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Ida Lamp Trauer und soziales Netz Netzwerkkarte und Genogramm als Instrumente für Trauerberatung und Trauerpastoral Abschlussarbeit des Weiterbildungsstudiums „Psychosoziale Beratung in unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern und Organisationen“ an der FernUni Hagen in Zusammen- arbeit mit der KFH Nordrhein sowie der DGVT Seite 1 von 78

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Ida Lamp

Trauer und soziales Netz

Netzwerkkarte und Genogramm als Instrumente für Trauerberatung und Trauerpastoral

Abschlussarbeit 

des Weiterbildungsstudiums „Psychosoziale Beratung in unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern und Organisationen“ an der FernUni Hagen in Zusammen­arbeit mit der KFH Nordrhein sowie der DGVT

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Abschlussarbeit vorgelegt von 

Diplom­Theologin Ida LampCollenbachstraße 124D­40476 DüsseldorfTelefon 0211 480425Fax 0211 480506E­Mail Ida.Lamp@t­online.de

Die Arbeit wurde unter Zurhilfenahme der im Literaturverzeichnis angegebenen Quellen selbständig erstellt.

Düsseldorf, 20.08.2002

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Gliederung

1 Einleitung

2 Trauer – eine Einführung in deren Verständnis für den Kontext psychosozia­ler Begleitung und Beratung

2.1 Trauer – ein kurzer Abriss zu deren Verständnis2.1.1  Trauertheorien2.1.2 Trauerreaktionen und Einflussfaktoren auf die Trauer2.1.3 Zum gegenwärtigen Stand der Diskussion: Traueraufgaben­Konzep­

te

2.2 Begleitung und Beratung – Unterstützung im Trauerprozess2.2.1 Trauerbegleitung – Eine Einführung2.2.2 Trauerbegleitung als Feld ehrenamtlicher Tätigkeit2.2.3  Trauer­ oder Hinterbliebenenberatung2.2.4  Begleitung und Beratung im Trauerprozess – eine seelsorgliche Tä­

tigkeit

3 Das Modell „Trauer erschließen“ von Ruthmarijke Smeding

3.1 Beschreibung des Modells „Trauer erschließen“3.1.1 Allgemeine Einführung3.1.2 Die Fortbildung „Trauer erschließen“3.1.3 Grundannahmen des Modells „Trauer erschließen“3.1.4 Die Gezeiten des Modells

3.1.4.1 Januszeit – Einstieg: Schleusenzeit3.1.4.2 Labyrinthzeit3.1.4.3 Regenbogenzeit

3.1.5 Zur Bedeutung des Modells 

3.2 Vergleich des Modells „Trauer erschließen“ mit dem Frechener Modell zur Qualifizierung Ehrenamtlicher zur Trauerbegleitung3.2.1  Einführung3.2.2  Skizze des Modells3.2.3  Kritische und vergleichende Anmerkungen

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4 Genogramm und Netzwerkkarte – Integration von Instrumenten psychosozia­ler Arbeit in die Trauerpastoral

4.1 Trauer und soziales Netz4.1.1 Das soziale Netz4.1.2 Der Tod und das soziale Netz4.1.3 Familie und soziales Netz als Trauersystem(e)

4.2 Das Genogramm4.2.1  Einführung in die Genogramm­Arbeit4.2.2  Das Genogramm als Analyse­ und Dokumentations­Instrument in 

der Hospizarbeit4.2.3  Das Trauergenogramm

4.3 Soziales Netzwerk und Verlusterfahrungen 4.3.1 Netzwerkorientierung in der Trauerberatung 4.3.2 TrauerbegleiterInnen/TrauerberaterInnen und das soziale Netz4.3.3 Ein Beispiel aus der Praxis

Exkurs: Das „soziale Sonnensystem“ – eine Abwandlung der Netzwerkkarte

5 Netzwerkkarte und Genogramm – einige grundsätzliche Gedanken zur Bedeu­tung dieser Methoden in Trauerberatung und Trauerpastoral 

6  Literatur

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1 Einleitung

Im Franziskus­Hospiz Hochdahl bin ich seit drei Jahren als Seelsorgerin angestellt und zu­ständig für Trauerbegleitung.1 Das Franziskus­Hospiz beschäftigt keine Sozialpädagogin. So fallen neben originär seelsorglichen Funktionen (Gebet, Rituale, Gespräch) auch psy­chosoziale beratende Aufgaben in mein Tätigkeitsfeld. (Dass ich Seelsorge auch als Bera­tung verstehe, dazu unten mehr). Ich begleite Trauerprozesse, die mit der tödlichen Erkrankung und dem Sterben einherge­hen, erlebe aufbrechende „Resttrauer“ bei Patienten und ihnen Nahestehenden von zeitlich länger oder kürzer zurückliegenden Verlusterfahrungen. Wenn ich von Trauerbegleitung spreche, meine ich jedoch akzentuiert die Trauer der Hinterbliebenen nach dem Verlust an den Tod. In diesem Kontext begleite ich einerseits den Abschied von einem Verstorbenen rituell – in Form von Abschiedsfeiern am Sterbebett, Trauerfeiern und Bestattungen, Jahr­gedächtnisfeiern und ähnlichem. (Und damit gehen selbstverständlich Informations­ und Entlastungsgespräche einher.) Andererseits begleite und berate ich Trauernde in Einzelge­sprächen und Trauergruppen und biete Selbsterfahrungsräume für die ehren­ und haupt­amtlichen MitarbeiterInnen des Hospizes an. Zudem entwickle ich derzeit mit einer Kolle­gin einer anderen Hospizinitiative ein Qualifizierungskonzept für Ehrenamtliche, um Hos­pizhelferinnen und ­helfer regelhaft in die Trauerbegleitung einbeziehen zu können. 

Mit der vorliegenden Arbeit, die sowohl Abschlussarbeit des Weiterbildungsstudiums „Psychosoziale Beratung in unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern und Organisationen“ an der FernUni Hagen in Zusammenarbeit mit der Katholischen Fachhochschule Nordrhein sowie der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT) als auch der Weiterbil­dung „Trauer erschließen“ bei Dr. Ruthmarijke Smeding ist, will ich zwei methodische Ansätze psychosozialer Beratung, nämlich die Netzwerkkarte und das Genogramm, für den Bereich der Trauerberatung/Trauerpastoral erschließen. 

Zunächst erläutere ich Aspekte von Trauer, Trauerberatung und Trauerbegleitung und ver­suche, anhand der Vermittlung und Differenzierung von (sozialpädagogisch­)beratendem und seelsorglichem Handeln in der Begleitung und Beratung Trauernder mein Berufsprofil als für Trauerbegleitung zuständige Seelsorgerin im Hospiz näher zu bestimmen (2).

Dann stelle ich das Modell „Trauer erschließen“ der niederländischen Erziehungswissen­schaftlerin Dr. Ruthmarijke Smeding dar, durch das ich wesentliche Anregungen für das Verständnis von Trauer und Trauerbegleitung und die Zusammenarbeit unterschiedlicher Professionen und mit Ehrenamtlichen im Feld der Trauerbegleitung erhalten habe. Dieses Modell vergleiche ich – skizzenhaft – mit einem anderen, veröffentlichten Modell zur Qua­lifizierung Ehrenamtlicher zur Trauerbegleitung, der Frechener Schulung für Hospizhelfer und ­helferinnen (3). 

1 Zur Hospizarbeit siehe: Lamp 2001.

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Im folgenden stelle ich dann die beiden Methoden Genogramm und Netzwerkkarte – im Kontext systemischen Denkens und spezifisch in der Arbeit mit Trauernden bzw. im Blick auf Verlusterfahrungen, auch mit konkreten Praxisbeispielen, dar (4).

Abschließend trage ich einige Gedanken zur Bedeutung dieser beiden Methoden für die seelsorgliche Praxis der Trauerbegleitung vor und resümiere den Einsatz von Genogramm und Netzwerkkarte in einigen Thesen (5).

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2 Trauer, Trauerbegleitung und ­beratung – eine Einführung

2.1 Trauer – ein kurzer Abriss zu deren Verständnis

„... meine Seele konnte nicht leben ohne ihn ... / Vom Schmerz darüber ward es  finster in meinem Herzen, und was ich ansah, war alles nur Tod ... alles, was ich  

gemeinsam mit ihm erlebt hatte, war ohne ihn verwandelt zu grenzenloser  Pein. ... Und ich haßte alles, weil es ihn nicht barg ... Ich war mir selbst zur  

großen Frage geworden, und ich nahm meine Seele ins Verhör, warum sie trau­rig sei und mich so sehr verstöre, und sie wußte mir nichts zu sagen. ... / Einzig  

das Weinen war mir süß ...“Augustinus 

(Kirchenlehrer, Bischof, 5. Jahrhundert, über die Erfahrungen mit dem Tod sei­nes Freundes, Augustinus 1980, S. 150­153)

„Trauer“ ist ein schillernder Begriff. Etymologisch kommt das Wort aus dem Althochdeut­schen. „Truren“ bedeutet: die Augen senken. Trauer, so sagt es das Brockhaus­Lexikon, ist „das schmerzliche Inne­Werden eines Verlustes von Personen oder Sachen, zu denen ein Sinn­Bezug bestand“2. Aber auch der Abschied von einem Tier – weder Person noch Sa­che! – und die Abschiede von bestimmten Lebens­ oder Entwicklungsabschnitten oder der Verlust körperlicher Unversehrtheit können mit Trauer einhergehen. Diese Komplexität bestimmt bis heute das Verständnis (und Unverständnis) von Trauer. Mehr und mehr kommt in den Blick, dass Differenzierung not tut, wenn wir Trauerprozesse hilfreich be­gleiten wollen: Einen anderen unwiederbringlich an den Tod zu verlieren löst andere Pro­zesse und Fragestellungen aus als ein Verlust aufgrund von Scheidung und Trennung mit­ten im Leben. Die Abschiede, die sich durch Alterungsprozesse oder Krankheit lebensge­schichtlich für einen Menschen ergeben, lösen bei diesem andere Trauer(prozesse) aus, als diejenigen erleben, die diese Prozesse miterleben und begleiten. Die Trauer der Angehöri­gen in der Zeit der Krankheit, die unabänderlich auf den Tod hinausläuft – die Zeit des Ab­schieds –, nimmt – nach unseren bisherigen Erkenntnissen – die Zeit der Trauer nach dem erfolgten endgültigen Abschied, dem Tod, nicht einfach vorweg; sie ist anders, hat einen eigenen Charakter. 

Trauer im Kontext dieser Arbeit richtet den Blick auf Hinterbliebenentrauer. Dabei bleibt jedoch festzustellen, dass sich andere, gleichzeitige und frühere Verluste auf die Trauer nach dem unwiederbringlichen Verlust an den Tod in vielfältiger Weise auswirken können.

2.1.1 Trauertheorien

2 dtv­Brockhaus­Lexikon 1989, S.273.

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Die erste psychologische Trauertheorie geht auf den Psychiater und Psychoanalytiker Sig­mund Freud (1856­1939) zurück.3 Trauer beschreibt er (1917) als innerpsychische Hand­lung des Selbst, als ambivalente Reaktion auf den Verlust eines geliebten Menschen oder anderer gefühlsbesetzter Objekte – als Hin­ und Hergerissensein also zwischen realisti­scher Wahrnehmung des Verlustes und dem Widerstand dagegen. „Der Verlust ist über­wunden, wenn das verlorene Objekt nirgends mehr unwillkürlich erwartet wird und wenn auch die Vorstellung und Erinnerung an das Objekt keinen T.effekt [Trauereffekt, I.L.], keine Tränen mehr auslöst.“4 Freud vertritt in diesem Aufsatz die Auffassung: „Die Trauer hat eine ganz bestimmte psychische Aufgabe zu erledigen, sie soll die Erinnerungen und Erwartungen der Überlebenden von den Toten ablösen.“ Freuds Verständnis von Trauer wirkt bis heute für Hinterbliebenentrauer nach, obwohl Freud seine Theorie gar nicht auf den Verlust einer verstorbenen Bezugsperson angewandt hat. In einem Brief an seinen Freund Ludwig Binswanger schreibt er selbst nach dem Tod seiner Tochter, dass die Trauer kein Ende kennt; wörtlich: „Man weiß, dass die akute Trau­er nach einem solchen Verlust ablaufen wird, aber man wird ungetröstet bleiben, nie einen Ersatz finden. Alles, was an die Stelle rückt – und wenn es sie auch ganz ausfüllen sollte –, bleibt doch etwas anderes. Und eigentlich ist es recht so. Das ist die einzige Art, die Liebe fortzusetzen.“5 

Auf psychoanalytischer Grundlage entstanden Konzepte, Trauer zu systematisieren: zu­nächst vor allem unterschiedliche Stufen­ und Phasenmodelle6, die den komplexen Trauer­prozess beschreiben und für die Praxis der Begleitung und Therapie „handhabbar“ machen wollten. Dabei wurden die gleichförmigen Aspekte, die man an Trauerprozessen ablesen kann, betont, die individuellen Aspekte jedoch völlig vernachlässigt.7 Problematisch daran ist vor allem, dass die Phasen­ und Stufenmodelle in ihrer Adaption vorwiegend als vorge­schriebene, zwangsläufige Abläufe verstanden wurden; Abweichungen werden dann schnell als „pathologisch“ gewertet. Phasenbeschreibungen machten die Trauernden zu passiv Erleidenden. Bei Phasen­ und Stufenmodellen wird zudem immer von einem End­zustand ausgegangen, den es zu erreichen gilt. Die Zuschreibung von Phasen als „Diagno­seinstrument“ ist wissenschaftlich nicht abgesichert. Und wo die Diagnose unklar ist, 

3 Freud 1981.4 Toman 1987, Spalte 2351.5 Freud & Binswanger 1992. Was Freud schreibt, entspricht den Untersuchungen zu Bindungstheorien: Die endgültige Ablösung vom Toten, wie sie gefordert wurde, geschieht bei vielen Trauernden nie. (vgl. Klass, Silverman & Nickman 1996; Klass 2000; Dennis Klass, Phyllis R. Silvermann & Steven L. Nickman 2001)6 1969 veröffentlichte Elisabeth Kübler­Ross ihr erstes Buch On Death and Dying (deutsch: Interviews mit Sterbenden, Stuttgart­Berlin 1969) und brachte damit die Themen Sterben, Tod und Trauer verstärkt ins öf­fentliche Bewusstsein. Ihr dort vorgestelltes Phasenmodell für den Sterbeprozess übertrug sie auf alle Erleb­nisse, die mit Trauer zu tun haben; dargestellt in Veröffentlichungen wie: Kübler­Ross 1989. Kübler­Ross 1990, S. 96­97. Die Trauer des Sterbenden im Sterbeprozess sollte demnach ähnlich zum Trauerprozess des Hinterbliebenen verlaufen, was jedoch in keiner Forschung bestätigt werden konnte. Weitere vier­phasige Modelle: Spiegel (1972); Bowlby (englisch: 1980, deutsch: 1983), Kast (1982; 1983).7 vgl. Jerneizig, Langenmayr & Schubert 1991, S. 25.

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bleibt auch die ‚Intervention‘, also die helfende, unterstützende und – hoffentlich – hei­lungsfördernde8 Maßnahme ungewiß.

Umfassende Forschung und Literatur zu Trauer gab es zunächst vorwiegend im anglo­amerikanischen Sprachraum.9 Für den deutschsprachigen Raum hat der Theologe Yorick Spiegel Anfang der 1970er Jahre erstmals „eine integrative Aufarbeitung des bereits vor­liegenden Materials ... zur Theorie der Trauer, zum Trauerprozeß, zur Bewältigung der Trauer und zur therapeutischen Beratung von Trauernden“10 vorgelegt. Er integrierte For­schungsansätze aus Psychoanalyse, Psychiatrie, Psychologie, Soziologie und Theologie, blieb aber bei einem linearen Verlauf von Trauerprozessen. Ethnologische, medizinische, kulturanthropologische Aspekte spielen keine Rolle in seinem Werk. 

2.1.2  Trauerreaktionen und Einflussfaktoren auf die Trauer

Man versuchte Trauer zunächst vor allem über die Beschreibung von Reaktionen auf Ver­lusterfahrungen zu erfassen.11 In den Forschungen zur Hinterbliebenentrauer wurden bis vor zwei Jahrzehnten gezielt die Trauerreaktionen im ersten Jahr nach dem Verlust un­tersucht und die typischen Muster der Trauer – als individuelle, psychische Phänomene – beschrieben und systematisiert. Diese Forschungen fanden vorwiegend mit Trauernden statt, die sich in klinischer Behandlung befanden, erfassten also zunächst Trauer, die mit der teilweisen oder vollständigen Handlungsunfähigkeit des Trauernden oder auch mit Sui­zidgefahr einher ging. Solche Trauer wird heute – mit aller Vorsicht – als „erschwerte“, „komplizierte“ oder auch „pathologische“ Trauer bezeichnet.12 Andere, alltägliche Hinter­8 Heilung wird hier nicht als Gegenstück zu Krankheit verstanden, sondern im Sinne von heil, ganz, inte­griert, lebensvoll sein.9 Z. B. der Psychiater Eric Lindemann beschrieb 1944 in Amerika zum ersten Mal beobachtbare Trauerreak­tionen, die heute jedoch eher dem posttraumatischen Stresssyndrom (Posttraumatic Stress Disorder – PTSD) zugeordnet werden (Lindemann 1944, S. 141).In England beschäftigte sich der Psychiater John Bowlby in den 1960er Jahren mit Verlust und Trauer im Kindesalter, fokussiert auf die bindungstheoretischen Aspekte. Bowlby und sein Kollege Colin Muray Par­kes, dessen Schwerpunkt die Bindungstheorien in bezug auf die Trauerforschung waren, entwickelten ge­meinsam ein Phasenmodell der „normalen“ Trauer. Auch der englische Anthropologe Geoffrey Gorer (1965) entwickelte auf Grund seiner Forschungen ein „Drei­Stufen­Modell“ der Trauer. Die australische Psychoana­lytikerin Beverly Raphael hat einen vier­stufigen Trauerprozess entworfen (New York 1983); sie wurde be­kannt durch ihre Analysen zu familiären Mustern, die als Folge von Verlusterfahrungen entstehen.10 Spiegel 1995, S. 11­12. Eine kurze Darstellung: Spiegel 1972, S. 1­14.11 Man spricht von Reaktionen, Symptomen, Phänomenen oder Konstrukten der Trauer, wobei deutlich mal mehr auf individuelle, körperliche Symptome, mal mehr auf soziale Phänomene, mal mehr auf Wechselwir­kungen von individuellen psychischen Reaktionen und sozialen bzw. kulturellen Gegebenheiten geschaut wird. 12 Die Begrifflichkeiten sind sehr vielfältig. Man spricht von pathologischer Trauerverarbeitung, von er­schwerter Trauer, behinderter Trauer, problematischer Trauer, chronischer Trauer, gehemmter oder verhin­derter Trauer u.a.m. Oftmals werden durch die Begrifflichkeit bestimmte Aspekte des Trauerverhaltens oder der Trauerursache besonders hervorgehoben. Kulminierende Trauer meint beispielsweise, dass nicht nur die 

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bliebenentrauer von Menschen, die mit dem Verlust eines anderen „gut“ zurechtkommen, oder die Trauer derer, die sich in Selbsthilfegruppen Unterstützung für den Trauerweg su­chen, kam zunächst nicht in den Blick. 

Spätere Untersuchungen konnten zeigen, dass die Mehrzahl der Menschen, die einen ande­ren an den Tod verlieren, diesen Verlust eigenständig – innerhalb ihres sozialen Netzes – verarbeiten und gut ohne (professionelle) Hilfe zurechtkommen. 

Forschung und praktische Arbeit mit „normal“ Trauernden ließen – in unterschiedlicher In­tensität und nicht unbedingt in allen Aspekten – ebenfalls Trauerphänomene beobachten, die emotionale, psychische, kognitive, physische, soziale und spirituelle Anteile haben, die ihrerseits zudem kulturell geprägt sind. Für den amerikanischen Psychologen William Worden gehören zur „normalen“ Trauer immer heftige Emotionen, wie Traurigkeit, Schockzustände, Ärger, Schuldgefühle und Selbstvorwürfe, Ängste, Einsamkeit, Erschöp­fung, Hilflosigkeit, Sehnsucht, aber auch Befreiung und Erleichterung. Er beschreibt als ty­pische Trauerreaktionen auch starke körperliche Symptome (z.B. Leeregefühl im Magen, Engegefühl in der Brust und Kehle, Atemlosigkeit) sowie geistige Auswirkungen (wie Verwirrung, gedankliche Beschäftigung mit dem Toten, ein Gefühl der Anwesenheit des Toten, Halluzinationen). Schlaf­ und Appetitstörungen, zerstreutes und geistesabwesendes Verhalten, sozialer Rückzug, Träume vom Verstorbenen und vieles andere mehr sind ty­pisch für verändertes Verhalten von Trauernden.13 Der Psychologe Michael Goldberger fasst die Symptome, die von Trauernden gezeigt werden, in drei Kategorien zusammen: Psychischer Zustand (Denken und Fühlen), Verhalten und physischer Zustand (körperliche Symptome und Beschwerden).14

Die Symptome sind jedoch nicht eindeutig, sondern können durchaus gegenteilig auftreten intrapersonal wie interpersonal betrachtet, wie z. B. Überaktivität bei dem einen und An­triebsarmut bei einem anderen Trauernden oder Gewichtsverlust einerseits und Zunahme des Gewichtes andererseits oder Hungergefühle im einen Moment und im nächsten Appe­titlosigkeit. Die Fülle und Vielfältigkeit der Symptome erleben Trauernde oft als bedrohlich, und nicht selten äußern sie die Sorge, verrückt zu werden. 

Diese Erkenntnisse über Trauerreaktionen relativierten die Vorstellungen über „pathologi­sche Trauer“ einschneidend. Die ausgesprochen große Bandbreite normaler Trauerreaktio­nen macht deutlich, dass Begleitung und Beratung Trauernder ein breites Wissen erfordert, um Trauer eben nicht vorschnell in den Bereich von Krankheit zu drängen und damit Trau­erbegleitung und ­beratung zur „Behandlung“ zu machen.

Trauer über den aktuellen Verlust einbricht ins Leben eines Menschen, sondern dass auch alte Trauerge­schichten, auch solche, die nicht mit dem Tod eines Menschen, sondern z.B. mit Trennungen oder ganz ande­ren Verlusten zu tun haben, aufbrechen und sich um die aktuelle Trauer wie ein Ring legen. 13 Worden 1999, S. 28­44; vgl. Smith 1991, S. 55.14 Vgl. Goldberger 1991, S. 8­13.

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Neben „normalen“ Trauerreaktionen oder ­symptomen wurden besonders die Einflussfak­toren erforscht, die einen „normalen“ Trauerprozess stören. Der Psychiater Colin Muray Parkes und der Soziologe Robert S. Weiss ermittelten 1966­69 in der „Harvard Bereave­ment Study“15 (aufgrund von Studien in London und Boston) die Todesursache als größten Einflussfaktor auf die Trauer der LebenspartnerInnen. Es ist anzunehmen, dass das auch für andere Hinterbliebene gilt. Wenn also jemand nach langjähriger Erkrankung verstirbt, wirkt sich das auf Hinterbliebene anders aus, als wenn jemand infolge eines Herzinfarktes, aufgrund eines Unfalls, aufgrund gewaltsamer Einwirkung von fremder Hand oder durch Suizid stirbt. 

„Weitere durch Forschungen gut belegte Einflussfaktoren auf die Trauer sind beispielswei­se: • die Umstände des Todes (wie Tod nach langer Zeit der Krankheit, plötzlicher Tod, 

Tod aufgrund von Katastrophen, Gewaltverbrechen, Suizid, Unfall, Tod nach tabui­sierten Erkrankungen wie AIDS, schambesetzte Todesumstände, Trauer bei nicht vorhandenem Leichnam16 ; Traumatisierung durch eigenes Involviertsein in die To­desumstände [mitansehen, beteiligt sein] u.a.m.) 

• Tabuisierung des Todesfalls, z.B. bei Fehl­ und Totgeburten, beim Tod von behin­derten oder schwerst­dementen Menschen

• vorangegangene Verluste (wie mehrere Todesfälle in kurzem zeitlichem Abstand, Reaktivierung traumatischer Verlusterfahrung, nicht bearbeitete Trauer und Rest­trauer)

15 Internet: http//www.radcliff.edu (Murray Research Center – eingesehen am 08.07.2002) „This longitudinal study was designed to explore how bereavement affects the emotional and social lives of those who have lost a spouse and to examine the course of recovery from bereavement and the social or psychological factors that facilitate or impede that recovery.“ Dort Literaturangaben zu Veröffentlichungen zur Studie. vgl. Worden 1999, S. 48­51.16 Ich schreibe heute – 3. Juli 2002 – angesichts des Flugzeugunglücks in Überlingen, bei dem 71 Menschen ums Leben kamen; die Leichen sind nur sehr schwer identifizierbar. Russische Kinder, die als Belohnung für hervorragende schulische Leistungen zu einem Ferienflug eingeladen waren, bilden die größte Gruppe der Unglücksopfer. Die meisten der Eltern und Geschwister und Großeltern werden mit dem Tod ihres Kindes, Geschwisters und Enkels leben müssen, ohne einen Leichnam gesehen zu haben, und diejenigen, die ihre An­gehörigen identifizieren müssen, dürften von den grausamen Bildern traumatisiert werden. Man braucht nicht viel Einfühlungsvermögen, um sich die Trauer und den Schmerz der Hinterbliebenen und die Begleitung, die überlebensnotwendig sein kann, vorstellen zu können. – Und ähnliches gilt sicher für die Angehörigen des Terroranschlags von 11. September 2001 auf das WorldTradeCenter und für all die anderen Katastrophen­Er­eignisse, von denen wir Tag für Tag hören. 

