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Zur Entstehung dieses Buches

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Unter FeuerDie Konterrevolution in der DDR

Zur Entwicklung - der Partei, - der konomie, - der imperialistischen Strategie und ihrer BekmpfungAutoren: Erich Buchholz, Klaus Eichner, Klaus Hesse, Kurt Gossweiler, Dieter Itzerott, Hermann Jacobs, Heinz Keler, Herrmann Leihkauf, Michael Opperskalski

(Hrsg):

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Zur Entstehung dieses Buches

Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek: Offen-siv (Hrsg.): Unter Feuer

Hannover 2009 Herausgegeben vom Verein zur Frderung demokratischer Publizistik e.V. Einzelverlag, Offensiv, Frank Flegel Tel.u-Fax: 0511 52 94 782 Mail: [email protected]

Copyright: Januar 2009, Frank Flegel, Hannover Alle Rechte vorbehalten Redaktionelle Betreuung: Vorstand des Vereins zur Frderung demokratischer Publizistik e.V. Umschlag: Frank Flegel Druck: Lange und Haak, Orsingen-Neuzingen Printed in Germany

ISBN 978-3-00-026316-3 12,00

Zur Entstehung dieses Buches Zur Entstehung dieses Buches .............................................................................................6 Statt einer Einleitung - oder: Was wir verloren haben ........................................................9 Hermann Leihkauf: Fakten zu 40 Jahren DDR ..........................................................9 Vorbemerkung ............................................................................................................9 1. Die Entstehung und das Wesen der DDR ...............................................................10 2. Die DDR, der erste und bisher einzige deutsche Friedensstaat ..............................11 3. Die Grundorientierung auf soziale Gerechtigkeit und soziale Gleichheit ..............12 4. Das einheitliche sozialistische Bildungssystem ......................................................12 5. Die Frderung der Frauen ......................................................................................13 6. Die Grundstze der Gesundheitspolitik ..................................................................14 7. Kultur, Sport und Feriengestaltung .........................................................................15 8. Das Recht auf Wohnraum .......................................................................................16 9. Die Konsumtionsmglichkeiten der Bevlkerung ..................................................17 10. Die Schaffung der materiellen und finanziellen Bedingungen fr die Entwicklung der DDR.................................................................................................18 11. Der Auenhandel und die Zahlungsbilanz der DDR ............................................20 12. Zur nationalen Volksarmee ...................................................................................22 13. Zur Staats- und Rechtsordnung .............................................................................23 14. Die DDR entwickelte sich trotz der sich zuspitzenden Systemauseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Sozialismus und der Entfaltung des Kalten Krieges. ...................................................................................24 Erich Buchholz: Die sozialistische Verfassung der DDR von 1968...........................25 Die demokratischste Verfassung, die es jemals in Deutschland gab ..........................25 Unsere Gesetze kamen demokratisch zustande. .........................................................26 Zur Geschichte ............................................................................................................27 Die Spaltung Deutschlands und die erneute Kommunistenverfolgung in Westdeutschland .........................................................................................................29 Das westdeutsche Grundgesetz ...................................................................................30 Der Text des Grundgesetzes kam in einer beispiellos undemokratischen Art und Weise zu Stande. ..................................................................................................32 Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte ............................................34 Die Verfassung der DDR von 1968 ............................................................................36 Hinter dem Gerede von der Freiheit verschwinden die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Menschenrechte ......................................................38 Wir treten fr eine wirkliche Demokratie ein, in der das Volk wirklich herrscht. .......................................................................................................................39 Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands ..................................................................45 Dieter Itzerott in Kooperation mit Kurt Gossweiler: Die Entwicklung der SED .............................................................................................................................45 Einfhrende Bemerkungen. ........................................................................................45 Die Vorgeschichte der SED ........................................................................................47 Die ersten Aufgaben der SED .....................................................................................51 Die Grndung der DDR ..............................................................................................53 Schritte zur Entwicklung der SED auf marxistisch-leninistischer Grundlage und der bergang zum Aufbau des Sozialismus ........................................................54

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Die II. Parteikonferenz (9.-12. Juli 1952) .................................................................. 57 Die Konterrevolution erhebt ihr Haupt: Der 17. Juni 1953........................................ 59 Bemerkungen zur Blockpolitik. ................................................................................. 70 Die erfolgreichen 60er Jahre. ..................................................................................... 71 Die Jugendpolitik der SED ......................................................................................... 73 Die SED und der Revisionismus ................................................................................ 78 Wie hat die Fhrung der SED auf den Chrustschow-Revisionismus reagiert? ......... 80 Revisionismus und Neues konomisches System ................................................. 82 Die SED und der Eurokommunismus. .................................................................... 83 Der Wechsel an der Parteispitze von Walter Ulbricht zu Erich Honecker. ............... 84 Probleme der SED vor allem in den 80er Jahren ....................................................... 87 Die Konterrevolution siegt ......................................................................................... 91 Heinz Keler: Die letzten Tage der SED und der Deutschen Demokratischen Republik ..................................................................................................................... 97 Letzte Beratung des Politisch Beratenden Ausschusses der Staaten des Warschauer Vertrages im September 1989 ................................................................ 97 Die Lhmung des Politbros des ZK der SED ........................................................... 99 Verteidigungsminister Keler wird weggeschickt nach Nicaragua und Cuba ............................................................................................................................ 100 Honeckers Absetzung, mein Parteiausschluss und die erste Inhaftierung ................. 101 Meine zweite Inhaftierung, der Prozess und die Verweigerung der Solidaritt durch Gorbatschow..................................................................................................... 104 Wir hatten Illusionen gehabt ...................................................................................... 105 Drei Schlussfolgerungen: ........................................................................................... 106 Imperialistische Strategie, Diversion und Revisionismus .................................................. 108 Klaus Eichner: Zur imperialistischen Strategie gegen die sozialistische Staatengemeinschaft im Kalten Krieg ........................................................................ 108 I. Definition Kalter Krieg ........................................................................................... 108 II. Zur Entstehung des Kalten Krieges ....................................................................... 109 III. Frhe Kriegsplanungen der USA ......................................................................... 111 IV. Subversive Angriffe der Geheimdienste und konterrevolutionrer Organisationen gegen die sozialistischen Staaten ...................................................... 113 V. Die Grand Strategy der Bush-Administration ................................................... 117 VI. Einige Gedanken zum Ende des Kalten Krieges .............................................. 120 Michael Opperskalski: Die dialektische Wechselwirkung zwischen Revisionismus und imperialistischer Diversion am Beispiel der DDR ..................... 125 Besondere Rolle des Ostbro der SPD ................................................................... 128 Propaganda als Waffe gegen die DDR ....................................................................... 130 Sag mir, wer Deine Freunde sind... ............................................................................ 132 Ordinre Geheimdienstaktivitten .............................................................................. 135 Konterrevolutionrer Putschversuch 1953 ................................................................. 137 Zur Strategie der friedlichen Einmischung in der DDR ......................................... 141 1987: revisionistische Positionen werden in der DDR offiziell ................................. 146 Die Kreise schlieen sich, das Ende naht ................................................................... 149 Die konterrevolutionre Rolle von Luch .................................................................... 151

Zur Entstehung dieses Buches konomie ............................................................................................................................155 Klaus Hesse: Aufstieg und Niedergang des realen Sozialismus - ber konomische Ursachen und politische Perspektiven zwischen Revolution und Konterrevolution .........................................................................................................155 1. Die UdSSR zwischen NP, Industrialisierung, Groem Vaterlndischem und Kaltem Krieg - ber historische Erfahrungen mit Entwicklungsproblemen des realen Sozialismus in einem Land ................................156 2. Reparationen, Aufbau des Sozialismus, Neues konomisches System und Einheit von Wirtschafts- und Sozalpolitik - Vorzge und Grenzen des realen Sozialismus in den Farben der DDR ...........................................................................161 3. Die Epoche im Schatten der atomaren Apokalypse - sozialkonomische Dimensionen und Konsequenzen des militrischen Krfteverhltnisses ...................168 4. Auch Geschichtsschreibung ist Klassenkampf .......................................................179 5. Einige Anmerkunge zur Organisation Luch........................................................182 6. "...die Aneignung seiner allgemeinen Produktivkraft..." - im Wettkampf der Systeme zwischen wissenschaftlich-technischer Revolution und Kaltem Krieg............................................................................................................................183 Hermann Jacobs: Der Beitrag der DDR zur konomischen Theorie und zur konomischen Praxis des Sozialismus/Kommunismus ..............................................195 Vorbemerkung ............................................................................................................195 1. System-Aussage: .....................................................................................................196 2. Probleme: Festpreise und gestrte betriebliche Rentabilitt / Neues konomisches System der DDR / Lhne nach dem Gewinn .................................197 3. Problem Lohnfrage/Leistungsprinzip im Sozialismus:...........................................200 4. Grundstzliche Fragen: ...........................................................................................202 Einige Nachbemerkungen zum Streit um die Warenproduktion ................................202 Anhang: Die Debatten in der UdSSR und der DDR um die Warenproduktion im Sozialismus dargelegt anhand der unterschiedlichen Ausgaben der konomischen Lehrbcher .........................................................................................205 Die Begrndung mit den zwei Eigentumsformen ...................................................206 Die Begrndung mit der Bewertung der Arbeit durch Geld ...................................209 Die Begrndung aus dem Volkseigentum selbst.....................................................211 Die Begrndung mit der unreifen unmittelbar gesellschaftlichen Arbeit ...............214 Die Begrndung mit der materiellen Interessiertheit ..............................................217 Die Begrndung mit dem Leistungstrieb im Sozialismus .......................................218 Die Begrndung mit dem konomisch selbststndigen Betrieb .............................220 Das Ende .....................................................................................................................223 Ein vorlufiges Schlusswort .................................................................................225

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Zur Entstehung dieses BuchesDie Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) bat uns im Dezember 2007, fr sie eine Zuarbeit zur Frage der Entwicklung und der konterrevolutionren Zerstrung der DDR zu leisten. Die KKE ist, wenn man sich die Situation der kommunistischen Bewegung in Europa ansieht, den Blick also beispielsweise nach Spanien, Frankreich, Italien, sterreich oder auch auf Deutschland richtet, so etwas wie eine Ausnahmeerscheinung und dies sowohl im geschichtlichen wie im aktuellen Sinne. Nach dem Sieg der Konterrevolution 1989/90 ber den Sozialismus in Europa wurden ja bekanntlich viele Parteien in den Abgrund gerissen. Noch immer herrscht oftmals Verwirrung und noch immer sind vielerorts revisionistische und reformistische Positionen in der Hegemonie. Anders dagegen bei der KKE. Kurz nach der Konterrevolution tauchten zwar auch hier revisionistische Positionen auf, jedoch wurden diese bald berwunden 1. Die Partei verteidigte das Funda-

1 Bei der weiter unten im Einleitungstext erwhnten Inhaltskonferenz der Linken vom 24. und

25. Januar 1998 in Kln wurde die Genossin Anneke Ioannatou whrend der Diskussion, die sich unter anderem mit dem Elend in der Kommunistischen Partei Frankreichs beschftigte, gefragt, wieso die KKE gerettet worden sei. Dieser Terminus: Die Griechen haben ihre Partei ja gerettet, war nmlich mehrfach gebraucht worden. Sie antwortete wie folgt: Wir haben ein Bndnis gehabt, 1986 und 1987, da waren auch einige frhere Eurokommunisten dabei. Dies Bndnis besteht auch heute (1998) noch weiter, heit Koalition, ist eine brgerliche Partei, ist fr Maastricht. Damals aber - und die Gorbatschow-Geschichte, Sowjetunion ab 1985, das kennen wir auch - hat das alle beeinflusst. Und dann ist von dieser Seite die revisionistische Auffassung und Propaganda immer klarer geworden. Und es hat ideologische Auseinandersetzungen gegeben mit dem Ergebnis, dass 1991 die anderen in unseren Reihen - lasst es mich so sagen - uns zugemutet haben, dass alles eine Partei wrde, dieses Bndnis mit Namen Koalition, dass man sich dahinein auflsen solle als kommunistische Partei. Da haben sich die meisten Parteimitglieder geweigert und gesagt: Jetzt ist es wirklich klar, dass die ganze von Gorbatschow inszenierte Geschichte in der Sowjetunion berall, international, nur ein Versuch ist, kommunistische Parteien aufzulsen und damit die gesamte kommunistische Bewegung. Und dann hat sich eine wirkliche Kraft entwickelt. Man wollte darber diskutieren auf der Ebene des Zentralkomitees im Gebude der Partei. Das ist ein wirklich groes Gebude, alle haben gespendet, die Mitglieder haben Geld gegeben, und nach Jahren haben wir ein schnes Gebude da. Und die Basisorganisationen der Partei, die Arbeiterorganisationen der Partei sind dahin gegangen und haben gerufen, alle zusammen: Weg mit den Reformisten! Uns gehrt die Partei! Und sie haben es geschafft, ins Zentralkomitee einzudringen, und die Reformisten sind buchstblich rausgeschmissen worden.

