GLOBAL+ Nr. 47 | Herbst 2012

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Arbeitsgemeinschaft Swissaid | Fastenopfer | Brot für alle | Helvetas | Caritas | Heks | www.alliancesud.ch Globalisierung und Nord / Süd-Politik NUMMER 47 | HERBST 2012 Millenniums- und Umweltziele: Wie weiter nach 2015? ‹Recht ohne Grenzen›: Sorgfaltspflicht als erster Schritt Schulden und Entwicklungsländer: Problem ungelöst

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Wie weiter mit den Millenniums- und Umweltzielen nach 2015? Das ist eines der Themen der Herbstausgabe von GLOBAL+. Weitere Artikel beschäftigen sich mit der Schuldenkrise im Süden, dem Umgang mit bleibenden Schäden des Klimawandels und der Umsetzung der Petition "Recht ohne Grenzen".

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Arbeitsgemeinschaft Swissaid | Fastenopfer | Brot für alle | Helvetas | Caritas | Heks | www.alliancesud.ch

Globalisierung und Nord / Süd-Politik

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Millenniums- und Umweltziele:Wie weiter nach 2015?‹Recht ohne Grenzen›: Sorgfaltspflicht als erster Schritt

Schulden und Entwicklungs länder: Problem ungelöst

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Kurz notiert

Agrotreibstoffe im Gegenwindnw. Der Bundesrat misst Agrotreibstoffen keine klimapolitische Relevanz zu. In sei-nem kürzlich veröffentlichten Bericht zur Beimischung von biogenen zu fossilen Treibstoffen schreibt er: «Für die Klimapo-litik nach 2012 wird die Substitution fos-siler Treibstoffe durch biogene Treibstoffe keine massgebende Rolle spielen.» Auch betrachte er die Konkurrenz von Tank und Teller und deren Folgen für die Nahrungs-mittelpreise als problematisch. Mit diesem Positionsbezug im Rücken wird sich An-fang November die nationalrätliche Um-weltkommission wieder mit dem Thema befassen. Zur Diskussion steht dort noch immer die parlamentarische Initiative, welche Kriterien für die Marktzulassung von Agrotreibstoffen sowie strengere Kri-terien für die Steuerbefreiung verlangt.

Deza-Rohstoffpapier unter Verschluss mh. Die Direktion für Entwicklung und Zu-sammenarbeit (Deza) hat im Spätsommer die Kurzversion eines Dokuments veröf-fentlicht, das sich den entwicklungspoli-tischen Aspekten des internationalen Roh-stoffhandels in der Schweiz widmet (ep brief 04/12). Darin verweist die Deza auf

entwicklungshemmende Folgen der Roh-stoffspekulation und mögliche Massnah-men, um mehr Licht in die Finanzflüsse der Rohstoffkonzerne zu bringen. Schade bloss, nimmt es die Deza selber mit der Transpa-renz nicht so genau. Sie hat es bisher abge-lehnt, das gesamte Dokument zu veröffent-lichen, und auch die erwähnte Kurzversion war bis Redaktionsschluss nicht auf ihrer Website zu finden.

Beirat für OECD-Richtlinienme. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) hat mit der Umsetzung der 2011 re-vidierten OECD-Leitlinien für multinatio-nale Konzerne begonnen. Es sieht u.a. die Bildung eines zwölfköpfigen Beirates für den Nationalen Kontaktpunkt vor mit Ver-treterInnen von Verwaltung, Wirtschaft, NGOs und Gewerkschaften. Der Beirat hat konsultativen Charakter und kann nicht inhaltlich bei Beschwerden mitreden, wie das NGOs und Gewerkschaften verlangten. Die Schweizer Regelung ist damit schwä-cher als jene in Ländern wie Norwegen, Holland oder Grossbritannien. Trotzdem hat sich Alliance Sud entschieden, sich vor-erst zu beteiligen und die Möglichkeiten auszutesten.

Zwangsarbeit und Handel mit Chinaia. Die Schweiz und China wollen bis En-de Jahr die Verhandlungen über einen bi-lateralen Handelsvertrag abschliessen. Im Hinblick darauf hat die NGO-Plattform China, der auch Alliance Sud angehört, den chinesischen Dissidenten Harry Wu in die Schweiz eingeladen. Wu verbrachte 19 Jah-re in chinesischen Zwangslagern, lebt heu-te in den USA und leitet die Laogai Research Foundation, die sich gegen Zwangsarbeit in China engagiert. An gut besuchten Ver-anstaltungen in Genf und Zürich sowie bei Treffen mit PolitikerInnen, Behörden und Medien wies Wu darauf hin, dass viele chi-nesische Weltmarktprodukte aus den über 1000 Zwangslagern mit ihren drei bis fünf Millionen Gefangenen stammen. Ohne Ge-genmassnahmen ist die Gefahr gross, dass nach Abschluss eines bilateralen Abkom-mens solche Produkte zu Vorzugszöllen in die Schweiz gelangen. Die Plattform China hat den Bundesrat deshalb erneut aufge-fordert, klare menschenrechtliche Vorga-ben zu verlangen und sicherzustellen, dass die Herkunft der chinesischen Produkte besser verfolgt werden kann.

Impressum

GLOBAL+erscheint viermal jährlich.

Herausgeberin:Alliance SudArbeitsgemeinschaftSwissaid | Fastenopfer | Brot für alleHelvetas | Caritas | HeksMonbijoustrasse 31, Postfach 6735, 3001 Bern tel. 031 390 93 30, Fax 031 390 93 [email protected]

Redaktion:Pepo Hofstetter (ph), Kathrin Spichiger (ks) tel. 031 390 93 34/30

Grafik: Clerici Partner Design, ZürichDruck: s+z: gutzumdruck, BrigAuflage: 2300Einzelpreis: Fr. 7.50Jahresabo: Fr. 30.–Förderabo: mind. Fr. 50.–Inseratepreise/Beilagen: auf AnfrageBildnachweis Titelseite: GCAP Chile

Die nächste Ausgabe erscheint im Dezember 2012.

PräsidentinCaroline Morel, Geschäftsleiterin Swissaid

GeschäftsstellePeter Niggli (Geschäftsleiter)Kathrin Spichiger, Rosa Amelia FierroPostfach 6735, 3001 Berntel. 031 390 93 30Fax 031 390 93 [email protected]

Entwicklungspolitik

– Entwicklungszusammenarbeit:Nina Schneider, tel. 031 390 93 40 [email protected]

– Handel/WTO: Isolda Agazzi / Michel Egger tel. 021 612 00 95 [email protected]

– Internat.Finanz-undSteuerpolitik Mark Herkenrath, tel. 031 390 93 35 [email protected]

– Internat.Umwelt-undKlimapolitik Nicole Werner, tel. 031 390 93 32 [email protected]

– Medienstelle Pepo Hofstetter, tel. 031 390 93 34 [email protected]

BildungsstelleUrs Fankhauser / Marianne Gujertel. 031 390 93 [email protected]

Dokumentationszentrum BernJris Bertschi / Emanuela tognola / Renate Zimmermanntel. 031 390 93 [email protected]

Regionalstelle LausanneIsolda Agazzi / Michel Egger / Frédéric Russbachtel. 021 612 00 95 / Fax 021 612 00 [email protected]

Dokumentationszentrum LausanneNicolas Bugnon, Pierre Flatt, Amélie Vallotton Preisig tel. 021 612 00 86, [email protected]

Regionalstelle LuganoLavinia Sommaruga / Silvia Cartontel. 091 967 33 66, Fax 091 966 02 [email protected]

Alliance Sud auf einen Blick

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Nahrhafte Spekulationsgeschäfte

Die Landesbank Berlin verzichtet seit Ende September auf Investitionen in spekulative Agrargeschäfte. Damit hat sich bereits die vierte deutsche Bank aus der Nahrungsmittelspekulation zu­ rückgezogen. Den Sinneswandel be­wirkte eine Kampagne kritischer Kon­sumentInnen. Die Deutsche Bank, auf die sich der Druck nun konzentriert, zö­gert noch. Sie wolle erst prüfen, ob die Spekulation überhaupt etwas mit den stark schwankenden Nahrungsmittel­preisen zu tun habe oder nicht.

2012/2013 droht laut Weltbank die dritte Nahrungsmittelkrise seit 2007/2008. Die Krisen mit ihren starken Preiserhöhungen haben Millio­nen von Menschen in den Hunger getrieben. Die Ursachen werden in­ternational kontrovers diskutiert. Im Vordergrund stehen die Häufung widriger klimatischer Einflüsse auf die Ernten, die wachsende Vernut­zung von Lebensmitteln zu treibstoffen und die Finanzspekulation mit Nahrungsmittel­Derivaten.

