Infektionen als Migrationsproblem

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Infektionen als Migrationsproblem Prof. Herwig Kollaritsch, MD, DTM Inst. of Specific Prophylaxis & Tropical Medicine Center for Pathophysiology, Infectiology and Immunology Medical University Vienna

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Infektionen als Migrationsproblem

Prof. Herwig Kollaritsch, MD, DTM

Inst. of Specific Prophylaxis & Tropical Medicine

Center for Pathophysiology, Infectiology and Immunology

Medical University Vienna

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Migranten

Derzeit schätzt man etwa 214 Millionen Migranten weltweit (United Nations, International Migrant Stock, revised, 2008)

Migranten machen rund 8,8% der europäischen Bevölkerung aus

Allein 2006 sind rund 3,5 Mio Menschen in die EU immigriert Davon rd. 40% aus anderen EU-Staaten

16% aus Asien, 15% von amerikanischen Kontinent, 13% aus Afrika

Zwischen 2010 und 2020 werden netto rund 20 Mio Migranten zusätzlich in die EU-27 kommen

Migranten und Migration verstärken die Netzwerke und den Austausch zwischen Ursprungsland und Zielland

Herm A.: epp.eurostatec.europa.eu; WHO, 2010; Suk et al, AmJPH, 11, 2069-2079, Nov.2011

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Zugewanderte Bevölkerung in % (2005)

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„Ausländeranteil“ in Österreich….

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Quelle: Migration_integration 2012; BMI

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Der Zugang zum Gesundheitssystem

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Migration und Infektion

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3 „key drivers“

für infektiologische Herausforderungen an Europa

Globalisierung und Umweltveränderungen

Klimaveränderungen ( z.B. FSME)

Reise und Tourismus ( z.B.Chikungunya in Italien 2007)

Migration ( z.B. Hepatitis A in Tschechien)

Globaler Handel ( z.B. EHEC in Deutschland)

Soziale und demografische Veränderungen

Ältere Bevökerungen andere „emerging infections“

Soziale Unausgeglichenheit benachteiligte Gruppen haben signifikant höheres Infektionsrisiko

Prävention und Behandlung Misstrauen ins Gesundheitssystem und in Präventionsprogramme (z.B. Impfprogramme)

Lebensstil riskante Verhaltensmuster (MSM)

Kapazitäten des Gesundheitssystems

EU-Gesundheitssysteme ungleiche Verteilungen, weniger Resourcen

Tiergesundheit und Lebensmittelsicherheit Zuchtprinzipien, Lebensmittelhygienevorschriften

R&D Defizite bezüglich Infektiologieforschung Antibiotika, Vakzinen

Surveillance und reporting oftmals Defizite in EU-Staaten (Österreich!)

Suk et al, AmJPH, 11, 2069-2079, Nov.2011

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Die 8 wichtigsten infektiologischen Herausforderungen

der Zukunft in Europa

1. Multiresistente bakterielle Erreger

2. Vektor-assoziierte Erkrankungen

3. Sexuell übertragene Erkrankungen

4. Nahrungsmittelassoziierte Erkrankungen

5. Rückkehr der impfpräventablen Erkrankungen

6. Nosokomiale Infektionen

7. Multiresistente Tuberkulose

8. Pandemische Influenza

Suk et al, AmJPH, 11, 2069-2079, Nov.2011

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Einige (prominente) Beispiele für Migrations- assoziierte

oder –propagierte Infektionen

Viren:

SARS/CoV

(Pandemische) Influenza

Dengue-Fieber

Chikungunya

West-Nil Fieber

Hepatitis A,B

HIV

Masern

Polio

Malaria

Bakterien

(resistente) Tuberkulose

EHEC

NDM1-tragende Bakterien

Typhus abdominalis

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Migration und Infektion: auch in Österreich nicht neu….