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ment des Marxismus-Leninismus, was wir bei den Parteien anderer europischer Lnder und in hnlichem Ausma nur noch bei der portugiesischen und der belgischen Partei sowie den schwedischen Genossinnen und Genossen bemerken konnten. Die politische Orientierung, die Kampfkraft und die Erfahrungen der KKE sind ungemein wertvoll und sollten - nicht nur - bei uns wesentlich breiter und genauer zur Kenntnis genommen werde. Schon seit lngerem haben wir gute und kontinuierliche Beziehungen zur KKE. Ihren ersten Ausdruck fanden diese in der Teilnahme der griechischen Genossin Anneke Ioannatou an der im Januar 1998 organisierten Inhaltskonferenz der Linken zum Thema Revisionismus, Demokratischer Sozialismus`, Sozialismuskonzeptionen, bei der sie zum Thema Geschichte und Gegenwart von Revisionismus und Demokratischem Sozialismus` referierte 2. Vertieft wurden diese Beziehungen dann durch ihre Teilnahme an unserer Konferenz Imperialismus und anti-imperialistische Kmpfe im 21. Jahrhundert 3, die wir im Herbst des Jahres 2000 in Berlin durchfhrten und wo die Genossin Ioannatou zum Thema: Theorie und Praxis des Aufbaus einer antiimperialistischen, antimonopolistischen, demokratischen Front in Griechenland sprach. In der Folgezeit haben wir immer wieder Dokumente und Einschtzungen der KKE bersetzt und nachgedruckt, ebenso wie die KKE immer wieder Artikel aus der offen-siv bzw. Beitrge von offen-siv-Autoren/innen bei internationalen Konferenzen unter anderem in ihrer Theoriezeitschrift ins Griechische bersetzt - verffentlichte. Anlsslich der politisch-ideologischen Konferenz der KKE im Dezember 2007 in Athen, zu der wir eingeladen waren, kam es zu einem Gesprch zwischen uns und Mitgliedern des Politbros der KKE. Da die KKE in der Forschung ber die Konterrevolution in Europa einen wichtigen Schwerpunkt ihrer ideologischen Grundsatzarbeit sieht, batenSo wurde die Partei gerettet von der Basis, von den Leuten, die es frh genug begriffen haben. Und nach dieser Aktion wurde klar, dass 40 Prozent der Mitglieder des Zentralkomitees weggegangen ist oder rausgeworfen wurde. 40 Prozent waren es! Ein paar Monate danach hat es den 14. Parteitag gegeben, wo man ideologisch alles genau diskutiert und eine neue Basis aufgebaut hat und neue Aufgaben verteilt hat und seitdem ist alles ruhiger geworden. Man knnte sagen, es war ein Saubermachen. So wurde die Partei gerettet. Und das Schne ist wirklich, dass es von den Parteimitgliedern kam. Das war eine sehr, sehr schne Szene damals. Das habe ich erlebt. (offen-siv Nr. 3/1998, Dokumentation der Inhaltskonferenz der Linken, Heft 2, Revisionismus, Demokratischer Sozialismus. Sozialismuskonzeptionen, S. 50f.) Die Resultate wurden verffentlicht in: offen-siv Nr. 3/1998, Dokumentation der Inhaltskonferenz der Linken, Heft 1 und 2, Revisionismus, Demokratischer Sozialismus. Sozialismuskonzeptionen. Die Hefte sind leider vergriffen.2

3 Siehe Imperialismus und anti-imperialistische Kmpfe im 21. Jahrhundert. Protokollband

der gleichnamigen Konferenz vom 28./29. Oktober 2000 in Berlin, Hrsg: offen-siv, Hannover 2001. Bezug nur direkt ber uns Adresse: offen-siv, F. Flegel, Egerweg 8. 30559 Hannover, Tel: 0511 52 94 782, Mail: [email protected]

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uns die griechischen Genossinnen und Genossen whrend dieses Gesprchs darum, die Zuarbeit ber den Themenkomplex Konterrevolution in der DDR zu bernehmen. Sie sprachen besonders drei Bereiche an: Die Entwicklung der SED, die konomie und die Frage der imperialistischen Bedrohung und ihrer Abwehr. Gleichzeitig haben wir dort verabredet, unsere Ergebnisse sowohl in Griechenland als auch in Deutschland in geeigneter Form zu verffentlichen. Inzwischen hat das Projekt konkretere Formen angenommen: In 2009 wird eine Delegationsreise von mehreren Autoren dieses Buches und einem Mitglied unseres Herausgebergremiums nach Griechenland stattfinden, whrend der wir die Ergebnisse den Genossinnen und Genossen der KKE bergeben und dort u.a. vor dem ZK prsentieren werden. Wir freuen uns darber, unsere Resultate hier in Deutschland in Form dieser Buchverffentlichung vorlegen zu knnen. Diese Freude ist doppelt gro, weil wir der KKE diese Arbeit sozusagen zum Geburtstagsgeschenk machen knnen: Die KKE feierte im November 2008 ihr 90-jhriges Bestehen. Fr die Redaktion offen-siv: Frank Flegel, Hannover

Impressum der Zeitschrift offen-sivHerausgeber: Verein zur Frderung demokratischer Publizistik e.V.Mitglieder am Tag der Grndung: Erich Buchholz, Hans Fischer, Frank Flegel, Kurt Gossweiler, Peter Hacks(), Dieter Hainke, Ingo Hhmann, Anna C. Heinrich, Gnther Lange, Michael Opperskalski, Andrea Schn, Hans Schrter(). Geschftsfhrung, Redaktion, Satz, Herstellung und Schreibbro: Anna C. Heinrich und Frank Flegel Druck: Lange und Haak, Orsingen-Neuzingen. Bezugsweise: unentgeltlich, Spende ist erwnscht. Postadresse: Redaktion Offensiv, Frank Flegel, Egerweg 8, 30559 Hannover, Tel.u.Fax: 0511 52 94 782 Mail: [email protected] Internet: www. offen-siv. com Spendenkonto Inland: Konto Frank Flegel, 3090180146 bei der Sparkasse Hannover, BLZ 250 501 80 Ausland: Konto Frank Flegel, Internat. Kontonummer.(IBAN): DE10 2505 0180 0021 8272 49, Bankidentifikation (BIC): SPKHDE2HXXX; Kennwort Offensiv Freundeskreis offen-siv: A.Vogt, Tel.: 0351-41 79 87 91, Mail: [email protected]

Statt einer Einleitung - oder: Was wir verloren haben

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Statt einer Einleitung - oder: Was wir verloren habenHermann Leihkauf4: Fakten zu 40 Jahren DDRWessen sollen wir uns rhmen, wenn nicht der DDR. Peter Hacks

VorbemerkungEs wird in den folgenden 14 Punkten versucht, makrostrukturell Fakten darzustellen, die fr die Deutschen Demokratischen Republik charakteristisch sind. Diese Fakten sollen auch dazu beitragen, das oben angefhrte Zitat von Peter Hacks zu begrnden. Weitere selektive und vergleichenden Untersuchungen zur DDR sowie das Nachdenken ber Alternativen zum gegenwrtigen kapitalistischen Gesellschaftssystem in der BRD sollen die Fakten zu 50 Jahre DDR untersttzen. Darstellungen der DDR ohne solche Fakten sind unvollstndig. Man mu kein Prophet sein, um voraussagen zu knnen, da es zu diesen 14 Punkten viele Erwiderungen wie aber, dazu gehrt, zu einfach, es4 Hermann Leihkauf, geb. 04.02.1928, stammt aus einer Arbeiterfamilie, sein Vater war

Schlosser. Im Mrz 1946 wurde er von der Betriebsgruppe der KPD zum ersten Lehrgang fr Arbeiter zur Erlangung der Hochschulreife in Vorbereitung auf ein Studium delegiert. (Vorlufer der Arbeiter- und Bauernfakultt). Von November 1946 bis Ende 1949 studierte er an der Universitt in Leipzig Volkswirtschaft und Betriebswirtschaft. Er schloss das Studium als Diplom-Betriebswirt ab. Als Mitglied der SED war er whrend des Lehrgangs und des Studiums in Parteileitungen insbesondere bei der Propagandaarbeit aktiv. Von Ende 1949 bis zum 30.06.1990 hat er in einer Vereinigung Volkseigener Betriebe, in einem Ministerium, im ZK der SED und ber 30 Jahre in der Staatlichen Plankommission der DDR als Betriebswirt bzw. als Volkwirtschaftsplaner auf dem Gebiet der Konsumgterindustrie und der Konsumtion der DDR gearbeitet. Er war whrend dieser Zeit stndig Mitglied von Parteileitungen bzw. Parteisekretr der Grundorganisationen der SED. Da eine weitere Verwendung fr ihn auf wirtschaftlichem Gebiet in Vorbereitung des Anschlusses der DDR an die BRD abgelehnt wurde, bekam er zum 30.06.1990 die Kndigung und war nach Absolvierung einer Warteschleife bis zur Erreichung des Rentenalters im Februar 1993 arbeitslos. Mit der sogenannten Systementscheidung hat die Regierung der BRD fr Systemnahe alle selbsterworbenen Rentenansprche annulliert. Seit Anfang der neunziger Jahre arbeitet er im Arbeitskreis der Weienseer Bltter mit.

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wurden Fehler gemacht u.a. geben wird. Dazu der 1997 verstorbene Generalsekretr der Kommunistischen Partei Frankreichs, Georges Marchais: ,,So viele Fehler knnen bei der Schaffung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung gar nicht gemacht werden, da sie fr die Menschen ihre Vorzge gegenber dem Kapitalismus verliert.

1. Die Entstehung und das Wesen der DDRDie DDR war vier Jahrzehnte - von 1949 bis 1989 - der staatliche Rahmen, in dem sich auf einem knappen Drittel des ehemals deutschen Territoriums das Leben von ca. 17 Mio. Einwohner, eines Viertels der Deutschen, antiimperialistisch, antifaschistisch und sozialistisch entwickelte. Vor allem hat die DDR Millionen Menschen aus der Katastrophe von 1933 bis 1945 in ein neues, friedliches Leben gefhrt, und zwar in bewuter und radikaler Abrechnung mit der faschistischen und imperialistischen Vergangenheit Deutschlands. Die Macht der fr zwei Weltkriege und fr die Errichtung des faschistischen Regimes mit allen seinen Folgen verantwortlichen wirtschaftlichen, politischen und militrischen Eliten wurde gebrochen, ihre konomischen Fundamente beseitigt, das Volk wurde Eigentmer von Produktionsmitteln und von Grund und Boden. Mit Untersttzung und Nutzung von Erfahrungen sowjetischer Berater wurde die Macht sozialistischer Krfte entfaltet. Es war ein schwerer, aber erfolgreicher Weg - von der Bergung der Maschinen aus den vom Faschismus hinterlassenen Trmmern ber - die durch Volksentscheid erfolgte Enteignung der Kriegsverbrecher, der Entmachtung der Junker und Grogrundbesitzer mit der Verwirklichung der Bodenreform, ber - die Grndung der DDR am 07.10.1949, - die Entwicklung sozialistischer Produktionsverhltnisse und Gestaltung eines gesellschaftlichen Systems des Sozialismus auf der Grundlage der durch Volksentscheid am 09.04.1968 in Kraft getretenen Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik bis zur - diplomatischen Anerkennung von nahezu allen Staaten und zum Mitglied der Vereinten Nationen. Die DDR war das Resultat der Politik der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, wurde durch sie programmatisch gefhrt und mit der Untersttzung von Millionen Menschen verwirklicht. Es htte die DDR ohne das Wirken der SED, der vereinigten Arbeiterpartei aus 620.000 Kommunisten und 680.000 Sozialdemokraten, nicht gegeben. Im Schwur von Kommunisten und Sozialdemokraten in den Konzentrationslagern des faschistischen Deutschen Reiches, den Bruderzwist zu beenden und die Krfte zum Wohle des Volkes zu vereinen, hatte die SED ihre Wurzeln.

