IN PLAUE BESTEIGEN...Kilo Äpfeln befüllt. Unser Lohn: mehrere Flaschen Obstsaft, Quittengelee und...

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ausprobiert Mit dem Bungalow- Boot kann man auf der Havel ankern, wo es einem gefällt.

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ausprobiert

Mit dem Bungalow-

Boot kann man auf

der Havel ankern,

wo es einem gefällt.

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E X P E R I M E N T : G E L D L O S R E I S E N

OHNE EURO DURCH

DIE MARKALL INCLUSIVE KANN JEDER. ABER URLAUB OHNE

GELD? WAS TOM UND HUCK AUF DEM MISSISSIPPI

HINBEKOMMEN HABEN, SOLLTE AUF DER HAVEL

DOCH AUCH ZU MACHEN SEIN. LEINEN LOS!

TEXT: DORO UND RAINER GOTTWALD FOTOS: RAINER GOTTWALD

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ausprobiert

UNSER BUNGALOW-BOOT

HAT ZWEI SCHLAFZIMMER,

WOHNKÜCHE, DUSCHE

UND SCHIFFSTOILETTE.

DAS TRINKWASSER FIL-

TERN WIR SELBST.

W ir können euch gerne was lei-hen ...“, sagen Freunde, als wir ihnen unsere Pläne für

die Herbstferien präsentieren: So wie Tom und Huck auf dem Mississippi wollen wir mit einem Hausboot auf der Havel durch Brandenburg schippern. Ohne einen ein-zigen Cent. Wir, das sind Doro, Rainer und unsere zwölf Jahre alte Tochter Greta. Und ja – es geht uns gut und wir machen das freiwillig. Unsere Reise ist ein Ferienex-periment: tauschen, Musik machen und arbeiten gegen Lebensmittel. Das abso-lute Gegenteil von Urlaub „all inclusive“. IN PLAUE BESTEIGEN wir das ge-buchte „BunBo“, das Bungalow-Boot. Unse-res ist sonnengelb, hat zwei Schlafzimmer, Wohnküche, Dusche und Schiffstoilette und ist sehr gemütlich. Gas zum Kochen, Benzin zum Fahren, Wasser zum Waschen und Holz zum Heizen sind gebunkert. Unser Vorrat: 30 Flaschen Trinkwasser, Salz, Pfef-fer, Tee und Olivenöl. Also praktisch nichts. Greta macht sich Sorgen: „Ich wachse und muss dauernd essen.“ Da hat sie recht. Wir versprechen ihr noch einmal: „Jeder

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Im Mondlicht auf der Boots-

veranda Erbsensuppe löffeln

– was gibt es Besseres?

Der „Blues vom letzten

Dollar“ bringt nicht nur

Applaus, sondern auch

einen Topf Suppe ein.

Nach einem Frühstückskonzert im Café Hofladen starten wir versorgt mit Eiern, Mehl, Äpfeln und Zwiebeln unsere Fahrt quer über den Plauer See. Es ist ein goldener Okto-bertag, blauer Himmel, ein lauer Wind weht. Urlaubsgefühle kommen auf. Wenn Greta nicht gerade in der Hängematte liegt, dem schönsten Platz an Bord, darf sie auch mal lenken. Sobald wir ankern, werfen wir die Angel aus. Hier soll es reichlich Fische geben. Aber keiner beißt an. Wir essen die restliche Erbsensuppe und Zwiebelpfannkuchen dazu. Tee kochen wir mit dem Wasser, das wir mit dem Mikrofilter aus dem See ziehen. UNSERE ROUTE verläuft einmal quer durch Brandenburg an der Havel und dann immer weiter die Beetzseenkette hinauf. Das sind miteinander verbundene Seen aus der letzten Eiszeit. Es wird immer einsamer, aber nicht stiller, denn Wildgänse und Kra-

darf jederzeit abbrechen.“ Greta entspannt sich. Unser Experiment startet. Leinen los! WIR BRUMMEN per 15-PS-Außenbor-der havelaufwärts zum Plauer See. Die Havel ist ein ruhiger Fluss. Auf ihren 330 Kilometern von der Mecklenburgischen Seenplatte bis zur Elbe mäandert sie durch eine Seen- und Flusslandschaft mit Bibern, Bisamratten, Eisvögeln und Wie-sen voller Wildgänse und Kraniche. Hin und wieder taucht ein verträumtes Dorf backbord oder steuerbord auf. Auf der alten Plauer Havelbrücke wird heute ein Fest gefeiert. Wir legen an und erzählen den verwunderten Leuten von unserem Ferienplan. Mit Erfolg: Va-ter und Tochter spielen auf dem Saxo-phon den „Bottom Dollar Blues“ und den „Blues vom letzten Dollar“. Am Ende gibt’s viel Applaus und einen Topf voll Suppe. In der Dämmerung finden wir einen idyllischen Ankerplatz zwischen Wildgänsen und Schilf. Dann sitzen wir im Halbmondlicht auf der Bootsterras-se und löffeln stolz und glücklich wie nie die beste Erbsensuppe aller Zeiten.

BEVOR ES DUNKEL WIRD, MÜSSEN WIR EINEN

GUTEN ANKERPLATZ FÜR DIE NACHT FINDEN.

UND ETWAS ZU ESSEN!

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ausprobiert

niche leisten uns zunehmend auf und über dem Wasser Gesell- schaft. Wir ankern möglichst nah am Ufer und waten mit hochge-

krempelten Hosen an Land. Dort erwarten uns schnurgerade Allee- straßen und ostelbische Dörfer wie aus Filmkulissen. In Brielow

helfen wir Bauer Matthias Lau bei der Buschbohnenernte und las-sen uns dafür im Hofladen in Naturalien auszahlen: Spreewaldgur-

ken, Leberwurst, Pflaumen, Kartoffeln, Zwiebeln, Paprika, zwei Kür-bisse. Vom Feld dürfen wir uns reife Wassermelonen mitnehmen. In

der Bäckerei tauschen wir eine stylisch bedruckte Stofftasche gegen Brot und mit der Edeka-Chefin ein Blumenbild gegen Kaffee, Sahne und Milch.

EINEN TAG UND EINEN SEE weiter in Ketzür: Kai Brass fährt uns zusam-men mit geschätzten 10 Millionen Obstfliegen zu einer Streuobstwiese. Hier sollen wir die reifen Äpfel von den knorrigen Bäumen schütteln und aufsammeln. Wir stau-nen über unsere Tochter, die einfach so mitmacht, trotz Brennesseln, trotz Nackt-schnecken, trotz Pubertät. Nach zwei Stunden sind zehn Kisten mit insgesamt 200 Kilo Äpfeln befüllt. Unser Lohn: mehrere Flaschen Obstsaft, Quittengelee und Sirup.

Der nächste Morgen, der nächste See, das nächste Dorf: Päwesin. Im buddhistischen Kloster dürfen wir „den Wald fegen“. Wir kehren im Garten unter den Walnussbäumen das Laub zusammen und essen dafür zusammen mit den freundlichen Nonnen und Mönchen zu Mittag. Es gibt Kartoffelsuppe mit Bockwurst. Aha, nicht alle Bud-dhisten sind Vegetarier. Abends sitzen wir auf unserem Boot bei

Im buddhistischen Kloster

in Päwesin fühlt man

sich fast ein bisschen wie

mitten in Thailand.

IM KLOSTER GIBT ES KARTOFFEL­

SUPPE MIT BOCKWURST. UND WIR

LERNEN: NICHT ALLE BUDDHISTEN

SIND VEGETARIER . . .

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INFO

DAS „BUNBO“ ist ein schwimmendes Ferien-

haus in drei verschiedenen Größen für vier bis sechs

Personen. Nach einer Einweisung kann jedermann

ohne Führerschein die Gewässer Brandenburgs be-

fahren. Preise je nach Saison und Größe zwischen

635 und 1240 Euro pro Woche, Gas und Endreini-

gung inklusive. Es gibt auch eine barrierefreie Bun-

Bo-Ausführung. Fahrräder, Kanu oder Kajak können

dazugebucht werden. www.bunbo.de

ANGELN Brandenburg verlangt als einziges

Bundesland in Deutschland keinen Angelschein,

solange man Friedfische fangen möchte. Es genügt

der Erwerb einer Angelkarte vor Ort, beispielsweise

beim Einchecken an der Marina in Plaue.

TIPP 2015 findet entlang der unteren Havel die

Bundesgartenschau 2015 statt. „Bugaloo“, der offizi-

elle Obstsaft der BUGA, wurde in der Mosterei von

Kai Brass gesaftet. www.buga-2015-havelregion.de

Kartoffeln und Bohnensalat, staunen über unsere Genügsamkeit und freuen uns über den Mond überm Wasser. Plötzlich springt Greta auf: Ein Fisch zappelt an der Angel! Unser erster. Und einziger. Aber wir sind satt. Der Zander hat Glück und ist frei. Uns geht es ganz genauso. AM LETZTEN ABEND unserer Reise ohne Geld ankern wir auf dem Breitlingsee vor der Kanincheninsel. Draußen regnet es. Wir sitzen drinnen am warmen Ofen. Aus den Vorräten kochen wir Reibekuchen mit Apfelmus. Dazu gibt’s heißen „Havel-Tee“. Wir unterhalten uns über die Erleb-nisse der letzten Tage. Mit dem Wetter und dem Hausboot hatten wir Glück. Das tolls-te aber waren die Brandenburger: Sie sind uns mit Offenheit und Großzügigkeit be-gegnet. „Ich habe schon bessere Ferien ge-macht“, sagt Greta. „Aber es war ganz okay.“ Am nächsten Morgen schippern wir zurück nach Plaue. Wir kommen von einer Weltrei-se heim. Mit Gänsehaut. Wildgänsehaut. n

Bungalow-Boot, Fahrrad,

Hängematte – was braucht

eine Familie mehr für einen

gelungenen Urlaub?

MIT DEM HAUSBOOT AUF DER HAVEL

Bungalow-Boot,

Fahrrad und Hänge-

matte – was brau-

chen Mama, Papa

und Tochter mehr

für einen gelungenen

Heimaturlaub?