Grenzgänge - Bergsteigen als Philosophie. Materialien zur Vorlesung Diskussionsforum Prof. Dr.

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Grenzgänge - Bergsteigen als Philosophie

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Materialien zur Vorlesung

Diskussionsforum http://theologie.uni-hd.de/wts/religionsphilosophie.html

Prof. Dr. Heimo HofmeisterLehrstuhl Religionsphilosophie - Philosophie

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VorlesungsthemenEinleitung

Der Berg und das IchHistorischer Rückblick

 Wer suchet, der findet

Die Besteigung des Mont Ventoux als Suche nach dem Grund Der Berg und der Gottsucher

Die Entdeckung der LandschaftDie Freude am Berg: Geburtstunde des Alpinismus

Touching the Void

Der Weg hinauf und hinab ist ein und derselbeAnstieg und Abstieg

Der Gipfel Vom Nutzen und Nachteil der Berge

Angst: Bergerlebnis und SinnerfahrungSind Berge männlich? Zur Rolle der Frau in den Bergen

Der BergtodWahrnehmung des Berges in der Kunst

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Die Entdeckung der LandschaftJakob Burckhardt behauptet, wie wir schon wissen, Petraca habe in seiner Neugierde des reinen Schauens die Natur in der Gestalt der Landschaft entdeckt und Natur in einer Weise wahrgenommen, wie sie bisher noch nicht gesehen worden ist. Was bedeutet es, die Natur als Landschaft zu betrachten? In welchem besonderen Sinn ist nun Petrarca der Natur nahe getreten, so daß die Ersteigung des Mont Ventoux eine herausragende Bedeutung gewinnt?

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Joachim Ritter nennt die ästhetische Sicht der Natur ein epochales Ereignis und sucht in ihr die Entdeckung der Natur als Landschaft zu begreifen. Nicht gemeint ist, daß Petraca den von ihm bestiegenen Berg und dessen Umgebung als besonders schön empfunden habe, sondern daß er entdeckt habe, die Natur sei überhaupt etwas, das aus ästhetischem Blickwinkel betrachtet werden könne, auch wenn ihm dies gar nicht bewußt geworden ist. Für Ritter heißt dies, daß mit der „Bergbesteigung Petrarcas – für ihn selbst am Ende unbegreiflich – die Geschichte beginnt, in welcher die Natur als Landschaft neben die in der Philosophie und Wissenschaft begriffene Natur tritt ...“.

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Petrarca sucht nicht nach einem Begriff einer Wesensbestimmung der Natur. Er spricht von ihr nicht als demjenigen Seienden, das das Prinzip der Bewegung und der Ruhe in sich selbst trägt, und betrachtet Natur auch nicht als Gegenstand der Wissenschaft, den es in seiner Gesetzmäßigkeit zu erfassen und zu erklären gilt.

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Und Ritter fragt, was denn den Geist dazu zwingt, auf dem Boden der Neuzeit „ein Organ für die Theorie der ganzen Natur [...] auszubilden, mit dem diese als Landschaft nicht im Begriff, sondern im ästhetischen Gefühl, nicht in der Wissenschaft, sondern in der Dichtung und Kunst, nicht im Transzensus des Begriffs, sondern in ihm als dem genießenden Hinausgehen in die Natur vergegenwärtigt wird“. Natur wird als etwas mehr oder weniger Schönes wahrgenommen und in ihrem Anblick genossen.

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Landschaft, schreibt Ritter, ist Natur, „die im Anblick für einen fühlenden und empfindenden Betrachter ästhetisch gegenwärtig ist: nicht die Felder vor der Stadt, der Strom als Grenze, Handelsweg, und Problem für Brückenbauer, nicht die Gebirge und Steppen der Hirten und Karawanen (oder der Ölsucher) sind als solche schon Landschaft. Sie werden dies erst, wenn sich der Mensch ihnen ohne praktischen Zweck in freier genießender Anschauung zuwendet, um als er selbst in der Natur zu sein. Was sonst das genutzte oder das Ödland, das Nutzlose ist und was über Jahrhunderte hin ungesehen und unbeachtet blieb, wo das feindlich abweisende Fremde war, wird zum Großen, Erhabenen und Schönen: es wird ästhetisch zur Landschaft.“ (Joachim Ritter, „Landschaft Zur Funktion des Ästhetischen in der modernen Gesellschaft, in: Joachim Ritter, Metaphysik und Politik, Frankfurt 2003, S. 419 f.)