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Im Bndnis der Arbeiterklasse mit der Klasse der Genossenschaftsbauern, den Angehrigen der Intelligenz und den anderen Schichten des Volkes, den anderen Parteien und Massenorganisationen, die in der Nationalen Front des demokratischen Deutschland ihren organisierten Ausdruck fanden, wurden die Krfte zum gemeinsamen handeln vereinigt. Die nach jeweils 4 Jahren - bis 1971 - und dann jeweils nach 5 Jahren unter Beteiligung aller Parteien und gesellschaftlichen Organisationen vom Volk gewhlte Volkskammer war das oberste staatliche Machtorgan der Deutschen Demokratischen Republik. Sie entschied in ihren Plenarsitzungen ber die Grundfragen der Staatspolitik. (500 Volkskammer-Abgeordnete, davon SED 127, Demokratische Bauernpartei Deutschlands 52, CDU 52, LDPD 52, NDPD 52, FDGB 61, Demokratischer Frauenbund Deutschlands 32, FDJ 37, Kulturbund 21, Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe 14). 5 Jeder Brger der Deutschen Demokratischen Republik hatte unabhngig von seiner Nationalitt, seiner Rasse, seinem weltanschaulichen oder religisen Bekenntnis, seiner sozialen Herkunft und Stellung die gleichen Rechte und Pflichten. Die DDR war der internationalen Solidaritt verpflichtet. Selbst von den Folgen des verbrecherischen, von den deutschen imperialistischen Krften entfesselten Krieges schwer getroffen und belastet durch die Reparationen, die sie fr Deutschland fast allein bezahlte, stand sie immer an der Seite unterdrckter Vlker, wie Korea, Vietnam, Kuba und die um ihre Unabhngigkeit kmpfenden afrikanischen und asiatischen Staaten. Diese Staaten erhielten vielfltige Solidaritt, oftmals mehr als es eigentlich die konomischen Mglichkeiten der DDR erlaubten. Die Geschichte der DDR fgte sich zugleich ein in das Ringen um die berwindung des Kapitalismus und die Herausbildung einer sozialistischen Gesellschaft. Diesem Anliegen war die deutsche Arbeiterbewegung seit der zweiten Hlfte des 19. Jahrhunderts verpflichtet.

2. Die DDR, der erste und bisher einzige deutsche FriedensstaatDie DDR hat in der gesamten Zeit ihres Bestehens wichtige Beitrge zum Frieden, zur Entspannung und zur Verstndigung in Europa geleistet. Sie hatte in ihrer Auenpolitik mit den revanchistischen Traditionen des Deutschen Reiches gebrochen, bekmpfte deren Wiederaufleben in der BRD und arbeitete 40 Jahre erfolgreich dafr, da von deutschem Boden kein Krieg ausging. Aus heutiger Sicht wird besonders deutlich, da die Friedenspolitik der DDR, ja schon die bloe Existenz der DDR, sich als Garantie dafr erwies, da die expansionistische, die Nachkriegsgrenzen in Frage stellende BRD - mit einer in den Traditionen der Naziwehrmacht aufgebauten und befangenen Bundeswehr sich nicht offen zum Aggressionsstaat mauserte. 40 Jahre konnte sich die BRD an keinem Krieg beteiligen.5 Mitteilung der zentralen Wahlkommission der DDR vom 09.06.1986

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3. Die Grundorientierung auf soziale Gerechtigkeit und soziale GleichheitDie antikapitalistische Umwlzung der Eigentumsverhltnisse ermglichte eine Grundorientierung auf soziale Gerechtigkeit und soziale Gleichheit. Die sozialen Vernderungen beschrnkten sich nicht auf einen Austausch der Machteliten, sondern waren mit dem sozialen Aufstieg von Millionen Arbeitern, Angestellten und Bauern, einer tiefgreifenden sozialen Umschichtung zugunsten der bisher Unterprivilegierten verbunden. Die Gesellschaft war kinderfreundlich orientiert, die Ausbildung und berufliche Sicherstellung der Jugend war Staatsziel. Sozialpolitisch und bildungspolitisch gab es 40 Jahre nach Grndung der DDR nahezu bereinstimmung zwischen Verfassungsanspruch und Verfassungswirklichkeit.

4. Das einheitliche sozialistische BildungssystemDie Bildungssttten standen jedermann offen. Das einheitliche sozialistische Bildungssystem gewhrleistete jedem Brger eine internationalen Ansprchen gengende kontinuierliche Erziehung, Bildung und Weiterbildung. Es bestand Chancengleichheit und die freie Wahl des Bildungsweges. In der Deutschen Demokratischen Republik bestand allgemeine zehnjhrige Oberschulpflicht, die durch den Besuch der zehnklassigen allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule zu erfllen war. Alle Jugendlichen hatten das Recht und die Pflicht, einen Beruf zu erlernen. Mit der erweiterten polytechnischen Oberschule sicherte der Staat nach dem Leistungsprinzip, den gesellschaftlichen Erfordernissen und unter Bercksichtigung der sozialen Struktur der Bevlkerung den bergangs zur nchsthheren Bildungsstufe bis zu den hchsten Bildungssttten, den Universitten und Hochschulen. Es bestand Schulgeld- und Lernmittelfreiheit. Es gab Ausbildungsbeihilfen unter Bercksichtigung sozialer Kriterien. Direktstudenten an den Universitten, Hoch- und Fachschulen waren von Studiengebhren befreit. Stipendien und Studienbeihilfen wurden nach sozialen Gesichtspunkten und nach Leistung gewhrt. Es standen nach Altersgruppen (Kinder, Jugendliche und Erwachsene) fr alle Brger Bildungsmglichkeiten zur Verfgung.

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1988/1989 wurden ber 764.000 6 Kinder in ber 13.000 Einrichtungen der Vorschulerziehung von 73.000 Erziehern betreut. Es wurden ber 2 Mio. Schler in ca. 6.000 allgemeinbildenden und erweiterten polytechnischen Oberschulen von 170.000 Lehrkrften unterrichtet. Fr die Weiterbildung standen 1.000 Berufsschulen, 250 Fachschulen und 53 Universitten/Hochschulen zur Verfgung. 1949 hatten von den 8,2 Mio. Gesamtbeschftigten ca. 2,5 Mio. Beschftigte, gleich 30% eine abgeschlossene berufliche Ausbildung. 1988/89 hatten von 8,9 Mill. Gesamtbeschftigten 7 Mio. gleich 79,4 % eine abgeschlossene berufliche Ausbildung. Darunter mit Hochschulabschlu 630.000, mit Fachschulabschlu 1,1 Mio., mit Meisterabschlu 330.000 und mit Facharbeiterabschlu 4,8 Mio. Damit wurde - zum bisher ersten und einzigen Mal in der deutschen Geschichte - das Recht auf Arbeit, Bildung und Ausbildung verwirklicht. Das Recht auf Arbeit war Verfassungsgebot, es gab keine Arbeitslosen.

5. Die Frderung der FrauenDie Frderung der Frauen, besonders in der beruflichen Qualifizierung, war gesellschaftliche und staatliche Aufgabe. Zunehmend bis zu 92 % aller Frauen im arbeitsfhigen Alter waren berufsttig. Das war mglich, weil praktisch alle Kinder zwischen drei und sechs Jahren in Kindergrten von Fachkrften gegen ein geringes Entgelt betreut und verpflegt wurden. Die lteren Kinder bis zur vierten Klasse hatten die Mglichkeit, ihre Freizeit in betreuten Kinderhorten zu verbringen. Auch die Kinder bis zu drei Jahren - also im Babyalter - konnten auf Wunsch der Familien tagsber in Kinderkrippen betreut werden. Diese Manahmen hatten neben der finanziellen Untersttzung der Familien mit Kindern (Kredite bei Eheschlieung, Kindergeld, Beihilfe bei Geburten u.a.) zur Folge, da jhrlich 230.000 bis 245.000 Suglinge lebend geboren wurden, d. h. von 1000 Frauen im Alter von 15 bis 45 Jahren wurden 1.735 bis 1.940 Suglinge lebend geboren. (Fruchtbarkeitskennziffer). Die in den Jahren 1988/1989 4,2 Millionen weiblichen Beschftigten machten fast die Hlfte aller Erwerbsttigen aus. 80% davon verfgten ber eine abgeschlossene berufliche Ausbildung, darunter 23% - also fast jede vierte weibliche Beschftigte - ber6 Alle Zahlenangaben, die keine Kennzeichnung haben, sind dem jeweiligen Abschnitt des

Statistischen Jahrbuch der DDR 1989 entnommen bzw. daraus berechnet. Ausgabe Juni 1989. Mit dem Anschluss der DDR hatte das Statistische Bundesamt der BRD das Statistische Amt der DDR bernommen und dessen Arbeitsweise und Datenmaterial einer Tiefenprfung unterzogen. Sechs Monate spter, Mitte April 1991, stellte der damalige Prsident des bundesdeutschen Amtes, Egon Holder, fest, die DDR-Statistik zeichnete im Wesentlichen die Realitt nach.

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einen Hoch- oder Fachschulabschlu. Der Anteil der Frauen und Mdchen von den an Hochschulen Studierenden betrug nahezu 50 %. Frauen in der DDR besaen aufgrund ihres eigenen Arbeitseinkommens eine selbstndige wirtschaftliche und soziale Position sowohl in der Familie als auch im ffentlichen Leben.

6. Die Grundstze der GesundheitspolitikDie Grundstze der Gesundheitspolitik waren in der Verfassung der DDR verankert. Nach Artikel 35 der Verfassung hatte jeder Brger das Recht auf Schutz seiner Gesundheit und Arbeitskraft. Auf der Grundlage eines sozialen Versicherungssystems wurden bei Krankheit und Unfllen materielle Sicherheit, unentgeltliche rztliche Hilfe, Arzneimittel und andere medizinische Leistungen gewhrt. Die Schlsselaufgabe fr das Gesundheitswesen bestand in dem quantitativen und qualitativen Ausbau der medizinischen Betreuung der Bevlkerung in - der Einheit von medizinischer Prophylaxe, Diagnostik, Therapie und Metaphylaxe sowie - der aufeinander abgestimmten ambulanten und stationren Betreuung, d.h. der engen Zusammenarbeit von Krankenhaus und Poliklinik. Die staatliche Trgerschaft fr die Einrichtungen des Gesundheitswesens war das feste Bindeglied fr die komplexe medizinische Betreuung der Brger auf allen Ebenen. Patienten waren bei Inanspruchnahme des Gesundheitswesens der DDR Praxisgebhr, Beteiligung an den Medikamentenkosten oder an den Kosten fr Heilbehandlungen u.a. fremd. Unentgeltliche Kurverschickung, auch zu vorbeugenden Zwecken, war Bestandteil des Gesundheitswesens. Es bestand freie Arztwahl, jeder Brger konnte den Arzt seines Vertrauens whlen. Aus dem Staatshaushalt wurden sowohl ein groer Teil der Sozialversicherung als auch der Einrichtungen des Gesundheitswesens finanziert. Es galt gleiches Recht auf gesundheitliche Betreuung, unabhngig von der sozialen Herkunft, der sozialen Lage, der Religionszugehrigkeit oder dem Wohnort. Es bestand eine vorbeugende Betreuung der Werkttigen in der Produktion durch ein umfangreiches Netz des Betriebsgesundheitswesens. Im Falle der Invaliditt, der Mutterschaft sowie beim Erreichen der Altersgrenze (16 % der Wohnbevlkerung befand sich 1988 im Rentenalter) wurden Leistungen des staatlichen Sozialsystems wirksam.