4.400 Gravide auf HBs-Antigen Prävalenz untzersucht (1978-1981)*

*)Sacher et al, WieKliWo 1983; 95 (13), 447-452, adaptiert

Österreicherinnen;

99,8%

0,2%

6,6%

Migrantinnen;

93,4%

HBsAg-neg

HbsAg-pos

Ratio: 33:1

HBs-Ag.pos. Ausländerinnen

aus YU,Philippinen, Türkei,

Rumänien

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Migration-mehrdimensional

Migrationstendenz von Infektionen kann von unterschiedlichen Vehikeln dominiert werden vom Erreger

vom Überträger

vom Wirt

Und in beide Richtungen erfolgen Zu „uns“ als importierte Infektion

• Exotische Infektionen wie Ebola, typ. Tropenkrankheiten wie Malaria, Erkrankungen der „armen Länder“ wie Tuberkulose

Von „uns“ weg als exportierte Infektion • Z.B FSME als lokaltyp. Infektion, AIDS als primäre Infektion bestimmter Gruppen

der Gesellschaft

Migration kann, aber muss nicht epidemiologisch relevant werden: Etablierung von „Infektketten“ im Gastland als Ausdruck der epidemiologischen Relevanz Nicht relevant: Malaria, Rickettsiosen, exotische Wurm- und

Protozoeninfekte; FSME

Relevant: Hepatitiden, Influenza, Masern, TB?, Chikungunya?, Dengue?

ACHTUNG: Migration bedeutet nicht nur Zuwanderung, sondern auch Bewegung migrierter Personen

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Migration- mehrdimensional

Der Erreger:

(Spontan-)mutation führt zur Empfänglichkeit des Menschen

Ausbreitung erfolgt (weitgehend) unkontrollierbar

Migration ist Voraussetzung für Ausbreitung

Beispiele:

SARS/CoV

Pandemische Influenza/H5N1/H7N9

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CHRONOLOGIE

16.11.2002: erste Fälle in Goangdong/China

10.3.2003: 18 HCW erkranken in Hongkong, Namensgebung SARS

24.3.2003: Wissenschafter aus Hongkong berichten die Isolierung eines neuen Coronavirus (RNA-Virus)

25.6.2003: letzter Fall der Epidemie,

Gesamtdauer des Ausbruchs damit rund 7 Monate

5.7.2003: Aufhebung der letzten Reisewarnungen

September 03: isolierter Einzelfall in Singapore

Dezember03/Jänner 04: weitere Einzelfälle, teils Laborinfektionen, teils Wildinfektionen

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Dimensionen

8.437 Fälle insgesamt

813 Tote

5327 / 349 Fälle davon in China

Singapore und Kanada (438 Fälle, 44 Tote) ausserhalb Chinas am stärksten betroffen Traditionelle Migrantendestinationen für Chinesen

In diesen Destinationen etablierten sich auch Infektketten (=regionale Weitergabe der Erreger NACH dem Import)

Die Infektion wurde fast ausschliesslich über Personen mit Migrationshintergrund verschleppt

Inzidenz bezogen auf Population in Ländern mit Infektkette: ca. 5,25x10-6

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…und plötzlich wieder:

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Neue SARS-Fälle

Zunächst Einzelfälle in Qatar

Ein cluster (Familie!) in Saudi Arabien mit 5 Fällen und sehr ähnlichen Charakterisitka zum „alten SARS“

2 Fälle in Jordanien

Ein Fall exportiert nach UK, dort zwei weitere Fälle im Haushalt

Das neue CoV ist weitschichtig verwandt mit dem „original-SARS“

Ist offenbar schwer von Mensch zu Mensch übertragbar

Konsequenz: CoV bleiben ein Problem (RNA-Viren, mutationsfreudig!!)

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Migration- mehrdimensional

Der Überträger:

Klimatische Veränderungen können neue Gebiete als geeignet erschliessen (Überträgerhabitate oft temperaturabhängig oder vegetationsabhängig)

Infrastrukturelle Probleme (z.B. Urbanisation) erlaubt Etablierung

Mutation macht neuen Überträger empfänglich, der in anderen Regionen lebt

Globaler Handel „transportiert“ den Erreger, der Mensch spielt als Vehikel keine Rolle

Beispiele:

Nahrungsmittel

• EHEC-Ausbruch in Deutschland

Arthropoden wie z.B Aedes albopictus

• West Nile Virus

• Dengue

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West Nile Virus

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West Nil Virus

Erste berichtete Epidemie in Israel in den 1950ern

Bald als eines der meist verbreiteten Flaviviren identifiziert

Vorkommen in Afrika, Westasien, Europa und dem Nahen

Osten

Wildlebende (Wasser)-Vögel sind die wichtigsten Überträger

und Zugvögel spielen eine entscheidende Rolle in der

Ausbreitung des Virus und der Wiedereinführung in die

nördlichen Breiten

1996: Epidemie in Rumänien; 450 Personen wurden

infiziert, 39 Todesfälle

1999: Ausbruch in New York, USA; ca. 8.200 Infektionen

mit 59 schweren Fällen von Encephalitis und aseptischer

Meningitis sowie 7 Todesfällen

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1999 2000

2002

2001

2003 2003 2004

West Nil Virus Ausbreitung in den USA (1999 – 2004)

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USA: Ein ständiges auf und ab…

0

1000

2000

3000

4000

5000

6000

7000

8000

9000

10000

20002001

20022003

20042005

20062007

20082009

20102011

2012

Fälle

www.cdc.gov/westnile

: per 18.12.2012

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Verbreitet durch virämische Vögel – Zugvögel

Virusvermehrung in unterschiedlichen Vogelarten

Internationale Reisetätigkeit

Vektoren unterschiedliche Stechmücken: Culex,

Mansonia

Ursachen für schnelle Ausbreitung:

Migration

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WNV – emerging disease in Europa in der Zukunft?

http://ecdc.europa.eu/en/healthtopics/west_nile_fever/Pages/index.aspx

2012: EU: bisher 312 Fälle (30.11.)

2012 z.B: GR: 161

I: 50

H: 12

RO:14

SRB: 70

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WNV in Europa

Zahlreiche Länder bereits mit konstant

steigenden Fallzahlen in den letzten Jahren

Österreich: erster Import 2012 aus Serbien

Bei Vögeln bereits Fälle beobachtet

0,5% von 1000 Blutspendern Antikörper

(ÖAZ vom 10.4.2012)

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Dengue-ein Flavivirus erobert die Welt

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Dengue weltweit

Bhatt et al., Nature, 2013

Page 31: Infektionen als Migrationsproblem

Dengue – epidemiologische Entwicklung

Bhatt et al., Nature, 2013

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*Eurosurveillance, Volume 15, Issue 39, 30 September 2010 Rapid

communications

Erstbeschreibung von 2 Fällen autochthonen Denguefiebers an der Cote d‘azur im September 2010

Eurosurveillance, Volume 15, Issue 40, 07 October 2010

Denguevirus Infektion bei einem Reisenden der aus Kroatien (Region Dubrovnik) nach Deutschland zurückkehrt

Eurosurveillance, Volume 16, Issue 9, 03 March 2011

Autochthones Dengue in Kroatien, August–September 2010

Eurosurveillance/promedMail:

Seit September 2012 insgesamt > 2000 autochthone Denguefälle in Madeira

Konsequenz: auch die Migration in EU-Europa kann infektionsepidemiologisch bedeutsam werden z.B.: Portugal-Finanzkrise-Arbeitslosigkeit-Migration in andere

EU-Länder

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Dengue in Madeira - Verlauf

Source: ECDC

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Dengue/ Europa 18.11.2012-18.2.2013

Dutzende Fälle

von Madeira

2012 nach

ganz Europa

exportiert:

UK: 23

D: 19

F: 3

FIN: 7

A: 2

einzelne Fälle in fast alle anderen europ.Länder

www.healthmap.org

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Globalisierte Nahrungsmittelindustrie:

Nahrungsmittel als „Migranten“

EHEC O104:H4 Ausbruch

Deutschland 2011

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EHEC O104:H4

Toxinproduzierende Colivariante

1.Shiga-like Toxin (neurotoxisch und nekrotisierend)