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• sekundäre Verluste, die mit dem Todesfall einhergehen bzw. durch ihn ausgelöst werden (wie Verlust der sozialen Sicherheit oder des sozialen Umfelds, z.B. durch notwendigen Umzug, Heimatverlust, Statusverlust, Rollenverlust)

• existentielle Notsituationen (wie Kampf ums eigene Überleben, z.B. bei eigener le­bensbedrohlicher Krankheit, Foltersituationen, Katastrophen, in die man selbst als Hinterbliebener auch verwickelt war) 

• religiöse bzw. spirituelle und weltanschauliche Verortung und Beheimatung in fes­ten Traditionen und Riten

• Beziehungsmerkmale wie z.B. abhängige oder symbiotische oder sehr ambivalente Beziehungen oder auch narzißtische Beziehungen, bei denen der Verstorbene eine Erweiterung des eigenen Selbst war“17

Solche Trauer erschwerenden Einflussfaktoren bringen oft, wenn auch nicht zwingend be­sondere Trauerreaktionen hervor, die dann auch medikamentös oder therapeutisch „be­handlungsbedürftig“ sein können.18

Zusammenfassend läßt sich sagen:Wir mittlerweile einiges über „normale“ Trauerreaktionen (oder ­symptome) und „Risiko­faktoren“ (Einflussfaktoren); jedoch gibt es nach wie vor keine hinlängliche, alle Aspekte umgreifende Definition von Trauer.Die lineare und evolutionäre Sicht der Stufen­ und Phasenmodelle darf – wie gesagt – als überholt bezeichnet werden. Stufen­ und Phasenmodelle sind weder als Wegweiser für Trauernde (als die sie nach wie vor ausgegeben werden) noch als Wegweiser für Begleite­rInnen und BeraterInnen brauchbar. Das Erleben, das die Phasen beschreiben, kommt durchaus vor, doch auf Phasen zu achten verhindert, den wirklichen Weg der Trauernden wahrzunehmen. Die Grundzüge des Trau­ererlebens zu beschreiben darf eben nicht daran hindern, zu erkennen, dass „die Variations­breite der einzelnen Trauerwege ... ungleich größer“19 ist. BegleiterInnen und BeraterInnen müssen die Trauernden selbst als Wegweiser wahrnehmen, als diejenigen, die am besten Bescheid über ihre Trauer wissen.

17 Lamp & Smith 2003.18 Zu solchen Studien vgl. Bojanovsky 1980; 1986. Weitere Hinweise auf Forschungen zu Einflussfaktoren und zur Symptomatologie der Trauer finden sich bei Jerneizig, Langenmayr & Schubert 1994, S. 15­24; Spiegel 1995, v.a. S. 29­56; 77­85; Worden 1999 (über das gesamte Buch hin, vor allem Einführung und Ka­pitel 4 und 5) u.a. Im deutschsprachigen Raum stehen Forschungen dazu noch weitgehend aus.19 Meurer 1994, S. 201. 

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2.1.3 Zum gegenwärtigen Stand in Sachen Trauer: Traueraufgaben­Konzepte

Trauer als Gestaltungsprozess und Trauerbearbeitung als Aktivität Trauernder kommen heute stärker in den Blick – für Begleitung und Beratung Trauernder hat das zur Konse­quenz, dass die BegleiterInnen als „spezialisierte Analphabeten in existentiellen Fragen“ und Trauernde als aktive Partner (und nicht nur als passiv Leidende) in einem letztlich un­abschließbaren Dialog wahrgenommen werden. Es handelt sich bei diesem Verständnis von Trauer – und der Unterstützung Trauernder – um eine Art von Empowerment20: Es geht nämlich um die Befähigung der Hinterbliebenen, mit dem Verlust und mit der Trauer innerhalb ihres „normalen“ Lebensumfeldes (Familie, Nachbarschaft, Arbeitsplatz usw.) weiter zu leben, eben weil und insofern Trauer ein Zeichen von Gesundheit ist, eine ad­äquate Reaktion auf einen Verlust, der zu jedem Menschenleben zu irgendeiner Zeit dazu­gehören wird. 

Auch theologisch­philosophisch orientierte Konzepte von Trauer (beispielsweise Trauer als „Folge wirklicher oder vermeintlicher Sinn­Einbußen“21 – oder „Gegenseiten“ der Trauer, wie die, dass sie mit „zunehmender Erlebnisfähigkeit und Sensibilität für geistige Werte“22 einhergeht) werden wieder diskussionswürdiger und inspirieren die anderen Dis­ziplinen, die Trauer erforschen.

Kreisförmig­prozesshafte oder spiralförmige, dynamisch gedachte Trauerprozesse bestim­men heute die Sicht auf Trauer.23 Heutige Konzepte sprechen – wenn sie die Forschungsergebnisse ernst nehmen – nicht mehr davon, dass jemand trauern muss, um gesund nach einem Verlust weiter zu leben. Es handelt sich beim Trauern wohl eher um einen von Trauernden selbst gesteuerten Prozess von Annäherung an den Verlust und Vermeidung. (Man kann – sicher vereinfacht – sagen: Nicht nicht­trauern macht krank, sondern trauern kann krank machen.) 

20 Der Begriff Empowerment stammt aus der Gemeindepsychologie; das damit verbundene Konzept geht auf den amerikanischen Gemeindepsychologen Julian Rappaport (1985) zurück. Power wird im Sinne von per­sönlicher Stärke gebraucht. Gemeint ist mit dem Begriff ein Konzept oder eine Strategie des Befähigens und Ermöglichens, persönliche Stärken zu entdecken und einzusetzen. „Empowerment geht davon aus, daß viele Fähigkeiten beim Menschen bereits vorhanden oder zumindest möglich sind, vorausgesetzt, man schafft Handlungsmöglichkeiten. Das Konzept des Empowerment unterstellt, daß das, was als Defizit wahrgenom­men wird, das Ergebnis sozialer Strukturen und mangelnder Ressourcen darstellt, in denen sich vorhandene Fähigkeiten nicht entfalten können.“ Rappaport 1985, S. 270f. zitiert nach: Trojan & Legewie 2001, S. 91.21 Seigfried 1981, S. 228. Siehe Polspoel 2001.22 Ebda.23 z.B. Canakakis (1987), Schibilsky (1994).Allerdings werden in den herkömmlichen Ausbildungskonzepten oft noch die veralteten Konzepte – v.a. Kast – vertreten; anders Smeding (siehe Kapitel 3). 

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Trauernde sollen sich, ihre Erfahrungen wiedererkennen können in dem, was über den Trauerprozess gesagt wird. Damit wird das Gefälle zu vermeintlichen ExpertInnen der Trauer aufgehoben. Trauer wird zunehmend als aktives Geschehen interpretiert und Trau­ernde werden als (autopoietisch24) Lernende begriffen, die selber die Verantwortung für ihr Weiterleben und ihr Handeln nach dem Verlust übernehmen.

Es wird nicht mehr von erkennbaren Abläufen der Trauer, von Schritten, die ein Trauern­der nacheinander zu gehen hat, gesprochen, sondern von Traueraufgaben. Damit wird Trauern von seiner psycho­edukativen Seite her wahrgenommen. Der Verlauf der Trauer wird nicht mehr als feststehende Psychodynamik in fester chronologischer Abfolge ver­standen, sondern eher im Sinne von Lernprozessen, die das Wachstum und die Entfaltung des Menschen beeinflussen. Die Bewältigung der Traueraufgaben ist ein „Heilvorgang“25, der selbstverständlich auch unabgeschlossen bleiben kann.26 Das Traueraufgaben­Konzept wurde von dem amerikanischen Psychologen William Wor­den entwickelt; er beschreibt vier Aufgaben, die den Trauerprozess prägen:

• Die Realität des Verlustes akzeptieren.• Den Trauerschmerz erfahren und durcharbeiten.• Sich einer Umgebung anpassen, in der der Verstorbene fehlt.• Dem Verstorbenen emotional einen neuen Platz zuweisen und das eigene Leben wieder 

aufnehmen.27

Dieses Aufgaben­Modell von Worden wurde zwischenzeitlich durch andere Aufgaben er­weitert, wie beispielsweise die – auf konstruktivistischem Gedankengut basierende – Auf­gabe, eine Kontinuität des Lebenssinns herzustellen (Neimeyer), bleibende bzw. fortdau­

24 Das Wort kommt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich selbst­erzeugend. Es meint in diesem Zu­sammenhang, dass Menschen in ihrem So­Sein handeln, dass das, was sie tun, zu ihnen, zu ihrer Struktur, zu ihrem Leben passt. Veränderungen greifen nur dann, wenn sie zu dieser Struktur passen. Beratung muss also 1. danach trachten, diese Struktur kennen zu lernen und sie wert zu schätzen und 2. Ihre Veränderungsanre­gungen auf sie abstimmen. Vgl. Schlippe & Schweitzer 2002, S. 68.25 Worden 1999, S. 18.26 In Handreichungen für Trauernde stehen meist noch die Phasen beschrieben (z.B. Sönke Kriebel (Hrsg.), Ja zur Trauer heißt Ja zum Leben, Schermbeck o.J. [1990] Immerhin heißt es in dieser Broschüre, die oft von Bestattungshäusern abgegeben wird, dass es keinen Königsweg durch die Trauer gibt und dass die Art eines jeden Menschen zu trauern einzigartig ist.). Chris Paul, Wie kann ich mit meiner Trauer leben? Ein Begleit­buch, Gütersloh 2000 ist eines der wenigen Bücher für Trauernde, das nicht auf Phasen rekurriert, sondern das Traueraufgaben­Modell von Worden beschreibt.27 Das Konzept der Traueraufgaben in: Worden 1999, S. 19­25 (vgl. Smeding, Aulbert 1997, S. 868).– Wor­den hat sein Konzept der Traueraufgaben in der zweiten Auflage seines Werkes an zwei Stellen entscheidend verändert. In der zweiten deutschsprachigen Auflage des Buches von Worden wurden sie jedoch unverändert übernommen und nur in einem Anhang auf die veränderten Traueraufgaben hingewiesen, obwohl die inhalt­liche Überarbeitung doch einschneidend ist und damit eklatante Auswirkungen auf das Verständnis von Trauer einhergehen; tabellarisch einander gegenübergestellt aufgrund der englischsprachigen Originalausga­ben in: Smith 2002, S.

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ernde Bindungen zum Verstorbenen zu finden (die ein gutes Weiterleben ermöglichen) (Klass) oder – in einem als Coping28 beschriebenen umfassenden Prozess – Welt wieder zu erlernen (Attig).29 Zudem wurde intensiv reflektiert, dass Trauer immer in einem systemi­schen Zusammenhang zu sehen ist;  sie ist  eine „Familienangelegenheit“,  ein sozial  be­stimmtes Geschehen.30

Einigkeit besteht in der Forschung darüber, dass sich keine zeitlichen Aussagen über Dauer der Trauer machen lassen.

„Trauern“, so sagt es die Schweizer Psychologin Verena Kast – Therapeutin aus der Schule C.G. Jungs – zutreffend, „darf nicht länger als ‚Schwäche‘ betrachtet werden, sondern es ist ein psychologischer Prozess von höchster Wichtigkeit für die Gesundheit eines Men­schen.“31 Trauer ist ein ganz normaler „unnormaler“ Seelenzustand – eine der menschlich existentiellen Paradoxien! Sie umfaßt die ganze (leibliche, psychische, soziale, spirituelle, geistige, biographische, geschichtliche und kulturelle) Wirklichkeit des Menschen. Ob und wie ein Mensch mit einem Verlust weiter lebt, wird in einem Wechselspiel zwischen Indi­viduum und (kleiner – familiärer, sozialer, kirchengemeindlicher – und großer – kulturel­ler, nationaler, ethnischer, religiös­konfessioneller –) Umwelt (Interdependenz!) beein­flußt.32 Trauer ist ein Ausdruck von Gesundheit! Und: „Leiden und Lebenskrisen sind nicht nur grundsätzlich unvermeidbar, [...] sondern sie stellen auch unverzichtbare Anstöße für die persönliche Entwicklung und den Erhalt der Gesundheit dar.“33 

2.2 Begleitung und Beratung – Unterstützung im Trauerprozess

28 Coping beschreibt die Bewältigungstrategien oder Muster, die Versuche eines Menschen, stressreiche Er­eignisse, Belastungen oder Krisen zu bewältigen und die dafür zur Verfügung stehenden Ressourcen.29 vgl. Smith 2002. Ein erster Ansatz, die neue Aspekten im Verständnis von Trauer und Trauerbegleitung ei­nem breiteren Publikum zur Verfügung zu stellen, findet sich in: Paul 2001. (Eine Kritik am Rande: Im Vor­stellen der Veränderungen der Traueraufgaben von Worden ­ 1981/1992 ­ beschreibt sie nur die Veränderung der vierten Aufgabe, die Veränderung der zweiten Traueraufgabe findet auch hier keine Beachtung.) 30 Gelcer 1983; Goldbrunner 1996; Morgenthaler 2000.31 Kast 1990, S. 16f. 32 Man bedenke z.B., dass Witwen mit ihren verstorbenen Männern verbrannt wurden. Spannend und nachge­henswert finde ich auch den Hinweis von Yalom 2000, S. 75, dass der Überlebende ja nicht nur einen „Ob­jektverlust“ erlitten hat, „sondern daß er auch dem Verlust seiner selbst begegnet ist. Unter dem Kummer um den Verlust eines anderen liegt die Botschaft: »Wenn Deine Mutter (Dein Vater, Kind, Freund, Partner) stirbt, dann wirst Du auch sterben.«“ Der Interdependenz von Trauer über den Verlust des anderen und der Besorgnis über den eigenen Tod, die ebenfalls Trauerprozesse auslöst, ist noch kaum nachgegangen worden. Wann wird solche Besorgnis über die eigene Sterblichkeit und den eigenen Tod ausgelöst? Verändern welt­anschauliche Vorstellungen von einem Weiterleben nach dem Tod die Besorgnisse? Welche Einflussfaktoren gibt es sonst noch?33 Trojan & Legewie 2001, S. 20.

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"Ich betrachte meine Patienten und mich am liebsten als gemeinsam Reisende,  ein Begriff, der die Unterscheidung zwischen "ihnen" (den Leidenden) und "uns"  

(den Heilern) aufhebt."Irvin D. Yalom 

(Yalom 2002, S. 23)

2.2.1  Trauerbegleitung – Eine Einführung

Trauerbegleitung wird gemeinhin als Oberbegriff für die unterschiedlichen Unterstützungs­angebote für Trauernde bzw. Hinterbliebene gebraucht, egal ob diese Angebote von selbst Betroffenen, sich ehrenamtlich Engagierenden oder Professionellen unterschiedlicher Be­rufsfelder angeboten wird. Trauerberatung sollte für professionelle Unterstützungsangebo­te gebraucht werden, die zudem auch zielorientierte Prozesse umfassen, wird aber oftmals ebenfalls für ehrenamtliches Engagement, als Synonym für Trauerbegleitung verwendet. Die Begriffe sind insgesamt ziemlich wildwüchsig, da sie zum Teil zusätzlich noch alltags­sprachlich genutzt werden. Es ist nicht zu vermeiden, dass man genauer hinschauen muss, was im Kontext gemeint ist, weil die sprachliche Differenzierung nahezu nicht aufrechtzu­erhalten ist.

Im Rahmen dieser Arbeit meint Trauerbegleitung zunächst einmal im umfassenden Sinn alle Unterstützungsangebote von Selbsthilfeorganisationen, Vereinen und auch professio­nellen Unterstützern, die diese Menschen nach einer Verlusterfahrung auf ihrem Trauer­weg zukommen lassen. Gemeint ist in all diesen Fällen „beauftragte“ Trauerbegleitung, eben die, die auf Veranlassung und in Verantwortung einer Organisation oder eines Diens­tes vorgenommen wird.34 Die ganz normale Mitmenschlichkeit, mit der sich Kollegen, Freundinnen, Nachbarn einem trauernden Menschen zuwenden und ihm im Alltag begeg­nen, bezeichnen wir nicht als Trauerbegleitung. 

Unter dem Oberbegriff Trauerbegleitung werden gemeinhin auch Beratungsangebote für Hinterbliebene gefasst, die aus der spezifischen Fachlichkeit der Seelsorge, Psychologie, sozialer Arbeit oder Pädagogik erwachsen. Die ehrenamtlichen UnterstützerInnen im Trau­erprozess wurden meist von Professionellen aus den Bereichen Seelsorge, Sozialarbeit (So­zialpädagogik) und Pädagogik auf ihre Aufgaben vorbereitet oder in ihrer Arbeit begleitet – auch dies ein Arbeitsfeld psychosozialer (und seelsorglicher) Beratungsarbeit (mit Ein­zelnen und Gruppen), das unter dem Begriff Trauerbegleitung firmiert.

34 Das Angebot an Literatur und Fortbildungskursen zur Trauerbegleitung in Deutschland wird zunehmend unüberschaubarer. Demgegenüber ist aktuell noch ein großer Mangel an Knowhow über Trauer und hilfrei­che Begleitung sowie zur Differenzierung des Angebots zu verzeichnen. Das Trauerinstitut Deutschland e.V. hat es sich zur Aufgabe gemacht, Forschung und Literatur zugänglicher zu machen sowie Ausbildungsstan­dards für ehrenamtlich Tätige wie für die verschiedenen mit Trauernden befaßten Berufsgruppen zu etablie­ren. siehe: http//www.trauerinstitut.de.

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Von solcher Trauerbegleitung noch einmal zu unterscheiden wären psychotherapeutische und näherhin traumatherapeutische Interventionen bei Trauernden, die manchmal ebenfalls unter demselben Begriff Trauerbegleitung verhandelt werden.

Trauerbegleitung und ­beratung haben die Funktion, Trauernde emotional zu entlasten. Sie stehen dabei unter dem Vorbehalt, den der Krankenhausseelsorger Erhard Weiher für die Sterbebegleitung formuliert: „Begleiten kann ich nur bei der Weise, wie er [der Patient, I.L.] seinen Prozess erlebt oder gestaltet. Die Erschließung des Erlebens und seine Gestal­tung kann ich hilfreich unterstützen und ‚begleiten‘.“35

Gemeinsam ist ihnen also, dass sie nicht die Aufgabe haben, einen bekannten, nach festen Mustern ablaufenden Prozess (wie das die Phasen­ und Stufenmodelle suggerierten) zu un­terstützen, zu begleiten oder gar zu überwachen, sondern sie stellen ihre jeweiligen Poten­tiale zur Verfügung, die individuellen und sozialen Prozesse durchzustehen, die nötig sind, um mit einem Verlust weiter leben zu können. Gemeinsam wird das letzte Kapitel im Le­bensbuch eines Menschen von den „Nachfahren“ – Angehörigen, Freundinnen und Freun­den – geschrieben: Wie waren die letzten Tage, wie ist er oder sie gestorben, wie hat sie gelebt, welchen Sinn hat er für sein Leben und Sterben gefunden, wie hat sie unser Leben beeinflusst und was bedeutet er uns jetzt, wenn wir weiter leben ohne ihn?

Bisher gibt es keine gesicherten Erkenntnisse darüber, wann Trauerbegleitung unbedingt erfolgen soll. Erkennbar ist, dass Menschen um solche Angebote nachsuchen – beispiels­weise bei Bestattungsunternehmen, Hospizen oder Kirchengemeinden. Zu bedenken und zu untersuchen wäre in diesem Zusammenhang, inwieweit auch Angebote einen Markt schaffen.

Selbsthilfegruppen und Hospizbewegung waren oft (und sind teilweise) der Überzeugung, dass Trauer immer Begleitung brauche – und das unterstellt, dass die Begleitung im sozia­len Netz nicht ausreicht. Untersuchungen, die das für den deutschsprachigen Raum bestäti­gen oder falsifizieren könnten, liegen – wie gesagt – noch nicht vor. „Eine Untersuchung der Universität von Kalifornien von 1996 hat diese Zahlen vorgewiesen: Demnach benöti­gen 50­60 % der Trauernden keine gesonderte Begleitung, sondern können durch den Bei­stand von Freunden und Familien ausreichend ihren Trauerweg beschreiten. 30­40 % wei­sen Determinanten einer erschwerten Trauer auf: und nur 10 % bis maximal 15 % weisen eine sehr erschwerte Trauer auf: eine nicht gelebte oder eine verhinderte oder eine entgleis­te Trauer, die dann einer strikten psychotherapeutischen Hilfe bedarf.“36

Wenn man dann noch berücksichtigt, dass ein bestimmter Prozentsatz von Menschen kein entsprechendes soziales Netz hat, das Krisensituationen mittragen hilft, kann man begrün­det annehmen, dass ungefähr 50% derer, die einen anderen an den Tod verlieren, Beglei­tung und Beratung brauchen. 

35 Weiher 1999b, S. 29.36 Timmermanns 1999, S. 230.

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Auch wenn wir nicht gesichert sagen können, wer Begleitung braucht, und auch nicht, was in der Trauerbegleitung bei wem wie wirkt, läßt sich feststellen:„Es spricht viel dafür, daß die „unspezifischen Aspekte“ (1.) einer personenzentrierten Zu­wendung, verbunden (2.) mit der Offenheit für den Entwicklungsprozess der Trauer und (3.) der Hoffnung auf ein mögliches Leben mit dem Verlust nicht durch allzu viele diffe­renzierende Aspekte ergänzt werden müssen, um die Wirkungen von Trauerbegleitung zu erklären.“37 

In Deutschland gibt es für Begleitung und Beratung von Hinterbliebenen vor allem eine „Komm­Struktur“, das heißt, der Trauernde muss sich auf den Weg machen und um Hilfe nachsuchen, sei es eine Trauergruppe, Beratung oder Therapie. Es gibt kaum niedrig­schwellige, offene Angebote, wie Trauercafes, Reisen u.ä.38 Von daher landen viele Trau­ernde zunächst einmal bei ihrem Hausarzt, der meist nur rudimentäre Kenntnisse von Trau­er hat und die Symptome unhinterfragt medikamentös behandelt. 

2.2.2  Trauerbegleitung als Feld ehrenamtlicher Tätigkeit

Trauerbegleitung lebt – unverzichtbar – von der Unterstützung professionell Handelnder durch ehrenamtlich Tätige (oder selbst Betroffene). In einer professionalisierten und spe­zialisierten Welt ist dies eine Folge des bürgerschaftlichen Engagements im Umfeld hos­pizlicher Themen. Dies wiederum basiert (unter anderem) einerseits auf der Erkenntnis, dass Solidarität nicht käuflich ist und Engagement für Sterbende und Trauer nicht in eine ökonomisch durchbuchstabierte Welt passen; und andererseits in der Bewußtwerdung, dass Grundthemen wie Krankheit und Vergänglichkeit, Schmerz, Sterben, Tod und Trauer nicht delegierbar an Fachleute sind. Bei der Trauerbegleitung aller UnterstützerInnen geht es darum – im Sinne des Empower­ment­Ansatzes39 –, mit Trauernden ein Stück ihres Wegs mitzugehen, bis sie auch ohne die Unterstützung der BegleiterInnen, ohne ihren Trost und ihre konkreten Hilfsangebote wie­der eigenen Stand im Leben finden. 

„Rouwbegleiding is een proces waarin rouwenden, met hulp en ondersteuning van de rou­wbegleider, de gelegenheid wordt geboden om over de verlieservaring te praten en om alle emoties, gedachten en gedragingen die darmee samenhangen te uiten en te delen.“40

Bei Trauerbegleitung handelt es sich, auch wenn es um ehrenamtliche Tätigkeit geht, um 

37 TID­Standards, www.trauerinstitut.de, eingesehen am 03.07.2002.38 Auf ein interessantes Angebot wurde ich dieser Tage aufmerksam: Fritz Roth, Bestattungsunternehmer und Inhaber der Privaten Trauerakademie Bergisch Gladbach, hat einen Kochkurs für Trauernde angeboten.39 siehe Fußnote40 Boelen, Huiskes & Kienhorst 2000, S. 81.