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Im Verlaufe der 40 Jahre DDR erhhte sich die durchschnittliche Lebenserwartung bei Mnnern um 6 Jahre und bei Frauen um 8 Jahre. Zur Realisierung der gesundheitspolitischen Ziele standen 1988 der Bevlkerung 563 Krankenhuser mit 165.000 Betten, gleich 99,6 Betten pro 10.000 Einwohner, 623 Polikliniken, 41.639 rzte (1949 13.222), gleich 1 Arzt pro 400 Einwohner und 12.932 Zahnrzte (1949 7.109), gleich 1 Zahnarzt pro 1.200 Einwohner zur Betreuung zur Verfgung. Es gab 167 Sanatorien, Kur- und Genesungsheime mit 24.000 Betten, davon 18.000 Betten in Sanatorien, 1.955 Feierabend- und Pflegeheime sowie Wohnheime fr ltere Brger mit ca. 200.000 Pltzen. Das komplexe Zusammenwirken der medizinischen Einrichtungen und Fachrichtungen konnte den Rckstand in der breiten Anwendung hochmoderner Medizintechnik (u.a. Computertomographen, Kernspintomographen, Lithotripter) nicht voll ausgleichen.

7. Kultur, Sport und FeriengestaltungAlle Brger hatten das Recht auf Teilnahme am kulturellen Leben. Die Teilnahme der Brger am kulturellen Leben, an Krperkultur und am Sport sowie die Feriengestaltung wurden durch den Staat und die Gesellschaft allseitig, auch finanziell, gefrdert. U.a. fanden an 200 Theatern bzw. Spielsttten mit ca. 55.000 Sitzpltzen pro Jahr 28.000 Vorstellungen statt. Diese Vorstellungen hatten jhrlich 9 bis 10 Mio. Besucher. Die Staatsoper in Berlin mit festem Ensemble, die Felsensteinsche Komische Oper in Berlin und das Schinkelsche Schauspielhaus in Berlin sowie die Semperoper in Dresden genossen Weltruf. Auer dem Friedrichstadtpalast, dem modernsten Variet Europas, gab es Veranstaltungshallen mit mehreren tausend Pltzen und in Berlin den Palast der Republik, einem kulturellen Mittelpunkt, der die Volkskammer der DDR, Restaurants, Theatersle sowie mit dem Groen Saal - die modernste Einrichtung Europas fr Groveranstaltungen - beherbergte. Mehrere Sender des Rundfunks strahlten wchentlich in 1.800 Stunden und das Fernsehen in 177 Stunden, davon 165 Stunden in Farbe, ein politisch und kulturell anspruchsvolles Programm aus. Dazu diente auch der in Berlin im Jahre 1969 in Betrieb genommene - in 53 Monaten errichtete - 368 m hohe Fernsehturm. 7 Es gab 962 hauptamtlich geleitete Jugendclubeinrichtungen mit jhrlich 300.000 Veranstaltungen zu denen 21 Mio. Besucher kamen. In 111 Musikschulen und 95 Musikunterrichtskabinetten wurden jhrlich 52.000 Musikschler ausgebildet. Die ber 18000 Bibliotheken hatten einen Bestand von 98 Mio. Bchern. Es gab jhrlich ca. 5 Mio. Benutzer, die sich 118 Mio. Bcher ausliehen. Fr 3,7 Mio. Sporttreibende in 11.000 Sportgemeinschaften standen 10.000 Spiel- und bungspltze, 330 Stadien, 6.000 Hallen und Sle, darunter 230 Sporthallen mit7 Materialien Touristeninformationen fr Berlin

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Zuschauerpltzen, ber 700 Schwimmstadien mit Wettkampfanlagen und 200 Hallenschwimmbder zur Verfgung. In Kinder- und Jugendspartakiaden, die im Kreis-, Bezirks- und Republikmastab durchgefhrt wurden, konnten Talente gefrdert und fr den Spitzensport ausgewhlt werden. An der Deutschen Hochschule fr Krperkultur und Sport in Leipzig wurden sportwissenschaftliche Grundlagen erarbeitet und Trainer ausgebildet. Bei Olympiaden, Welt- und Europameisterschaften gehrten DDR-Sportler zu den Spitzenathleten. Es nahmen 1.883 Sportlerinnen und Sportler an 8 Olympischen Sommerspielen und 440 Sportlerinnen und Sportler an 9 Olympischen Winterspielen teil. Sie gewannen 572 Medaillen, davon 207 in Gold, 192 in Silber und 177 in Bronze. Sie errangen in verschiedenen Sportarten 713 Weltmeister- und 697 Europameistertitel. Der Zeitpunkt fr die Inanspruchnahme des gesetzlich festgelegten Urlaubs konnte individuell festgelegt werden. Haupttrger fr die Urlaubsgestaltung waren die Gewerkschaften. 1988 standen dazu 3.695 Urlaubseinrichtungen in den Ferien- gebieten der DDR (Schwerpunkt Ostsee) mit 553.429 Betten zur Verfgung, 5 Mio. Urlaubsreisen mit 64 Mio. bernachtungen wurden in Anspruch genommen. Auerdem konnte auf ber 500 ausgebauten Campingpltzen Urlaub gemacht werden. 3,5 Mio. Reisen fhrten ins sozialistische Ausland. (insbesondere in die Sowjetunion, Bulgarien, Ungarn, Tschechoslowakei, Polen, Kuba). Wegen Devisenknappheit (Mark der DDR war nicht gegen Whrungen kapitalistischer Lnder umtauschbar) und zur Abwehr der stndigen Abwerbeversuche der BRD von Brgern der DDR waren Urlaubsreisen in die BRD und andere kapitalistische Lnder nur in geringem Mae mglich. Fr die Jugend organisierte Jugendtourist besondere Reisen und Ferienlager.

8. Das Recht auf WohnraumJeder Brger hatte das Recht auf Wohnraum fr sich und seine Familie entsprechend den volkswirtschaftlichen Mglichkeiten und rtlichen Bedingungen. Der Staat war durch die Verfassung verpflichtet, dieses Recht durch die Frderung des Wohnungsbaus, die Werterhaltung vorhandenen Wohnraumes und die ffentliche Kontrolle ber die gerechte Verteilung des Wohnraumes zu verwirklichen. Das Wohnungswesen war dadurch gekennzeichnet, da die Wohnungsfrage als soziale Aufgabe nahezu gelst wurde. Es wurden 3,3 Mio. Wohnungen fertiggestellt, darunter 2,1 Mio. Wohnungen in Neubauten. In 15 Jahren wurden fr die Schaffung neuer und Rekonstruktion vorhandener Wohnungen 300 Mrd. Mark investiert. Die Bevlkerung verfgte ber 451 Mio. qm Wohnflche, was 27 qm pro Einwohner entsprach. Ein Grundprinzip blieb die Beibehaltung der Mieten auf dem Niveau der Stoppreise von 1944. Vom berechneten Aufwand fr die Bewirtschaftung und Erhaltung von einem qm des volkseigenen Wohnungsbestandes in Hhe von 3 Mark wurden vom Brger 1 Mark und aus dem Staatshaushalt 2 Mark bezahlt. Eine Dreizimmer-Neubauwohnung einschlielich Warm-

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wasser und Heizung in einem Wohnungsneubau war mit einem Mietaufwand von 110150 Mark verbunden. Die Subventionen fr Wohnungsmieten betrugen rd. 8 Mrd. Mark. Durch die Konzentration auf Neubauten traten Rckstnde bei der Rekonstruktion vorhandener Wohnungen ein. Es gab keine Obdachlosen.

9. Die Konsumtionsmglichkeiten der BevlkerungMit den auf der Grundlage des Leistungsprinzips steigenden Einkommen der Bevlkerung und mit einer vom Staat kontrollierten Preispolitik fr Erzeugnisse des Grundbedarfs wurden die individuellen Konsumtionsmglichkeiten der Bevlkerung planmig und kontinuierlich verbessert. Die Nettogeldeinnahmen der Bevlkerung stiegen von 24,5 Mrd. Mark 1949 auf 165 Mrd. Mark im Jahre 1988. Es wurden zur materiellen Deckung dieser kauffhigen Nachfrage fast ausschlielich aus der eigenen Produktion Lebensmittel und industrielle Konsumgter sowie Dienstleistungen bereitgestellt. Der Einzelhandelsumsatz stieg von 13,8 Mrd. Mark im Jahre 1949 auf 128 Mrd. Mark im Jahre 1988. (61,4 Mrd. Mark Nahrungs- und Genumittel, 65,15 Mrd. Mark Industriewaren, davon 16,3 Mrd. Mark Textilien und Bekleidung und 4 Mrd. Mark Schuhe). Der im internationalen Vergleich hohe Verbrauch an Lebensmitteln pro Kopf der Bevlkerung betrug 1988: Fleisch- und Fleischerzeugnisse 100,2 kg Fisch- und Fischerzeugnisse 7,8 kg Eier 305 St. Nahrungsfette 25,6 kg darunter Butter 14,9 kg Trinkmilch 111 Ltr. Kse 8,3 kg Brotgetreidemehl 94,1 kg Gemse 92,3 kg Zucker und Zuckererzeugnisse 39,1 kg Sdfrchte 16,1 kg Prinzip blieb bis zum Ende der DDR die Beibehaltung der Preise fr den Grundbedarf der Bevlkerung auf dem Niveau der Stoppreise von 1944 oder sogar von 1936. Bei Grundnahrungsmitteln entfielen auf 100 Mark Einzelhandelsverkaufspreise 30 Mark an Sttzungen aus dem Staatshaushalt. Die Sicherung stabiler Preise fr Waren des Grundbedarfs, Tarife und Dienstleistungen fr die Bevlkerung ermglichte den Verbrauch wichtiger Lebensmittel durch alle Einkommensgruppen und erforderte Subventionen aus dem Staatshaushalt 1988 in Hhe von 49,8 Mrd. Mark.

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Es gab auf Grund der niedrigen Preise auch Erscheinungen von Verschwendung (Backwaren, Nhrmittel) und Mitnahmeeffekte durch Brger anderer Staaten insbes. aus der BRD und Westberlin. (Grundnahrungsmittel, Kinderartikel, Dienstleistungen). Der Verbrauch industrieller Konsumgter pro 100 Haushalte betrug: Personenkraftwagen 54,7 St. Haushaltklteschrnke 159,6 St. Haushaltswaschmaschinen 107,3 St. Fernsehgerte 125,2 St. darunter Farbfernsehgerte 95,7 St. Rundfunkgerte 99 St. Nachholebedarf bestand bei Personenkraftwagen und Konsumgtern auf der Basis mikroelektronischer Bauteile. Aufgrund der Subventionen fr alle Waren und Leistungen des Grundbedarfs - etwa 80 % der Warenkufe, Verkehrsleistungen (Eine U-Bahn-, Straenbahn- oder S-Bahnfahrt beliebiger Lnge kostete in Berlin stndig 20 Pfennige) und Mieten - entstand eine zweite Lohntte in Hhe von monatlich ca. 800 Mark je Arbeitnehmerhaushalt. Die Zuwendungen fr die Bevlkerung aus dem Staatshaushalt im Jahre 1988 fr Bildung, Wohnung, Gesundheit, Kultur, Sport, Erholungswesen und Subventionen betrugen 110,7 Mrd. Mark und hatten einen Anteil an den Ausgaben des Staatshaushaltes von 41 %. Obwohl nach internationalen Mastben ein hoher Verbrauch an Erzeugnissen des Grundbedarfs erreicht wurde und es keine Armut (Bettler, Obdachlose) gab, traten Mangelerscheinungen auf. Der Anteil, der von den Geldeinnahmen der Bevlkerung fr Warenkufe ausgegeben werden konnte, war hoch, da die soziale Sicherheit eine niedrige Sparquote ermglichte (5% bis 7%) und durch Subventionen die Preise niedrig gehalten wurden. Der kauffhigen Nachfrage standen deshalb nicht immer gewnschte Warenfonds gegenber. Um dem zu begegnen und fr Brger einen Ausgleich zu schaffen, die nicht gegen Devisen im Intershop einkaufen konnten, wurden fr ausgewhlte Bekleidungserzeugnisse und Schuhe eine Handelssule Exquisit und fr besondere Genumittel eine Handelssule Delikat eingerichtet. Der Umsatz dieser Handelssulen erreichte 9 Mrd. Mark. Die fr den anderen sozialistischen Handel geltenden Preisbindungen wurden in diesen Handelssulen nicht angewandt.