Die Kontroverse wird bald die Schweiz erreichen. Die Juso haben eine Volksinitiative gegen die Spekulation mit Nahrungsmitteln lan­ciert. Sie will Investitionen in Finanzinstrumente, die sich auf Agrarroh­stoffe und Lebensmittel beziehen, verbieten. Ausgenommen sind die klassischen Geschäfte, die der terminlichen und preislichen Ab sicherung bestimmter Liefermengen dienen und als «gute» Spekulation gelten.

Dass alle Spekulation «gut» sei und deshalb keine Rolle bei den starken Preisschwankungen spiele, ist das Argument vieler Regierungen, Finanzinstitute und Sprachrohr­Ökonomen. Allerdings ist die Welt der guten Rohwarenspekulation seit 2000 Vergangenheit. Damals deregu­lierten die USA die termingeschäfte, die restlichen westlichen Länder zogen nach. Zuvor hatten Produzenten und Verarbeiter das Waren­termingeschäft bis zu 80 Prozent dominiert. Heute ist es umgekehrt: 80 Prozent des Marktes werden von Finanzspekulanten bestimmt. Ent­sprechend hat sich die Beziehung zwischen realer Ware und nominellen Finanzwerten verändert: Je nach Rohstoff liegen die Papierwerte heute um 20 bis 30 Mal höher.

Die Uno­Handelsorganisation Unctad zeigte kürzlich, dass sich in­folge des Gewichts der Spekulation die Rohwarenpreise seit Jahren im tandem, also parallel bewegen und dabei den gleichen Herdenbewe­gungen folgen, welche die Finanzmärkte generell charakterisieren. Das heisst, die Preise haben sich vom realen Angebot­Nachfrage­Verhältnis losgelöst: Ob der Mais knapp ist oder nicht, spielt die geringere Rolle als die Preisentwicklung von Kupfer und Soja oder die Reaktion der Finanz­märkte auf die Eurokrise oder andere Finanzschocks, welche die Herde treiben.

Radio DRS befragte einige Schweizer Banken, ob sie dem Beispiel deutscher Finanzinstitute folgen wollten. UBS, CS und die Zürcher Kant­onalbank verneinten, sie wollen ihre Agrarfonds weiter anbieten. Im­merhin: Sie seien sich «der Problematik und der politischen Diskussion durchaus bewusst». Wie bewusst, hängt von der Juso­Initiative und all­fälligen Reaktionen der KundInnen ab. Wir sind gespannt!

� Peter�Niggli,�Geschäftsleiter�Alliance�Sud

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Aus dem Inhalt

Dauerhafte Schäden und Verluste4 Das Atlantis der Klimaverhandlungen

Menschenrechte und Wirtschaft 6 Sorgfaltspflicht als erster Schritt

Schulden und Entwicklungsländer 8 Im Schatten der Eurokrise

Entwicklungsagenda nach 2015 10 Rechte statt Wohltätigkeit

Investitionen, Patente 13 Unbequemer Partner Indien

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Wovon viele Athleten und Athletinnen an der Olympiade träu­men, ist bei den globalen Emissionen an der tagesordnung: jährlich neue Rekorde. 2011 stieg der Ausstoss von treibhausga­sen auf ein neues Allzeithoch von 31,6 Gigatonnen (Gt). Laut der Internationalen Energieagentur IEA muss bei 32,6 Gigaton­nen spätestens 2017 Schluss sein. Allerdings überschreitet die Welt wahrscheinlich bereits dieses Jahr diese Schwelle.

Die Masslosigkeit im Ausstoss von Klimagasen hat katas­trophale Folgen für die Weltbevölkerung. Der Klimawandel führt zu dauerhaften Schäden und Verlusten, von denen noch niemand genau weiss, wie sie aussehen werden und wie dar­auf zu reagieren ist. Es ist deshalb höchste Zeit, dass sich nun auch die Uno­Klimapolitik mit diesen unwiderruflich Zerstö­rungen und ihren Folgen beschäftigt. Denn mit Anpassungs­ oder Vorbeugungsmassnahmen allein ist ihnen nicht beizu­kommen.

Wirtschaftliche und kulturelle Verluste Zu den typischen Auswirkungen des Klimawandels gehören Wetterextreme. Überflutungen in Kolumbien und Venezuela forderten 2010 Hunderte von todesopfern und zerstörten die Häuser von Millionen von Menschen. Allein in Kolumbien schätzte die Regierung die wirtschaftlichen Verluste auf sechs Billionen US­Dollar. 70 Prozent des Landes waren von Fluten und Erdrutschen betroffen. 2,2 Millionen Menschen – fast 5 Prozent der Gesamtbevölkerung – verloren ihr Obdach.

In Mexiko war 2011 das Jahr mit dem grössten Wasser­mangel der letzten sieben Jahrzehnte. Allein im Gliedstaat Chihuahua verhungerten oder verdursteten 750 000 Rinder wegen der lang anhaltenden Dürre. Die Maisproduktion in diesem Bundesstaat sank von normalerweise 100 000 tonnen pro Jahr auf 500 tonnen.

Wenn es sich bei derartigen Extremereignissen nicht nur um vorübergehende Katastrophen, sondern um permanente Veränderungen des lokalen Klimas handelt, werden tausende von Bauern und Bäuerinnen ihr Land dauerhaft nicht mehr nutzen können und ihren Lebensunterhalt verlieren. Für dieses Jahr hatte der im Januar noch amtierende mexikanische Präsi­

Dauerhafte�Schäden�und�Verluste�durch�Klimawandel

Das Atlantis der Klimaverhandlungen

dent Felipe Calderón rund 2,4 Milliarden Franken versprochen, um die betroffenen Regionen mit Wasser, Lebensmitteln und Infrastrukturmassnahmen zu unterstützen. Angesichts der langfristigen Verluste ist dies ein tropfen auf den heissen Stein.

Millionen auf HeimatsucheWährend viele Länder des Südens regional von dauerhaften wirtschaftlichen Schäden und Verlusten betroffen sind, steht bei anderen die Existenzgrundlage der gesamten Bevölkerung auf dem Spiel. Konservative Schätzungen gehen davon aus, dass der Meeresspiegel in den kommenden 75 Jahren um etwa einen Meter steigen wird. Aufgrund des kollektiven Versagens beim Klimaschutz rechnen WissenschaftlerInnen durchaus auch mit zwei bis drei Metern Anstieg. Viele der fast vierzig kleinen Inselstaaten liegen nur wenige Meter über dem Mee­resspiegel und werden unbewohnbar. Eine ungelöste Frage ist, wie die 350 Millionen Menschen dieser Inseln auf andere Staa­ten verteilt werden könnten, wenn ihnen buchstäblich der Bo­den unter den Füssen wegschwimmt. Eine andere, ob und wie ihre kulturellen Verluste minimiert werden können.

Die Grenzen der AnpassungWeitere permanente Verluste mit globalen Auswirkungen sind die Abnahme der Artenvielfalt und das Schmelzen der Glet­scher und Eisberge. Diese sind ebenso wie der Verlust von Kulturgütern nicht ersetzbar und deshalb auch nicht mit den traditionellen Methoden des Risikomanagements für ökono­mische Verluste zu bewältigen.

Nicole Werner Vermeidung von Emissionen und Anpassung an den Klimawandel sind

seit Jahren zentrale Themen der Uno-Klimaverhandlungen. Doch das

kollektive Versagen bei der Reduktion von Klimagasen rückt ein neues Thema in

den Vordergrund: der Umgang mit dauerhaften Schäden und Verlusten.

«Emissionsreduktionen und Massnahmen zur Anpassung an den Klimawandel sind wichtig, aber nicht ausreichend.»

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Verschiedene internationale Nichtregierungsorganisatio­nen verlangen deshalb, dass die Uno­Vertragsstaaten die dau­erhaften Schäden und Verluste durch den Klimawandel als wichtiges thema in ihre Agenda aufnehmen. Die drohenden grossen Verluste im Süden sind nicht zuletzt eine Konsequenz der hohen Pro­Kopf­Emissionen auch hierzulande. Obschon uns in der Schweiz das Wasser nicht so schnell bis zum Hals stehen wird, stellt sich auch hier die Frage, wie die aktuelle ‹Das­Boot­ist­voll›­Politik mit durch den Klimawandel ausge­lösten Migrationsbewegungen in Einklang zu bringen ist. Bis­

her konzentrierte sich die Schweiz in den internationalen Ver­handlungen auf den Klimaschutz.

Emissionsreduktionen und Anpassungsmassnahmen sind zwar wichtig und notwendig für die Minimierung von dauer­haften Schäden und Verlusten. Angesichts des fortgeschritte­nen Klimawandels sind sie aber schon heute nicht mehr hin­reichend.

Zum Weiterlesen:www.loss­and­damage.net

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Der Umgang mit irreversiblen Schäden beschäftigt zunehmend auch die inter nati onale Klimapolitik: symbo-lische Unterwasser-sitzung der Regierung der Malediven, die vom Untergang bedroht sind (2009).