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eine geregelte Tätigkeit (im Unterschied zu bloßer Mitmenschlichkeit), für die sich Men­schen ausdrücklich qualifiziert und zumindest durch besondere Reflexion vorbereitet ha­ben. Der Akzent liegt bei Trauerbegleitung – anders als bei der Trauerberatung – auf dem Mitgehen – ohne Rekurs auf die spezifische Fachlichkeit, die professionelle Unterstütze­rInnen mitbringen (können).41 

Trauerbegleitung ist ergebnisoffen und nicht zielorientiert. (Dies kann bei Trauerberatung anders sein, muss es aber nicht.) „Der Begleiter kann den Weg des Betroffenen nicht vor­geben. Vortritt hat immer der Trauernde. Begleiter gehen den Spuren nur nach, machen aufmerksam, bestätigen.“42

Die erste Beschreibung von ehrenamtlicher Trauerbegleitung geht auf das Konzept der „friendly visitors“ („freundliche Besucher“; 1909) in Amerika zurück. Die „freundlichen Besucher“ unterstützten Hinterbliebene besonders bei Alltagsproblemen, einschließlich der Existenzsicherung. Bei anderen Problemen, wahrscheinlich den typischen physischen Trauerreaktionen, verwiesen die Begleiter auf einen Arzt.43 1959 wurde in Großbritannien die erste und heute weltweit größte ehrenamtlich getragene Organisation für Trauerbeglei­tung – Cruse – gegründet. Ihr Angebot reicht heute von Beratung und Unterstützung bei emotionalen Schwierigkeiten bis hin zu praktischen Hilfsangeboten.44 In Amerika startete 1973 mit der Untersuchung „Widow to Widow“ („Witwe zu Witwe“) der Psychologin P.R. Silverman der „Widows Person Service“: Bereits länger verwitwete Menschen besuchen neu Verwitwete und bieten Gespräche und Unterstützung auf ehren­amtlicher Basis an. Dieser Service arbeitet auf kommunaler Ebene und wird von der Ge­meinde getragen.45 . In Deutschland gibt es seit Anfang der 1980er Jahre die Verwaisten Eltern e.V., die nach dem Vorbild der „Compassionate Friends“ („Mitfühlende Freunde“, 1969 in England ge­gründet) organisiert sind. Nach und nach kamen dann weitere Selbsthilfegruppen, die auch Trauerbegleitung oder Unterstützung in der Trauerzeit anbieten, hinzu, wie z. B. die Initia­tive Plötzlicher Säuglingstod e. V. oder die AIDS­Hilfe­Gruppen, die an den jeweiligen Zielgruppen orientierte Hilfen anbieten. Auch die Deutsche Krebshilfe e.V. offeriert Ange­bote für Hinterbliebene. Offensichtlich entsteht auch in Deutschland ein dichtes – ehrenamtlich getragenes und durch professionelle Kräfte unterstütztes – Hilfsangebot für Trauernde.46 

41 Die Etymologie des Wortes zeigt, dass sowohl „leiten, führen“ als auch das abgeschwächtere „mitgehen“ mit Begleitung gemeint sein können. Im folgenden soll es zumindest ansatzweise um eine sprachliche Diffe­renzierung geht, die nicht zuletzt deshalb wichtig ist, weil Trauerbegleitung ein Feld ist, in dem ganz unter­schiedliche Professionen ihre Knowhow einbringen und das darüber hinaus ohne ehrenamtliches Engagement nicht auskommt. 42 Weiher 1999a, S. 99.43 Vgl. dazu Smeding (II) 2000, S. 2.44 Informationen zur Geschichte und der Arbeit von Cruse: www.cruselochaber.freeuk.com/about.html.45 Vgl. dazu Jerneizig, Langenmayr & Schubert 1991, S. 57.

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Trauernde brauchen – neben niedrigschwelligen Angeboten wie Trauercafes, Wochenend­ausflügen u.ähnl. – eher aufsuchende, nachgehende Dienste, eine „Geh­hin­Struktur“. Pro­fessionell ist das über größere Zeiträume kaum leistbar (weil nicht finanzierbar), auch wenn SeelsorgerInnen, SozialarbeiterInnen und BestatterInnen gerade in der ersten Zeit nach dem Verlust spezielle Aufgaben wahrzunehmen haben. Letztlich ist Trauerbeglei­tung, die m.E. in einer veränderten, zunehmend individualisierten Lebenswelt unverzicht­bar wird, nur ehrenamtlich zu tragen. Dem dient die Vorbereitung von Ehrenamtlichen, die befähigt werden, Trauernde – auch durch Hausbesuche – zu begleiten.47 Derzeit überneh­men Sozialarbeit, Pädagogik und Seelsorge die Qualifizierung Ehrenamtlicher zur Trauer­begleitung – ein besonderes Feld seelsorglicher­ psychosozialer Arbeit, dem hier jedoch nicht weiter nachgegangen werden kann.48 

2.2.3 Trauer­ oder Hinterbliebenenberatung

Mit Trauer­ oder Hinterbliebenenberatung werden (meist nur) die professionellen Angebo­te zur Trauerbegleitung bezeichnet.49

Trauer­ oder Hinterbliebenenberatung will die Bewältigungsmöglichkeiten von Hinterblie­benen im Umgang mit einem Verlust elaborieren und fördern und Trauernde darin unter­stützen, Trauer zu erschließen und das Leben ohne den Verlorenen weiter zu leben.50 

46 Qualitativ können hierzu noch keine Aussagen gemacht werden; auffällig ist jedoch, dass vor allem im eh­renamtlichen Bereich die Forschungsergebnisse kaum zur Kenntnis genommen werden. Im deutschsprachi­gen Raum gibt es noch wenig Forschung zu Trauer und Trauerbegleitung; Forschungsbereiche mit Schwer­punkten in Trauerforschung gibt es derzeit an den Universitäten Mainz, Regensburg und Würzburg.Auf Angebote im Internet zur Begleitung sei hier nur hingewiesen; das Feld ist noch recht neu und „unbea­ckert“, das heißt über Bedarf, Qualität der Angebote, Wirkung etc. ist noch nichts zu sagen. Beispiel: www.­kummernet.de.47 In Deutschland gibt es dazu noch keine Literatur. Bemerkenswert, weil auf dem Stand der Forschung, ist das niederländische Buch des Landelijke Steunpunt Rouwbegleiding zu „Trauer und Trauerbegleitung“, das aus einem Projekt der Universität Utrecht, Nabijblijven, hervorgegangen ist: Boelen, Huiskes & Kienhorst 2000. 48 Die Qualifizierung der Sozialarbeit, Pädagogik und Seelsorge ihrerseits für Trauerbegleitung ist weder fes­ter Bestandteil der Ausbildungen, noch gibt es in Deutschland standardisierte berufsspezifische Fortbildun­gen dazu.49 Eigentlich müßte es heißen: Mit dem Begriff Beratung sollten nur die professionellen Angebote der Trau­erbegleitung bezeichnet werden. Dies entspricht nicht der Realität! Die Professionen könnten ihr Teil dazu tun, zu einer einheitlichen Sprachregelung beizutragen! – Dieses Anliegen vertreten wir und die folgenden Gedanken sind aufgegriffen in: Lamp & Smith 2003. 50 Ausgesprochen selbständige Beratungsstellen für Trauernde sind in Deutschland noch kaum anzutreffen. An der Universität Essen hatte in den 1980er Jahren eine Beratungsstelle für Trauernde ihre Arbeit aufge­nommen, die jedoch 1991 geschlossen wurde. Dort wurde die klientenzentrierte Trauertherapie entwickelt. Siehe: Jerneizig & Langenmayr 1992. Andere Angebote sind meist kirchlich verortet.

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Die verschiedenen Professionen definieren Beratung auf ganz unterschiedliche Weise.51 

Dies detailliert zu reflektieren ist in diesem Kontext nicht möglich. Ich gehe bei Trauerbe­ratung von einem Beratungskonzept aus, das emanzipatorische Prozesse initiieren, fördern und begleiten will.„Beratung ist:­ ein zwischenmenschlicher Prozeß (Interaktion),­ in welchem eine Person (der Ratsuchende oder Klient)­ in und durch die Interaktion mit einer anderen Person (dem Berater),­ mehr Klarheit über eigene Probleme und deren Bewältigungsmöglichkeiten gewinnt.­ Das Ziel von Beratung ist die Problemlösekompetenz.“52

Beratung ist „eine wissenschaftlich qualifizierte Problem­, Konflikt­ oder Krisenbewälti­gungshilfe [...], die über fachliche Informationsvermittlung, konkrete Hilfen, Ratschläge und Handlungsanweisungen hinausgeht, ganzheitlich orientiert ist und subjektbezogen an­setzt.“53

Im Beratungsprozess – das gilt für Beratungsprozesse allgemein wie für Hinterbliebenen­beratung insbesondere – gibt es eine Reihe von Bestimmungsstücken, die dem konkreten Verhalten des Beraters/der Beraterin in der Beratung vorgeordnet sind. Das sind zum Bei­spiel:

•Zielvorstellungen. Beispiel: Wenn ich als Hinterbliebenenberaterin die Vorstellung habe, dass Trauer aufhören muss, arbeite ich anders, als wenn ich annehme, dass Trauer ein unabschließ­bares Geschehen ist.

•Vorstellungen darüber, wie sich die angestrebte Situation zur gegenwärtigen verhält.Beispiel: Wenn ich überzeugt davon bin, dass sich Trauer in einem Jahr nach dem Verlust auf eine bestimmte Weise darstellen muss, der trauernde Klient jedoch diesen Vorstellungen nicht entspricht, verweise ich ihn auf medikamentöse oder psychothera­peutische Behandlung. 

•Kenntnisse über Trauer – Themen wie Trauerreaktionen, Dauer, Trauer und Identität,  Trauer und Weltverständnis usw. •Andere Wissensbestände und deren Einsatzmöglichkeiten in der Beratung von Hinterblie­benen.

51 vg. Sickendiek, Engel & Nestmann 1999.52 Rechtien 1998, S. 16.53 Straumann 2000, S. 65.

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Beispiel: Klientenzentrierte Trauertherapie54 hält den Ansatz von Carl Ransom Rogers (1902­1987) für geeignet, mit Trauernden zu arbeiten. (Da Hinterbliebene gewöhnlich genau über ihre Gefühle Bescheid wissen, halte ich diesen Ansatz, z.B. das methodi­sche Repertoire des Verbalisierens emotionaler Erlebnisinhalte zur Erschließung von Emotionen, für nicht besonders hilfreich für Hinterbliebenenberatung. Rogers ist im Trauerbereich auch durchaus gefährlich, da der methodische Ansatz emotional verstär­kend wirkt an Stellen, wo es ggf. um Realitätsbezug geht.)

•Vorstellungen über den Prozess, seine Rahmenbedingungen und zeitliche Dauer•Möglichkeiten zur Veränderung, die jemand grundsätzlich im Hinblick auf den Umgang  mit der Trauer sieht

Beispiel: Der Verlust an den Tod ist unwiederbringlich. Denke ich als Beraterin, dass die Trauer eine Chance darstellt, eine Verbindung mit dem Toten darstellt, das System des Hinterbliebenen neu organisiert, die Wertewelt neu ordnet usw.? Alle diese Vor­stellungen wirken sich als Veränderungspotentiale – oder in Stagnation aus.

•Einschätzung der Aussichten, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln – den eigenen wie  den Ressourcen des Klienten – das Ziel zu erreichen

Durch die beraterische Kompetenz und das Wissen der BeraterInnen über Trauer gewinnen Hinterbliebene in der Beratung „psychosoziale Kompetenz“, das bedeutet: Sie lernen bei­spielsweise zwischen gesellschaftlichen Anforderungen, Normen und Werten und ihren ei­genen Bedürfnissen, Motiven, Gegebenheiten und Werten zu unterscheiden und daraus Handlungsspielräume für sich zu entwickeln.

Beratung soll Hinterbliebenen bei der Bewältigung einer Verlusterfahrung gewünschte Un­terstützung bieten: „Durch Beratung hilft man Menschen, unkomplizierten oder normalen Verlustkummer so zu kanalisieren, daß die Traueraufgaben innerhalb eines vernünftigen Zeitrahmens in heilsamer Weise bewältigt werden.“55

Trauerberatung hat drei Funktionen oder Rollen:• Sie hat eine präventive Rolle, wo bereits im Zugehen auf den Tod „antizipatori­

sche – d.h. vorauseilende – Trauerprozesse“ begleitet werden.56 Hauptfunktion ist es dann, dabei behilflich zu sein, die bevorstehenden Veränderungen in der persönlichen und sozialen Welt zu antizipieren. Ob, wie manche vermuten, da­durch Dauer und Ausmaß der nachfolgenden Verlusttrauer abgemildert oder verkürzt werden, lässt sich bislang nicht sicher sagen. 

54 Beim klientenzentrierten Trauertherapieansatz der Essener Beratungsstelle der Universität Essen wurde je­doch nicht das Therapiekonzept von Rogers Klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie einfach auf die Zielgruppe Trauernde übertragen, vielmehr wurde von den Trauernden ausgehend „die richtigen und nütz­lichsten Interventionsformen gesucht.“ Jerneizig u. a. 1991, S. 62. Zur Beratung auf der Grundlage der Klein­tenzentrierten Gesprächspsychotherapie siehe: Rechtien 1998, S. 36­62.55 Worden 1999, S.46.56 vgl. Feith, Ochsmann, Klein et.al. Mainz [1999]. Rest 2000, S. 11­29.

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• Sie hat eine entwicklungs­ und wachstumsfördernde – auch identitätsstiftende –Funktion

• und schließlich eine heilende Rolle (die in ihren seelsorglichen Aspekten über „kurierende Maßnahmen“ hinausreicht) in dem Sinne, dass sie Krankheiten ver­hindert und dem „Nachsterben“ entgegenwirkt.

Trauerberatung beinhaltet je nach Problemlage: • Ratsuchende informieren; d.h. z.B. Trauerreaktionen bzw. –symptome einord­

nen („normalisieren“) oder Abschiedsrituale verdeutlichen: • ihnen helfen, akute Krisen zu bestehen;• sie in schwierigen Situationen und Entscheidungen, die mit der Verlusterfahrung 

gekoppelt sind, unterstützen und begleiten (z.B. Erziehungsfragen, Umzug); • ihnen besseres Verstehen und Bewältigen ihrer Verlusterfahrung, vorausgehen­

der Lebenserfahrungen (vor allem in der Zeit der Krankheit) und damit einher­gehender Schwierigkeiten ermöglichen; 

• ihnen neue Sichtweisen und Deutungen ihrer Situation eröffnen; • sie längerfristig stützend begleiten – evtl. unterstützt durch ehrenamtliche Trau­

erbegleiterInnen, deren Dienst sie ihrerseits supervidiert bzw. reflektierend be­gleitet;

• diagnostische Funktionen, beispielsweise in der Ermittlung erschwerter Trauer, Psychopathologien – um an entsprechende Fachdienste (Psychotherapie, Trau­matherapie, Psychiatrie) weiterverweisen zu können.

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2.2.4 Begleitung, Beratung im Trauerprozess – eine seelsorgliche Tätigkeit

Aus dem zur Hinterbliebenenberatung Gesagten ergibt sich eine Positionierung, die auch für die seelsorgliche Beratung gilt, die einen festen Platz in der Trauer­ und Hinterbliebe­nenberatung einnimmt: Beratung ist ein professionelles Geschehen. Die Seelsorge teilt mit allen anderen beratenden Berufen kommunikationswissenschaftli­che, pädagogische, sozialwissenschaftliche und psychologische Erkenntnisse und Metho­den, die dazu dienen, die Aufgaben von Begleitung und Beratung wahrzunehmen.57

„Beratung , verstanden als Ausdruck zwischenmenschlicher Solidarität, gehört zum Urbe­stand von Seelsorge (Pastoral) und hat in den Kirchen eine lange und erprobte Tradition und einen zentralen Stellenwert.“58 

Im Kontext meiner Arbeit im Hospiz als einem nicht ausdrücklich kirchlichen Zusammen­hang (in dem Sinne, dass ich nicht von der Diözese angestellt bin und das Hospiz als für Menschen aller Bekenntnisse offene Einrichtung wahrgenommen wird), benenne ich meine Arbeit mit „Seelsorge und Beratung“. Dabei handelt es sich in meinem Selbstverständnis um eine Doppelung: Seelsorge ist (auch, wenn auch nicht nur) Beratung! Seelsorge ist – das teilt sie durchaus mit anderen Fachlichkeiten – Hilfestellung und Begleitung in Fragen der persönlichen und sozialen Lebensgestaltung (durchaus auch als Hilfe zur Selbsthilfe in Lebens­ und Glaubensfragen) und Beratung in Krisen­, Konflikt­ und Problemlagen.59 Sie ist auch in dem Sinne ganzheitlich, dass sie eben nicht nur bei konflikt­ oder krisenhaften Situationen ansetzt, sondern sich insgesamt am Leben von Menschen orientiert. So nimmt Seelsorge Trauer auch nicht nur als krisenhafte Situation wahr, für die sie Unterstützungs­angebote bereithält, sondern eben auch als Teil des menschlichen Lebens, der – jenseits von Symptomen und Reaktionen – vielfache Fragestellungen auslöst, die in Begegnungssi­tuationen gemeinsam angeschaut, erschlossen, rituell begangen, vor Gott gebracht und me­ditiert sein wollen.60

57 An dieser Stelle möchte ich noch einmal ausdrücklich machen, dass Begleitung und Beratung im Trauer­prozess in Deutschland nach wie vor zu großen Teilen von der Seelsorge getragen sind, auch wenn diese sich zunehmend als diesen Anforderungen nicht gewachsen erweist.58 Schmid 2002.59 Dass die Begriffe Seelsorgliche Begleitung und Beratung fast deckungsgleich verwandt werden – gar noch synonym mit den Begriffen Spirituelle Begleitung und Beratung, dazu siehe z.B. Müller 1995.60 Leider gibt es immer noch Empfehlungen wie diese: Der Seelsorger „kann ermutigen, die Kleider des Ver­storbenen wegzugeben, seine Schränke auszuräumen oder womöglich die Wohnung der neuen Situation an­zupassen.“ Dies soll natürlich dem „Sich­Trennen“ vom Verstorbenen dienen. So in: Baumgartner 1990, S. 185. Der Pastoralpsychologe lehrt Trauer als Krise zu verstehen. Er geht den Phasen nach Kast nach und gibt für die verschiedenen Phasen Hinweise für die seelsorgliche Begleitung. (S. 180­187). Die deutschen Bischö­fe definieren in ihrem Heft Unsere Sorge um die Toten und die Hinterbliebenen. Bestattungskultur und Be­gleitung von Trauernden aus christlicher Sicht (Sekretariat der deutschen Bischofskonferenz 1995, S. 48) Trauer als „eine Krisensituation des Menschen, in der durch den Verlust eines anderen ein Stück persönlicher und sozialer Welt zusammenbricht.“ Trauer allein als Krise darzustellen bedeutet jedoch immer eine Verkür­

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Seelsorge hat ihren eigenen Ort in der Zeit der Krankheit und des Sterbens (Zeit antizipato­rischer Trauerprozesse) sowie im Umfeld der Bestattung (akzentuiert rituell­bestimmte Trauerzeit), aber auch in der Begleitung des weiteren Trauerprozesses (Zeit der Trauer im Sinne von Hinterbliebenentrauer). Gemeinhin verbunden wird Seelsorge mit der Unterstüt­zung bei Deutung und Symbolisierung der (Trauer­)Erfahrungen.61 Sie ist – auch heute noch – selbstverständlich zuständig für die Übergangsriten (Bestattung). Zu ihren spezifi­schen Aufgaben gehört es, Menschen bei ihrer Sinn­Suche62, „beim Entschlüsseln und Ver­stehen ihrer Symbolisierungen beizustehen“63.

Seelsorge im Feld der Trauerbegleitung hat als Spezifikum „das Erleben der Trauernden spirituell durchsichtig zu machen“64. Das Postulat solcher seelsorglichen Beratung lautet: „Es gibt ein Menschenrecht auf transzendierende Lebensdeutung, die dem Horizont hinter  allen Objekten vertraut.“65 

Im Vordergrund seelsorglicher Trauerberatung/­begleitung steht die Sinnfrage, für die eine Seelsorgerin, ein Seelsorger ein besonders aktiviertes Ohr und Herz hat (oder haben sollte).66 Diese traditionelle Domäne der Seelsorge „gehört zu den Bedürfnissen von Hin­terbliebenen, wie die empirische Forschung zeigen konnte. Die Trauerforscher [...] gehen davon aus, dass dieser Prozess der Sinnfindung ganz wesentlich für alle Menschen ist. Für die trauernden Menschen stellt sich eine zentrale Aufgabe, und zwar eine Antwort auf die Frage nach dem Warum zu finden, die wirklich trägt. Wenn durch den Tod einer signifi­kanten Person ein schwerer Verlust eingetreten ist, dann wird all das, was bisher die Grundlage für die Sinnerfahrung im Leben war, grundlegend in Frage gestellt.“67

Die Frage nach Sinn und Bedeutung der Verlusterfahrung kann in diesem Prozess auch umschrieben werden als Infragestellung der eigenen Identität.

zung!61 So heißt es in: Sekretariat der deutschen Bischofskonferenz 1995, S. 50: selbstverständlich, dass die Litur­gie „die Mitte christlicher Trauerarbeit“ ist; festgestellt wird jedoch im selben Atemzug, dass sie „diese aber nicht ohne die Diakonie leisten“ kann.62 Um Mißverständnissen vorzubeugen: Das soll nicht bedeuten, dass Seelsorge voraussetzt, dass allen Lei­den, allen Verlust­Erfahrungen ein Sinn innewohnt. Seelsorge hält jedoch daran fest, dass Menschen den Er­fahrungen, die sie machen, einen Wert und Sinn abringen können. Sie können aus Erfahrungen als Verletzte, hinkend wie Jakob am Jabbok, und Gesegnete, wie er mit einem neuen Namen, einer neuen Identität, hervor­gehen. (vgl. Gen 32)63 Weiher 1999a, S. 126.64 Weiher 1999a, S. 121.65 Weiher 1999a, S. 130.66 Vgl. Polspoel 2001. Vielleicht gehört es oft zur Trauer, die Abwesenheit von Sinn auszuhalten (vgl. Kast 1990, S.18f.); auch dabei hat die Trauerpastoral eine spezifische Funktion, weil Seelsorge den Umgang mit diesem Erleben in den religiösen Traditionen aufzuzeigen vermag und weil der Seelsorger oder die Seelsor­gerin stellvertretend für die Anbindung an einen letzten Sinn steht.67 Ochsmann 2001.

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„De schok en de confrontatie met de begrensdheid van het leven (contingentie­ervaring) roept meestalt ook en ervaring van zelfverlies op. De eigen identiteit en de grond van het bestaan ziejn aangetast en dat heeft consequenties voor onze plaats tussen anderen en tus­sen de dingen die ons omringen. De plaats in tijd en ruimte moet opnieuw gezocht en ver­worven worden.“68 Für gläubige (oder religiös sozialisierte) Menschen rühren diese The­men und Fragen auch an die Grundfesten bisherigen Glaubens, bisheriger Lebensüberzeu­gungen und Werte. Die Beziehung zu Gott wird häufig erschüttert und in Frage gestellt. Für all dies suchen Hinterbliebene im Bereich der Seelsorge Gesprächspartnerinnen und –partner.

Andererseits will und darf man das Proprium der Seelsorge als Trauerberatung nicht vor­schnell und jedenfalls nicht allein (wiewohl auch) an der Jenseits­Dimension oder einem spirituellen Inhalt festmachen. Auch ganz alltägliche Themen greifen im Kontext von Trauerpastoral Raum. So gesehen ist christliche Seelsorge zuallererst ein Beratungskon­zept, dem das christliche Menschenbild und Weltverständnis zugrunde liegt. Alle Frage­stellungen haben im Seelsorgsgespräch ihre Berechtigung.

Christliche Seelsorge und Trauerpastoral basiert auf dem Glauben daran, dass alles menschliche Denken und Verstehen relativ und vorläufig ist. Relativ ist es in dem Sinn, dass es in Relation zu Gott als dem einzig Absoluten steht, und vorläufig, weil kein Einzel­ner und keine Gruppe die Beantwortung von Wahrheits­ und Wirklichkeitsfragen gültig für sich beanspruchen kann. Darin ist zugleich das spezifisch Christliche zu sehen und auch ein zutiefst menschliches Existenzial: Umgang mit Relativität und Vorläufigkeit heißt ja auch: das befreiende Ja Gottes zur eigenen Begrenztheit zur realisieren. 

Die Relativierung, die mit der eigenen begrenzten Sicht auf die Welt einher geht verbindet sich im jüdisch­christlichen Kontext mit dem Selbstverständnis, dass wir uns alle als „Söh­ne und Töchter Gottes“ verstehen – also eine grundsätzliche Gleichrangigkeit der Men­schen postulieren (vgl. Gal 3,3). Dies hat für seelsorgliche Beratung – und insbesondere für Trauerberatung – zur Konsequenz, dass die Seelsorgerin/der Seelsorger eben nicht als Ex­pertin/Experte schon weiss, was für den oder die andere gut ist. Seelsorgliche Beratung wird in diesem Sinne (auch wenn sie sich als professionelles Handeln versteht!) zur perso­nalen Begegnung – und zum Anstoß von Begegnungen, indem sie auf die Gruppe und dann auch auf die Gemeinde verweist (und also immer schon „soziale Unterstützung“ im Blick hat).69 

68 Polspoel 2001, S. 176.69 „Seelsorge wird [...] nicht länger als Belehrung und Betreuung durch die eigens dafür von der Hierarchie bestellten Experten (bis vor kurzem vornehmlich Priester), auch nicht als Beratung im Sinne des „Rat Ge­bens“, sondern als Begegnung begriffen.“ Schmidt 2002, zitiert nach http://www.pfs­online.at/papers/paper­pastberatung.htm.

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Seelsorgerinnen und Seelsorger sind nach wie vor sozial sanktionierte Tabu­Verletzer im Umgang mit Sterben, Tod und Trauer. Das macht ihre besondere Stellung in der Trauer­ bzw. Hinterbliebenberatung aus.Sie stehen im Dienst der Trauerarbeit, indem sie Hinterbliebenen Gottes Wort zusprechen (selber auch „Hörer des Wortes“!) als „Trost im Elend“ (Ps 119,50). Vor allem aber stiften sie an zum Leben, indem sie die Kommunikation der Vielfalt ermöglichen und die geistge­wirkten Ressourcen von Menschen mobilisieren helfen. 

In diesem Sinne sind sie Facilitatoren („Erleichterer, Ermöglicher“) zur Persönlichkeitsent­wicklung und Lebensführung überhaupt und zur Problembewältigung im besonderen. In der Trauerberatung nehmen sie die Dienste subsidiär wahr, die auch von anderen Profes­sionen wahrgenommen werden könnten, beispielsweise die fachliche Information oder die Einwirkung auf problemverursachende oder ­verschärfende Verhältnisse.