10. Die Schaffung der materiellen und finanziellen Bedingungen fr die Entwicklung der DDRDurch stndig steigende Leistungen der Volkswirtschaft wurden die materiellen und finanziellen Bedingungen fr die Entwicklung der DDR - wie in den Punkten 1 bis 9 dargestellt - geschaffen.

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Der Wettbewerb zwischen Arbeitern, Kollektiven und volkseigenen Betrieben trat an die Stelle der kapitalistischen Profitwirtschaft. Es wurde die Verwirklichung des sozialistischen Prinzips angestrebt: Jeder arbeitet nach seinen Fhigkeiten, jeder wird nach seiner Leistung entlohnt. Die Volkswirtschaft war sozialistische Planwirtschaft und diente der stndig besseren Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedrfnisse der Brger. Die hohe Qualifikation der Beschftigten war wesentliche Voraussetzung fr die Leistungssteigerung. Von 1000 Beschftigten in der Wirtschaft hatten 900 eine abgeschlossene Berufsausbildung, 630.000 Beschftigte mit Hochschulabschlu arbeiteten unmittelbar in der Wirtschaft und in Instituten. 10.1. Es muten konomische Grundprobleme gelst werden. 1949 war die Volkswirtschaft der DDR auf Grund der durch den amerikanischen und westdeutschen Imperialismus herbeigefhrten Teilung Deutschlands im Prinzip ohne Grundstoffindustrie. Die DDR war u.a. gezwungen, der weltgrte Braunkohlenproduzent zu werden. (1985 beispielsweise frderte die DDR 311 Millionen Tonnen Rohbraunkohle, die 20% Sand und 60 % Wasser enthielt. Mit Braunkohle muten 70 bis 75% des gesamten Primrenergiebedarfs der DDR gedeckt werden. Dieser unwahrscheinlich hohe Anteil eines energetisch und kologisch problematischen Energietrgers ergab sich daraus, da die DDR aus eigenen natrlichen Ressourcen ber nichts anderes verfgte.) Es muten u.a. Fabriken fr die Roheisen- und Stahlproduktion, fr die Buntmetallurgie und fr die Herstellung von Grundprodukten der chemischen Industrie gebaut werden. Die vorhandenen Grundmittel auf dem Territorium der DDR hatten 1949 einen Wert von 266 Mrd. Mark, fr die produktiven Bereiche 119,4 Mrd. Mark. Infolge von Investitionen, insbesondere in der Industrie, hatte der Grundmittelbestand im Jahre 1988 einen Wert von 1.800 Mrd. Mark, und fr die produktiven Bereiche 1.200 Mrd. Mark. Im Zusammenhang mit Entscheidungen zur Struktur der Volkswirtschaft und zur Sozialpolitik wurde in den 70er und 80er Jahren ein erhhter Verschleigrad bei Teilen der Grundmittel in Kauf genommen, der Produktivittsverluste verursachte. 1988 wurden in der DDR u.a. erzeugt: 118.328 GWh Elektroenergie, 4,7 Mio. t Benzin, 6,3 Mio. t Dieselkraftstoff, 3,5 Mio. t Kali, 2,7 Mio. t Roheisen, 8,1 Mio. t Rohstahl. Der Maschinenbau und die Elektroindustrie fertigten u.a fr 1,9 Mrd. Mark Anlagen fr die chemische Verfahrenstechnik, fr 3 Mrd. Mark spanabhebende Werkzeugmaschinen, fr 2 Mrd. Mark kltetechnische Ausrstungen, fr 5,1 Mrd. Mark Landmaschinen, fr 1,5 Mrd. Mark Hochseeschiffe, fr 2,7 Mrd. Mark Maschinen fr die Lebens-, Textil-, Bekleidungs- und Lederindustrie, 1.500 Eisenbahnpersonenwagen, 7.515 MW Wechselstrommotore, fr 3,4 Mrd. Mark Kabel und Leitungen, fr 7 Mrd. Mark Bauelemente der Elektronik, fr 2,9 Mrd. Mark Regelungs- und Steuergerte, 3,3 Mio. Stck Armbanduhren. Es wurden u.a in der Leichtindustrie produziert 1,2 Mrd. qm Gewebe, fr 1,6 Mrd. Mark Herrenoberbekleidung, fr 1,3 Mrd. Mark Damenoberbekleidung, fr 1,1 Mrd. Mark Haushaltswsche, 91 Mio. Paar Schuhe.

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10.2. Die Versorgung der Bevlkerung mit Lebensmitteln wurde voll aus der eigenen landwirtschaftlichen Produktion gedeckt. 6 Mio. ha landwirtschaftliche Nutzflche wurden berwiegend von 463 Staatsgtern und 3.855 Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften mit 918.261 Mitgliedern bewirtschaftet. 94 % der LPG-Mitglieder hatten eine abgeschlossene Berufsausbildung, darunter 77.000 mit Hoch- und Fachschulabschlu. 1988 besaen 89 % der in der Landwirtschaft arbeitenden Frauen eine abgeschlossene berufliche Ausbildung, darunter 12 % einen Hoch- oder Fachschulabschlu. Es befanden sich u.a. in der Landwirtschaft im Einsatz: 167.500 Traktoren, 60.000 Lastkraftwagen, 300.000 Anhnger fr Traktoren und Lastkraftwagen, 18.000 Mhdrescher, 8.000 Kartoffelsammelroder. Es gab 157.000 Rinderpltze und 185.000 Schweinemastpltze. Fr Dngung und Schdlingsbekmpfung standen 264 Agrochemische Zentren zur Verfgung. Der Erntereinertrag betrug u.a. 9-11 Mio. t Getreide, 11-12 Mio. t Kartoffeln, 4,6 Mio. t Zuckerrben, 1,2 Mio. t Gemse und 1 Mio. t Obst. Zum Viehbestand gehrten 5,7 Mio. Rinder, 12,4 Mio. Schweine und 2,6 Mio. Schafe. Das Schlachtviehaufkommen (Lebendmasse) betrug 2,8 Mio. t, Kuhmilch wurden 8 Mio. t und Eier wurden 5,7 Mrd. St. produziert. Fr die Materialversorgung der Volkswirtschaft wurden in Forsten ca. 10 Mio. cbm Rohholz eingeschlagen. 10.3. Das gesellschaftliche Gesamtprodukt erhhte sich in den 40 Jahren der Existenz der DDR um das 16-fache. Wertmig insgesamt (gesellschaftliches Gesamtprodukt) erhhte sich die Produktion der Volkswirtschaft von 51,5 Mrd. Mark im Jahre 1949 auf 811 Mrd. Mark im Jahre 1988. Mit der Zunahme der Effektivitt der Produktion stieg stndig das Nationaleinkommen, d.h. der neu geschaffene Wert als Voraussetzung fr die gesellschaftliche Entwicklung, fr die einfache und erweiterte Reproduktion der Volkswirtschaft im Sinne der Punkte 1 bis 10.2. Das Nationaleinkommen erhhte sich von 24,5 Mrd. Mark im Jahre 1949 auf 268 Mrd. Mark im Jahre 1988. Es resultiert zu 96% aus der Arbeit der volkseigenen Wirtschaft und stand vollstndig fr die Entwicklung der volkseigenen Betriebe und fr die Entfaltung der sozialistischen Sozialpolitik zur Verfgung. Die private Aneignung von Gewinnen war nahezu ausgeschlossen.

11. Der Auenhandel und die Zahlungsbilanz der DDRZur Sicherung der fr die einfache und erweiterte Reproduktion der Volkswirtschaft erforderlichen materiellen Struktur muten ca. 50% des produzierten Nationaleinkommens ber den Auenhandel ausgetauscht werden.

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Die DDR war deshalb ein auenhandelsintensives Land. Im Jahre 1988 betrug der Auenhandelsumsatz 177,3 Mrd. Valuta-Mark. Hauptteil war der langfristig vertraglich gebundene Auenhandel mit den im Rate fr gegenseitige Wirtschaftshilfe verbundenen sozialistischen Lndern. Der Anteil des Handels mit diesen Lndern betrug 122,5 Mrd. Valuta-Mark, das entsprach 69% des gesamten Umsatzes. Der Anteil vertraglich spezialisierter Erzeugnisse an den Ausfuhren in die RGW-Lnder betrug dabei 42%. Schwerpunkt war der Auenhandel mit der UdSSR, der 1988 einen Wert von 66,5 Mrd. Valuta-Mark erreichte. Von groem volkswirtschaftlichen Gewicht fr die DDR waren die Rohstofflieferungen der UdSSR, darunter 17 Mio. t Erdl, 7 Mrd. cbm Erdgas, 1 Mio. t Schwarzmetallerze, 300.000 t phosphorhaltige Rohstoffe, 1 Mio. cbm Schnittholz oder 85.000 t Baumwolle. berwiegend wurden diese Rohstofflieferungen von der DDR mit Fertigerzeugnissen bezahlt, wobei der Anteil vertraglich spezialisierter Erzeugnisse an den Ausfuhren in die UdSSR 49% betrug. Mit kapitalistischen Lndern wurden Waren im Werte von 48,8 Mrd. Valuta-Mark ausgetauscht. Eine Besonderheit im Auenhandel der DDR stellte der Bereich Kommerzielle Koordinierung (KOKO) dar. Diesem Bereich oblag die Aufgabe, Vorteile fr die DDR zu nutzen, die sich daraus ergaben, da die BRD im Auenhandel die DDR nicht als Ausland betrachtete (indirekte EWG-Mitgliedschaft), Ausrstungen und Materialien zu beschaffen, die auf den Embargolisten der kapitalistischen Lnder standen. Es wurden auerdem in diesem Bereich die Devisen konzentriert, die der DDR aus Vertrgen zustanden (z.B. Zahlungen der BRD fr die Benutzung sowie den Ausbau der Autobahn) und in Intershoplden eingenommen wurden. Aus diesen Einnahmen und Geschften wurden jhrlich bis zu 2 Mrd. Valuta-Mark der Zahlungsbilanz der DDR zugefhrt. Sowohl gegenber den sozialistischen Lndern wie auch gegenber den kapitalistischen Lndern war die DDR bis 1989 in der Lage, alle Zahlungsverpflichtungen zu erfllen. Zu den Zahlungsverpflichtungen und Zahlungsbilanzen der DDR fhrte die Deutsche Bundesbank 8 umfangreiche Untersuchungen durch und verffentlichte dazu im Jahre 1999 einen Bericht. Es wird darin festgestellt, da die DDR im Jahre 1989 Guthaben in sozialistischen Lndern in Hhe von 3,6 Mrd. DM und eine Netto-Verschuldung (Saldo aus Forderungen und Verbindlichkeiten) gegenber kapitalistischen Lndern in Hhe von 19,9 Mrd. DM hatte. Die 1989 aus der Netto-Verschuldung gegenber kapitalistischen Lndern resultierende Zinsbelastung betrug 2,2 Mrd. DM, wofr 13 % des Exportes erforderlich waren. Im Bericht der Bundesbank heit es: Fr die Verantwortlichen stellte sich diese Entwicklung freilich erheblich bedrohlicher dar, da ihnen berhhte Zahlen der Verschuldung und des Schuldendienstes vorgelegt wurden. (In Dokumenten fr die Fhrung der DDR wurde 1989 eine Netto-Verschuldung gegenber kapitalistischen8 Deutsche Bundesbank, Zahlungsbilanzen der ehemaligen DDR 1975 bis 1989, August 1999

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Lndern in Hhe von 49 Mrd. DM ausgewiesen, woraus erhebliche Zahlungsprobleme und die Notwendigkeit der Senkung des Lebensstandards abgeleitet wurden. ) Die DDR erfllte gegenber ihren Brgern alle Zahlungsverpflichtungen in Mark der DDR. Das Staatsvermgen der DDR machte ein Mehrfaches des Kreditbestandes der Banken der DDR, der Inlandsverschuldung (flschlicherweise als Altschulden bezeichnet), aus.

