stand der Ermittlungen sei noch zu vageusw., usw. Im übrigen verweist der Teutonia-Mannauf den Ehrenkodex seiner Burschenschaft, dersolches Verhalten eindeutig ausschließe.

    Wie heißt es doch so schön auf der Homepage derTeutonia: „Hauptaufgabe unserer Teutonia war esseit jeher, das Deutschtum inmitten eines leiden-schaftlich slawischen Umlandes zu stützen“. Und:„Wir haben die Bestimmung,...das Deutschtumjenseits der Grenzen zu fördern...“

    Übrigens: Auf die Frage, welcher Partei sich derTeutonia-Sprecher besonders verbunden fühlt,bekannte der 26jährige ganz offen: „Ich bin Mit-glied der Jungen Union...“

    Siegfried Höhne

    Warum ich bei pax christi bin?

    Gehört hatte ich von Pax Christi schon währendder Schul- und Studienzeit. Verbunden habe ichmit dem Begriff eine kreative und konstruktiv-progressiv eingestellte katholische Frie-

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    densbewegung, so etwas wie„Linkskatholizismus“ à laPublik Forum, dessen Artikelich häufig und meist mitgroßer Zustimmung gelesenhabe. Bei der aktivenTeilnahme an verschiedenenArbeitsgruppen während derSchulzeit in der Pfarrge-

    meinde und später dann im Studium sowohl in derESG, als auch der KSG in Lübeck und Göttingen,fanden sich immer genügend „Gleichgesinnte“, mitdenen ich diskutieren und mich in bestimmtenThemenbereichen auch öffentlich engagierenkonnte (Eine Welt, Entschuldungsdebatte, Antise-mitismus, Ausländerfeindlichkeit, Golfkrieg). EinBeitritt bei Pax Christi erschien mir für die Umset-zung meiner Interessen in dieser Zeit nicht not-wendig.

    Während meiner Facharztausbildung in Bremenfanden infolge der stark beschnittenen Freizeitengagierte Diskussionen dann eher am privatenWohnzimmertisch mit Freunden statt und nur sel-ten über eine sehr liberale Pfarrgemeinde vor Ortauch mit Öffentlichkeitswirkung. Nun, mit demWechsel meines Tätigkeitsfelds und dem Umzugvom Norden in den Süden der Republik, habe ichdas Gefühl, dass ich mich ohne die bisherige Kli-niktätigkeit mal wieder vermehrt sozial und poli-tisch „einmischen“ möchte. Eine Gemeinde inRegensburg, in der ich mich so richtig „heimisch“fühle, hatte ich in den ersten Monaten noch nichtgefunden – da kreuzte in Gestalt von Ottje Zündorfnach Jahren wieder pax christi meinen Weg. ImAnschluß an eine Veranstaltung des KatholischenBildungswerks zum Thema Globalisierung imRahmen der letzten Diözesanversammlung ließ erunmissverständlich und wiederholt vernehmen,dass ich auch Mitglied bei dieser katholischenFriedensbewegung werden könne. Danach fielen erund Max Hutzler mir bei verschiedensten Vorträ-gen und Foren immer wieder auf, so dass ich un-weigerlich zu dem Schluß kommen musste, dasswir offenbar ähnliche Interessen teilen. Das „ein-nehmende Wesen“ der Beiden wie auch der übri-gen Mitglieder dieses Leitungsteams führten danndazu, dass ich am Abend meiner Anmeldunggleich in aufgenommen wurde.

    Da ich beruflich stark eingespannt bin, werde ichmir mit der Entscheidung noch etwas Zeit lassen,in welchem der vielen interessanten Themenberei-che, die pax christi – Regensburg bearbeitet, ichmich schwerpunktmäßig engagieren möchte, ich

    schwanke noch zwischen drei verschiedenen. Je-denfalls freue ich mich darauf, in Eurem Kreiswieder auf Christen zu treffen, die etwas bewegenund sich einmischen wollen, wo in unserer Kircheoder Gesellschaft an falscher Stelle gehandelt odergeschwiegen wird.

    Zur Person: Geboren und aufgewachsen in Olden-burg i.O., 36 jährig, ledig. Studium der Medizin inLübeck, Göttingen, Zürich und Vellore/Südindien.Promotion am Max -Planck-Institut für Biophysi-kalische Chemie in Göttingen (tumorbiologischesThema), danach siebenjährige Kliniktätigkeit undAusbildung zur Fachärztin für Neurologie in Bre-men. Seit Januar 2000 als Projektmanagerin in derKlinischen Forschung bei einem Biotech-Startup-Unternehmen in Regensburg zuständig für dieKoordination einer Studie zur Behandlung bösarti-ger Hirntumoren.

    Mechthild Kunst

    Aktuelles aus dem Bistum Regens-burg

    Das herausragende Ereignis sei zuerst erwähnt: Ineiner beeindruckenden Feier hat pax christi – Re-gensburg den Preis „Einspruch wagen! – Preisfür Zivilcourage“ an Herrn Otto Schwerdt, Vor-stand der jüdischen Gemeinde, verliehen. OttoSchwerdt ist eine Persönlichkeit, die sich durchseine persönliche Lebensgeschichte, durch seinenpersönlichen Einsatz gegen das Vergessen derVerbrechen des Nationalsozialismus und sein En-gagement für Versöhnung der Religionen und Völ-ker in besonderer Weise ausgezeichnet hat, unddem deshalb dieser erstmals zu vergebende Preisvon der zehnköpfigen Jury in großer Einmütigkeitzugesprochen wurde. In diesem Rundbrief wirdausführlich darüber berichtet.

    Mitglieder der Arbeitskreis Jugoslawien sind einzweites Mal nach Novi Sad gereist und haben da-bei unter anderem das Kinderhilfswerk TABITAbesucht. TABITA betreut durch den Krieg im Ko-sowo traumatisierte Kinder in Jugoslawien. Vondort erhielten wir einen Dankesbrief, aus dem ichhier zitiere: „ ... Es ist immer wieder eine sehr po-sitive Ermutigung für uns und unsere Arbeit. Beidem Kinderprojekt haben wir sehr viel Freude, undwir haben auch in anderen Städten mit der Kinder-arbeit angefangen. Ziel unserer Arbeit ist es, Kin-der mit unterschiedlichem Hintergrund zusammen-

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    zubringen, ... damit sie sich leichter integrierenkönnen. ... Durch Ihre Spenden haben Sie wesent-lichen Anteil an dieser so wichtigen Arbeit in unse-rem Land. ... Ganz herzliche Grüße!“ Eine Kopiedes Schreibens ist im Anhang zu diesem Rundbriefbeigefügt.

    Spenden für das Kinderhilfswerk TABITA er-bitten wir auf das Konto Nr. 1167464 von paxchristi – Regensburg bei der Liga - Bank Re-gensburg ( BLZ 750 903 00 ). Herzlichen Dank!

    Im Projekt „Zwangsarbeit in Regensburg“ hatsich viel bewegt. Auf Einladung der Stadtverwal-tung kamen 10 ehemalige Zwangsarbeiterinnenund Zwangsarbeiter aus der Ukraine nach Regens-burg. Sie wurden freundlich aufgenommen undbetreut. Im Evangelischen Bildungswerk berichte-ten sie über das damalige Geschehen und über ihrSchicksal. Der Arbeitskreis bemüht sich, die erstenAnsätze des städtischen „Engagements“ auszu-weiten, damit es nicht bei „Feigenblattaktionen“bleibt. So haben auf Anfrage 8 ZwangsarbeiterIn-nen aus Tschechien geantwortet, dass sie eineEinladung nach Regensburg gern annehmen wer-den. 13 Betroffene haben jedoch geantwortet, siekönnten die Strapaze einer solchen Reise aus ge-sundheitlichen Gründen nicht mehr auf sich neh-men. Zusammen mit Luise Gutmann von der Ver-einigung der Verfolgten des Naziregimes und an-deren MitstreiterInnen hat Elisabeth Reinwald,Bistumssprecherin von pax christi, Anfang Juniacht dieser Menschen in Tschechien besucht. Sieberichtet darüber in diesem Rundbrief. Der Ar-beitskreis „Zwangsarbeit in Regensburg“ bemühtsich darum, dass die Stadtverwaltung auch diereisewilligen und reisefähigen ehemaligenZwangsarbeiterInnen aus Tschechien zu einemBesuch nach Regensburg einlädt. Ende Juli ist dasTeam zu einer zweiten Reise nach Tschechienaufgebrochen, um die fünf weiteren ehemaligenZwangarbeiterInnen zu besuchen, die einen Besuchin Regensburg nicht mehr auf sich nehmen wollenoder können. Über ihre Erfahrungen mit solchenBesuchen berichtet erneut auch Frau Dr. AnkeJanssen. Sie war im November letzten Jahres zuehemaligen ZwangsarbeiterInnen nach Weißruss-land gereist und ergänzt in diesem Rundbrief ihreBerichterstattung über diese Reise. Abschließendnoch eine weitere erfreuliche Mitteilung: der An-trag von pax christi – Deutsche Sektion an denVersöhnungsfonds der Deutschen Bischofskonfe-renz wurde positiv beschieden, und pax christi –

    Regensburg wird für die Finanzierung dieser Akti-vitäten Mittel aus diesem Fonds erhalten. LesenSie auch dazu den Artikel von Elisabeth Reinwald.

    Die meisten Mitglieder von pax christi – Regens-burg haben ihren Mitgliedsbeitrag für das Jahr2001 bezahlt oder einziehen lassen. Einige Zah-lungen stehen noch aus. Die Betroffenen entgehender Mahnung, wenn sie den Beitrag auf das KontoNr 1167464 bei der Ligabank Regensburg (BLZ750 903 00) einzahlen, oder bei pax christi – Re-gensburg (Tel. 0941/563598) anrufen.

    Am 23. März 2001 fand im DiözesanzentrumObermünster die vom Katholischen Bildungswerkzusammen mit pax christi veranstaltete Podi-umsdiskussion zum Thema „Aufnahme von De-serteuren in Städten“ statt. Paul Reinwald berichtetin diesem Rundbrief über diese Veranstaltung. Am10./11. Februar hatten Elisabeth und Paul Rein-wald mit Martina Lang-Dolles sowie AnnemarieKonrad und Hans Hubert die Möglichkeit, beiPfarrer Siegfried Felber in Bad Abbach pax christiund seine Aktivitäten in den Gemeindegottesdien-sten vorzustellen. Dabei sammelten sie, ganz ne-benbei, Spenden in Höhe von DM 1.565,- für TA-BITA, das Hilfswerk für kriegstraumatisierte Kin-der in Novi Sad (siehe oben). Schließlich fandensich im Leitungsteam vier Leute, die am Dienstagin der Karwoche in der St.-Jakobs-Kirche in Re-gensburg eine ganz andere „Predigt aus dem All-tag“ verkündeten. Pfarrer Helmut Heiserer undSiegfried Höhne berichten darüber in diesemRundbrief.