Uno-Klimakonferenz�in�Doha

Eckwerte für ein neues KlimaabkommenEnde November beginnt in Doha (Katar) die 18. Uno­Klimakonferenz. Im Mittel­punkt steht die Umsetzung der Beschlüs­se vom letzten Jahr. Damals beschlossen die Vertragsstaaten in Durban, ab 2013 eine zweite Verpflichtungsperiode für das Kyoto­Protokoll einzurichten sowie einen neuen Klimavertrag zu erarbeiten, der ab 2020 alle Staaten einbezieht.

Noch ist unklar, ob neben der EU, Norwegen und der Schweiz auch Austra­lien und Neuseeland bei der zweiten Ver­pflichtungsperiode mitziehen. Wichtig ist, dass die beteiligten Industrieländer Reduktionsziele akzeptieren, die zur Ver­meidung eines gefährlichen Klimawan­dels führen. Dazu müssten die Industrie­länder ihre Emissionen gegenüber 1990 um 25 bis 40 Prozent reduzieren. Die EU

und die Schweiz haben bis 2020 aber nur 20 Prozent zugesagt. Gleichzeitig müs­sen Schlupflöcher wie das Übertragen von ungenutzten Emissionsrechten aus der ersten Verpflichtungsperiode mini­miert werden.

Auch sollte man sich in Doha darauf einigen, dass die globalen Emissionen vor 2020 zu sinken beginnen. Dies bedeutet, dass die Industrieländer ihren Ausstoss bedeutend rascher senken und die Ent­wicklungsländer stärker bei Klimaschutz­massnahmen unterstützen müssen, da­mit diese ihrerseits ihre Reduktionsziele erhöhen können.

Weiter muss die Konferenz Fahrplan und Eckwerte für die Erarbeitung des Kli­maabkommens, das ab 2020 alle Länder verbindlich einbinden soll, festlegen. Bis

2015 muss insbesondere geklärt sein, nach welchen Kriterien das verbleiben ­ de globale Emissionsbudget von rund 18 Milliarden tonnen CO2 pro Jahr gerecht auf die Länder verteilt wird. Für die Aus­handlung einer gerechten Lastenvertei­lung zwischen Nord und Süd braucht es einen offenen Dialog und eine Abkehr von festgefahrenen Positionen.

Schliesslich wird sich in Doha zeigen, ob die Industrieländer zu ihren Finanz­zusagen stehen, um Entwicklungsländer beim Klimaschutz zu unterstützen. In Ko­penhagen (2009) hatten sie für 2010 bis 2012 jährlich 10 Milliarden Dollar zuge­sagt und 100 Milliarden ab 2020. Für die Übergangsphase von 2013 bis 2020 gibt es aber noch keine Zusagen.

Nicole�Werner

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Menschenrechtliche�Sorgfaltspflicht�für�Unternehmen

Ein erster Schritt zu mehr Verbindlichkeit

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In den letzten Monaten haben erneut verschiedene Unterneh­men mit Sitz in der Schweiz für Schlagzeilen gesorgt, weil ihre Filialen im Ausland gegen Menschenrechte und Umweltstan­dards verstossen haben. Der Zementriese Holcim wurde be­schuldigt, sich in Indien über verbriefte Gewerkschaftsrechte hinwegzusetzen. In Peru kam es zu massiven Protesten gegen die Gefährdung von Umwelt und Gesundheit durch den Berg­baukonzern Xstrata; zwei Menschen verloren dabei ihr Leben. Sowohl Holcim wie Xstrata haben den Global Compact der Uno unterzeichnet und sich zur Einhaltung von Menschen­rechten und zur Sorge um die Umwelt verpflichtet – auf frei­williger Basis. Die genannten Vorfälle zeigen einmal mehr, wie unzureichend solche Selbstverpflichtungen sind.

Das Schweizer Recht erlaubt es bisher nicht, die Un­zulänglichkeiten freiwilliger Vereinbarungen wettzumachen. Höchste Zeit also, das Recht endlich der globalisierten Wirt­schaftsrealität anzupassen, wie dies die Kampagne «Recht ohne Grenzen» verlangt.

Xstrata hat den Global Compact der Uno un-terzeichnet, doch seine Minen gefährden noch immer Umwelt und Gesundheit: Proteste in Peru Ende Mai 2012.

Director’s Duty of CareIm Frühling dieses Jahres präsentierte der Genfer Rechtsan­walt François Membrez für «Recht ohne Grenzen» verschiede­ne Vorschläge, wie dies geschehen könnte.1 Eine Massnahme wäre, die gesetzliche Sorgfaltspflicht für Verwaltungsratsmit­glieder einer Aktiengesellschaft auf die Menschenrechte und den Umweltschutz auszudehnen (sog. Director’s Duty of Care). Heute hält das Obligationenrecht Verwaltungsräte und für die Geschäftsführung Verantwortliche nur dazu an, «die Interes­sen der Gesellschaft» – also der AktionärInnen – «in guten treuen» zu wahren (Art. 717). François Membrez schlägt vor, sie zusätzlich zu verpflichten, die notwendigen, angemessenen Massnahmen zu ergreifen, um Verstösse gegen die Menschen­rechte und Umweltvorschriften durch die gesamte Unterneh­mensgruppe zu vermeiden.

Was eine solche Sorgfaltspflicht (Due Diligence) in Bezug auf die Menschenrechte konkret bedeutet, hat der ehemalige Uno­Sonderbeauftragte für Wirtschaft und Menschenrechte

Michel Egger Das Schweizer Recht verpflichtet international tätige Unternehmen nicht

dazu, bei all ihren Aktivitäten die Menschenrechte und die Umweltvorschriften

einzuhalten. Eine entsprechende Sorgfaltspflicht im Obligationenrecht wäre ein

erster Schritt, diese Lücke zu schliessen.

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John Ruggie in seinen Arbeiten skizziert. Darauf basierend ver­öffentlichte die Uno Anfang Jahr ein Manual.2 Auch die EU ist daran, verschiedene Leitfäden insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen zu erarbeiten. Für Ruggie impliziert eine Sorgfaltspflicht, dass ein Unternehmen (1) sich in einer Grundsatzerklärung klar dazu verpflichtet; (2) periodisch alle seine tätigkeiten auf mögliche und tatsächliche Auswirkun­gen auf die Menschenrechte überprüft; (3) entsprechende Kontroll­ und Rechenschaftsmechanismen einrichtet. Wichtig wäre zudem, so ergänzt Dominique Biedermann, Direktor der Stiftung Ethos, im Gespräch, regelmässig über die ergriffenen Massnahmen und Erkenntnisse zu berichten (Reporting).

Eine gesetzliche Sorgfaltspflicht für Verwaltungsratsmit­glieder hat allerdings Grenzen. Sie bietet Geschädigten keine direkte Möglichkeit, Wiedergutmachung einzufordern. Klage­berechtigt sind lediglich die AktionärInnen, die je nachdem erhebliche Gerichtskosten riskieren. Eine allfällige Busse für Verstösse ginge nicht an die Geschädigten, sondern in die Un­ternehmenskasse.

Ansätze in anderen Länderntrotz dieser Mängel wäre die Einführung einer gesetzlichen Sorgfaltspflicht ein erster Schritt, die ausschliessliche Fixie­rung auf freiwillige Massnahmen aufzuweichen. Sie könnte auch die unternehmensinterne Kultur fördern, tatsächlich und auf allen Ebenen sozial und ökologisch verantwortungsbe­wusst zu handeln. In der politischen Auseinandersetzung hat sie den Vorteil, den Hauptakzent nicht auf Sanktionen, son­dern auf die Prävention zu legen, was auf breitere Akzeptanz stösst. Zudem liegt eine solche Sorgfaltspflicht auf der Linie

Bundesrat�sieht�nur�bedingt�Handlungsbedarf

Anfragen im Parlament

1� www.rechtohnegrenzen.ch�[Rubrik�Forderungen]�

2� �The�Corporate�Responsibility�to�Respect�Human�Rights:�An�Interpretive�Guide,�UNO,�2012

der Ruggie­Leitsätze des Uno­Menschenrechtsrates. Diese be­tonen, dass die Menschenrechtspolitik Aufgabe der obersten Leitungsebene eines Unternehmens sein muss und dass der Staat auch mit rechtlichen Bestimmungen dafür sorgen sollte, dass die Wirtschaft die Menschenrechte respektiert.