12. Zur nationalen VolksarmeeDem Schutz der DDR diente die Nationale Volksarmee. Die Streitkrfte hatten umfassend und radikal mit den Traditionen der kaiserlichen Aggressionsarmee, der reaktionren, profaschistischen Reichswehr der Weimarer Republik und der Naziwehrmacht gebrochen. Die Personalstrke der voll einsatzfhigen Nationalen Volksarmee 9 betrug im Mrz 1990 135.000 Armeeangehrige, dazu kamen Reservisten. Die Landstreitkrfte stellten das grte Kontingent, gefolgt von den Luftstreitkrften und der Volksmarine. Ausgerstet war die NVA 1989 mit sowjetischen Waffen der zweiten Generation; ber Atomwaffen verfgte sie nicht. Als Mitglied des Warschauer Paktes, der vereinigten Streitkrfte der sozialistischen Lnder, war die NVA modern ausgerstet. 10 Zu den Ausrstungen zhlten u.a. 80 Startrampen fr Boden-Boden-Raketen mit einer Reichweite bis zu 65 km bzw. 300 km, 486 Kampf- und bungskampfflugzeuge - MiG21,23,29,Su22 -, darunter 24 Kampfflugzeuge MIG-29, 126 Transporthubschrauber, zwei modernste Transportflugzeuge TU 154, 79 Kampfschiffe, darunter 21 Minensuch- und -rumschiffe sowie zwlf Landungsschiffe, 2.570 Kampfpanzer - T55,T72 -, 6.440 gepanzerte Gefechtsfahrzeuge SPW40,60,70,BMP1,2 -, 2.390 Artilleriesysteme, darunter 735 ber 100 mm. In der Rechtstrgerschaft der NVA befanden sich 248.000 ha Land mit 2.100 Liegenschaften. Die Ausrstungen und Liegenschaften der Nationalen Volksarmee gehrten zum Staatsvermgen der DDR. Insgesamt betrug der Wert des Sachvermgens der ca. NVA 200 Mrd. Mark. Dazu kommt der Wert der Hafenanlagen der Volksmarine, Flugpltze, Werksttten, stationre Nachrichtenanlagen, stationre Medizintechnik und andere stationre Einrichtungen. Baulichkeiten, die sich in einem befriedigendem und gutem Zustand befanden, hatten einen Wert von 27 Mrd. Mark.

9 Theodor Hoffmann, Das letzte Kommando, S.320/321 10 S. Wenzel, Was war die DDR Wert?, S. 175/176, Deutscher Bundestag, Drucksache

13/9357 v.02.12.1997,

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Die Nationalen Volksarmee der DDR war in der deutschen Geschichte die einzige Armee, die an keinem Krieg beteiligt war. Ordnung und Sicherheit an den Grenzen der DDR hatten die Grenztruppen zu gewhrleisten.

13. Zur Staats- und RechtsordnungDie Staats- und Rechtsordnung waren grundlegende Garantie fr die Einhaltung und die Verwirklichung der Verfassung im Geiste der Gerechtigkeit, Gleichheit, Brderlichkeit und Menschlichkeit. Die Rechtspflege diente der Durchfhrung der sozialistischen Gesetzlichkeit, dem Schutz und der Entwicklung der Deutschen Demokratischen Republik und ihrer Staats- und Gesellschaftsordnung. Die allgemein anerkannten Normen des Vlkerrechts ber die Bestrafung von Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit und von Kriegsverbrechen waren unmittelbar geltendes Recht. Verbrechen dieser Art unterlagen nicht der Verjhrung. Die Rechtsprechung wurde in der durch das Oberste Gericht, die Bezirksgerichte, die Kreisgerichte und die gesellschaftlichen Gerichte im Rahmen der ihnen durch Gesetz bertragenen Aufgaben ausgebt. In Militrstrafsachen bte das Oberste Gericht, die Militrobergerichte und die Militrgerichte die Rechtsprechung aus. Das Oberste Gericht war das hchste Organ der Rechtsprechung. Auf der Grundlage der Verfassung wurden die Normen des gesellschaftlichen Lebens mageblich bestimmt durch das Zivilgesetzbuch, das Strafgesetzbuch, die Strafprozessordnung und das Arbeitsgesetzbuch. Das Zivilgesetzbuch beinhaltete die Grundstze des sozialistischen Zivilrechts, Regelungen ber das sozialistische und das persnliche Eigentum, Normen zu Vertrgen zur Gestaltung des materiellen und kulturellen Lebens, Vorschriften zur Nutzung von Grundstcken und Gebuden zum Wohnen und zur Erholung, Festlegungen zum Schutz des Lebens, der Gesundheit und des Eigentums vor Schadenszufgung, Regelungen zum Erbrecht und besondere Bestimmungen ber einzelne Zivilrechtsverhltnisse. Das in der DDR gesetzlich verbriefte Recht auf Arbeit und seine Ausgestaltung waren durch das Arbeitsgesetzbuch zu sichern. Die Regelungen des Arbeitsgesetzbuches sollten bewirken, da durch aktive staatliche Beschftigungspolitik und Wahrnehmung der Verantwortung der Unternehmen und Kommunen eine Vollbeschftigung aller arbeitsfhigen Brgerinnen und Brger verwirklicht wird. Der Volkspolizei oblag die Aufgabe, von der Allgemeinheit und dem Einzelnen Gefahren abzuwehren sowie Straftaten zu verfolgen. Der ueren und inneren Sicherheit der DDR hatte der Staatssicherheitsdienst zu dienen. Das betraf insbesondere den Schutz der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung,

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die Abwehr der gegen die DDR gerichteten Diversions- und Agententtigkeit und die Nachrichtenbeschaffung aus dem Ausland. Ein verhltnismig groer Einsatz an Krften war notwendig, um den stndigen Bemhungen westdeutscher Geheimdienste und der Dienste anderer Lnder, in die DDR einzudringen, zu begegnen.

14. Die DDR entwickelte sich trotz der sich zuspitzenden Systemauseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Sozialismus und der Entfaltung des Kalten Krieges.Verflochten war die Geschichte der DDR mit der des anderen deutschen Staates, der kapitalistischen Bundesrepublik. Dieses Verhltnis war die schwerwiegendste uere Belastung der DDR, verbunden mit enormen inneren Rckwirkungen infolge der annexionistischen Grundposition der BRD. (Hallsteindoktrin Alleinvertretungsanspruch, Embargolisten, Wandel durch Annherung). Bereits m vierten Jahr ihres Bestehens - 1953 nutzten die revanchistischen Krfte der BRD eine durch Fehler in der Arbeitsnormenpolitik entstandene Unzufriedenheit bei Teilen der Werkttigen zu einem Versuch, die DDR zu beseitigen. Durch Anstrengungen des bewussten Teils der Arbeiterklasse und mit aktiver Untersttzung der sowjetischen Besatzungsmacht wurde das vereitelt. 1961 war es notwendig, die Grenze zwischen der Hauptstadt der DDR, Berlin, zu Westberlin abzuriegeln, um die zur Kriegsgefahr gewordene subversive Ttigkeit von Westberlin aus gegen die DDR zu erschweren und das Abwerben auf Kosten der Werkttigen der DDR ausgebildete rzte, Naturwissenschaftler und Facharbeiter zu verhindern. Trotz entstandener Hrten fr Familien in Berlin wurde diese Manahme von der Mehrheit der Bevlkerung untersttzt. Das zeigte sich bei der Mitwirkung des von der SED organisierten Produktionsaufgebotes. Es wurde 1961 dazu aufgerufen, mit dem gleichen Lohn die Produktion zu erhhen, um mitzuhelfen, die durch die offene Grenze entstandenen Schden auszugleichen. Ohne gesellschaftliche Spannungen stieg gegenber 1961 im Jahre 1962 die Arbeitsproduktivitt auf 109,5%, die Produktion auf 106,1% und der Lohn erhhte sich nur auf 101%. Die Herausbildung dieser Proportionen war eine wesentliche Voraussetzung fr die wirtschaftliche Entwicklung der DDR in den 60iger Jahren. Es ist offensichtlich, da - die DDR viel mehr war als ,,eine Funote der Geschichte, - die DDR nicht spurlos in der Geschichte versunken ist und - die Hoffnungen der herrschenden Klasse der Bundesrepublik, sie als Irrweg und Fremdkrper in der deutschen Geschichte zu ,,entsorgen, sich nicht erfllen.

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Hermann Leihkauf, Berlin

Erich Buchholz 11: Die sozialistische Verfassung der DDR von 1968Vor etwas mehr als 40 Jahren, am 6. April 1968, wurde die sozialistische Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik durch Volksentscheid angenommen. War die DDR die grte Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung, so war diese Verfassung ein Hhepunkt in der politischen Entwicklung der DDR, als Jurist meine ich sogar der Hhepunkt. Diese Verfassung war in wahrhaft demokratischer Weise zu Stande gekommen. Es war eine Verfassung des Volkes der DDR und fr das Volk.

Die demokratischste Verfassung, die es jemals in Deutschland gabber Monate wurde der Entwurf in der ffentlichkeit diskutiert. Alle Haushalte erhielten den Text des Entwurfes. In zahlreichen Versammlungen in Betrieben, in Wohngebieten und in den Gemeinden und auf Konferenzen von Brgervertretern wurde der Entwurf errtert, ebenso in den Medien. Elf Millionen Brger hatten in einer sich ber Monate erstreckenden Volksaussprache ihre Erfahrungen und Meinungen ausgetauscht und viele nderungsvorschlge zum Text der Verfassung gemacht. Bei der Kommission zur Ausarbeitung einer sozialistischen Verfassung waren 12.454 Vorschlge eingegangen. Aufgrund dieser wurden 118 nderungen am Entwurf vorgenommen, an der Prambel und an 55 Artikeln. Neben anderem wurde vorgeschlagen woran zu erinnern besondere Veranlassung besteht -, die Unantastbarkeit des Staatsgebietes der DDR verfassungsrechtlich zu verErich Buchholz, Jahrgang 1927, ist 1946 - unmittelbar nach dem Zusammenschluss von KPD und SPD zur SED - in die SED eingetreten und hatte im Laufe der Jahre unterschiedliche, aber wenig spektakulre Perteifunktionen zu erfllen. Erich Buchholz war lange Jahre Ordinarius fr Strafrecht an der Humboldt-Universitt in Berlin (DDR). Er hatte verschiedene Funktionen an der Universitt inne, so war er Dekan und hatte den Vorsitz eines Beirates inne, der fr die juristische Ausbildung in der DDR federfhrend war. In seiner Funktion als `Strafrechtler hat er an vielen internationalen Veranstaltungen und Konferenzen teilgenommen - z.T. wissenschaftlicher Art, z.T. im Auftrag der DDR-Regierung oder der UNO. Seit der Konterrevolution ist er als Anwalt in der Strafverteidigung ttig. Nach dem Ende der SED blieb Erich Buchholz in der PDS und ist heute, nach deren Wandel zur Partei Die Linke, dort Mitglied.

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ankern. So haben die Brger der DDR ihren Grenzsoldaten im Art. 7 den Verfassungsauftrag erteilt, die Staatsgrenze der DDR zuverlssig zu schtzen. Weil die Grenzsoldaten diesen Auftrag ihrer Verfassung erfllten, wurden sie durch die bundesdeutsche Strafjustiz wider Recht und Gesetz verurteilt. In diesen Urteilen, bis zu dem des Bundesverfassungsgerichts, wurde dieser den DDR-Grenztruppen durch ihre Brger erteilte Verfassungsauftrag missachtet und ausgeblendet. Es durfte ihn nicht gegeben haben so wie es die DDR berhaupt nicht gegeben haben sollte! Von 12.208 986 stimmberechtigten Brgern hatten 11.536 803 zugestimmt, das waren 94,49%. Auch wenn man sich von Zahlen und Prozenten nicht berauschen lassen soll, ist unbestreitbar: Die Brger der DDR gaben dieser Verfassung ihre Zustimmung. Damit gaben sie ihr Ja-Wort auch der Politik der Regierung der DDR und ihrer fhrenden Kraft, der SED. Selbst westliche Beobachter und Journalisten mussten einrumen, dass nach dem 13.8.1961 in den sechziger Jahre und bis in die achtziger Jahre hinein die berwiegende Mehrzahl der DDR-Brger zu ihrer Regierung standen, dass sie, wie westliche Journalisten es formulierten, sich mit ihrer Regierung arrangiert htten. Wie viel Bundesbrger stehen heutzutage und seit vielen Jahren zu ihrer Bundesregierung? Unsere Verfassung von 1968 als die eines sozialistischen Staates hat sich auch in ihrer 1974 genderten Fassung - ber Jahrzehnte bewhrt. Am 17. Juni 1990 dieses Datum wollen wir uns merken - wurde diese von den Brgern der DDR durch Volksentscheid angenommene Verfassung von der buchstblich allerletzten Noch-Volkskammer mit einem Federstrich aufgehoben. Sie wurde durch dem westdeutschen Staatsrecht entlehnte allgemeine Grundstze eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates ersetzt. War das nicht Verfassungshochverrat? Jedenfalls war es das verfassungsrechtliche Ende der DDR. Zwei Wochen spter wurde die DDR ihrer Whrungshoheit beraubt. Die westdeutschen Kapitalisten konnten ungehindert die DDR mit ihren Waren ber-schwemmen und die DDR-Brger auf alle mgliche Weise ihrer Kapitalherrschaft unter-werfen. So wie die Brger der DDR bei der Vorbereitung und Diskussion der DDR-Verfassung von 1968 beteiligt waren, so waren sie es auch bei allen anderen bedeutenden Gesetzen, so auf dem Gebiete des Arbeitsrechts, des Familienrechts, des Straf- und Strafprozessrechts und des Zivil- und Zivilprozessrechts.

Unsere Gesetze kamen demokratisch zustande.Demgegenber werden in der Bundesrepublik Gesetze zwischen den beiden groen Parteien in einem parlamentarischen Verfahren ausgehandelt. Die Brger selbst werden nicht beteiligt. Die Gesetzestexte werden dem Bundestag zum Abnicken vorgelegt. Fr eine detaillierte Debatte im Bundestag nach den dort geltenden Verfahrensregeln,

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insbesondere der Redezeitzuteilung, sind die Gesetze viel zu kompliziert. Die einzelnen Abgeordneten, auch die, die sich als Volksvertreter sehen, durchschauen kaum, wofr sie abstimmen. Die bundesdeutsche Gesetzgebung beruht mageblich auf den Gesetzbchern der Kaiserzeit, so dem BGB. Dieses Gesetzbuch mit seinen ca. 3000 Paragrafen war und ist wie dem Text unschwer entnommen werden kann - nicht in erster Linie fr einfache Menschen, fr Werkttige ausgearbeitet und mehrfach gendert worden. Es ist ein Kodex fr Vermgende. Vor allem in deren Interesse, im Interesse der Wirtschaft sind in der Bundesrepublik die Gesetze so abgefasst, dass der einfache Brger sich ohne Rechtsanwalt in dem Paragrafendschungel und dem Justizdickicht weder zurechtfindet, noch seine Rechte und Interessen wahrnehmen kann. Nicht nur, weil in der DDR alle wesentlichen Gesetze mit den Brgern errtert und vorbereitet wurden, waren sie verstndlich, brgerfreundlich und volksnahe abgefasst. Auf der Grundlage solcher demokratisch zu Stande gekommener, den Interessen der Brger dienender verstndlicher Gesetze konnten sie ihre Rechte und Interessen unkompliziert selbst vor Gericht wahrnehmen. Besonders erfolgreich wirkten die Gesellschaftlichen Gerichte der DDR, Ihnen war im Art. 92 der DDR-Verfassung gemeinsam mit den staatlichen Gerichten Rechtsprechung bertragen worden. So etwas gab es nirgends auf der Welt! Auch konnten die Brger beim Gericht unentgeltlich Rechtsausknfte einholen. Mit dem 3.Oktober 1990 wurde ihnen das verschlossen! Ihnen wurde die Tr gewiesen! Darber hinaus konnten die Brger der DDR ihre Interessen und Belange auf der Grundlage des Eingabengesetzes unkompliziert und vielfach erfolgreich in Eingaben zur Geltung bringen. Aus all diesen Grnden brauchten die DDR-Brger nur ganz selten einen Rechtsanwalt.

Zur GeschichteBevor wir auf den Inhalt unserer sozialistischen Verfassung nher eingehen und die darin enthaltenen Rechte der Brger in Erinnerung rufen, besteht Veranlassung, zurck zu blicken. Auch die erste Verfassung der DDR, die von 1949, war das Ergebnis einer breiten Diskussion, damals in Ost und West. Denn diese Verfassung war nicht fr den ost-deutschen Staat, die DDR, sondern als Verfassung fr Gesamtdeutschland, fr einen einheitlichen deutschen Staat ausgearbeitet worden. Nach der Befreiung vom Hitlerfaschismus sammelten sich in Ost und West die zunchst wenigen Antifaschisten und andere Demokraten, um nach der Zerschlagung der Macht der Hitlerleute und des Monopolkapitals durch die Streitkrfte der Alliierten in ganz Deutschland eine antifaschistische demokratische Ordnung zu errichten. Bereits im Sep-

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tember 1946 begannen verantwortungsbewusste Deutsche in Ost und West die Diskussion um eine demokratische gesamtdeutsche Verfassung. Im Mittelpunkt dieser Diskussion, an die ich mich gut erinnere, stand die Frage, inwieweit an die Weimarer Reichsverfassung von 1919 angeknpft werden knnte. Nach Sturz und Abschaffung der kaiserlichen Monarchie und der Ausrufung einer Republik atmete die im Ergebnis der Novemberrevolution zustande gekommene Verfassung den Geist dieser Revolution. Sie war sehr fortschrittlich und gewhrte den Brgen nicht nur politischen Rechte, sondern auch eine Reihe von sozialen Rechten. Sie bercksichtigte ausdrcklich die Arbeitervertretung. Da die alten reaktionren Krfte im Ergebnis der Revolution nur geschwcht, aber nicht konomisch und politisch ausgeschaltet wurden, bestand der Hauptmangel der Weimarer Verfassung darin, dass der Reichsprsidenten, in der mageblichen Zeit des Endes der Weimarer Republik Generalfeldmarschall von Hindenburg, als Reprsentant der Militrs, der Junker und berhaupt der reaktionren Krfte, aufgrund des Art. 48 unter Ausschaltung des Parlaments eine Prsidialamtsherrschaft ausben durfte. Er regierte mit Notverordnungen, die die Grund-rechte der Brger massiv beschrnkten, er setzte eine willfhrige reaktionre Regierung nach der andern ein, um schlielich am 30. Januar 1933 Hitler zum Reichskanzler zu ernennen. Aus Sicht der demokratischen Krfte durfte es nach der Befreiung vom Hitlerfaschismus in einer neuen deutschen Verfassung keine solche Prsidialamtsherrschaft geben. Das Volk als Souvern musste den ihm gebhrenden Platz im Staate einnehmen, nach dem Grundsatz: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus so stand es dann in Art. 3 dieser Verfassung von 1949. Inzwischen war aus der Massenbewegung fr die " Einheit Deutschlands und einen gerechten Frieden " in Ost und West der Deutsche Volkskongress entstanden. Wir alle in Ost und West wollten ein einheitliches Deutschland, einen gerechten Frieden und einen ordentlichen Friedensvertrag mit Deutschland. Im Oktober 1948 legte der Deutsche Volksrat dem deutschen Volke einen Verfassungsentwurf zur Diskussion vor. Mehr als 9000 Versammlungen wurden - insbesondere im Osten Deutschlands - zu dem Verfassungsentwurf durchgefhrt. Beim Deutschen Volksrat gingen ber 15.000 Meinungsuerungen ein, 503 nderungsvorschlge fhrten bei den 144 Artikeln der Verfassung zu nderungen in 52 Artikeln. Der - aus Wahlen der Brger der Sowjetischen Besatzungszone hervorgegangene - Deutsche Volkskongress verabschiedete am 30. Mai 1949 den Entwurf einer Verfassung fr eine Deutsche Demokratische Republik. Die Ergebnisse dieser progressiven Diskussionen, die zunehmend auch einschloss, die konomische Basis der reaktionren Krfte, so der Feudalherren und Junker sowie der Naziaktivisten und Kriegsgewinnler durch eine Bodenreform und durch Enteignungen zu beseitigen, fhrten in den meisten deutschen Lndern, auch in vielen westdeutschen, zu entsprechenden Bestimmungen in ihren Verfassungen.

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Ebenso nahm in den Lnderverfassungen die Anerkennung sozialer Rechte, des Rechts auf Arbeit, auf Wohnung und andere soziale Rechte einen bedeutenden Platz ein. Am konsequentesten waren die Verfassungen der ostdeutschen Lnder. Selbst die spter vernderte Berliner Verfassung atmet noch den Geist jener Zeit. Zum ersten Mal in seiner Geschichte gestaltete das deutsche Volk selbst seine Verfassung. Diese Verfassung fr eine gesamtdeutsche demokratische Republik war beispiellos demokratisch zu Stande gekommen. Nun kam es darauf an, diesen Verfassungstext tatschlich, auch staatsrechtlich, zu einer Verfassung Gesamtdeutschlands, einer gesamtdeutschen Deutschen Demokratischen Republik zu machen. Dazu kam es wie wir alle wissen nicht.

Die Spaltung Deutschlands und die erneute Kommunistenverfolgung in WestdeutschlandVor allem die USA und Adenauer mit seinen Leuten traten den Wunsch des deutschen Volkes nach Einheit und Frieden mit Fssen. Es begann mit dem Intervenieren der westlichen Besatzungsmchte und Kurt Schumachers persnlich gegen den auch in Westdeutschland und Westberlin auf der Tagesordnung stehenden Zusammenschluss von Kommunisten und Sozialdemokraten. Die von langer Hand vorbereitete separate Whrungsreform im Juni 1948 bewirkte die wirtschaftliche Spaltung Deutschlands. Die USAKapitalspritze des Marshallplanes diente vor allem der Restauration des Grokapitals. Zum Zwecke der Remilitarisierung Westdeutschlands und der Eingliederung des westdeutschen militrischen Potenzials in die NAT0 im Jahre 1954 als Speerspitze gegen den Osten wurde die politische Spaltung Deutschlands vorangetrieben. Es waren die USA und Adenauer, die lieber das " halbe Deutschland ganz " als das ganze halb wollten. Ja, sie nahmen wissentlich einen Bruderkrieg in Kauf oder kalkuliertem ihn sogar ein. Bereits seit 1946 war in Westdeutschland und in Westberlin der durch die militrische Zerschlagung des Hitlerstaates nicht beseitigte Antikommunismus wiederbelebt. Eine immer bsartigere Hetzte gegen die Sowjetunion, gegen Antifaschisten und Opfer des Naziregimes, auch Sozialdemokraten, breitete sich dort aus. Die KPD wurde aus dem demokratischen Konsens ausgeschlossen. Damit wurde die sptere massenhafte Strafverfolgung von Kommunisten und ihrer Sympathisanten in den fnfziger Jahren auf der Grundlage eines extra fr diese Verfolgung geschaffenen Gesetzes durchgefhrt. Dieses Strafgesetz hatte mageblich der Altnazi Schafheutle mitgestaltet. Es wurde von Nazijuristen, darunter schwer belastete NS-Verbrechern, gegen unbelehrbare und rckfllige Kommunisten mit aller Schrfe angewandt. Diese umfassende Kommunistenverfolgung zielte auf das von Adenauer forcierte Verbot der KPD ab. Die KPD bewies sich als Haupthindernis fr die Durchsetzung seiner volksfeindlichen Politik. Dieses Parteiverbot ist bis heute nicht aufgehoben; es wirkt weit ber das Verbotsurteil hinaus nach.