    Otto Josef Zündorf

    „Fremde und Nächste“ – eine anderePredigt aus dem Alltag

    Am Dienstag in der Karwoche (10.04.2001) ge-staltete pax christi – Regensburg einen Gottes-dienst in der Kirche St. Jakob in Regensburg, derzum einen an die Tradition der Predigtreihen ausdem Alltag anschloss, zum anderen aber in derGestaltung ungewöhnlich und vielleicht deshalbbesonders ansprechend war. Erfreulich viele Men-schen waren aufgrund der Ankündigungen in derTagespresse und im Bistumsblatt in die Kirche St.Jakob gekommen, die uns der neue Regens, Gott-fried Dachauer unkompliziert zur Verfügung ge-stellt hatte. Nach der Begrüßung und einem ge-

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    meinsamen Lied war die Predigt das Herzstückdieses Gottesdienstes. Sie war in drei Schritte auf-geteilt, die das Thema strukturierten und von ver-schiedenen Seiten her beleuchtete.

    Im ersten Teil stellte Siegfried Höhne sehr ein-drücklich dar, wie besorgniserregend fremden-feindliche Übergriffe auch in Regensburg zu beob-achten sind. Er anerkannte allerdings auch ermuti-gende Aktionen und Veranstaltungen gegen frem-denfeindliche Tendenzen und Vorkommnisse. DerText dieses Predigtteil ist in diesem Rundbriefnachzulesen. Im zweiten Teil der Predigt stellte Dr.Hans Hubert mit je einer Schriftstelle aus demAlten und dem Neuen Testament dar, was dieGrundlage von uns Christen ist, wenn wir uns ge-gen fremdenfeindliche Tendenzen und Aktionenstellen. Den dritten Teil gestalteten ich selbst zu-sammen mit Dr. Mechthild Kunst im Dialog. Wirzitierten abwechselnd aus dem Wort der deutschenBischöfe „Gerechter Friede“ vom 27.09.2000,genauer aus dem 3. Kapitel „Aufgaben der Kir-che“, in dem unter dem Stichwort „Bewährungs-felder kirchlichen Handelns für den Frieden“ Aus-sagen zum Umgang mit Fremden konkretisiertwerden. Es wurde deutlich, dass dieses Wort derBischöfe an theologischer Tiefe, an politischerDeutlichkeit und an konkreten Aussagen wenig zuwünschen übrig lässt. Dennoch war es wichtig,dass Mechthild Kunst nach jeweils einem Zitat ausdem Wort der Bischöfe Fragen an uns Christen,konkret an die zum Gottesdienst Versammelten,formulierte und die notwendigen Pausen ließ, umüber diese Fragen – und mögliche Antworten –nachzudenken.

    Der Predigt folgte ein meditatives Instrumentals-tück mit der Querflöte, das Monika Armbruster –Deschamps künstlerisch virtuos und meditativbeeindruckend gestaltete, so dass eine sehr gefüllteStille entstand, in die hinein diese Musik zumNachdenken anregte. Nach aktuell formuliertenFürbitten und einem gemeinsamen Vater-unserklang der Gottesdienst mit einem Lied aus.

    Es war ein Wagnis, kurz angekündgt und bereitsnach Beginn der Osterferien einen solchen Gottes-dienst anzubieten. Doch sowohl die Anzahl derGottesdienstteilnehmerInnen als auch das erfreuli-che Echo auf diesen Gottesdienst lässt überlegen,ob ein solcher Gottesdienst jeweils in der Karwo-che oder auch öfter nicht zur Tradition werdenkönnte. Wenn wir von pax christi immer wiederbedauern, dass von offizieller kirchlicher Seite zuaktuellen Problemen zu selten etwas gesagt wird

    und dass solche Fragen in Gottesdiensten so wenigvorkommen, so könnten wir ja selbst mit solchenGottesdiensten einen Beitrag leisten.

    Helmut Heiserer

    „Fremde und Nächste“ - Gottesdienstin St. Jakob, Regensburg

    Es ist in unserer Stadt passiert. Vor wenigen Wo-chen: 10 bis 15 Jugendliche fallen über einen17jährigen Burschen her. Sie schlagen ihn, werfenihn zu Boden. Der Haupttäter schleudert eine Fla-sche gegen den Kopf des Wehrlosen, einige anderetreten den am Boden Liegenden gegen den Kopf.Der Geschlagene hat Glück. Seine äußeren Verle t-zungen sind nicht lebensbedrohlich. Bedrohlichersind sicher seine inneren Verletzungen, seine De-mütigungen. Der junge Bursche, Schüler am Re-gensburger Werner-von-Siemens-Gymnasium,wurde zusammengeschlagen - weil er türkischerAbstammung ist. Ausländer also, Fremder. Zu-sammengeschlagen von einer Horde Halbstarker,die es besonders cool finden, auf Ausländer loszu-gehen, dabei rechtsradikale Parolen zu grölen undjüdische Einrichtungen zu beschmieren.Der braune Sumpf - er wütet auch in Ostbayern.Allein im vergangenen Jahr registrierte das Poli-zeipräsidium Niederbayern/Oberpfalz 290 Delikteund 11 Gewalttaten. 230 aktive Rechtsextremezählte die Polizei, die meisten zwischen 16 und 24Jahren alt, ein Großteil von ihnen kommt übrigensaus geordneten Verhältnissen - wie die Polizeiimmer wieder versichert.Vor allem zwei Orte in Ostbayern werden zumSynonym für rechte Gewalt: Weiden und Deg-gendorf. In Weiden fliegen Farbbeutel und Steineauf jüdische Einrichtungen und das Mahnmal ge-gen den Rassenwahn. Dazu werden hasserfüllteBriefe an die jüdische Gemeinde geschrieben -anonym natürlich. Die Polizei scheint machtlos,trotz einer Gesamtbelohnung von 21.000 Marksind die Täter bis heute nicht gefunden.Anders dagegen in Deggendorf. Hier kann diePolizei fünf Rädelsführer aus der Skinhead-Szeneermitteln. Der jüngste ist 16. Ihnen werden 12schwere Körperverletzungen, zwei Sachbeschädi-gungen und eine Bedrohung zur Last gelegt. Opfersind Deutsche - mit und ohne ausländischer Her-kunft. Manche Einheimische werden zusammenge-schlagen, nur weil sie wie Ausländer aussehen. Diemeisten Täter haben eine dumpfe fremdenfeindli-

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    che Einstellung, Alkoholkonsum spielt oft einegroße Rolle.Oder einfach Hass auf die Gesellschaft. Wie dieser38jährige aus Regensburg. Ihn kann die Polizei auffrischer Tat ertappen, als er wieder mal Haken-kreuze und Nazi-Parolen auf Hauswände schmiert.Darunter auch Gebäude der Universität und dasVereinslokal der Regensburger Lesben- undSchwuleninitiative Resi.Wo bleibt der Aufschrei in der Bevölkerung gegendiese Taten? Ein vieltausendfaches „So nicht“, wobleibt die tätige Zivilcourage? Ist jener Fall wo-möglich traurige Realität, der sich vor kurzem ineinem Bus bei Falkenstein zugetragen hat. Hier hateine Gruppe Halbstarker einen jungen Burschenbrutal zusammengeschlagen. Alle Businsassenhaben zugeschaut und geschwiegen, der Busfahrerhat sogar gesagt: „Das geht mich nichts an.“Ist die Gesellschaft in ihrer grenzenlosen Gier nachdem Immer-Mehr-Haben-Wollen dabei, ihreMenschlichkeit zu verlieren, ihre Sensibilität fürdie Solidarität mit denen, die in Not geraten? Woalso bleibt der Aufstand der Anständigen, zu demBundeskanzler Schröder aufgerufen hat?Es gibt zumindest kleine Zeichen des „So nicht“.Die 10.000 Menschen etwa, die im November inRegensburg auf die Straße gehen, um gegenRechte Gewalt und Fremdenfeindlichkeit zu de-monstrieren. Die größte Kundgebung in unsererStadt. Oder die 3000 Unterschriften des Aktions-bündnisses gegen Gewalt und Rechtsradikalismusin Weiden. Oder die fast 2000 Schüler der Ker-schensteiner Berufsschule in Regensburg, die sichmit ihrer Unterschrift von rechter Gewalt distanzie-ren. Und dann natürlich die Klasse 11d des Wer-ner-Von-Siemens-Gymansiums. Die Schüler soli-darisieren sich mit ihrem türkischen Freund. Es istder Bursche, der - wie anfangs geschildert - auf sobrutale Art zusammengeschlagen worden ist. Dochsie belassen es nicht mit dieser Aktion. Sie schrei-ben Briefe an die Politiker aller Parteien - vonlinks bis ganz rechts. Und sie stellen darin eineFrage: „Was können Sie tun, damit sich so einschrecklicher Vorfall wie in Regensburg nichtmehr wiederholt?“ Die Antworten auf diese Fragesind so bunt wie das politische Spektrum. Sie rei-chen von primitiven Parteifloskeln bis hin zu per-sönlichen Zeilen. Auf drei Antworten warten dieSchüler übrigens laut Mittelbayerischer Zeitungnoch heute. Auf die Antworten von Bundesinnen-minister Schily, des bayrischen InnenministersGünther Beckstein und des Regensburger Ober-bürgermeisters Hans Schaidinger. All diese aufge-führten Beispiele für Zivilcourage sind hoffnungs-volle Zeichen. Wenige zwar, aber hoffnungsvoll.

    Noch mehr könnten und müssten diesen Beispielenfolgen. Freilich: Zivilcourage auszuüben ist leich-ter gesagt als getan. Sie kann bisweilen schmerz-hafte Folgen haben. Jener mutige Taxifahrer kanndavon sicher ein Lied singen. Dieser Taxifahrer hatFahrgäste zur Rede gestellt, weil sie sich mit demHitlergruß verabschiedet haben. „So nicht - sagteer.“ Doch die Courage des Taxifahrers wird nichtbelohnt. Die rechtsradikalen Fahrgäste fallen überden Taxifahrer her und schlagen ihn zusammen.Diese Tat passierte übrigens nicht in Dessau, Hoy-erswerda oder Frankfurt an der Oder - diese Tat hatsich in Regensburg ereignet.