Seelsorge als Trauerbegleitung und ­beratung erkennt in den Erfahrungen von Trauernden nicht nur die Gebrochenheit menschlicher Existenz, sondern entdeckt diese Erfahrungen als bestimmende Erkenntnisform für die Kritik an Wirtschafts­ und Gesellschaftsformen. Konkret bedeutet das, dass es zu den Aufgaben seelsorglicher Trauerberatung gehört, zu kritisieren, wie schnell Menschen nach einem Verlust innerhalb der Arbeitswelt wieder funktionieren müssen; darauf aufmerksam zu machen, dass der Beerdigungstakt auf unse­ren Friedhöfen nicht dem Empfinden von Trauernden entspricht und nicht mit der Würde der Toten vereinbar ist; zu vermitteln, dass Handy­Klingeln bei Beerdigungen Ausdruck schwindender sozialer Kultur ist usw.  Im Prozess von Begleitung und Beratung geht es um ein neues Selbstkonzept des Trauern­den, das auch in seinen spirituellen und religiös­kirchlichen Aspekten Unterstützung erfah­ren und gewürdigt werden sollte. Gerade in diesem Sinne ist Trauerbegleitung und ­bera­tung seelsorgliches Handeln. 

Gelingende Trauerarbeit – sofern man davon sprechen kann – interpretiert den Verlust nicht nur als solchen. Sie bewegt sich immer auch in der Domäne der Seelsorge, wenn sie z.B. Aspekte wie Erlösung und Vollendung (mit Blick auf den Verlorenen), Freiheit, neue Verantwortung und Selbständigkeit (im Hinblick auf den Weiterlebenden) und Aspekte der Interdependenz (im Hinblick also auf das Beziehungsgeschehen zwischen Totem und Le­benden) wie Liebe und Hingabe, Schuld und Vergebung in den Blick nimmt. 

Hinzu kommt, dass Erinnerung in diesem Prozess eine wesentliche Kategorie ist. Die Erin­nerung, das Gedächtnis oder Gedenken hat Bedeutung für unsere Persönlichkeitsentwick­lung: „Wir würden unserer Identität Schaden zufügen, wenn wir uns der Erinnerung derer entledigen würden, die unsere Geschichte ausmachen“70. Neuere Trauermodell geben als Zweck der Trauer an: „die Konstruktion einer dauerhaften Biographie der toten wie auch 70 Worden 1991, zitiert nach Smeding/Aulbert, 867. 

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der lebenden Person, die den Lebenden dazu befähigt, die Erinnerungen an den Toten und seine fortgesetzten Interaktionen mit dem Toten in sein Leben zu integrieren“71. Seelsorge hat in unseren kulturellen Zusammenhängen diese erinnernde Funktion: Ihr obliegen die Gedächtnisfeiern, und in ihren alltäglichen Riten – wie dem Anzünden einer Kerze für den Verstorbenen – bietet sie neben dem Gespräch rituelle Inszenierungen der Erinnerung.

Seelsorge als Beratung und Begleitung Trauernder findet in ganz verschiedenen Kontex­ten, zu verschiedenen Anlässen und mit unterschiedlichsten Inhalten, einmalig, kurz­, mit­tel­ oder langfristig, nach ganz unterschiedlichen methodischen Ansätzen und in vielfälti­gen Settings statt.Die beratungsrelevante Lebenssituation – „in Trauer Sein“ – wird in der seelsorglichen Be­ratung nicht als Gefälle wahrgenommen, sondern steht unter der biblischen Perspektive der Seligpreisung der Trauernden einerseits und der in Gott wurzelnden bleibenden Verbin­dung aller (Lebender und Toter) andererseits, die unter der visionären Verheißung steht, dass er, Gott selbst, alle Tränen abwischen wird. 

Begleitung und Beratung Trauernder ist eine unverzichtbare seelsorgliche Tätigkeit, inso­fern Menschen immer schon und immer auch Trauernde sind. Menschen müssen – eben weil wir sterblich sind – lebenslang mit schmerzlichen Verlusten rechnen und auf dieser Erde leben wir als „Hinterbliebene“.

71 Klass 2000, S. 71.

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3 Das Modell „Trauer erschließen“ von Ruthmarijke Smeding

Das Modell „Trauer erschließen“ soll im folgenden als ein Beispiel der Vorbereitung – un­terschiedlicher Berufsgruppen und Ehrenamtlicher – , Trauernde zu begleiten, ausführlich vorgestellt und skizzenhaft mit einem andere Modell zur Qualifizierung Ehrenamtlicher zur Trauerbegleitung verglichen werden. Die Bedeutung von „Trauer erschließen“ für die Begleitung und Beratung Trauernder im Kontext von Psychosozialer Beratung und Seelsorge wird dann diskutiert werden, sowie später dann umgekehrt die Bedeutung von Netzwerkkarte und Genogramm als Beratungs­instrumente in ihrer Bedeutung zur Erschließung von Trauerprozessen. 

3.1 Beschreibung des Modells

3.1.1 Allgemeine Einführung

Das Trauerbegleit­Modell „Trauer erschließen“ wurde von der niederländischen Erzie­hungswissenschaftlerin Ruthmarijke Smeding entwickelt. Es erkennt drei Gezeiten der Trauer, die sich rhythmisch, wie eben Gezeiten, verhalten, aber nicht linear­prozessual, sondern spiralförmig oder zyklisch verlaufen. Nur die erste Zeit, die Zeit bis zur Beerdi­gung, ist eine einmalige, nicht wiederkehrende Zeit, eine „Schleuse“: Der Leichnam wird den Angehörigen und Nahestehenden mit der Bestattung ein für allemal – unwiederbring­lich – entzogen. Da diese Zeit wie ein Durchgang ist, mit einem klar erkennbaren Einstieg, dem Tod, und einem klaren Ausstieg, der Bestattung, wird sie innerhalb des Modells der Niederländerin Schleusenzeit genannt.72 Die Schleusenzeit gehört zur Januszeit; die ande­ren Gezeiten werden innerhalb des Modells Labyrinthzeit und Regenbogenzeit genannt – sprechende Namen, die die Dynamiken dieser Erlebensweisen einzufangen suchen. Mit dem Bild der Spirale wird angedeutet, dass Trauer nicht einmal nur anwesend, das an­dere Mal nur abwesend ist; sie hat vielmehr Teil am Lebensweg und seiner Dynamik, kann beispielsweise auch als integrierte Trauer in einem Lebensabschnitt erneute Auseinander­setzung fordern. Trauer kehrt wie die Jahreszeiten wieder – und wie sich die Jahreszeiten in den verschiedenen Regionen der Erde verschieden zeigen, so zeigt sie sich – auch in der Art und Dauer der Wiederkehr – bei jedem Menschen ganz verschieden.

3.1.2  Die Fortbildung „Trauer erschließen“

72 An dieser Stelle lassen wir offen, ob sich bei Einbalsamierungen und Mumifizierungen der Trauerprozess verändert, da ja der Leichnam sich nicht auf dieselbe Weise der sinnlichen Wahrnehmung entzieht.

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Die Fortbildung für das Modell „Trauer erschließen“ besteht aus vier Kursabschnitten – zwei Wochen und zwei dreitägigen Einheiten, die sich über einen Zeitraum von zwei Jah­ren verteilen. Sie wird geleitet von einem dreiköpfigen Team, das zeitweise von Fachleuten und in Zukunft wohl auch von ehemaligen Kursteilnehmenden als Paten geleitet bzw. be­gleitet wird. Die Kursteilnehmerinnen und ­teilnehmer, bis zu zwanzig Personen, kommen aus unter­schiedlichen Arbeitsfeldern der Trauerbegleitung, gehören verschiedenen Professionen an oder sind ehrenamtlich in der Trauerbegleitung tätig. Im dritten Kursabschnitt wird daher in verschiedenen, zielgruppenspezifischen Untergruppen gearbeitet – u.a. um die Rollen­differenzierung in der Trauerbegleitung zu reflektieren und fachspezifische Inhalte zu ver­mitteln. Nach jeder Kurseinheit bekommen die Teilnehmenden Aufgaben für die Anwen­dung in der Praxis und zur Reflexion in regionalen Arbeitsgruppen (Unterstützungsgrup­pen) mit auf den Weg.Die Fortbildung vereinigt strukturierte biografische Arbeit mit berufsspezifischen Schu­lungsanteilen. Sie verbindet Übungen zur Erweiterung der persönlichen Wahrnehmungs­kompetenz mit Theorieanteilen zur aktuellen Trauerforschung, vermittelt das Methodenre­pertoire des Modells „Trauer erschließen“ und damit Haltungen der Begleitung.Im Verlauf der Arbeit gibt es täglich Prozessgruppen, die den Tag miteinander reflektieren und (im Plenum nicht bearbeitbare) gruppendynamische Prozesse (Störungen) auffangen sollen; zudem gibt es Fallbeispielgruppen, die anhand konkreter Trauer­Situationen Theo­rieanteile reflektieren oder praktische Übungen durchführen. Beide Gruppen dienen auch der Erweiterung der Handlungskompetenz im Umgang miteinander, mit unterschiedlicher professioneller Kompetenz, unterschiedlichen Sprachspielen, unterschiedlicher Persönlich­keit usw.Das Modell vereinigt in sich unterschiedliche theoretische Ansätze73: Es ist beeinflusst von den Gedanken des Doktorvaters von Smeding, dem amerikanischen Lehr­Psychiater Colin Murray Parkes. Die Utrechter Forschungsgruppe Trauer (um Stroebe, Schut) hatte großen Einfluß auf Smeding sowie die Ansätze des amerikanischen Familienanthropologen Paul Rosenblatt und Grundgedanken des israelischen Psychotherapeuten Shimson Rubin. Da sind zum anderen Ideen aus der Lerntheorie des Amerikaners David Kolb und Einflüsse des Religionspsychologen Dennis Klass zu verzeichnen. Die Begegnung mit anderen Kul­turen und der Umgang mit christlichen, jüdischen, buddhistischen und moslemischen Quel­len haben das Modell ebenfalls stark beeinflußt und das Wissen über und der Umgang mit Ritualen nimmt einen hohen Stellenwert in dem Modell „Trauer erschließen“ ein. Spiritualität hat unhinterfragt ihren Platz im Modell – auch insofern als zur Fortbildung spirituelle Elemente selbstverständlich dazugehören.Die Trauernden, mit denen Smeding über Jahrzehnte gearbeitet hat in verschiedenen Län­dern der westlichen Welt, gelten ihr selbst wohl als die wichtigsten Lehrer, Trauer zu er­schließen. Sie als solche wahrzunehmen, dazu ermutigt sie auf hervorragende Weise. 

73 vgl. Smeding (III) 2000, S. 1.

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3.1.3 Grundannahmen des Modells „Trauer erschließen“ 

Das Modell hat folgende Grundannahmen:1. Trauer ist keine Krankheit. Daher bedeutet Trauerbegleitung in erster Linie, 

Menschen in ihren eigenen Reaktionen zu bestätigen und ihren Weg mitzuge­hen.

2. Trauerbegleitung bedeutet kein Expertentum. Fachwissen ist wichtig, weil es dazu dient, mit Vorurteilen und Irrtümern aufzuräumen. Jedoch geht es eigent­lich um Einübung von Lebenswissen im Umfeld von Verlust und Abschied, Loslassen und Trauer und um ein Miteinander im Umgang mit angeeigneten Lebens­, Erfahrungs­ und Fachwissen in Bezug auf Verlusterfahrungen.

3. Trauerbegleitung ist keine Therapie, sondern ein Prozess mitmenschlicher Un­terstützung. Von daher sind therapeutische Methoden auch nur von Therapeu­tinnen einzusetzen. Im Modell geht es um Erschließungsprozesse. 

4. Trauer wird nicht „abgeschlossen“ – wie eine Reparatur, sondern eher „inte­griert“. Der Begriff der Resttrauer steht für das, was angestoßen durch unter­schiedlichste Reize, an Trauer immer wieder einmal aufbrechen kann.

5. Trauerbegleitung ist wirklich Begleitung; sie hat sich als solche an den Fragen, dem Tempo, der Weltanschauung, den Lebenserfahrungen usw. des Trauernden zu orientieren. Komplementär dazu und gleichberechtigt bringt sich der Beglei­ter/die Begleiterin in den Prozess ein.

6. Trauer ist die Fähigkeit, den Lebensweg nach einem Verlust neu zu erkunden und unter die Füße zu nehmen. Trauerbegleitung erkundet die inneren Fähigkei­ten und äußeren Ressourcen von Trauernden, damit sie ihren Weg nach ihren Bedürfnissen gehen können.

7. Anerkennung dessen, was aus der Perspektive des oder der Trauernden jetzt das Wichtigste/Vorrangigste/Bedeutsamste ist.

3.1.4  Die Gezeiten des Modells

3.1.4.1 Januszeit – Einstieg: SchleusenzeitDer Eintritt in die „Schleusenzeit“ beginnt mit dem Sterben eines Menschen und der Ge­staltung dieser letzten Lebenszeit, der Stunde(n) des Abschieds oder auch, wenn der Ange­hörige74 die Todesnachricht erhält.Schleuse – dieser Begriff zeigt an, dass es – im Unterschied zu den anderen Gezeiten – eine abgegrenzte Zeit ist. Die „Trauer“­Schleuse reicht zeitlich bis zur Beerdigung/Bestat–tung eines Menschen – vielleicht noch – abhängig von kulturellen Faktoren – in die vierzig Tage darüber hinaus. Sie markiert jedenfalls die Umwandlung des verstorbenen, den Sin­

74 Angehöriger wird hier allgemein gebraucht im Sinne von Zugehörigkeitsgefühl und nicht allein für familia­le Beziehungen.

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nen noch gegenwärtigen (greifbaren, riechbaren, sichtbaren) Angehörigen – des Opas, Bru­ders, der Mutter, Tochter, des Freundes – in den toten Leichnam, der unserem Zugriff ent­zogen ist. Die Schleuse öffnet sich nur in eine Richtung; es gibt kein Zurück: Mit dem Durchgang durch die Schleuse ist aus dem Angehörigen nun wirklich der Verstorbene und aus den Zurückbleibenden sind Hinterbliebene geworden.75 Jetzt erst würde sich z.B. eine Frau als Witwe bezeichnen.Mit dem Bild des Gottes Janus, der in die Vergangenheit und in die Zukunft schaut, prä­sentiert sich die darauffolgende Zeit als Zeit des Hin­ und Hergerissenseins. Sie ist geprägt von der Bindung an die Vergangenheit: das Leben mit dem lebenden Du, und der Notwen­digkeit, in eine Zukunft ohne den anderen oder die andere weitergehen zu müssen. Sie ist geprägt von der „Doppelköpfigkeit“ der Zeit: der Kalenderzeit einerseits, der Trauerzeit andererseits. Die normale Kalenderzeit schreitet unaufhörlich weiter, alles scheint geblie­ben, wie es war: der Morgen kommt, die Alltagsverrichtungen müssen getan werden, der Sommer kommt, der Urlaub, der Geburtstag, jahreszeitliche Feste ... Gleichzeitig gibt es jedoch für vom Tod Betroffene einen neuen Rhythmus, der erst gehört, gefühlt, gelebt, ein­geübt werden will: ohne ihn oder ohne sie heißt es jetzt. Die Trauer zeigt sich nach und nach in all ihren Dimensionen: mit ihren sozialen, physischen, emotionalen, intellektuellen und spirituellen Aspekten. Die Welt mit ihrem Alltag scheint unverändert und alles geht normal weiter. Langsam je­doch dringt der Verlust in seiner ganzen Tragweite zum Trauernden durch. Nichts ist mehr so, wie es war. Für den Trauernden wird es nötig, das Vakuum, das der Verlust des Ver­storbenen hat entstehen lassen, zu erfahren, zu erleben, auszuhalten. Er oder sie sieht sich immer wieder Sinn­Fragen gegenüber stehen: „Wie“ und „wofür“ ist mein Leben – ohne den Verstorbenen – zu leben? Gleichzeitig geht das Leben scheinbar normal weiter und die Aufgaben des Lebens müssen wie bisher erfüllt werden, z. B. im Beruf oder als Mutter kleiner Kinder. Diese Gleichzeitigkeit unterschiedlichster Empfindungen, Sichtweisen und Anforderungen führt häufig auch zu körperlichen Symptomen: Konzentrations­, Schlaf­ und Essstörungen, Herzbeschwerden und vieles andere.76 Trauernde berichten häufig, dass sie diese Zeit au­ßerhalb ihrer Selbst als irreal, verschoben, nicht stimmig, sich als verrückt erlebt haben. Sie ziehen sich oft aus der „normalen“ Welt, aus bisherigen Beziehungen und von bis da­hin gewohnten Lebensweisen zurück. 

75 So sprechen auch die deutschen Bischöfe (Sekretariat der deutschen Bischofskonferenz 1995, S. 49), von „Passage­Riten“, davon dass dem Trauerritual zukommt, „symbolisch den Weg der Trennung vom bisheri­gen Status zur Annahme des neuen“ aufzuzeigen. 76 Sypmtome, die von Forschungen bestätigt wurden und als „Trauersymptome“ oder „trauerreaktionen“ be­zeichnet werden. Vgl. Smith 1993, S. 55. Hinweise auf Forschungen zur Symptomatologie der Trauer finden sich bei Jerneizig, Spiegel ( siehe Literaturliste) u.a.

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3.1.4.2 LabyrinthzeitNach und nach wird ein neuer, eigener Rhythmus gefunden: der oder die Trauernde ver­sucht, mit der Trennung umzugehen, an den roten Faden der Beziehung auf neue Weise an­zuknüpfen und so den labyrinthischen Lebensweg zu gehen. In dieser zweiten Gezeit machen Trauernde die Erfahrung, dass nichts so ist, wie es mal war. Nicht einmal das erlernte Krisenverhalten, mit dem bis jetzt mehr oder weniger er­folgreich die Anforderungen des Lebens gemeistert wurden, funktioniert noch. Selbst Trauernde, die schon Erfahrung mit dem Tod eines geliebten Menschen gemacht haben, müssen erleben, dass damals hilfreiche Strategien zum Weiterleben heute nicht greifen. Das Bild des Labyrinthes weist auf unterschiedliche Aspekte hin: 

• „Der Weg des Labyrinthes führt zur Mitte und von dort aus auch wieder heraus. Für den Trauernden kann dies bedeuten, er entdeckt für sich die eigene Mitte oder kommt in dieser Zeit wieder mit ihr in Kontakt.

• Der Weg führt an die Mitte heran, dann wieder von ihr fort, aber es bleibt der richtige Weg. Der Trauernde hat immer wieder das Gefühl, dass es nicht besser wird, dass die bereits zurückgelegte Strecke des Trauerweges keine Veränderung bewirke. Dann auch wieder das Gefühl, es geht weiter, die Beziehung zum Verstorbenen, zu Familie, zu Freunden etc. wird immer wieder angesehen, und es wird entschieden, das ist wichtig und dies nicht. 

• Viele Kurven und Richtungsänderungen und damit verbundene Unsicherheiten oder Ängste befinden sich auf diesem Weg. Der Weg im Labyrinth ist eine außerordentlich schmerzvolle Zeit, die teilweise massive Auswirkungen auf den ganzen Menschen, d. h. physisch, psychisch, kognitiv, spirituell und sozial, haben kann.

• Es ist nicht klar, was die Mitte bietet, welcher Sinn sich erschließen lässt. Alle Trauern­den beschäftigen sich mit dem Verstorbenen und mit ihrer Beziehung zu der nicht mehr lebenden Person. Auf dem Weg im Labyrinth sortiert der Trauernde alles, was war, was geblieben ist, was bleiben soll, was losgelassen werden kann, was sinnvoll für das kom­mende Leben ist.“77

Der Durchgang durchs Labyrinth dauert ein bis drei Jahre: eine Zeit, in der Trauernde im­mer einmal wieder Unterstützung für ihre Orientierung, für Sortierprozesse, Wegsuche brauchen. Die Labyrinthzeit ist eine Phase des Vor und Zurück: Trauernde erlernen einer­seits, das Chaos zu ordnen, erleiden andererseits immer wieder Einbrüche des Chaos. 

3.1.4.3 RegenbogenzeitZunehmend leben Trauernde damit: Du bist verstorben – ich lebe weiter. Der Regenbogen als Hoffnungszeichen der Zukunft steht über dieser Gezeit, weil sie signalisiert, dass die Zukunft mit dem Toten gefunden worden ist. Der oder die Trauernde hat eine relative Ge­wißheit, dass er oder sie alle Fähigkeiten zum nächsten Schritt hat. Der Tote hat seinen Ort 

77 Smith 2002, S. 22­23.

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in der Biographie des einzelnen und des unmittelbaren sozialen Systems (Familie, Freun­deskreis) bekommen.Dazu zeigt Smeding vier Möglichkeiten auf:

A. Trauernde betrachten ihren Trauerweg als „abgeschlossen“ B. Hinterbliebene ritualisieren ihre Verbindung zum BetrauertenC. Die/der Betrauerte wird im Alltag auf neu erschlossener Ebene jeweils inte­

griert; er oder sie wird mitgenommen in der weiteren Entfaltung der Famili­en­ und/oder persönlichen Biografie.78 

D. Zudem gibt es Kombinationen der drei Möglichkeiten.

Neue Auslöser – wie ein Gedenktag, eine Geburt, ein ähnliches zum Tode führendes Ereig­nis im Lebensumfeld etc. – können ein erneutes Erleben der Trauergezeiten verursachen. Wieder wird der Verlust und die Beziehung zum Verstorbenen in den Blick gerückt, und der Hinterbliebene kann erneut kleine – das bedeutet zeitlich kürzere und in der Intensität verminderte – Janus­, Labyrinth­ und Regenbogenzeiten erleben, die er oder sie gewöhn­lich ohne Begleitung durchsteht. 

 3.1.5 Zur Bedeutung des Modells „Trauer erschließen“

Das Modell „Trauer erschließen“ nimmt die Idee der Begleitung ernst: Es geht nicht um eine neue Profession Trauerbegleiterin/Trauerbegleiter, sondern um die Vertiefung der „Alltagskompetenz“ von Menschen, die einander zu Weggefährten auch in Krisenzeiten werden können. Insofern richtet es sich auch zunächst an Menschen, die ehrenamtlich – in mitmenschlicher Solidarität – Trauernde begleiten. Die Fähigkeit zu lernen ist der Ausgangspunkt, von dem aus Trauer betrachtet wird. Dieje­nigen, die Trauernde begleiten, werden befähigt, solche Lernprozesse zu unterstützen: durch Bestätigen, Annahme dessen, was ist, Einladungen, Neues oder Anderes auszupro­bieren. Das Erarbeiten bzw. Reflektieren von Grundhaltungen im Umgang mit Hinterbliebenen er­möglicht solches Lernprozesse stützende Begleiten und erweitert auch die Kompetenz von in der Trauerberatung Tätigen. Dem Begleiten und Beraten dienen auch die Erweiterung des Wissens über Trauerprozesse und ebenso die Abgrenzungen zu Situationen, in denen andere professionelle Kompeten­zen gefordert sind. Bei „Trauer erschließen“ wird an der Differenzierung der Tätigkeiten der verschiedenen Berufsgruppen gearbeitet; so dient ein Block der Begegnung des sonst meist unsichtbar wirkenden Teams von Ehrenamtlichen, Ärztinnen, Sozialarbeitern, Seel­sorgern usw. Es wird an der Vernetzung der verschiedenen in Trauerprozesse verwickelten Menschen gearbeitet, wer was wo und wann macht – und welche Vorteile es haben könnte, wenn das „unsichtbare Team“ zusammenarbeiten würde.

78 Smeding 2000, S. 15.

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Allerdings erscheinen die Professionsgrenzen manchmal etwas willkürlich gezogen und entsprechen nicht immer der Realität der in der Praxis geleisteten Arbeit und dem Selbst­verständnis der Professionellen. Das liegt für den Bereich der Seelsorge sicherlich daran, dass sie recht einseitig in ihrer rituellen und deutenden Funktion wahrgenommen und ver­standen wird. Die dem Modell zugrundeliegenden Annahmen und Haltungen werden sich, wenn sie ernstgenommen werden, in allen Bereichen, in denen Aspekte der Trauerbegleitung eine Rolle spielen – also überall da, wo Menschen trauernden Mitmenschen begegnen – auswir­ken.

Für den Bereich der Gesprächsführung mit Trauernden lehrt das Modell sehr akzentuiert, dass das Repertoire der Gesprächsführung nach Rogers, das Aktive Zuhören etwa, im Um­gang mit Trauernden nicht unbedingt hilfreich ist. 

Das Modell begrenzt sich ausdrücklich auf die Begleitung „normaler“ Trauer und die „ge­fährdete Trauer, sofern sie sich im Rahmen des Normalen bewegt.

Das Modell ist offen, innerhalb der fachlichen Bereiche methodisches Handwerkszeug zu integrieren, das aus verschiedenen Disziplinen stammt. Wichtig vom Ansatz „Trauer er­schließen“ her ist es, dass die Verwendung von Methoden als Erschließungsinstrumente er­folgt, das heißt, dass Trauernde als selbstbestimmt Lernende betrachtet werden.

Genogramm und Netzwerkkarte – das wird zu zeigen sein – eignen sich zur Integration in „Trauer erschließen“, weil und insofern sie nicht als therapeutische Methoden eingesetzt werden. Da wo sie der Visualisierung systemischer (oder sozialer) Zusammenhänge die­nen, kann der Trauernde selbst sie nutzen, sich mit den sozialen Zusammenhängen und Auswirkungen seiner Verlusterfahrung auseinander zu setzen.

3.2  Vergleich des Modells „Trauer erschließen“ mit dem Freche­ner Modell zur Qualifizierung Ehrenamtlicher zur Trauerbe­gleitung79

3.2.1  Einführung

79 ALPHA Rheinland (1999). Vgl. Laurs & Spohr 2000, S. 13­14.

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Um das psycho­edukative Modell „Trauer erschließen“ einordnen zu können, das sich im Unterschied zu anderen Modellen der Trauerbegleitung auch an professionell Tätige in der Trauerbegleitung und ­beratung (und ­therapie80) richtet, sei es mit einem anderen Modell zur Befähigung zur Trauerbegleitung81 verglichen: dem so genannten Frechener Modell. Es handelt sich dabei um das unseres Wissens bisher einzige veröffentliche Qualifizierungs­modell, das im Rahmen der Arbeit des „Hospiz in Frechen e.V.“ entstanden ist. Ihm kommt nicht nur dieses Verdienst zu, als Veröffentlichung vorzuliegen, sondern es dürfte auch eine Vorreiterrolle in Deutschland gehabt haben. Hinzu kommt, dass aufgrund dieser im Frechener und Kölner Raum gesammelten Erfahrungen das Thema Trauer und Trauerbegleitung, aber auch die Differenzierung von Aufgaben innerhalb der Trauerbeglei­tung sowohl in einer breiteren Öffentlichkeit wie auch unter FachkollegInnen thematisiert wurde – was zunächst zur Gründung eines Trauernetzwerks NRW, dann zur Gründung des Trauerinstituts Deutschland e.V. geführt hat.Das Frechener Modell zur Befähigung Ehrenamtlicher zur Trauerbegleitung ist von der dortigen Hospizkoordinatorin, der Krankenschwester Agnes Laurs (damals in Ausbildung zur Familientherapeutin), dem ersten Vorsitzenden des Hospizvereins, Pfarrer Matthias Schnegg, (Psychodramaleiter) und dem zweiten Vorsitzenden Michael Spohr (Diplom­Theologe und Diplom­Psychologe, Supervisor) entwickelt worden.Es wurde erstellt in Zusammenarbeit mit ALPHA82, der Ansprechstelle im Land Nord­rhein­Westfalen zur Pflege Sterbender, Hospizarbeit und Angehörigenbegleitung.

3.2.2  Skizze des Modells

Das Frechener Modell wurde Ende der 1990 Jahre im Rahmen der Hospizarbeit im Freche­ner Raum entwickelt. Es wendet sich ausdrücklich und ausschließlich an Ehrenamtliche, die im Kontext hospizlichen Engagements in der Trauerbegleitung tätig werden wollen. Die Schulung ist über einen Zeitraum von zwei Jahren konzipiert und umfasst:

• ein Selbsterfahrungswochenende, das zur Auseinandersetzung mit biographischen Trauerthemen einladen will,

• ein Anfangswochenende, das in den Kurs als Ganzen einstimmt,• eine Tagesveranstaltung zu Phänomenologie und Phasen der Trauer,• eine Abendveranstaltung zu halluzinatorischem Erleben in der Trauer,• eine Abendveranstaltung zu systemischen Aspekten der Trauer,80 Smeding betont allerdings, dass sie keine therapeutische Begleitung innerhalb des vierwöchigen Kurses „Trauer erschließen“ lehrt!81 Andere Qualifizierungen – wie etwa das Regensburger Modell – sind meist nicht veröffentlicht und richten sich an einzelne Zielgruppen – dort sind das recht ausschließlich Seelsorger und Bestatter. In den Ausbildun­gen der verschiedenen Berufsgruppen kommt Trauer (und kommen Trauerbegleitung und ­beratung) nicht oder sehr reduziert bzw. auf veraltetem Kenntnisstand beruhend vor. Zum Regensburger Modell siehe: Holz­schuh 2001. 82 Gegründet 1992 zur Gesamtkoordination der vielfältigen Aktivitäten im Hospiz­Bereich in NRW.

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• eine Tagesveranstaltung zu Riten und Ritualen in der Trauerbegleitung,• eine Abendveranstaltung zu Zielen der Trauerbegleitung – Ressourcen für eine „gute“ 

Trauer,• eine Abendveranstaltung zu Haltungen des / der Trauerbegleiters /in und• ein Abschlußwochenende als Praxisanleitungswochenende, das in die Bildung der Su­

pervisionsgruppen mündet.

Die Leitung übernimmt das Dreier­Team, das den Kurs konzipiert hat. Die Gruppe kann bis zu 24 Teilnehmerinnen und Teilnehmer umfassen und wird phasenweise in stabile Un­tergruppen mit 8 Teilnehmenden aufgeteilt.

3.2.3  Kritische und vergleichende Anmerkungen

Die Frechener Schulung ist – in der vorliegenden Fassung – sehr therapieorientiert, näher­hin auf Psychodrama und systemischen Ideen basierend. Sie ist schon in ihrem Aufbau an­gelehnt an Modelle von Beratungs­ und Therapieausbildung, die in einem Dreischritt Selbsterfahrung, Theorie­Praxis­Erarbeitung und Supervision der eigenen Praxis der Teil­nehmerInnen in Kleingruppen schulen. Therapeutische Themen (wie Halluzinationen oder Systemik) wirken sehr dominant und erscheinen mir der Zielgruppe Ehrenamtliche nicht angemessen aufgearbeitet.Die Frechener Schulung wirkt – auch wenn das Gegenteil betont wird – eher so, als würde nun eine neue Berufsgruppe Trauerbegleiter gebildet. „Trauer erschließen“ betont demgegenüber und erarbeitet Grundhaltungen der Trauerbe­gleitung. Das Modell „Trauer erschließen“ hat ebenfalls gestalttherapeutisch oder psycho­dramatisch orientierte Elemente (beispielsweise in der Methode „Symbole erschließen“) umgesetzt, lädt aber nur zurückhaltend zur persönlichen Umsetzung solcher Methoden – ohne Erfahrung schon gar nicht – ein.Religiöse Aspekte der Trauer, Trauerformen, ­gestaltung fehlen im Frechener Modell völ­lig. Beerdigung zum Beispiel kommt als Thema gar nicht vor. Felder, in denen Ehrenamtliche Trauernde begleiten können (wie z.B. Etablierung von Trauercafes) oder auch die konkrete Gestaltung von Einzelbegleitungen (etwa was den Kontrakt zwischen Ehrenamtlichem und Trauernder, zeitliche Dauer der Begleitung usw. angeht) werden nicht thematisiert.83 Im Gegensatz zum Frechener Modell betont „Trauer erschließen“ die Unterschiede von eh­renamtlichen und professionellem Engagement in der Trauerbegleitung und arbeitet aus­drücklich an der klaren Abgrenzung der unterschiedlichen Begleitungsangebote. 

83 Ganz anders bei niederländischen Modellen; vgl. Boelen, Huiskes & Kienhorst 2000.

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4 Genogramm und Netzwerkkarte – Integration von Instrumenten psychosozialer Arbeit in die Trauerpastoral

4.1 Trauer und soziales Netz

  4.1.1  Das soziale Netz 

Unter dem sozialen Netz versteht man das Beziehungsgefüge eines Menschen.84 Alle Ver­wandten, FreundInnen, ArbeitskollegInnen, NachbarInnen, Mitglieder der Kirchengemein­de, Vereinskumpane, professionelle UnterstützerInnen – wie Pfarrer, Arzt, Therapeut, Es­sen­auf­Rädern­Fahrer, Pflegende... – können als Teile eines sozialen Netzes gesehen wer­den.

Den Blick auf soziale Zusammenhänge haben die Systemtheorien geschärft. Systemtheori­en85 sind in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren entstanden. Sie basieren alle auf Ideen von Ludwig von Bertalanffy, dem Begründer der Kybernetik (Lehre von der Steue­rung technischer Systeme), Norbert Wiener, einem Informationstheoretiker, und Gregory Bateson, Philosoph und Anthropologe (dem „Papst“ der Systemtherapien). Man erkannte zu dieser Zeit, dass ganz unterschiedliche Phänomene oder Prozesse Attribute von Syste­men, wie sie in der Physik untersucht wurden, teilen, dass es soziale, biologische und me­chanische Systeme gibt. Was allen gemeinsam ist „that is, a unified whole that consists of interrelated parts, such that the whole can be identified from the sum of its parts and any change in one part affects the rest of the system“86.Funktionierende Systeme tendieren dazu, immer aufs neue ein Gleichgewicht87 herzustel­len. Dazu nutzen sie Feedback. (Beliebtes Beispiel aus dem technischen Bereich: die häus­liche Zentralheizung. Die Temperatur in den Wohnräumen wird über Thermostate geregelt, die sozusagen die Feedbacknehmer und ­geber sind, die vorgegebene Temperatur stellt das zu erreichende Gleichgewicht dar, das durch die Thermostate erzielt werden soll.) In allen Systemen gibt es eine Reihe von Rollen, die stabil übernommen werden. Neben diesem Homöostase­Konzept entstanden andere, die von Begriffen wie Fluktuation, Chaos, Syner­getik und Selbstorganisation bestimmt sind. Vor allem die Sprache, die immer sozial ist, kam dabei neu in den Blick, weil Menschen mit Sprache sich in der Welt orientieren, ihre Identität entwickeln und Beziehungen leben. Es geht in allen systemischen Ansätzen dar­um, ein neues Verständnis von sozialen Systemen zu finden und daraus Ideen für Beratung und Therapie abzuleiten. 84 In der Literatur wird darunter manchmal nur das natürliche Umfeld einer Person verstanden; manchmal werden aber in soziales Netz, soziale Unterstützung auch Selbsthilfegruppen und professionelle Hilfen einbe­zogen (manchmal als künstliche soziale Netzwerke bezeichnet), wie das hier im folgenden der Fall ist. 85 Hier sehr vereinfacht dargestellt. Zur Geschichte und zu Schulen ausführlich in: Schlippe & Schweitzer 2002.86 McLeod 2000, S. 114 (er zitiert Guttmann 1981:41).87 Zum Homöostase­Konzept siehe Schlippe & Schweitzer 2002, S. 61­67.

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In unserem Zusammenhang reicht es festzustellen:„Der Begriff System bezeichnet eine Gruppe von Menschen, die als funktionales Ganzes interagieren. Weder die Menschen noch ihre Probleme existieren in einem Vakuum. Beide sind untrennbar mit größeren Interaktionssystemen verwoben, von denen das grundle­gendste die Familie ist. Die Familie ist das primäre und – von wenigen Ausnahmen abge­sehen – einflussreichste System, dem ein Mensch im Laufe seines Lebens angehört.“88 

Verändert sich etwas im System ­ Elemente, Strukturen, Muster, Verhalten einzelner ­ , so hat das Auswirkungen auf jeden im System und so verändert sich das System als Ganzes. Soziale Systeme sind lebendige, dynamische Gebilde, die sich immer in Veränderungspro­zessen befinden. Sie verfügen über eine zumindest potentiell „unendliche Bandbreite an Möglichkeiten, sich zu verhalten“89. 

„Die Stärke sozialer Netzwerke [...] liegt in der Vielfalt der im einzelnen geleisteten Unter­stützungsformen, angefangen von der emotionalen (Einfühlung, Fürsorge, Gefühle der Ge­borgenheit und der Dazugehörigkeit), über die instrumentelle (konkrete Dienstleistungen, materielle Hilfen), informelle (Anregungen, Ratschläge, Vermittlung von Wissen und Kenntnissen) bis hin zur motivationalen Unterstützung (vgl. Diewald 1991).“90

4.1.2  Der Tod und das soziale Netz

Der Tod einer wichtigen Bezugsperson verändert das soziale Netz eines Menschen. Indem sich die Beziehungen und Rollen wandeln, verändert sich das persönliche soziale Unter­stützungssystem, und es verändern sich die Möglichkeiten der Person, soziale Unterstüt­zungsmöglichkeiten wahrzunehmen und zu nutzen. 

Ob ein Mensch nach einer Verlusterfahrung psychosoziale und seelsorgliche Unterstützung von Professionellen oder Hilfsorganisationen in Anspruch nimmt, dürfte davon abhängen, wie er sich eingebunden fühlt in sein soziales Netz. Natürliche soziale Netzwerke bieten ja oft selbst Hilfen an: Die vertraute Nachbarin, die selbst Witwe ist, vermittelt, wie sie es ge­schafft hat, mit dem Verlust ihres Mannes zu leben; der Nachbar hilft beim Rasenmähen; Frauen aus der Kirchengemeinde unterstützen dabei, den Nachmittag für die Kinder zu or­ganisieren, deren Mutter verstorben ist, laden sie zum Mittagessen ein, betreuen die Haus­aufgaben usw. 

Das soziale Netz beeinflusst das Hilfesucheverhalten:

• indem es die Belastungserfahrung abpuffert;88 McGoldrick & Gerson 2000, S. 17.89 Schlippe & Schweitzer 2002, S. 56.90 Lenz 1997, S. 98.

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• indem es Hilfsangebote positiv und unterstützend wertet oder eben verunglimpft und als überflüssig herausstellt, Werte, Normen und Einstellungen zur Hilfesuche kolpor­tiert;

• indem es auf konkrete Überweisungsinstanzen oder Suchmöglichkeiten für professio­nelle Unterstützung hinweist

• oder auch die Inanspruchnahme professioneller Unterstützung dadurch verhindert, dass es selbst instrumentelle und affektive Unterstützung anbietet.

Menschen wirken also „als Informationslieferant, Pfadfinder und Begleitschutz im Dickicht des psychosozialen [...] Versorgungssystems“91.

Die Veränderungen, die ein Verlust an den Tod für das Beziehungsgefüge bedeutet, wer­den sehr subjektiv empfunden: Die bislang erlebte Unterstützung durch den nun toten Menschen wird vom hinterbliebenen Menschen als einzigartig und unaustauschbar emp­funden. Der Verlust schafft eine Lücke, die von einem anderen nicht (oder nicht auf diesel­be Weise, nicht adäquat oder nicht in unmittelbarer zeitlicher Folge) ausgefüllt werden kann, auch wenn er oder sie theoretisch dieselbe Unterstützung geben könnte und wollte.

Der Tod beeinträchtigt aber nicht nur die Unterstützung, die der Mensch durch den Ver­storbenen erhalten hat, sondern ist auch wirkmächtig im Hinblick auf die gegebene Unter­stützung, weil Unterstützung häufig reziproker Natur ist. „So kann sich ein Mensch, der mit dem Tod […] einer geliebten Person konfrontiert ist, fragen, «wohin» er mit seiner Liebe, Zuneigung, Freundschaft und materiellen Unterstützung soll, die zuvor an die ge­liebte Person gerichtet waren. […] Mit dem Verlust einer Person, die ein wichtiger Emp­fänger der eigenen Unterstützung gewesen ist, empfinden Individuen ihr Leben häufig als leer und sinnlos.“92

4.1.3 Familie und soziales Netz als Trauersystem(e)

Durch den Tod eines Menschen wird aus dem Familiensystem ein „Trauersystem“: Alle Personen mit ihren spezifischen Beziehungen, Rollen und Aufgaben werden durch den Verlust beeinträchtigt und müssen sich nach dem Verlust neu ordnen bzw. die Beziehun­gen, Rollen und Aufgaben neu organisieren. „Das System muss die Aufgabe des Trauerns bewältigen“93. Das kleine Beziehungssystem Familie ist in diesem Prozess in größere Sys­teme, die Nachbarschaft, das Dorf, die Kirchengemeinde, das Land etc., eingebunden, die auch Einflussfaktoren für die Trauer bilden: Die Systeme bestimmen, wer, ob und wie lan­ge oder in welcher Form getrauert werden darf.94 

91 Herrle 1998, S. 60.92 vgl. Pearson 1997, S. 46.93 Goldbrunner 1996, S. 42.94 Vgl. Goldbrunner 1996, S. 56­59.

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Trauer ist also einerseits ein höchst individuelles – innerpsychisches – Geschehen und wird andererseits auf höchst komplexe Weise von Systemen, sprich vom unmittelbaren Leben­sumfeld einer Person und von größeren Einheiten bis hin zur Kultur eines Volkes, dem eine Person angehört, bestimmt. Trauer erfasst einerseits auf ganz eigene Weise das Indivi­duum, andererseits wird aber auch immer das ganze soziale System, die Familie und dar­über hinausgehend das gesamte Beziehungsgefüge eines Trauernden (das ist sein soziales Netz), von der Trauer tangiert oder gar verändert. Der Verlust hat individuelle, soziale und auch kulturelle Auswirkungen. Trauer muss daher immer auch in diesen größeren Kontex­ten gesehen werden. Mit der Genogramm­Arbeit wird der Kontext der Familie, mit der Netzwerkkarte der Kontext Soziales Netz – hier allerdings beides in egozentrierter Per­spektive, im Beratungssetting mit einer einzelnen Person – in den Blick genommen.

Durch den Tod eines Familienmitglieds verändern sich alle Rollen im Familiensystem.95

Wenn ein Familienmitglied stirbt, stirbt z.B. für die Ehefrau der Ehemann, der Geliebte, der Gesprächspartner, der Ernährer usw.; für die Kinder der Vater, der Orientierungspunkt, der Erzieher, Kontrolleur; für die Elterngeneration der Sohn oder Schwiegersohn mit all den Bedeutungen, die er für diese Personen gehabt hat. Aspekte der Beziehungsgestaltung zum Verstorbenen und innerhalb des sozialen Netzes, des Alters des Verstorbenen und der verschiedenen Personen im sozialen Netz spielen für die Trauer und damit auch für ihre Bewältigung eine entscheidende Rolle. Jeder hat einen eigenen Verlust erlitten, der Verstorbene hat für jeden eine andere Bedeutung – es ist bei­spielsweise der Onkel, Bruder, Ehemann, Vater, Schwager ... und zudem wird er von den verschiedenen Personen mit ganz eigenen Beziehungsattributen versehen, ist der geliebte, gefürchtete, gemochte, verhaßte, bewunderte, geachtete...

Goldbrunner beschreibt, dass Beziehungssysteme die Bedingungen der Trauer festlegen, „indem sie bestimmen, ob überhaupt, wie lange, wer und in welcher Form getrauert wer­den darf. Sodann ist davon auszugehen, daß die Trauer eine Herausforderung an das sozia­le System darstellt, krisenhafte Eskalationen zwischen den betroffenen Personen auslösen kann und letztlich auch einen Impuls zur Weiterentwicklung auf verschiedenen systemi­schen Ebenen enthält“96.Er zeigt auf, dass sich in Trauersystemen bestimmte Rollen herausbilden, die auch mitein­ander korrespondieren: So gibt es einen so genannten Haupt­Trauernden (Chief­mourner) und einen Unterstützer (helper) im Trauersystem. Darin kommt auch zum Ausdruck: Die unmittelbaren Bezugspersonen, die Trauernden zur Seite stehen, sind häufig selbst von dem Verlust Betroffene, sind Mittrauernde.97 Selbst das „kleine“ soziale Netz, die Familie, stellt (zwar ein Trauersystem, aber) keine „Trauer­Einheit“ dar. Dem gemeinsamen „Au­ßen“ des Verlustes steht ein vielfaches „Innen“ der Erfahrungen gegenüber. Die vom Ver­

95 vgl. Parkes 1998, S. 100­106.96 Goldbrunner 1996, S. 41.97 vgl. Goldbrunner, S. 2.

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lust Betroffenen haben meistens keinen Blick für die jeweils anderen und ihre Art zu trau­ern. Darin wurzeln viele Konflikte, darin wurzelt aber auch die Reaktion des Gesamtsys­tems auf den Verlust. Konkreter: Die Art des einen zu trauern bringt die Art des anderen hervor oder verändert sie – es gibt Interdependenzen. 

Der Verlust eines geliebten Menschen verlangt von Trauernden den Aufbau einer neuen Identität als Hinterbliebene. Dies erfolgt auf das Selbst bezogen, aber auch auf Familie, ge­sellschaftliche Systeme und auf die gesamte soziale Umwelt. Im Kontakt mit anderen Menschen, dem sozialen Netz, erfährt der Trauernde eine Bestäti­gung des Verlustes. Gemeinsam werden in der Zeit der Trauer Konstruktionen und Rekon­struktionen der Wirklichkeit und des Sinnes für die eigenen Lebensgeschichten entworfen. Ziel des auf den Verlust folgenden Trauerprozesses ist es, der Lebensgeschichte eines je­den Einzelnen, aber auch der gemeinsamen Geschichte wieder Kohärenz zu geben. Trauer­arbeit bedeutet das „Neuschreiben unserer Lebensgeschichte“98, die durch den Verlust ei­nes geliebten Menschen ihre Passung verloren hat. In diesem Prozess der „Neuschreibung“ hat das soziale Netz entweder selbst eine wesentliche Funktion oder es muss neu gebildet werden und ist Teil der „Neuschreibung“.

Der amerikanische Philosoph Thomas Attig hat in diesem Zusammenhang vom Wiederer­lernen der sozialen Welt99 gesprochen. Damit ist gemeint, dass der Trauernde wieder neu lernen muss, seinen Kontakt zu anderen Menschen zu gestalten – wie er nach einem kom­plizierten Beinbruch das Gehen wieder neu lernen muss. Selbst im unmittelbaren Umfeld der Familie muss neu gelernt werden, miteinander ohne den Verstorbenen weiter zu leben. Viele Trauernde erzählen von ihren Schwierigkeiten, Festtage oder Familienfeiern zu ge­stalten. Auch der Kontakt zu FreundInnen, KollegInnen, der Nachbarschaft, der Gemeinde muss neu angegangen werden. Trauernde PartnerInnen berichten beispielsweise, dass sie sich in der Begegnung mit befreundeten Ehepaaren ohne ihren verstorbenen Partner wie amputiert fühlen. Das Alter des Verstorbenen und das des Trauernden spielen eine wichtige Rolle in diesem „Neu­Lern­Prozess“. Es wirkt sich für den Lernprozess aus, ob es sich bei dem Verstorbe­nen oder der korrespondierenden Rolle des Trauernden um ein Kind oder einen Erwachse­nen handelt (Vater – jugendliches Kind; Mutter – Säugling; Mutter – erwachsene Tochter). Bedeutsam ist selbstverständlich auch, welche Lebenserfahrung der Trauernde schon hat sammeln können, die er für diesen Lernprozess zu nutzen vermag (Coping!).

Genogramm und Netzwerkkarte sind Instrumente, die geeignet sind, diese sozialen Aspek­te der Verlusterfahrung und Trauer in den Blick zu nehmen und die nötigen Lernprozesse zu fördern. Zunächst stelle ich im folgenden das Genogramm, dann die Netzwerkkarte im Hinblick auf Trauerprozesse und deren Begleitung vor.

98 Neimeyer 2001.99 Vgl. Attig 1996. 

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4.2 Das Genogramm

4.2.1  Einführung in die Genogramm­Arbeit

Ein Genogramm ist die Darstellung von komplexen Informationen über ein Familiensys­tem, für die sich eine feste Zeichen­ und Symbolsprache eingebürgert hat.Ausgangspunkt sind eine so genannte Indexperson und deren eigene oder deren Herkunfts­familie, die in ihren biologischen und rechtlichen Aspekten graphisch dargestellt wird. Im Kontext meiner Arbeit ist das entweder der sterbenskranke Mensch, dessen familiäre Situa­tion erfasst werden soll, oder ein Trauernder, der sich so als Teil eines Trauersystems wahrnehmen kann.Je nach Gesprächsverlauf und Anliegen werden drei oder vier Generationen umfasst.In das Bild eingetragen werden zum Beispiel

• Geschlecht, Name, Alter bzw. Geburts­ und Sterbedatum, • Heirat, Trennung, Scheidung,• Wohnorte, Ortswechsel,• Krankheiten,• Berufe,• Konfessionen, Religionszugehörigkeiten, Weltanschauungen.

Gemeinsam in einem Haushalt lebende Personen (oder gemeinsam von einem Verlust un­mittelbar betroffene Personen) können umkreist werden.Es kann sinnvoll sein, bestimmte Aspekte oder Teile des Genogramms farbig hervorzuhe­ben oder es auch mit Familienfotos oder Fotos von wichtigen Gegenständen, Tieren usw. zu ergänzen.

Auch das unmittelbare soziale Umfeld kann in das Genogramm einbezogen werden. So schlagen McGoldrick und Gerson vor, Freunde, Geistliche, Haushaltshilfen, Pflegekräfte, Lehrer, Ärzte, also Personen, die für die Familie besonders wichtig sind und dazugehörige Informationen ins Genogramm aufzunehmen.100 (Damit nähert sich das Genogramm der Netzwerkkarte an.)

Alle Daten, die so erhoben werden, sind nichts anderes als situative Beobachtungen, die im Beratungskontext zu vorläufigen Hypothesen führen können und jedenfalls immer im Pro­zess stehen. Ihr Sinn besteht einmal in der Gedächtnisstütze, die sie für die Beraterin dar­stellen können, zum anderen in der Visualisierung, die Erinnerung, Provokation, Explorati­onshilfe u.a. für Beraterin und Klientin bedeuten kann. 

100 McGoldrick & Gerson 2000, S. 46.

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„Das Wichtigste bleiben jedoch die Geschichten, die zu den Genogrammdaten erzählt wer­den. Sie bilden den Hintergrund für ein neues Verständnis der Gegenwart.“101

Die Symbole der Genogramm­Arbeit:

MannFrau

Familie mit Sohn, Tochter, ZwillingenFehlgeburtTotgeburtSchwangerschaftsabbruchVerstorbene

IndexpersonEheNicht­formalisierte LebensgemeinschaftEhe mit Trennung (T) bzw. Scheidung (S)Trauersystem, Familiensystem

Außerhalb der Familie stehend, aber mit Bezügen zum System

Chief­mournerHelperIntensive Beziehung zum VerstorbenenUnterstützend Blockierend Konfliktreich

101 Schlippe & Schweitzer 2002, 131.

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4.2.2 Das Genogramm als Analyse­ und Dokumentations­Instrument in der Hospizarbeit 

Das Familiensystem eines Palliativ­Patienten kann mit Hilfe des Genogramms grafisch vergegenwärtigt werden. Dabei werden einmal bereits erlebte Verluste des Patienten und seiner Angehörigen sichtbar, die die jetzige Erfahrung von Krankheit und bevorstehendem Verlust belasten oder jedenfalls beeinflussen können. Es kann sichtbar gemacht werden, wie über Krankheit und Sterben in der Familie gedacht wird oder wie bislang Pflege in der Familie erlebt worden ist. Zum anderen wird es so möglich, intensiver wahrzunehmen, wo Gesprächsbedarf bestehen könnte und wo Interventionen spezialisierter HelferInnen nötig sein könnten.Es kann zum Beispiel hilfreich sein, wahrzunehmen, dass der Todestag des Ehemanns an­steht, um besser damit umgehen zu können, dass die Schmerzsymptomatik einer Patientin an genau diesem Datum „unverhältnismäßig“ zunimmt. Manchmal äußern Patienten, dass sie am Todestag der Mutter „auch gehen werden“ o.ä. (so genannte Jahrestagsreaktionen, die auch eintreten können, ohne dass ein bewusster Zu­sammenhang vom Sterbenden erkannt wird.). Das Wissen um solche Zusammenhänge kann den hilfreichen Umgang fördern.

Genogramm eines Hospizpatienten

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 o o

 o o// 1982

Udo aus derevangelischen

Kircheausgetreten

Hund vor 2 Wocheneingeschläfert

* 1960

Alzheimerlebt im Pflegeheim

starb mit 42 Jahrenals Udo 8 Jahre alt war

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Mit dem Genogramm kann auch das Familiensystem aus der Perspektive des pflegenden Angehörigen erfasst werden. Welche Verlusterfahrungen hat er oder sie bereits erlitten, was bricht eventuell erneut auf, welche Umgangs­ und Bewältigungsformen hat er oder sie erlernt, welche Unterstützung bietet das Familiensystem, wo sind andere zusätzliche Schwierigkeiten zu erwarten, worauf ist besonders zu achten? 

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Genogramm eines pflegenden Angehörigen

Kurzkommentar:Tom braucht in der aktuellen Situation – seine Frau hat das finale Stadium ihrer Erkran­kung erreicht und ist Hospizpatientin geworden – Unterstützung und Entlastung und sucht deshalb das Gespräch mit mir als Seelsorgerin des Hospizes. Schon im ersten Gespräch kommt er auf die Verlusterfahrung seiner Eltern zu sprechen. Er meint, dass er da doch schon Erfahrungen gesammelt hat, mit Verlusten umzugehen. Er äu­ßert, dass er Angst vor dem weiteren Verlauf der Erkrankung seiner Frau hat und dass er nicht weiß, wie mit den Kindern in Bezug auf die Erkrankung seiner Frau umzugehen ist.Das Genogramm macht in Kurzschrift diese Faktoren sichtbar.

Anhand der Zeichnung erkenne (und speichere) ich Aspekte, die noch nicht ausdrücklich Gesprächsthema waren: Die Kinder beispielsweise sind von klein auf mit Krankheit kon­frontiert. Sie sind in der Pubertät und lösen sich allmählich von den Eltern. Welche Aus­wirkungen hat die Erkrankung der Mutter auf sie? Wie ist Tom bislang damit umgegan­gen? Wie trägt Tom die Verantwortung um die Kinder – beispielsweise in schulischer Hin­sicht? 

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seit 13 Jahren erkrankt, Mamma­CA, zuletzt mit Hirnmetastasen,Persönlichkeitsveränderun­gen

starb, als Tom 10 Jahre alt war

starb, als Tom 20 Jahre alt war

Tom pflegt seine Frau seit 13 Jahren hingebungsvoll; er sel­ber leidet unter Rheuma, Herz­beschwerden, Tinnitus und an­deren körperlichen Beschwer­den

 o mind. 16 Jahren o

 o o

Klient

Tom

Patientin

B

Jahre15

Jahre13

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Einsamkeit, Erziehungsprobleme, finanzielle bzw. wirtschaftliche Schwierigkeiten – all diese Faktoren deuten sich in der grafischen Darstellung an. 

Wie steht es um die Sexualität des Ehepaars bzw. Toms? Wie kommt er klar? Gibt es Schuldgefühle?

Wie geht Tom mit dem Machtgefälle um?

Ich bin aufmerksam dafür, Tom gegebenenfalls anzusprechen, wenn die Kinder im Hospiz gar nicht in Erscheinung treten. 

Nach und nach kann das Genogramm durch weitere „Daten“ ergänzt werden. Ich erfahre beispielsweise, dass die Eltern von Toms Frau noch leben, sich aber an der Pflege über­haupt nicht beteiligen, dass weder Tom noch seine Frau Geschwister haben und also weite­re familiäre Unterstützung in der Pflege nicht zu erwarten ist. 

Der erhöhte Gesprächsbedarf des Klienten wird schon in der Erstgesprächserhebung deut­lich und kann, gestützt auf diese Ereknntnis, innerhalb der Einrichtung kommuniziert und vertreten werden.

4.2.3 Das Trauergenogramm102

Jemand, der Menschen erstmals begegnet, die gerade einen anderen an den Tod verloren haben – beim Abschied am Totenbett oder beim Trauerbesuch vor der Bestattung z.B. – nimmt unmittelbar Dinge und Umstände wahr, die helfen, die soziale Situation einzuschät­zen und angemessen zu reagieren. Hilfreich ist es für mich als Hospizseelsorgerin jedoch, wenn es solche Wahrnehmungen auch schon aus der Zeit der Krankheit gibt – eigene oder auch die von anderen, z.B. den Pflegenden – , und wenn diese Eindrücke in Form eines Genogramms visualisiert wurden. Auf einer solchen Grundlage kann die Seelsorgerin oder der Seelsorger im Sterbezimmer oder Verabschiedungsraum oder auch im Familienge­spräch zur Vorbereitung der Beerdigung i.d.R. gut die Person identifizieren, „die die Ener­gie der Familie trägt“103, denn über sie findet sie oder er oft Zugang zu den anderen in der Familie. Damit dient also das Genogramm – auch das zu Lebzeiten von Professionellen aufgrund von Wahrnehmungen zu Dokumentationszwecken erstellte – in jedem Fall poten­tiell dazu, Ressourcen für die Zeit der Trauer sichtbar zu machen und zu erschließen.

102 Als metaphorische Arbeit mit Familiendarstellungen eignen sich neben solch grafischen Darstellungen wie das Genogramm sie bietet, auch Skulpturen, die man mit Lego­Figuren, Mensch­ärgere­dich­Steinen und ähnlichem stellen kann.In der systemischen Therapie hat sich das Familienbrett bewährt: Ein Holzbrett mit einem Satz von Figuren ermöglicht es, Familienmitglieder in ihren Distanz­Nähe­Relationen symbolisch darzustellen.103 Weiher 1999a, S.123.

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Ein Trauergenogramm im engeren Sinn ist „die übersichtliche und grafische Darstellung einer Familienstruktur und ihres Trauersystems“104. Es ermöglicht eine Mehrgenerationen­perspektive im Blick auf das Thema Umgang mit Verlust und Trauer. Es macht Bezie­hungsmuster, Rollen, Mottos innerhalb einer Familie transparent, die oft über Generatio­nen hinweg die Trauer beeinflusst haben, und es „zeigt den Grad der Unterstützung durch Familie, Trauersystem und Außenbeziehungen“105. Ein solches Trauergenogramm wird im Gespräch mit einem Hinterbliebenen (oder natür­lich mit ganzen Familien) oder auch zu Dokumentations­ und Reflexionszwecken der Be­raterin erstellt. Die Darstellung kann eventuell auch in größeren Zeitabständen wiederholt werden, um die Differenzierungen, die mit der Zeitperspektive kommen, zu integrieren. 

Die folgenden Aspekte und Fragestellungen können leitend sein für ein solches Gespräch zur Erstellung eines Trauergenogramms. Es geht darum, den Verlust innerhalb eines Sys­temkontextes zu betrachten, auch ohne dass das System selbst einbezogen wird. In den an­schließenden Beispielen wird darauf verzichtet, die Fragestellungen im einzelnen aufzuzei­gen; es handelt sich nur um Ausschnitte, da eine ausführliche Darstellung und Analyse in diesem Kontext zu umfangreich wäre.

Fragen­ bzw. Themenkatalog zur Erstellung eines Trauergenogramms106

• Wer gehört zur Familie?

• Wer wurde verloren?

• Andere Todesfälle in der Familie? (Bei Totgeburten/Fehlgeburten/Schwanger­schaftsabbrüchen – hatten die Kinder einen Namen? Beerdigung? Wer war dabei?)

• Wer ist – jeweils – in das Trauersystem eingeschlossen?

• Rollen im Trauersystem?• Haupttrauernde/r• Haupttröster/in

• Unterschiede in der Art der Trauer?• Subsysteme?• Motto des Trauersystems?

104 Palm 2001, 36. Unter Trauersystem sind die zu verstehen, die beispielsweise zusammenleben und daher gemeinsam in ihrem täglichen Leben von dem Verlust beeinträchtigt bzw. beeinflusst sind.105 Palm 2001, 37.106 Vgl. Palm 2001, S. 37­38. (Fragen bzw. Themenkomplexe teils übernommen, teils verändert); McGold­rick & Gerson 2000.

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• Wer im Famliensystem wirkte unterstützend? Wie sah die Unterstützung aus?

• Welche Unterstützung gab es vor dem Verlust, die nun fehlt?

• Wie wurde in der Herkunftsfamilie der Indexperson mit Krankheit, Sterben, Tod, Ver­lust und Trauer umgegangen? Wie hießen die Mottos, die familiären Botschaften? Wie wurde Trauer gezeigt? Welche Riten wurden praktiziert? Wie wurden Trauersympto­me, ­reaktionen beurteilt? 

• Welche Erwartungen haben die anderen in der Familie an Ihr Verhalten?107 Wie reagie­ren sie auf Sie? Und umgekehrt: Welche Erwartungen haben Sie an die anderen Famili­enmitglieder? Wie reagieren Sie auf sie? (z.B. Weinen, klagen Sie/sie auch, wenn Xy dabei ist? Wie verändert sich Ihr/ihr Verhalten, wenn Ihre Mutter dabei ist? usw.)

• Wer gab/gibt Ihnen außerhalb der Familie Trost und Unterstützung? (Welche Formen von Unterstützung gab es, welche fehlten?) – Wie sieht das – aus Ihrer Sicht – bei den anderen Familienmitgliedern aus?

• Übernimmt jemand die Rolle des/der Verstorbenen? Wer? In welchen Bereichen?

• Sind nach dem Verlust Konflikte aufgebrochen, die vorher nicht wahrgenommen wur­den bzw. nicht bestanden?

• Welche religiöse Bindungen gibt es im Trauersystem, welche Einstellungen zu Tod/Le­ben nach dem Tod? – Wie wird darüber geredet? Gemeinsame Praxis?

• Wenn Sie das Trauergenogramm ansehen: Wo gibt es Themen, die Sie gerne bearbei­ten, mit denen Sie sich auseinandersetzen möchten?

Beispiel:

107 Frau K. erzählt mir beispielsweise, sie habe ein Bild ihres Mannes an exponierter Stelle aufgestellt, weil die anderen das so erwarten. Frau M,. hingegen hat keine Fotos ihres Mannes aufgestellt, was ihr Sohn mit Befremden registriert; sie fragt sich, ob sie falsch trauert. Frau G. hat in allen Zimmern und allen Ecken Fo­tos aufgestellt, lebensvolle Fotos, die ihr darüber hinweghelfen sollen, dass sie momentan innerlich nur die Bilder der Krankheit und des Toten sieht. Andere in der Familie sagen ihr, sie solle doch endlich die Fotos wegtun; er sei tot und sie müsse sich dem Leben zuwenden. 

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 o 1982 o

 o o o o

1957­Dipl.­Ing.

Iran, Asylant

arbeitslos

Moshe

1958­2002LehrerinTod: Krebs

Bettina

ChristinMoslem

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Kurzkommentar:Moshe und Bettina haben 1982 geheiratet. Zwei Jahre zuvor haben sie einander kennen ge­lernt, als er gerade als Asylant nach Deutschland gekommen war. Die beiden waren sehr aufeinander fixiert, lebten eine symbiotische Beziehung. Sie war der Teil, der eher auch Außenkontakte pflegte, sang beispielsweise im Kirchenchor mit. Er war zu Lebzeiten der Frau in deren Beziehungsnetz (Familie, Freunde, Vereinskameraden) aufgefangen, hatte aber nie eigene Beziehungen geknüpft und gepflegt. Die Ehe von Moshe und Bettina ist kinderlos geblieben. Er ist Moslem; sie war Christin. Er praktizierte seine Religion in Deutschland nicht mehr.Seine Eltern sind verstorben; die Geschwister leben im Iran und sind für ihn im Alltag nicht greifbar. Zu den Geschwistern seiner Frau hat er nach eigener Aussage „ganz gute Beziehungen“, sie telefonieren regelmäßig miteinander, doch sind sie alle berufstätig und leben zwar in Deutschland, aber relativ weit entfernt. Hinzu kommt, dass Moshe arbeitslos ist. Seine erste Ausbildung wird hier nicht anerkannt, nach dem Studium war er „zu alt“, um auf dem deutschen Arbeitsmarkt eine seiner Quali­fikation entsprechende Stelle zu finden.Die Krebserkrankung der Frau wurde sehr spät entdeckt; sie starb nach einem raschen, aber intensiven, schwer erträglichen Krankheitsverlauf. In der Zeit der Krankheit haben die Ge­schwister der Frau Moshe unterstützt. Jetzt steht er allein da.

Er sucht mich ausdrücklich als Seelsorgerin auf, wohl auch weil viele religiöse Fragen durch den Tod der Ehefrau angestoßen worden sind, und bemüht sich gleichzeitig um wei­tere Möglichkeiten, Begleitung für seine Trauer zu finden, weil er sich einsam fühlt.

Bereits im ersten Gespräch wird deutlich, dass die fehlende Arbeit bedeutet, den Tag völlig auf sich gestellt strukturieren zu müssen. Die Arbeitslosigkeit beeinträchtigt das Selbst­wertgefühl, auch wenn Moshe mit der Hinterbliebenenrente finanziell gut abgesichert ist. 

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Moshes natürliches Netz trägt ihn im Alltag nicht, obwohl er durchaus gute Beziehungen hat. Zu seiner Unterstützung braucht es ein „künstliches“ soziales Netz; ihm dürfte es gut tun, andere Menschen kennen zu lernen, die seine Verlusterfahrungen teilen. Es könnte sein, dass er GesprächspartnerInnen in einer Gruppe für verwitwete Menschen findet. Zu­nächst erscheint es so, dass der rasante Krankheitsverlauf und der große Verlust seiner Frau das Wesentliche sind. Es kann aber auch sein, dass mit dem Verlust der Ehefrau und der Arbeitslosigkeit auch die alten Verluste, besonders der Verlust der Heimat und der Muttersprache, der Verlust religiöser und traditionaler Verbundenheit virulent werden, für die andere Gesprächspartner sinnvoll wären. Das ist im Auge zu behalten, um Moshe gege­benenfalls auf solche Möglichkeiten hinweisen zu können.

Im ersten Gespräch fällt auf, dass Religiosität und Riten im Umgang mit Tod und Trauer ein Thema sind – dominanter als die Erkrankung und das Sterben. Moshe spricht einerseits von den Gesprächen mit seiner Frau über Sterben und Tod und dem, was sie danach für sich erhoffen, andererseits wird spürbar, dass er sich in den praktizierten Riten nach ihrem Tod nicht zu Hause gefühlt hat. Obwohl Moshe von sich sagt, dass er mit den Traditionen seiner Heimat nicht verbunden ist, sie gar nicht kenne, fällt auf, dass er beim ersten Gespräch mit Bart, beim zweiten ohne erscheint. Als ich ihn darauf anspreche, erklärt er mir – ein bißchen verlegen, dass er sich den Bart habe wachsen lassen als Zeichen der Trauer, nach sechs Wochen dürfe man ihn abrasieren, und seine Frau habe Bartwuchs nicht gemocht.

Mit diesen Anmerkungen sei angedeutet, wie die Erstellung des Genogramms sehr schnell den Blick auf das Beziehungsnetz insgesamt weiten kann und in diesem Fall weiten muss, um Moshe hilfreich beraten zu können. Es wird gut im Blick zu halten sein, ob ihm eine Trauergruppe tatsächlich dienlich ist, in der wahrscheinlich überwiegend Deutsche, fast ausschließlich christlich sozialisierte Menschen und mehrheitlich Frauen zusammenkom­men.

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Beispiel:

Kurzkommentar:Jürgen ist bei uns im Hospiz an den Folgen eines Hirntumors verstorben; er war nur weni­ge Tage Bewohner des stationären Hospizes. Seine Frau Christel hatte die Pflege zu Hause nicht mehr leisten können.Die Tochter lebt mit ihrer Familie weit entfernt; sie hat gerade erst, einige Monate nach dem Tod des Vaters, Nachwuchs bekommen.Die Eltern von ihr – und ich vermute auch seine Eltern – sind verstorben. Mit ihrem Bruder versteht sie sich nicht besonders gut; er ist verheiratet und lebt zwei Auto­Fahrtstunden entfernt.Beim Erstgespräch erzählt Christel, wie sehr sie und ihr Mann verbunden waren. Er war Frührentner, und vor allem in den letzten Jahren haben sie alles gemeinsam unternommen, waren Tag und Nacht beisammen. Sie hat nichts ohne ihre Mann getan, er nichts ohne sie. Entsprechend einsam fühlt sie sich jetzt nach seinem Tod. Sie leidet darunter, dass ihr Mann die Enkelin nicht mehr hat sehen können – und noch mehr leidet sie darunter, dass 

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 o o

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 o o

Christel* 1942

Jürgen* 1942† 2001

* 2002

Hirntumor

leben inStuttgart

röm.­kath.

Konvertitin

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sie selbst ihm dies gesagt hat: Sie habe ihm damit alle Hoffnung genommen, erzählt sie, dass sie auf seine Frage, ob er wohl noch die Geburt erlebe, sagte, er werde vorher sterben.

Christel erhält von ihrem Hausarzt Anti­Depressiva. Da die Medikamente nichts an ihrer Verzweiflung ändern, kommt sie auf mich als Seelsorgerin des Hospizes zu und sucht um Beratung nach. Sie kommt zu mir, weil sie von meinem Gesprächsangebot gehört hat, als ihr Mann in unserem stationären Hospiz war; wir haben uns damals nicht kennen gelernt. Als Seelsorgerin sucht sie mich auf, weil sie allein ihres Mannes wegen konvertierte, mit ihm während der Zeit der Ehe katholische Gottesdienste besucht hat, aber jetzt an diese Frömmigkeitspraxis nicht mehr anknüpfen kann und mag. Sie fragt sich, ob das Verrat an ihrem Mann ist, fragt nach ihrer eigenen Religiosität, beschäftigt sich mit dem, was der Tod an ihrer bisherigen Weltsicht und an ihrem Gottesbild verändert.Daneben sind ihre Schuldgefühle ein wesentlicher Beratungsinhalt: Die Pflege hatte sie überfordert; sie war mit den Persönlichkeitsveränderungen, die mit dem Hirntumor einher­gingen, nicht klar gekommen und in verschiedenen Situationen sehr ungehalten gewesen. Dass sie ihren Mann in den letzten Tagen wegen dieser Überforderung ins Hospiz gebracht hat, lässt ihr zudem keine Ruhe.

Neben Einzelgesprächen biete ich ihr eine Trauergruppe an, weil nicht nur ihre familiären Kontakte unzureichend sind, sie in dieser Krisenzeit zu tragen, sondern ihr auch ein tragfä­higes soziales Netz fehlt.

In späteren Gesprächen werde ich vielleicht mit ihr zusammen das soziale Netz anschauen und überlegen, wie sie neue Beziehungen knüpfen kann, sollten ihr die Trauergruppe und sonstige eigene Ressourcen dazu keine Anregungen geben.

4.3 Soziales Netzwerk und Verlusterfahrungen 

4.3.1 Netzwerkorientierung in der Trauerberatung

Die Netzwerkperspektive lenkt die Aufmerksamkeit auf das soziale Gefüge, in dem eine Person beheimatet ist und das als soziale Ressourcen verstanden wird. Es hat Bedeutung für die Sicherung und Erhaltung der Gesundheit und – im Kontext von Verlusterfahrung – für die Wiederherstellung psychischen Wohlbefindens und neuer Erfahrung von Lebens­qualität und sozialer Sicherheit und Geborgenheit.108 Gesundheitsbezogene Netzwerkforschung konnte in zahlreichen Studien zeigen, dass sich ein verlässliches Gefüge von Beziehungen als Puffer oder Schutzschild gegenüber erfahre­

108 Die Befunde zur Wirkung sozialer Unterstützung im Trauerprozess sind nicht selten widersprüchlich. Weitere Forschung zu dieser Fragestellung steht noch aus.

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nen Belastungen und drohenden Krisen einerseits und als Stützpfeiler im Prozess der Be­wältigung von Verlusterfahrungen andererseits auswirkt. Das meint der Begriff soziale Ressourcen, die Fähigkeit nämlich, die Menschen, die einer Person in ihrem sozialen Um­feld potentiell zur Verfügung stehen, zu mobilisieren, um mit alltäglichen Problemen und mit existentiellen Krisen fertig zu werden.Die Netzwerkperspektive „regt Menschen an, ihr soziales Beziehungsnetz wieder zu akti­vieren, Brücken zu auseinander gebrochenen Bezügen zu bauen und ermutigt sie, sich neue Zusammenhänge zu schaffen und sie aufrechtzuerhalten.“109 

Zur Darstellung des sozialen Netzes dient die Netzwerkkarte, eine visualisierte Rekon­struktion des sozialen Beziehungsgefüges eines Menschen.110 Die Netzwerkkarte ist – jen­seits der wissenschaftlichen Perspektive – ein praktisches Instrument, einen systematische­ren Zugang zum sozialen Beziehungsgefüge eines Menschen, zu seinem sozialen Netz, zu eröffnen.111 Egozentrierte Netzwerkkarten kann die professionelle Beraterin allein oder ge­meinsam mit einem Klienten/einer Klientin erstellen. Auf dieser individuellen Ebene dient die Netzwerkkarte dazu, den Einzelnen zu befähigen, seine soziale Ressourcen realistisch wahrzunehmen, und ihn dabei zu unterstützen, den Umgang mit anderen Menschen aufzu­bauen und zu pflegen. Im Kontext der Trauerbegleitung kann die Erstellung einer Netz­werkkarte dem Hinterbliebenen Anstöße geben, das Beziehungsnetz und seine Verände­rungen aufgrund des Verlustes wahrzunehmen und darüber ins Gespräch zu kommen. Da­mit verbunden ist die Möglichkeit, Struktur, Qualität und Funktionen von Beziehungen ge­meinsam in den Blick zu nehmen, die von der Trauer ausgelösten Dynamiken zu entdecken oder auch eigene Handlungsspielräume für die Wegsuche zu erkennen. Die Netzwerkkarte lädt Trauernde auf ganz eigene Weise ein, Lebens­, Leidens­ und Todesgeschichten zu er­zählen und bezogen auf den aktuellen Verlust die Wirklichkeit neu zu konstruieren – als neues, verändertes Beziehungsgefüge.

Die Netzwerkkarte ist einfach zu erstellen. Es reicht ein Blatt Papier, auf dem mehrere konzentrische Kreise gezeichnet sind, in deren Mitte „Ich“ (in dem hier gemeinten Fall für die trauernde Person) steht.Man kann gut eine Korkplatte als Unterlage nutzen, vor allem, wenn man die Personen im Umfeld des oder der Trauernden symbolisch mit Markierungsnadeln aufs Blatt Papier brin­gen mag.Als weiteres Material benötigt man, wenn man nicht unmittelbar aufs Papier zeichnet, Markierungsnadeln zum Stecken und Heftetiketten zum Identifizieren der Menschen, zu denen die Person in Beziehung steht.Die Netzwerkkarte wird dem Trauernden als eine Methode vorgestellt, die eine intensivere Auseinandersetzung damit ermöglicht, was sich in Bezug auf die Beziehungen im unmit­telbaren Lebensumfeld aufgrund des Verlustes verändert hat bzw. verändern wird.

109 Lenz 1997, S. 91.110 Vgl. Straus & Höfer 1998.111 Vgl. Lenz 1997; Straus 1990.

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Ein erster Fokus kann sein: Wer gehört zu mir, der von diesem Verlust auch betroffen ist? Zunächst wird die/der Trauernde gebeten, alle Personen zu nennen, von denen er/sie denkt, dass sie zu ihm/ihr gehören und auch von dem Verlust betroffen sind. Je enger sie/er sich diesen Personen verbunden fühlt, desto weiter innen, desto näher also am „Ich“ werden sie mit Markierungsnadeln auf der Karte gesteckt. Besonders markieren kann man dann farb­lich auch beispielsweise die Personen, die zum sozialen Netz der/des Trauernden gehören, die aber nicht vom Verlust unmittelbar betroffen sind. Dasselbe gilt für die Personen, die aus der Sicht der/des Trauernden selber nicht trauern.Die Erstellung der Netzwerkkarte kann über mehrere Treffen geschehen. Vielleicht werden im Verlauf der Gespräche Sichtweisen, z.B. bezogen auf bestimmte Nähe­Distanz­Relatio­nen oder auf die Trauer der anderen Betroffenen verändert und Markierungsnadeln "umge­steckt" oder farblich verändert, vielleicht kommen auch Personen in den Blick, die zu­nächst vergessen wurden, oder es kommen ganz neue hinzu, wie beispielsweise die Trauer­gruppe. Wenn nach einigen Gesprächen das Beziehungsgeflecht „steht“, können die Markierungs­nadeln durch Klebepunkte ersetzt werden.