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Anschaulich finden wir das Gemeinte in einem Buch mit dem Titel: Paul Cézanne, Über die Kunst ausgedrückt (Hess, W., P. Cézanne, Über die Kunst, Gespräche mit J. Gasquet, Hamburg 1957, S. 20 f.):„Bei den Landleuten habe ich manchmal gezweifelt, ob sie wissen, was eine Landschaft, was ein Baum ist. [...] Der Bauer, der auf dem Markt seine Kartoffel verkaufen will, hat niemals den Saint Victoire gesehen [...]. Sie wissen, was da gesät ist, hier, da am Wege entlang, wie morgen das Wetter sein wird, ob Saint Victoire seinen Hut hat oder nicht, [...]. aber daß die Bäume grün sind, und daß dies Grün ein Baum ist, daß diese Erde rot ist, und daß dies rote Geröll Hügel sind, ich glaube wirklich, daß die meisten es nicht fühlen, daß sie es nicht wissen außerhalb ihres unbewußten Gefühls für das Nützliche.“

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Natur wird zur Landschaft, wo der Mensch sich ihr in freier genießender Anschauung ohne Zweck, das heißt ohne Nutzen zuwendet. In seinem Verhältnis zu ihr ist er ganz er selbst, nicht Bauer, nicht Geologe, er will nur in und bei der Natur sein.

Georg Simmel schreibt, daß Landschaft in einem „eigentümlichen geistigen Prozeß erst erzeugt“ werde, in dem unser Bewußtsein ein neues Ganzes, Einheitliches setzt. Es kennzeichnet die Landschaft, daß in ihr ein Ausschnitt aus der Natur seinerseits als Einheit betrachtet wird und so durch Grenzen bestimmt ist. (Simmel, Georg, Philosophie der Landschaft in Brücke und Tür, hg. v. M. Landmann, Stuttgart 1957, S. 141 ff.)

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Was uns das genutzte Land oder das Ödland als das Nutzlose über lange Zeit gewesen ist und was über Jahrhunderte unbeachtet bleib oder gar als das Feindliche und Fremde galt, wird zum Großen, Erhabenen und Schönen, es wird zur Landschaft. Ritter zitiert einen Reisebericht über Grindelwald aus dem Jahre 1765/67, in dem von den Gefahren erzählt wird, welchen der Reisende durch Abgründe und überhängende Felsmauern ausgesetzt ist. Man höre, heißt es dort, das Geschrei der Geier und anderer Raubvögel, das den Schauer dieser wilden Einöden vermehrt. Von dieser gleichen Gegend heißt es aber auch:

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„Man muß selbst da oben gestanden haben [in der Schweizer Grindelwalder Alpenwelt], wenn man sich einen Begriff von all der Großartigkeit und Pracht machen will, und dann wird man diese Stunde zu den schönsten und unvergeßlichsten seines Lebens zählen..., zu jener Stunde, wo man dem Weltgeiste sich näher fühlte.“

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Die Freude am Berg: Geburtstunde des Alpinismus

Die Geburtsstunde des Alpinismus wird gerne mit Petrarcas Besteigung des Mont Ventoux im 14. Jahrhundert angegeben, also mehr als 1.500 Jahre nach Überquerung der Alpen durch die karthagische Armee. Verglichen mit der Leistung Hannibals ist der Aufstieg auf den Gipfel des Mont Ventoux bergsteigerisch ein zu vernachlässigendes Unterfangen. Die Besonderheit dieser Tat wird einem Wandel im Denken und aus diesem folgend einer neuen Qualität der Bergerfahrung zugeschrieben.