    Siegfried Höhne

    EXTRATEILPreisverleihung an Otto Schwerdt

    Alle, die an der Verleihung der Auszeichnung„Einspruch wagen – Preis für Zivilcuorage“ anOtto Schwerdt im Regensburger Diözesanzentrumteilnahmen, werden bestätigen: Es war ein würde-voller und vielbeachteter Auftakt für diesen Preis.Sicher lag dies nicht zum geringsten an der Persondes Ausgezeichneten selbst. Gewiss auch an dergroßen Ernsthaftigkeit und verantwortungsvollenBemühung, mit der die Mitglieder der Jury in einerwohltuend diskursiven Atmosphäre die Entschei-dung herbeiführten. Bestimmt spielte aber aucheine Rolle, dass viele engagierte Regensburgerin-nen und Regensburger den Zeitpunkt für gekom-men hielten, solch eine Auszeichnung zu etablierenund diesem Abend den angemessenen Rahmen zugeben. Dazu kam wesentlich, dass der emeritierteRegensburger Dekan Reinhard von Loewenich alsLaudator die richtigen Worte fand. Pax christi Re-gensburg hat gut daran getan, das Vorhaben so zuverwirklichen. Dem neuen Preis konnte wiederumkaum etwas Besseres widerfahren, als in der Per-sönlichkeit eines Otto Schwerdt seinen ersten Ge-ehrten zu finden.

    Es genügt eigentlich – ohne viele weitere Wortemachen zu müssen – die Reden der Hauptakteuredes Abends wiederzugeben, um einiges von derhellwachen, aufmunternden und heiter-bewegenden Stimmung anklingen zu lassen, diediese Veranstaltung ausstrahlte. Ausdrücklich ge-nannt werden muß in diesem Zusammenhang derwichtige Akzent der SchülerInnen des Werner-von

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    -Siemens-Gymnasiums. Sie rezitierten Auszügeaus dem Apell Udo Lindenbergs „An die Nazis“und schlugen durch die gleichzeitig eindringlicheund lockere Sprache Lindenbergs eine Brückesowohl zur Jugend als auch zur Tagesproblematik.Wieder einmal war davon im Bericht der – leidereinzigen – Regensburger Tageszeitung nichts zulesen. Genausowenig waren Inhalte der Rede desLaudators erwähnt. Bei uns soll jedoch das„Event“ – das wir natürlich auch genossen haben –nicht die Inhalte vergessen machen. Deshalb sindim Folgenden die Begrüßungsworte von ElisabethReinwald, dann die Laudatio von Reinhard vonLoewenich und schließlich die Antwort von OttoSchwerdt im Wortlaut wiedergegeben.Max Hutzler

    Begrüßung durch Elisabeth Reinwald

    Liebe Gäste, sehr geehrte Damen und Herren. Ichbegrüße Sie ganz herzlich zur Verleihung des vonpax christi, Regensburg, gestifteten Preises fürZivilcourage „Einspruch wagen“.Die Auszeichnung wird heute zum ersten Mal ver-liehen als Anerkennung für beispielhaftes, zi-vilcouragiertes Handeln. Unser erster Preisträgerist Herr Otto Schwerdt.

    Lieber Herr Schwerdt, ich begrüße Sie ganz herz-lich hier bei uns. Ich freue mich, dass gerade Sieder erste Preisträger sind. Das verleiht dem Preisfür die Zukunft eine besondere Güte.Ich freue mich, dass Sie, Frau Rachela Schwerdt,mitgekommen sind. Seien Sie herzlich willkom-men. Ebenso herzlich begrüßen möchte ich nochMitglieder aus Ihrer Familie, sowie Ihre persönli-chen Freunde und Mitglieder aus der JüdischenGemeinde. Ich freue mich, dass Sie unsere Gästesind.Herr Schwerdt, Sie sollen heute Abend im Mitte l-punkt stehen und alle anderen Gäste sind hier, umSie als Preisträger zu ehren.

    Bestimmt erlauben Sie mir aber, dass ich einigewenige Personen und Gruppen namentlich nenneund begrüße.An erster Stelle möchte ich hier die Schülerinnenund Schüler der Klasse 11d des Werner-von-Siemens-Gymnasiums und die Schülerinnen undSchüler der Schülermitverwaltung der Kerschen-steiner Schule herzlich begrüßen. Sie sind heuteunsere Ehrengäste, die uns ganz besonders will-kommen sind.

    Nach Ihnen darf ich Herrn Reinhard v. Loewenichbegrüßen, der nach Regensburg gekommen ist, umfür seinen Freund und ehemaligen MitstreiterHerrn Schwerdt die Laudatio zu halten.

    Bei unseren Überlegungen, wer wohl ein würdigerLaudator für unseren Preisträger sein könnte, sindSie uns, Herr v. Loewenich, sehr rasch als mögli-cher Redner eingefallen. Allerdings war es nichtganz so einfach, Kontakt zu Ihnen herzustellen. IhrWohnort in Berlin war verwaist. Ihre Freunde undBekannten wussten nicht, wo Sie sich gerade auf-hielten. So blieb uns nichts anderes übrig, als mitdedektivischer Akribie Nachforschungen überihren Aufenthaltsort einzuholen. Stellen Sie sichvor, wir wurden schließlich fündig. Wir entdecktenSie in einem Hotel in Talin in Lettland. Doch dannmeldeten Sie sich glücklicherweise aus Berlin undsagten uns spontan als Laudator zu. Wir haben unssehr darüber gefreut.

    Als nächsten Gast möchte ich Frau Helga v. Loe-wenich begrüßen. Sie stehen Herrn Schwerdt eben-so nahe wie Ihr Mann. Ich weiß, dass Sie zur jüdi-schen Gemeinde und ihren Verantwortlichen vie l-fältige Beziehungen gepflegt haben, als Sie noch inRegensburg wohnten. Wir freuen uns, dass Sieheute hier sind, um mit uns zu feiern.

    Herzlich willkommen sind uns die Vertreter derKirchen und Religionsgemeinschaften - Herr HansRosengold für die jüdische Gemeinde, - Herr Dr.Helmut Millauer für die evangelisch lutherischeKirche, - Herr Dr. Max Hopfner für die katholischeKirche, - Herr Dr. Gustav Rosenstein als Vertreterdes WCRP, der Weltkonferenz der Religionen fürFrieden.

    Frau Erika Simm ist aus dem Bundestag zu IhrerFeier gekommen und Frau Anke vertritt die StadtRegensburg, Herr Schwerdt. Ich begrüße sie ganzherzlich. Begrüßen möchte ich auch die Vertrete-rinnen und Vertreter des Stadtrates, zeigen SieIhnen doch, Herr Schwerdt, welche AnerkennungSie in unserer Stadt genießen.Ein Mitglied unserer Bewegung ist aus Bad Vilbelgekommen. Christa-Maria Weber ist Geschäftsfüh-rerin der Internationalen katholischen Friedensbe-wegung pax christi, deutsche Sektion. Christa, wirfreuen uns, dass du gekommen bist, diesen freudi-gen Tag mit uns zu teilen.

    Wir freuen uns auch über die vielen Gäste, die alsVertreterinnen und Vertreter von Gruppen undInitiativen bei uns sind - Amnesty International,

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    Deutscher Gewerkschaftsbund, Arbeitskreis gegenrechtsradikale Strömungen, VertreterInnen derpolitischen Parteien, Vereinigung der Naziver-folgten.

    Stellvertretend für alle Initiativen möchte ich eineinzwischen betagte Persönlichkeit des vielseitigencouragierten Engagements in Regensburg nennen.Sie war uns Jahrzehnte lang Vorbild im widerstän-digen Handeln. Frau Lore Gollwitzer. Wir freuenuns, liebe Lore, dass du hier bist.

    Die vielen anderen Gäste, Freunde Sympathisan-ten, die ich nicht genannt habe, sind uns ebensoherzlich willkommen. Sie zeigen uns ganz deut-lich, welche Wertschätzung und Verehrung SieHerr Schwerdt in unserer Stadt und weit darüberhinaus genießen.

    Lassen Sie mich nun ein paar Worte zur Entste-hung des Preises für Zivilcourage sagen.Die Idee, Menschen oder Initiativen auszuzeich-nen, die durch ihr öffentliches Engagement Parteiergreifen gegen Ungerechtigkeit, Unterdrückungund Gefährdung der Zukunft ist schon vor einigenJahren in unserer Mitte entstanden. RechtsradikaleÜbergriffe und menschenverachtendes Verhaltennicht nur in den Neuen Bundesländern, auch inBayern, in der Oberpfalz und in Regensburg be-stärkten uns, Mitglieder in pax christi Regensburg,in unserem Vorhaben.Max Hutzler und Siegfried Höhne ist es zu verdan-ken, dass die Idee konkret wurde und nicht nur dieMitglieder in unserer Bewegung erfasste, sondernauch unsere Freunde und Mitstreiter. Einer unsererFreunde ließ sich sehr kreativ begeistern. Aus derIdee in den Köpfen und Herzen geboren, gestalteteHerr Dr. Paul Winkler ein Kunstobjekt, den Preisfür Zivilcourage. Lieber Herr Winkler, wir dankenIhnen ganz herzlich für Ihre spontane Begeisterungund die künstlerische Gestaltung des Preises. Bitte,Herr Winkler, Sie können es viel besser als ich.Erklären Sie uns jetzt Ihre Gedanken und Überle-gungen, die Sie leiteten bei der Gestaltung desPreises.

    Herr Winkler, wir sind dankbar, dass Sie die Ideenund Gedanken, die in der Begründung des Preisesgenannt werden, Gestalt werden ließen. Ihrekünstlerische Formgebung erklärt und verdichtetdas, was wir mit diesem Preis ausdrücken wollen.Ganz herzlichen Dank.

    Liebe Gäste, ein Preis bekommt auch dadurch Ge-wicht, dass ein möglichst breites Spektrum von

    Persönlichkeiten, die sich der Idee des Preises ver-pflichtet fühlen, für die Jury gewonnen werdenkann. Ohne zu zögern haben fast alle Mitgliederder Jury, die wir angefragt haben, spontan zuge-sagt.Lassen Sie mich die Namen der Jury-Mitgliederkurz nennen und Ihnen ganz herzlich für ihr Enga-gement danken.

    Herr Professor Dr. Konrad BaumgartnerFrau Dr. Ingrid DobroschkeHerr Professor Dr. Josef EcksteinFrau Christa MeierHerr Jörg SkribeleitHerr Dr. Paul WinklerHerr Siegfried HöhneHerr Max HutzlerHerr Otto-Josef Zündorfund ich, Elisabeth Reinwald

    Wir sind froh und dankbar, dass der Entschei-dungsprozess innerhalb der Jury so verantwor-tungsbewusst, dialogbereit und offen geführt wur-de. Es war für uns eine sehr schöne Erfahrung desgemeinsamen Bemühens bei der Suche nach einenwürdigen Preisträger.

    Erfreulich war für uns auch die breite Resonanzauf unsere Ausschreibung. Zwischen 8 gut begrün-deten Vorschlägen musste die Jury entscheiden. 2Vorschläge wollte die Jury an diesem Abend etwasausführlicher hervorgehoben wissen.Die Jury empfand das Engagement der Schülerin-nen und Schüler der Klasse 11d des Werner-von-Siemens-Gymnasium und die Aktivitäten derSchülermitverantwortung an der Kerschensteiner -Schule als besonders ehrens- und achtenswert.