Einige Länder kennen bereits Ansätze einer Director’s Duty of Care, wenn auch in allgemeiner Form. Dort werden die Ver­antwortlichen eines Unternehmens angehalten, nicht nur die Aktionärs­, sondern auch die Allgemeininteressen zu wahren (z.B. Deutschland, Brasilien, USA). Am weitesten geht Britannien, das 2006 sein Unternehmensrecht (Companies Act) grundle­gend revidierte. Auf Druck von Nichtregierungsorganisationen und der Öffentlichkeit (sie schickten den Parlamentsmitglie­dern über 100 000 Briefe) wurde ein neuer Artikel eingeführt. Er verpflichtet die Verantwortlichen einer Firma «to have regard to the impact of the company’s operations on the community and the environment». Er wurde mit einer Berichtspflicht ver­knüpft, welche aber laut der britischen NGO CORE sehr unver­bindlich formuliert ist und kaum Wirkung zeigt.

Smarter Mix von freiwillig und verbindlichGesetzlich verbindliche Bestimmungen wie eine Duty of Care ersetzen freiwillige Massnahmen nicht, sie sind eine notwen­dige Ergänzung. Deshalb sehen auch die Ruggie­Richtlinien der Uno und die EU­Vorgaben einen «Smart Mix» zwischen verbindlichen und freiwilligen Massnahmen vor. Ein gutes Bei­spiel für eine solche Komplementarität ist der Dodd Frank Act. Ende August verfügte die US­Börsenaufsicht SEC, dass an US­Börsen kotierte Unternehmen und deren Zulieferer künftig die Herkunft ihrer Mineralien offenlegen und nachweisen müssen, dass sie nicht zur Finanzierung von Konflikten wie in der De­mokratischen Republik Kongo dienen. Im Hinblick darauf ha­ben die betroffenen Firmen Rückverfolgungssysteme entwi­ckelt, die sie noch vor wenigen Jahren als völlig unpraktikabel verworfen haben.

� Mitarbeit:�Chantal�Peyer,�Brot�für�alle

Zeitgleich mit der Übergabe der Petition «Recht ohne Grenzen» reichten Parla­mentarierInnen aus SP, GP, GLP, CVP, EVP und BDP fünf Interpellationen und ein Postulat zum themenkreis Wirtschaft und Menschenrechte/Umweltschutz ein. Die Antworten des Bundesrates sind ambivalent. So anerkennt er die Bedeu­tung der Uno­Leitsätze zu Wirtschaft und Menschenrechten (Ruggie­Richtli­nien) und unterstützt ein Postulat, das

die Erarbeitung einer Strategie zur Um­setzung durch die Schweiz verlangt.

Weiter schreibt der Bundesrat, er er­warte, dass multinationale Firmen über die gesetzlichen Vorgaben im In­ und Ausland hinaus auch gegenüber ihren tochtergesellschaften eine Sorgfalts­pflicht wahrnähmen, welche «negative Auswirkungen (...) auf die Umwelt, Men­schenrechte oder Arbeitsrechte identi­fiziert, verhindert oder zumindest ab­

schwächt». Generell aber betrachtet er freiwillige Massnahmen als ausreichend und bleibt damit hinter den Ruggie­ Leitsätzen und den EU­Verlautbarungen zurück.

Die Aussenpolitischen Kommissio­nen des Parlamentes werden am 11. (Stän­derat) und 30. Oktober (Nationalrat) die Petition «Recht ohne Grenzen» behan­deln.

Michel�Egger

«Gesetzlich verbindliche Bestimmungen ersetzen freiwillige Massnahmen nicht, sie sind eine notwendige Ergänzung.»

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Griechenlands Schuldenberg und die drastischen Sparmass­nahmen, zu denen auch andere hoch verschuldete Länder in Südeuropa gezwungen werden, machen weltweit Schlagzei­len. Für Aufruhr sorgte zudem eine Äusserung von Christine Lagarde, der Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF). Sie stellte fest, Griechenland könnte seine Schuldenprobleme vermutlich allein lösen, wenn nicht Steuerfluchtgelder in Mil­liardenhöhe ins Ausland verschwinden würden. Das renom­mierte US­Forschungsinstitut Global Financial Integrity hat ihre Aussage inzwischen bestätigt. Sie gilt auch für viele Ent­wicklungsländer.

Deren enorm hohe Schuldenlast ist ob der vielen Schlag­zeilen zur Euro­Krise allerdings in Vergessenheit geraten. Als das kleine Belize sich im August partiell für zahlungsunfähig erklären musste, war das nicht einmal der «NZZ» eine Mel­dung wert. Die europäischen Medien vermitteln den Eindruck, die Schuldenprobleme der ärmeren Länder seien Schnee von gestern.

Die Realität sieht leider anders aus. In einer Resolution zur Schuldenfrage äusserte sich die Uno letzten Dezember be­sorgt darüber, dass viele Entwicklungsländer nach wie vor un­ter einem hohen Schuldenberg litten und infolge der globalen Finanzkrise ein rasch wachsendes Insolvenzrisiko aufwiesen.

Die Schuldenlast der Entwicklungsländer tatsächlich zeigt eine kürzlich veröffentlichte Liste des Wäh­rungsfonds, dass 15 von 68 untersuchten Ländern mit tiefem Einkommen (Low Income Countries) einen baldigen Staats­bankrott riskieren und vier Länder bereits teilweise zahlungs­unfähig sind. Die deutschen Nichtregierungsorganisationen erlassjahr.de und Kindernothilfe weisen in ihrem Schuldenre­port 2012, der nicht nur Länder mit tiefem Einkommen unter­sucht, darauf hin, dass auch sieben fortgeschrittenere Entwick­lungsländer (Middle Income Countries) hoch gefährdet sind und am Rande einer tiefen Schuldenkrise stehen.

Bedenklich ist, dass rund ein Drittel der Länder, die von In­solvenz bedroht sind, in dieser misslichen Lage stecken, ob­wohl ihnen im Rahmen der multilateralen Entschuldungsiniti­ative HIPC ein Grossteil ihrer früheren Schulden gestrichen wurden. Andere insolvenzgefährdete Länder konnten sich gar

Die�vergessenen�Schulden�der�Entwicklungsländer�

Im Schatten der EurokriseMark Herkenrath Die europäische Schuldenkrise sorgt weltweit für Aufregung und lässt

vergessen, dass auch die Verschuldung vieler Entwicklungsländer noch immer

prekär ist. Die Forderung nach einem geregelten und fairen Insolvenzverfahren bei

drohenden Staatspleiten bleibt aktuell.

nicht für eine solche Schuldenreduktion qualifizieren. Die er­wähnte Uno­Resolution betont deshalb, dass es zusätzlich zu den bisherigen Entschuldungsaktionen dringend weitere Massnahmen braucht, um das Schuldenproblem langfristig in den Griff zu kriegen.

Zu den insolvenzgefährdeten Ländern gehören auch etli­che Partnerländer der Schweizer Entwicklungszusammenar­beit und humanitären Hilfe. So etwa Laos und tadschikistan, in denen auch das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) enga­giert ist, sowie neun weitere, in denen nur die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) aktiv ist.1 Hier be­steht die Gefahr, dass die Entwicklungsfortschritte, zu denen die Schweiz beiträgt, durch eine Verschlechterung der Schul­denlage rasch wieder zunichte gemacht werden. Umso mehr ist die Schweiz gefordert, sich international für eine langfristi­ge und tragfähige Lösung der Verschuldungsproblematik ein­zusetzen (siehe Artikel auf Seite 9).

Hinzu kommt, dass viele Entwicklungsländer noch immer stark unter der Last von illegitimen Schulden leiden. Gemeint sind Schulden, die autoritäre und korrupte Regierungen auf­genommen haben, ohne dass die betroffene Bevölkerung da­von einen Nutzen gehabt hätte. Unlautere Schulden können aber auch entstehen, wenn Gläubiger die Notlage eines Lan­des ausnutzen und neue, überteuerte Kredite zu miserablen Bedingungen vergeben. Zivilgesellschaftliche Organisationen weltweit plädieren dafür, dass solche Schulden in sogenann­ten Debt Audits identifiziert und ersatzlos gestrichen werden sollten.

1� �Afghanistan,�Burundi,�Demokratische�Republik�Kongo,�Haiti,�Jemen,�Libanon,�Pakistan,�Sudan,�Sri�Lanka.

Als sich Belize für teilweise zahlungs-unfähig erklärte, war das nicht einmal der «NZZ» eine Meldung wert.

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Lösungsvorschläge Die multilaterale Entschuldungsinitiative HIPC hat vielen Entwicklungsländern erste Linderung gebracht. Sie genügt je­doch nicht. Um künftige Schuldenkrisen vermeiden zu helfen, müssen sich Kreditgeber und ­nehmer auch an gewisse Spiel­regeln halten. Das ist der Grund, weshalb das europäische NGO­Netzwerk Eurodad letztes Jahr eine Charta für eine ver­antwortungsbewusste Kreditvergabe und das afrikanische Partnernetzwerk Afrodad einen Kriterienkatalog für die ver­antwortungsbewusste Kreditaufnahme veröffentlichten. Die Uno­Konferenz für Handel und Entwicklung (Unctad) hat in­zwischen verschiedene Vorschläge in ihren Entwurf für ein in­ternational verbindliches Regelwerk aufgenommen.