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Die Wiederauflage der Kommunistenverfolgung, wenige Jahre nach der Befreiung vom Hitlerfaschismus und die Zerschlagung dieser Partei, fhrte zur Spaltung und Schwchung der Krfte der Demokratie, auch der Sozialdemokratie. Dieser Antikommunismus hinderte die SPD seither daran, eigene demokratische Positionen zu vertreten. Aus diesen Grnden konnten die restaurativen und reaktionren Krften des deutschen Finanz- und Grokapitals, wieder erstarken. Im Verein mit den westlichen Alliierten, vornehmlich der USA, setzten diese Krfte im Laufe des Jahres 1949 ihre gegen die Interessen und Forderungen des deutschen Volkes gerichtete politische Absicht bis zur Bildung eines westdeutschen Separatstaates durch. So standen die Lnder der sowjetischen Besatzungszone, einschlielich Berlins, vor der Situation, einen eigenen Staat zu grnden. Was sollten sie sonst tun? Fr diesen pltzlich zu bildenden ostdeutschen Teilstaat war weder ein Grundgesetz noch eine Verfassung vorbereitet worden. Denn die Deutschen, nicht nur in Ostdeutschland, wollten ein einheitliches Deutschland und keine zwei deutschen Staaten. Dafr lag eine breit diskutierte ausgereifte Verfassung vor, die Verfassung der (gesamtdeutschen) Deutschen Demokratischen Republik. Nachdem die Ostdeutschen durch die westliche Spaltungspolitik gezwungen waren, ihren eigenen Staat zu grnden, konstituierte sich der Deutsche Volksrat als Volkskammer. Am 07. Oktober 1949 setzte diese durch besonderes Gesetz den Text der fr Gesamtdeutschland ausgearbeiteten Verfassung als Verfassung des ostdeutschen Teilstaates in Kraft. Dadurch wurde der demokratisch zustande gekommene fr Gesamtdeutschland gedachte Verfassungstext zur Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik. Diese demokratisch zustande gekommene fortschrittliche Verfassung bot eine gute staatsrechtliche Grundlage fr die Entwicklung wirklicher Demokratie im Osten Deutschlands.

Das westdeutsche GrundgesetzEs ist nicht mglich, ber die sozialistische Verfassung der DDR von 1968 zu sprechen, ohne in Erinnerung zu rufen, wie das (westdeutsche) Grundgesetz von 1949 zu Stande kam. Das ist auch deshalb geboten, weil die Brger der DDR, die 1968 ihre sozialistische Verfassung durch Volksentscheid beschlossen hatten, kraft juristischer Annexion seit dem 3.10.1990 verfassungsrechtlich diesem Grundgesetz unterworfen wurden. Nur wenige von ihnen wissen, wie dieses Grundgesetz zu Stande kam und was es ihnen vorenthlt. Am 1. Juli 1948 verlangten die Militrgouverneure der drei westlichen Besatzungszonen von den Landesregierungen der westdeutschen Lnder (auer Berlin) im so genannten Frankfurter Dokument die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung bis zum 1. September 1948. Ausgangspunkt der Schaffung des Grundgesetzes war also ein Befehl der Militrgouverneure der drei westlichen Besatzungszonen! Damit sollte die vom Westen mit langer Hand, schon seit 1946, vorbereitete Spaltung Deutschlands nach

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der separaten Whrungsreform im Juni 1948 nun auch staatsrechtlich festgeschrieben werden. Die westdeutschen Lnderregierungen wollten ursprnglich alles vermeiden, was geeignet sein knnte, die Spaltung zwischen West und Ost weiter zu vertiefen. Aber die westlichen Militrgouverneure, vor allem der US-General Clay, erzwangen die Erfllung der Londoner Empfehlungen. Darauf hin wurde am 1.September 1948 in Bonn am Rhein aus 65 Abgeordneten der westdeutschen Landtage ein so genannter Parlamentarischer Rat als Verfassungskonvent gebildet, zu dessen Vorsitzenden sich Adenauer als ltester der Anwesenden erklrte. Er sollte ein vorlufiges Grundgesetz fr eine bergangszeit zur einheitlichen Verwaltung(!) Westdeutschlands ausarbeiten. Als Bezeichnung des Staates wurde der Name Bundesrepublik Deutschland gewhlt, um den Anspruch auf ganz Deutschland geltend zu machen. Nach genereller Einigung mit den Alliierten wurde ein Sachverstndigenausschuss berufen, der den so genannten Herrenchiemseeer Entwurf in der Zeit vom 10. bis 23. August 1948 also in weniger als zwei Wochen! - im Schloss auf einer Insel im Chiemsee, also in Klausur, wie eine studentische bungsaufgabe, zu Papier brachte. Das ist dem Text des GG anzusehen. Er ist ahistorisch, apostrophiert in der Prambel Gott im Himmel, verschweigt aber die deutsche Geschichte mit dem Hitlerfaschismus und die vom Westen aus betrieben Spaltung Deutschlands. Vor allem fehlt eine klare Absage gegen den Faschismus. Als vor Jahren die Fraktion der PDS angesichts der wachsenden Aktivitt von alten und neuen Nazis eine Antifaschismusklausel ins Grundgesetz bringen wollte, stie sie auf den geschlossenen Widerstand der etablierten Parteien. Ihr Antikommunismus schlug durch. Wenn schon im Grundgesetz eine Klausel gegen Extremismus Platz finden sollte, dann msste sie auch gegen links gerichtet sei. Offenbar brauchen diese politischen Krfte faschistische Gruppierungen als Gegengewicht gegen linke Bewegungen. Das erinnert an die Zeit vor 1933: Der Grobourgeoisie und den reaktionren Krften kam es zupass, dass sich auf der Strae Kommunisten und Sozialdemokraten, Rotfront und Rotbanner und Nazis gegenseitig die Kpfe einschlugen. So konnten sie im politischen Hinterzimmer der Weimarer Republik die - scheinbar legale - bergabe der politischen Macht an die Nazis inszenieren. Der Herrenchiemseer Entwurf wurde schlielich von den westlichen Alliierten mit einigen Vorbehalten besttigt, so, dass Gro-Berlin nicht zum Bund gehrt; fr WestBerlin wurde am 14. Mai 1949 das Besatzungsstatut erlassen, das bis 1990 galt. Schlielich wurde dieser Entwurf am 8.Mai 1949 man bedenke das Datum! - im Parlamentarischen Rat mit 53 gegen zwlf Stimmen angenommen. Die Lnderparlamente bekamen Gelegenheit, binnen einer Woche das ist die Notfrist fr sofortige Beschwerden (gem. 311) und die Einlegung von Rechtsmitteln ( 314 und 341 StP0/BRD) gegen Strafurteile - diesem Grundgesetz zuzustimmen. Die Lnderparlamente

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hatten keine Alternative, denn nderungen am Text waren ausgeschlossen. Man konnte nur zustimmen oder nicht aber mit welchen Konsequenzen? Artikel 144 sah ausdrcklich keine Volksabstimmung und keinen Volksentscheid ber dieses Grundgesetz vor, sondern nur die Zustimmung durch die Landtage. Das Land Bayern stimmte nicht zu. Aber es betonte seine Zugehrigkeit zur Bundesrepublik Deutschland. Die West-Berliner Abgeordneten hatten zugestimmt, aber wegen des besonderen Status Westberlins (Besatzungsstatuts) zhlte diese Zustimmung juristisch nicht. Dieses auf einen Militrbefehl zurckgehende, ohne das Volk ausformulierte Grundgesetz wurde am 23. Mai 1949 formell in Kraft gesetzt. Am 14. August 1949 wurden Wahlen zum Bundestag durchgefhrt. Wie viele Bundesbrger in den Sommermonaten den Text des GG berhaupt z. K. nahmen, ist nicht bekannt, aber im Wahlkampf lief der Antikommunismus und Antisowjetismus auf Hochtouren. Am 07. September 1949 trat der Bundestag zusammen. Trotz der Kommunistenhatz waren 15 Kommunisten als Abgeordnete gewhlt worden. An der Erarbeitung dieses Grundgesetzes hatte die Bevlkerung Westdeutschlands keinen Anteil.

Der Text des Grundgesetzes kam in einer beispiellos undemokratischen Art und Weise zu Stande.Dessen sind sich die bundesdeutschen Verfassungsrechtler durchaus bewusst. Deshalb wird eine demokratische Legitimation durch das deutsche Volk als eine verfassungsrechtliche Grundannahme fingiert, unterstellt. Tatschlich gibt es keine demokratische Legitimation durch das Volk, durch die Westdeutschen. Da es solcher aber jedenfalls verfassungsrechtlich eigentlich bedarf, wird sie einfach angenommen, juristisch vermutet ganz so, wie, dass der Herrgott die Welt geschaffen habe. Die Inanspruchnahme der Ausbung verfassungsgebender Gewalt durch das Volk und so die fehlende direkte demokratische Legitimation werden verfassungsrechtlich stillschweigend vorausgesetzt! Die in der Prambel formulierte Aussage, dass sich das deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben habe, ist eine Lge wie dieses Gesetz berhaupt viel falsche Aussagen enthlt oder von falschen Voraussetzungen ausgeht. Es hat niemals eine dahingehende Volksabstimmung oder andere demokratische Legitimation dieses Grundgesetzes gegeben. Die Prambel verdeckt den Mangel an demokratischer Legitimation, mit der es zustande gekommen sei und der westdeutsche Separatstaat BRD gegrndet wurde. An diesem unheilbaren Geburtsfehler kranken das Grundgesetz und die Bundesrepublik bis heute! Soweit in der Prambel zu lesen steht, dass auch fr jene Deutsche gehandelt wurde, denen mitzuwirken versagt war, so war ihnen durch das Procedere der Ausarbeitung und

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Inkraftsetzung objektiv jede Mglichkeit auch nur einer uerung zum Entwurf des Grundgesetzes genommen. Diese Formulierung war eine Anmaung! Auch deshalb, weil den Vtern des Grundgesetzes gut bekannt war, dass Deutsche in Ost und West seit 1946 ber eine Verfassung einer gesamt-deutschen demokratischen Republik diskutiert hatten. Die "Vter" des Grundgesetzes wie auch der Parlamentarische Rat sahen das Grundgesetz als ein Provisorium an. So stand es im Art. 146 GG juristisch unmissverstndlich und verbindlich. Denn nach diesem Artikel verliert das GG - seine Gltigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist. " Dieser Tag ist bis heute noch nicht gekommen. Die Brger der Bundesrepublik leben die westdeutschen inzwischen mehr als ein halbes Jahr-hundert - nach wie vor unter einem Provisorium. So wie das GG auch seinem Wortlaut nach weiterhin ein Provisorium ist, ist auch die darauf gegrndete Bundesrepublik ein Provisorium! Die im Art. 146 vorgegebene freie Entscheidung ber eine Verfassung fr Deutschland steht nach wie vor aus. Sie wurde von Bundeskanzler Kohl und seinen Parteigngern, die Gunst der Stunde nutzend, 1990 und danach hintertrieben. Die Einheit Deutschlands wurde nicht ber den ausdrcklich dafr vorgesehenen Art. 146, sondern ber eine fr die Wiedervereinigung gerade nicht vorgesehene Beitrittsregelung des Art. 23 durchgedrckt. Dies war und ist Verfassungsbruch! Das politische Kalkl Kohls, vor allem seine nicht unbegrndete Sorge, sein politisches Renomm knnte Schaden nehmen, wenn nicht nur die Brger des Beitrittsgebietes erleben, dass statt der von ihm versprochenen blhenden Landschaften sich Massenarbeitslosigkeit breitmacht, veranlasste ihn zu diesem Verfassungsbruch. Denn der verfassungsgeme Weg ber Art. 146 GG wrde viel lnger dauern, als der kurze Prozess ber Art. 23 GG. Wenn Politik dominiert, zhlen Recht, selbst ein Grundgesetz oder eine Verfassung nicht. Somit entbehrt das Grundgesetz nicht nur der demokratischen Legitimation. Seine Fortgeltung nach 1990 und seine Erstreckung auf das Staatsgebiet der DDR erfolgten unter offener und direkter Missachtung der gerade fr die Wiedervereinigung Deutschlands 1949 im Art. 146 GG vorgesehnen Volksabstimmung. Mit dem westdeutschen Verfassungsrechtler Helmut Ridder ist deshalb davon zu sprechen, dass die Einheit Deutschlands 1990 nur faktisch kraft politischer Macht zusammengezimmert wurde ohne Rechtsgrundlage! Nach der verfassungsrechtlichen Lage steht die durch Volksabstimmung zu schaffende Einheit Deutschlands noch aus! brigens sieht auch die Neufassung des Art. 146 GG, der die Vollendung der Einheit Deutschlands benennt, vor, dass das deutsche Volk in einer Volksabstimmung eine