    Die Schülerinnen und Schüler des Werner-von-Siemens-Gymnasiums solidarisierten sich auf vor-bildliche Weise mit einem türkischen Mitschüler,der von rechtsradikalen Jugendlichen brutal atta-kiert worden war. Die Schülerinnen und Schüler

    Otto Schwerdt und Jurymitglieder

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    begnügten sich nicht mit Gesten des Mitfühlens,sie wollten darüber hinaus zukünftige Übergriffemöglichst vermeiden. Deshalb schrieben sie anPolitiker und Parteifunktionäre Briefe, in denen sieihre Abscheu vor rechtsradikalen Übergriffen aus-drückten und anfragten, was die Gesellschaft undkonkret die Politiker zu tun gedenken, um solchemenschenverachtende Übergriffe zu vermeiden.

    Zum selben Übergriff auf einen türkischen Schülerorganisierte die Schülermitverwaltung an der Ker-schensteiner Schule eine Unterschriftenaktion, umein Zeichen zu setzen gegen Gewalt und für einfriedliches Zusammenleben.Ich möchte Ihnen, liebe Gäste, gerne den Text derUnterschriftensammlung vorlesen, zeigt er doch,welchen Mut die Berufsschüler durch diese Aktionbewiesen haben.

    „Regensburger Berufsschüler setzen ein Zeichengegen Rechts.

    Am 3. März 2001 wurde ein türkischer Jugendli-cher in Regensburg von Rechtsradikalen brutalzusammengeschlagen. Da der Haupttäter das Ker-schensteiner-Berufsschulzentrum besucht, wollenwir uns in aller Deutlichkeit von dieser Tat distan-zieren.Deshalb fordern wir mit unserer Unterschrift auf,nicht wegzusehen und zu schweigen, sondern offenrechter Gewalt entgegenzutreten.“

    Lassen Sie mich im Namen aller hier anwesendenGäste Ihnen, liebe Schülerinnen und Schüler, fürIhr Engagement gegen rechtsradikale Attacken undrechtsradikales Gedankengut ganz herzlich danken.Unsere Hoffnung auf ein friedliches Zusammenle-ben in unserer Gesellschaft mit Ausländern, Be-hinderten, Obdachlosen und Bürgerinnen und Bür-gern aller Couleur wird durch ihr Engagementgenährt. Auch wenn es diesmal für den Preis fürZivilcourage noch nicht gereicht hat, so verstehenSie, liebe Schülerinnen und Schüler zusammen mitIhren Lehrern, den herzlichen Applaus der Festver-sammlung bitte als besondere Ehrung.

    Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, liebe Gäste, dasswir den Preis für Zivilcourage am 19. Juli, denVorabend des 20. Juli zum ersten Mal verleihen.Ganz bewusst haben wir diesen Tag gewählt, umauch die Männer des 20. Juli um Oberst GrafStauffenberg zu ehren.Ihr Mut und ihre Verantwortung zum Wohle derMenschen und ihr Widerstand gegen ein Unrechts-system müssen uns ständige Mahnung bleiben undzu einem klaren Bekenntnis für eine offene,gleichberechtigte und demokratische Zivilgesell-schaft führen.

    Und ein Mahner wider das Vergessen, gegen Aus-länderfeindlichkeit und Rassismus und für Versöh-nung über religiöse und nationale Grenzen hinweg,das ist Otto Schwerdt. Zwischen Regensburg, Flos-senbürg, Weiden, München, Bayreuth und so vie-len anderen Orten pendelt er, immer noch selbstam Steuer seines Autos, um Menschen und vorallem jungen Menschen die Zeit des Nazi-Terrorsvor Augen zu führen. Seine Rede und sein Handelnwider das Vergessen stellt Otto Schwerdt in denDienst für ein friedvolles Zusammenleben derMenschen.In großer Einmütigkeit hat sich die Jury für OttoSchwerdt als ersten Preisträger entschieden. Erschafft durch sein Leben, sein Buch und die Le-sungen daraus Zugänge zur Vergangenheit undschlägt zugleich Brücken zu den Menschen heuteund zu aktuellen gesellschaftspolitischen Proble-men.

    Mehr möchte ich als Begründung für unsere Ent-scheidung jetzt nicht erwähnen. Herr v. Loewenichwird gleich diese Aufgabe für mich übernehmen.

    Lassen Sie mich aber noch ein paar Worte zu unse-rem Laudator Herrn Reinhard v. Loewenich sagen.

    Schülerin u. Schüler des v.-Siemens-Gymnasiums

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    Die meisten Gäste werden Herrn v. Loewenichnoch aus seiner Regensburger Zeit kennen, als erhier von 1989- 1998 als Dekan tätig war. Wir ha-ben ihn als eine Persönlichkeit in Erinnerung, dereiner offenen, weiten und verantwortungsbereitenKirche vorstehen wollte. Sein weiter Blick fiel aufMenschen, die am Rande der Gesellschaft standen,die bedürftig waren, hier in Regensburg, doch auchin Osteuropa, in Brasilien, in Südafrika und anvielen anderen Orten. Mit der jüdischen Gemeindesuchte Herr v. Loewenich den Dialog und die Be-gegnung. Es wurde daraus eine Liebe und Freund-schaft zu Menschen, die noch immer Früchte inunserer Stadt trägt. Herr v. Loewenich scheute sichnicht, politisches Profil zu zeigen. Mit Abt Emma-

    nuel Jungclaussen segnete er im Mai 1995 dasKreuz in Niederaltaich zum Erhalt einer freiflie-ßenden Donau. Damals ermunterte Herr v. Loewe-nich seine Zuhörer, nicht zu schweigen, um nichtMittäter beim Tode der Schöpfung zu werden.Über Konfessions- und Religionsgrenzen hinausermutigte Herr v. Loewenich durch sein ganz per-sönliches Engagement die vielen Gruppen undInitiativen, die für Frieden, Gerechtigkeit und Be-wahrung der Schöpfung tätig waren und bestärktesie auf ihrem Weg. Ich habe persönlich oftmalserlebt, dass wir im Arbeitskreis Südafrika immerwieder Hilfe und Zuspruch von seiner Seite beka-men. Birgit Beck und ihre Mitstreiterinnen wusstenum seine Solidarität gegen Apartheid.Bestimmt hätten Sie, liebe Gäste hier im Saal, nochVieles zu ergänzen, was für Sie in der Erinnerung

    bedeutungsvoll ist. Vielleicht ist es Ihnen möglich,sich heute abend noch im persönlichen Gesprächmit Herrn v. Loewenich auszutauschen.

    Herr v. Loewenich, ich bitte Sie nun, nach demMusikstück, das wir gleich hören werden, IhreLaudatio für unseren Preisträger Herr OttoSchwerdt vorzutragen.

    Auf Wunsch von Herrn Schwerdt haben wir unsum Kleezmermusik bemüht. Und diese Musikspielen für uns heute Abend Herr Patrick Ehrichauf der Klarinette und Herr Freddie Granzer aufdem Akkordeon. Vielen Dank, dass ihr unserenWunsch nach Kleezmermusik erfüllen konntet.

    Elisabeth Reinwald

    Laudatio zur Preisverleihung an OttoSchwerdt

    Sehr verehrte Damen und Herren, lieber OttoSchwerdt!Es ist wahrlich ein erfreulicher Anlass, der uns indieser Stunde in so großer Anzahl hier zusammen-führt. Ein Anlass, der einen Namen hat, der wohlden meisten unter uns lieb und vertraut gewordenist. Otto Schwerdt heißt dieser Name und es isteben ein Name, der für etwas steht, etwas verbürgt,nämlich dass es so etwas gibt in dieser Stadt, inunserer Zeit, in unserer Gesellschaft: Zivilcourage- zu deutsch: Bürgermut. Dass es das gibt: dasWagnis des Einspruchs, Widerspruchs in einerZeit, da so viele schweigen- schweigen, wo esdoch gilt den Mund aufzutun .Stunde der Freude, der Dankbarkeit, so sagten wir.Und doch, wir spüren es - in diese feierliche Freu-de mischt sich Nachdenklichkeit, ja etwas wieBetroffenheit. Es ist die Frage: Wie ist es bestelltum eine Civitas, um eine Gesellschaft, um unseredeutsche Gesellschaft, in der sich eine Organisati-on wie Pax Christi gedrängt sieht, einen solchenPreis zu stiften, einen Preis für Zivilcourage. Wirdhier, so lautet das Bedenken, der Mut zum Ein-spruch, die Zivilcourage nicht in den Rang desAussergewöhnlichen, der Ausnahme, ja des schierAnormalen erhoben ? Also um das Prädikat desSelbstverständlichen, des Allgemeingutes, derAllgemeintugend gebracht? Wären wir hier zudieser Feierstunde versammelt, wenn es so wäre-und ich mache jetzt einen kleinen Flug ins Landder Utopie: Zivilcourage ganz oben auf den Lehr-plänen und in der Unterrichtspraxis unserer Schu-len, eingeübt wie das Lesen und Rechnen, zuhause

    E. Reinwald, Otto und Gela Schwerdt

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    in allen Klassenzimmern und auf den Schulhöfen.Zivilcourage, Mut zum Ein- und Widerspruch alsvorrangiges Kriterium, höchste Qualifikation beiBeurteilungs- und Bewerbungsgesprächen in Be-hörden und Betrieben, Zivilcourage als Markenzei-chen unseres Universitäts und Wissenschaftsbe-triebes mit seinen Hierarchien und Karrierestufen.Und wahrlich nicht zuletzt wenn diese Tugend, derMut zum Einspruch und zum Widerspruch allzeitgepredigt worden wäre von den Kanzeln unsererKirchen als Konsequenz des Evangeliums. Wobeidieser Mut zum Einspruch ja zusammenfällt undvoraussetzt jene Tugend des Hinsehens, nichtWegsehens, sich nicht Vorbeidrückens. Unüber-holbar ist das ausgedrückt in Jesu Gleichnis vombarmherzigen Samariter. Ein Gleichnis, das freilichzuerst das Gleichnis von jenen Klerikern undFrommen ist, die eben nicht hingesehen haben,nicht Einspruch erhoben und nicht eingegriffenhaben, als da einer unter die Räuber gefallen war.Die Straße von Jerusalem nach Jericho in JesuGleichnis - auch daran erinnert uns diese Feie r-stunde voller Schmerz und Scham- ist unendlichlang und weit. Sie führte und führt auch mittendurch Europa und Deutschland, für Otto Schwerdtvon Braunschweig nach Auschwitz und für vieleandere von Regensburg nach Piaski und wie dieOrte der Vernichtung alle heissen.Strassen, an denen viel zu wenige zugegen waren,die hingesehen haben, Einspruch wagten, sich denRäubern zur rechten Zeit entgegenstellten.Zurück zum Ausgang unseres kleinen utopischenExkurses. Nein, so sagten wir, es bedürfte keinerPreise für Zivilcourage und für den Mut zum Ein-spruch, wenn das so wäre: wenn solche Zivilcou-rage den Rang der allgemeinen Bürger- und Chri-stenpflicht besässe, Inhalt und Inbegriff einer so-genannten deutschen Leitkultur, wenn es denn einesolche geben soll; einer Kultur, die keiner großenWorte und keiner Preise bedürfte, weil sie schlichtund einfach und alltäglich geübt und gelebt wird.Wir alle wissen, haben es nicht zuletzt in der jüng-sten Vergangenheit erneut erlebt :dem ist nicht so.Auch heute wird in Deutschland wieder viel zu oftweggeschaut, viel zu oft geschwiegen, verharm-lost, wenn es gilt hinzuschauen, Einspruch zu er-heben, die Strasse nicht den Räubern zu überlas-sen. Ganz gleich ob diese nun im braunen Hemdauftreten oder als Glatzköpfe mit Springerstiefeln,nicht zu reden von ihren pseudointellektuellenHintermännern. Weil das so ist, braucht unsereGesellschaft, unsere Jugend Vorbilder, ermutigen-de Beispiele engagierten Bürgermutes, braucht sieAnlässe wie jenen, der uns hier zusammenführt,