2.Toxin hat hämolysierende Eigenschaften

Kommen ubiqitär vor

Reservoir: Wiederkäuer

Übertragung: Kontamination der Lebensmittelkette mit

Fäkalkeimen, ev. direkt Tier-Mensch, Mensch-Mensch

Häufig in institutionalisierten Einrichtungen

Klassisch: fokale Ausbrüche

Walkerton CDN 2000: 2000 Fälle Trinkwasser,

Japan 1996: 9000 Fälle Rettichsprossen

USA 2006: 26 Bundesstaaten zuwenig gegarte Hamburger

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Eckdaten EHEC Ausbruch

Mai bis Juli 2011 Norddeutschland

Hamburg, Schleswig-Holstein, Bremen, Mecklenburg-

Vorpommern und Niedersachsen

855 Erkrankungen an HUS (hämolytisch-urämisches

Syndrom)

2987 Fälle von aktuer GE

35 (4,1%) der Patienten mit HUS verstorben

18 (0.6%) der Patienten mit GE verstorben

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EHEC O104:H4

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Infektionsvehikel

Frühzeitiger Verdacht auf Nahrungsmittel als Auslöser

Anfangs: Gurken, Tomaten, Blattsalate unter Verdacht

(„spanische Gurken“!!)

Dann Kantinenausbruch Frankfurt: Salathypothese

RKI: rezeptbasierte Restaurant-Kohortenstudie:

168 Teilnehmer mit Detailbefragung zu allen konsumierten

Nahrungsmitteln in Restaurants, Köche auch befragt,

Bestellbücher des Restaurantes ausgewertet

Multivariate Datenanalyse: Sprossen 14-fach erhöhtes Risiko

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Infektionsvehikel EHEC

Weitere Fallkontrollstudien folgen

Verdichteter Verdacht gegeben:

Importierte Sprossensamenmischungen, vornehmlich

• Bockshornklee- und Linsensamen

Vergleich mit Frankreich 2011/Juni: selbstgezogene

Sprossen aus ägyptischen Bockshornkleesamen (sogar

Chargennummer identifiziert: 48088 !)

Finale Identifikation als Infektionsvehikel

Page 41: Infektionen als Migrationsproblem

Migration- mehrdimensional

Der Wirt:

Personen aus endemischen Gebieten „verschleppen“ den

Erreger

In Gebiete, in denen derselbe früher endemisch war

Und (weitgehend) eliminiert wurde

Beispiele:

Polio

Masern

Hepatitis A

Saisonale Influenza

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Migration: der Wirt „Mensch“ als Vehikel, die Rolle

der VFR‘s („Visiting Friends and Relatives“

Page 43: Infektionen als Migrationsproblem

Migranten – vielschichtig und mehrere Generationen

Der „ursprüngliche“ Migrant

Kommt aus dem Ausland und lässt sich in Österreich nieder

Baut hier existentielle und familiäre Strukturen auf

Der in Österreich bereits lebende Migrant

Lebt und denkt „österreichisch“, vergisst aber seine Wurzeln

nicht

Besucht seine ursprüngliche Heimat in unregelmässigen

Abständen

Vermittelt seinen Kindern (2.Migrantengeneration) ebenfalls

diese Tradition

Und diese werden damit zu „VFR‘s“: visiting friends and

relatives in der „alten Heimat“ als spezielle Risikogruppe

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VFR‘s („visiting friends and relatives“)

VFRs gelten reisemedizinisch als DIE

Höchstrisikogruppe für reise-assoziierte

Krankheiten (nicht nur hinsichtlich

Infektionskrankheiten).

Das erhöhte Risiko der VFRs ergibt sich aus einer

oft überdurchschnittlichen Aufenthaltsdauer

einerseits, einer vom Standardtouristen

abweichenden Urlaubsgestaltung andererseits.

Das Risiko von VFRs unterscheidet sich erheblich

von jenem der Immigranten, Flüchtlingen,

Asylsuchenden oder auch Adoptivkindern.

Page 45: Infektionen als Migrationsproblem

Risikoparameter

Vom Standardtouristen abweichende und mit

einem höheren Risiko behaftete Parameter sind

u.a.:

Art der Unterkunft

Ernährung (inkl. Getränke)

Freizeitgestaltung

Enge des Kontaktes mit Einheimischen

Transportmittel

Page 46: Infektionen als Migrationsproblem

Probleme der Prävention

Das größte Problem ist mit Reisenden dieser

Personengruppe überhaupt in reisemedizinischen

Kontakt zu kommen.