Wichtig wäre aber auch, dass endlich ein Insolvenzverfah­ren für überschuldete Staaten eingeführt wird. Weil ein sol­ches Verfahren mit klaren Regeln bisher fehlt, geht bei einer Zahlungsunfähigkeit das Chaos erst richtig los. Schuldner und

Gläubiger beginnen darum zu feilschen, wer auf welchen Schuldenanteil zu verzichten hat. Um diese Feilscherei und weitere wirtschaftliche turbulenzen zu vermeiden oder we­nigstens hinauszuzögern, nehmen die betroffenen Regierun­gen oft weitere Kredite auf und verrennen sich immer tiefer in der Schuldenspirale. Das kostet Geld, schafft Unsicherheit und macht wichtige Entwicklungsfortschritte zunichte. Vorschlä­ge, wie ein faires und transparentes Insolvenzverfahren für Staaten aussehen sollte, liegen längst vor. Sie müssen endlich politisch umgesetzt werden.

Zum Weiterlesen> Brot für alle/Fastenopfer: «Schuld lass nach», EinBlick 1/2012> Erlassjahr.de/Kindernothilfe: Schuldenreport 2012. www.erlassjahr.de> www.eurodad.org/debt

�Insolvenzverfahren�für�Staaten

Die Schweiz als Vorkämpferin?Im September 2011 reichte FDP­Ständerat Felix Gutzwiller gemeinsam mit weite­ren UnterzeichnerInnen ein breit abge­stütztes Postulat ein, das vom Bundesrat Vorschläge für ein international gere­geltes staatliches Insolvenzverfahren verlangt. Der Bundesrat empfahl den Vorstoss zur Annahme, und auch der Ständerat hiess ihn gut. Damit hätte die Schweiz gute Chancen, zu einer interna­tionalen Vorkämpferin bei der Entschär­fung des globalen Schuldenproblems zu werden. Ein Bericht des Bundesrates ist auf Ende Jahr zu erwarten.

Die Antwort des Bundesrates auf das Postulat Gutzwiller lässt allerdings befürchten, dass der Bericht auf wichtige Fragen gar nicht eingehen wird. So will der Bundesrat seine Vorschläge auf Schulden beschränken, die am Kapital­markt entstanden sind. Das widerspricht dem Sinn und Zweck eines Insolvenzver­fahrens. Wenn die Schuldensituation eines Landes normalisiert werden soll, kann dies nur gelingen, wenn sämtliche Schulden einbezogen werden. Also nicht nur Schulden, die über den Verkauf von Staatsanleihen am Kapitalmarkt ent­

standen sind, sondern auch die Schulden bei bi­ und multilateralen öffentlichen Gläubigern (Weltbank, Regionalbanken usw.) und weitere Forderungen priva ­ ter Gläubiger. Eine solche umfassen ­ de Schuldenregelung ist mit den bishe­rigen Entschuldungsinitiativen HIPC und MDRI nicht gelungen – zum Schaden der verschuldeten Länder und zum Nutzen einiger Geierfonds, die seither versu­chen, Schulden in voller Höhe vor Gericht einzuklagen. Mark�Herkenrath

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10 GLOBAL+ HERBSt 2012

Der Bilanzbericht 2012 der Uno 1 zeigt einmal mehr: Global ge­sehen werden die meisten Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) verfehlt werden. Auf Kurs ist die Staatengemeinschaft lediglich bei der Halbierung der schlimmsten Einkommensar­mut (China sei Dank!), beim Zugang zu sauberem Wasser, der Parität von Mädchen und Knaben in der Primarschule und –halbwegs – bei der Einschulung aller Kinder in die Grundstufe. Bei allen anderen Zielen liegt man teils noch weit hinter den Vorgaben zurück. Insbesondere fragile, von Krieg und Konflik­ten belastete Staaten konnten die MDGs wenig für lokale Fort­schritte nutzen.

Dennoch wäre es verfehlt, einfach von einem Scheitern des MDG­Konzepts zu sprechen. Viele Länder, auch afrikani­sche, haben in der Bildung, Gesundheit oder der Bekämpfung

Welche�Entwicklungsagenda�nach�2015?

Rechte statt WohltätigkeitNina Schneider | Pepo Hofstetter Die Uno-Millenniumsziele zur Beseitigung der schlimmsten

Armut sollten bis 2015 erfüllt sein. Davon sind wir noch weit entfernt.

Die Diskussion aber, wie es nach 2015 weitergehen soll, läuft auf vollen Touren.

Die Millenniumsziele ermöglichten es, die Öffentlichkeit für Armutsbekämpfung und mehr Entwicklungshilfe zu sensibilisieren: Aktion der Kampagne «0,7 % – Gemeinsam gegen Armut» in Basel, Oktober 2007.

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der Kindersterblichkeit beachtliche Fortschritte erzielt und da­für grössere finanzielle Mittel erhalten. Derweil haben die In­dustriestaaten auf mehreren Ebenen versagt. Nur fünf von 22 OECD­Staaten haben ihre Hilfe auf die versprochenen 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens erhöht. Und keiner hat an den ungerechten Grundfesten der Handels­ und Fi­nanzsysteme gerüttelt.

Die Stärken der MDGsDie Stärken der MDGs sollten auch der Nachfolgeagenda zu­grunde liegen, die derzeit für die Zeit nach 2015 entworfen wird. Das fordern u.a. ein UN task team in seinem Bericht an den Uno­Generalsekretär 2 und die NGO­Netzwerke Beyond 2015 3 und Eurostep 4 anlässlich einer EU­Konsultation.

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Alle drei betonen, dass die MDGs die internationale Ent­wicklungszusammenarbeit stärker auf die Bekämpfung der Armut und auf soziale Ziele fokussierten. Sie gaben den ver­schiedenen Akteuren eine gemeinsame Richtung vor und be­wirkten, dass Regierungen mehr in soziale Bereiche investier­ten. Die beschränkte Anzahl der Ziele, ihre klare Formulierung, ihre Messbarkeit mittels Indikatoren und Zeitvorgaben haben eine breite politische Mobilisierung ermöglicht.

Aus Schwächen lernenDie MDGs haben aber auch klare Mängel, die künftig vermie­den werden sollten. Beyond 2015 und Eurostep, aber auch das UN task team kritisieren, dass der breite, menschenrechtsba­sierte Entwicklungsansatz der Uno­Millenniumserklärung auf politisch harmlose, kaum umstrittene Sozialziele reduziert worden sei. Die Notwendigkeit struktureller Veränderungen sei ebenso ausgeklammert worden wie soziale Ungleichheit, Umweltziele oder die Vermeidung von Konflikten und Gewalt. Die Ziele hätten Endergebnisse festgeschrieben, es aber tun­lichst vermieden, die Ursachen von Armut zu benennen oder die Politik, die nötig wäre, um sie zu beseitigen. Kritisiert wird auch, dass die MDGs ohne breite Konsultation der Regierun­gen, der Zivilgesellschaft und von Betroffenen erarbeitet wur­den. Viele Entwicklungsländer empfanden sie deshalb als neue Konditionalität und identifizierten sich wenig mit ihnen. Aus­serdem hätten die MDGs die Verantwortung der Industrielän­der für die weltweiten Krisen und ihre eigenen sozialen und ökologischen Probleme grosszügig ausgeklammert.

Konturen einer neuen AgendaAusgehend von diesen Erkenntnissen skizzieren das UN task team und die beiden NGO­Netzwerke erste Konturen einer Post­2015­Entwicklungsagenda. Übereinstimmend erwarten sie, dass diese den aktuellen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Krisen und Herausforderungen (Klima­, Wirt­schafts­, Schulden­, Ernährungskrise usw.) Rechnung trägt und

1� �www.un.org/millenniumgoals/pdf/MDG%20Report%202012.pdf

2� �www.un.org/millenniumgoals/pdf/Post_2015_UNTTreport.pdf

3� �Beyond�2015�umfasst�über�400�NGOs�aus�80�Ländern,�darunter� �Alliance�Sud:�www.beyond2015.org.�

4� �www.eurostep.org

Neue�Entwicklungsagenda

Der FahrplanUno­Generalsekretär Ban Ki­moon hat seit letztem Dezember mehrere Arbeits­gruppen beauftragt, sich mit der Erar­beitung einer neuen Entwicklungsagen­da zu befassen. Erstens das Post­2015 UN task team, das von der Uno­Entwick­lungsorganisation UNDP und der Uno­Abteilung für wirtschaftliche und so­ziale Angelegenheiten (Undesa) koor ­ diniert wird und rund 50 Uno­Agenturen und Abteilungen umfasst. Im Juni hat es einen ersten Bericht publiziert (s. Haupt­text). Zweitens ein hochrangiges Panel von Persönlichkeiten, das bis im Mai 2013 Empfehlungen erarbeiten soll «mit

unterschiedlichen Verantwortungen für alle Länder und den Schwerpunkten Be­kämpfung der Armut und nachhaltige Entwicklung». Seine Empfehlungen sol­len im Herbst 2013 von der Uno­Gene­ralversammlung diskutiert werden. Schliesslich ein Expertengremium unter dem US­Ökonomen und Uno­Berater Jeffrey D. Sachs, das den Prozess wissen­schaftlich begleiten soll. Ziel ist es, die neue Entwicklungsagenda 2014, spätes­tens 2015 zu verabschieden.