    braucht sie Menschen wie Otto Schwerdt, den eshier und jetzt zu ehren gilt.Der Jury, die diesen Preis erstmals verliehen hat,ist es - dessen bin ich sicher - sehr leicht gefallen,sich ohne Zögern auf den Preisträger zu verständi-gen .Glückliche Jury; glücklich auch deshalb, weilsie sich der breitesten und freudigsten Zustimmungunseres Auditoriums gewiss sein darf. Schwererhat es da schon der I,audator, wenn er jetzt denLebensweg und das Wirken dieses Mannes würdi-gen soll ,der ja den meisten unter uns längst keinUnbekannter, vielen vielmehr Freund und Wegge-fährte geworden ist. Ich will mich deshalb mit demMut zur Lücke auf wenige Stationen in seiner Bio-grafie beschränken.Otto Schwerdt wurde 1923 in Braunschweig gebo-ren. Beide Elternteile waren dorthin nach demersten Weltkrieg aus dem polnischen Ostgalizienbzw. der heutigen Ukraine ausgewandert, bevorsich ihre Lebenswege dann in Deutschland kreuz-ten. Die familiären Wurzeln Schwerdts liegen so ineiner tieferen Schicht in jenem ostmitteleuropäi-schen Raum, dessen reichen kulturellen Erbes wirheute staunend wieder inne werden, freilich auchall dessen, was dort mit der Ausrottung des Ju-dentums für Europa unwiederbringlich verlorenging. Was mag die Eltern damals bewogen haben,ihre Zukunft in Deutschland zu suchen, in demdoch im Krieg geschlagenen und wirtschaftlichdarniederliegenden Deutschland? Waren es nur

    Reinhard von Loewenich

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    ökonomische Gründe oder nicht auch - tragischerIrrtum so vieler Juden Osteuropas - die Wertschät-zung, die Sympathie für all das, was sie mit deut-scher Kultur und Humanität verbunden hatten undwas gerade auch in der alten Welfenstadt Braun-schweig einen prägenden Ausdruck gefunden hat.Konnten sie ahnen, dass gerade diese Stadt schonvor 1933 zu einer Hochburg der nazistischen Be-wegung werden sollte? Als 1931 über 100 000 SA-Männer zu einer stundenlangen Demonstrationnach Braunschweig kamen, waren Hitlers Worte:"Braunschweig - das ist die Verkündigung desunveränderlichen Endziels." Die Konturen jenesEndziels, das bald darauf zur Endlösung gewordenist - waren sie nicht damals schon deutlich gewor-den? Wenige, viel zu wenige haben sie erkannt, zuviele sind blind gewesen. Otto Schwerdts Elternund mit ihnen die ganze Familie haben freilich sehrfrüh gespürt, was auf sie zukommen würde. l936 -Deutschland war im olympischen Taumel - habensie das Land ihrer einstigen Hoffnung verlassen,wieder auf dem uralten Flucht- und Wanderwegder deutschen Juden schon im Mittelalter - hinnach Osten, zurück nach Polen, nicht ahnend, dassselbst Polen ihnen nur knappe drei Jahre Atem-,Ruhepause gewähren konnte.Was folgte, in den Jahren 1939 - 1945 hat OttoSchwerdt 1998 in seinem Berichtband "Als Gottund die Welt schliefen" selbst beschrieben, in einerbewegenden Weise, die alles fremde Nacherzählenschlicht verstummen lässt. Wenn das viel ge-brauchte Wort von der Zeitzeugenschaft seinenSinn, seine wahre Bedeutung hat, dann bei einemDokument wie diesem: Zeugnis all jener Bestialitätund all jener Grausamkeit, zu denen ein un-menschliches Herrenmenschentum auf dem Wegzu Hitlers schon ein Jahrzehnt zuvor verkündetenEndziel fähig war - aber auch Dokument ergrei-fender Menschlichkeit, Mitmenschlichkeit, einesneuen Begriffs von Heldentum auf seiten der ge-quälten und zur Schlachtbank getriebenen Opfer.Allein schon die Verbundenheit und der Zusam-menhalt des Vaters mit dem Sohn in den Lagernund auf den Todesmärschen wird jedem, der diesenBericht gelesen hat, unvergessen bleiben.Wo für jene dunkelsten Jahre die AufzeichnungenOtto Schwerdts nur für sich selber sprechen sollen,muss jetzt um so deutlicher und voller Dankbarkeitvon dem die Rede sein, was als Konsequenz ausjenen Leidensjahren den weiteren Lebensweg unddas Wirken Otto Schwerdts bis zu heutigen Tagbestimmt. Der Weg führt zuerst - nach Zwischen-aufenthalten in Weiden und Regensburg - in Er-füllung vieler Träume aus jenen dunklen Nächtennach Israel, wo er aktiv am Kampf um die Entste-

    hung des neuen Staates teilnimmt. Aber 1954, alsder Vater in Regensburg schwer erkrankt war,kehrte er gemeinsam mit seiner Frau Gela hierherzurück. Und wieder beginnt ein neues Kapitel, dasüberschrieben ist mit jenem Wort der Zivilcourage,des Bürgermuts. Mut und hoffnungsvolles Ver-trauen bedurfte es damals, als Jude in das Land derTäter zurückzukehren, dort eine neue Existenz zugründen, Bürgerrechte, Bürgerpflichten wahrzu-nehmen. Mut bedurfte es, mitzuarbeiten beim Neu-aufbau jüdischer Gemeinden, manchen Missver-ständnissen ausgesetzt in Deutschland wie in Isra-el, aber doch vor allem beseelt von dem festenWillen: Hitlers Programm von der Endlösung einesjudenfreien Deutschland sollte und durfte nicht denSieg, das letzte Wort behalten!Otto Schwerdt war sicher damals so wenig wieheute ein Mann der Illusionen. Er wusste, wie un-endlich schwer und lang der Weg sein würde. Unddoch glaubte er mutig an die Chance eines ande-ren, eines demokratischen Deutschland. An dessenZukunft wollte er mitarbeiten, dafür sich engagie-ren. Und eben vor allem so mitarbeiten, dass erankämpfte, Widerstand leistete gegen das Verges-sen. Widerstand gegen alle jene, die unfähig undunwillig waren, Lehren zu ziehen aus dem Gewe-senen. Zukunft, bessere und lohnende Zukunftblieb und bleibt für ihn immer verbunden mit demErinnern. So musste dies zum Inhalt, zur Aufgabeseines neu gewonnenen Lebens werden. Und ankeinem anderen Ort so nötig, so unaufgebbar wiein Deutschland.Zu dieser Aufgabe und Verantwortung, die OttoSchwerdt damals übernommen hat, gehörte baldnoch etwas anderes: die Mitwirkung bei der An-knüpfung eines neuen, von unendlichen Hypothe-ken und Schulden belasteten Dialogs zwischenChristen und Juden. Was das gerade auch in Re-gensburg mit seiner besonderen Geschichte desAntisemitismus im christlichen Gewande bedeutethat und noch bedeutet, bedarf in diesem Kreis kei-ner eingehenden Begründung. Mögen die Archäo-logen in Regensburg, gegen manche anfänglicheWiderstände, ihr Werk getan haben, wir alle wer-den noch lange zu tun haben, Wurzeln undSchichten des christlichen Antisemitismus bloß-zulegen und aus unserem Denken, Lehren undPredigen zu tilgen. Otto Schwerdt und allen seinenMitstreiterinnen und Mitstreitern in der JüdischenGemeinde - und ich nenne stellvertretend für alleden verstorbenen Kantor Leo Hermann s. A. undHans Rosengold - gilt auch in dieser Stunde unseraller Dank dafür, wie sie uns bei dieser Aufgabenicht allein gelassen, sondern mit uns diesen Weggegangen sind. Zu den wichtigsten und ermuti-

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    gendsten Erinnerungen an meine eigene Zeit hierin Regensburg gehören für immer die Stunden desgemeinsamen Gebetes und des gemeinsamen Ge-denkens zusammen mit unseren jüdischen Freun-den, sei es in der Synagoge oder in einer unsererKirchen. Als wir am 8. Mai 1995 in der Minoriten-kirche des 50. Jahrestages des Kriegsendes und derBefreiung gedachten, da war das Schofarblasenvon Rabbiner David Goldberg das Zeichen einesNeuanfangs in der Begegnung von Juden undChristen dieser Stadt - eines Neuanfangs, an demMenschen wie Otto Schwerdt entscheidend mitge-wirkt haben.Es bleibt mir abschließend an jenes vorläufig letzteKapitel im öffentlichen Wirken Otto Schwerdts zuerinnern, das den Auslobern unseres Preises wohlin ganz besonderer Weise vor Augen stand. 1998hat Otto Schwerdt gemeinsam mit seiner TochterMascha Schwerdt-Schneller die Erinnerung an denLeidensweg seiner Familie unter dem Titel: "AlsGott und die Welt schliefen" niedergeschrieben.Wie schwer ihm dieser so schmerzliche wie heil-same Prozess des Erinnerns gefallen ist: wir kön-nen es nur ahnen, er selbst hat es immer wiederangedeutet. Wahrscheinlich hat er dabei zuerst anseine Kinder und Enkel gedacht. Sein Buch solltezu einem bleibenden Gedenkstein werden für seinein Auschwitz ermordete Mutter Eti, für seine eben-falls in Auschwitz ermordeten Geschwister Metaund Siegfried und für all die anderen Freunde undVerwandten, die ebenso keine Grabstätte gefundenhatten. Aber zugleich wollte und sollte dieser Bandnoch etwas anderes sein: ein Zeugnis und Mahn-mal gegen das Vergessen in unserer Gesellschaft -gegen ein Vergessen, das immer schon den Brand-satz für neue Gewalt und neues Unrecht in sichträgt. So ist dieses Buch, anders als so mancheErinnerungsliteratur, zugleich und vor allem zueiner Einladung geworden - einer Einladung anseine Leser und zumal an seine jungen Leser zumGespräch, zur Diskussion, zum gemeinsamenNachdenken über das, was hier erinnert wird. Mehrnoch zum Nachdenken darüber, welche verpflich-tenden Konsequenzen daraus zu ziehen sind fürunser Handeln hier und heute.So hat sich Otto Schwerdt der Mühe und oft genugder seelischen Strapaze unterzogen, auf ungezähl-ten Veranstaltungen aus seinem Buch zu lesen undsich dem Gespräch zu stellen: in Kirchen und inBildungswerken, vor Soldaten und in besondererWeise immer neu vor Schülern. So viele Veran-staltungen - und doch fern aller Routine, weil jedeeinzelne Lesung von ihm hohen inneren Einsatzverlangt: die Bereitschaft, sich dem eigenenSchmerz der Erinnerung zu stellen; den Mut, gegen

    Vorurteile und Gleichgültigkeit zu kämpfen unddie Hoffnung und das Vertrauen, daß aus solchemErinnern Neues für unser Land, für unsere Demo-kratie entstehen kann.Dafür danken wir Dir Otto Schwerdt mit diesemPreis und in den Dank an Dich wollen wir nach-drücklich Deine Frau Gela und Deine Familie mit-einbeziehen, die Deine Bemühungen stetig begle i-tet und mitgetragen haben.Diese Preisverleihung findet nach dem Willen derAuslober am Vorabend des 20. Juli statt. Zur sel-ben Stunde, da wir hier versammelt sind, ehrt inder Staatsbibliothek zu Berlin der jüdische Histori-ker Clemens Klemperer die Männer und Frauendes deutschen Widerstandes, gemeint sind alle,auch die vielen Namenlosen, die sich dem Zeitgeistmutig widersetzten. Wie könnten wir ihr Andenkenbesser ehren als so, dass wir auch heute Einspruchgegen alles Unrecht, gegen allen Ungeist wagen,so wie es Otto Schwerdt uns zeigt und lebt.Dafür wollen wir ihm jetzt in großer Freude undDankbarkeit den Preis für Zivilcourage der Inter-nationalen Katholischen Friedensbewegung PaxChristi überreichen.

    Reinhard von Loewenich

    Dankesrede von Otto Schwerdt

    Lieber Reinhard von Loewenich, ich danke Dir fürDeine Rede. Sie war toll.

    Sehr verehrte Damen und Herren!

    Es ist eine große Ehre für mich, dass ich heute denvon pax christi erstmals gestifteten Preis für Zi-vilcourage entgegen nehmen darf.Es freut mich auch sehr, dass pax christi einenPreis für Zivilcourage und gegen das Vergessenverleiht. Das macht Mut.

    Wenn man bedenkt, dass wir in einem katholischenBildungswerk sind, ein evangelischer Dekan dieLaudatio hält und ein Jude geehrt wird. MeineFreunde – ich bin zu tiefst bewegt.

    Ich danke Ihnen allen – den Stiftern des Preises,meinen Fürsprechern, der Jury und nicht zuletztallen, die heute Abend hier her gekommen sind,um mit mir diesen Ehrentag zu feiern. Mit derVerleihung dieses Preises zeigen Sie mir, dass ichden richtigen Weg gehe – wenn ich den Dialog mitden Menschen und vor allem mit der Jugend suche– wenn ich berichte von meinem Schicksal und

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    dem Schicksal meiner Familie in der Zeit bis 1945von den subtilen Mechanismen eines sich konsti-tuierenden diktatorischen Regimes bis zum Holo-caust. Oft höre ich – es muss endlich Schluß seinmit dem Erinnern, es ist doch alles schon so langeher. Doch ich sage nein! Es ist eine Pflicht gegen-über den Toten dem Vergessen entgegenzutreten,dem Vergessen der schrecklichen Leiden, die un-schuldige Menschen erfahren mussten, nur weil sieanders waren – eine andere Konfession, eine ande-re Hautfarbe, eine andere politische Auffassung.Ich empfinde diese Pflicht nicht nur gegenüber denToten, sondern auch gegenüber der heutigen Ge-sellschaft, vor allem gegenüber der jüngeren Gene-ration. Ich will nicht anklagen, nicht richten – ichwill, dass die Jugend begreift, wohin Intoleranzund Menschenverachtung führen. Auch wenn wiruns heute nicht vorstellen können, dass sich dieschrecklichen Verbrechen wiederholen, so gibt esdoch viele Fehlentwicklungen, denen man coura-giert entgegentreten muss. Ich wünsche mir, dassich dazu beitragen kann, dass die Menschen undvor allem die Jugend, Intoleranz und Menschen-verachtung erkennen – egal, in welchem Gewandsie daher kommen. Ich wünsche mir, dass sie Zi-vilcourage zeigen, z. B., wen sich ausländerfeindli-che Parolen breit machen, wenn Einzelne bedrängtwerden. Jede Gesellschaft, auch unsere ist auf Zi-vilcourage angewiesen.

    Es ist noch gar nicht so lange her, da konnte ichnicht auf fremde Menschen zugehen. Ich konnte

    nicht von mir, meinen persönlichen Empfindun-gen, meinen Ängsten, meinen Erlebnissen undErfahrungen erzählen. Ich bezeichne diese Zeit alsAbschnitt der Verdrängung. Das Verdrängen er-möglichte mir einen neue Blick auf das Leben. Indiesen Abschnitt fielen die Gründung der Familie,der Aufbau einer neuen Existenz und die Jahre derArbeit. Angst und tiefe Trauer, Ohnmacht ver-schloss ich tief in mir – so gut ich konnte.

    Erst im Alter – einem Lebensabschnitt, der schwie-rig und mit jedem Tag auf eine seltsame, oft trau-erbehaftete Art schwieriger wird – gelang es mir,mich zu öffnen. Erst im Alter, als der Alltag neustrukturiert wurde, fand ich den Mut, über dieschlimmste Zeit in meinem Leben zu reden und aufandere Menschen zuzugehen. Vor allem auf Ju-gendliche in den Schulen. Und es half mir. Heutebin ich auf dauerndes Verdrängen nicht mehr an-gewiesen. Heute kann ich anderen von meinenErfahrungen berichten. Ich freue mich, dass Ihnengerade dieser Aspekt bemerkenswert erscheint.

    Bevor ich mir zurecht legte, was ich Ihnen heutemitteilen wollte, sprach ich mit meiner TochterMascha. Ich fragte sie, was ich denn an solch ei-nem Abend herausstellen solle. „Sage das, was Duschon immer sagen wolltest“, antwortete sie mir!Ich folge ihrem Rat und sage danke – an meineFrau Gela, die mir jeden Tag beisteht und mich inmeiner Arbeit unterstützt – danke meiner ganzenFamilie, die mein Leben mitträgt und mich unter-stützt, wo immer es geht. Besonders dankenmöchte ich meiner Tochter Mascha, die mir half,meine Erlebnisse aufzuschreiben in dem Buch „AlsGott und die Welt schliefen“.

    Mein Dank gilt auch meinen Kollegen des Vor-standes, die mit Ihrer Arbeit vieles zur Versöhnungbeitragen. Ich möchte meine Dankesrede mit ei-nem Ausspruch des Herrn Bundespräsidenten a.D.Richard von Weizsäcker abschließen. Ich zitiere:„Wer aber vor der Vergangenheit die Augenverschließt, der wird blind für die Gegenwart. Wersich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, derwird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefah-ren.“

    Otto Schwerdt

    Weitere Informationen und Bilder zum „Preis fürZivilcourage“ finden Sie auf unseren Internet-Seiten: http://www.paxchristi-regensburg.de

    Otto Schwerdt

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    Ehemalige Zwangsarbeiter in Tsche-chien

    Etwa 14.000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsar-beiter wurden zwischen 1940 und 1945 aus ver-schiedenen europäischen Ländern nach Regens-burg verschleppt.Der Oberbürgermeister der Stadt Regensburg,Hans Schaidinger, hat versprochen, dass die StadtRegensburg alle ehemaligen Zwangsarbeiterinnenund Zwangsarbeiter, die noch reisefähig sind, nachRegensburg einladen wird.

    Auf Einladung der Stadt konnten nun Ende Mai alserste Gruppe Zwangsarbeiterinnen und Zwangsar-beiter aus der Ukraine Regensburg besuchen. Fol-gen sollen baldmöglichst ZwangsarbeiterInnen ausWeißrußland, aus Polen und der TschechischenRepublik. Viele der Betroffenen können aus ge-sundheitlichen Gründen leider nicht mehr nachRegensburg kommen, sehr viele sind bereits ver-storben. Für sie kommt die Geste der Stadt zu spät.Sie haben nicht mehr erfahren, dass Menschen inDeutschland an ihrem Schicksal Anteil nehmenwollen, dass ihr Leid nicht vergessen werden soll.

    Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten desNaziregimes (VVN) haben dankenswerterweise dieehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsar-beiter in der Tschechischen Republik angeschrie-ben, 26 von 38 der Angeschriebenen haben geant-wortet. Acht Personen möchten gerne nach Re-gensburg kommen, 13 sind aus gesundheitlichenGründen nicht mehr in der Lage zu reisen. Umgerade dieser Gruppe ein Zeichen unseres Interes-ses an ihrer leidvollen Geschichte zu vermitteln,hat pax christi - Regensburg zusammen mit derVVN begonnen, die Kranken und nicht mehr reise-fähigen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiterzu besuchen.Frau Luise Gutmann, Frau Jitka Voith, unsereDolmetscherin, Herr Willi Ostler und ich, Elisa-beth Reinwald, starteten am Dienstag, den 5. Juniunser Besuchsprogramm in Prag. Leider war seitunserer Anfrage schon wieder einer der Zwangsar-beiter, den wir besuchen wollten, verstorben. Vonallen Frauen und Männern sind wir freundlich undvertrauensvoll empfangen worden. Unsere anfäng-liche Unsicherheit und Beklommenheit wich sehrschnell bei selbst gebackenen Kuchen, Kaffee undfreundlichen Worten. Herr Luks, Frau Chavadova,Herr Svaton, Herr Smisek, 6 Zwangsarbeiter undeine Zwangsarbeiterin erzählten uns ihre Erinne-rungen an die Zeit in Regensburg. Wieder einmal

    staunten wir, mit welch perfekter Logistik die Na-tionalsozialisten ihre Wirtschafts- und Kriegsinter-essen auf Kosten von jungen Menschen aus denNachbarländern durchgesetzt haben. Junge Frauenund Männer eines ganzen Jahrganges (1921) hattensich bei der deutschen Besatzung zu melden undwurden dann in Viehwaggons abtransportiert. InRegensburg mussten sie bei der Reichsbahn, beiMesserschmitt, bei den Kalkwerken, in der Land-wirtschaft und sogar am Theater unter schwerstenBedingungen arbeiten. Es war ihnen strengstensverboten, mit der Zivilbevölkerung Kontakt aufzu-nehmen. Kontakte zu Kriegsgefangenen, die mitihnen Sklavenarbeit leisteten waren ebenso verbo-ten. Bei Zuwiderhandlungen wurden die Betroffe-nen von der Gestapo verhört und in der „Augu-stenburg“ über Monate hinweg isoliert.

    Wir wussten natürlich, dass ZwangsarbeiterInnenfast durchweg in primitiven Baracken unterge-bracht wurden, unter der schlechten Verpflegungund unter den menschenverachtenden Unterdrük-kungsmethoden des Wachpersonals zu leiden hat-ten. Wir wussten, dass sie unter der psychischenund physischen Belastung krank wurden und fernvon ihren Familien starben. Aus der Literatur wa-ren uns diese Fakten bekannt. Doch nun bekamdieses Leid einen Namen und ein Gesicht bei unse-ren Besuchen in der tschechischen Republik. DieAngst vor der Gestapo, die Angst vor den Bomben,denen sie in Regensburg schutzlos ausgeliefertwaren haben Herr Hovlovice, Herr Chovanec, HerrSmisek und viele mehr durchlitten. Nicht irgende i-ne Gruppe von anonymen Menschen, sondernMenschen, die wir in diesen Tagen kennen gelernthaben, haben diese leidvolle Jugend erlebt. Und sieleiden zum Teil noch heute unter der Erinnerungan diese Zeit. Schwer tragen sie an ihrem Schick-sal, damals in einem Land gelebt zu haben, das vonden Nationalsozialisten versklavt und ausgebeutetwurde. Bei ihrer Rückkehr, nach Beendigung desKrieges erwartete sie meist wiederum Entbehrungund berufliche und wirtschaftliche Benachteili-gung. Im Westen dagegen profitierten die Men-schen bald von dem schnell wachsenden Wohl-stand, den sie, die ZwangsarbeiterInnen, währenddes Krieges durch ihre Arbeit grundgelegt hatten.Doch keine Vorwürfe oder Schuldzuweisungenhörten wir in den Häusern der ehemaligenZwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Ganz inGegenteil, mit Dankbarkeit und Freundlichkeitwurden wir beschenkt, weil wir sie besuchten,ihnen zuhörten, uns für ihre Lebensgeschichteinteressierten. Und jeder Abschied von diesenFrauen und Männern war mit der Wehmut verbun-

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    den, dass wir ihnen nur ein wenig Zeit und einekleine Geste der Versöhnung für das an ihnen be-gangene Unrecht bringen konnten.

    Im Laufe der nächsten Monate wollen wir diezweite Gruppe von Zwangsarbeitern besuchen, dieim Süden der Tschechischen Republik wohnen undnicht mehr reisefähig sind. Bei der Stadtverwal-tung und Herrn Oberbürgermeister Schaidingerwerden wir uns dafür einsetzen, dass alle reisefähi-gen Tschechischen Zwangsarbeiterinnen undZwangsarbeiter nach Regensburg eingeladen wer-den. Durch die engagierte Vorarbeit von LuiseGutmann sind im Vorfeld schon viele notwendigeInformationen eingeholt worden, so dass die Ein-ladung sehr schnell erfolgen könnte. Für die Fahrt-kosten und die darüber hinaus notwendigen Mittelhat pax christi -Regensburg Mittel beim Versöh-nungsfond der katholischen Bischofskonferenzbeantragt. Anfang Juli erhielten wir einen positivenBescheid. Allerdings müssen wir ein Viertel derbeantragten Mittel an Selbstbeteiligung einbringen.So wenden wir uns wiedereinmal mit der Bitte umSpenden an Sie, unsere Mitglieder, Freundinnenund Freunde. Wir danken Ihnen, dass Sie immerwieder bereit sind unsere Aktivitäten zu unterstüt-zen. So gehen wir mit Ihrer Hilfe immer wiederSchritte der Verständigung, der Versöhnung, desFriedens.

    Elisabeth Reinwald

    Spenden erbitten wir auf das Konto von pax christiNr. 1167464 bei der Liga – Bank Regensburg(BLZ 750 903 00) unter dem Stichwort „Zwangs-arbeit“. Herzlichen Dank!

    Geschichte bekommt ein Gesicht -Besuch in Weißrußland bei ehemali-gen Regensburger Zwangsarbeitern( Teil 2 )

    Im November des letzten Jahres habe ich dreizehnehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsar-beiter in Weißrußland besucht, die in Regensburgin den Jahren 1942 bis 1945 Sklavenarbeit leistenmußten. In den nächsten Tagen schickt die StadtRegensburg Briefe an die betreffenden belarussi-schen Bürgerinnen und Bürger, in denen sie ein-geladen werden, eine Woche in der Stadt zu ver-

    bringen, wo sie einstmals soviel erdulden mußten.Viele Regensburger hoffen, daß die Hochbetagtender Einladung folgen und sich auf den weiten Wegmachen werden, weil das, was sie hier hauptsäch-lich auch jungen Menschen über ihre Jahre inRegensburg erzählen, mit verhindern kann, daß soetwas in Deutschland wieder geschieht. - An dieserStelle möchte ich jetzt noch abschließend die Ge-schichte von Jekaterina Jushanina Zenowjewnaerzählen, d. h. erzählen wird Frau Jekaterina selbst,ich versuche, mich so eng wie möglich an dieÜbersetzung der Dolmetscherin zu halten.

    Jekaterina war 16 Jahre alt, als sie nach Deutsch-land deportiert wurde. Geboren wurde sie in demkleinen Dorf Perezij, ca. 30 km von Minsk ent-fernt. Das Haus ihrer Familie war von den Faschi-sten verbrannt worden. Jekaterina hatte eine Stellein einer Sowchose, wo Braunkohle im Tagebaugewonnen wurde. Der Leiter dieser Sowchose hat,sagt Frau Jushanina, auch für die Faschisten gear-beitet. Am 26./27. Januar 1943 wurden alle jungenArbeiter versammelt und in einen Raum einge-schlossen. Sie mußten dort drei Tage warten, da-nach wurden sie durch Polen von Lager zu Lagertransportiert. Diese Lager "bestanden aus Bodenund Dach, weiter war da nichts". Die Suppe, diesie tagtäglich bekamen, war "Wasser mit Gras"."Sie haben uns nichts gesagt, und wir haben immergeweint". Abends wurden ihnen beim Waschen dieKleider weggenommen und die Tür abgeschlossen:"Da haben wir gedacht, daß wir verbrannt wer-den". Wenn sie dann am nächsten Morgen leben-dig wieder herauskamen stellten sie fest: "Na gut,wieder einen Tag überlebt." - Jekaterinas Mutter,der Vater war 1932 gestorben, hatte in Minsk ver-sucht, ihre Tochter vor der Deportation zu retten.Sie hatte 15 goldene Münzen: Fünf gab sie demPriester, zehn dem deutschen Offizier - der sagte:"Zu wenig". Da ging die Mutter die dreißig Kilo-meter unverrichteter Dinge wieder in ihr Dorf zu-rück. - Drei Wochen dauerte der schlimme Trans-port durch Polen. In Regensburg angekommen,wurde sie von dem Bauer Michael Sperl aus Kall-münz "ausgesucht". Jekaterina wollte nicht vonihrer Freundin Marija Sinjaska Petrowna getrenntwerden: "Wir sind Schwestern" hatte sie behauptet,der unterschiedliche Name käme daher, daß sievon zwei verschiedenen Vätern abstammten. Ma-rija, die keiner haben wollte, weil sie so klein war,ist dann zu einem Nachbarn von Michael Sperlgekommen, der eine Mühle hatte, an einem Fluß(Anm.: der Naab). Die beiden Mädchen sind dann,barfuß (die warme Kleidung hatten sie im Lagergelassen, weil sie gedacht hatten, daß sie sie nicht

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    brauchen) hinter Sperl hergegangen, der auf demFahrrad vorweg fuhr und jeweils auf sie wartete.Der Nachbar war mit dem Auto gefahren, hatte sieaber nicht mitgenommen. Es war ein langer Weg,und die Füße haben geschmerzt. Zu Haus bei Sperlist Jekaterina ohnmächtig geworden - vor Hungerund Schwäche. Sie fand sich in einem Bett wieder- "keine Ahnung wie". Der Arzt wurde gerufen, ersagte: "Du mußt wieder nach Hause", da ist sieerschrocken: "Nach Hause bedeutet wieder dieLager". Dann bekam sie ein gekochtes Ei und Pfef-ferminztee. Sie war die ganze Nacht sehr aufge-regt: "Ich werde hier arbeiten". - Theresa Sperl, dieFrau von Michael, hat viel gearbeitet, sagt FrauJushanina, da war Jekaterina so etwas wie Mutte-rersatz für den kleinen sechsjährigen Sohn, derauch Michael hieß. Sie sagt: "Da haben sich zweiKinder gefunden". Michael hat geweint, als Jekate-rina nach dem Krieg wegging. "Michael war ein soschönes Kind, mit glänzenden Augen". Frau Jus-hanina hat ihr erstes Kind Michael genannt. - Je-katerina schlief in einem Zimmer (für die Knech-te). Vor dem Fenster war ein Gitter, es gab keinelektrisches Licht. Auf dem Sperl-Hof waren 5Kühe, 2 Kälber, Ochsen - keine Pferde. Ein biß-chen Wald war dabei, und sie holten sich die Streuaus dem Wald - für Jekaterina war das ungewöhn-lich. Sie haben Beeren gesammelt. Michael Sperlwar der Wagner des Dorfes. In der Bäckerei wurdeMehl abgeliefert, dafür bekam man Brot: "Allesauf Vertrauen". Die Semmeln, so Jekaterina, warenlecker. Sie hat immer beim Kartoffelknödelmachengeholfen. Gegessen hat sie mit der Familie - Jeka-terina kann den Anfang des Vaterunsers noch aus-wendig. Zweimal ist sie mit Theresa Sperl in die"polnische", d.h. katholische Kirche gegangen.Theresa Sperl hat Jekaterina immer gemahnt: "Paßauf die jungen Männer auf, sonst wird deine Mut-ter mir das nicht verzeihen". Jekaterina sagt: "The-resa hat mich erzogen" und: "Ich habe in Kallmünznur gute Leute getroffen". Sie weint - "Hauptsache,daß so ein Krieg nie wieder kommt".

    PS: Michael Sperl, der nicht mehr in Kallmünzwohnt, kann sich an Jekaterina noch erinnern.Wenn Frau Jushanina von der Gemeinde Kallmünzeingeladen werden würde, möchte er sie gern wie-dersehen. Frau Jekaterina hat drei Kinder: Micha-el, Anna, Natalie und fünf Enkelkinder.

    Anke Janssen.

    Embryonale Stammzellforschung:Wo beginnt die Menschenwürde?Gedanken zur Bioethikdebatte

    1. EinführungSie ist derzeit in aller Munde: die Bioethikdebatte.Die Emotionalität der Diskussionen in einer stei-genden Anzahl von Gremien macht deutlich, wieviele Erwartungen, Hoffnungen, aber auch Ängstedie neuen Methoden und Möglichkeiten im „Jahrder Lebenswissenschaften 2001“ hervorrufen. DerDiskurs hat längst das rein naturwissenschaftlicheTerrain unter Fachleuten verlassen. Inzwischengeht es um einen öffentlichen Konflikt über dieGrenzen der Forschung, die zentrale Frage, wo dieWürde des Menschen beginnt und nicht zuletztauch um ökonomische Gesichtspunkte, also darum,ob es für den Wirtschaftsstandort Deutschlandvertretbar ist, sich aus einem möglicherweise lu-krativen Bereich der Fortschrittstechnologie ausethischen Gründen herauszuhalten.

    Im März 2001 hat auch die Deutsche Bischofskon-ferenz in ihrem Wort „Der Mensch: Sein eigenerSchöpfer?“ zu Fragen von Gentechnik und Biome-dizin Stellung bezogen. Die katholischen Bischöfemachen darin deutlich, dass wissenschaftliche For-schung auf jeder Stufe von wachsamer ethischerReflexion begleitet sein müsse. Es komme auf eineRechtfertigung der Ziele, ein Prüfen der Mittel undeine Abschätzung der Folgen an. Im Zentrum stehedabei die Frage, wie die neuen Möglichkeiten zumganzheitlichen Wohl des Menschen genutzt wer-den könnten und wie ihr Missbrauch wirksam zuverhindern sei. Die Natur sei nicht unantastbar, siekönne vom Menschen gestaltet werden. Das Lebenselbst jedoch sei der Verfügbarkeit entzogen unddie Menschenwürde komme allen Menschen -unabhängig von der Einschätzung anderer oderihrer eigenen Selbsteinschätzung zu.

    Angesichts der Flut von Informationen über dasFür und Wider der Stammzellforschung ist es fürLaien und Fachleute oft schwierig, sich eine eigeneMeinung zu bilden. Im folgenden möchte ich ver-suchen, einige ethische Gesichtspunkte der vie l-schichtigen Diskussion herauszugreifen und inihren Facetten darzustellen – natürlich ohne An-spruch auf Vollständigkeit. Zunächst aber ein kle i-ner Exkurs in die medizinischen Hintergründe derDebatte, damit die Positionen klar werden.

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    2. Was sind Stammzellen?Die traditionelle Bedeutung des Begriffs „Stamm-zelle“ meint Zellen, die eine ausgeprägte Vermeh-rungsfähigkeit aufweisen und sich potentiell in alleoder unterschiedlich viele der 216 verschiedenenGewebsarten des menschlichen Körpers entwik-keln können. Sie befinden sich in einem noch un-reifen Stadium im Gegensatz zu den „somatischenZellen“, die ausgereift sind und hochspezialisierteFunktionen im Körper übernehmen (z.B. Leber-oder Herzmuskelzellen). Abhängig vom Entwick-lungsstadium bzw. Alter des Organismus und demGrad ihrer Spezialisierung werden Stammzellen inverschiedene Gruppen unterteilt:

    2.1. „Alleskönner“ (= totipotente embryonaleStammzellen), d.h. aus jeder einzelnen Zellekönnte sich theoretisch noch ein ganzer Embryoentwickeln; diese Fähigkeit hält ca. bis zum drit-ten/vierten Entwicklungstag an.

    2.2. „Sehrvielkönner“ (= pluripotent), ab Tag 4a) Pluripotente embryonale Stammzellen: bis zumEnde der sog. Embryonalperiode (9. Entwick-lungswoche). Um diesen Zelltyp geht es in derRegel, wenn in der Debatte von „embryonalenStammzellen“ die Rede ist. Eine Entnahme dieserZellen erfolgt etwa ab dem 200-Zellstadium (Tag5-7) und geht mit der Zerstörung des Embryo ein-her. Für eine spätere Anwendung (z.B. um denErsatz eines bestimmten Gewebes zu ermögli-chen), müssen die Stammzellen zunächst vermehrtund anschließend ihre Ausdifferenzierung in einebestimmte Richtung bewusst gesteuert werden. Fürden ersten Schritt scheinen die rasch wachsendenembryonalen Zellen besonders gut geeignet, überdie Mechanismen, die eine Spezialisierung herbe i-führen, ist bislang jedoch wenig bekannt.b) Pluripotente fetale Stammzellen: Ab Beginndes dritten Monats bezeichnet man den Embryo biszur Geburt als Fetus. Aus ihm lassen sich innerhalbeines engen Entwicklungsfensters (meist bis zur11. Woche) Vorläuferzellen von Ei- und Samen-zellen (= embryonale Keimzellen) gewinnen, dieebenfalls in hohem Maße die Fähigkeit besitzen,sich zu vermehren und auszudifferenzieren. Diederzeit etablierten fetalen Stammzellinien wurdenFeten nach frühen Schwangerschaftsabbrüchenentnommen.c) Pluripotente Stammzellen im Nabelschurblut:Eine Besonderheit stellt das Nabelschnurblut dar.Hier findet sich neben adulten Stammzellen (s.u.)noch ein relativ hoher Anteil an pluripotenten fe-talen Stammzellen. Diese Zellen lassen sich ver-gleichsweise einfach unmittelbar nach der Geburt

    aus der Plazenta und Nabelschnur gewinnen, dieansonsten verworfen werden. Da die Menge nichtsehr groß ist, müssen die Stammzellen mit geeig-neten Techniken vermehrt (derzeit noch schwierig)und dann beispielsweise in Blutbanken konserviertbzw. in Stammzellinien überführt werden.

    2.3. „Vielkönner“ (multipotent)Die sogenannten adulten (= erwachsenen) Stamm-zellen besitzen eine zentrale Funktion im Organis-mus ab der Geburt, da sie absterbende oder ver-letzte Zellen in den verschiedenen Geweben erset-zen. Ein Teil der adulten Stammzellarten lässt sichsehr einfach – allerdings meist nur in geringenMengen - aus dem Blut oder Knochenmark einesMenschen gewinnen. Die Identifizierung undVermehrung in Kultur stößt teilweise auf Schwie-rigkeiten.

    2.4. Mit zunehmendem Wissen verwischen dieGrenzenKomplizierend kommen nun neueste Forschungs-ergebnisse hinzu, die zeigen, dass differenziertereStammzellarten (also „Sehrvielkönner“ oder„Vielkönner“) und in einigen Fällen sogar bereitshochspezialisierte Gewebezellen (z.B. Hirnzellenoder Herzmuskelzellen) mit Hilfe von Wachstums-faktoren und Hormonen sozusagen de-programmiert und so in ein früheres Reifestadiumzurückversetzt werden können. Auf diese Weisegewinnen sie wieder die Fähigkeit, sich in andereGewebezelltypen umzuwandeln.Aus Sicht der medizinischen Forschung bieten dieStammzellen ein reichhaltiges und vielverspre-chendes Untersuchungsfeld. Die Frage, ob es not-wendig sei, auf embryonale Stammzellen zurück-zugreifen, oder ob es nicht ausreiche, fetale oderadulte Stammzellen einzusetzen, ist jedoch auchunter Wissenschaftlern und Medizinern umstritten.Zudem wird inzwischen vermehrt auf gesundheit-liche Gefahren bei Verwendung embryonalerStammzellen hingewiesen (z.B. Abstoßungsreak-tionen bei Verwendung von embryonalen Stamm-zellen als Ersatzgewebe, Auslösung von Tumorenbei fehlerhafter Ausdifferenzierung). Auf einegenauere Darstellung dieser Gesichtspunktemöchte ich an dieser Stelle verzichten.

    3. Ethische, soziale und rechtliche Aspekte derDebatte

    3.1. Die Gegensätze sind schwer zu vereinbarenWährend die Gewinnung und Verwendung adulterund fetaler Stammzellen nur wenige Kritiker aufden Plan ruft, erhitzen die embryonalen Stamm-

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    zellen die Gemüter. Die einen feiern sie als Hoff-nungsträger für die Medizin der Zukunft mit völligneuen Perspektiven vor allem für Patienten mitbisher unheilbaren Erkrankungen. Die anderensehen in ihrer Verwendung eine Attacke auf Ethikund Moral oder gar die Schöpfung.

    Die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) ar-gumentiert, dass die dargestellten Ziele der wissen-schaftlichen Forschung als solche nicht nur ethischund verfassungsrechtlich vertretbar, sondern ge-boten seien, denn die Verbesserung der medizini-schen Versorgung der Menschen sei eine Aufgabe,der die medizinische Forschung verpflichtet sei.

    Gegner der Verwendung embryonaler Stammzel-len werfen den Befürwortern jedoch vor, sie sätenbei Patientengruppen übertriebene Hoffnungen aufden baldigen therapeutischen Einsatz dieser Tech-niken. Solche Heilsversprechen seien nicht nurwissenschaftlich unseriös sondern zugleichunethisch. Hier würden mit der Verheißung even-tueller künftiger Möglichkeiten Tabubrüche be-gründet. Viele Gegner wenden sich v.a. gegen dieutilitaristische Sichtweise, die Embryonen quasi alsRecyclingobjekte auffasse und behaupte, dass dasLeben einiger weniger Minderbewerteter in einerfernen Zukunft einmal dem Wohle Vieler dienenkönne. Aus dieser Haltung heraus seien – geradeauch in der jüngeren deutschen Geschichte – selbstdie fürchterlichsten Menschenversuche ethischbegründet worden. Des weiteren sei völlig unver-ständlich, warum so viele Forscher es ablehnten,mit fetalen Zellen aus Schwangerschaftsabbrüchenzu arbeiten, denen ein vergleichbares Potential wieden embryonalen Stammzellen nachgesagt werde.Diese Kritiker wenden sich besonders heftig gegeneinen „therapeutischen Imperativ“, der da lautenkönnte: Wer embryonale Stammzellen nicht wolle,der wolle auch nicht helfen.

    Oft zitieren Skeptiker in der Debatte den Satz, dassmit der bloßen Einführung der künstlichen Be-fruchtung der Rubikon bereits überschritten wor-den sei (Anm.: „Überschreitung des Rubikon“ = inder Diskussion viel verwendete Metapher für dieVerletzung (ethischer) Grenzen; mit Caesars Über-gang über den Grenzfluß Rubikon zwischen Italienund Gallia cisalpina begann 49 v. Chr. der Bürger-krieg). Die Gegner der Stammzellforschung