VFRs vertrauen vielmehr auf Informationen aus dem

Freundes- und Familienkreis, vorallem aber auf die

eigene Erfahrung.

Selbst bei Basisverständnis für gewisse Verhaltensregeln

sind VFRs bei der Umsetzung häufig inkonsequent.

Bekanntermaßen nimmt aber die Adhärenz zu

Empfehlungen mit der Zeit ab (längere Reise =

Abnahme der Compliance).

Es ist auch zu berücksichtigen, dass auf VFRs im

Reiseland auch ein anderer sozialer Druck lastet,

gewisse Angebote schon aus Höflichkeit nicht abgelehnt

werden können.

Page 47: Infektionen als Migrationsproblem

VFR’s: Verhalten im Bezug auf Gesundheitsberatung

vor der Abreise und Hepatitits A Impfung

(Van Herck K et al., J. Travel Med 2004; 11: 3-8)

Lassen sich vor der Abreise gesundheitlich beraten

• Alle Antwortpersonen 52.1%

• Reisende aus religiösen Gründen 82.5%

• Touristen 60.9%

• VFR 31.4%

Sind gegen Hepatitis A geschützt

• Reisende aus religiösen Gründen 39.3%

• Touristen 25.6%

• Geschäftsreisende 18.5%

• VFR 10.9%

(Van Herck K et al., J. Travel Med 2004; 11: 3-8)

Page 48: Infektionen als Migrationsproblem

Beispiele für Fehleinschätzungen

Vertrauen auf Immunität („Malaria habe ich ja

mehrfach gehabt – kein Problem“): die relative

Immunität gegen Malaria schwindet innerhalb

einiger Monate

Kurzfristige Veränderungen der Epidemiologie

werden nicht wahrgenommen („bin ja dort

großgeworden“): Beispiele: Bali – Tollwut,

Reunion – Chikungunya, Paraguay – Gelbfieber,

Venezuela – Chagas, …und das klassische

Beispiel der „re-emerging disease“:

Page 49: Infektionen als Migrationsproblem

Konsequenzen für die Betroffenen

VFRs erkranken häufiger (selbst bei Erkrankung

während der Reise erfolgen Diagnostik und gezielte

Therapie erst nach Rückkunft).

VFRs nehmen (evtl.) erst in einem

fortgeschrittenen Erkrankungsstadium Kontakt auf

– Möglichkeit von Spätschäden.

VFRs haben auch eine höhere Wahrscheinlichkeit

an seltenen Infektionen zu erkranken – meist

verzögerte Diagnosestellung, manchmal

Krankheiten, die nicht / schwer zu therapieren

sind.

J Travel Med. 2011 Nov;18(6):373-8. doi: 10.1111/j.1708-8305.2011.00556.x. Epub 2011 Oct 12.

Cases of Malaria, Hepatitis A, and Typhoid Fever Among VFRs, Quebec (Canada).

Bui YG, Trépanier S, Milord F, Blackburn M, Provost S, Gagnon S.

Page 50: Infektionen als Migrationsproblem

Konsequenzen für das Gastland

Häufigere Krankheiten bedeutet Mehrkosten durch

Diagnostik und Therapie.

Verspätete Kontaktaufnahme bedeutet einerseits

Mehrkosten durch komplikative Verläufe, andererseits bei

kontagiösen Erkrankungen ein erhebliches Streupotential

(damit Gefährdung der heimischen Bevölkerung, Mehrkosten

durch Surveillance/Quarantäne und Prophylaxe/Behandlung

bei/von Kontaktpersonen).

Seltene Krankheiten bedingen einen hohen diagnostischen

Aufwand, der Zugang zu Medikamenten kann schwierig, die

Therapie teuer und nebenwirkungsreich sein.

Travel Med Infect Dis. 2011 Jul;9(4):206-12. Epub 2011 Jun 1.

Epidemiology, antibiotic resistance trends and the cost of enteric fever in East London, 2005-2010.

Reddy S, Rangaiah J, Addiman S, Wareham D, Wilson P, Sefton A.

Page 51: Infektionen als Migrationsproblem

FAZIT

VFRs haben ein besonderes Augenmerk und eine

besondere Fürsorge verdient.