Parallel dazu beauftragte Ende Juni die Rio+20­Konferenz die Uno­General­versammlung, im Herbst eine Arbeits­

gruppe mit VertreterInnen aus 30 Län­dern aller Weltregionen zu bestimmen. Diese soll innerhalb eines Jahres einen umfassenden Katalog von Zielen für eine nachhaltige Entwicklung präsen­tieren (Sustainable Development Goals SDGs). Gemäss Rio+20­Schlussdoku­ment soll der SDG­Prozess kohärent und koordiniert zum Post­2015­Prozess ver­laufen. Darüber, wie und ob die beiden Prozesse in eine gemeinsame Agenda einfliessen sollen, wurde nichts verein­bart.� Pepo�Hofstetter

weltweit die Verwirklichungschancen der Benachteiligten zu verbessern sucht. Ziel soll eine «gerechte und nachhaltige Welt sein, in der alle Menschen ihre Rechte wahrnehmen können» (Beyond 2015). Die neue Agenda soll sich an alle Staaten rich­ten, aber unterschiedliche Verantwortungen und Pflichten festhalten. Denn die sozialen, wirtschaftlichen und ökologi­schen Krisen haben längst auch den Norden erreicht. In Zu­kunft sind alle Länder gefordert, aus dem Hamsterrad des zerstörerischen Wirtschaftswachstums auszubrechen und Pro­duktions­ und Konsummodelle zu finden, welche die Umwelt respektieren.

Kurz: Das bisherige Entwicklungsparadigma der gönner­haften Wohltätigkeit («Der Norden hilft dem Süden») soll durch einen universalen Ansatz ersetzt werden. Armut, soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeiten innerhalb, aber auch zwi­schen den Nationen sollen bekämpft und gleichzeitig die öko­logischen Grenzen des Planeten gewürdigt werden.

Das bedingt, dass Machtungleichgewichte reduziert und die Privilegien der transnationalen Wirtschafts­ und Finanzak­teure zugunsten öffentlicher Rechte und demokratischer Aus­handlungsprozesse zurückgebunden werden. Die beiden NGO­Netzwerke betonen weiter, in einer Post­2015­Agenda müsse die Rolle und Rechenschaftspflicht der na­tionalen Regierungen aufgewertet werden. Sie tragen nicht nur die Hauptverantwortung für das Wohl und die langfristi­gen Interessen ihrer Bevölkerung. Sie sollen auch die (weltwei­ten) Folgen ihrer Aussen­ und Wirtschaftspolitik verantworten müssen und auf Basis eines Pro­Kopf­Ansatzes für den histo­risch akkumulierten Ressourcenverbrauch aufkommen. >>> Seite�12

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>>> von�Seite�11

Bezüglich des Vorgehens schlagen das UN task team und die beiden NGO­Netzwerke vor, sich vor der Formulierung konkre­ter Ziele und Indikatoren auf Grundprinzipien zu einigen. Als Ausgangspunkt sollten – neben den Menschenrechtspakten und der Agenda 21 des Erdgipfels von 1992 – die in der Millen­niumserklärung festgehaltenen Prinzipien dienen: Menschen­rechte für alle, soziale Gleichheit, Respektierung der Umwelt, Frieden und Sicherheit. Das Rahmenwerk aus Prinzipien soll si­cherstellen, dass die gesetzten Ziele sich nicht widersprechen und allen Grundsätzen der Nachhaltigkeit entsprechen. Femi­nistische Netzwerke fordern darüber hinaus eine zentrale Ver­ankerung der Geschlechtergerechtigkeit und der reprodukti­ven Rechte, weil die andauernde Diskriminierung von Frauen und Mädchen weltweit die Entwicklung behindern.

Partizipative ErarbeitungSchliesslich fordern die drei Stellungnahmen, dass die neue Entwicklungsagenda – anders als die MDGs – gemeinsam mit den nationalen und lokalen Behörden, der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und vor allem auch mit von Armut und Benach­teiligung betroffenen Menschen erarbeitet wird. Davon wird es abhängen, ob sich eine Regierung und die Bevölkerung mit den resultierenden Zielsetzungen identifizieren und sich aktiv

I N SE R AT

für eine erfolgreiche Umsetzung einsetzen werden. Die Uno­Entwicklungsorganisation UNDP plant Konsultationen in 100 Entwicklungsländern. Wie breit diese Konsultationen angelegt sein und wie die Resultate in eine neue globale Entwicklungs­agenda einfliessen werden, ist offen.

Die Diskussion in der Schweiz

ns. In der Schweiz haben die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) und das Bundesamt für Umwelt (Bafu) Konsultationsprozesse über die neue Entwicklungsagenda bzw. die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) eingeleitet. Daran beteiligt sich auch Alliance Sud. Alliance Sud wird sich dafür einsetzen, dass die neue Agenda von einem integralen Nachhaltigkeits- und Menschenrechtsansatz ausgeht und die soziale Gerechtigkeit ins Zentrum stellt. Ein spezielles Augen-merk gilt dabei der Kohärenz: Alle Politikbereiche sollen auf ihre globale Sozial- und Umweltverträglichkeit hin überprüft werden. In den kommenden Debatten kann es also nicht nur darum gehen, einzelne Ziele aufzulisten. Es gilt vielmehr, ein neues Konzept von Entwicklung zu denken.

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Dank Importen ins Nirwana?

ia. WTO-Chef Pascal Lamy hat ein Dutzend ExpertInnen beauf tragt, sich Gedanken zu machen über die wichtigsten Themen der Welthandelspolitik im 21. Jahrhundert. NGOs und einige Länder des Südens haben das Panel als wenig repräsentativ kritisiert. Sie befürchten, es verfolge einseitig die Interessen der Multis.

Absehbar ist, dass es die weitere Integration aller Länder in «globale Wertschöpfungsketten» empfehlen wird. Das ist an sich nichts Neues. «Neu ist, dass man uns glauben machen will, der Weg ins Nirwana führe über die Förderung von Importen», kommentiert ein hochrangiger indischer Regie-rungsbeamter gegenüber GLOBAL+. «Also Importzölle senken, Logistik ausbauen, Dienstleistungen liberalisieren, Kapital-kontrollen aufheben und die grossen Detailhändler ins Land lassen.» Das aber laufe der Industrialisierung der Entwick-lungsländer entgegen. «Und warum sollte ich die Importe fördern, wenn ich schon jetzt ein riesiges Handelsdefizit habe?»

Investitionspolitik,�Patentschutz

Indien – ein unbequemer Partner

schutzbestimmungen als die WtO­Abkommen enthalten und die Produktion von Generika erschweren. Die EU und die Euro­päische Freihandelszone Efta, deren Mitglied die Schweiz ist, haben dies bei den Verhandlungen für bilaterale Abkommen zu spüren bekommen. Indien hat sich konsequent geweigert, den von ihnen geforderten Datenschutz im Zulassungsverfah­ren für Medikamente zu akzeptieren. Er hätte die Kosten von neuen Generika massiv erhöht.

Kein Kapitel über MenschenrechteHaben die laufenden Verhandlungen mit der Efta bzw. der Schweiz so überhaupt Chancen, abgeschlossen zu werden? Unser Gesprächspartner meint Ja, wenn die beiden Partner einen zusätzlichen Nutzen finden, an dem beide interessiert sind. Auch könnte der Abschluss der Verhandlungen mit der EU in diesem Herbst den Gesprächen mit der Efta bzw. der Schweiz neuen Schub verleihen.

Der Regierungsbeamte stellt gegenüber GLOBAL+ aber klar, dass das Abkommen kein Kapitel über nachhaltige Ent­wicklung und Menschenrechte enthalten wird, wie das Ent­wicklungsorganisationen und ein teil des Schweizer Parla­ments verlangen. Mit Umweltauflagen versuche der Westen bloss, seine Sicht von Entwicklung durchzusetzen, und Arbeits­normen könnten protektionistisch missbraucht werden. «Die­se Fragen sind wichtig, aber sie haben nichts mit Handel zu tun. Wir haben uns in der WtO erfolgreich dagegen gewehrt und tun das auch bei bilateralen Verhandlungen. Denn die Efta würde solche Standards konsequent für ihre Interessen auszu­nutzen versuchen», so der offizielle indische Standpunkt.