Die Netzwerkkarte erfüllt ganz unterschiedliche Funktionen: Sie macht für den Hinterblie­benen das soziale Beziehungsgefüge unter dem Fokus der momentanen Problemsituation Trauer sichtbar. „Wünsche nach mehr Nähe oder größerer Distanz, nach Unterstützung und Begleitung oder neuen Kontakten können dadurch klarer wahrgenommen werden. Verfüg­bare Ressourcen tauchen durch die gezielte Auseinandersetzung auf, zugleich werden aber nicht selten auch diffuse Ängste, enttäuschte Hoffnungen, unerfüllt gebliebene Erwartun­gen und schmerzliche Erfahrungen mit Personen aus dem sozialen Netzwerk plötzlich wie­der deutlich.“112 Sie zeigt auf, dass und wie sich individuelle Trauerreaktionen und systemische Abläufe ge­genseitig beeinflussen. Das Gespräch kann dann helfen, sich zu orientieren, zu positionie­ren, die eigene Identität neu zu bestimmen.

Fragen für den Erschließungsprozess können sein:

• Wie nahe stand dir der Mensch, der gestorben ist?• Wer war/ist von diesem Verlust noch betroffen?• Wem von deinem Netz stand der Verstorbene noch nahe?• Wer trauert?• Wer steht dir jetzt in deiner Trauer nahe?• Wer weiß um deine Trauer? Wer versteht sie?• Wem kannst du / könntest du deine Trauer zeigen?• Wen kennst du, der ähnliche Erfahrungen gemacht hat?• Welche Menschen haben einmal zu deinem Netzwerk gehört, die verstorben sind?

112 Lenz 1997, S. 103.

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Ein Spektrum solcher Fragen bzw. Themen im Kontext der Trauergepräche, die die Trau­erfeier vorbereiten (im Zitat Abdankung genannt) bietet der Pastoraltheologe Christoph Morgenthaler. Er zeigt auf, dass der Seelsorger, die Seelsorgerin in dieser Situation eine Art Familienanamnese erstellt. Seine (ihre) Zuwendung zur Familie sollte, so fordert er, von Allparteilichkeit im Blick auf die Ausdrucksformen der Trauer bestimmt sein. Für mich wird es immer bedeutsamer, nicht nur die Familie, sondern auch die anderen, die zur Trauerfeiern kommen werden, in den Blick zu nehmen. Im Gespräch lade ich die Fami­lie dazu ein, zu überlegen, wer kommen wird, welche Beziehung dieser Mensch zum Toten gehabt hat, was für ihn oder sie für die Trauerfeier wichtig sein könnte. Gerade nach einer langen Zeit der Pflege akzentuieren die Nahestehenden für die Feier z.B. die befreiende Er­fahrung „Er oder sie ist erlöst“; dann kann es wichtig werden, Raum für die zu eröffnen, die eben das nicht erfahren haben, weil sie etwa an der Pflege nicht beteiligt waren oder von weit anreisen. Ich versuche auch dazu einzuladen, zu bedenken, mit welchen Erwartungen an eine Trau­erfeier die anderen kommen. Das kann sich in der Auswahl der Lieder und Texte auswir­ken oder aber zumindest verdeutlichen, dass vermittelnde Worte nötig sind. Mit all dem kommt das soziale Netz in den Blick. Dem Trauergespräch geht sicher nicht die Erstellung einer Netzwerkkarte voraus, und das Trauergespräch zur Vorbereitung der Trauerfeier ist sicher kein Ort, eine Netzwerkkarte zu erstellen, aber das, was ich im Kon­text von Trauergesprächen erfahre, kann sich in der späteren Erstellung einer Netzwerkkar­te auswirken.Bei den von Morgenthaler aufgezeigten systemischen Fragen könnten dann auch spezifi­schere Fragen nach dem sozialen Netz gestellt werden, wie nach dem Freundes­ und Kolle­genkreis, nach der Bedeutung dieses Todes für sie, nach den Sinnkonstruktionen, die man da erlebt hat, nach Menschen, die ähnliche Erfahrungen teilen usw.

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„Systemische Fragen bei Trauergesprächen

Fragen nach den Veränderungen im System• Worüber möchten Sie jetzt sprechen, ohne dass an der Abdankung davon die Rede sein 

wird?• Was wird jetzt anders in Ihrer Familie? Was wird fehlen? Wer wird am ehesten das Feh­

lende ergänzen können, wollen, müssen? Wer wird dies sicher nicht tun?" Für wen in der Familie ist dieser Todesfall am schlimmsten? Wer wird vermutlich am ein­

fachsten darüber hinwegkommen? Wie lange, wie schnell wird dies gehen?

Fragen nach der Bewältigung des Verlusts• Wie schaffen Sie es, dass Sie diese Situation bewältigen? Wie machen Sie es, dass es nicht 

(noch) schlimmer wird?• Wie haben Sie es geschafft, sich Zeit zu nehmen, nun alle hier zu sein? Weshalb sind ge­

rade Sie gekommen? Weshalb können andere nicht dabei sein?• Wer entwickelt in dieser Abschiedssituation besondere Kräfte? Wie lange werden diese 

Kräfte voraussichtlich ausreichen?• Wer ist im Moment besonders traurig? Wer kann seine Trauer am wenigsten gut zeigen? 

Wie hilft das den anderen?• Worauf, auf welche Stärken, Einstellungen, Ressourcen, welchen Glauben können Sie sich 

einzeln oder als ganze Familie beziehen, um diesen Verlust zu überwinden?

Fragen nach Ausnahmen• Wenn eine verstorbene Person in einem sehr positiven oder negativen Licht geschildert 

wird: Gab es Ausnahmen? Häufig? Selten? Wie war dies? Wie war dies je für die einzel­nen anwesenden Beteiligten?

• Was hätte XY am liebsten getan, wenn das Problem nicht gewesen wäre?• Wenn ein Wunder geschähe und Sie könnten nochmals einen bestimmten Moment im ver­

gangenen Leben gemeinsam mit dem oder der Verstorbenen erleben, welches wäre dieser Augenblick? Was wäre Ihnen dabei besonders wichtig? Würden Sie etwas anders machen? 

Fragen nach dem Glaubenssystem• Weshalb ist XY gerade so gestorben? Welche Bedeutung geben Sie diesem Tod?• Was hoffen Sie für XY über den Tod hinaus? Was hat dieser Mensch verdient?• Wie, glauben Sie, denkt Gott von XY? Wie wird Gott helfen?• Wie haben Sie Gottes Gegenwart im vergangenen Leben gespürt?

Zirkuläre Fragen• Wenn jemand etwas sagt, das »dicke Luft« signalisiert, können andere darauf angespro­

chen werden: Was denken Sie zu dem, was Frau X soeben gesagt hat? Können Sie dem ganz zustimmen?

• Wenn der Verstorbene hier wäre: Was würde er selber über seinen Tod sagen? Würde er aus seiner Sicht etwas anders formulieren oder ergänzen? Was würde er nicht gerne hören? Worüber würde er sich besonders freuen?

• Was würden andere in der Familie, die jetzt nicht da sind, über den Verstorbenen sagen?• Was sagen Menschen, die an die Abdankung kommen, zu diesem Todesfall? • Was denken Sie, dass ich von diesem Todesfall, dieser Familie, diesem Gespräch 

denke?“113

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Die Netzwerkkarte – auch die allein in der Reflexion der Beraterin erstellte Karte der Per­sonen, die im Gespräch mit dem Hinterbliebenen begegnet sind – ist auch ein Instrument zur Reflexion des Beratungsprozesses durch die Beraterin.

Fragen zur Selbstreflexion können sein:

• Wer gehört in das Netzwerk des Trauernden? (zB bei Hochbetagten) Bin ich vielleicht die einzige intime Bindungsperson, die da ist? 

• Wo begegne ich im sozialen Netz, welche Bedeutung misst die Person mir bei? Wel­ches Verhalten hat das in der einzelnen Gesprächssituation zur Konsequenz?

• Was bedeutet meine derzeitige oder vermutete Stellung im Netzwerk des Hinterbliebe­nen für den Beziehungsaufbau, das Beratungssetting, die Begleitung? (Ziehe ich z.B. sinnvollerweise ehrenamtliche UnterstützerInnen hinzu? Verweise ich auf Gruppenan­gebote? usw.)

• Bin ich als Trauerbegleiterin „facilitator“, also Fördererin eines Prozesses, an dem An­gehörige, Freunde, Nachbarschaft beteiligt sind? Was kann ich dazu tun, dieser Aufga­be, „facilitator“ zu sein, gerechter zu werden?

Beim Einsatz der Netzwerkkarte gilt es zu beachten:• Die Netzwerkkarte sollte „nicht in einem Stadium verwendet werden, in dem die Ver­

trauensbeziehung zwischen KlientInnen und dem/der BeraterIn erst ganz am Anfang steht;

• sie sollte eher nicht bei KlientInnen eingesetzt werden, die allen methodischen Elemen­ten von professionellen HelferInnen mit hohen Mißtrauen begegnen bzw. optische Vi­sualisierungen ablehnen;

• auch braucht die Erstellung der Karte unterschiedlich lange Zeit.“114 

Das Netzwerkkarten­Gespräch dient dazu, die kommunikativen Aspekte, die mit Trauer und Trauerausdruck verbunden sind, in den Blick zu nehmen.115 Das Gefühl Trauer ist ja sowohl Ausdruck der existentiellen Situation als auch Botschaft an jemanden, sofern der Grundsatz gilt: Man kann nicht nicht kommunizieren. Wenn Frau D. beispielsweise erzählt, sie habe mitten während der Chorprobe wie aus dem Nichts weinen müssen, dann kann ich fragen: Warum haben Sie geweint? oder War es schlimm für Sie zu weinen? (Beides hat sie mir im Grunde schon beantwortet durch ihr Er­zählen!) oder offener: Wie war das für Sie zu weinen in dieser Situation? (womit ich sie zum näheren Erzählen, zur Exploration des Gefühls anrege). Ich kann aber auch mehr die kommunikative Seite hervorheben: Was, meinen Sie, hat es für die anderen Chormitglieder 113 Morgenthaler 2000, S. 239.114 Vgl. Straus & Höfer 1998, S. 93.115 Vgl. van Dantzig 2001, S. 15.

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bedeutet, dass Sie geweint haben? Wer konnte für Sie gut und hilfreich damit umgehen? Wer nicht? Was, denken Sie, hat es für Auswirkungen auf Ihre Beziehungen innerhalb des Chores, dass Sie geweint haben? Was hat es überhaupt für Auswirkungen auf Sie, Ihr zu­künftiges Verhalten, dass Sie in dieser Situation geweint haben? Ich nehme also im Ge­spräch einerseits das Problem – den Gefühlsausdruck in einer „unpassenden“ Situation – als Prozess oder Teil eines Prozesses wahr und die verschiedenen beteiligten Personen als Teile des kommunikativen Handelns; andererseits biete ich an, aus einer Aussenperspekti­ve auf das soziale System Chor zu schauen.

4.3.2 TrauerbegleiterInnen/TrauerberaterInnen und das soziale Netz

Aus ganz unterschiedlichen – individuellen wie gesellschaftlichen – Gründen reicht heute oftmals das (natürliche) soziale Netz nicht aus, die Zeit der Trauer zu bewältigen.116 Man darf annehmen, dass der Kontakt zu professioneller Beratung (Seelsorge) und institutio­nell­organisierten Unterstützungsangeboten (Gruppen, Selbsthilfegruppen, Trauerbeglei­tung) häufig eine Kompensation für ein defizitär erlebtes soziales Netzwerk darstellt. 

Andererseits dürfte auch vermutete – kognitive, emotionale und Beziehungs­ – Kompetenz für die in Frage stehenden Themen Tod und Trauer Personen dazu bewegen, Angebote von Trauerberatung und Trauerpastoral anzunehmen. Die Kompetenz für dieses Thema vermu­ten Menschen nicht mehr unbedingt in ihrem (natürlichen) sozialen Netz und de facto erle­ben sie auch häufig, dass den Menschen in ihrem natürlichen sozialen Netz diese Kompe­tenz – sprich Lebenserfahrung – fehlt.

Bezogen auf Verlusterfahrung und Trauer ist außerdem zu beobachten, dass Menschen da­mit zunehmend Krankheitsvorstellungen verbinden, den Arzt aufsuchen und Tabletten (Antidepressiva, Aufputschmittel, Schlafmittel) dazu nutzen, innerhalb ihres soziales Gefü­ges zu funktionieren. Der Arzt als Teil des sozialen Netzes eines Menschen, der auf Trauer mit dem Verschrei­ben von Medikamenten reagiert, bremst und behindert die Inanspruchnahme anderer Un­terstützungsformen im natürlichen und künstlichen sozialen Netz!117

Aber auch andere Menschen, die sich professionell oder institutionell­beauftragt in Syste­men engagieren, sind Teil dieser Systeme und wirken förderlich oder auch behindernd dar­auf ein.So werden auch die TrauerbegleiterInnen – zumindest für Stunden, Tage oder Monate – Teil des Netzwerkes eines Menschen.118 Und was Hilarion Petzold für den Thanatothera­peuten beschreibt, gilt häufig auch für die Seelsorgerin oder ehrenamtliche HospizhelferIn­

116 Siehe oben zur Notwendigkeit von Begleitung und Beratung. Immerhin sind es vermutlich noch mindes­tens 50 % der Trauernden, die keine Begleitung brauchen!117 Im deutschen gibt es m.W. noch kaum Literatur zur Trauerbegleitung von Ärzten. Zur Notwendigkeit und zu Fähigkeiten und Qualifikation siehe: Gill 2001.

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nen, die in der Sterbebegleitung (und damit an der Schnittstelle zur Verlusterfahrung) aktiv sind: „Als Teil des Netzwerkes, als Teil des Konvois [...] ist die Begleitung nicht zu Ende, wenn der Patient gestorben ist. Die antizipatorische Trauerarbeit mit dem Sterbenden über sein eigenes Sterben, seine Abschiednahme vom Leben, seinen Lieben, von der Welt soll­te, wo immer möglich, parallel gehen mit der Hilfe zu antizipatorischer Trauer mit den An­gehörigen, die vom Begleiteten, von gemeinsamer Geschichte, eventuell von geplanter und nun nicht mehr zu verwirklichender Zukunft (Reisen, Projekte usw.) Abschied nehmen. Nach dem Sterben – währenddessen man als Begleiter auch für die Angehörigen wichtig geworden ist – wird es oft wesentlich, da zu bleiben. Wie in der Sterbepastoral sollte die Arbeit nicht abschließen mit der Beerdigung. Die Familie, in der man Sterbebegleitung ge­macht hat und bei der Beerdigung anwesend war, sollte auch ein wenig weiter begleitet werden. Der Tod ist in diesem Sinne kein Abschluß; er soll es auch nicht sein, denn wir le­ben ja weiter, die Angehörigen leben weiter als eine Gemeinschaft, in deren Gedanken und Herzen der Verstorbene „im Gedächtnis weiterlebt durch ein Gedenken“.“119 

Der amerikanische Psychologe Robert A. Neimeyer zeigt auf, dass Menschen professionel­le  ZuhörerInnen   suchen,   um  Verlusterfahrungen   zu  bearbeiten.120  Menschen   brauchen, wenn sie ihre Geschichten innerhalb des sozialen Netzes nicht erzählen können, eine zeit­weise Erweiterung des sozialen Netzes – ein künstliches soziales Netz –, um Trauer zu be­wältigen. Neimeyers Idee beruht auf einem Verständnis für die erzählerische Struktur des menschli­chen Lebens, das zu verstehen hilft, was ein Verlust auslöst. Manche Geschichten können dem Partner oder in der Familie oder bei Freundinnen nicht erzählt werden, weil sie zu in­tim sind, weil sie die Beziehungen stören würden oder weil sie schon zu oft erzählt wur­den. Das Erzählen von Geschichten jedoch gehört zum Menschen, so orientiert er sich in der Welt, entwickelt er seine Identität und soziale Zugehörigkeit, findet er Sinn. Wenn Ge­schichten besonders schwierig oder schmerzhaft oder auch tiefreichend sind, kann es zu so genannten narrativen Störungen kommen. Als solche bezeichnet Neimeyer den Verlust von Erzählmöglichkeiten. Sie werden von ihm unterschieden in:

• desorganisierte Störungen – fehlorganisierte Erzählungen mit KohärenzverlustDiese entstehen durch eine erlebte Diskontinuität in der Autobiografie und wenn das Selbst nicht mehr kohärent ist. Beispiel: Ein Kind verliert früh ein Elternteil; auch als erwachsene Person ist sie durch dieses Ereignis geprägt. 

• dominante Erzählungen und einschränkende GeschichtenDiese spiegeln den Menschen, als der, der er ist oder werden kann, wieder in einer sehr eingeschränkten Geschichte. Dabei wird das Gefühl für die eigene Person, das eigene 

118 Morgenthaler (2000, S. 242) spricht vom „seelsorglichen Metasystem von Familie und Seelsorger oder Seelsorgerin“ und zeigt nachdrücklich die intensiven Übertragungsprozesse auf, die entstehen können.119 Petzold 1999, S. 22. Zum Konzept „antizipatorischer Trauer“ siehe: Feith etal. 1998.120 Die folgenden Gedanken basieren auf Smith 2002. Zitate sind auf dieser und der folgenden Seite nicht im einzelnen kenntlich gemacht.

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Selbstbild viel zu klar, viel zu eng definiert. Durch die erzählende Wiederholung der ei­genen Geschichte hat die Person keine Möglichkeit aus diesem „Schubladendenken“ herauszukommen. Diese Gefangenschaft in der dominanten Geschichte kann mit De­pression und Fatalismus einhergehen.

Neimeyer stellt eine Trauertheorie vor, in der der Verlust an ein Konzept der Rekonstrukti­on der Sinnhaftigkeit gebunden ist. Durch den Tod als Ereignis werden die Annahmen, auf die das Individuum sein Leben stützt, validiert oder falsifiziert. Dies impliziert, dass jeder Verlust weitere Verluste, sogenannte Sekundärverluste, nach sich zieht. Die Welt, die als sicher und für selbstverständlich gehalten wurde, geht durch den Verlust eines geliebten Menschen verloren. Eine Welt, von der die Annahme bestand, dass sie vorhersehbar sei, dass das Universum, das Gott oder eine andere spirituelle Kraft es gut mit dem Menschen meine, zerbricht. Mit dem Verlust eines geliebten Menschen geht auch eine praktische und gefühlsmäßige Welt, die mit dem verlorenen Menschen ganz greifbar verbunden war, ver­loren. Gleichzeitig verliert der Trauernde auch eine Welt der Möglichkeiten, die einzigartig mit diesem Menschen verknüpft war, er verliert Zukunft. 

Trauernde suchen oft eine sichere Möglichkeit, ihre Geschichten des Verlustes wieder und wieder zu erzählen, in der Hoffnung, dass der andere ihre Geschichten ertragen kann und sie ihr Leid als real bestätigt bekommen, ohne nur beruhigt zu werden. Trauernde suchen nach Wegen, die vielen Bedeutungen des Verlustes für ihre Lebensgeschichte anzuneh­men, und bemühen Profis, die sie durch sorgsames Zuhören, angeleitete Reflexion unter­stützen und mit denen sie durch das Erzählen eine Vielzahl an Ideen und neuen Perspekti­ven für sich entwickeln können, um den Verlust zu adaptieren. Die Adaption des Verlustes kann durch Assimilation oder Anpassung an die Lebensgeschichte erfolgen. 

Hinzu kommt, dass die Beziehung zur Beraterin, wie sie in längeren Formen der Beratung und Begleitung eingegangen wird, auch bedeutet, dass der oder die Trauernde immer wie­der persönliches Feedback erhält und Anerkennung erfährt. Beratung hat diese Funktion, Stärken, Fähigkeiten und Ressourcen zu spiegeln, sie wieder bewusst zu machen. Damit wird auch soziale Identitätsarbeit121 geleistet, denn die Beraterin dient als Modell, wie man anderen Mut macht, lobt und bestärkt, in Krisen bei Menschen aushält u.a. Zugleich wer­den Hinterbliebene befähigt, in anderen Netzwerkbezügen mit Rückmeldungen umzugehen und sich von Fremdbestimmungen zu befreien. Das manchmal durch den Verlust ange­knackste Selbstvertrauen und ­bewusstsein von Hinterbliebenen kann durch diese stärken­de Arbeit wieder aufgebaut und auf das soziale Netz hin ausgebaut werden. 

4.3.3  Ein Beispiel aus der Praxis

Ich beschreibe im folgenden einen kleinen Ausschnitt aus einem Beratungssetting im Hos­piz. Anschließend kommentiere ich dann diesen Ausschnitt, nicht indem ich das Vorgehen 121 Vgl. Straus & Höfer 1998, S. 81.

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im Einzelnen reflektiere, sondern die erlebte Situation mit Erkenntnissen der Trauerfor­schung zusammenbringe.

(a) Die Situation:Ich bitte eine Frau, die nach dem Tod ihres Mannes zu Einzelgesprächen zu mir kommt, aufzuzeichnen, welche sozialen Kontakte in den letzten vier Wochen wichtig für sie waren. Sie solle zunächst sich selbst als Kreis in die Mitte des noch leeren DinA3­Blattes zeich­nen. Mit der Nähe und dem Abstand zu dem Kreis, der für sie selbst stehe, könne sie die Bedeutsamkeit des Kontaktes bestimmen. Es ergibt sich bereits aus der ersten Ansage ein langes Gespräch. Wir bleiben zunächst eine ganze Zeit bei den allgemeinen Themen hängen, die ihr die Erstellung der Karte schwer machen: Themen wie „mich selbst nicht so wichtig nehmen, nicht als Mittelpunkt sehen“, „Beziehungen kann man nicht grafisch aufzeichnen“, „wie soll ich bestimmen, wer wichtig für mich ist?“, „was können denn die Kriterien sein, mit denen ich Kontakt bestimme – (Häufigkeit des Aufeinandertreffens oder Intensität der Begegnung oder wie wichtig ich selbst für den oder die andere bin oder, ob ich mit meiner Trauer wahrgenommen werde u.a.) Schließlich zeichnet sie einen Kreis für sich auf das Papier, während wir noch über all die­se Fragen reden. Wir lassen den Gedanken ihre Zeit, einigen uns darauf, dass sie selbst Ausgangspunkt aller Überlegungen ist und nicht, was eine andere Person dazu denken könnte, und gehen zunächst einfach von der Häufigkeit des Kontaktes aus, unabhängig von der Qualität. Dafür bestimmen wir vier umgebende Kreis um die Mitte, die sie selbst dar­stellt.Nachdem sie also sich zu Papier gebracht hat, frage ich noch einmal, mit wem sie in den vergangenen Wochen Kontakt hatte. Sie fragt zurück, ob sie auch den Verstorbenen ein­zeichnen darf. Er sei immer bei ihr, der wichtigste Mensch für sie. Ich bejahe das. Sie über­legt einen Moment und malt das Symbol Kreis, das für sie steht, komplett aus. Wir spre­chen eine Weile darüber, was das für sie bedeutet. Aus unserem Gespräch ergibt sich, dass der Verstorbene durchaus nicht mit allem einverstanden wäre, wie sie jetzt lebt. Ich frage sie, wie sie das zum Ausdruck bringen könne, dass es mehr gebe als diese Deckungsgleich­heit, die sie aufgemalt hat. Daraufhin malt sie nach kurzem Zögern einen zweiten Kreis um sich herum, in den sie Plus­ und Minuszeichen einzeichnet.

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(b) Kommentierung: Dieser erste Schritt in der Erstellung einer Netzwerkkarte eröffnet schon eine ganze Welt. 

Die Trauernde vermisst ihren Mann überall in ihrem Leben, lebt aber andererseits bereits mit einem inneren Bild des Verstorbenen, das sie ganz ausfüllt. Seit dem Tod ist mittler­weile mehr als ein Jahr vergangen. Sie hat angefangen, einige Stunden in der Woche zu ar­beiten, etwas, womit er nicht einverstanden gewesen wäre, was er kommentiert hätte mit „Das hast du nicht nötig“. Trotz solcher ganz eigenständiger Positionierungen ist er für sie noch immer Vorbild, Ratgeber, Gesprächspartner und klärende Instanz.122 Diese verschie­denen Rollen werden von ihr – wie übrigens von vielen Trauernden gewöhnlich – nicht als Einschränkung der Lebensmöglichkeiten, sondern als deren Erweiterung erlebt. Als Seelsorgerin begegnet mir, dass sich diese Rollen oftmals mit transzendenten Vorstel­lungen verbinden: „Sie ist jetzt mein Engel, mein Schutzengel“ sagen beispielsweise trau­ernde Witwer, zurückgebliebene Ehefrauen „Er paßt auf mich auf.“

Studien haben gezeigt: „Die Vorstellung eines aktiven inneren Bildes einer geschätzten verstorbenen Person scheint für viele Menschen ganz selbstverständlich und leicht erreich­bar zu sein.“123

Das Gespräch dient dazu, die Rolle des Verstorbenen im eigenen Leben zu klären: Wer darf er (oder sie) mir jetzt sein? Wer war er mir; wer war ich für ihn? Bin ich verrückt, wenn er (oder sie) mir noch so wichtig ist? Darf das sein; muss es sich verändern? Wie ha­ben andere unsere Beziehung wahrgenommen? Wie ordne ich das ein, was ich jetzt anders lebe und erlebe? usw.

Nicht nur innere Dialoge (auch laut geführte) mit dem oder der Toten, sondern auch exter­ne Dialoge mit Menschen, die sie oder ihn gekannt haben, sollen dabei helfen, die Gedan­ken zu klären und die Zukunft vorzubereiten. Manch einer formuliert dabei, dass er diesen verstorbenen Menschen neu gefunden hat. Aufgabe von mir als Begleiterin dieses Erstel­lungsprozesses der Netzwerkkarte ist es, zu solchen inneren und externen Dialogen einzu­laden und natürlich selbst mit meinen Fragen und Impulsen den Dialog zu führen und zur Entwicklung des Selbstbildes – einer Identität ohne den geliebten Menschen bzw. mit dem Verstorbenen als „innerem Begleiter“ – beizutragen.

Ziel des Trauerprozesses ist es unter anderen, eine glaubwürdige und wahrheitsnahe Le­bensgeschichte der verstorbenen Person zu entwickeln. Trauerbegleitung, ­beratung und ­seelsorge haben nicht die Aufgabe, dabei zu helfen, die Beziehung aufzugeben – was ent­sprechende Interventionen zur Folge hätte –, sondern m.E. dabei zu helfen, für den oder die 

122 Walter 2001, S. 125: „Die Forscher fand vier verschiedene Rollen für die Verstorbenen: als Vorbild, als Ratgeber in bestimmten Situationen, als klärende Instanz in der Beurteilung von Werten des Überlebenden, als ein geschätzter Bestandteil der Biographie des Überlebenden.“ vgl. Klass 2000, S. 76.123 Marwitt und Klass 1995; zitiert nach Walter 2001, 125.

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Tote einen angemessenen Platz im eigenen emotionalen Leben zu finden.124 Dem dient also beispielsweise nachzufragen, ob es noch einen Platz der trauernden Person gibt, der nicht von dem Toten ausgefüllt ist, oder ob es einen Platz des Toten außerhalb des trauernden Ich gibt.Nicht bestätigt werden konnte bislang übrigens, dass das Nicht­Eingehen neuer Bindungen in irgendeinem Zusammenhang mit seelischer Gesundheit, emotionaler Beständigkeit oder Arbeitsfähigkeit von Betroffenen zu tun hat. Was der angemessene Platz des oder der To­ten im eigenen Leben ist, bestimmt der oder die Trauernde selbst! Das steht als oberste Prämisse über der Arbeit mit der Trauernden an ihren „Bindungen“, an ihren Beziehungen.

Die Arbeit mit dem sozialen Netzwerk könnte im weiteren Verlauf dazu dienen, die Mög­lichkeit zu liefern, aus der Perspektive des Trauernden die Wahrnehmungen anderer für die gelebte Beziehung, den Verlust und das jetzige Leben zu integrieren, auch indem sie das innere Bild der verstorbenen Person zu aktivieren und anzureichern helfen durch die Per­spektiven der anderen Menschen im eigenen sozialen Netz. Informationen zur Person, zu Beziehungen, zum Bild und zur Persönlichkeit des Verstorbenen werden angereichert, in­dem andere bestätigen, korrigieren, ergänzen, was der Trauernde über sich, seine Bezie­hung zum oder zur Verlorenen und über den oder die Verstorbene denkt. Vielleicht regt die Erstellung der Netzwerkkarte die Trauernde dazu an, mit anderen über den Verstorbenen zu reden. Dieses Reden über den Verstorbenen und die Erinnerung an ihnen können im Laufe dieses Prozesses ein selbstverständlicher Teil des Alltags werden.

124 vgl. dazu Worden 1991; er hält allerdings daran fest, dass der Trauernde neue Bindungen knüpfen muss – und nicht an vergangenen Bindungen festhalten darf; die Bindung an den Toten kann s.E. eine Behinderung im Trauerprozess bzw. im Leben sein.

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Exkurs: Das „soziale Sonnensystem“ – eine Abwandlung der Netzwerkkarte 

Das   „Sonnensystem“   stammt   aus   einer   umfassenden   amerikanischen  Studie  über   zwi­schenmenschliche Beziehungen der Psychologin Ruthellen Josselson.125 Es kann sowohl in der Arbeit mit Einzelnen als auch in Gruppen verwendet werden. In der Vorbereitung von Ehrenamtlichen auf Trauerbegleitung kann es diese dazu anregen, eigene Beziehungen und Trauererfahrungen zu reflektieren. Dabei spielen beispielsweise die Ideen von Klass126 über bleibende Verbindungen mit den Toten eine große Rolle.Auf ein großes Blatt zeichnen KlientInnen ihr persönliches Sonnensystem, indem sie mit Farben und Formen die Menschen aus ihrem Lebenskreis auf umlaufende Planetenbahnen, um sich selbst als Sonne eintragen. 

Lene Knudsen­Böke127 bringt ein Beispiel aus einem Trauerseminar, das ich hier exempla­risch vorstellen möchte. 

125 Information in: Yalom 2002, S. 227.126 Klass, Silvermann & Nickman 1996.127 Böke, Knudsen­Böke & Müller 2000, S.53­54.

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5 Netzwerkkarte und Genogramm – einige grundsätzliche Gedanken zur Bedeutung dieser Methoden für Trauerberatung und Trauer­pastoral 

„Vermag denn ein Sterblicher Fragen zu stellen, die Gott nicht beantworten  kann? Sehr leicht, würde ich meinen. Auf alle sinnlosen Fragen gibt es keine  

Antwort. Wie viele Stunden hat ein Kilometer? Ist Gelb rund oder viereckig? Die  Hälfte aller Fragen, die wir stellen – die Hälfte unserer großen theologischen  

oder metaphysischen Probleme – sind wahrscheinlich von dieser Art.“C.S. Lewis

(Lewis 1982, S. 101)

In der Genogramm­ und Netzwerkkarten­Arbeit steht nicht nur die Indexperson im Mittel­punkt, sondern auch – insofern ein Hinterbliebener im Mittelpunkt steht – der verlorene Mensch. Es wird nicht nur darauf geschaut, wie die Indexperson trauert, wo und wie sie so­ziale Unterstützung erfährt, wie die Trauer durch die Familienrollen bestimmt wird, son­dern ebenso rekonstruiert, wie die verschiedenen Menschen – in der Familie und im sozia­len Netz einer Person – mit dem Verlust leben, wie sie mit der lebenden Person und wie sie mit dem oder der Toten leben. Selbst wo das allein aus dem Blickwinkel einer Person ge­schieht, bereichert das deren Blick auf die Welt und deren Verständnis der eigenen Trauer und der Trauer der anderen. Es zeigt sich, dass Trauern nicht nur ein individueller Rekonstruktionsprozess ist, sondern ein gemeinschaftlicher: Die Gruppe derer, die mit dem oder der Toten in Verbindung wa­ren, rekonstruiert sein oder ihr Bild, das Leben ohne ihn oder sie und der Sinn werden neu konstruiert.

Nun vermittelt gerade der Blick auf das Familiensystem und das Netzwerk eines Menschen recht unmittelbar, in welchen Sinn­Bezügen jemand lebt und ob es Gemeinsamkeiten in der Todesdeutung und Weltdeutung überhaupt mit anderen Menschen im Umfeld des Hin­terbliebenen gibt. In diesem Prozess der Sinn­Findung haben die religiösen Traditionen einen festen Ort: die jüdische siebentägige Schiwa beispielsweise, bei der man im Haus des Verstorbenen zu­sammenkommt und Erinnerungen austauscht, und die jährliche „Jahrzeit­Feier“ oder auch Leichenschmaus, Sechswochenamt und Jahrgedächtnis der christlichen (vor allem katholi­schen) Tradition, die dem gemeinsamen Erinnern und Gedenken der Toten gelten. Die Beschäftigung mit der Persönlichkeit des oder der Toten, mit seinem oder ihrem Nach­klang im Leben von Lebenden akzentuiert, dass wir mit den Toten leben. – Im gesellschaft­lichen Leben und oft selbst in der Trauerbegleitung wird jedoch eher keine Erlaubnis er­teilt, an den Toten festzuhalten. Es wird akzentuiert, dass wir ohne den Verstorbenen „wei­termachen“ müssen. Dabei haben Studien beispielsweise mit Verwitweten gezeigt, dass nach einer ersten Zeit, in der die Erinnerung eingeschränkt war, nach und nach viele Erin­

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nerungen ins Bewusstsein kommen – und dass diese Erinnerungen eben nicht unbewältigte Trauer sind, sondern als Bereicherung des Lebens erlebt werden.128 Ältere Witwen äußern – und das kann ich aufgrund eigener Gespräche nur bestätigen –, dass sie ihre Partner im Himmel wiedersehen wollen, was im Verständnis klinisch­thera­peutischer Arbeit (und theoretischer Reflexion) immer wieder als pathologisch eingestuft wird.Einerseits: Solche Themen werden im Blick auf Genogramm und Netzwerk unmittelbar angesprochen. Die Visualisierungsmethode dient Trauernden dazu, ganz verschiedene Per­spektiven in den Blick zu bekommen und zu integrieren.Andererseits: Mir hilft es in der Vorbereitung von Liturgien beispielsweise, aufzuzeichnen, was ich über das Familiensystem und das darüber hinausgehende soziale Netz eines Men­schen erfahren habe. Es sind zudem für mich Formen der Dokumentation, die hilfreich sind, wenn jemand über größere Zeitabstände hinweg immer einmal wieder das Gespräch mit mir sucht, um einzelne Aspekte zu bearbeiten.

In der Arbeit mit Netzwerkkarte und Genogramm kann man recht schnell verdeutlichen, dass der zu betrauernde Verlust immer auch Veränderungen im eigenen Leben mit sich bringt: Die Welt muss neu gelernt werden! Die Rollen werden neu verteilt, und es müssen ganz unterschiedliche Anpassungsleistungen erbracht werden. Das manifestiert sich in ganz alltäglichen Parametern: Eine Witwe muss beispielsweise lernen, Auto zu fahren, was vorher ganz selbstverständlich der Mann getan hat. Eine Frau erzählte mir im Gespräch: „Ich vermisse meinen Mann sehr. Aber wissen Sie was, wenn ich jetzt in der Gruppe bin, in der wir früher gemeinsam waren, dann rede ich selbst, ich äussere meine Gedanken und ich denke ganz neue Gedanken, die ich früher nie gedacht und schon gar nicht geäussert hätte. Mein Mann konnte viel besser reden als ich; dann war ich still.“ Betont werden in solchen Gesprächen die beiden Seiten: Verlust und Vermissen einerseits, aber auch neue Eigenständigkeit, Übernahme der Verantwortung fürs eigene Leben u.a. andererseits.

„Trauern kann uns ein neues Selbstverständnis und ein neues Weltverständnis bringen.“129

Seelsorge hat in diesem Geschehen – der Suche nach Verbindung mit dem oder der Toten – eine wichtige Bedeutung und Funktion. Gemeinsam mit humanistischen Ansätzen ver­mittelt sie, dass wir sind, wer wir sind, auch auf Grund dessen, wer der Verstorbene (für uns) war. Wer er für uns war, zeigt sich eben im Blick auf die anderen Menschen, die vom Tod betroffen sind – verdeutlicht u.a. in der Arbeit mit Genogramm und Netzwerkkarte. Seelsorge gibt Trauernden die Erlaubnis, mit dem Toten zu leben, und sie kann die Sicher­heit geben, dass die Gemeinschaft von Lebenden und Toten uns erhalten bleibt und leben­dig macht. Der physische Tod wird dabei nicht geleugnet. Mit der Gestaltung von Toten­wachen und Beerdigung/Begräbnis/Bestattung nimmt die Seelsorge den Toten und den 

128 Prozess beschrieben z.B. in Parkes 1986, S. 88.129 Kast 1983, S. 100.

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Tod in den Blick. Doch: „Die tote Person ist zunächst verloren und wird dann wieder ge­funden, anstatt dass man erst an ihr hängt, ehe man sie dann völlig aufgibt.“130 Seelsorge vermittelt dieses Geschehen im Ritual: Der Einsicht in die Wirklichkeit, dass wir Staub sind und zum Staub zurückkehren, fügt sie im Symbol des Sarges ihren Glauben bei, dass wir wie Noah in der Arche aus der Katastrophe des Todes hervorgehen. Mit den Bil­dern der religiösen Traditionen erlaubt sie, neue und bleibende Beziehungen zu den Toten einzugehen. 

Seelsorge bietet in der Begräbnisfeier die Chance, das Leben des Toten Revue passieren zu lassen, und hat die Aufgabe, ein Bild der Persönlichkeit zu zeichnen (auch in der Auswahl der Gebete und Lieder), das als „angereichertes“ Bild der Person in der Gemeinschaft der Trauernden Bestand hat. Wenn ich nur bei der Vorbereitung einer Beerdigung nur mit der Ehefrau spreche, gar in meinem Büro, und den Toten, seine eigenen vier Wände, seine Kinder und Freunde, nicht gekannt habe, dann kann genau das eben nicht geschehen: das Ganze zu spiegeln. Das aber ist mein Auftrag als Seelsorgerin bei der Gestaltung der Trau­erfeier oder Bestattung. „Je nachdem, wie dieser Übergang gestaltet wird, können der Trauergottesdienst und die ihn begleitenden Gespräche wichtige präventive Funktionen er­füllen und zu einer konstruktiven Weiterentwicklung des Familiensystems beitragen.“131

Auch Beileidsschreiben haben die Funktion, das Bild des Verstorbenen, seine Bedeutung innerhalb einer Gemeinschaft von Menschen zu rekonstruieren: Menschen teilen mit, was sie von dem Verstorbenen gehalten haben, was er ihnen bedeutete. Menschen teilen auf diesem Weg auch eigene Verlust­ und Bewältigungserfahrungen mit und sie drücken ihre Wertschätzung für die Lebenden aus. Ein Blick auf das soziale Netz könnte dann so aussehen, dass man den Hinterbliebenen im Gespräch zum Erzählen über solche Erfahrungen einlädt, indem man fragt: „Wer hat Ihnen einen Brief aus Anlass des Todes Ihres Sohnes geschrieben? Wie erging es Ihnen mit die­sen Briefen? Haben Sie sie noch? Lesen Sie sie noch? Was bedeuten sie Ihnen und warum? Was bedeuten Ihnen bestimmte Inhalte?“

Der „Beerdigungskaffee“ (Leichenschmaus) hat dieselben Funktionen: „Wer war dabei? Was wurde gesprochen? Zu wem davon haben Sie noch Kontakt? Zu wem nicht? Was be­deuten Ihnen diese Erfahrungen?, diese Kontakte? usw.“

Und selbstverständlich gibt’s jede Menge Hindernisse für diesen Prozess – keine gemein­samen Traditionen mehr und das bedeutet, keine gemeinsamen Symbolisierungen und Ri­ten mehr, unterschiedlicher Stand in der Trauer usw. Bringe ich diese Aspekte ins Ge­spräch, verändern sich die Möglichkeiten, damit zu leben. 

130 Walter 2001, 120. Ich erinnere noch einmal daran: Das genaue Gegenteil war es, was beispielsweise Ver­ena Kast als wesentliche Phase der Trauer postulierte: nämlich die tote Person aufzugeben!131 Morgenthaler 2000, S. 233.

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In der Arbeit mit dem Genogramm wird dann deutlich, dass die verschiedenen Generatio­nen vielleicht ganz verschiedene Sprachen haben (und hatten), um über einen Verlust zu sprechen und dass die Kommunikation von vielen Behinderungen geprägt ist: Wer spricht mit wem worüber? Wie wird mit der Verschiedenheit der Weltanschauungen und Bekennt­nisse in einem Familiensystem umgegangen? Gibt es Homogenität? Wird das Thema igno­riert? 

Die Arbeit mit dem Netzwerk macht offenbar, dass es getrennte Lebenswelten gibt, in de­nen Menschen eben nur Teile von sich leben: Trennung von Wohnung und Arbeitsplatz beispielsweise bringt es mit sich, „dass es unwahrscheinlich ist, dass meine Kollegen mei­ne Familie und Freunde kennen. Über ein totes Familienmitglied oder einen toten Arbeits­kollegen zu reden, wird dabei im jeweils anderen Umfeld unmöglich“132. 

In der Arbeit mit der Netzwerkkarte werden auch die ex­familiären und extra­familiären Beziehungssysteme für die Bewältigung der Trauer und auch für ihre Behinderungen in den Blick genommen.

Die Arbeit mit Genogramm und Netzwerkkarte ermöglicht es zudem, die Auswirkungen geographischer Mobilität und der längeren Lebensdauer von Menschen in den Blick zu nehmen, die sich auf die Verlustverarbeitung auswirken.Erst der bewußte Umgang mit solchen Aspekten der Verlustverarbeitung macht sie mög­lich. Konkret: Ein Sohn lebt in Amerika; er hat die sterbende Mutter zusammen mit dem Vater begleitet, muss (und möchte) aber zurück. Wie lebt der Sohn mit dem Verlust, der keinen äusseren Ort (kein Grab, keine Erinnerungsorte) hat? Wie lebt der trauernde Vater mit dem trauernden Sohn?Im beratenden Gespräch könnte es an dieser Stelle wichtig werden, persönliche Rituale zu erarbeiten oder Verbindungssymbole zu entdecken.Ich bin überzeugt davon: Wenn Menschen nicht mit der Erinnerung anderer in Verbindung bleiben, verändert sich die Trauer. Wenn Menschen nah beieinander leben, aber bezogen auf den Verlust keine Erinnerung teilen, verändert sich die Trauer. Bezogen auf den Sohn in Amerika: Seine Nachbarn und Kollegen dort kennen die Mutter nicht, wie und was soll er mit ihnen über sie reden? Ähnlich kann das natürlich auch die Langlebigkeit von Men­schen hier in Deutschland bewirken: Mehrere Generationen leben in einem Haus oder ei­nem Dorf, haben aber ganz verschiedene Lebenskonzepte entwickelt. Das be­ oder verhin­dert, dass sie gemeinsam eine Biographie des Toten konstruieren.Wenn die Rekonstruktion der Persönlichkeit des oder der Toten ein Ziel des Trauerprozes­ses ist, dann gehört zur Trauerberatung (­begleitung und ­seelsorge) – auf sensible Weise – die Idealisierungen des Toten in Frage zu stellen. Ob es dagegen Sinn macht, verallgemei­nerte Aussagen (Mein Mann war ein vielbewunderter Mann.) in der Beratung zu subjekti­vieren (Sie haben ihren Mann bewundert.), wage ich zu bezweifeln. Denn es geht ja dem Trauernden gerade darum, ein Bild der Gesamtpersönlichkeit zu finden: nicht die persönli­132 Walter 2001, S. 132

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che Bewunderung lässt diesen Satz aussprechen, sondern es soll eine Seinsaussage ge­macht werden (die im Bereich der Seelsorge ausgesprochen sogar transzendente Bedeu­tung haben soll!): das war er – eine Identitätsaussage eben. 

Genogramm und Netzwerkkarte geben für all die angerissenen Themenkomplexe in der Beratung Anstöße und Gesprächsimpulse. Sie sind auch im nicht­therapeutischen Kontext einsetzbar. Als Visualisierungs­Methoden sind sie so offen, dass sie dem Hinterbliebenen nichts aufzwingen und so dem Grundsatz von Smeding, Trauer erschließen zu helfen, ent­sprechen. Sie regen Hinterbliebene zu Lernprozessen an. Sie fördern ihre Wahrnehmung für sich selbst und ihr Lebensumfeld. Sie regen zu eigenen Aktivitäten an und machen Hin­terbliebene nicht passiv. Ihre Bedeutung sei abschließend noch einmal in neun Thesen zusammengefaßt: 

1. Genogramm und Netzwerkkarte sind hilfreiche Instrumente zu dokumentieren, wen ein Verlust trifft, welche potentiellen Unterstützungsangebote da sind, wo schon andere Ver­luste da sind, die Begleitung nötig machen könnten u.a.m.

2. Sie sind Instrumente, die dazu dienen, Themen der Trauerarbeit zu generieren, die an­sonsten nicht so leicht in den Blick kämen.

3. Sie dienen dazu, auch die sozialen Aspekte des Verlustes wahrzunehmen und bearbeiten zu können.

4. Genogramm und Netzwerkkarte helfen dabei, die gemeinsamen und divergierenden Sinn­Konstruktionen innerhalb von Familie und unmittelbarem Lebensumfeld wahrzuneh­men – und damit zu arbeiten. 

5. Das Genogramm bietet Hinterbliebenen eine Mehrgenerationenperspektive im Umgang mit Verlust und Trauer. Dieses Verständnis hilft bei der Orientierung und Einordnung ei­gener Erfahrungen, Gefühle, Reaktionen.

6. Das Genogramm öffnet den Blick für Familientraditionen und deckt sie auf. Das sind zum Beispiel Datenübereinstimmungen (sich selbst erfüllende Prophezeiungen?), magische Zahlen und andere Besonderheiten und Kuriositäten.

7. Genogramm und Netzwerkkarte dienen dazu, Spannungen innerhalb der familiären Trauerbearbeitung anzuschauen, also Divergenzen innerhalb des familiären Systems, aber auch zwischen Familie und anderen Segmenten des sozialen Netzes wahrzunehmen.

8. Die Netzwerkkarte macht offenbar, wo an der Erweiterung des sozialen Netzes gearbei­tet werden muss, damit der oder die Hinterbliebene wieder einen Platz im Leben findet, be­friedigende Beziehungen lebt.

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9. Die Netzwerkkarte dient dem Berater / Begleiter dazu, die eigene Stellung im sozialen Netz eines Trauernden kritisch wahrzunehmen und sein Verhalten darauf abzustimmen.

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Smeding, Ruthmarijke:  Das Loch, in das ich fiel, wurde zur Quelle, aus der ich lebe.  Wege durch die Trauer, in: Angelika Daiker (Hrsg.), Selig sind die Trauernden, (Schwabenverlag) Ostfildern 1998, S. 13­24.

Smeding, Ruthmarijke: Trauer­erschließen, I­III. Ein psycho­edukatives Begleitmodell. Brüssel, 2000 (un­veröffentlichtes Fort­ und Weiterbildungsskript).

Smith,  Sabine:  Trauerarbeit  –  sozialpädagogische Aufgabe  im Hospiz.  Ein Ländervergleich  zwischen Deutschland und Großbritannien. Unveröffentlichte Diplomarbeit 1991.

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Smith, Sabine: Trauer – (Re­)Konstruktion der Wirklichkeit? Theoretische Aspekte eines neuen Ver­ständnisses. Unveröffentlichte Diplomarbeit im Ergänzungsstudiengang Erziehungswissenschaft: Planung und Beratung im Sozialwesen. Universität ­ GH Essen 2002.

Spiegel, Yorick: Der Prozeß des Trauerns. Analyse und Beratung, 8. Aufl., Gütersloh 1995 (1. Auflage 1972).

Spiegel, Yorick: Der Prozeß der Trauer, in: Wege zum Menschen 24 (1972), S. 1­14.

Straumann, Ursula: Professionelle Beratung. Bausteine zur Qualitätsentwicklung und zur Qualitätssiche­rung, Heidelberg 2000.

Straus, Florian & Höfer, Renate: Die Netzwerkperspektive in der Praxis, in: Bernd Röhrle, Gert Sommer & Frank Nestmann (Hrsg.), Netzwerkintervention, Tübingen 1998, S. 78­95.

Dokumentation  der  Fachtagung am 25.11.1998  in  Wuppertal  „Neue Kultur  im Umgang mit  Tod und Trauer“, Redaktion Paul Timmermanns, hrsg. vom Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein­Westfalen, Düsseldorf 1999

Dokumentation eines Werkstattgesprächs am 23.02.1996 in der Mildred­Scheel­Akademie in Köln, „Ab­schied und Verabschiedung von Verstorbenen“, bearbeitet von Paul Timmermanns, im Auftrag des Minis­terium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein­Westfalen und hrsg. von diesem, Düssel­dorf 1996.

Toman, Walter: Trauer, in Lexikon der Psychologie, hrsg. von Wilhelm Arnold, Hans Jürgen Eysenck und Richard Meili, Band 3, Freiburg 1987, Spalte 2351.

Trojan, Alf & Legewie, Heiner: Nachhaltige Gesundheit. Leitbilder, Politik und Praxis der Gestaltung ge­sundheitsförderlicher Umwelt­ und Lebensbedingungen, Frankfurt 2001.

Walter, Tony: Verlust und Lebensgeschichte (Originaltitel: A new model of grief: bereavement and biogra­phie; Quelle: Mortality, Vol. 1, No. 1, 1996 übersetzt von Sabine Burkard), in: Chris Paul (Hrsg.)Neue Wege in der Trauer­ und Sterbebegleitung, Gütersloh 2001, S. 119­144.

Weiher, Erhard: Mehr als Begleiten. Ein neues Profil für die Seelsorge im Raum von Medizin und Pflege, Mainz 1999 [b].

Weiher, Erhard:  Die Religion, die Trauer und der Trost. Seelsorge an den Grenzen des Lebens. Mainz 1999 [a].

Worden, J. William: Grief counselling and grief therapy. A handbook for the mental health practitioner. London, 2. Aufl., 1992.

Worden, J. William: Beratung und Therapie in Trauerfällen. Ein Handbuch, 2., erweiterte Auflage, Bern, Göttingen, Toronto, Seattle 1999. 

Yalom, Irvin D: Existentielle Psychotherapie, Köln, 3. Auflage 2000 (11989).

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Kursive Zitate:Augustinus: ders.: Confessiones, Bekenntnisse, Lateinisch­Deutsch, München, 4. Auflage, 1980, S. 150/151/153 (Viertes Buch).

Lewis C.S.: Über die Trauer, Zürich 1982. 

Yalom, Irvin D: Der Panama­Hut, München 2002.

Hiob: Die Bibel. Einheitsübersetzung.

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