Ein primär höherer (finanzieller) Aufwand ist

gerechtfertigt und von beiderseitigem (Reisender und

Gastland) Nutzen.

Das Hauptinteresse muss der Vorsorge gelten, Risiken

sollten unmissverständlich kommuniziert werden: den

Reisenden muss klar sein, dass sie der Höchstrisikogruppe

angehören.

Im Erkrankungsfall ist eine frühzeitige Diagnose und eine

kompetente Therapie anzustreben.

Page 52: Infektionen als Migrationsproblem

Polio: nicht ausrottbar infolge Migration?

Page 53: Infektionen als Migrationsproblem
Page 54: Infektionen als Migrationsproblem

Polio outbreak in Tajikistan

23 Apr 2010

The World Health Organisation (WHO) Regional Office for Europe

has confirmed an outbreak of poliomyelitis in Tajikistan, a country

that has been polio-free since 2002 and where the last indigenous

cases were reported in 1998.

Cases are mainly reported from districts bordering Afghanistan

and Uzbekistan. As of 3 September 2010, 456 cases of acute

flaccid paralysis (AFP), including 20 deaths*, have been reported.

* 4 Säuglinge, 8 1-5-Jährige, 6 6-14-Jährige, 2 älter als 15 Jahre

Page 55: Infektionen als Migrationsproblem

Migration: der Wirt „Mensch“ als Vehikel

Beispiel Hepatitis A

als typisches Migranten- und VFR Risiko

Page 56: Infektionen als Migrationsproblem

Geographical distribution of

hepatitis A, 2000

CDC, Travelers’ health: yellow book, 2007

HAV- antibody

prevalence

High

Intermediate

Low

Page 57: Infektionen als Migrationsproblem

Hepatitis A in der EU: allgemeiner Trend

Bessere Abwasserentsorgung

Bessere Trinkwasserversorgung

Strengere Lebensmittelhygiene

Höherer Lebensstandard

Seltenere Exposition im

Kleinkindesalter

Seltenerer Erwerb einer

natürlichen Immunität

Zunahme der Population

nichtimmuner Jugendlicher

Höheres Risiko für

Kleinepidemien

Schwerere klinische Verläufe

1996: 15,1x10-5

2006: 3,9x10-5

Payne L CD., Eurosurv.2009

Page 58: Infektionen als Migrationsproblem

Regional prevalence of Hepatitis A in Turkey (Ceyhan et al J.Vir.Hep. 2008)

Zielort v.Touristen

Zielort v. VFR‘s

Page 59: Infektionen als Migrationsproblem

Hepatitis A among Danish travellers 1980-2007 (Nielsen US et al, J.Infection 2009)

Risk ratio: VFR:tourists=600:1

Page 60: Infektionen als Migrationsproblem

Konsequenzen?

Page 61: Infektionen als Migrationsproblem

Outbreaks of Hepatitis A: Czech Republic, 2008 (J Cástková, Eurosurveillance, 2009)

2003-2007: ~ 153 cs/yr

2008: 1616 cs (10,6x 10-5)

Family outbreaks: 382 (23,6%)

Age 25-34 yrs: 393 (24,3%)

Page 62: Infektionen als Migrationsproblem

Schlussfolgerungen und Ausblick

Migration ist als Schlüsselthema für Infektionsepidemiologie

des 21.Jh mittlerweile etabliert

Integration von Migranten umfasst besondere

(sozial)medizinische Aspekte

Lücken im surveillance System füllen

Daten systematisch erfassen und auswerten

Migrantengesundheit schlüssig monitorieren

Zugang zum Gesundheitssystem für Migranten erleichtern

HCW‘s auf Bedürfnisse dieser speziellen Personengruppe

trainieren

Kulturelle und gender Sensitivitäten beachten

Politische Rahmenbedingungen schaffen

Migrantensensitive legale Rahmenbedingungen schaffen

Migrantengesundheit in Gesundheitsstrategien einbinden

Page 63: Infektionen als Migrationsproblem

Die europäische Union wird ab 2015 von der

regelmässigen Zuwanderung von Migranten

wirtschaftlich abhängig sein.

The 2009 Ageing Report.

Brussels: European Commission 2009

Page 64: Infektionen als Migrationsproblem

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!