Isolda Agazzi Indiens Positionen kollidieren bei inter-nationalen Verhandlungen oft mit jenen des Westens. Etwa wenn es seine Investitionspolitik überdenkt oder verschärfte Patentschutzbestimmungen ablehnt. Auch die Schweiz bekommt dies zu spüren.

Wie Bolivien, Südafrika, Ecuador und andere Entwicklungslän­der überdenkt Indien derzeit seine Investitionspolitik. Delhi hat mit über 70 Ländern Abkommen unterzeichnet und ist nie wegen Verstössen verurteilt worden. Bis zu jenem denkwür­digen 30. November 2011, als ein Schiedsgericht es zu einer Busse von 4 Millionen australischen Dollar verknurrte. Die Öf­fentlichkeit erfuhr davon erst im Februar dieses Jahres, denn die meisten Schiedssprüche bleiben unveröffentlicht. Im kon­kreten Fall standen sich zwar zwei Firmen gegenüber, die aus­tralische Minenfirma White Industries und die (staatliche) Coal India. Dennoch muss nun der indische Staat eine Busse bezah­len, weil es die indischen Gerichte nicht schafften, den Fall in­nerhalb von neun Jahren zu regeln. Gestützt auf die Meistbe­günstigungsklausel berief sich White Industries auf einen Passus im Investitionsschutzabkommen zwischen Indien und Kuwait, der bei Streitfällen eine rasche und effiziente Abwick­lung vor indischen Gerichten vorschreibt. Die Firma ging dabei völlig korrekt vor. Denn die Meistbegünstigungsklausel besagt, dass ein Vorteil, der einem Vertragspartner gewährt wird, auch allen andern gewährt werden muss.

Investitionsschutzabkommen harmonisieren«Das ist sehr problematisch», kritisiert ein hoher indischer Re­gierungsbeamter, der anonym bleiben möchte, im Gespräch mit GLOBAL+. Der Passus, auf den sich die australische Firma berief, sei aufgrund der speziellen Beziehungen zwischen In­dien und Kuwait in das Abkommen integriert worden, etwa dem Versprechen von umfangreichen kuwaitischen Investiti­onen. «Aber sie war nicht für White Industries gedacht.» Um die Interessen des Gastlandes besser zu wahren, sei es drin­gend notwendig, die je nach Partner sehr unterschiedlich aus­gestalteten Investitionsschutzabkommen zu harmonisieren, findet unser Gesprächspartner. «Das ist genau das, was wir jetzt machen.» Klar müsse man Investoren Sicherheiten bie­ten. Aber es sei auch bedenklich, wenn bei Streitfällen ganze Heerscharen von Anwälten zum Zuge kämen und die Schieds­gerichte hinter verschlossenen türen völlig willkürliche Urteile fällten. Oder wenn Investoren eine «indirekte Enteignung» einklagten, weil der Wert ihrer Investitionen wegen neuen staatlichen Umwelt­ oder Gesundheitsvorschriften vermindert werde.

Gegen verschärften PatentschutzAuch beim Patentschutz verfolgt Indien einen Kurs, der den In­teressen westlicher Konzerne entgegenläuft. So weigert es sich, Handelsverträge zu unterzeichnen, die schärfere Patent­

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Karussell

— DasSekretariatvonAllianceSudwirdneuvonRosa Amelia Fierrobetreut(bisherSwissinfo). Sie ersetzt Andrea Blaser, diesich nun voll dem Strassenmagazin «Sur­prise»widmenwird–vielenDankundallesGute,Andrea!— Bernard du Pasquier, bisher Abtei­lungsleiterAsienbeiHEKS,hatbeiBrotfüralle das Qualitätsmanagement übernom­men.ErersetztJürg Schertenleib,derpensi­oniertwurde.DieHEKS­Asien­Leitungüber­nimmt Saskia Bauner. Stefan Indermühle,der bei HEKS interimistisch Brasilien undKolumbien betreute, arbeitet neu als DeskOfficer beim EDA­Expertenpool für zivileFriedensförderung.— Markus Bützberger verlässt Helvetas,woerverschiedeneFunktionenausübte,undistoffenfürNeues.NeueWebmasterinvonHelvetas ist Kathrin Schaffner. Sie ersetztSonja Benninger,dieaufWeltreisegeht.Fred Lauener, bisher für Caritas tätig, hat vonRegula Weber EngweilerdieLeitungPRundMedienbeiMaxHavelaarübernommen.— NeubeiCaritasarbeitenBernd Serway(DelegierterSudan),Yvonne Berner(SUIPP­COL,Kolumbien),Kathrin Wyss (Del.Ruan­da/Uganda) und Marco Bamberger (Del.

Haiti). Clemens von Heimendahl, bisherProgrammverantwortlicher Pakistan, istneu Chefdelegierter Tadschikistan. Sabine Schild, bisher Juniorin in Kenia, ist neueProgramm­MitarbeiterinKenia.— CaritasverlassenhabenStefan Oswald (PVKolumbien),Julian Jekel(Chefdel.Haiti)sowieCharles RoggoundMichael Grausam(beideDel.Haiti).— Bei der Stiftung Terre des Hommesübernimmt Vito Angelillo von Peter BreydasAmtalsGeneralsekretär.Delphine Cent-livres leitet neu die Geschäftsstelle vonTransparencyInternationalSchweiz.Alfred Fritschi übernimmt im Januar die neu ge­schaffeneStellealsGeschäftsführerderEr­klärungvonBern.— Bei der Deza wird Christian Eggs stv.Sektionschef der Sektion WasserinitiativenundGeneviève Federspiel,bisherKoordina­torin im Kobü Bamako, stv. Leiterin derAbt. Südasien. Der bisherige Assistenzko­ordinator für Humanitäre Hilfe (HuHi) imKobü La Paz, Sebastian Eugster, wird neuHuHi­Programmbeauftragter Afrika. Rea Bonzi, bisher JPO, arbeitet neu als Pro­grammbeauftragteinderAbt.Ost­undSüd­lichesAfrika.

— Der Koordinator im Kobü Pretoria,François Droz,wirdneuBeraterfürSektor­politikbeiderSektionGlobalprogrammKli­mawandel. Seinen bisherigen Job über­nimmt Reto Wieser, bislang Chef der Abt.Wissens­undLernprozesse.Matthias Meier,stv.KoordinatorimKobüUlaanBator,wech­selt als Programmbeauftragter ins KobüThimpu (Buthan). Neue Programmbeauf­tragtederSektionGlobalprogrammKlima­wandelwirdJacqueline Schmid,bisherPro­grammbeauftragtederAbt.Südasien.— Evelyn Stettler, interimistischfürdenDeza­Desk Haiti zuständig, wird neu Pro­grammbeauftragtederAbt.Ostasien.AlsBe­raterinfürSektorpolitikinderAbt.OstasienarbeitetneuauchAndrea Studer,bisherstv.KoordinatorinimKobüBishkek.— Jean-François Golay,bisherAssistenz­koordinator der HuHi in Managua, wirdneuer Programmbeauftragter in der Abt.Ost­ und Südliches Afrika. Béatrice FerrariwechseltalsProgrammbeauftragtevonderAbt.LateinamerikaindieAbt.Ostasien.UndGerolf Weigel, bisher in Indien für dasGlobalprogramm Klimawandel tätig, wirdneu Programmbeauftragter der AbteilungGlobaleInstitutionen.

Seit Jahrzehnten wird von Recht auf Ent-wicklung geredet, von der Bekämpfung der Armut und von Menschenrechten für alle. Doch real bewegt sich wenig, die konventi-onellen Entwicklungsmodelle haben ver-sagt. Mit einer internationalen Dialog-plattform wollen zwei Alliance-Sud-Or- ganisationen jetzt die Debatte über Alter-nativen fördern.

Bescheiden sind die Ziele der von Brot füralle(Bfa)undFastenopferdiesenHerbstlan­cierten Diskussionsplattform nicht: »Dialo­gue4change soll zum Hub werden für denAustausch von Visionen, Ideen und Erfah­rungen,diemitEntwicklungsfragenzutunhaben», sagt Bfa­Zentralsekretär Beat Diet­schy im Web­Video. Für Bruno Stöckli, derdiePlattformaufgebauthat,gehtesdarum,«diegängigenEntwicklungsmodellegrund­legend zu hinterfragen und Alternativenzu suchen, die den globalen Herausforde­rungentatsächlichgewachsensind».Einbe­sonderes Anliegen sei es, unterschiedliche

Im Dienste der Menschheit. Daniele Wald-burger, Lukas Zürcher und Urs Scheidegger haben in ihrem Buch chronologisch geord-net «Meilensteine der Schweizer Entwick-lungszusammenarbeit seit 1945» gesam-melt und betten sie in den internationalen

Kontext ein. Reich il-lustriert und mit zahl-reichen Grafiken ver-sehen, bietet es auch NichtexpertInnen einen guten Überblick.