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Die Geschichte von Höchstleitungen des Bergsteigens beginnt erst in den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts. Jacques Balmat und Michel-Gabriel Paccard erreichten am 7. August als erste den Gipfel des Mont Blanc. Die erst Besteigung des Matterhorns gelang einer Seilschaft unter Führung von Edward Whymper am 14. Juli 1865. Im Juli 1938 wurde die Eiger-Nordwand von den Seilschaften Heinrich Harrer und Fritz Kasperek, sowie Heckmeier und Ludwig Vörg durchklettert. Der Himalaya trat zu Begin des 20. Jahrhunderts in das Blickfeld vor allem der europäischen Bergsteiger.

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1909 erreichte eine italienische Expedition den Fuß des K2. George Leigh Mallory und Andrew Irvine brachen am 6. Juni 1924 vom Nordsattel zum Gipfel des Mont Everest auf. Mallory und sein Begleiter hatten bereits zwei Jahre zuvor eine Höhe von 8.321 Metern erreicht, mußten aber aufgeben und umkehren. Sie erlitten „Tantalusqualen und wagten nicht weiter zu steigen und fürchteten: wir kämen nicht lebend wieder zurück.“ Zwei Jahre später beim dritten Versuch wurden Mallory und A. C. Irvine auf der Gratschneide in einer Höhe von ungefähr 8.400 Metern zum letzen Mal gesehen. Eine Suchexpedition fand im Frühjahr 1999 die Leiche Mallorys. Ob er und sein Begleiter den Gipfel erreicht hatten und sie sich schon im Abstieg befanden, ist ungeklärt. Der Gipfel mit seinen 8.848 Metern wurde jedenfalls am 29. Mai 1953 von Edmund Hilary und dem Sherpa Tensing Norgay erreicht.

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Peter Habeler und Reinhold Messner gelang 1978 die Besteigung des Mount Everest ohne Zuhilfenahme von Sauerstoffgeräten. Letzterer verzichtete bei der Besteigung der übrigen Gipfel aller vierzehn Achttausender auf zusätzlichen Sauerstoff. 17 Jahre nach dem Erfolg von Habeler und Messner grüßte die 33jährige Britin Alison Hargreaves ihren Mann und ihre beiden Kinder in Schottland über Handy: „Ich bin auf dem Dach der Welt und liebe euch von Herzen.“ (Anonym, „Everest, in: Rotpunkt, Nr. 4, 1995, S. 6) Sie war die erste Frau, die ohne Sauerstoffgerät und ohne Sherpa den Gipfel des höchsten Berges der Welt bezwang. Als Teilnehmer einer japanischen Frauen-Expedition war Junko Tabei gemeinsam mit dem Sherpa Ang Tsering schon 1975 als erste Frau auf dem Gipfel.

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Der Annapurna wurde als erster Achttausender drei Jahre vor der Besteigung des Mount Everest im Jahre 1950 von Maurice Herzog und Louis Lachenal erstiegen. Herman Buhl erreichte in einem 40stündigen Alleingang 1953 den Nanga Parbat.

Gibt es auch keine markanten Gipfel, die noch einer Erstbesteigung harren, so hat die Bergsteigerei doch nicht aufgehört. Männer wie Frauen streben weiter nach oben, oft ausgetretene Pfade gehend, aber doch ihren eigenen Lebensweg beschreitend und auf der Suche nach einem Grund, den sie hoffen in der Höhe zu finden. Berge für sich selbst strahlen eine Faszination aus, die nicht nur viele keuchend zu ihren Gipfel emporsteigen läßt, sondern auch derartig in ihren Bann zieht, daß manchem das Leben gegenüber dem Lohn einer Besteigung als nichtig erscheint. Bergsteigerfriedhöfe geben Zeugnis davon.

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