Haupt-Verlag, Bern 2012, 219 S., 38 Fr., ISBN 978-3-258-07338-5

Stop and Listen. Ein neues Video von WEED zeigt alternative Ansätze für eine men-schen- und umweltgerechte Handelspoli-tik auf. Stimmen aus dem globalen Süden beleuchten Auswirkungen der EU-Handels-politik in Bereichen wie Landwirtschaft, Rohstoffabbau, Wasserprivatisierung und Regionale Integration.

www.weed-online.org

Kiosk Plattform für neue Ideen

Dialogue4changekulturelle und fachliche Erfahrungen ein­zubeziehen,geradeauchimHinblickaufdieDiskussionenübereineneueEntwicklungs­agenda nach 2015, nach Ablauf der Millen­niumsziele,sagtStöckli.

Die Plattform geht auf eine Tagung zu­rück,dieletztesJahrinGenf25InteressierteausallerWeltzusammenbrachte.Dortzeigtesich, dass das Bedürfnis nach einer länder­undkulturübergreifendenDebatteübereinneuesEntwicklungsverständnisgrossist.

FachleuteausverschiedenenLändernbe­teiligen sich jetzt auch an der Diskussions­plattform,dieweiterenInteressierteneben­sooffensteht.SiewirdvonderDezaundderStiftung Leopold Mayer finanziell unter­stütztundistvorerstaufdreiJahreangelegt.Ergänzend sind Workshops zu bestimmtenThemen geplant. Der erste findet Ende No­vemberinBolivienstatt.Thema«Modelosdedesarrollo:rupturasynuevasnarrativas».

� Pepo�Hofstetter

www.dialogue4change.org

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GLOBAL+ HERBSt 2012 15

WiekommtderHungerindieWelt?Warumsind Überfluss und Mangel so stark inein­anderverschränkt?JedesdritteGetreidekornwird heute Tieren verfüttert, um Fleisch fürunsere Teller zu produzieren. Man sprichtvon der «Vermaisung» der Landwirtschaft,weil ganze Landstriche mit Mais­Monokul­turenzugepflastertwerden.

Selten zeigt eine Brockhaus­Publikati­on so kurzweilig, reich bebildert und trotz­dem fundiert komplexe Zusammenhängeauf, wie der vorliegende Band aus der Rei­

Lesezeichen

Klimaschutz an der Fleischtheke

Zeitschriften-Lese(n)

Dokumentationszentrum Bern – wo Sie mit Ihrer Informationssuche richtig sind:

Standort Monbijoustrasse 31 3011 Bern

Telefon 031 390 93 37

E-Mail [email protected]

Internet www.alliancesud.ch/dokumentation

Facebookwww.facebook.com/AllianceSudDok

Not für die Welt: Ernährung im Zeitalter der Globalisierung / Gütersloh; München: Brockhaus, 2012, 319 S., Ill. Ausleihbar unter der Signatur: Eb/59

he«perspektiv». 16renommierteFachleutebeschreiben pointiert die weltweite Ernäh­rungslage, thematisch gruppiert in die Ka­pitelHunger,ProfitaufKostenderUmweltundkrankmachendeMassenproduktion.DerFokusdesinformativenBuchsliegtaufdenvier Schwerpunkten Reformbedarf der EU­Agrarpolitik,ChancenundRisikendesfairenHandels,«IndustrialFood»sowieStrategienglobalerLebensmittelkonzerne.

Im Essay «Die Ernährung von morgen»wird auch die Behauptung hinterfragt, In­dustrienahrung könne die Ernährungspro­blemeeinerwachsendenBevölkerunglösen.Die Autorin vertritt die Gegenthese: «Einekleinräumigstrukturierte,nachhaltigeLand­wirtschaft könnte in vielen WeltgegendendieMenschenausderArmutsfallebefreien.»Die Nahrungsmittelindustrie habe den Ge­setzgeberfestimGriff,hiermüsstenwiralsKonsumierendeeinhaken–«KlimaschutzanderFleischtheke»sozusagen.

Weltregierung in Sachen LebensmittelDer «Codex Alimentarius» gilt als Weltre­gierunginSachenLebensmittel,kontrolliertvon FAO und WHO. Ein deutscher Blog plä­diert für mehr demokratisches EingreifenderZivilgesellschaft.

http://codex-alimentarius-de.blogspot.com�

Fleisch ohne Tierhaltung?Future Food ist eine Internet­Initiative ausÖsterreich, die weltweit pflanzliche Alter­nativenzutierischenProduktenfördert.EinweitererSchwerpunktistdiebeschleunigteErforschung von In­Vitro­Fleisch und Ana­log­KäseohneTierhaltung.

www.futurefood.org

Fakten zum NachdenkenAuf der Themenseite des deutschen Welt­agrarberichts finden sich Faktenblätterzu Aspekten der Welternährung, etwa zuFleisch oder zu bäuerlicher und industriel­lerProduktion.

www.weltagrarbericht.de

Alliance-Sud-PressearchivNicht alles ist online! In unseren Presse­dossiers «Konsum», «Ernährung» und«Viehwirtschaft» finden sich zahlreicheHintergrundartikel zur globalen Ernäh­rungssituation.ÜbersichtderThemen:

www.alliancesud.ch/de/dokumentation/themenliste�

Verantwortlich�für�diese�Seite:�Dokumentationszentrum�Bern

Biolandbau als Chance für EntwicklungDas Titelthema von «Rural21», 3/2012, be-fasst sich mit den nötigen Voraussetzun-gen, um das für die Länder des Nordens entwickelte Prinzip des Biolandbaus mit den Bedürfnissen der BäuerInnen im glo-balen Süden in Einklang zu bringen. Ausge-hend von zum Teil langjährigen Forschun-gen – darunter auch des FiBL Schweiz –, werden etwa das Potenzial der Klimawan-

del-Anpassung durch Biolandbau oder Fra-gen von Zertifizierung, Marktzugang und Know-how-Transfer ausgelotet.

www.rural21.com�

Bergbaupolitiken in LateinamerikaDem «Extraktivismus», einer auf Roh-stoffabbau und -export gegründete Ent-wicklungsstrategie, gilt das Dossier von «Lateinamerika-Nachrichten», Septem-ber/Oktober 2012. Es wirft zum einen ein Schlaglicht auf die neoliberale Bergbau-politik Kolumbiens und Chiles. Zum ande-ren wird der sogenannte Neue Extraktivis-mus von Ländern wie Bolivien und Ecuador diskutiert. Diese fordern von den Rohstoff-Multis höhere Abgaben und lassen einen Teil der Einnahmen sozialen Projekten zu-kommen.

www.lateinamerikanachrichten.de

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Jenny Robson: Tommy Mütze Dumisani und Doogal, alias Doo-Dudes, sind dicke Freunde und nie um eine gute Idee verlegen. Als mitten im Schuljahr Tommy neu in ihre Klasse kommt, sind aber auch sie erst einmal sprachlos. Dieser Neue trägt eine merkwürdige Mütze, die nur seine Augen freilässt und die er weder im Unterricht noch beim Sport auszieht. Was sagt man dazu?! Die Doo-Dudes rätseln über die Gründe, und bald schon ist die ganze Schule in Aufruhr.

DieErzählungisteinengagiertesPlädoyerfürVielfaltundAkzeptanz–undeinevergnüglicheundspannungsvolleGeschichteausdemheutigenSüdafrika.

DieBildungsstellevonAllianceSudhatzusammenmitBaobabBookszumBucheineUnterrichtseinheitfürSchülerInnenvon9bis12Jahrenherausgegeben.Die23­seitigeDokumentationkanndirektvonderWebsitevonAllianceSudheruntergeladenwerden.

Jenny Robson: Tommy Mütze, Basel 2012, 84 Seiten, Fr. 24.80, ISBN 978-3-905804-39-3> Download Unterrichtseinheit: www.alliancesud.ch/bildung

GLOBAL+ | Postfach 6735 | 3001 Bern | telefon 031 390 93 30E­Mail: [email protected]

www.alliancesud.ch

42,5

Mio

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Ende 2011 zählte das UNHCR weltweit 42,5 Millionen Flüchtlinge. 26,4 Milli-onen waren intern Vertriebene und 895 000 Asylsuchende.

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4 von 5 Flüchtlingen lebten 2011 in Ent-wicklungsländern.

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00

2011 wohnten in der Schweiz (Pro-Kopf-Einkommen 43 500 Dollar) 50 400 Flüchtlinge, in Kenia 566 500 (Pro-Kopf-Einkom-men 1700 Dollar).

ZahlenundFakten: